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Ernst Nolte
(1923-2016)
Lebensphilosophie Faschismustheorie/ Historische Existenz/ Liberales System
Ernst Nolte

NACH OBEN Ernst Nolte studierte Germanistik, altgriechische Philologie und Philosophie (in Freiburg bei Martin Heidegger ). Nach dem Studienabschluß 1945 ging er in den Schuldienst an Gymnasien, wo er die Fächer Deutsch und Griechisch unterrichtete, nebenbei setzte er seine wissenschaftlichen Arbeiten fort und promovierte 1952, habilitierte sich 1964 und war Professor für Neuere Geschichte von 1965 bis zur seiner Emeritierung 1991.


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Vor-/Urdenken: Noltes
„Vor-/Urphilosophie“
Frühdenken: Noltes
„Frühphilosophie“
Hochdenken: Noltes
„Hochphilosophie“
Spätdenken: Noltes
„Spätphilosophie“
(Dauer: 18 Jahre)(Dauer: 22 Jahre)(Dauer: 23 Jahre) (Dauer: 30 Jahre)
1923 bis 19411941 bis 19631963 bis 1986 1986 bis 2016
Geburt
(11.01.)
„DER FASCHISMUS
IN SEINER EPOCHE“
Tod  
(18.08.
Übergang
    Schule / Studium
|Sogenannter
„Historikerstreit“
Frühe
Kindheit
Grund-
schule
Gym-
nasium
1941
- 1945
1945
- 1952
1952
- 1963
1963
- 1968
1968
- 1980
1980
- 1986
1986
- 1993
1993
- 1998
1998
- 2016
ErläuterungErläuterung


NACH OBEN Faschismustheorie als Teil der (historisch-genetischen Version der) Totalitarismustheorie

Der Öffentlichkeit bekannt wurde Ernst Nolte durch sein im Jahre 1963 veröffentlichtes Buch Der Faschismus in seiner Epoche (), in dem er den Faschismus auf der Grundlage der von ihm so bezeichneten phänomenologischen Methode definiert als:
Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie.
Als wesentliche Merkmale des Faschismus werden mithin Antimarxismus, Antiliberalismus, Nationalismus, Gewalt und Propaganda bezeichnet. Nolte faßt in seiner Faschismustheorie die französische „Action française“ (1898 unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre entstanden), den italienischen Faschismus Mussolinis und den deutschen Nationalsozialismus zusammen. Damit war er der erste bürgerliche Historiker, der den Faschismusbegriff benutzte, der zuvor nur von Marxisten benutzt wurde. Sein Buch wurde auch von den gemäßigten Linken positiv rezipiert, weil man es als Gegenentwurf zur Totalitarismustheorie verstand - natürlich: falsch verstand. So mußte Nolte selbst sie erst einmal aufklären, und das tat er u.a. dadurch, daß er z.B. 1978 in einem „Rückblick nach fünfzehn Jahren“ klarstellte, daß es ein Mißverständnis sei, wenn man sein Buch als Gegenentwurf zur Totalitarismustheorie auffasse, denn er habe die Totalitarimustheorie differenzieren, historisieren und emotionalisieren wollen, „aber ich wollte sie weder überwinden noch verdrängen“ (Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche - Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus, 1963, S. XIV). Dieses Buch war also eigentlich gar nicht falsch zu verstehen.

„Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie.“ (Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche - Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus, 1963, S. 51).

„Der Nationalsozialismus war der Todeskampf der souveränen, kriegerischen, in sich antagonistischen Gruppe. - Er war praktischer und gewalttätiger Widerstand gegen die Transzendenz.“ (Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche - Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus, 1963, S. 507).

Nolte behauptet, daß als eigentlicher Gegenstand des „»Faschismus in seiner Epoche« () von 1963 ... nicht so sehr das zeitgeschichtliche Phänomen des »Faschismus« gelten kann, sondern die viel umfassendere Thematik von »Transzendenz«, »Liberales System« () und »Nachgeschichte«. Alle drei Begriffe haben eine positive Bedeutung, aber jedem werden auch »Kehrseiten« zugeschrieben. 35 Jahre später stehen in der »Historischen Existenz« (Nolte) dieselben Hauptthemen im Zentrum, aber in einem weitaus umfassenderen Zusammenhang. Bei aller Aufrechterhaltung der prinzipiellen Position werden die »Kehrseiten« meist stärker akzentuiert als in dem früheren Buch. .... Daß die Philosophie der Ausgangspunkt war, ließ sich schwerlich übersehen.“ (Ernst Nolte, Die Frage nach der historischen Existenz, 2001).

„Die zeitliche und fundierende Reihenfolge der »großen Themen« des Buches ließe sich folgendermaßen umreißen: Transzendenz - Das Liberale System () - Geschichte (tendenziell die Nachgeschichte) - der Marxismus - der Faschismus.“ (Ernst Nolte, Die Frage nach der historischen Existenz, 2001).

„Unter »Transzendenz« ist das Sich-selbst-Überschreiten des Menschen zu verstehen, das in seinem Weltbezug, seiner »Weltoffenheit«, gegründet und schon in den primitivsten Religionen urzeitlicher Sippen faßbar ist. Sie ermöglicht schließlich jene »Weltbemächtigung« , welche seit dem Anfang der Neuzeit zunächst im Okzident aufkommt und später als »Industrialisierung« bzw. heute als »Globalisierung« bezeichnet wird. Daher ist die »praktische Transzendenz« von der »theoretischen Transzendenz« zu unterscheiden. Der Durchbruch der praktischen Transzendenz erfolgt in der »bürgerlichen Gesellschaft«, von der gesagt wird, sie solle besser die »Liberale Gesellschaft« (ebd., S. 542) genannt werden. Deren Hauptmerkmal ist das Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher historischer Kräfte: in der mittelalterlichen Vorform dasjenige von Kirche und Staaten, Monarchie, Adel und Bürgertum und seit der Reformation von Konfessionen, aus deren Kämpfen die Aufklärung und eine unabhängige Wissenschaft resultieren. Die Singularität dieser Gesellschaftsform wird nicht zuletzt darin gesehen, daß in ihr »der Schrei des Gequälten nicht erstickt wird, daß sogar der radikale Gegner zu Wort kommt, daß selbst die gesellschaftsfeindliche Utopie als Vehikel eines unvergleichlichen Fortschritts sich erweist« (ebd., S. 182). Mit anderen Worten heißt das: Nur in der Gesellschaft des Liberalen Systems () findet (zunächst bloß tendenziell) jenes Aufbegehren einen dauerhaften und organisierten Platz, den Platz der radikalen Linken, das ansatzweise und als stets unterdrücktes in allen geschichtlichen Gesellschaften zu verzeichnen ist. Als die bedeutendste der Erscheinungsformen der radikalen Linken wird der Marxismus angesehen, und vom Marxismus her wird die erste, für alle Versionen gültige Definition des Faschismus gewonnen: »Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie« (ebd., S. 51).“ (Ernst Nolte, Die Frage nach der historischen Existenz, 2001).

„Dem Marxismus wird jedoch in Gestalt des Werkes von Marx kein geringeres Verdienst zugeschrieben als »die philosophische Entdeckung und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft« (ebd., S. 521-529), und durch die Ausweitung der Fragestellung auf Nietzsche und Max Weber wird die auf den ersten Blick triviale Kennzeichnung des »Liberalen Systems« () erheblich ausgeweitet und vertieft. Eine außerordentliche Paradoxie ist darin zu erkennen, daß der Marxismus, der im Werk von Marx in den Spuren Hegels eine tiefsinnige Deutung der »bürgerlichen Gesellschaft« gibt, als politisches Phänomen gegen ein Grundgesetz dieser Gesellschaft verstößt, indem er »Vernichtung« proklamiert, während die spezifische Möglichkeit die »europäische Synthese« (ebd., S. 418) ist, die nur »Zurückdrängung« und »Überwindung« kennt, aber Vernichtung ausschließt. Insofern erwächst unter bestimmten Umständen das Aufkommen einer (faschistischen) Gegenvernichtungspartei mit Notwendigkeit aus dem System selbst.“ (Ernst Nolte, Die Frage nach der historischen Existenz, 2001).

„So ist das Buch zwar aus der Vorgeschichte der »Renaissance des Marxismus« in der »1968er Bewegung« nicht wegzudenken, da es einen der für sie wichtigsten Begriffe wieder in die Öffentlichkeit brachte, nämlich den des »Faschismus«, aber zu den eigentlichen »Kindern des Hauses« gehörte es schon deshalb nicht, weil es einen bereits nahezu vergessenen Kampfbegriff für die Wissenschaft gewinnen und nicht den umgekehrten Weg einschlagen wollte. Sein Defizit bestand jedoch darin, daß es von der Action française, dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus ausführlich genug gehandelt hatte, um als »zeitgeschichtliche Untersuchung« anerkannt zu werden, daß es aber das Liberale System (), den Marxismus und den Bolschewismus nur in einigen allgemeinen Zügen, d.h. auf bloß philosophische Weise und nicht im historischen Detail, zum Thema gemacht hatte.“ (Ernst Nolte, Die Frage nach der historischen Existenz, 2001).

„Wer ein Buch mit dem Titel »Der Faschismus in seiner Epoche« () schreibt, stellt damit eine Beziehung zu jenen Konzeptionen oder Theorien her, die das Ganze der Periode der beiden Weltkriege in den Blick fassen. Dazu zählen die beiden Versionen der marxistischen Auffassung, die »orthodoxe« und die leninistische; die um den negativ gefaßten Begriff der »Säkularisierung« zentrierte Verfallstheorie der Geschichte; die »klassische« Version der Totalitarismustheorie und auch die scheinbar partikularen Konzeptionen der jüdischen, der überwiegend deutschen negativ-nationalistischen und der psychoanalytischen Theorie. Im Bereich der westlichen Welt kam seit etwa 1950 der klassischen Totalitarismustheorie Hannah Arendts und Carl J. Friedrichs der Vorrang zu, und es ist wichtig festzustellen, daß für beide Autoren die Vernichtung der Kulaken in der Sowjetunion und die Ausrottung der Juden durch das Dritte Reich genaue Parallelen bilden. Von dieser Version der Totalitarismustheorie ist aber eine zweite zu unterscheiden, die ich die historisch-genetische nenne () und die durch Autoren wie Jakob Talmon, Norman Cohn und Karl August Wittfogel begründet wurde. Die Werke dieser Autoren reichen nur bis an die Schwelle der Periode der Weltkriege, aber sie sind keineswegs bloß eine Geschichte der totalitären Demokratie oder des »Pursult of the Millennium« oder der hydraulischen Gesellschaft im Orient und im »Apparatstaat« der Sowjetunion, sondern sie zielen auf ein Verständnis des Kampfes von »linkem« und »rechtem« Totalitarismus im 20. Jahrhundert, zwischen denen nicht nur eine grundlegende Differenz, sondern auch ein kausaler Nexus () besteht. So läßt sich von bestimmten Aussagen Wittfogels aus leicht die These entwickeln, Faschismus und Nationalsozialismus seien aus der Reaktion gegen den eigentlichen, den kommunistischen Totalitarismus entstanden und sie seien nicht ohne ein gewisses historisches Recht gewesen, das sich freilich in eindeutiges Unrecht verkehrt habe, da aus dem Willen zur totalen Entgegensetzung ein innerer Zwang zu Imitation und Angleichung resultiert habe.“  (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 116-117).

„Herr Gutman macht es mir zum Vorwurf, Publikationen benutzt zu haben, »die den Holocaust leugnen«. Aber das Tucholsky-Zitat, auf das Herr Gutman anspielt, hat mich nicht deshalb frappiert, weil ich es in dem Buch von Wilhelm Stäglich gefunden habe, sondern weil es sich ... als richtig herausstellte. Ich muß zu meinem Bedauern sagen, daß Herr Gutman mit diesem Vorwurf nicht mehr den Mitbegründer der historisch-genetischen Version der Totalitarismustheorie () angreift, sondern das Prinzip der Wissenschaft selbst. Auch in der revisionistischen Literatur kann Richtiges oder Bedenkenswertes enthalten sein, und wer darauf verzichtet, sie prüfend zur Kenntnis zu nehmen, kann nicht den Anspruch erheben, ein Wissenschaftler zu sein.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 121).

„Der »Faschismus in seiner Epoche« () läßt bereits durch seinen Untertitel erkennen, daß es sich um ein Werk der vergleichenden Geschichtsbetrachtung handelt; insofern hätte auch damals schon der Vorwurf der »Relativierung« erhoben werden können. Aber das geschah allenfalls ganz am Rande, denn der Ton lag offenbar vornehmlich auf der Unterscheidung, wenn die Action française als »Frühfaschismus«, der italienische Faschismus als »Normalfaschismus« und der deutsche Nationalsozialismus als «Radikalfaschismus« charakterisiert wurden. Wichtiger war jedoch, daß über die einzelnen faschistischen Bewegungen und Regime nicht nur unter verschiedenen Fragestellungen wie etwa »Geschichte«, «Doktrin« und »Praxis« viel an Erzählung und Analyse vorgelegt wurde, sondern daß auch »der Faschismus« als generischer, übergreifender Begriff eingegrenzt, »definiert« wurde, und zwar folgendermaßen: »Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie.« (Ebd., 1963, S. 51).“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 219).

