Soll
für die Seinsfrage selbst die Durchsichigkeit ihrer eigenen Geschichte gewonnen
werden, dann bedarf es der Auflockerung der verhärteten Tradition und der
Ablösung der durch die gezeitgten Verdeckungen. Diese Aufgabe verstehen wir
als die am Leitfaden der Seinsfrage sich vollziehende Destruktion
der überlieferten Bestandes der antiken Ontologie auf die ursprünglichen
Erfahrungen, in deren die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen
wurden.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 22 |
Dieser
Nachweis der Herkunft der ontologischen Grundbegriffe, als untersuchende Ausstellung
ihres »Geburtsbriefes« für sie, hat nichts zu tun mit einer schelchten
Relativierung ontologischer Standpunkte..Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 22 |
Die
Destruktion hat ebenso wenig den negativen Sinn einer Abschüttelung
der ontologischen Tradition. Sie soll umgekehrt diese in ihren positiven Möglichkeiten,
und das besagt immer, in ihren Grenzen abstecken, die mit der jeweiligen Fragestellung
und der aus dieser vorgezeichneten Umgrenzung des möglichen Feldes der Untersuchung
faktisch gegeben sind.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 22 |
Das
ontisch Nächste und Bekannte ist das ontologisch Fernste, Unerkannte und
in seiner ontologischen Bedeutung ständig Übersehene.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 43 |
Die
Idee der »Transzendenz«, daß der Mensch etwas sei, das über
sich hinauslangt, hat ihre Wurzeln in der christlichen Dogmatik ....Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 49 |
Leben
ist eine eigene Seinsart, aber wesenhaft nur zugänglich im Dasein.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 50 |
Dasein
ist Seiendes, das sich in seinem Sein verstehend zu diesem Sein verhält.
Damit ist der formale Begriff von Existenz angezeigt. Dasein existiert. Dasein
ist ferner Seiendes, das je ich selbst bin. Zum existierenden Dasein gehört
die Jemeingkeit als Bedingung der Möglichkeit von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit.
Dasein existiert je in einem dieser Modi, bzw. in der modalen Differenz ihrer.
Diese Daseinsbestimmungen müssen nun aber a priori auf dem Grunde der Seinsverfassung
gesehen und verstanden werden, die wir das In-der-Welt-sein nennen. Der
rechte Ansatz der Analytik des Daseins besteht in der Auslegung dieser Verfassung.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 52-53 |
Der
zusammengesetzte Ausdruck »In-der-Welt-sein« zeigt schion in seiner
Prägung an, daß mit ihm ein einheitliches Phänomen gemeint
ist. Dieser primäre Befund muß im Ganzen gesehen werden. Die Unauflösbarkeit
in zusammenstückbare Bestände schließt nicht eine Mehrfältigkeit
konstitutiver Strukturmomente dieser Verfassung aus. Der mit diesem Ausdruck angezeigte
phänomenale Befund gewährt in der Tat eine dreifache Hinblicknahme.
Wenn wir ihm unter vorgängiger Festhaltung des ganzen Phänomens nachgehen,
lassen sich herausheben: 1. Das »in der Welt«; in bezug auf
dieses Moment erwächst die Aufgabe, der ontologischen Struktur von »Welt«
nachzufragen und die Idee der Weltlichkeit als solcher zu bestimmen. 2.
Das Seiende, das je in der Weise des In-der-Welt-seins ist. Gesucht wird
mit ihm das, dem wir im »Wer?« nachfragen. In phänomenologisdier
Aufweisung soll zur Bestimmung kommen, wer im Modus der durchsdinittlidten Alltäglichkeit
des Daseins ist. 3. Das In-Sein als solches; die ontologisdie Konstitution
der Inheit selbst ist herauszustellen. Jede Hebung des einen dieser Verfassungsmomente
bedeutet die Mithebung der anderen, das sagt: jeweilig ein Sehen des ganzen Phänomens.
