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Anthropozentrismus

- „Anthropisches Prinzip“ -
- Große Gefahr durch Anthropozentrismus -
- Größenwahn durch Anthropozentrismus -
- Varianten des „Anthropischen Prinzips“ -

Der Anthropozentrismus bezeichnet eine Anschauung, nach der der Mensch Mittelpunkt der Welt und Zweck des Weltgeschehens ist. Mit diesem Weltgeschehen sind Evolution und Geschichte (in diesem Fall heißt es allerdings eher „Humanismus“) gemeint.

Anthropisches Prinzip“ ist nur die euphemistische Umschreibung des Anthropozentrismus, bedeutet also ebenfalls, daß der Mensch Mittelpunkt der Welt und Zweck des Weltgeschehens sei, wobei sehr häufig und zumeist von Naturwissenschaftlern lediglich behauptet wird, daß der Mensch aus seiner eigenen Existenz heraus wissen könne, daß das Universum, die 4 Naturkräfte (Wechselwirkungen), die Elementarteilchen, die Atome, die Elemente u.v.m. so und nur so entstehen konnten, denn, so die Begründung, wenn es nicht so gewesen wäre, gäbe es den Menschen nicht. Zwar ist die Frage, „warum die Natur so ist, wie sie ist, warum die Naturkonstanten und die Kräfte, welche die Entwicklungsprozesse steuern, genau die Werte und Größen haben, die wir messen, und keine anderen, ... nach wie vor eines der größten Rätsel der Physik“, doch „weil es in unserem Universum Leben gibt, können die Parameter nur die Werte besitzen, welche die Existenz von Leben möglich machen. Diesen logischen Schluß bezeichnet man auch als Anthropisches Prinzip. Anders formuliert heißt das: Die beobachtbaren Werte der Naturkonstanten und die Anfangsbedingungen unseres Universums erfüllen gerade die Bedingungen, welche für die Evolution intelligenten Lebens notwendig sind. Geht man noch einen Schritt weiter und unterstellt, daß der Entstehung des Universums die Absicht zugrunde liegt, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, so verschärft sich das Anthropische Prinzip zu der Aussage, daß die Parameter so eingestellt sein mußten, damit die Entwicklung von Leben möglich wurde. Hinter dieser auch als teleologisch bezeichneten Auslegung des Anthropischen Prinzips steht das Wirken eines allem übergeordneten Willens - eines Gottes, dessen Ziel von Anfang an die Erschaffung von Leben war. Damit verlassen wir jedoch die Erklärungsebene der Physik …, aber um es nochmals zu betonen: Die Naturwissenschaften haben keine Erklärung dafür! Wir können nur spekulieren. .... Daß auf zufällige Art und Weise unser Universum zustande kam, erscheint - nahezu - ausgeschlossen. Spätestens an diesem Punkt bleibt für manche Naturwissenschaftler nur Gott als Antwort.“ (Harald Lesch, Big Bang, zweiter Akt, 2003, S. 400-401Lesch).

Gründe für die Annahme eines Anthropozentrismus oder: Triumphale* Erkenntnisse.Triumphe der Erkenntnis
1.) Der Mensch steht zwar nicht im Zentrum der Welt, aber die Naturkonstanten unseres Universums sind so „eingestellt“, daß es ab irgendwann zur Existenz des Menschen kommen mußte.
      a) In unserem Universum entschied darüber, ob und was entstehen kann und was nicht, zwar der Zufall, doch in ihm war bereits die Notwendigkeit enthalten - das beweisen uns jedenfalls die Naturkonstanten.
      b)Unsere Galaxis bot ab irgendwann einen Lebensgürtel und somit Platz für ein Sonnensystem mit „metallischen“ bis „schwermetallischen“ Planeten.
      c)Unsere Sonne bot ab irgendwann ebenfalls einen Lebensgürtel und somit Platz für Lebensplaneten.
      d)In unserem Sonnensystem entwickelte sich auf einem dieser Planeten, unserer Erde, ab irgendwann Leben und ab irgendwann später auch „höheres“ Leben bis hin zum Menschen.
2.)Der Mensch stammt zwar nicht von Gott ab, aber Gott könnte ihn doch „gemeint“ haben - vielleicht sogar als sein Ziel.
      a)Eine kleine Abweichung bewirkte die Entstehung von „Etwas“ aus dem „Nichts“, so daß man sagen kann, daß das Anorganische, aus dem alles, was zu diesem „Etwas“ gehört, folglich auch das Organische (das Leben), zwar per Zufall entstand, daß aber in diesem Zufall die Notwendigkeit schon enthalten war - das beweisen uns jedenfalls die Naturkonstanten.
      b)Aus dem Anorganischen entwickelten sich die Lebewesen, und das dauerte eben seine Zeit, so daß man sagen kann, daß Gottes „Werk“ nicht Tage, sondern Milliarden Jahre gedauert haben muß, aber nicht sagen kann, daß es gar nicht stattgefunden hat.
      c)Der Mensch stammt vom Tier und folglich vom Anorganischen ab, doch das muß nicht im Widerspruch zur Existenz Gottes stehen, der uns Menschen „gemeint“ haben könnte - vielleicht sogar als sein Ziel.
3.)Der Mensch bestimmt sich zwar nicht selbst, aber wenigstens kann er es teilweise.
      a)Das Unbewußte beherrscht das Bewußte, doch das Bewußte beherrscht das Unbewußte in Rückwirkung.
      b)Fremde Mächte beherrschen das Unbewußte, doch das Bewußte beherrscht auch sie in Rückwirkung.
4.)Der Mensch kann zwar nicht Gott werden, aber wenigstens kann er es teilweise.
      a)Der Geist, der den Menschen „frei“ macht, ist zwar nicht allmächtig, aber immerhin dasjenige unter allem Nichtgöttlichen, das dem Göttlichen am nächsten kommt.
* Das „Triumphale“ daran ist nicht die absolute, sondern nur die relative Beseitigung alter Abhängigkeiten, weil (a) dabei neue Abhängikeiten entstehen, (b) absolute Freiheit unmöglich ist.
Ein „Schwarzes Loch“ ist gar nicht schwarz und auch gar nicht ein Loch!
Schwarzes loch
Schwarzes loch
Das Fundament der Naturwissenschaft ist der Glaube, nämlich der Glaube, daß die Naturgesetze herrschen.

Gemäß dem Glauben der Naturwissenschaftler - man könnte auch sagen: der faustischen Abendländer - ist jedoch kein Experiment verifizierbar bzw. (um es als Naturwissenschaftlicher zu sagen) falsifizierbar. Es gibt unendlich viele Fragen, die gestellt werden können. Von diesen müssen die Wissenschaftler die wenigen wählen, die sie tatsächlich bearbeiten können. Diese Wahl ist aber vom Zeitgeist der Kultur, in der sie getroffen wird, stark geprägt, ja: determiniert! Folglich sind die Wissenschaften und also auch die Naturwissenschaften sowie die von ihr abgeleiteten Technologien nicht wertfrei, nicht frei von der sie determinierenden Kultur und ihrem Zeitgeist. Sie ereben ihre Werte von den Werten der Gesellschaften (der sie determinierenden Kultur): Völker, Nationen, Stämme, Familien, Paare, Einzelwesen der sie determinierenden Kultur. Die Kultur ist eingebettet in die Natur, doch die Naturwissenschaft ist wie alle Wissenschaft eingebettet in die Kultur.

Die komplette Kenntnis der physikalischen und chemischen Strukturen genügt nicht, um das Weltall zu verstehen, und schon gar nicht genügt die komplette Kenntnis der physikalischen, chemischen biologischen (genetischen und neurologischen) Strukturen eines Lebewesens, um das Lebewesen zu verstehen. Allein deswegen ist es schon überhaupt nicht möglich, den Menschen zu verstehen. Es ist im Prinzip unmöglich, den Menschen zu verstehen.

Metaphern und Analogien produzieren, indem sie disparate Kontexte zusammenfügen, neue Einsichten. Fast all unser Wissen, einschließlich des wissenschaftlichen, ist metaphorisch und auf Analogien basierend - ob wir dies wissen oder nicht. „Schwarze Löcher“ sind weder „schwarz“ noch „Löcher“.

NACH OBEN Große Gefahr durch Anthropozentrismus

„Wir kommen in einen mörderischen Anthropozentrismus hinein, der letztlich selbstmörderisch ist .... Und es stellt sich heraus, daß letzten Endes auch unter dem Schein der Allgemeinheit die modernen Menschenrechte Privilegien gewesen sind: es waren wieder Gattungsprivilegien, die nun in Form einer ermächtigten Herrengattung gegenüber dem Rest der Natur durchgesetzt werden, und das führt notwendigerweise in einer vernetzten Welt zu einer selbstmörderischen Entwicklung.“ (Peter Sloterdijk, in der TV-Sendung: Baden-Badener Disput, 1998Sloterdijk).

