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Mittelwahl

Gudrun Brune Text von Gudrun Brune Gudrun Brune

Zwei Menschen mit den gleichen Krankheitssyptomen können verschiedene homöopathische Mittel brauchen. Dazu ein Beispiel:

Ein Patient kommt in meine Praxis, weil er ständig unter Magenschmerzen leidet. Durch meine Befragung finde ich heraus, daß er meistens gegen 11 Uhr morgens einen regelrechten Heißhunger hat; wenn er dann nichts isst, fühlt er sich schwach, bekommt eventuell Kopfschmerzen und sein Allgemeinbefinden verschlechtert sich deutlich. Ihm ist im allgemeinen warm, besonders nachts an Händen und Fußsohlen; außerdem liebt er Süßigkeiten. Während des Gesprächs bekomme ich den Eindruck, daß er sehr gerne über sich redet und sich auch gern selbst reden hört.

Dies wären nun alles Symptome,die typisch für eine Vergiftung mit Sulfur (Schwefel) sind, d.h. Sulfur kann solche Symptome auslösen, wenn er in großer Dosis eingenommen wird. Sollte sich das Sulfur-Bild während des Gespräches noch verstärken, werde ich dem Patienten Sulfur in einer homöopathischen, stark verdünnten Dosis verschreiben.

Ein anderer Patient kommt in meine Praxis mit der gleichen Art von Magenschmerzen wie der Patient aus dem ersten Beispiel. Während des Erstgesprächs bekomme ich einen Eindruck von seiner psychischen Situation, die sich deutlich von der des ersten Patienten unterscheidet: Es handelt sich hier vielleicht um eine Frau, die „nah ans Wasser gebaut hat“, d.h. sie weint oft und fühlt sich danach auch besser. Sie ist etwas melancholisch, sehr gefühlsbetont, manchmal kindisch und hängt sehr an ihrer Familie. Ihre Launen wechseln ständig. Ich erfahre von ihr, daß sie fettes Essen nicht mag und auch nicht verträgt und daß sie oft ein großes Bedürfnis nach frischer Luft hat.

Nun gebe ich dieser Frau nicht das gleiche Mittel wie dem ersten Patienten. Sie ist von Charakter und Gewohnheiten her ein ganz anderer Typ. Ich ziehe Pulsatilla als mögliches Mittel in Betracht, die Küchenschelle in homöopathischer Aufbereitung, die oft bei Frauen dieses Typs Anwendung findet.

Die meisten Fälle, die der homöopathisch arbeitende Therapeut bekommt, sind jedoch nicht so leicht zu lösen wie die beiden hier beschriebenen, denn diese zeigen sehr typische Symptome der beiden gewählten Medikamente. Mittlerweile gibt es über 1500 geprüfte homöopathische Medikamente, und bei den meisten Patienten ist es nicht so einfach, ein klares Bild ihrer Symptome zu erhalten. Der Homöopath muß bei jeder Krankheitsschilderung eine Menge zwischen den Zeilen lesen können und auf jede Kleinigkeit achten, um wirklich typische Symptome für ein bestimmtes Mittel zu erkennen.

Alle möglichen Krankheitssymptome plus der Information 200-jähriger klinischer Erfahrung werden in zwei Arten von Nachschlagewerken festgehalten:

a) in der MATERIA MEDICA, in der die Arzneimittelbilder fast aller homöopathischen Mittel beschrieben sind und

b) im REPERTORIUM, in dem alle Symptome, die Menschen je an sich beobachtet haben bis ins kleinste Detail aufgeführt sind - und die Mittel, die die jeweiligen Symptome hervorbringen.

ein weiteres Beispiel:

Ein Patient kommt mit einem sehr trockenen Husten zu mir. Ich sehe im Repertorium unter dem Symptom „trockener Husten“ nach und finde dort etwa 250 verschiedene Mittel, die einen solchen Husten auslösen können (und ihn somit auch in homöopathischer Dosis heilen können). Welches ist nun das richtige Mittel für meinen Patienten? Bei der weiteren Befragung stellt sich heraus, daß der Patient sich in jeder Beziehung besser fühlt, wenn er im Auto fährt....

Wenn ich nun wiederum im Repertorium das Symptom „besser beim Fahren im Wagen“ nachschlage, dann finde ich nur fünf Mittel, die diese Eigenschaft haben bzw. auslösen. Nun sehe ich wieder nach, welches dieser fünf Mittel auch bei den Mitteln auftaucht, die den trockenen Husten heilen können. Dann muß ich herausfinden, ob dieses (diese) Mittel auch zur persönlichen Krankengeschichte des Patienten paßt, zu seinem Charakter, seiner Erscheinung und seinen anderen physischen und psychischen Merkmalen. Ich verschreibe dann das Mittel, dessen Eigenschaften (Arzneimittelbild) dem Krankenbild des Patienten am ähnlichsten ist.

Das grenzt ein bißchen an Detektivarbeit. Das Besondere, was der Homöopath dabei zu leisten hat, besteht darin, unter allen Symptomen, die der Kranke ihm erzählt, die herauszufinden, die wirklich außergewöhnlich sind. Lange Zeit waren die beiden oben genannten Nachschlagewerke die Hauptwerkzeuge des klassischen Homöopathen. Heute kann die Kombination aller genannten Symptome zu einem vollständigen Bild natürlich von Computern geleistet werden.

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