Das In-der-Welt-sein ist zwar eine apriori notwendige Verfassung des Daseins,
aber längst nicht ausreichend, um dessen Sein voll zu bestimmen. Vor der
thematisdien Einzelanalyse der drei herausgehobenen Phänomene soll eine orientierende
Charakteristik des zuletzt genannten Verfassungsmomentes versucht werden.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 53 |
In-Sein
... meint eine Seinsverfassung des Daseins und ist ein Existenzial. Dann
kann damit aber nicht gedacht werden an das Vorhandensein eines Körperdings
(Menschenleib) »in« einem vorhandenen Seienden. Das In- Sein meint
so wenig ein räumliches »Ineinander« Vorhandener, als »in«
ursprünglich gar nicht eine räumliche Beziehung der genannten Art bedeutet
(vgl. Jacob Grimm, Kleinere Schriften, Band VII, S. 247); »in«
stammt von innan-, wohnen, habitare, sich aufhalten; »an« bedeutet:
ich bin gewohnt, vertraut mit, ich pflege etwas; es hat die Bedeutung von colo
im Sinne habito und diligo. Dieses Seiende, dem das In-Sein in dieser Bedeutung
zugehört, kennzeichneten wir als das Seiende, das ich je selbst bin. Der
Ausdruck »bin« hängt zusammen mit »bei«; »ich
bin« besagt wiederum: ich wohne, halte mich auf bei ... der Welt, als dem
so und so Vertrauten. Sein als Infinitiv des »ich bin«, d.h. als Existenzial
verstanden, bedeutet wohnen bei ..., vertraut sein mit .... In-Sein ist demnach
der formale existenziale Ausdruck des Seins des Daseins, das die wesentliche Verfassung
des In-der-Welt-Seins hat. Das »Sein bei« der Welt, in dem noch
näher auszulegenden Sinne des Aufgehens in der Welt, ist ein im In-Sein fundiertes
Existenzial.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 54 |
Das
Dasein hat selbst ein eigenes »Im-Raum-sein«, das aber seinerseits
nur möglich ist auf dem Grunde des In-der-Welt-seins überhaupt.
.... Das Verständnis des In-der-Welt-seins als Wesensstruktur des Daseins
ermöglicht erst die Einsicht in die existenziale Räumlichkeit
des Daseins.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 56 |
»Besorgen«
in der vorliegenden Untersuchung als ontologischer Terminus (Existenzial) ...
als Bezeichnung des Seins eines möglichen In-der-Welt-seins. Der Titel ist
nicht deshalb gewählt, weil etwa das Dasein zunächst und in großem
Ausmaß ökonomisch und »praktisch« ist, sondern weil das
Sein des Daseins selbst als Sorge sichtbar gemacht werden soll.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 57 |
Weil
zu Dasein wesenhaft das In-der-Welt-sein gehört, ist sein Sein zur Welt wesenhaft
Besorgen.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 57 |
Erkennen
ist ein Seinsmodus des Daseins als In-der-Welt-sein .... Erkennen ist ein im In-der-Welt-sein
fundierter Modus des Daseins.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 61-62 |
Natur
ist - ontologisch-kategorial verstanden - ein Grenzfall des Seins von möglichem
innerweltlichen Seienden. Das Seiende als Natur in diesem Sinne kann das Dasein
nur in einem bestimmten Modus seines In-der-Welt-seins entdecken. Dieses Erkennen
hat den Charakter einer bestimmten Entweltlichung der Welt.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 65 |
»Natur«
als der kategoriale Inbegriff von Seinstrukturen eines bestimmten innerweltlich
begegnenden Seienden vermag nie Weltlichkeit verständlich zu machen.
Ebenso ist auch das Phänomen »Natur« etwa im Sinne des Naturbegriffes
der Romantik erst aus dem Weltbegriff, d.h. der Analytik des Daseins her ontologisch
faßbar.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 65 |
Das
In-der-Welt-sein und sonach auch die Welt sollen im Horizont der durchschnittlichen
Alltäglichkeit als der nächsten Seinsart des Daseins zum Thema der Analytik
werden. Dem alltäglichen In-der-Welt-sein ist nachzugehen, und im phänomenalen
Anhalt an dieses muß so etwas wie Welt in den Blick kommen.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 66 |
Das
Ent-fernen ist zunächst und zumeist umsichtige Näherung, in die Nähe
bringen als beschaffen, bereitstellen, zur Hand haben. Aber auch bestimmte Arten
des rein erkennenden Entdeckens vom Seienden haben den Charakter der Näherung.