„Es macht einen ungeheuren Unterschied - das geht bis zu der notwendigen Neuformulierung der Menschenrechte hin -, ob man in einem Verwüstungsprozeß lebt oder in einem Schonungsvorgang. .... Der Ausdruck Schonungen in dieser Verwendung geht übrigens auf Martin Heidegger zurück - ein Ausdruck, der den Vorzug hat, daß er Philosophen und Förster gleichzeitig zufrieden stellt und dabei sehr schön zum Ausdruck bringt, worum es geht: Menschen können sich auf der Erde nicht aufhalten, wenn sie nicht zugleich Verantwortung nehmen für die Biotope, in denen sie angesiedelt sind - ... sie müssen sich zur Schonung bekennen ..., sie können anfangen, als neue Nomaden über die Oberflächen hinwegzuziehen, ... aber sie müssen auch wieder lernen zu wohnen, und im Wohnen ist natürlich der Imperativ, Schonungen anzulegen, mitenthalten und damit, die Wüstungen zu korrigieren.“ (Peter Sloterdijk, in der TV-Sendung: 45. Baden-Badener Disput, 1998Sloterdijk). Sloterdijk hält es für sehr wahrscheinlich, daß in Zukunft, und zwar noch mehr als jetzt schon, die Menschenrechte als Verwüstungsrechte enorm zunehmen werden. So, wie wir es aus der Vergangenheit und Gegenwart schon gewohnt sind, werden immer mehr Prediger mit ihren durchaus gut gemeinten Zielen immer mehr Abstriche machen müssen und immer mehr zu Opfern von Politik und Lobby werden. (Mehr). Immer mehr Rechte auf Verwüstung des Planeten und seiner Bewohner werden in Anspruch genommen werden, und zwar vor allem deswegen, weil es immer noch die (monströsen, barbarischen, bestialischen, kurz: westlichen) Menschenrechte geben wird.

„Es ist anthropologisch falsch, davon auszugehen, daß der Mensch ein Individuum ist; er ist ein historisches Tier; er ist ein Paarwesen“, so Peter Sloterdijk immer wieder betonend, auch und gerade dann, wenn es um Rechte geht, nämlich um juristische Formulierungen, die allesamt auf falschen Annahmen beruhen. Der „metaphysische individualistische Ansatz ist anthropologisch falsch und führt notwendigerweise auch in Fehlformulierungen auf allen Ebenen, denn der Mensch ist ein Wesen, das immer von seinem Alliierten her gedacht werden muß und nicht nur von seinem Selbsterhaltungsimpuls. Die Menschenrechtsformulierungen fangen an als Schutzrechtsformulierungen. .... Weil Verrechtlichung von falsch formulierten Menschenrechten in der Tat erstens Widersprüche ergibt und zweitens die Notwendigkeit, ... warum man die Rechte durch Pflichten ergänzen muß, ... - weil die Menschenrechtsformulierungen allesamt auf der Basis des modernen metaphysischen Individualismus sich artikuliert haben. .... Wir haben einen primären Individualismus und eine sekundäre Vergesellschaftung - das ist ein Denkfehler von einer solchen monströsen Dimension, daß man Jahrhunderte brauchen wird, das wieder zu beheben. .... Man kann es an den Artikeln der Erklärung von 1948 (09./10.12.1948„Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“) sehr gut zeigen: sie sind alle falsch formuliert - alle -, und zwar fangen nämlich alle mit »every-one« oder »no-one« an, also: das »ONE« ist das Subjekt des Rechts, und das ist anthropologisch falsch! Wir müssen das Rechtssubjekt anders konstruieren: nicht Individuen können Rechte oder Pflichten haben, sondern man muß Individuen so beschreiben, daß sie als Teile von etwas erscheinen. Ich sage, Individuen gibt es nicht, sondern es gibt nur Beziehungen. Es gibt keine Individuen!“ (Peter Sloterdijk, in der TV-Sendung: 45. Baden-Badener Disput, 1998Sloterdijk).

„Also: Dieser metaphysische individualistische Ansatz ist anthropologisch falsch und führt notwendigerweise auch in Fehlformulierungen auf allen Ebenen, denn der Mensch ist ein Wesen, das immer von seinem Alliierten her gedacht werden muß und nicht nur von seinem Selbsterhaltungsimpuls. Das ist ein Denkfehler, den Thomas Hobbes klassisch gemacht hat und in dem wir alle noch befangen sind; und es ist wirklich eine Jahrhundertaffäre, das zu bewältigen. Es hat nichts mit Sozialismus zu tun, sondern es hat damit zu tun, daß man Menschen von vornherein falsch beschreibt, wenn man sie nicht als Paarwesen ansieht. Es gibt keine Individuen, es gibt nur Paare und ihre Entfaltungen. Und dann hat man ein anderes Rechtssubjekt, und man hat dann nur Gruppen - die Minimalgruppe ist das Paar. Dann kommt man zu einer ganz anderen Beschreibung des Rechtssubjekts; ... die Rechte entstehen aus der Tatsache, daß man an etwas teilhat. Und so entwickelt sich eine ganz andere Figur. Ich glaube, das moderne Recht ist der intimste Partner des modernen Individualismus und von daher auch Handlanger dieser entsetzlichen Auswüchse, die der Kapitalismus in seinen übelsten Gestalten weltweit hervorruft.“ (Peter Sloterdijk, in der TV-Sendung: 45. Baden-Badener Disput, 1998Sloterdijk).

„Naturvertrag“ heißt, „daß auch die Natur durch Anwälte an den Tisch muß, daß die Tiere ihre Anwälte bekommen, die an den Tisch müssen, die Bäume brauchen ihre Anwälte, die an den Tisch müssen. Es ist letzten Endes ein Pazifismus ohne Grenzen, es ist das Projekt der Moderne. Das läßt sich nicht verhindern, weil der Gedanke, daß die Menschen ... immer mehr Selbstentfaltungsansprüche erheben - nicht nur Selbsterhaltungs-, sondern -entfaltungsansprüche -, schließt notwendigerweise ihre Umwelt mit ein, und aus der eingeschlossenen Umwelt kommen diese Subjekte des Rechts mit an den Tisch. Ansonsten passiert genau das ...: Wir kommen in einen mörderischen Anthropozentrismus hinein, der letztlich selbstmörderisch ist ...“  (Peter Sloterdijk, in der TV-Sendung: 45. Baden-Badener Disput, 1998Sloterdijk).

NACH OBEN Größenwahn durch Anthropozentrismus

Daß Anthropozentrismus zum Größenwahn führen kann, zeigt auch der vor allem im Abendland verbreitete Glaube, der als Theorie - von Peter Mersch (Mersch) als „kulturistische Evolutionstheorie“ (MerschMersch) bezeichnet und widerlegt (MerschMersch) - u.a. von der Anmaßung ausgeht, daß der moderne Mensch von der Evolution völlig losgelöst sei.

„Und diese Theorie lautet in etwa wie folgt: Menschen kommen als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Menschliche Säuglinge sind folglich zunächst einmal alle gleich. Mit entsprechenden Bildungsmaßnahmen und Förderprogrammen können sie dann zu beliebiger Kompetenz geführt werden. Die Weitergabe menschlicher Kompetenzen erfolgt also nicht über Gene, sondern über kulturelle Mechanismen. Das gilt im wesentlichen auch für die beiden Geschlechter. So kommt man nicht als Frau zur Welt, sondern wird dazu gemacht. Sind zu einem späteren Zeitpunkt intellektuelle Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen feststellbar, dann ist das in erster Linie die Folge einer unterschiedlichen Sozialisation. Es ist somit egal, wer in einer Gesellschaft Kinder bekommt. Wenn sozial schwache und bildungsferne Schichten mehr Kinder bekommen als Schichten mit hohem sozioökonomischem Status oder Bildungsniveau, dann müssen deren Kinder eben gezielt gefördert werden. Eine qualitative Nichtbestandserhaltung ist immer Folge unzureichender Fördermaßnahmen für den kindlichen Nachwuchs. Diese Theorie soll im folgenden kulturistische Evolutionstheorie genannt werden. (Eine weniger freundliche Bezeichnung ist »Gutmenschentum«). Typische Aussagen im Umfeld der Theorie sind:
Erst die geringe Kinderzahl altrömischer Senatoren oder moderner Akademiker gibt dem Nachwuchs aus unteren Gesellschaftsschichten Raum für die eigene Karriere. (Ralph Bollmann, 2006, Lob des Imperiums - Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens, S. 84).
Wenn hauptsächlich die Schwachen Kinder bekommen, dann müssen wir eben aus diesen Kindern Atomphysiker machen, Gerichtspräsidenten, Abgeordnete, verantwortungsvolle Bürger. (Susanne Gaschke, Die Emanzipationsfalle - erfolgreich, einsam, kinderlos, 2005, S. 102f.).
Betrachtet man die Theorie im Detail, dann fällt zunächst auf, daß sie auf alle drei Kriterien der Evolutionstheorie verzichtet:
Alle Menschen verfügen bei der Geburt über gleiche Möglichkeiten. Folglich gibt es keine angeborene Variation unter den Individuen einer Population.
Reproduktionserfolg und sozialer Erfolg (beziehungsweise die Fähigkeit der Ressourcenbeschaffung) müssen nicht miteinander korrelieren. Das Selektionsprinzip ist somit ohne Bedeutung.
Alle Menschen verfügen bei der Geburt über gleiche Möglichkeiten. Hervorstechende Kompetenzen der Eltern werden nicht an ihre Nachkommen vererbt. Das Vererbungsprinzip ist folglich nicht gültig.
Die Kernaussage der Evolutionstheorie ist: Wenn die drei Voraussetzungen - Variation, Selektion und Vererbung - gegeben sind, ist Evolution unvermeidlich die Folge. (Vgl. Susan Blackmore, Evolution und Meme, in: Alexander Becker et al., Gene, Meme und Gehirne, 2003, S. 50). Es stellt sich nun umgekehrt die Frage: Kann Evolution eventuell auch dann stattfinden, wenn eine oder mehrere der drei Voraussetzungen Variation, Selektion und Vererbung nicht gegeben sind? Die obige Theorie behauptet nichts weniger als: Ja, Evolution kann in modernen menschlichen Gesellschaften sogar dann stattfinden, wenn keine der drei Kriterien erfüllt ist. Falls Sie sich fragen sollten, ob denn in modernen Gesellschaften Evolution überhaupt noch erforderlich ist, so ist dies zu bejahen. Denn auch entwickelte Gesellschaften sind ständigen Veränderungen ausgesetzt (Technik, Wissensgesellschaft, Globalisierung, Ressourcenverknappung, Klimawandel, ...), auf die sie zu reagieren und an die sie sich anzupassen haben. Und schließlich drücken auch die Begriffe Entwicklungsland und hochentwickeltes Land einen gesellschaftlichen Evolutionsprozeß aus.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 75-76Mersch).