„Diese Definition bedeutet, daß der Faschismus nicht ohne Bezugnahme auf das ältere Phänomen des Marxismus verstanden werden kann und daß ... vom Faschismus schweigen soll, wer nicht vom Marxismus reden will. Aber der Marxismus wird nicht etwa angeklagt und verworfen, sondern er gilt offenbar als ein ungemein starkes und bedeutendes Phänomen, da er diesen faschistischen Antimarxismus und offenbar auch andere Antimarxismen zur Bezugnahme zwingen, ja sogar erzeugen kann. Und beim Marxismus bleibt diese »Faschismustheorie« nicht stehen, sondern sie nimmt ausdrücklich auf jene Gesellschaftsordnung Bezug, aus der sowohl der Marxismus wie der Faschismus hervorgegangen sind und die als die Gesellschaftsordnung des »Liberalen Systems« () bezeichnet wird. Diese wird wiederum mit einem philosophischen Begriff in Beziehung gesetzt, demjenigen der »Transzendenz«, dem »Wesen des Menschen«.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 220).

„In der Gesellschaft des Liberalen Systems (), so heißt es, wird die Transzendenz, die als »Weltbezug« oder »Weltoffenheit« den Menschen von allen anderen Wesen unterscheidet, erstmals über Religion und Philosophie hinaus »praktisch«, d.h. zur konkreten Weltbemächtigung. Von hier aus erklärt sich die zweite und philosophische Definition des Faschismus, die sich auf den Nationalsozialismus als »Radikalfaschismus« beschränkt: »Der Nationalsozialismus war der Todeskampf der souveränen, kriegerischen, in sich antagonistischen Gruppe. - Er war praktischer und gewalttätiger Widerstand gegen die Transzendenz.« (Ebd., 1963, S. 507).“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 220).

„Gewiß war der ganze Faschismus schon durch den Ausgang von der »Action française« der europäischen konterrevolutionären Tradition zugeordnet worden, und die Kennzeichnung der Intention von Charles Maurras (Mitbegründer und führender Ideologe der Ende 1898 geründeten Action française; HB), den »autark-souveränen, kriegerischen, aristokratischen Staat des Ancien régime als Paradigma für alle französischen Zeiten« bedingungslos zu verteidigen bzw. wiederherzustellen, läßt das Verfehltsein und die Aussichtslosigkeit des Unternehmens noch anschaulicher werden als im Falle Hitlers. Aber »Transzendenz« bedeutet eben nicht »Fortschritt« in der üblichen Konnotation mit positiver Unwiderstehlichkeit, sondern sie ist als »neutraler Strukturbegriff« gefaßt. Und daher wird der Grundemotion von Maurras, der Angst, die er angesichts der sich abzeichnenden Weltentwicklung hin zu Barbarei und Kulturlosigkeit empfindet, viel Verständnis entgegengebracht. Und ebenso wird eine durchaus menschliche Empfindung, eben die Angst, als Ursprung der Reaktionen Adolf Hitlers wahrgenommen, so daß die Vorstellung vom »absoluten Bösen«, so entsetzlich die resultierenden Taten sind, nicht akzeptiert werden kann. Auch der Marxismus wird ja in der angeführten Definition unzweideutig als eine »Vernichtungslehre« gekennzeichnet, und bekanntlich hat er aus seinem Vernichtungswillen noch weniger ein Geheimnis gemacht als der Nationalsozialismus. Was er vernichten wollte, war »der Kapitalismus« und in der Praxis »das Bürgertum« oder »das Unternehmertum«. .... Aber »das Bürgertum« war einer der am meisten charakteristischen Bestandteile der Gesellschaftsordnung des »Liberalen Systems« (); es mochte mithin sein, daß der Vernichtungswille gegen »die Kapitalisten« ebenso in die Irre ging wie der Vernichtungswille gegen die Juden und daß daher sogar in der »Reaktion« von Maurras und Hitler mehr als bloße Verstehbarkeit enthalten war.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 221).

„Sowohl Publizisten wie Historiker hätten aber nach der Lektüre des »Europäischen Bürgerkrieges« () sagen können und sagen müssen: Hier ist nach dem negativ-nationalistischen (), dem marxistischen (), dem progressivistischen (), dem jüdischen () und dem strukturell-totalitarismustheoretischen () Paradigma der Interpretation der Geschichte des 20. Jahrhunderts in Anknüpfung an die früheren Bücher des Autors ein weiteres Paradigma entwickelt worden, das von allen das älteste und einleuchtendste sein sollte, weil es die schroff entgegengesetzten und doch im Prinzip übereinstimmenden Interpretationen der kämpfenden Ideologiestaaten nicht von außen kritisiert, sondern aus der Distanz heraus objektiviert und ihrer Ein-Seitigkeit entkleidet. Aber nicht zufällig ist das im Ältesten Begründete dasjenige, was als wissenschaftliches Werk das Jüngste ist, nämlich die »historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie«, welche den übrigen Versionen ihr Recht läßt, weil sie weiß, daß die geschichtliche Realität viel zu umfangreich und widerspruchsvoll ist, als daß sie mit einem Paradigma zureichend erfaßt werden könnte. Diese ganz einfache Überlegung ist allerdings bisher so gut wie nie vollzogen worden, weil sogar Historiker es in der Regel vorziehen, als »anstößig« empfundene Sätze oder Halbsätze herauszugreifen und zu kritisieren. ().“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 227).

Noltes „Konzeption des »europäischen Bürgerkrieges« und des ihn ablösenden »Weltbürgerkrieges« bis 1989/'91 - man könnte sie das siebente der Paradigmen zur Interpretation des 20. Jahrhunderts nennen - neben dem (1) positiven »germanozentrischen« () , dem (2) negativen »germanozentrischen« (), dem (3) marxistischen (), dem (4) progressivistischen (), dem (5) jüdischen () und demjenigen der (6) strukturellen Totalitarismuskonzeption (). Durch seine Mehr-Seitigkeit, die im Hinblick auf die Weltkriegsepoche vorwiegend Zwei-Seitigkeit bedeutet, steht dieses Paradigma, die (7) historisch-genetische Version des Totalitarismuskonzepts (), dem negativ-»germanozentrischen« und dessen nachdrücklich bejahter Einseitigkeit am stärksten gegenüber, obwohl eine Ursprungsähnlichkeit nicht zu verkennen ist.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 353).

„Ich setze indessen genug Vertrauen in die Vernunft, um es für wahrscheinlicher zu halten, daß die historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie () sich auf längere Sicht durchsetzen wird, da sie schon heute mit den künftigen Generationen die Distanz teilt, welche die Voraussetzung von Wissenschaft ist.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 354).

„Durch den Zusammenbruch des Kommunismus ... erhielt die Totalitarismustheorie aus der nun endlich offen hervortretenden Erfahrung von Intellektuellen und einfachen Menschen eine überwältigende Bestätigung. Ihre historisch-genetische Version () stellt den Zusammenhang heraus, der auch die deutsche Geschichte in ein neues Licht rückt, indem sie gleichsam das Schema der strukturanalytischen, der »klassischen« Version () in Bewegung bringt. Sie bedeutet keine moralische Relativierung, sondern eine historische Relationierung. Sie ist auch keineswegs revisionistisch, sondern integristisch, d.h. sie kann mit einigen Maßnahmen die »etablierte« Auffassung ... in sich aufnehmen, weil sie ein Bild von dem ideologischen Bürgerkrieg der staatlich verselbständigten Momente des Liberalen Systems () zeichnet und dabei weder Unterschiede noch Verwurzelungen noch die Rolle der »westlichen Demokratien« übersieht. Sie legt allerdings die politische Folgerung nahe, daß die einst verselbständigten Extreme nach genuiner Verarbeitung der Erfahrungen des Jahrhunderts wieder in das System eingefügt werden sollen.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 360).

Noltes „historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie“ () bedeutet eben u.a., daß sie „sich nicht wie das »klassische« Konzept auf die Herausstellung struktureller Übereinstimmungen von »Diktaturen« oder »antiliberalen Unrechtsstaaten« konzentriert und auch nicht eine gleichmäßige Subsumtion unter den Begriff der »Sozialreligion« vornimmt, sondern die Priorität des Kommunismus und den Reaktionscharakter des Faschismus herausarbeitet. Daher erscheint die Geschichte des 20. Jahrhunderts diesem Denkversuch nicht als ein Kampf »der Guten« gegen »die Bösen«, sondern als das Ringen zweier ideologisch »überschießender« Mächte und damit als Tragödie.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 390).

M.E. ist Noltes „historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie“ () unter den öffentlich bekannten Theorien zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (als des „kurzen Jahrhunderts“ von 1914 bis 1989), die einzige, die wenigstens einigermaßen haltbar und also auch einigermaßen akzeptabel ist, obwohl auch an ihr einiges zurecht gerückt werden muß - einiges, dem Nolte aber auch bestimmt zustimmen kann.


NACH OBEN „Historikerstreit“

Der sogenannte (!) „Historikerstreit“ wurde ausgelöst durch einen von Ernst Nolte für die FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) vom 06.06.1986 geschriebenen Artikel (). Dem Text lagen Gedanken zu Grunde, die er bereits am 24.07.1980 in einem Artikel der FAZ geäußert hatte. Wer die „Hitlersche Judenvernichtung“ nicht in einem bestimmten Zusammenhang sehe, so schrieb Nolte, „verfälscht die Geschichte“, denn „Auschwitz resultiert nicht in erster Linie aus dem überlieferten Antisemitismus und war im Kern nicht ein bloßer »Völkermord«, sondern es handelte sich vor allem um die aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution.“ Außerdem meinte Nolte: „Es wird sich kaum leugnen lassen, daß Hitler gute Gründe hatte, von dem Vernichtungswillen seiner Gegner sehr viel früher überzeugt zu sein als zu dem Zeitpunkt, wo die ersten Nachrichten über die Vorgänge in Auschwitz zur Kenntnis der Welt gelangt waren.“ Denn bereits vor dem 1. September 1939 - also: vor Kriegsausbruch - hat Chaim Weizmann als Präsident des jüdischen Weltkongresses und der Jewish Agency for Palestine offiziell geäußert, daß: „die Juden in aller Welt in diesem Krieg auf der Seite Englands kämpfen würden.“ Dies begründe nach Noltes Meinung die These, „daß Hitler die Juden als Kriegsgefangene … behandeln und internieren durfte.“ (Rudolf Augstein u.a.: Historikerstreit, 1987, S. 24).

Einen weiteren Anstoß der Debatte bedeutete für die Kritiker das Buch „Zweierlei Untergang“ des Historikers Andreas Hillgruber (1925-1989). In dem Buch parallelisierte Hillgruber den „Holocaust“ mit dem Zusammenbruch der Ostfront und der danach erfolgten Flucht und Vertreibung.

Der Historikerstreit wurde also zweimal, d.h. durch zwei Artikel von Nolte in der FAZ (24.07.1980, 06.06.1986) ausgelöst. Der Wissenschaftler behauptet darin, der Archipel Gulag habe „das logische und faktische Prius“ vor Auschwitz, das heißt, der „Rassenmord“ der Nationalsozialisten sei nur aus Furcht vor dem älteren „Klassenmord“ der Bolschewisten entstanden. Der Mord an den Juden, der schon in seinen älteren Thesen nicht zum Wesenskern des Faschismus gerechnet wurde, sei nur eine „überschießende Reaktion“ auf die Gräuel der Oktoberrevolution und habe damit einen „rationalen Kern“. Diese These erweiterte er zur Behauptung eines „europäischen Bürgerkriegs“ von 1917 bis 1945 (). Nolte rückt hier Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus recht eng aneinander, weshalb seine Thesen nach Meinung der Kritiker auf eine nivellierende Variante der Totalitarismusthese oder vielleicht sogar des Geschichtsrevisionismus hinauslaufen. Den von der jüdischen Seite als Reaktion auf antijüdische Ausschreitungen gestarteten Boykott deutscher Waren im Ausland und die Bekanntgabe einer „Kriegserklärung“ für einen Finanz- und Wirtschaftskrieg im Daily Express vom 24.03.1933 sowie die Loyalitätsbekundung Chaim Weizmanns von 1939 für England deutet Nolte als Kriegserklärung der Juden an das Deutsche Reich und also die mit Kriegsbeginn eskalierende Judenverfolgung des NS-Regimes als eine „Gegenmaßnahme“.