Im Dasein liegt eine wesenhafte Tendenz auf Nähe.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 105 |
Das
ontologisch relevante Ergebnis der ... Analyse des Mitseins liegt in der
Einsicht, daß der »Subjektcharakter« des eigenen Daseins und
der Anderen sich existenzial bestimmt, das heißt aus gewissen weisen zu
sein. Im unweltlich Besorgten begegnen die Anderen als das, was sie sind: sie
sind das, was sie betreiben. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 116 |
Die
»Substanz« des Menschen ist nicht der Geist als die Synthese
von Leib und Seele, sondern die Existenz. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 117 |
W.
von Humboldt (Über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit den pronomen
in einigen Sprachen, 1829, a.a.O.) hat auf Sprachen hingewiesen, dei das »Ich«
durch »hier«, das »Du« durch »da«, das »Er«
durch »dort« ausdrücken, die demnach - grammatisch formuliert
- die Personalpronomen durch Ortsadverbien wiedergeben. Es ist strittig, welches
wohl die ursprüngliche Bedeutung der Ortsausdrücke sei, die adverbiale
oder die pronominale. Der Streit verliert den Boden, wenn beachtet wird, daß
die Ortsadverbien Bezug haben auf das Ich qua Dasein. Das »hier«,
»dort« und »da« sind primär keine Ortsbestimmungen
des innerweltlichen an Raumstellen vorhandenen Seienden, sondern Charaktere der
ursprünglichen Räumlichkeit des Daseins. Die vermutlichen Ortsadverbien
sind Daseinsbestimmungen, sie haben primär existenziale und nicht kategoriale
Bedeutung. Sie sind aber auch keine Pronomina, ihre Bedeutung liegt vor der Differenz
von Ortsadverbien und Personalpronomina; die eigentlich räumliche Daseinsbedeutung
dieser Ausdrücke dokumentiert aber, daß die theoretisch unverborgene
Daseinsauslegung dieses unmittelbar in seinem räumlichen, das ist ent-fernend-ausrichtenden
»Sein bei« der besorgten Welt sieht. Im »hier« spricht
das in seiner Welt aufgehende Dasein nicht auf sich zu, sondern von sich weg auf
das »dort« eines umsichtig Zuhandenen und meint doch sich in
der existenzialen Räumlichkeit. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 119-120 |
Dasein
versteht sich zunächst und zumeist aus seiner Welt, und das Mitsein der Anderen
begegnet vielfach aus dem innerweltlich Zuhandenen her. Aber auch wenn die Anderen
in ihrem Dasein gleichsam thematisch werden, begegnen sie nicht als vorhandene
Persondinge, sondern wir treffen sie »bei der Arbeit«, das heißt
primär in ihrem In-der-Welt-sein. Selbst wenn wir den Anderen »bloß
herumstehen« sehen, ist er nie als vorhandenes Menschending erfaßt,
sondern das »Herumstehen« ist ein existenzialer Seinsmodus: das unbesorgte,
umsichtslose Verweilen bei Allem und keinem. der Andere begegnet in seinem Mitdasein
in der Welt. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 120 |
Wenn
das Mitsein für das In-der-Welt-sein existenzial konstitutiv bleibt, dann
muß es ebenso wie der umsichtige Umgang mit dem innerweltlich Zuhandenen,
das wir vorgreifend als Besorgen bezeichneten, aus dem Phänomen der Sorge
interpretiert werden, als welche das Sein des Daseins überhaupt bestimmt
wird. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 121 |
In
der Struktur der Weltlichkeit liegt es, daß die Anderen nicht zunächst
als freischwebende Subjekte vorhanden sind ..., sondern in ihrem umweltlichen
besorgenden Sein in der Welt aus dem in dieser Zuhandenen her sich zeigen
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 123 |
Im
Seinsverständnis des Daseins liegt schon, weil das Sein Mitsein ist, das
Verständnis Anderer. Diese verstehen ist, wie Verstehen überhaupt, nicht
eine aus Erkennen erwachsene Kenntnis, sondern eine ursprünglich existenziale
Seinsart, die Erkennen und Kenntnis allererst möglich macht. Das Sicherkennen
gründet in dem ursprünglich verstehenden Mitsein. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 123-124 |
Die
Analyse hat gezeigt: Das Mitsein ist ein existenziales Konstituens des In-der-Welt-seins.