„Der Grundgedanke der kulturistischen Evolutionstheorie scheint sich in Teilen auf die Mem-Theorie (Mem-Theorie) von Richard Dawkins zu stützen (vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, 1976; Susan Blackmore, Evolution und Meme, in: Alexander Becker et al., Gene, Meme und Gehirne, 2003):
Im Rahmen der kulturellen Weiterentwicklung entstehen geistige Elemente, die sich in die verschiedenen Gehirne der Mitglieder der Gesellschaft replizieren.
Eine gesellschaftliche Weiterentwicklung erfolgt durch kulturelle Weiterentwicklung. Eine genetische Weiterentwicklung ihrer Mitglieder ist dagegen nicht erforderlich und aufgrund der aktuellen menschlichen Reproduktionsstrategie auch gar nicht mehr möglich.
Strenggenommen wird hier eine reine Softwareevolution postuliert: Geboren wird immer der gleiche anpaßbare Mensch mit der gleichen genbasierten Hardware. Wenn im Laufe der Zeit Veränderungen oder gar Verbesserungen erfolgen, dann geschehen diese in der Software. Auf Computer übertragen würde das bedeuten: Die Hardware ist längst ausgereift. Alle Computer besitzen die gleiche Hauptspeichergröße, den gleichen Prozessor, die gleiche Festplatte. Alle Weiterentwicklungen konzentrieren sich auf das Betriebssystem und die Anwendungssoftware. (So könnte der manchmal regelrecht hitzig ausgetragene Konflikt zwischen Soziobiologie und Soziologie auch als ein Konflikt zwischen Hardware und Software interpretiert werden. Während die Soziobiologie vor allem sehr niedrige und grundsätzliche menschliche beziehungsweise biologische Verhaltensmuster untersucht, befaßt sich die Soziologie in erster Linie mit höheren gesellschaftlichen und kulturellen Themen. Oft werden dann zwischen den beiden Disziplinen Fronten aufgemacht, die eigentlich nicht sein müßten.). Vergleicht man dagegen die wirkliche Entwicklung in der Computerindustrie, dann dürfte die Aussage überraschen, denn dort sind es in der Regel die Weiterentwicklungen in der Hardware, die neue Softwareapplikationen ermöglichen. Und auch beim Menschen hat erst die enorme Gehirnentwicklung während der Altsteinzeit die spätere kulturelle Entwicklung ermöglicht.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 76-77Mersch).

„Für die Diskussion spielen auch die Begriffe Phänotyp und Genotyp eine wesentliche Rolle:
Phänotyp: Meist wird als Phänotyp das äußere Erscheinungsbild eines Organismus bezeichnet. Allerdings ist das nicht ganz korrekt, denn auch das Aussehen, die Lage, die Größe der inneren Organe gehören dazu, ferner Verhaltensmerkmale (zum Beispiel ob ein Lebewesen eher ängstlich oder aggressiv ist) und physiologische Größen (zum Belspiel der Blutdruck eines Menschen).
Genotyp: Der vollständige Satz von Genen, den ein Organismus geerbt hat. Im Grunde handelt es sich dabei um das Genom des Organismus.
Eine Kernaussage der kulturistischen Evolutionstheorie ist nun, der Genotyp eines Menschen stehe in modernen Gesellschaften in praktisch keinem direkten Zusammenhang mehr mit seinen geistigen Kompetenzen, die aber Teil seines Phänotyps sind.“. (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 77Mersch).

„Genauer betrachtet bestehen zwischen biologistischen und kulturistischen Auffassungen Vorstellungsunterschiede von beträchtlicher Tragweite: Die Evolution bringt Lebewesen hervor, die an einen bestimmten Lebensraum angepaßt sind. Der Lebensraum selbst unterliegt ständigen Veränderungen. Damit eine Population auf Dauer fortbestehen kann, müssen sich ihre Mitglieder fortpflanzen, was veränderte Genotypen hervorbringt, die dann besser oder schlechter an die sich wandelnde Umgebung angepaßt sind. Die Prinzipien Variation, Selektion und Vererbung sorgen für möglichst gute Startbedingungen der Folgegeneration. Viele Lebewesen sind aber darüber hinaus auch schon zu ihren Lebzeiten so anpassungsfähig, daß sie mit einer Vielfalt an Veränderungen in ihrem Lebensraum klarkommen. Dennoch: Die großen Anpassungen an den Lebensraum erfolgen bei eher biologistischen Auffassungen über die Gene. Eine Konsequenz daraus ist: Lebewesen müssen sterben, denn es wird in regelmäßigen Abständen eine »verbesserte« Hardware benötigt. Kulturistische Auffassungen behaupten nun aber, der Mensch habe diese Verhältnisse durch Kultur und Technik sehr stark verändert und den beschriebenen Prozeß beendet. Beispielsweise habe er erst gar nicht mehr auf eine genetische Anpassung zur optischen Erkennung von Bakterien warten müssen. Ihm genügte es statt dessen, das Mikroskop zu erfinden. Eine fortlaufende natürliche genetische Adaption des Menschen an einen sich verändernden Lebensraum (Gesellschaft, Kultur, Technik) sei nicht länger erforderlich. Deshalb spiele es auch keine Rolle mehr, wer in unserer Gesellschaft Kinder in die Welt setzt. Im Umkehrschluß bedeutete das allerdings: Eine solche Form der regelmäßigen Anpassung wäre nicht länger möglich. Die genetische Weiterentwicklung des Menschen mittels der natürlichen Selektion wäre also zum Erliegen gekommen. Oder anders ausgedrückt: Die biologische Evolution hätte ein Lebewesen hervorgebracht, bei der sie sich selbst ausgehebelt hat. Dieses Lebewesen wäre nun auf ihre Leistungen nicht mehr angewiesen. Eine unmittelbare Konsequenz daraus wäre: Veränderungen am Erbmaterial des Menschen müßten in Zukunft gentechnologisch erfolgen. Die rigorose Ablehnung der Anwendung der Lehre Charles Darwins auf menschliche Gesellschaften könnte der Eugenik also zu einem späten Sieg verhelfen.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 78Mersch).

„Ferner dürfte sich nun die Hoffnung aufdrängen, Alterung und Tod und damit auch die Fortpflanzung könnten irgendwann einmal der Vergangenheit angehören. Denn eine Populationsanpassung wäre ja nicht wirklich mehr erforderlich (und auf natürliche Weise auch gar nicht mehr möglich). Statt dessen könnte es genügen, die einzelnen Mitglieder der Population durch technologische Maßnahmen ausreichend anpassungsfähig zu halten oder alternativ die Umwelt durch Technik passend zu machen.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 79Mersch).