„Gerade diejenigen, die am meisten und mit dem negativsten Akzent von »Interessen« sprechen, lassen die Frage nicht zu, ob bei jenem Nichtvergehen der Vergangenheit auch Interessen im Spiel waren oder sind. Etwa die Interessen der Verfolgten und ihrer Nachfahren an einem permanenten Status des Herausgehoben- und Privilegiertseins.“ (Ernst Nolte, Die Vergangenheit, die nicht vergehen will, in: F.A.Z., 06.06.1986).

„Die Rede von der »Schuld der Deutschen« übersieht allzu geflissen die Ähnlichkeit mit der Rede von der »Schuld der Juden«, die ein Hauptargument der Nationalsozialisten war. Alle Schuldvorwürfe gegen »die Deutschen«, die von Deutschen kommen, sind unaufrichtig, da die Ankläger sich selbst oder die Gruppe, die sie vertreten, nicht einbeziehen und im Grunde bloß den alten Gegnern einen entscheidenden Schlag versetzen wollen.“ (Ernst Nolte, Die Vergangenheit, die nicht vergehen will, in: F.A.Z., 06.06.1986).

„Wahrheiten willentlich auszusparen, mag moralische Gründe haben, aber es verstößt gegen das Ethos der Wissenschaft. Die Bedenken wären nur dann berechtigt, wenn man bei diesen Tatbeständen und Fragen stehenbliebe und sie nicht ihrerseits in einen größeren Zusammenhang stellte, nämlich in den Zusammenhang jener qualitativen Brüche in der europäischen Geschichte, die mit der industriellen Revolution beginnen und jeweils eine erregte Suche nach den »Schuldigen« oder doch nach den »Urhebern« einer als verhängnisvoll betrachteten Entwicklung auslösten.“ (Ernst Nolte, Die Vergangenheit, die nicht vergehen will, in: F.A.Z., 06.06.1986).

„Im Historikerstreit ist ja u.a. deutlich geworden, daß ich die völlige Aussparung der Frage, ob nicht vielleicht Juden ein Stück weit mitverantwortlich für das gewesen seien, was dann in ungerechter Überspitzung und Verallgemeinerung über sie gesagt wurde - was letztlich auf die völlige Negierung des Judentums selber als eines weltgeschichtlichen Phänomens hinausläuft -, mir höchstens für die ersten zweieinhalb Jahrzehnte nach 1945 verständlich und auch angebracht erschien, aber nicht mehr danach. So wurde z.B. der Zusammenhang zwischen der Russischen Revolution und den Juden aufgrund einer weit verbreiteten Erfahrung hergestellt: Die in Rußland lebenden Juden, die bis dahin nicht einmal die vollen staatsbürgerlichen Rechte hatten, traten plötzlich weit überrepräsentiert als Politiker und Machthaber auf. Darum war der Begriff des jüdischen Bolschewismus, der in Deutschland heute nur Empörungsschreie auslöst, 1918 in Rußland eine Selbstverständlichkeit. Übrigens wurde der Ausdruck auch von einigen jüdischen Denkern anerkannt, ohne daß sie natürlich einer Gleichsetzung von Judentum und Bolschewismus zugestimmt hätten. Daß viele Juden repräsentative Figuren der Russischen Revolution waren, ist jedenfalls keine bösartige Erfindung, sondern eine Tatsache, die allen Menschen im damaligen Rußland ins Auge fiel. Daß man aber heute schon Anstoß erregt, wenn man einen bedeutenden jüdischen Historiker zitiert, der bereits 1918 von der Schuld nicht der Juden, sondern von Juden gesprochen hatte, zeugt von einer geistigen Atmosphäre, der widersprochen werden muß, wenn man nicht will, daß sie sich zu einem geistfeindlichen Konformismus ausbildet. Insofern halte ich das, was Martin Hohmann gesagt hat, für einen positiv zu bewertenden Vorstoß in eine Richtung, die allerdings mit viel größerer Sorgfalt und Kenntnis ausgebaut werden müßte. So ist Hohmann der Fehler unterlaufen, einen allbekannten Antisemiten zu zitieren, nämlich Henry Ford. Aber der Hinweis darauf, daß ... die Juden früher als Tätervolk angesehen und dem Sinne nach bezeichnet worden sind als die Deutschen, ist einfach ein Hinweis auf eine historische Tatsache; und wer die absichtlich und nachdrücklich verschweigt, verstößt gegen den Geist der Wssenschaft und sollte Widerspruch erfahren. Und daß Verkürzungen und Verallgemeinerungen wie: »Die Juden sind ein Tätervolk« oder: »Die Deutschen sind ein Tätervolk« nicht akzeptabel sind, darüber brauche ich hoffentlich nicht zu sprechen, zumal es in Hohmanns Rede deutlich genug wurde. Die Neigung zur Verallgemeinerung ist ja in gewisser Hinsicht die Mutter verhängnisvoller Irrtümer. Aber daß die Frage nach der Beteiligung bestimmter Völker oder Gruppen an den großen ideologischen Kämpfen des letzten Jahrhunderts - und in erster Linie in der Auseinandersetzung zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus -, einfach nur verdrängt wird, das sollte eigentlich ein viel größerer Skandal sein, als es der Historikerstreit gewesen ist.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 39-42).

„Ich habe mich selbst nie als Revisionisten bezeichnet, sondern immer eine Unterscheidung getroffen zwischen Revisionen, die in der Geschichtswissenschaft erforderlich sind, und Schulen, zu denen sich Historiker zusammenschließen, die ein gemeinsames politisches Ziel haben, das sie durch viele einzelne Revisionen fördern möchten. Und in diesem Sinne glaube ich nicht, daß ich mich zu den Revisionisten rechnen sollte.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 45).

„Der Nationalsozialismus fiel ja nicht vom Himmel, und er kam auch nicht aus der Hölle.“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

„Der bolschewistische Vernichtungswille, der sich damals gegen das bürgerliche Europa, gegen Deutschland richtete und einen entsprechenden Gegenimpuls auslöste. .... Dies zu verdrängen, war aus meiner Sicht ein Hauptanliegen der Linksintellektuellen.“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

„Wenn man ein Phänomen offiziell nur schwarz auf schwarz beschreiben darf, dann muß jeder Versuch, ein paar Grautöne beizumischen, sofort als Apologie verstanden werden. Das mußte ich in Kauf nehmen. Damals setzte sich allmählich durch, die Nationalsozialisten zum absoluten Bösen zu erklären. Mit Geschichtswissenschaft hatte das nichts zu tun, eher mit dem Entstehen einer neuen Religion ....“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

„Der Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg hat die Deutschen im Kern erschüttert. Man hielt es nicht für möglich, daß das alte Deutschland, das sich als miltärische und kulturelle Weltmacht empfunden hatte (und auch war, und zwar in jeder Hinsicht;  HB), nun auf einmal so gedemütigt wurde, in den Augen vieler auch vollkommen zu Unrecht darniederlag. Aus dieser Situation konnte ein Hexenkessel von Emotionen entstehen, und Hitler hat diese Emotionen mit einer Intensität erfaßt und daraus Überzeugungen abgeleitet von einer Stärke, die andere eben nicht hatten. Dann kann allerdings nicht weiter gedacht werden, ohne seine innere Beziehung zum Marxismus und zum Bolschewismus zu betrachten. Ich bin der Meinung, daß Hitler die Dinge folgendermaßen sah: Die antideutsche marxistische Bewegung wird sich durchsetzen, weil sie von einer bis ans Äußerste gehenden Entschlossenheit beseelt ist und außerdem viele Unterstützung gerade auch in Deutschland genießt. Wenn sich das Deutschland, das ihm vorschwebte, behaupten sollte, dann mußte es eine ähnliche Entschlossenheit entwickeln und auch einen Todfeind namhaft machen können wie ihn die Bolschewisten im Kapitalisten, im Bourgeois hatten. Diese Feindbestimmung wurde für die Juden - und für die Deutschen - zum großen Unglück.“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

„Kein Mensch kann das absolute Gute verkörpern, das kann nur Gott. Genauso ist es unmöglich für einen Menschen, das absolut Böse zu verkörpern. Insofern ist die heutige Rede von dem absolut Bösen ein metaphysisches Moment .... Es wird von einigen Vertretern ... als Fahne herumgetragen, um andere Menschen zum Stillschweigen zu bringen.“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

„Als Maxime des Historikers galt mir von Anfang an, und ich habe spät angefangen, daß er sich auf jeden Fall um ein Verstehen bemühen muß, daß er nicht von einer absoluten Warte aus verdammen oder glorifizieren darf. Er sollte nicht zum Richter werden. Urteile sind unvermeidlich, aber Urteile, die man bis zum Richteramt forttreibt, sind nicht akzeptabel.“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

Die Geschichte ist auch für Nolte kein Rechtsgegenstand. Sie darf es auch niemals sein. Da, wo sie es dennoch ist (wie in der Bundesrepublik Deutschland), existiert keine freie Meinungsäußerung. „In einem freien Land“, so Nolte, ist „es weder Sache des Parlaments noch der Justiz, geschichtliche Wahrheiten zu definieren.“ (Eike Erdel, Kniffelige Paragraphen, in: JF, 18.08.2006). Unsere Politiker und Juristen, deren Gesetze Geschichte vorschreiben, z.B. durch den Paragraphen 130 StGB („Volksverhetzung„Volksverhetzung“ (§ 130 StGB)„Volksverhetzung“ (§ 130 StGB)„Volksverhetzung“ (§ 130 StGB)„Volksverhetzung“ (§ 130 StGB)), verbieten dadurch die freie Meinungsäußerung, die Geschichtswissenschaft und sogar den größten Teil der Wissenschaft überhaupt. Wissenschaft ist keine Wissenschaft mehr, wenn sie befohlen wird. Das gilt besonders für alle geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, am meisten aber für die Geschichtswissenschaft, weil ja die Geschichte vorgeschrieben wird. Geschichtswissenschaft ist keine Wissenschaft mehr, wenn Politiker und Juristen Geschichte vorschreiben. Früher waren es die kirchlichen Glaubenswächter, heute sind es die staatlichen Glaubenswächter, die die Geschichte, die Geschichtswissenschaft und auch den größten Teil der gesamten Wissenschaft vorschreiben. Das muß endlich beendet werden.


NACH OBEN Historische Existenz

Hiermit verfolgte Nolte ein großes Ziel, denn es ging ihm darum, die Geschichte als Ganzes verstehend begreiflich zu machen. Hatte sich Nolte vorher fast ausschließlich mit der jüngeren Geschichte und den modernen Ideologien auseinandergesetzt, so versuchte er mit dem gleichnamigen Buch, das 1998 erschien, der Geschichte den denkbar größten Rahmen zu geben. Er näherte sich der Frage der Begrenztheit von Geschichte, indem er die wichtigsten Kategorien der historischen Existenz - z.B. Religion, Krieg (und Frieden) Herrschaft, Adel, Schichtung, Staat, Stadt (und Land), Kunst, Ökonomie, Bildung, Wissenschaft u.v.a. - analysierte und sie immer wieder in Beziehung zum denkbar größten Rahmen setzte.

„Ich muß indessen zum Abschluß noch in äußerster Kürze auf dasjenige Buch zu sprechen kommen, das eines fernen Tages als mein Hauptwerk gelten mag und das im Untertitel zu diesem Vortrag genannt wurde, nämlich auf die »Historische Existenz - Zwischen Anfang und Ende der Geschichte ?« (),  das 1998, wie 35 Jahre zuvor »Der Faschismus in seiner Epoche« (), im Piper Verlag erschienen ist. Die drei Bücher vom Anfang der neunziger Jahre, diejenigen über Nietzsche, Heidegger und das Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert, gehören insofern eng zu den vorhergehenden, als sie zu zeigen versuchen, daß die Auseinandersetzung zwischen dem Marxismus und einem ganz überwiegend nicht-faschistischen Antimarxismus im 20. und ansatzweise bereits im 19. Jahrhundert die philosophische Parallele zu dem Ringen zwischen dem militanten Universalismus und dem militanten Partikularismus in der Politik gewesen ist. ( ). Daß der Nationalsozialismus im Rahmen dieser Konzeption nicht mit einer Serie von Schimpfreden abgetan werden kann, springt ins Auge, aber ebenso klar sollte sein, wie sehr für mich der Umstand der bewegendste Grund zum Nachdenken über die europäische Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte gewesen ist, daß der re-aktive Fanatismus der nationalsozialistischen »Weltanschauung« den ursprünglichen Fanatismus der bolschewistischen Ideologie ... noch übertraf und daß mithin aus der »Entsprechung« eine »Über-Entsprechung« wurde. Doch auch ohne Studium sollte für jedermann erkennbar sein, daß zwei große und überaus wichtige Menschengruppen im Zwanzigsten Jahrhundert zu Zielen eines ernsthaften und in der Geschichte tief verwurzelten Vernichtungswillens wurden, nämlich »Bourgeois«, Bürger, und Juden - zwei Gruppen, die sich zwar vielfältig überschnitten, die aber durch ihre Feinde weitgehend voneinander getrennt wurden. Gerade deren Angehörige sollten sich dem Nachdenken über die Zusammenhänge nicht verweigern.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 234-235).