das Mitsein erweist sich als eigenen Seinsart von innerweltlich begegnendem Seienden.
Sofern Dasein überhaupt ist, hat es die Seinsart des Miteinanderseins.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 125 |
Das
Dasein steht als alltägliches Miteinandersein in der Botmäßigkeit
der Anderen. Nicht es selbst ist, die Anderen haben ihm das Sein abgenommen.
Das Belieben der Anderen verfügt über die alltäglichen Seinsmöglichkeiten
des Daseins. Diese Anderen sind dabei nicht bestimmte Andere. Im Gegenteil,
jeder Andere kann sie vertreten. Entscheidend ist nur die unauffällige,
vom dasein als Mitsein unversehens schon übernommene Herrschaft der Anderen.
Man selbst gehört zu den Anderen und verfestigt ihre Macht. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 126 |
»Die
Anderen«, die man so nennt, um die eigene wesenhafte Zugehörigkeit
zu ihnen zu verdecken, sind die, die im alltäglichen Miteinandersein zunächst
und zumeist »da sind«. Das Wer ist nicht dieser und nicht jener,
nicht man selbst und nicht einige und nicht die Summe Aller. Das »Wer«
ist das Neutrum, das Man.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 126 |
Dieses
Miteinandersein löst das eigene Dasein völlig in die Seinsart »der
Anderen« auf, so zwar, daß die Anderen in ihrer Unterschiedlichkeit
und Ausdrücklichkeit noch nicht verschwinden. In dieser Unauffälligkeit
und Nichtfeststellbarkeit entfaltet das Man seine eigentliche Diktatur.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 126 |
Wir
genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen,
sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt;
wir ziehen uns aber auch vom »großen Haufen« zurück, wie
man sich zurückzieht; wir finden »empörend«, was
man empörend findet. Das Man, das kein bestimmtes ist und das Alle,
obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die Seinsart des Alltäglichen vor.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 126-127 |
Das
Man hat selbst eigene Weisen zu sein. Die genannte Tendenz des Mitseins, die wir
die Abständigkeit nannten, gründet darin, daß das Miteinandersein
als solches die Durchschnittlichkeit besorgt. Sie ist ein existenzialer
Charakter des Man. Dem Man geht es in seinem Sein wesentlich um sie. Deshalb hält
es sich faktisch in der Durchschnittlichkeit dessen, was sich gehört, was
man gelten läßt und was nicht, dem man Erfolg zubilligt, dem man ihn
versagt. Diese Durchschnittlichkeit in der Vorzeichnung dessen, was gewagt werden
kann und darf, wacht über jede sich vordrängende Ausnahme. Jeder Vorrang
wird geräuschlos niedergehalten. Alles Ursprüngliche ist über Nacht
als längst bekannt geglättet. Alles Erkämpfte wird handlich. Jedes
Geheimnis verliert seine Kraft. Die Sorge der Durchschnittlichkeit enthüllt
wieder eine wesenhafte Tendenz des Daseins, die wir die Einebnung aller
Seinsmöglichkeiten nennen. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 127 |
Abständigkeit,
Durchschnittlichkeit, Einebnung konstituieren als Seinsweisen des Man das, was
wir als »die Öffentlichkeit« kennen. Sie regelt zunächst
alle Welt- und Daseinsauslegung und behält in allem Recht. Und das nicht
auf Grund eines ausgezeichneten und primären Seinsverhältnisses zu den
»Dingen«, nicht weil sie über eine ausdrücklich zugeeignete
Durchsichtigkeit des Daseins verfügt, sondern auf Grund des Nichteingehens
»auf die Sachen« .... Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 127 |
Weil
das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen
Dasein die Verantwortlichkeit ab. Das Man kann es sich gleichsam leisten, daß