„An dieser Stelle möchte ich dann doch einmal ganz »unwissenschaftlich« meine Meinung äußern: Ich halte den Grundgedanken der kulturistischen Evolutionstheorie für pure Religion. Die Auffassung hat möglicherweise die Darwinsche Abstammungslehre zur Kenntnis genommen, aber nicht wirklich akzeptiert. Sie hält den Menschen für ein Lebewesen, was zwar ursprünglich einmal vom Affen abstammt, sich nun aber vollständig aus der Evolution herausgelöst hat und damit einzigartig ist. Die Evolution hätte demzufolge ... Milliarden Jahre benötigt, um auf der Erde den Menschen hervorzubringen, woraufhin sie sich von der weiteren Entwicklung verabschiedet hat. Nicht Gott hätte also den Menschen erschaffen, sondern die Evolution. Im Prinzip handelt es sich bei der kulturistischen Evolutionstheorie um eine Variante des Kreationismus.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 79Mersch).

„Die biologische Evolutionstheorie ist eine empirisch sehr weit überprüfte Theorie. Doch welche Belege gibt es für die kulturistische Evolutionstheorie, die in unserer Gesellschaft in Wissenschaft, Medien und Politik auf breiteste Akzeptanz stößt? Die ernüchternde Antwort ist: Keine. Im Gegenteil: Zahlreiche Fakten sprechen unmittelbar dagegen. Beispielsweise kann heute kein Zweifel mehr daran bestehen, daß ein nennenswerter Teil des menschlichen Denkens, Fühlens und Verhaltens eine biologische Basis besitzt, die im Überlebenskampf während der Menschwerdung entstanden ist (vgl. Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Die Biologie des menschlichen Verhaltens - Grundriß der Humanethologie, 1984), Auch bei der Intelligenz kann von einer erheblichen erblichen Komponente ausgegangen werden, wie die Zwillings- und Adoptionsforschung belegt. (). Was Intelligenz genau ist, ist umstritten. Meist wird jedoch darunter verstanden, daß es sich zum einen um eine allgemeine Lern-, Denk-, Vorstellungs-, Erinnerungs-, und Problemlösefähigkeit handelt, und zum anderen um den Besitz von Kenntnissen aus bestimmten Gebieten (Expertenwissen). (Vgl. Gerhard Roth, Aus Sicht des Gehirns, 2003, S. 109).“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 79Mersch).


Vgl. Birgitta Vom Lehm, Kindeswohl ade! Gesndheitsverhütung im Wohlstandsland, 2004; Peter Borkenau, Anlage und Umwelt - Eine Einführung in die Verhaltensgenetik, 1993; Rainer Riemann / Frank M. Spinath, Genetik und Persönlichkeit, in: Jürgen Hennig / Petra Netter (Hrsg.), Biopsychologische Grundlagen der Persönlichkeit, 2005; David Shaffer / Katherine Kipp, Developmental Psychology, 7. Auflage, 2006, S. 105ff.; Volkmar Weiss, Die IQ-Falle, 2000; Jochen Paulus, Gene oder Umwelt?  Falsch, Gene mal Umwelt, 2001; Gerhard Roth, Aus Sicht des Gehirns, 2003, S. 110ff..

„Die einschlägige Forschung nennt eine Zahl von 117 Paaren eineiiger Zwillinge, die zwischen 1937 und 1990 identifiziert wurden und entsprechenden Tests zur Verfügung standen, Gefunden wurde, daß die Intelligenz von getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen mit einem Koeffizienten zwischen 0,67 und 0,78 korreliert. Dies bedeutet, daß ihre Intelligenz zwar nicht völlig gleich ist, aber doch eine beträchtliche Ähnlichkeit aufweist. Man muß dabei berücksichtigen, daß bei gemeinsam aufgewachsenen eineiigen Zwillingen der Korrelationskoeffizient keineswegs 1 ist, wie man meinen könnte, sondern 0,86. Bei Tests an genetisch nichtverwandten adoptierten Kindern und ihren Adoptiveltern fand man hinsichtlich der Intelligenz eine sehr schwache Korrelation von 0,1 oder darunter, während die Intelligenz von Eltern und ihren leiblichen Kindem, die von ihnen zur Adoption freigegeben und also nicht von ihnen erzogen wurden, eine mittelstarke Korrelation von 0,4 aufwies.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 80Mersch).

„Was bedeuten diese vielfach bestätigten Resultate? Sie lassen erst einmal den Schluß zu, daß dasjenige, was man unter Intelligenz versteht, in einem erheblichen Maße angeboren ist, und daß die Umwelteinflüsse dabei eine relativ geringe Rolle spielen - wie anders kann man sonst erklären, daß es kaum eine Korrelation zwischen der Intelligenz von Adoptiveltern und der ihrer Adoptivkinder gibt!“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 80Mersch).

„Was Erziehung nach Ansicht von Experten hinzufügt, macht aus der Sicht der IQ-Statistik fünfzehn bis zwanzig Prozent der Gesamtintelligenz aus. Dies mag gering erscheinen, bedeutet aber, daß zum Beispiel eine Person, die ohne jegliche geistige Förderung einen IQ von 90 aufweist und damit leicht »minderbemittelt« wirken kann, bei intensivster Förderung auf einen IQ von 105 oder gar 110 kommen könnte und damit einen überdurchschnittlich intelligenten, wenngleich im Normbereich liegenden Eindruck macht. Wir müssen dabei berücksichtigen, daß zwei Drittel aller Personen im IQ-Intervall zwischen 85 und 115 liegen und sich hier relativ kleine Veränderungen im Intelligenzquotienten deutlich bemerkbar machen.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 80Mersch).

„Die grundsätzliche Erblichkeit der Intelligenz läßt sich aber auch unmittelbar evolutionstheoretisch plausibilisieren.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 80Mersch).

„In der Evolutionsbiologie wurde lange darüber gestritten, ob erworbene Eigenschaften vererbt werden können (Lamarckismus). Die Frage war etwa: Kann das tägliche Strecken von Elterntieren bei der Nahrungsaufnahme über viele Generationen hinweg bei der Verlängerung von Giraffenhälsen eine Rolle gespielt haben? Diese Frage wird heute von den meisten Evolutionsbiologen verneint. (Vgl. Ernst Mayr, Das ist Evolution, 2005, S. 197). ().“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 80-81Mersch).


Die als Weismann-Barriere bezeichnete Regel, daß Erfahrungen, die ein Individuum mit der Umwelt macht, nicht in den Erbgang einfließen können, wird heute wieder von einigen wenigen Experten in Frage gestellt. (Vgl. Hans-Helmut Niller, a.a.O., 2005; Joachim Bauer, Prinzip Menschlichkeit - Warum wir von Natur aus kooperieren, 2006, S. 13). Die Weismann-Barriere ist nach dem deutschen Biologen August Weismann (1834-1914) benannt und besagt, daß Erbinformationen nur in Richtung Körperzellen wirken können, aber niemals umgekehrt. Dieses Dogma wurde von August Weismann 1893 formuliert und unterstützt Darwins Evolutionstheoerie. Individuell erworbene Eigenschaften werden durch die Weismann-Barriere gehindert, ins Erbgut aufgenommen zu werden. Eine Vererbung individuellen Verhaltens ist so nicht möglich. Durch die Barriere wird die DNS geschützt. Die DNS kann höchstens durch zufällige oder toxische Mutationen verändert werden, so die Darwinisten. Lamarcks Thesen zur Evolution verschwanden aus Lehrbüchern. Seit Ende des 20. Jahrhunderts gibt es Zweifel am Weismann-Dogma. Das Enzym Rücktranscriptase und andere Mechanismen ermöglichen gezielte Veränderungen der Erbinformationen. Lamarcks Gedanken werden wieder diskutiert. Trotzdem konnte bis heute die Weismann-Barriere nicht falsifiziert werden.

„Mit anderen Worten: Giraffenhälse sind über Generationen hinweg deshalb gewachsen, weil:
Elterntiere mit besonders langen Hälsen einen evolutionären Vorteil hatten (mehr Nahrung fanden und folglich mehr Nachwuchs bekamen) und
die Halslänge von Giraffen erblich ist, das heißt, zwischen Eltern und Kindern korreliert.
Das herausragende Merkmal des Menschen ist aber dessen Gehirnleistung beziehungsweise Intelligenz. (Vgl. Ernst Mayr, Das ist Evolution, 2005, S. 308ff.; Thomas Junker, Die Evolution des Menschen, 2006, S. 52ff.). So nahm die Größe des menschlichen Gehirns binnen 3 Millionen Jahren von 450 ccm auf nun ca. 1350 ccm zu. Dies ist analog zum Wachsen der Giraffenhälse nur erklärbar, wenn:
eine erhöhte Gehirnleistung im Laufe der Geschichte der Menschheit leinen evolutionären Vorteil darstellte, der sich in einer vermehrten Zahl an Nachkommen ausdrückte und
Intelligenz beziehungsweise Gehirnleistung erblich ist, das heißt zwischen Eltern und Kindern korreliert.
Denn nehmen wir einmal an, ein Frühmensch hat ein Gehirn von 800 ccm wie alle anderen Männer in seinem Stamm. Allerdings ist er ganz besonders lernbegierig, so daß er den anderen Männern in der Jagd bald überlegen ist. Die daraus resultierende soziale Anerkennung drückt sich schließlich in einer erhöhten Zahl an Nachkommen aus. Die Annahme, ein Teil seiner Kinder könnte nun ein größeres Gehirn von zum Beispiel 850 ccm entwickeln, entspräche aber der allgemein als widerlegt geltenden Vermutung von der Erblichkeit erworbener Eigenschaften.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 81Mersch).