„Wer in meinem Denkversuch, demjenigen eines »bürgerlichen Intellektuellen« und selbstkritischen Angehörigen der Gesellschaft des »Liberalen Systems«, eine Bagatellisierung oder gar Propagierung des Nationalsozialismus sieht, wie Marcel Reich-Ranicki es tut, stellt damit, wie ich meine, nur den Mangel an Bereitschaft unter Beweis, sich auf wissenschaftlich notwendige Unterscheidungen einzulassen. Nicht weniger gedankenlos sind diejenigen, die mir ein »Eintreten für die radikale Rechte« zum Vorwurf machen; sie haben nicht zur Kenntnis genommen, daß es schon im »Faschismus in seiner Epoche« () für das singuläre Hauptkennzeichen des Liberalen Systems erklärt wird, es lasse auch den grundsätzlichen, den »systemfeindlichen« Gegner zu Wort kommen, freilich nicht zur Tat.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 235).

„Das Werk über die »Historische Existenz« kann dem informierten Leser als etwas ganz Neues erscheinen, und er dürfte verwundert sein, wenn er auf den ersten 500 Seiten noch nichts über Marxismus, Faschismus und Kalten Krieg, ja kaum etwas über das Liberale System () gelesen hat, wohl aber ganze Kapitel über das Gilgamesch-Epos, über das Alte Testament und sogar über »Ökonomie und Sexualität«. (). Die auf den ersten Blick verwirrende Vielfalt wird indessen dadurch strukturiert, daß es sich um die Darlegung und Analyse der Kategorien der »Historischen Existenz«, ihrer »Existenzialien«, handelt. Eine solche Darlegung und Analyse ist jedoch erst dann möglich, wenn ein anderer, ein »nachgeschichtlicher« Zustand in den Blick getreten ist ....“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 235).

Zwar mag für Nolte „ein »nachgeschichtlicher« Zustand in den Blick getreten“ sein (), doch stellt er diesen Zustand eben nicht explizit fest. Jedenfalls habe ich in den dafür hauptsächlich in Frage kommenden Nolte-Werken keine solche explizite Feststellung finden können. In seiner „Darlegung und Analyse der Kategorien der »Historischen Existenz«, ihrer »Existenzialien«“ also (), geht Nolte „davon aus, daß diese Kategorien eben nicht überzeitlich sind, sondern historisch; denn zu bestimmten Zeiten können diese historischen Existenzialien geschwächt werden oder auch ganz verschwinden, wie dies etwa beim Adel der Fall ist. Durch die Jahrtausende hindurch war der Adel, auch wenn er Aristokratie genannt wurde, eine fundamentale Wirklichkeit, aber in unserer Gegenwart ist er bis auf einige Überreste dahingeschwunden. Das führt auf die Frage, ob auch für diejenigen Existenzialien, bei denen die Geschichtlichkeit nicht so auf der Hand liegt wie beim Adel, dasselbe zutrifft. So wird das Verschwinden des Staates seit Hunderten von Jahren prophezeit, und diese Prophezeiung wird immer wiederholt. Man kann auch hier zweifeln: vielleicht ist er zäher, als man meint. Aber daß er inzwischen auf schwankendem Grunde ruht, wird schon dadurch klar, daß so viele kluge Leute ihn für dem Tode geweiht halten.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 14-15).

„Das historische Menschsein kann verschwinden, ich behaupte aber nicht, daß das der Fall sein muß; und auch das würde noch nicht bedeuten, daß der Mensch als solcher verschwände. Es könnte allerdings sein, daß eine neue Art von Mensch entsteht - Nietzsche sprach nicht ohne Grund vom Übermenschen -, der zumindest nicht mehr das wäre, was der Mensch bisher gewesen ist. Vor kurzem war in der FAZ ein Artikel über wissenschaftliche Tendenzen zur Manipulierung der Fortpflanzung zu lesen, und ihm war ein fingiertes Photo von künftigen Embryonen hinzugefügt, auf dem ein jeder von mehreren Föten sich in einer künstlichen Gebärmutter entwickelt. Diesen Wesen fehlt also offenbar dasjenige, was für alle Menschen fundamental war: daß sie schon vor der Geburt in einem innigen Verhältnis zu einem Menschen stehen, der für sie (von Sonderfällen und Ausnahmen abgesehen) schlechthin zentral sein wird: zu ihrer Mutter - es ist ja auch heute nichts ganz Außergewöhnliches, daß Erwachsene in ihrem späteren Leben den Wunsch verspüren, zu diesem Platz der völligen Geborgenheit, dem Mutterschoß, zurückzukehren. So etwas würde diesen Föten nicht möglich sein, und es dürfte sogar die Frage gestellt werden, ob sie jemals zu »ganzen Menschen« werden können. Hier wäre der »Übermensch« oder der nachgeschichtliche Mensch als ein weithin künstliches Geschöpf eine defiziente Gestalt des Menschen. Aber von einem Verschwinden »des Menschen« dürfte gleichwohl keine Rede sein.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 15-16).

„Ich glaube, wenn ich nicht Heidegger begegnet wäre, dann wäre ich ein politisch interessierter Studienrat geworden und geblieben.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 101).

Noltes Buch „Historische Existenz“ hat viele Rezensionen hervorgerufen, u.a. auch die von Peter D. Krause (in: Etappe, Nr. 16, Dezember 2001 / Januar 2002)- hier kommentiert von Peter Töpfer: „Die Spannung der Rezension ... von Peter D. Krause ... liegt darin, daß Krause die Noltesche »Nachgeschichte« als den »Weltstaat« und die »Weltzivilisation« interpretieren zu müssen scheint, gleichzeitig aber offen läßt, ob für Nolte nicht doch ein anderer Ausgang, ein anderes Ende der Geschichte, eine andere Art »Nachgeschichte« in Betracht kommt, nämlich die Rückkehr zur »Vorgeschichte«, deren eine Etappe etwa ein Räte-Reich im Huch’schen Sinne sein könnte. Die »Möglichkeit eines geschichtslos-paradiesischen Endzustandes«, die »seit alters ein spekulatives Faszinosum« sei, läßt sich nämlich auch topisch denken, und nicht nur utopisch-globalistisch. . .... »Wird die Posthistorie die Wirklichkeit des uralten utopischen Traumes sein – oder am Ende dessen Gegenteil?«,  fragt Krause. Genau so gut kann sie aber auch eine Topisierung, Reloziierung, Dezentralisierung, anthropologische Rückorientierung, eine »wirkliche Erneuerung« und eine Rückkehr zum »Grundwillen des Volkes« (Ricarda Huch) sein bzw. eine »Balkanisierung und Rückverdummung«, wie es die Pogo-Anarchisten sagen, die in ihrem 100-Tage-Programm ein »Deutschland in den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches von 1237« fordern. .... Nachgeschichte oder Ausstieg aus der Geschichte heißt nicht ... Aufgabe der eigenen Interessen, sondern im Gegenteil radikalisierte Wahrnehmung derselben. .... Wir als zivilisationsungläubige Zivilisationszwangsteilnehmer verlassen zugunsten einer Kommunikation mit den Zivilisierten und Gebildeten unser Hier & Jetzt und gehen als Paläo- und »Urkonservative« (Ernst JüngerJünger [vgl. Karlheinz Weißmann, Anarchie von rechts, 1998, S. 39Weißmann]) in unserer Beschreibung von Anarchie sowohl zurück in die »Vorgeschichte« als auch als Erzprogressive nach vorn in eine Welt, die sich immer weiter aufklärt bzw. sich wieder- und rückaufklärt. Wir orientieren uns – geschichtlich ausgedrückt – an beiden Extremen .... Warum nicht die Geschichte einfach verlassen ...? Wir Anarchisten knüpfen direkt an die »Vorgeschichte« an, ohne von ihr überhaupt etwas zu wissen. Wir sind ungeschichtlich und lassen folglich auch irgendeine »Nachgeschichte« ausfallen. »So ist zu hoffen, daß das alte Mantra: ›Erkenne Dich selbst‹ hier (im Wiederaufleben der Vorgeschichte) eine neue Werkstatt und Meisterschule finden wird.« (Ernst Jünger, An der Zeitmauer, in: Gesammelte Werke, S. 495Jünger). Wobei dem »Erkennen« unbedingt eine transkognitive Bedeutung beigemessen werden muß. Und Nolte weiß: »Eine extreme Form des Selbstbewußtseins (kann) gerade den Ausstieg aus der Geschichte implizieren.« (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998, S. 30Nolte).  Wir sind diese extreme Form und betreiben diesen Ausstieg. Die Geschichte ist eine wirre und eklige Sekunde, ein kurzer sozialer Orkan in der ewigen Zeit, die so schnell und so gründlich wie möglich vergessen sein soll. Ein bißchen »Mut zur Übernahme einer nachgeschichtlichen Existenz«!,  wie Nolte Oswald Spengler (Spengler) wiedergibt, der Nolte zufolge »sehr mißverstanden« worden sei. »›Untergang‹ bedeutete für Spengler eben keineswegs Niederlage oder Zusammenbruch, sondern den Übergang in die Nachgeschichte .…« (Ebd., S. 44Nolte).“ (Peter Töpfer, Reich und Anarchie, in: Etappe, # 16, 2001 / 2002; vgl. auch: Nationalanarchismus).

Eine leider sehr einseitige Interpreation von Alexander Demandt: „Ernst Nolte hat 1998 in seinem Alterswerk mit dem Titel »Historische Existenz« eine umfassende Geschichtsphilosophie vorgelegt, die durch sogenannte »historische Existenzialien« gekennzeichnet ist: Religion, Staat, Adel, Krieg und Revolution, Stadt und Land, Historie und Wissenschaft. Diese Existenzialien sieht Nolte einem Transformationsprozeß ausgesetzt, der ihr Wesen verändert. Religion zerfällt in Fundamentalismus und Folklore, der Staat verschwindet im Netzwerk der Globalisierung, an die Stelle des Adels treten Funktionseliten, Krieg gibt es nur noch in Form von Grenzkonflikten in Entwicklungsländern und Polizeieinsätzen der Weltorganisationen (NEIN! Krieg gibt es laut Nolte immer noch, v.a. in der »Dritten Welt« [vgl. ebd., S. 674 Nolte]! HB.). Revolution wird in Form von Protestaktionen eine unvermeidliche, aber unbedeutende Begleiterscheinung von Veränderungen der Produktion (oder aber auch nicht, so Nolte [vgl. ebd., S. 682 Nolte]! HB.). Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verschwinden (eher nicht, denn laut Nolte ist die »Eine Menschenstadt« nicht tragbar [vgl. ebd., S. 676 Nolte]! HB.). Die Wissenschaft produziert noch Bücher und Maschinen, sie verliert hingegen ihre Bedeutung für die »Menschenbildung«. Das Geschichtsbewußtsein beschränkt sich auf die Erinnerung an die Greueltaten einer Zeit, mit der man nichts mehr zu tun haben will. (Aber laut Nolte ist noch nicht ein einziges der [nur veränderten!] »historischen Existenzialien« verschwunden; diese Tatsache ist für Nolte ein Indiz dafür, daß die »Nachgeschichte« noch nicht begonnen hat [vgl. ebd., S. 682 Nolte]! HB.). Die Nähe zum kommenden Jahrtausend empfindet Nolte als einen bevorzugten Auslug, mit dem neuen Millennium läßt er die 6000 Jahre der eigentlichen Geschichte enden (NEIN! Nolte läßt die Geschichte nicht enden, sondern die Frage offen, ob sie [im engeren Sinne!] zu Ende sei, denn er trennt die Geschichte im engeren Sinne von der Geschichte im weiteren Sinne [»anthropologische Geschichte«] und kann gerade deshalb darüber philosophieren, ob die Geschichte im engeren Sinne zu Ende sein könnte oder nicht, weil die Geschichte im weiteren Sinne auch die »Vorgeschichte« und die »Nachgeschichte« umfaßt und darum zumindest im »anthropologischen« Sinne nicht zu Ende sein kann [vgl. ebd., S. 683 Nolte]! HB.). Die von Spengler dem Abendland nach dem Untergang um das Jahr 2000 (nach 2200! »Geschichtsloses Erstarren ... nach 2200«, so Spenglers Prognose [vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 70 Spengler]! HB.) vorausgesagte geschichtslose Zivilisation weitet Nolte aus auf die Zukunft der Menschheit insgesamt. Voll entfaltet sieht er das posthistorische Zeitalter der »wissenschaftlich-technischen Konkurrenzökonomie« im Jahre 2200 (Nolte). Die Medizin ist der Krankheiten Herr geworden, das Durchschnittsalter der Menschen auf 200 Jahre gestiegen (Nolte). Nolte mißt den Problembereichen unserer Zeit keine geschichtsträchtige Zukunft zu (er positioniert sich doch gar nicht so genau! Anm HB.). Bevölkerungswachstum, Wohlstandsgefälle, Massenwanderung, Fundamentalismus, Umweltbedrohung, Technikfolgen, all dies löst sich offenbar globaldemokratisch ohne Geschichte, undramatisch. (Nolte läßt es eher offen! Anm HB.). So gewiß wir das wünschen müssen, so ungewiß ist die Annahme einer solchen Endzeit, denn dafür brauchte man einen neuen Menschen, den perfekt sozialisierten Kosmopoliten, den wohltemperierten Endzeit-Bürger.“ (Alexander Demandt).

Wenn ich Noltes Historische Existenz richtig verstanden und dabei das für den Untertitel (Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?) so wichtige Fragezeichen im Gedächtnis behalten habe, dann sucht er mit Hilfe „historischer Existenzialien“ eine Antwort auf die Frage, ob die Geschichte zu Ende sein kann oder nicht, genauer: ob die Geschichte im engeren Sinne (!!!) zu Ende sein kann oder nicht. Denn Nolte unterscheidet zwischen Geschichte im engeren Sinne und Geschichte im weiteren Sinne (d.h.: anthropologische Geschichte). Er kann gerade deshalb darüber philosophieren, ob die Geschichte im engeren Sinne zu Ende sein könnte oder nicht, weil die Geschichte im weiteren Sinne auch die „Vorgeschichte“ und die „Nachgeschichte“ umfaßt und darum zumindest im »anthropologischen« Sinne nicht zu Ende sein kann (vgl. ebd., S. 683Nolte). Die Frage nach dem Ende der Geschichte im engeren Sinne ist nicht eindeutig zu beantworten und wird auch m.E. von Nolte nicht eindeutig beantwortet, schon gar nicht die, ob bereits die Gegenwart Teil der „Nachgeschichte“ sei. Laut Nolte sind zwar einige der „historischen Existenzialien“ bis heute stark verändert worden, aber nicht einmal ein einziges von ihnen ist bis heute verschwunden. Für Nolte ein Indiz, daß die „Nachgeschichte“ noch nicht begonnen hat (vgl. ebd., S. 682Nolte)! HegelSpenglerMehrHuntingtonBeispiel FukuyamaMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehr

Laut Nolte ist es „zulässig, einen engeren Begriff der Geschichte von“ einem „weitesten zu unterscheiden und ihm sowohl Vor- wie Nachgeschichte entgegenzustellen, so daß es sinnvoll ist, in dieser Bedeutung nach der historischen Existenz und deren Grundbestimmungen zu fragen.“ (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998, S. 683Nolte). Und im „Umkreis der Jahrtausendwende“, die ja noch bevorstand, als Nolte seine Historische Existenz schrieb (1998), sei „ein besonders günstiger Standort gegeben. Von hier aus lassen sich im Rückblick die großen Kämpfe des 20. Jahrhunderts besser und angemessener begreifen, wenn sie als die letzten Kämpfe der Geschichte in dem engeren Sinne verstanden werden, und zwar als Kämpfe um die Geschichte, die von den Protagonisten im Bewußtsein des Ungeheuerlichen des Umbruchs gegen oder für »die historische Existenz« geführt wurden, jedoch so, daß beide Seiten, jeweils mit ihrem Gegenteil behaftet, am Ende scheiterten.“ (Ebd., S. 683Nolte). Doch jetzt das ABER! „Im Vorblick aber ist keinerlei Sicherheit zu gewinnen: Es mag sein, daß die Menschheit, in Verfolgung der kurzfristigen Interessen der immer zahlreicheren Individuen, am Ende nach Analogie von Naturvorgängen wie des Schicksals der Ziegen auf der Insel Fernando Póo () schließlich den Hungertod (besser den Erstickungstod) erleiden muß; es mag sein, daß sie ganz im Gegenteil in weniger als einem Jahrtausend buchstäblich ausstirbt, weil alle Individuen, nicht nur diejenigen des Okzidents, die »Selbstverwirklichung« der Erfüllung von Gattungsaufgaben vorzuziehen gelernt haben; es mag sein, daß die pragmatische Vernunft sich als stark genug erweist, einer begrenzten Anzahl von Individuen und kulturellen Identitäten ein freundschaftliches, wenngleich schwerlich konfliktfreies Neben- und Miteinander unter strikter Ausschließung aller Vernichtungsforderungen zu ermöglichen (); es mag sein, daß jene unterschiedslose Weltstadt aus puren Individuen Wirklichkeit wird, die in Gestalt einiger Angehöriger oder sogar als ganze eines Tages die Erde für die Dauer verläßt; ein Wissen von dieser Zukunft ist uns verwehrt.“ (Ebd., S. 683-684Nolte). Wie gesagt: Auch Nolte findet keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Ende der Geschichte im engeren Sinne, und die Geschichte im weiteren Sinne kann bekanntlich nicht zu Ende sein, denn: „Der Mensch, so sagten wir, ist das zur Welt hin geöffnete, das transzendentale Wesen. Als solches kann und muß er Geschichte haben, und in dieser, der anthropologischen Geschichte, bleibt er, solange er existiert.“ (Ebd., S. 683Nolte). Fassen wir zusammen: Die Geschichte im weiteren Sinne kann nicht zu Ende sein, solange der Mensch existiert, und die Geschichte im engeren Sinne kann nicht zu Ende sein, solange alle bisherigen „historischen Existenzialien“ existieren. Bis heute ist noch nicht einmal ein „historisches Existenzial“ verschwunden. Schon allein deshalb kann auch die Geschichte im engeren Sinne noch nicht zu Ende sein! HegelSpenglerMehrHuntingtonBeispiel FukuyamaMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehr

Bisher hat es noch kein Mensch vermocht, das Ende der Geschichte im engeren Sinne zu bestimmen. Für manche ist dieses Ende erst der Beginn, für andere liegt es bereits hinter uns. Vielleicht war ja die Geschichte im Sinne Hegels schon mit Hegel an ihr Ziel gekommen, nämlich im Sinne eines Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit (in den 1930er Jahren hatte z.B. Kojéve das „Ende der Geschichte“ auf das Erscheinungsjahr von Hegels Phänomenologie des Geistes datiert: 1807 []). „Für Oswald Spengler ist die Nachgeschichte, die er »Zivilisation« nennt und allerdings auf einzelne Kulturen begrenzt, mit negativem Akzent nicht minder ein Thema als mit positiver Betonung für Arnold Toynbee und Karl Jaspers.“ (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998, S. 597Nolte). In Spenglers Modell ist nicht vom Ende der Geschichte die Rede, sondern vom jeweiligen Ende der Geschichte der 8 Kulturen (Spengler). Laut Spengler endet die je spezifische Geschichte einer Kultur wegen „zivilisatorischer“ Vergreisung - das heißt z.B. für die abendländische Kultur: „Geschichtsloses Erstarren ... nach 2200.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 70Spengler). Glaubt man Fukuyama, dann könnte die Geschichte im Sinne Hegels bereits 1989 geendet haben (). Peter Sloterdijk sieht in Fukuyamas Werk:
„die Wiedergewinnung einer authentischen politischen Psychologie auf den Grundlagen der wiederhergestellten Eros-Thymos-Polarität. Es liegt auf der Hand, daß eben diese politische Psychologie (die wenig mit der sogenannten »Massenpsychologie« und anderen Anwendungen der Psychonalyse auf politische Objekte zu tun hat) durch den Gang der Dinge ins Zentrum des aktuellen Bedarfs an neuen theoretischen Orientierungen gerückt wurde. .... Die zeitdiagnostische Lektion, die sich in The End of History verbirgt, ist also nicht von dem Titelslogan abzulesen, der, wie bemerkt, nur eine geistreiche Auslegung der Hegelschen Philosophie durch Alexandre Kojève aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zitiert (welcher seinerseits das »Ende der Geschichte« auf das Erscheinungsjahr von Hegels Phänomenologie des Geistes 1807 datiert hatte). Sie besteht in einer aufmerksamen Beobachtung der Prestige- und Eifersuchtskämpfe zwischen Bürgern der »freien Welt«, die gerade dann in den Vordergrund treten, wenn die Mobilisierung der zivilen Kräfte für Kämpfe an äußeren Fronten aufgehört hat. Erfolgreiche liberale »Demokratien«, erkennt der Autor, werden aufgrund ihrer besten Leistungen immer von Strömen frei flottierender Unzufriedenheit durchzogen sein. Dies kann nicht anders sein, weil Menschen zu thymotischer Unruhe verurteilt sind, und »letzte Menschen« mehr als alle übrigen ....“ (Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit - Politisch-psychologischer Versuch, 2006, S. 65-67Sloterdijk).
„Thymos“ ist für Fukuyama „nichts anderes als der psychologische Sitz des Hegelschen Strebens nach Anerkennung“ (Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, 1992, S. 233); dieses ist der „eigentliche Motor der Menschheitsgeschichte“ (ebd., S. 229). Hegelsches Geschichtsbild und platonisch-hegelianische Begriffskonstruktionen, vor allem was eben das Thymotische angeht, sind also die Hauptmerkmale, an denen sich Fukuyama orientiert und aus denen er seine Thesen ableitet, ebenso Sloterdijk in seinem Werk Zorn und Zeit (Untertitel: Politisch-psychologischer Versuch; 2006), und beide, Sloterdijk und Fukuyama, sind auch von Nietzsche, Sloterdijk zusätzlich von Heidegger beeinflußt. Wie Nolte!
„Mit deutlicher Sympathie für die These Ernst Noltes betont Sloterdijk die Vorgängerfunktion des Linksfaschismus gegenüber den faschistischen »Nationalbanken« des Zorns,“ so Jens Bisky, der ebenfalls in Hegel den Grund dafür sieht, daß sowohl Sloterdijk als auch Fukuyama „in gut hegelianischer Wendung“ meinen, Geschichte geschehe „nur in der Form der Tragödie oder des Epos. Die vielen Geschichten, und sei es die, wie mit »hämischer Mittellosigkeit« das World Trade Center zerstört wurde, ergeben keine Geschichte als Weltgericht.“ (Jens Bisky, in: Süddeutsche Zeitung, 04.10.2006Bisky).
Ob das Historiker auch so sehen?  Obwohl: Viele unserer heutigen Historiker sind doch schon gar keine Historiker mehr, sondern nur noch Prediger - Prediger einer Neu-Religion, die ebenfalls bereits seit „1789“ immer mehr dabei ist, sich durchzusetzen. Ob nun aber die seit 1789 unaufhörlich drohende Revolution oder nur der Kommunismus (der ja eine rein westliche Erfindung und laut Sloterdijk ein säkularisierter Katholizismus, ansonsten aber ein linksextremer Totalitarismus als „Antithese“ [Hegel] im Sinne Hegels ist) oder sogar die Geschichte im Sinne Hegels zu Ende gegangen ist oder nicht bzw. „aufgehoben“ (Hegel) im Sinne Hegels ist oder nicht, und ob heute Hegel selbst so voreilig wie manche heutige Zeitgenossen das Ende der Geschichte als Tatsache behaupten würde, darf ja auch bezweifelt werden. Vieles dabei hängt ja nur von der Definition von Geschichte ab. Ich gehöre, was das Thema „Ende der Geschichte“ angeht, zu den weichen Zweiflern und zu den weichen Nicht-Zweiflern, denn: Ich bezweifle nicht so sehr, daß die Geschichte enden wird, sondern viel mehr, daß sie schon 1807 oder 1989 zu Ende gegangen sein soll, wie die „Voreiligen“ behaupten. Ich sage: Die Geschichte wird gar nicht oder frühestens im 21. oder 22. Jh. zu Ende gehen, weil die Zeit davor lediglich eine Vorbereitung auf das Ende der Geschichte bedeutet, d.h.: weil wir noch Zeit dafür brauchen, weil die Zeit zwar schon fast, aber eben noch nicht ganz reif dafür ist. Doch ein Ende der Geschichte ist meiner Meinung nach auf insgesamt 6 Weisen möglich, nämlich als: (1.) zeitlich begrenztes Ende der Geschichte nur für einen bestimmten Kulturkreis, aber ohne Ende dieses Kulturkreises, (2.) zeitlich begrenztes Ende der Geschichte nur für einen bestimmten Kulturkreis mit gleichzeitigem Ende dieses Kulturkreises, (3.) zeitlich begrenztes Ende der Geschichte für alle Menschen, aber ohne Ende der Menschheit, (4.) Ende der Geschichte für alle Menschen, aber ohne Ende der Menschheit, (5.) zeitlich begrenztes Ende der Geschichte für alle Menschen mit gleichzeitigem Ende der Menschheit, (6.) Ende der Geschichte mit gleichzeitigem Ende der Menschheit. Nach meiner Theorie kann also das Ende der Geschichte viermal zeitlich begrenzt (1., 2., 3., 5.) und zweimal endgültig (4., 6.) sein. Der Nummerierung entsprechend sehe ich die Wahrscheinlichkeiten für das Ende der Geschichte.Mehr

Und wie gesagt: Die Geschichte im weiteren Sinne ist eine anthropologische Geschichte und kann deshalb so lange nicht zu Ende sein, wie der Mensch existiert; folglich kann es bei der Frage, ob die Geschichte zu Ende sei oder nicht, nur um die Geschichte im engeren Sinne gehen. (Mehr). Es ist aber noch keines der „historischen Existenzialien“ völlig verschwunden ist, und deswegen kann auch die Geschichte im engeren Sinne noch (noch!) nicht zu Ende sein.HegelSpenglerMehrHuntingtonBeispiel FukuyamaMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehrMehr


NACH OBEN Kausaler Nexus

Schon lange war es Noltes Anliegen, die Unterscheidung zwischen „Revisionen“ als unentbehrlichen Bsetandteilen bzw. Postulaten der Wissenschaft und „Revisionismen“ verschiedener Art herauszuarbeiten. Insbesondere ging es ihm um die Frage, ob ein rationales bzw. kritisches Denken sich gegen die seit den 1960er Jahren immer mächtiger gewordenen Tendenz zu behaupten vermag, die den Holocaust als Einbruch eines außerhistorischen „absoluten Bösen“ betrachtet und daher einen quasi-religiösen Charakter hat.