„Evolutionstheoretisch ließe sich die Entwicklung dagegen wie folgt erklären: Alle Mitglieder eines Frühmenschenstammes haben ein Gehirn von ca. 800 ccm Größe. Ein Kind wird aufgrund einer Mutation oder durch eine Vererbung mütterlicherseits mit einem Gehirn geboren, welches zu einer Größe von 850 ccm ausreift. Im Erwachsenenalter zeigt sich: Dieser Jäger ist geistig flexibler als seine Stammesbrüder, so daß er bald die Führung bei der Jagd übernimmt. Die hohe soziale Stellung drückt sich schließlich in einer erhöhten Zahl an Nachkommen aus, von denen ein erheblicher Anteil aus Vererbungsgründen ebenfalls ein Gehirn mit einer Größe von 850 ccm oder mehr hat.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 81-82Mersch).

„Ein Einwand könnte sein, daß Gehirngröße und Intelligenz nicht korrelieren müssen. Abgesehen davon, daß eine solche Korrelation im Rahmen der Menschwerdung auf jeden Fall vorhanden gewesen sein muß, scheinen auch Untersuchungen beim heutigen Menschen einen statistischen Zusammenhang zwischen Gehirngröße und Intelligenz zu bestätigen. (Vgl. Mens Health, Es kommt also doch auf die Größe an, 2005). Allerdings ist die Tatsache umstritten, zumal sich das Gehirngewicht bei Lebenden nicht sicher ermitteln läßt (die genannte Untersuchung erzielte ihre Ergebnisse mit Todkranken, deren Gehirn nach dem Ableben vermessen wurde). Wesentlich bedeutender für die Intelligenz scheint aber die allgemeine Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns zu sein. (Vgl. Gerhard Roth, Aus Sicht des Gehirns, 2003, S. 112; Siegfried Lehrl / Bernd Fischer, a.a.O., 1990). Auch für diese werden genetische Ursachen vermutet.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 82Mersch).

„Ohne eine erhebliche erbliche Komponente bei der Intelligenzbildung dürfte sich die gesamte menschliche Gehirnentwicklung kaum erklären lassen.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 82Mersch).

„Leider gehen weite Teile der Sozialwissenschaften von anderen Annahmen aus. So läßt sich unter deutschen Studenten seit Jahren eine stete Zunahme des Anteils von Studierenden mit mindestens einem akademischen Elternteil beobachten (vgl. E. Schnitzer / W. Isserstedt / E. Middendorff, Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 119), siehe dazu auch die Abbildung (Mersch). Die Autoren der Studie schließen daraus:
»daß der gleichberechtigte Zugang zum Studium unabhängig vom Einkommen und Bildungstradition der Eltern ein immer noch unerreichtes Ziel ist.« (Vgl. ebd., Vorwort, 2001, S. III).“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 82Mersch).

„Unter der Annahme einer starken Korrelation der Intelligenz von Eltern und Kindern () ist ... die beobachtete Entwicklung in einem durchlässigen Bildungssystem exakt zu erwarten. Sie ist ... Ausdruck der Erblichkeit von Intelligenz.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 82Mersch).


Vgl. Rainer Riemann / Frank M. Spinath, Genetik und Persönlichkeit, in: Jürgen Hennig / Petra Netter [Hrsg.], Biopsychologische Grundlagen der Persönlichkeit, 2005, S. 617; Volkmar Weiss, a.a.O, 2007.

„Richard Lynn behauptet, die deutsche Bevölkerung sei mit einem durchschnittlichen Intelligenzquotienten von 107 das intelligenteste Volk. (Vgl. Der Spiegel, Britische Studie, 27.03.2006 []).“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 82-83Mersch).


Der Spiegel, 27. März 2006: „Ein britischer Forscher hält die Deutschen ... für das Volk mit dem höchsten Intelligenzquotienten .... Der Psychologe hat eine ungewöhnliche Erklärung für die Ergebnisse. .... Mit einem durchschnittlichen Intelligenzquotienten von 107 liegen die Deutschen laut der Untersuchung ... vor ... den Schweden (104) und den Italienern (102), wie die Londoner »Times« in ihrer heutigen Ausgabe berichtet. Mit einem Durchschnitts-IQ von 100 liegen die Briten zwar hinter der Spitzengruppe, aber immerhin sind sie der Untersuchung zufolge noch klüger als die Franzosen (94). Die letzten Plätze nehmen Rumänen, Türken und Serben ein. Als normal gilt ein IQ von 85 bis 115; besonders intelligente Menschen können jedoch durchaus Intelligenzquotienten von 145 erreichen.“ ().

„Der Flynn-Effekt bezeichnet die Tatsache, daß die Ergebnisse von IQ-Tests bis in die 1990er Jahre jährlich besser wurden, die Intellignez also offenbar zunahm (dieser Satz ist so nicht ganz richtig formuliert, denn: der Flynn-Effekt bedeutet die jährlich besser werdenden Ergebnisse der IQ-Tests; HB). Heute ist der Flynn-Effekt zwar in den Entwicklungsländern, allerdings nur noch in wenigen Industrienationen zu beobachten, wenngleich ein unterschiedliches Tempo festgestellt wird. ().“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 83Mersch).


„Sollte es sich beim Flynn-Effekt um ein zeitlich begrenztes Phänomen handeln, würde dies bedeuten, daß die Menschen im allgemeinen intelligenter würden. Flynn selbst glaubt allerdings nicht, daß dies der Fall ist. (Vgl. James Flynn / William Dickens, Heritability Estimates Versus Large Environmental Effects, 2001).“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 83Mersch).

„Neure Untersuchungen zeigen ..., daß der Flynn-Effekt in den meisten Industrienationen mittlerweile seine Wirkung verloren hat, und sich nun gegenläufige Effekte einstellen. So stagniert der mittlere IQ in vielen Ländern ab etwa 1990 und seit dem Ende der 1990er Jahre nimmt er sogar wieder ab. ().“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 83-84Mersch).


Ob überhaupt und - wenn ja - bis zu welchem Ausmaß die Intelligenztests bzw. IQ-Tests als wissenschaftlich bezeichnet werden dürfen, bleibt fraglich.

„In ihrem Buch IQ and the Wealth of Nations (2002) stellen die Autoren Lynn und Vanhanen die These auf, der Wohlsstand eines Landes korreliere mit dem durchschnittlichen Intelligenzquotienten (IQ) der Bevölkerung. Auf Basis von Daten aus 81 Ländern eine Korrelation von 0,82 zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen des Landes und dem durchschnittlichen IQ der Bevölkerung und eine Korrelation von 0,64 zwischen dem Wirtschaftswachstum und dem IQ. Sie stellen die These auf, daß der durchschnittliche IQ der Bevölkerung sowohl auf genetischen als auch Umweltfaktoren beruhe. So könne einerseits ein niedriger durchschnittlicher IQ ein niedriges Bruttoszialprodukt bewirken, als auch umgekehrt ein niedriges Bruttoszialprodukt einen niedrigen durchschnittlichen IQ. Wie nicht anders zu erwarten war, wurden die Autoren für die Vorlage ihrer Resultate zum Teil recht hart kritisiert, denn sie hatten ein Tabuthema berührt. Dabei sind ihre Resultate durchaus naheliegend:
Das demographisch-ökonomische Paradoxon (Das demographisch-ökonomische Paradoxon) behauptet einen weltweiten negativen Zusammenhang zwischen der ökonomischen Leistungsfähigkeit eines Landes (seines Pro-Kopf-Einkommens) und der Fertilitätsrate.
Gleichfalls ist in vielen Ländern ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl zu beobachten. Das Bildungsniveau einer Person dürfte eng mit ihrem IQ korrelieren.
Aufgrund dieser beiden Relationen läßt sich ein Zusammenhang zwischen dem durchschnittliche IQ der Bevölkerung und dem Pro-Kopf-Einkommen des Landes vermuten. Die folgende Tabelle (Tabelle) zeigt ausgewählte Länder mit ihren durchschnittlichen IQs und Fertilitätsraten. Offenkundig besteht auch ein negativer Zusammenhang zwischen IQ und Fertilitätsrate, was ebenfalls nicht überraschend ist. .... In jedem Fall sollten die ... vorgetragenen Ergebnisse ernst genommen werden, denn sie legen nahe, daß eine dauerhaft ausgeführte negative Selektion zu einem Abfall des durchschnittlichen IQs der Bevölkerung führen kann und damit natürlich auch zu erheblichen Wohlstandsverlusten. Es ist nicht auszuschließen, daß dabei langfristig ein Gleichgewichtszustand auf niedrigerem Niveau erreicht wird. Denn mit dem Absinken des IQs und den Qualifikationen der Bevölkerung dürfte deren Fertilitätsrate gemäß dem demographisch-ökonomisches Paradoxon (Das demographisch-ökonomische Paradoxon) sukzessive wieder ansteigen.“  (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 84-85Mersch).