„Es ist in meinen Augen unzulässig, das antibolschewistische Entsetzen im Falle Hitlers und der anderen führenden Nationalsozialisten für einen bloßen Vorwand zu erklären, ja die These darf nicht von vornherein abgewiesen werden, daß die künftigen Massenmörder in ihren politischen Anfängen von Zorn, Haß und Erbitterung gegenüber aktuellen Massenmördern erfüllt waren und sich weiterhin von diesen Empfinden bestimmen ließen. Die Wendung von den zukünftigen und den aktuellen Massenmördern taucht daher in den Studien und Vorträgen dieses Bandes mehrere Male auf, denn sie ist die unmittelbarste Veranschaulichung jenes »kausalen Nexus«, von dem nicht wenige Autoren behaupten, es habe ihn gar nicht gegeben. In Wahrheit läuft diese Verneinung auf die Behauptung hinaus, das antikommunistische Motiv sei im Nationalsozialismus weiter nichts als grundlose Einbildung oder ein Vorwand gewesen und der »antisemitische« Impuls sei als bloße Wahnvorstellung zu kennzeichnen. Wer das tut, raubt der Geschichte des 20. Jahrhunderts ihr ideelles und reales Gewicht, ja sogar ihre umfassende Schrecklichkeit, die mit polemischer Intention auf eine der mitwirkenden Kräfte beschränkt wird. Damit aber schneiden die Betreffenden sich selbst die Möglichkeit ernsthaften Nachdenkens ab und täuschen sich über den verwirrenden und tragischen Aspekt der Weltgeschichte hinweg, der so häufig den Streit zwischen Recht und Recht oder die Verwandlung von Recht in Unrecht zum Inhalt hatte.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 10-11).

Nolte geht es u.a. um „ein Verständnis des Kampfes von »linkem« und »rechtem« Totalitarismus im 20. Jahrhundert, zwischen denen nicht nur eine grundlegende Differenz, sondern auch ein kausaler Nexus besteht. So läßt sich von bestimmten Aussagen Wittfogels aus leicht die These entwickeln, Faschismus und Nationalsozialismus seien aus der Reaktion gegen den eigentlichen, den kommunistischen Totalitarismus entstanden und sie seien nicht ohne ein gewisses historisches Recht gewesen, das sich freilich in eindeutiges Unrecht verkehrt habe, da aus dem Willen zur totalen Entgegensetzung ein innerer Zwang zu Imitation und Angleichung resultiert habe.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 117).

„An diesem Punkte setzte 1963 »Faschismus in seiner Epoche« () an. Das Buch wurde damals häufig als »Überwindung der Totalitarismustheorie« oder als Wegbereitung für den Marxismus verstanden, aber es wurde von einigen Kritikern auch dem negativen Nationalismus zugerechnet, und es stand jedenfalls der jüdischen Auffassung nahe, da es »Auschwitz« ohne jede Einschränkung als singulär, als »Untat ohnegleichen« kennzeichnet und darin die innerste Konsequenz der nationalsozialistischen Ideologie erblickt. Aber die Judenvernichtung wurde doch in einen bestimmten Kontext gestellt, denn die Definition des Faschismus lautet bekanntlich, er sei »Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet ....« (Ebd., 1963, S. 51). Da der Marxismus der Zeit vor 1917 noch nie einen Gegner vernichtet hatte, ließe sich die Aussage auch so formulieren, zwischen dem Gulag und Auschwitz bestehe ein kausaler Nexus. Dies bedeutete sicherlich einen Schritt über die Parallele zwischen Kulaken und Juden hinaus, die Hannah Arendt gezogen hatte, aber es impliziert keine Leugnung der Singularität von Auschwitz, so wenig es den Begriff des Faschismus als solchen an eine Intention der physischen Vernichtung band, die ja weder im »Frühfaschismus« der Action française noch im Normalfaschismus« Mussolinis vorlag. Gleichwohl stelle ich nicht in Abrede, daß das Bekanntwerden mit der von David Shub zitierten Äußerung Grigorij Sinovjews aus dem Herbst 1918, die Bolschewiki müßten von den 100 Millionen der Einwohner Rußlands 90 für sich gewinnen; mit den restlichen 10 Millionen hätten sie nicht zu reden, sondern sie müßten sie vernichten, den Weg zu jener Formulierung bahnte, die 1986 so viel Anstoß erregte, obwohl sie der Sache nach in der angeführten Definition bereits enthalten war. Erstmals glaubten Kritiker eine Wandlung zu erkennen, als 1974 in »Deutschland und der Kalte Krieg« () die Wendung zu finden war, jeder bedeutende Staat der Gegenwart, der sich ein außerordentliches Ziel setzte, habe »seine Hitlerzeit mit ihren Ungeheuerlichkeiten und ihren Opfern« (ebd., 1974, S. 601) gehabt.“  (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 117-118).

„Um es zu wiederholen: Der kausale Nexus zwischen Gulag und Auschwitz war real ....“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 120).

„Ein »Auschwitz«, das den »Gulag« nicht einbeziehen, sondern verdrängen will, ist eine Lüge. Aber eine nicht minder große Lüge wäre die Annahme, zwischen Gulag und Auschwitz bestehe ein kausaler Nexus von rationaler Art. Die Spannweite zwischen diesen beiden Aussagen gilt es auszuhalten, wenn wir Wissenschaft treiben und uns von Propaganda fernhalten wollen, sei diese Propaganda auch noch so gut gemeint und edelgesinnt. Nur durch immer umfassendere und also weniger einseitige Interpretation auch der Zeitgeschichte werden wir einem gesellschaftlichen System gerecht, das jetzt wieder allen Europäern gemeinsam ist, das einst der Nährboden sowohl der kommunistischen wie der faschistischen Ideologie war und das als es selbst den Drang nach Vollkommenheit und Konfliktlosigkeit nicht erfüllen kann, aber eben deshalb einer so fragilen Realität wie den historischen und politologischen Wissenschaften in Entwurf, Mühsal, Kritik und Selbstkritik eine sonst nirgendwo vorhandene Heimstatt bietet.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, 122-124).

„Heute ist um die Einsicht, so bestürzend sie sein mag, nicht mehr herumzukommen: daß die späteren Massenmörder - Hitler, Goebbels, Himmler - von Schrecken und Zorn über einen früheren großen Massenmord erfüllt waren und daß sogar die exorbitant scheinenden Zahlenangaben Hitlers aus den 1920er Jahren keinesfalls erfunden oder aus der Luft gegriffen waren. Diese Männer waren von derjenigen Empfindung geprägt, welche Lenin und Sinovjew zu Unrecht der ganzen »Bourgeoisie« zuschrieben, nämlich einer »bis zum Wahnsinn reichenden Angst und Erbitterung«; und hier einen »kausalen Nexus« abzustreiten, grenzt selbst an Irrsinn. ().“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 230-231).

„Im übrigen reden gerade die Leute, die sich über meinen »kausalen Nexus« aufregen, dann aber dauernd von dem konterrevolutionären Faschismus, als ob es eine Konterrevolution geben könnte ohne kausalen Nexus mit der Revolution.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 48).

„Es ist geradezu eines der wichtigsten Kennzeichen des Nationalsozialismus, daß hier die Konterrevolution revolutionär geworden ist.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 52).

„Das revolutionäre Element ... ist ... nach meiner Meinung etwas grundlegend Wichtiges. Man kann das bereits vor 1933 daran erkennen, daß Hitler, der ja in den Augen der Marxisten ein Vorkämpfer des Bürgertums war, allerlei negative Aussagen über dieses viel zu liberale und schwache Bürgertum gemacht hat; allerdings nicht, weil er es zerstören wollte, sondern weil in seinen Augen das Bürgenum den Kampf, den es eigentlich hätte führen müssen, zu führen weder willens noch fähig war. Und dieses Antibürgerliche hat sich bei Hitler später dann noch stärker ausgeprägt, ohne sich jedoch wie bei Lenin zum militant Antibürgerlichen auszuwachsen, was auch wahrscheinlich den Sieg von 1933 verhindert hätte. Im übrigen darf man nicht vergessen, daß die Gegenrevolutionäre des frühen 19. Jahrhunderts ja noch weitgehend die Regierungen hinter sich hatten: nach 1815 etwa die Regierungen der Heiligen Allianz. Zwar war die revolutionäre Welle auch damals schon stark und bedrohlich, aber nach 1918 und der Kriegsniederlage sahen die Dinge doch noch einmal ganz anders aus. Aus dieser Situation ergab sich nun, daß, wer einen militanten Widerstand gegen die dem Zeitgeist entsprechende revolutionäre Tendenz leisten wollte, beim Konservativismus nicht stehen bleiben konnte, sondern einen beträchtlichen Veränderungswillen an den Tag legen mußte - und den kann man durchaus revolutionär nennen.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 52-53).

Auf die Frage, warum er einen „empirischen“ von einem „mormativen“ Revolutionsbegriff unterscheide und gegen beide wiederum den Begriff der „Fundamentalrevolution“ absetze, antwortet Nolte: „Man kann zunächst alles revolutionär nennen, was auf illegalem und gewaltsamem Wege erfolgt. So kann z.B. die gewalttätige Machtergreifung Napoleons III. als Revolution in diesem empirischen Sinne bezeichnet werden, denn sie war nicht legal. Von früh auf ist aber im Begriff der Revolution etwas besonders Positives gesehen worden, wovon z.B. der Name Glorious Revolution zeugt. Eigentlich glich diese positive Revolution eher einer Restauration, da sie als Wiederherstellung des richtigen Zustands aufgefaßt wurde. Und dieser Wiederherstellungsgedanke ist in dem normativ gefaßten Revolutionsbegriff immer erhalten geblieben, auch im Marxismus. Hier soll durch die Revolution die Wiederherstellung des Urkommunismus auf höherer Ebene herbeigeführt werden; und so erscheint die Revolution als das Gute, womit jeder sich identifizieren sollte, der die Interessen der Menschheit im Sinn hat. Die Fundamentalrevolution dagegen ist eine Revolution, die wie z.B. die Industrielle Revolution alle Verhältnisse so weitgehend verändert, daß man sie auch negativ, oder zumindest nicht einfach nur positiv, beurteilen kann.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 52-53).

„Wie alle Marxisten nehmen Lukacs und Harich ihre eigene Vernichtungskonzeption als selbstverständlich an oder stellen sie ins Abseits. Aber gemessen an einer so weitgehenden Vernichtung, wie der Marxismus sie im Auge hatte, kann man geradezu von einer Verengung des Vernichtungskonzepts in allen antimarxistischen Bewegungen sprechen. Man muß sich vor Augen halten, daß der Marxismus die bürgerliche Gesellschaft abschaffen wollte; zur bürgerlichen Gesellschaft aber gehört - außer dem Proletariat - alles. Und daß dieser Vernichtungsgedanke, den weder Lukacs noch Harich aufgeben, die Hauptursache von Gegenvernichtungsideen gewesen sein könnte, ist ihnen niemals aufgegangen, sondern beide haben immer das ruhige und bewundernswert gute Gewissen derer gehabt, die allen Grund zu einem unruhigen Gewissen gehabt hätten.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 76-77).