Korrelation von Intelligenz und Fertilität (am Beispiel ausgewählter Länder; Stand: 2007)
Stand: 2007Intelligenz-
Quotient
(IQ)
Zusammengefaßte
Fruchtbarkeitsrate
(TFR)
Südkorea1061,27
Japan1051,40
Deutschland103 (108)1,39
Italien1021,28
Niederlande1021,66
Schweden1011,66
China1001,73
Großbritannien1001,66
Spanien  991,28
Australien  981,76
Frankreich  981,84
USA  982,09
Argentinien  962,16
Rußland  961,28
Israel  942,41
Irland  931,86
Stand: 2007Intelligenz-
Quotient
(IQ)
Zusammengefaßte
Fruchtbarkeitsrate
(TFR)
Thailand  911,64
Türkei  901,92
Indonesien  892,40
Brasilien  871,91
Irak  874,18
Mexiko  872,42
Philippinen  863,11
Afghanistan  836,69
Ägypten  832,83
Bangladesh  813,11
Indien  812,73
Pakistan  814,00
Sudan  724,72
Ghana  713,99
Nigeria  675,49
DR Kongo   656,54
Abbildung 4) IQs und Fertilitätsraten ausgewählter Länder

„Neben der Intelligenz scheinen auch andere menschliche Attribute und Merkmale wie Risikofreudigkeit bzw. Vertrauensbereitschaft eine erbliche Komponente zu besitzen (vgl. Armin Falk, a.a.O., 2006). Dabei ist es unerheblich, ob diese Erblichkeit durch Genetik oder Imitation (Memetik) vermittelt wird. denn entscheidend ist die nachgewiesene Korrelation der Attribute zwischen Eltern und Kindern.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 86Mersch).

„Aufgrund des spezifischen Reproduktionsverhaltens moderner Gesellschaften scheiden die Erfolgreichen und Kompetenzträger somit nicht nur bei der genetischen, sondern weitestgehend auch bei der kulturellen Reproduktion aus: »Kulturgeschichte begann, als das Survival-of-the-Fittest ein Imitation-of-the-Fittest in Schlepptau nahm. Was immer Kultur definieren mag, sie gründet auf adaptiver Imitation, also auf dem erfolgversprechenden Versuch einer vorteilhaften Teilhabe an der Lebensleistung anderer. .... Konkurrenz entsteht dort, wo gleiche Lebensansprüche vorherrschen und gleiche Ressourcen genutzt werden, also vorrangig innerhalb der Populationen. Der evolutive Erfolg bemißt sich am genetischen Abschneiden in diesem Wettbewerb, denn nur die Gene der erfolgreichen Individuen kommen eine Runde weiter im unendlichen Evolutionsspiel, und wer erfolgreiche nachahmt, verbessert ohne Frage seine Chancen. (Eckart Voland, Grundriß der Soziobiologie, 1993, S. 24f.). Sowohl für biologistische als auch kulturistische - beziehungsweise im Sinne von Richard Dawkins (vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, 1976, S. 3l6ff.) für genetische als auch memetische - Auffassungen gilt deshalb: Die Gesellschaft richtet sich am Erfolg aus. Gerade wer der Meinung ist, der Mensch komme als »unbeschriebenes Blatt« zur Welt und sei fast unbegrenzt formbar und anpassungsfähig, müßte einen Sinn im Selektionsprinzip der Evolutionstheorie sehen, denn dieses sorgt ganz nebenbei für ein besonders vollständiges Beschreiben des Blattes, weil dann Kinder bevorzugt in Familien mit hohem Bildungsniveau, hoher sprachlicher und kultureller Kompetenz und reichhaltiger Mimik und Gestik aufwachsen, und es somit für sie besonders viel zum Nachahmen gibt. Wer auch dies noch anzweifelt und der Auffassung ist, all dies könne Kindern auch auf anderem Wege (insbesondere über staatliche Bildungseinrichtungen) und mit gleicher Qualität vermittelt werden, der zweifelt generell an der Bedeutung und der Erziehungskompetenz von Eltern. Im Prinzip wird die Rolle der Eltern dabei auf eine reine Gebär- und Nährfunktion reduziert.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 87Mersch).

„Um diese doch sehr bedenklichen Konsequenzen der kulturistischen Evolutionstheorie noch deutlicher herauszustellen, soll zunächst das Beispiel () aus dem Abschnitt »Demographisch-ökonomisches Paradoxon« (Das demographisch-ökonomische Paradoxon) ab Seite 62 ein wenig modifiziert werden (im Prinzip könnte man sich die folgenden Überlegungen sparen, denn wie die letzten Seiten eindrucksvoll gezeigt haben, ist Intelligenz im Wesentlichen erblich): Eine Bevölkerung (Population) aus insgesamt 1001000 Personen sei in 1001 Gruppen mit jeweils 1000 Personen gegliedert. Die Gruppen seien mit den Ziffern 0 bis 1000 gekennzeichnet. Nehmen wir nun an, die Mitglieder der Gruppe 0 hätten ein durchschnittliches Humankapital (eine Erläuterung des Begriffs wird im Abschnitt »Humankapital« [Humankapital] ab Seite 105 gegeben) der Größe 1000, die Mitglieder der Gruppe 1 von 1001, bis schließlich zur Gruppe 1000, in der jedes Mitglied ein durchschnittliches Humankapital von 2000 hätte. Dies ergäbe ein durchschnittliches Humankapital pro Kopf von 1500 für die gesamte Bevölkerung. Zusätzlich sollen die folgenden Annahmen getroffen werden:
Eltern ähneln ihren Kindern. Mit anderen Worten: Eltern »vererben« ihren Kindern Kompetenzen, entweder über ihre Gene oder durch Imitation. Die zwischen Eltern und Kindern feststellbaren Unterschiede sind zufällig und nicht zielgerichtet, so daß sie sich pro Gruppe gegenseitig aufheben (sie schwanken also zufällig um den Ausgangswert der Eltern).
Unsere fiktive Gesellschaft ist vollständig bildungsdurchlässig. Mit anderen Worten: Das Humankapital eines Menschen korreliert mit den von seinen Eltern »ererbten« Basiskompetenzen.
Wenn wir nun annehmen, die obige Bevölkerung reproduziere sich umgekehrt proportional zu ihrem jeweiligen Humankapital (in der Praxis würde das bedeuten: umgekehrt proportional zum beruflichen Erfolg beziehungsweise Bildungsniveau), und zwar gemäß der Formel:
1,5 - G/1000
dann bliebe auf diese Weise zwar die Bevölkerungsgröße unverändert, das durchschnittliche Humankapital der Bevölkerung sänke aber auf 1417 pro Kopf. Oder anders ausgedrückt: Die Bevölkerung verlöre Humankapital.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 88Mersch).

„Manche werden einwenden, es sei nicht sicher, daß das durchschnittliche Humankapital pro Gruppe durch die Reproduktion unverändert bleibt, schließlich könnten weniger gebildete Menschen ja gebildeten Nachwuchs hervorbringen, dazu bedürfe es lediglich geeigneter Erziehungs-, Bildungs- und Integrationsanstrengungen. Leider verbirgt sich hinter diesem Argument ein Denkfehler. Denn in unserer fiktiven Gesellschaft gehen ja durch die Reproduktion zunächst einmal einige durch die Eltern (genetisch oder memetisch) vermittelte Kompetenzen verloren, wobei wir angenonunen hatten, diese Kompetenzen würden aufgrund der optimalen Bildungsdurchlässigkeit der Gesellschaft mit dem finalen Humankapital der jeweiligen Person korrelieren.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 89Mersch).

„Wollte die Gesellschaft diesen Kompetenzverlust noch wettmachen, dann müßte sie durch entsprechende Aktivitäten (insbesondere Bildungsmaßnahmen) für eine nachträgliche Anhebung des Humankapitals sorgen. (Natürlich im Rahmen des Möglichen.). Die fehlenden 6 Prozent an Humankapital übersetzten sich deshalb in gesellschaftliche Kosten zum Schließen der Lücke. Und diese Kosten wären wie immer durch die Kompetenzträger zu erbringen, die nun gleich doppelt zur Kasse gebeten würden: Einerseits müßten sie die Sozialleistungen für sozial schwache und bildungsfeme Schichten erwirtschaften, andererseits die zusätzlichen Bildungsmaßnahmen für deren Kinder. Unterblieben die gesellschaftlichen Anstrengungen zum Schließen der Humankapitallücke (), dann würde es in der nächsten Generation wie beschrieben weitergehen, weswegen dann vielleicht schon ein l2-prozentiger gesellschaftlicher Kompetenzverlust zu bedauern wäre. Damit würde eine Spirale in Gang gesetzt, die der Gesellschaft sukzessive ihre gesamten Kompetenzen rauben könnte.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 89Mersch).


„Sollte der Humakapitalverlust doch genetische Ursachen haben, dann hätten die gesellschaftlichen Bildungsmaßnahmen keinen Einfluß auf den hier beschriebenen Prozeß, denn gemäß der Weismann-Barriere () können Bildungsmaßnahmen keinen Einfluß auf den Erbgang nehmen.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 89Mersch).

„Nun war aber eine der Kernaussagen der kulturistischen Evolutionstheorie (wir erinnern uns): Es ist egal, wer in einer Gesellschaft Kinder bekommt. Wenn sozial schwache und bildungsferne Schichten mehr Kinder bekommen als Schichten mit hohem sozioökonomischem Status oder Bildungsniveau, dann müssen deren Kinder eben gezielt gefördert werden. Daraus folgt aber zwangsläufig: Der elterliche Beitrag zur Entwicklung der Kinder kann durch gesellschaftliche Fördermaßnahmen wieder ausgeglichen werden, was erhebliche ethische Konsequenzen hätte:
Das genetische Erbe der Eltern wäre ohne Bedeutung. Wer die leiblichen Eltern sind, spielte somit keine Rolle.
Die Erziehungsleistungen der Eltern wären vernachlässigbar, denn alle Kompetenzen könnten ja in gleicher Weise durch staatliche Einrichtungen vermittelt werden.
Beide Punkte zusammen degradierten die Eltern zur Bedeutungslosigkeit. Im Prinzip wären sie ersetzbar. (Bei dieser Haltung handelt es sich also letztendlich um eine Respektlosigkeit dem Leben gegenüber). Wie wir gesehen haben, arbeitet die natürliche Selektion der Evolution absichtslos. Ein als Konzertpianist tätiger Vater ließe seine Tochter möglicherweise schon frühzeitig einmal ans Klavier, während der Sohn einer Sopranistin vielleicht versuchte, einige Übungsstücke seiner Mutter nachzusingen. Die kulturistische Evolutionstheorie ersetzt nun aber Absichtslosigkeit durch staatliche Planung, in dem sie indirekt behauptet, beide elterlichen Beiträge (inklusive der nicht erwähnten, aber vermutlich erheblichen genetischen Beiträge) könnten durch das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern im Kindergarten ausgeglichen werden. Wäre dies nicht der Fall, hätten ja die Kinder des Konzertpianisten und der Sopranistin doch wieder irgendeinen Startvorteil.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 89-90Mersch).

„Hatten bestimmte Formen des Sozialdarwinismus die Absicht, angeblich wertlose und inkompetente Menschen aus der Gesellschaft zu entfemen, oder sie doch wenigstens an der Reproduktion zu hindern, so betreibt die kulturistische Evolutionstheorie die Elimination besonderer Fähigkeiten, und zwar mit planerischen Mitteln. Stellten aktive Formen des Sozialdarwinismus eine Verletzung von Menschenrechten dar, so ignoriert die kulturistische Evolutionstheorie das Prinzip der Generationengerechtigkeit (Generationengerechtigkeit). Beide Auffassungen sind deshalb aus ethischen Gründen abzulehnen.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 90Mersch).

„Chancengleichheit bedeutet eigentlich nur: gleiche Chancen bei gleichen Voraussetzungen. Ein Mann mit einer Körpergröße von 1,65 m würde wohl niemals Olympiasieger im Hochsprung werden können. Er hätte zwar prinzipiell die gleichen Chancen (er würde nicht von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen), nicht aber die gleichen Möglichkeiten Weswegen zum Beispiel in manchen Sportarten nicht nur nach Geschlecht, sondern auch nach Gewichtsklasse separiert wird.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 90Mersch).

„Da Bildung in unserer Gesellschaft das höchste Gut und die wichtigste Voraussetzung für einen späteren beruflichen Erfolg ist, schließt die kulturistische Evolutionstheorie das Vorhandensein unterschiedlicher geistiger »Möglichkeiten«, insbesondere solchen, die von den Eltern vermittelt oder gar vererbt werden, von vornherein aus. Aus einem »Bildung-für-Alle« generiert auf diese Weise ein Zwang zur Bildung: »Die Idee, daß alle gebildet sein sollten, ist doch eine verkleidete sozialistische Utopie im neoliberalen Gewand, die die natürliche Ungleichheit der Menschen ignoriert.« (Matthias Heine, Ich war Unterschicht, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29.10.2006). Es wäre die Aufgabe einer Solidargemeinschaft, sich zu bemühen, allen Menschen einen Lebenssinn zu geben, selbst dann, wenn sie nicht bildungsfähig sind. Allerdings setzt dies ein ausgewogenes gesellschaftliches Reproduktionsverhalten voraus. Um nicht mißverstanden zu werden: Hier wird nicht behauptet, Bildungsmaßnahmen für sozial schwache beziehungsweise bildungsferne Schichten lohnten sich nicht. Im Gegenteil: Jeder der bildungsfähig und -willig ist, sollte Zugang zu einem möglichst breiten Bildungsangebot haben. Der Staat sollte alles dafür tun, ein Optimum an Bildungsdurchlässigkeit zu erreichen. Die Aussage ist allerdings: Solche Maßnahmen mögen für Einzelpersonen sehr sinnvoll sein, sie stellen aber kein generelles gesellschaftliches Konzept dar, um Generationengerechtigkeit (Generationengerechtigkeit) zu gewährleisten.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 91Mersch).

„Sozialer Erfolg hängt aber auch in modernen Gesellschaften nicht nur von den geistigen Kompetenzen, sondern auch von körperlichen Merkmalen ab. Ein Großteil der genetischen Vielfalt und Weiterentwicklung dient zum Beispiel der Abwehr von Krankheitserregern oder der Verbesserung des Stoffwechsels. Dies soll am Beispiel der chronischen Erkrankungen Migräne und Typ-2-Diabetes verdeutlicht werden. Menschen, die frühzeitig an schwerer Migräne erkranken, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit unter beruflichen Nachteilen zu leiden haben. Möglicherweise werden sie sogar irgendwann ihre Arbeit wegen hoher Fehlzeiten verlieren. Sie gehören dann zu den weniger erfolgreichen Menschen. In verschiedenen Studien konnte aber längst nachgewiesen werden, daß sich die Verbreitung von Migräne umgekehrt proportional zur sozialen Position verhält. Ein analoger Zusammenhang gilt für Typ-2-Diabetes. Nimmt man - wie die Medizin - an, bei Migräne und Diabetes spiele die genetische Disposition eine entscheidende Rolle (vgl. Peter Mersch, Migräne, 2006, S. 225ff.Migräne), dann greifen bei einem negativen Zusammenhang zwischen sozialer Position und Kinderzahl die im obigen Beispiel angeführten Mechanismen, und die genetische Disposition für Migräne oder Diabetes dürfte sich in der Bevölkerung weiter ausbreiten. Man vergleiche dazu auch die Ausführungen in: Thomas Junker, Die Evolution des Menschen, 2006, S. 114). Normalerweise verhält sich eine Population gemäß dem Evolutionsprinzip genau umgekehrt. Beispielsweise konnten Untersuchungen zeigen, daß in einer Bevölkerung um so seltener HLA-Antigene (bei Menschen, die das HLA-DQ2-Antigen besitzen, besteht ein deutlich erhöhtes Risiko, an Zöliakie zu erkranken) nachgewiesen werden können, je länger die Einführung von Getreide als Grundnahrungsmittel bereits zurückliegt (Loren Cordain, 2004, S. 55f.). Dieses Ergebnis entspricht dem Evolutionsprinzip: Eine Unverträglichkeit (fehlende Anpassung an die Umwelt) wächst sich sukzessive genetisch aus, sofern sie mit evolutionären Nachteilen verbunden ist.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 91-92Mersch).