„Das Kommunistische Manifest betreibt ja einerseits geradezu eine Glorifizierung der Bourgeoisie, insofern diese revolutionär ist und noch die entferntesten barbarischen Völker in die Zivilisation hineinreißt. Andererseits aber stellt das Manifest die schärfste Feindschaftserklärung an die Bourgeoisie dar, weil sie in alldem vernichtend ist, nämlich den Untergang traditioneller Lebensformen und das Absinken weiter sozialer Schichten in das Proletariat verursacht. Wenn dieser tiefgreifende Auflösungs- und Verelendungsvorgang schon das Ende der Geschichte wäre, dann wäre der Marxismus weiter nichts als eine negative Vernichtungslehre. Aber die marxistische Revolutionslehre versucht, diesen Untergang als einen Umschlagspunkt zu denken, der zur Wiederherstellung des Urkommunismus mit all seiner wirklichen Menschlichkeit auf einer höheren Stufe führen soll. Das ist indessen nur die halbe Wahrheit, denn gleichzeitig beantwortet der Marxismus die von der industriellen Revolution verursachten sozialen Vernichtungsvorgänge seinerseits mit einer sozialen Vernichtungsdrohung gegen die dafür verantwortliche herrschende Klasse. Aus historisch zweifellos sehr verständlichen Ursachen heraus schließt die Revolutionslehre des Marxismus also von Anbeginn die Ideologie einer Gegenvernichtung in sich.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 85).

„Die Verlagerung des Klassenkampfes auf den Kampf zwischen reichen und armen Ländern kann ... sehr schnell zum Begriff der »proletarischen Nation« führen, der im Grunde ein faschistischer ist und im Kampf aller gegen alle resultiert. Insofern ist für mich im zu Ende gedachten Marxismus der Faschismus tendenziell schon enthalten. Zumindest hebt der Faschismus aus der marxistischen Gesamtkonzeption gerade dasjenige heraus, was vom Klassenkampf zu einem sehr konkreten Nationenkampf oder Völkerkampf führen kann, auch wenn beides natürlich nicht dasselbe ist.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 94).

„Die Hauptprognose des Marxismus war ja, daß die Epoche der Weltrevolution bevorstehe - und die wurde durch das tatsächliche Auftreten des Faschismus praktisch widerlegt. Schon der Titel meines Buches »Der Faschismus in seiner Epoche« () steht ja diesem marxistischen Glauben entgegen, demzufolge es eine faschistische Epoche nie hätte geben dürfen.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 94).

„Einem Bericht Hermann Mörchens zufolge, der ja einer seiner ältesten Schüler war, soll Heidegger um 1931/’32 gesagt haben: der Nationalsozialismus sei die einzige Hoffnung gegen den Kommunismus ....“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 101).


NACH OBEN Liberales System

Das „Liberale System“ ist laut Ernst Nolte u.a. dadurch charakterisiert, daß zu ihm wie selbstverständlich auch der Links-Sozialismus (z.B. Kommunismus, Marximus u.ä.) und der Rechts-Sozialismus (z.B. Faschismus, Nationalsozialismus [„Radikalfaschismus“, so Nolte] u.ä.) gehören. Es enstand mit der abendländischen Kultur ()!

„Erst viel später wurde mir der Begriff des »Liberalen Systems« geläufíg, welches in seinem Ursprung das »europäische System« des Neben- und Miteinanders geschichtlicher Kräfte ist, die zunächst den Gegner vernichten wollen und sich doch damit begnügen müssen, ihn zu schwächen und zurückzudrängen, um dann an seiner Seite einen Platz einzunehmen, der den eigenen Erwartungen nicht entsprach, der aber das Ganze reicher und vielfältiger sein läßt, als der Teil es mit seinem Abolutheitsanspruch je hätte sein können. So erging es dem Protestantismus, der Aufklärung, dem Positivismus und der Lebensphilosophie, und schon in der Einheit des »mittelalterlichen« Katholizismus gab es eine Spaltung oder - besser - eine Differenzierung zwischen Staat und Kirche, zwischen Monarchie und Adel, zwischen Bürgerstädten und Landbevölkerung. Bis in die jüngste Zeit ist keiner dieser Faktoren völlig untergegangen ....“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 340-341). Im „Liberalen System“ sind selbstverständlich auch „Liberalismus“ () und „Liberismus“ () enthalten.

Der Begriff „Liberismus“ „sucht ein bestimmtes Entwicklungsstadium dessen zu fassen, was ich das »Liberale System« genannte habe. »Liberismus« ist ein Entwicklungsmoment dieser vielpoligen Gesellschaft, mit dem der Liberalismus in gewisser Weise totalitär wird. Aber der totalitäre Liberalismus weist grundsätzlich andere Merkmale auf als andere Totalitarismen: er ist hedonistischer Individualismus und damit die Verneinung des Begriffs der Pflicht. Insofern ist der liberale Totalitarismus von präzendenzloser Art.“ (Ernst Nolte, in: JF, 03.07.1998). Der Liberalismus ist ja schon von seinem Anfang an verknüpft mit dem Glauben an den Individualismus und tendiert zum Anarchismus; darum verwundert es nicht, daß er, indem er immer totalitärer wird - als „Liberismus“, so Nolte -, den endgültigen Untergang der Gemeinschaft bedeutet. Darüber hinaus ist der Liberalismus der Grund für sein eigenes Verschwinden, denn er muß ja gemäß seines Selbstverständnisses auch tolerant gegenüber denjenigen sein, die ihn abschaffen.

Das „Liberale System“ trat also „nicht etwa erst ... als »Liberalismus« ins Dasein, sondern hat „seine Wurzeln im Mittelalter, und man darf ohne Bedenken behaupten, daß ... darauf der Begriff der Singularität ... Anwendung finden darf ....“ (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998, S. 475-476).

„Wenn das Christentum so mysterienlos gewesen wäre wie der Islam, hätte sich diese Art von Säkularisierung nicht vollziehen können, ja es ist die Frage, ob eine Gesellschaft, in der Religiosngesetz und Statsgesetz identisch sind, ohne daß die religiöse Lehre »übervernünftig« zu sein beanspruchte, sich überhaupt von sich aus säkularisieren könnte. Die Gesellschaft des Liberalen Systems, so dürfen wir jetzt sagen, ist als die sich selbst säkularisiernde Gesellschaft zu bestimmen. Nur deshalb konnte sie jenen »Fortschrittsglauben« entwickeln, desen Fehlen wir für alle früheren Zeiten konstatiert haben und der in der christlichen Vorstellung vom Gang der Geschichte zwischen Sündenfall und Endgericht bloß partiell präfiguriert war. Nur deshalb, so ist zu vermuten, vermochte sie diejenige Dynamik an den tag zu legen, die als durchdringende Tendenz noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht eindeutig an den Tag getreten war. Nur deshlab schließlich konnten die Emanzipation der Philosophie von der Theologie und die spätere Emanzipation der Wissenschaft von der Philosohie in Emanzipatiosnbewegungen eine Fortsetzung finden, die das Punktuelle jenes vielfältigen »Aufbegeghrens« hinter sich gelassen hatten. Und nur so konnte wohl auch die Idee einer Überwindung der Geschichte durch Aktivität und Wissenschaft zustande kommen, die sich von der Vorstellung einer Überwindung durch den Kampf für den einheitsstiftenden Glauben, wie im Islam, und von dem Wunsch nach Auslöschung der Individualität durch Askese im buddhistischen Nirwana so deutlich unterscheidet.“ (Ernst Nolte, Historische Existenz , 1998, S. 483-484).

„Individualismus war zweifellos die eigenartigste und subtilste Frucht der Gesellschaftsordnung des Liberalen Systems, das von Anfang an durch die christliche Konzeption vom »unendlichen Wert der Menschenseele« geprägt war und schon im Mittelalter, aber vornehmlich in der Reformation und in der Renaissance Individuen hervorgebracht hatte, die sich mit einem Selbstbewußtsein und einem Trotz den herrschenden Normen und Geboten entgegenstellten, wie es in allen anderen Kulturen unvorstellbar war, welche durchweg in weit höherem Maße gemeinschaftsorientiert waren und die Ergebung in Gottes Willen - nichts anderes heißt »Islam« - zur obersten Regel machten.“ (Ernst Nolte, Historische Existenz , 1998, S. 620).

Die Entwicklung „von der theoretischen zur praktischen Transzendenz vollzog sich ursprünglich in der europäischen Geschichte. Heute scheint die einzigartige Blüte dieser Geschichte, der Liberalismus (), als Liberismus () die Alleinherrschaft gewonnen zu haben und die Individuen sogar von derjenigen Gattungshaftigkeit zu emanzipieren, die in den Wandlungen der Geschichte zwar verändert und geschwächt, aber nie in ihrem Kern angegriffen worden war. Die liberistische Gesellschaft ist höchst komplex, aber sie ist vor allem eine Gesellschaft ohne Kinder, d.h. ohne eine zur Selbsterhaltung ausreichende Zahl von Kindern. Es ist nicht nur das in der us-amerikanischen Verfassung als Grundrecht verankerte »Streben nach Glück«, das vielen modernen Individuen die Erzeugung und das Aufziehen von Kindern als unzumutbar erscheinen läßt, sondern es ist eine im uralten Egalitätsverlangen erst jetzt hervortretende Tendenz, die immer noch sehr ungleichmäßige Belastung von Frauen und Männern als Ungerechtigkeit zu bekämpfen und möglichst »abzuschaffen«.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 286).

„Wer in meinem Denkversuch, demjenigen eines »bürgerlichen Intellektuellen« und selbstkritischen Angehörigen der Gesellschaft des »Liberalen Systems«, eine Bagatellisierung oder gar Propagierung des Nationalsozialismus sieht, wie Marcel Reich-Ranicki es tut, stellt damit, wie ich meine, nur den Mangel an Bereitschaft unter Beweis, sich auf wissenschaftlich notwendige Unterscheidungen einzulassen. Nicht weniger gedankenlos sind diejenigen, die mir ein »Eintreten für die radikale Rechte« zum Vorwurf machen; sie haben nicht zur Kenntnis genommen, daß es schon im »Faschismus in seiner Epoche« () für das singuläre Hauptkennzeichen des Liberalen Systems erklärt wird, es lasse auch den grundsätzlichen, den »systemfeindlichen« Gegner zu Wort kommen, freilich nicht zur Tat.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 235).

„An Liberalismus sterben die Völker.“ (Arthur Moeller van den Bruck). „ Das ist viel angegriffen worden, denn daß Adolf Hitler eine ähnliche Überzeugung hatte, unterliegt keinem Zweifel. Allerdings sind auch unsere heutigen Multikulturalisten dieser Überzeugung, nur daß sie etwas Positives darin sehen und sogar die Idee einer nationalen Leitkultur als reaktionär zurückweisen. Dabei ist schon der Begriff der »Leitkultur« im Grunde lächerlich. In Deutschland herrschte vor hundert Jahren keine deutsche Leitkultur, sondern schlicht die deutsche Kultur, und zahlreiche Juden waren ihre stärksten Anhänger. Man stelle sich einmal vor, in Israel würde es Diskussionen über die Legitimität einer jüdischen Leitkultur geben. Dort herrscht ganz selbstverständlich die jüdische Kultur und Religion. Im gegenwärtigen Deutschland dagegen ist der »Tod der Völker« zu einem positiven Ziel für eine gar nicht unwichtige Gruppe geworden. Moeller van den Bruck hatte, wenn man seine Aussage einschränkt und erläutert, in der Sache also durchaus recht - ganz unabhängig von dem Umstand, daß er ihn mit einem negativen Akzent versehen hat, der sich damals von selbst verstand und der heute weitgehend ein positiver geworden ist.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 55-56).

„Im übrigen bin ich gar kein Apologet, nicht einmal ein Anhänger des Liberalen Systems, denn ich sehe es nicht als etwas an, was bis in alle Ewigkeit grundlegend dasselbe bleibt und immer verteidigt werden sollte. Das Liberale System - das in seinen Grundzügen schon im Mittelalter erkennbar war, etwa in der Distanz zwischen Kaiser und Papst sowie der relativen Selbständigkeit der Städte u.s.w. - ist für mich einfach dasjenige, was man heute Pluralismus nennt; und ich verteidige es nicht deshalb, weil ich im Pluralismus einen Wert an sich sehen würde, sondern weil darin etwas möglich ist, was in nichtliberalen Gesellschaften höchstens zu besonderen Zeiten zustandekommt, nämlich, daß Kritik und auch Selbstkritik geübt werden kann. Ich bin davon überzeugt, daß ein totalitäres System nur für kurze Zeit große Erfolge erringen kann und dann sehr bald versteinert, so daß es für die historische Entwicklung im Grunde nichts mehr bringt. Es geht mir also weniger um politische Verteidigung als um historisches Verstehen. Ich verteidige das Liberale System nur gegen die manchmal eindrucksvolle Erscheinung totalitärer Bewegungen, aber nicht weil ich es der Kritik entziehen möchte.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 58).