„Insgesamt konnte auf den letzten Seiten unter anderem herausgearbeitet werden:
Intelligenz ist zu mindestens 70 Prozent erblich. Es besteht eine hohe Korrelation zwischen der Intelligenz getrennt aufwachsender eineiiger Zwillinge, eine beträchtliche Korrelation zwischen der Intelligenz von leiblichen Eltern und ihren in anderen Familien aufwachsenden Kindern und fast keine Korrelation zwischen der Intelligenz von Adoptiveltern und Adoptivkindern.
Der durchschnittliche Intelligenzquotient eines Landes korreliert mit dessen Wirtschaftskraft.
In modernen Gesellschaften korreliert Intelligenz mit Bildungserfolg und Bildungserfolg mit sozialem Erfolg.
Der durchschnittliche Intelligenzquotient der entwickelten Gesellschaften ist ... rückläufig. Parallel dazu haben sich gesellschaftliche Phänomene wie Langzeitarbeitslosigkeit und das Entstehen eines abgehängten Prekariats (»Unterschicht«) herausgebildet.
Ein fortwährender negativer Zusammenhang zwischen sozialer Position beziehungsweise Bildungsniveau und Zahl an Nachkommen dürfte die Generationengerechtigkeit (Generationengerechtigkeit) verletzten, soziale Ungleichheiten vergrößern und Brasilianisierungsprozesse begünstigen.
Ein fortwährender negativer Zusammenhang zwischen sozialer Position beziehungsweise Bildungsniveau und Zahl an Nachkommen dürfte einen gesellschaftsweiten Verlust an Humankapital zur Folge haben, der durch zusätzliche Bildungsmaßnahmen mcht mehr wettzumachen ist.
Die Befunde sind in der Summe so schwerwiegend, daß sie keinen Raum für Tabuisierungen oder ideologische Fixierungen lassen. Im Prinzip wird hier gesagt: Unser Staat zerstört sich selbst von innen heraus. Und die Ursache dafür ist ganz wesentlich in der einseitigen und sogar staatlich geförderten Priorisierung von produktiven gegenüber reproduktiven Tätig keiten zu suchen.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 92-93Mersch).

„Wer der »kulturistischen« Auffassung ist, ein negativer Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status beziehungsweise Bildungsniveau und Kinderzahl stelle für eine Gesellschaft (beziehungsweise global gesehen für die ganze Welt) kein substanzielles Problem dar, sollte präzise erläutern können, mit welchen nachträglichen Mitteln aus einem »Weniger« dann doch noch ein »Mehr« entstehen kann, wie aus einer geringeren Anpassung an die äußeren Bedingungen eine größere werden kann, wie ein Pro-Kopf-Verlust an Humankapital noch wett gemacht werden kann, zumal ja bei dieser Reproduktionsweise gleichzeitig auch die Mittel schwinden, also diejenigen, die die Kompetenzen für den Ausgleich der fehlenden Anpassung oder des Humankapitals hätten. Und derjenige sollte erklären können, wie auf diese Weise Generationengerechtigkeit (Generationengerechtigkeit) gewährleistet werden kann. Ein einfaches Behaupten von angeblichen Zusammenhängen ist in diesem Falle nicht ausreichend. Dafür sind die möglichen langfristigen Implikationen viel zu groß.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 93Mersch).

„Solange für die kulturistische Evolutionstheorie kein schlüssiges nachrechenbares Konzept vorliegt, sollte man dem Einfachheitsprinzip folgen: Eine negative Selektion belohnt gesellschaftlichen Mißerfolg mit genetischem »Überleben« und wird deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach die Stärkung sozial schwacher und bildungsferner Schichten zur Folge haben. Schlimmer noch: sie bestraft gesellschaftlichen Erfolg mit genetischer Elimination, obwohl genau diese Personen erforderlich wären, um sozial schwache und bildungsferne Bevölkerungskreise aus ihrer Misere zu holen. Es sind die Leistungsträger, die die Ideen entwickeln, die Arbeitsplätze schaffen, die Kultur weiterentwickeln und das Wissen vermitteln können, und genau diese schwinden als Folge des aktuellen Reproduktionsverhaltens mehr und mehr.“ (Peter Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!,  2007, S. 93-94Mersch).

NACH OBEN Varianten des „Anthropischen Prinzips“

„Schwaches“ Anthropisches Prinzip: Weil es in unserem Universum Leben gibt, können die Parameter nur die Werte besitzen, die die Existenz von Leben möglich machen. Die Werte der Naturkonstanten und die Anfangsbedingungen unseres Universums, die wir beobachten, sind infolge einer Aneinanderreihung von Zufällen exakt so, wie es für die Ausbildung von intelligentem Leben notwendig gewesen war.

„Starkes Anthropisches Prinzip“: Weil das Universum Eigenschaften mitbringen mußte, die im Laufe der kosmischen Evolution die Ausbildung von Leben ermöglichten, muß es einem Mechanismus der Zielrichtung gehorchen.
„Finales Anthropisches Prinzip“: Im Universum mußte irgendwann intelligentes, Information(en) verarbeitendes Leben entstehen und sich fortentwickeln; und nachdem es in Erscheinung getreten ist, kann es niemals wieder aussterben. Dies ist also ein Postulat des ewigen Lebens. Das Leben ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern unabdingbar für den Kosmos und daher ewig existent. Um kosmosweit und insbesondere am Ende des Universums überlebensfähig zu sein, muß die Ablösung des Lebens von jedweder materieller Grundlage gewährleistet werden. Für viele Vertreter dieses Glaubens gewinnt das Leben dann Unsterblichkeit, wenn es im „Omega-Punkt“, in der „Zukunftssingularität“  (Frank Tipler) überlebt. Das „finale Anthropische Prinzip“ ist also eine strengere Version des „starken Anthropischen Prinzips“.
„Teleologisches Anthropisches Prinzip“: Das Universum hat eine zielgerichtete Kraft bzw. ein Schöpfer mit Absicht kreiert. Dabei wurden die Feinabstimmungen derart exakt eingestellt, daß sich Leben entwickeln mußte. Dahinter steht also das Wirken eines allem übergeordneten Willens, eines außerhalb des Univerums stehenden Schöpfers, dessen Ziel die Schaffung von Leben war. Diese „gelenkte“ Kosmogenese geht mit einer deutlichen Zunahme an Komplexität auf materieller Ebene und an Zentriertheit auf geistiger Ebene einher. Für viele Vertreter dieses Glaubens zielt die Evolution des Menschen, die Gott eingeleitet hat, zugleich auf ihn ab. Am Ende dieser ganzen Entwicklung steht so der „Punkt Omega“, in dem sich am Ende aller Tage die zentrierte Gesamtheit des Universums (inklusive: Raum, Zeit und Bewußtsein) konzentriert. Das „teleologische Anthropische Prinzip“ ist also die strengste Version des „starken Anthropischen Prinzips“.
Ist die Essenz des Lebens Information? Dafür spricht, daß ganz wesentlich der genetische Code und das neuronale Netzwerk - abstrakt gesehen - Information(en) speichernde und verarbeitende Systeme sind. Ausgehend von der Überlegung, daß Lebewesen Information(en) speichernde und verarbeitende Systeme sind, kann man folgern, daß Leben und Bewußtsein nicht unbedingt auf eine Verkörperung durch Zellen mit Erbsubstanz in der uns bekannten Form begrenzt sein muß. Es könnte auch unabhängig von Kohlenstoff, Sauerstoff oder Wasserstoff existieren.
Universum
Ewig ist nur die Energie!
Weil die Aufnahme, Verarbeitung und Weitergabe von Information stets an Materie und Energie gebunden sind, aber irgendwann alle Materie zerfallen sein wird (Abbildung) und irgendwann alle Differenzen der Energie ausgeglichen sein werden (Abbildung) - mit anderen Worten: ein thermodynamisches Gleichgewicht (ThermodynamikMehr) erreicht sein wird -, wird auch jenes Leben, das möglicherweise ohne Verkörperung durch Zellen mit Erbsubstanz auskommen und ohne Kohlenstoff, Sauerstoff oder Wasserstoff existieren könnte, spätestens dann nicht mehr existenzfähig sein können, wenn alle Materie zerfallen sein wird.

NACH OBEN Anmerkungen:


Der Humanismus ist ein reflektierter Anthropozentrismus, der vom Menschen ausgeht und die Wertsetzung des Menschen zum Objekt hat - unter Ausschluß dessen, was ihn selbst sich entfremdet, entweder indem es ihn übermenschlichen Mächten und Wahrheiten unterwirft oder indem es ihn untermenschlichen Zwecken nutzbar macht. Auf die vorhistorischen Hominiden folgte der historische Hominide namens Homo sapiens sapiens, auf den vormodernen Humanismus folgt der moderne Hominismus. Damit schließt sich vorerst der Kreis. Schon im 13. Jahrhundert sollen Alchimisten erste Experimente unternommen haben, um einen künstlichen Menschen im Reagenzglas zu erzeugen. Goethe (1749-1832) ließ im 2. Teil des Faust den Famulus Wagner einen Homunkulus nach Anleitung des Paracelsus erzeugen. Heute scheinen sich die Möglichkeiten zur Erschaffung des Menschen nach eigenen Wünschen konkretisiert zu haben. Zu den modernen (!), nihilistischen (!) Extremformen des Humanismus vgl. die Diktatur des „Liberalismus“ mit seinem Zivilglauben namens „Individualismus“, seiner Zivilreligion namens „Humanitarismus“, seiner Ziviltheologie namens „Kosmopolitismus“, seiner Zivilwissenschaft namens „Eudämonismus“, seiner Zivilphilosophie namens „Solipsismus“. Vgl. auch „Zivilisation“.

 

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