„Wenn Transzendenz das Wesen des Menschen ist und wenn es eine hohe Ehre bedeutet, den Widerstand dagegen verneint zu haben, ist dann nicht die ganze gegenwärtige Kritik an der »Globalisierung« dem nationalsozialistischen Widerstand homolog und würde dadurch dieser Widerstand nicht im nachhinein gerechtfertigt oder mindestens verständlich? Aber die heutigen Feinde der Globalisierung wollen ja nur eine andere Globalisierung und glauben, bloß einen untergeordneten Aspekt zu kritisieren, für den sie Termini wie »kommerziell« oder »amerikanisch« verwenden. Die Dinge nehmen sich abermals anders aus, wenn man, wie ich es tue, »theoretische« und »praktische« Transzendenz unterscheidet und in der Transzendenz insgesamt zwar »das Wesen des Menschen«, aber nicht »etwas Menschliches« sieht. Sie kann also den Menschen auch »über sich selbst« hinaustreiben, und diese Grundtatsache wurde nach mancherlei Denkansätzen erstmals im Jahr 1945 anschaulich, als plötzlich die Überzeugung fast allgemein wurde, die Entwicklung der Technik könne die Selbstvernichtung der Menschheit zur Folge haben. .... Nichts zog nach 1945 die Aufmerksamkiet so sehr auf sich wie dasjenige, was ich 1963 »praktische Transzendenz« nannte und was heute unter dem begriffslosen Terminus »Globalisierung« entweder glorifiziert oder verdammt wird.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 71-72).

„Der Nationalsozialismus war eben ein vielschichtiges, sogar ein in sich weithin gegensätzliches Phänomen. Schon im »Faschismus in seiner Epoche« () habe ich geschrieben, daß auch der »Widerstand gegen Transzendenz« Transzendenz in sich brigt und ohne dieses In-sich-Bergen gar nicht das sein könnte, was er ist.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 73).

„Was sind das für Menschen, die gegen rechts in dem Sinne polemisieren, daß sie eine Rechte überhaupt nicht akzeptieren wollen. Das sind doch totalitäre Gedanken, die der Idee einer pluralistischen Demokratie, die man sonst so hoch erhebt, direkt widersprechen. Schon darum muß man mit der Rechten sympathisieren, denn mit ihr verschwände ein Wesenselement der liberalen Gesellschaft. Das ist natürlich einer der Gründe dafür, daß ich als Rechter oder sogar als radikaler Rechter angegriffen werden kann, denn ich finde, daß die Existenz der Rechten einem jeden, der das Liberale System bejaht, selbstverständlich sein müßte. Aber offenbar befinden wir uns bereits in einer Übergangsphase von der liberalen in eine »liberistische« Gesellschaft, in welcher der gesellschaftliche Zusammenhalt sich auflöst und es überhaupt keine Gemeinsamkeiten mehr gibt. Eine solche liberistische Gesellschaft wird daher als extrem individualistische in einem noch intensiveren Sinne antikommunistisch sein als es der Faschismus gewesen ist. Aber am Ende wird sie selber nicht mehr lebensfähig sein, einfach weil keine Gesellschaft auf rein individualistischer Grundlage existieren kann. ().“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 121-122).

„Es ist schließlich ein Hauptkennzeichen eines richtig beschaffenen Liberalen Systems, daß radikale Forderungen durch die Vermittlung der gemäßigten Parteien eine unvollkommene Realisierung finden. Denn eine vollkommen radikale oder revolutionäre Politik kann kein vernünftiger Mensch wollen. In einer Situation wie der gegenwärtigen aber, wo ganz offen und offiziell gegen Deutschland als Nationalstaat Propaganda gemacht wird, sollte man sich nicht wundern, daß diese machtvolle und geradezu vorherrschende Tendenz zur Abschaffung des Nationalstaats, die auch in der CDU Vorkämpfer findet, auf Widerstand stößt. Und dieser Widerstand ist insofern auf jeden Fall positiv zu bewerten, als der Europäismus, der ursprünglich einen guten Kern hatte, inzwischen selber einen so überschießenden Charakter angenommen hat, daß er über Europa hinausgreift und damit fast schon die Unersättlichkeit von früheren großen Imperien an den Tag legt. Nur wird das heute nicht mehr mit Gewaltdrohungen durchgesetzt, sondern im Gegenteil: die Leute kommen von selbst und drängen sich heran, weil Zahlungen zu erwarten sind, die zu einem ganz erheblichen Teil von Deutschland geleistet werden. (Deutschland leistet den mit weitem Abstand größten Teil! HB ). Insofern ist Deutschland faktisch die ökonomische Einigungskraft, nur eben nicht unter einem im politischen Sinne deutschen Vorzeichen - was allgemeinen Widerstand hervorrufen würde -, sondern unter europäischen oder multikulturellen Vorzeichen. Jedenfalls sollte es gegen diese mächtige und durchaus auch positive Elemente beinhaltende europäische Tendenz Opposition geben dürfen; sonst stimmt hier irgendetwas nicht. Und solange eine nahestehende Volkspartei nicht ihre Hand darüber hält, ist es unvermeidlich, daß eine solche Opposition sich auch auf radikale Weise bemerkbar macht, da sie sich ohne Radikalität gar nicht bemerkbar machen kann. Darin sollte man weniger einen Grund zur Empörung sehen als einen Anlaß, die richtigen Konsequenzen zu ziehen: Gewisse Oppositionshaltungen dürfen nicht in einen kaum noch, es sei denn als Sensation, wahrnehmbaren Rand abgedrängt werden. Unter der Voraussetzung, daß es sich bei den Radikalen noch um ernstzunehmende Menschen handelt, sollten sie eine Stätte finden, die es ihnen ermöglicht, den rationalen Kern ihrer Opposition darzulegen und auch argumentativ zu vertreten - und vielleicht sogar teilweise durchzusetzen.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 125-126).

„Die SA-Männer hatten nicht den Charakter, der von vornherein abstoßend wirkte wie derjenige der NPD-Leute von heute. Die wenigsten hatten ein Aussehen, das den Bürger erschreckte; es waren Menschen, die vom allgemeinen Bild nicht allzusehr abwichen. Die braunen Uniformen dürften zwar schon wegen der Farbe manchen unangenehm berührt haben, aber unter den braunen Mützen waren doch im großen und ganzen normale deutsche Gesichter zu sehen. Ich erinnere mich, daß ein bekannter Historiker zu mir sagte: »Wenn ein Lastwagen vorbeikam, der mit SA-Leuten besetzt war, nachdem zuvor ein Wagen voller Rotfrontkämpfer vorbeigefahren war, fühlte man sich beschützt.« Eine der wichtigsten Ursachen für den Erfolg des Nationalsozialismus war gerade dies, daß weder die SA- noch die SS-Männer als Außenseiter oder Barbaren auftraten wie die Glatzköpfe heute. Denn zu behaupten, eine von Anfang an als verbrecherisch erkennbare Bewegung hätte in freien Wahlen ein Drittel der Stimmen eines großen Volkes gewinnen können (), das ... als die wissenschaftlich führende Weltmacht () galt, ist absurd. Dann müßte man schon das ganze deutsche Volk als verbrecherisch bezeichnen, und das wäre in meinen Augen grotesk. Die Deutschen konnten nur unter ganz bestimmten Umständen dazu kommen, einer erst auf den zweiten oder dritten Blick als verbrecherisch erkennbaren Bewegung ihre Zustimmung zu geben. Ich bin in derTat nicht gewillt, meine eigenen Eltern und die zahllosen Menschen ihresgleichen in einer Weise zu bekämpfen und geistig herabzuwürdigen, wie das eine jüngere Generation gegenüber einer älteren Generation von Deutschen getan hat. Insofern habe ich tatsächlich von Anfang an eine Gegenposition zu der aufkommenden und dann geradezu als Generationenvertrag sich erweisenden deutschen- und nationalstaatsfeindlichen Haltung eingenommen.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk, 2005, S. 126-128).

„Für mich ist die grundlegende Kategorie die praktische Transzendenz, die den materiellen Fortschritt, aber auch geistige Rückschritte möglich macht.“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

„Es geht darum, den Menschen als denkendes und damit über sich selbst hinausgehendes Wesen zu begreifen. Schon die Frühmenschen haben die theoretische Transzendenz gekannt, indem sie die Sonne, den Mond nicht einfach zur Kenntnis genommen haben, sondern vom Mondgott, vom Sonnengott sprachen, zu dem man in Beziehung treten kann. Das ist die theoretische Transzendenz, ohne die es eine praktische Transzendenz als Ausweitung der menschlichen Wirkungsmöglichkeiten auf der Erde nicht geben könnte. Transzendenz bringt keinen automatischen Fortschritt, sie ist das Hauptkennzeichen des endlichen Menschen und, wie ich einmal formuliert habe, zugleich »sein Thronsessel und sein Marterholz«. Man könnte diese Wendung ein Heideggersches Einsprengsel in meiner Arbeit nennen. Aber dahinter steht die Überlegung: Könnte Transzendenz, die Fähigkeit zur Selbstüberschreitung, eine Gefahr für den Menschen selber werden? Diese Frage hängt zusammen mit einem uralten philosophischen Konzept, daß nämlich ein endliches Wesen, das durch Transzendenz gekennzeichnet ist, also durch die Möglichkeit der Unendlichkeit, diese seine Endlichkeit im Streben nach Unendlichkeit zerstört. Der Mensch will Gott werden. Wenn man das säkular denkt, nicht mystisch, könnte man sagen, die Auszeichnung durch die Transzendenz könnte zur Katastrophe des endlichen Wesens Mensch werden.“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

„Im Kern ging es mir immer um diese Frage der Transzendenz und damit verbunden um die Frage, ob sich der Mensch, indem er sich überschreitet, am Ende selber abschaffen könnte. ().“ (Ernst Nolte, Religion vom absoluten Bösen, 2006).

 

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Anmerkungen:


Erläuterung der Nolte-Tabelle () - Denk-Biographie von Ernst Nolte (1923-2016 ):
1. „Stadium“ („Winter“ - 1923-1941) und seine 3 „Stufen“: Noltes frühe Kindheit (1. Stufe); Grundschulzeit (2. Stufe); Gymnasialzeit (3. Stufe), also bis zum Übergang von der Schule zur Universität (1941).
2. „Stadium“ („Frühling“ - 1941-1963) und seine 3 „Stufen“: Noltes Studienzeit von 1941 bis 1945 (4. Stufe); die Zeit von seinem Beruf als Gymansiallehrer bis zu seiner Promotion, also die Zeit von 1945 bis 1952 (5. Stufe); von seiner Promotion bis zu seinem Bekanntwerden durch das Erscheinen seines ersten Hauptwerkes Der Faschismus in seiner Epoche, also die Zeit von 1952 bis 1963 (6. Stufe).
3. „Stadium“ („Sommer“ - 1963-1986) und seine 3 „Stufen“: Noltes erstes Hauptwerk Der Faschismus in seiner Epoche bis zum Erscheinen seines Buches Die Krise des liberalen Systems und die faschistischen Bewegungen, also die Zeit von 1963 bis 1968 (7. Stufe); vom Erscheinen seines Buches Die Krise des liberalen Systems und die faschistischen Bewegungen bis zum Erscheinen seines FAZ-Artikels Zwischen Geschichslegende und Revisionismus?  also die Zeit von 1968 bis 1980 (8. Stufe); vom Erscheinen seines FAZ-Artikels Zwischen Geschichslegende und Revisionismus? bis zum Erscheinen des FAZ-Artikels Die Vergangenheit, die nicht vergehen will, der den sogenannten „Historikerstreit“ () auslöste, also die Zeit von 1980 bis 1986 (9. Stufe).
4. „Stadium“ („Herbst“ - 1986- ?  ) und seine 3 „Stufen“: Noltes FAZ-Artikel Die Vergangenheit, die nicht vergehen will, der den sogenannten „Historikerstreit“ () auslöste, bis zum Erscheinen seines Buches Streitpunkte, also die Zeit von 1986 bis 1993 (10. Stufe); vom Erscheinen seines Buches Streitpunkte bis zum Erscheinen seines Buches Historische Existenz, also die Zeit von 1993 bis 1998 (11. Stufe); vom Erscheinen seines Buches Historische Existenz bis ?,  also die Zeit von 1998 bis ?   (12. Stufe).

Ernst Nolte (1923-2016). Vgl. seine Werke: Nolte


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