»man« sich ständig auf es beruft. Es kann am leichtesten alles
verantworten, weil keiner es ist, der für etwas einzustehen braucht. Das
Man »war« es immer und doch kann gesagt werden, »keiner«
ist es gewesen. In der Alltäglichkeit des Daseins wird das meiste durch das,
von dem wir sagen müssen, keiner war es. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 127 |
Das
Man entlastet so das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit. Nicht
nur das; mit dieser Seinsentlastung kommt das Man dem Dasein entgegen, sofern
in diesem die Tendenz zum Leichtnehmen und Leichtmachen liegt. Und weil das Man
mit der Seinsentlastung dem jeweiligen Dasein ständig entgegenkommt, behält
es und verfestigt es seine hartnäckige Herrschaft. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 127-128 |
Jeder
ist der Andere und Keiner er selbst. Das Man, mit dem sich die Frage nach
dem Wer des alltäglichen Daseins beantwortet, ist das Niemand,
dem alles Dasein im Untereinandersein sich je schon ausgeliefert hat. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 128 |
Man
ist in der Weise der Unselbständigkeit und Uneigentlichkeit. Diese
Weise zu sein bedeutet keine Herabminderung der Faktizität des Daseins,
so wenig wie das Man als das Niemand ein Nichts ist. Im Gegenteil, in
dieser Seinsart ist das Dasein ein ens realissimum, falls »Realität«
als daseinsmäßiges Sein verstanden wird.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 120 |
Zunächst »bin« nicht »ich«
im Sinne des eigenen Selbst, sondern die Anderen in der Weise des Man.
Aus diesem her und als dieses werde ich mir »selbst« zunächst
»gegeben«. Zunächst ist das Dasein Man und zumeist bleibt
es so. Wenn das Dasein die Welt eigens entdeckt und sich nahebringt, wenn
es ihm selbst sein eigentliches Sein erschließt, dann vollzieht
sich dieses Entdecken von »Welt« und Erschließen von
Dasein immer als Wegräumen der Verdeckungen und Verdunkelungen, als
Zerbrechen der Verstellungen, mit denen sich das Dasein gegen es selbst
abriegelt.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 128 |
Das
Man ist ein Existenzial und gehört als ursprüngliches Phänomen
zur positiven Verfassung des Daseins. Es hat selbst wieder verschiedene Möglichkeiten
seiner daseinsmäßigen Konkretion. Eindringlichkeit und Ausdrücklichkeit
seiner Herrschaft können geschichtlich wechseln. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 129 |
Zunächst
ist das faktische Dasein in der durchschnittlich entdeckten Mitwelt. Zunächst
»bin« nicht »ich« im Sinne des eigenen Selbst, sondern
die Anderen in der Weise des Man. Aus diesem her und als dieses werde ich mir
»selbst« zunächst »gegeben«. Zunächst ist das
Dasein Man und zumeist bleibt es so. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 129 |
Mit
der Interpretation des Mitseins und des Selbstseins im Man ist die Frage nach
dem Wer der Alltäglichkeit des Miteinanderseins beantwortet. Diese Betrachtungen
haben zugleich ein konkretes Verständnis der Grundverfassung des Daseins
erbracht. Das In-der-Welt-sein wurde in seiner Alltäglichkeit und Durchschnittlicllkeit
sichtbar. Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 129 |
Wenn
schon das Sein des alltäglichen Miteinanderseins, das sich scheinbar ontologisch
der puren Vorhandenheit nähert, von dieser grundsätzlich verschieden
ist, dann wird das Sein des eigentlichen Selbst noch weniger als Vorhandenheit
begriffen werden können. Das eigentliche Selbstsein beruht nicht auf
einem vom Man abgelösten Ausnahmezustand des Subjekts, sondern ist eine
existenzielle Modifikation des Man als eines wesenhaften Existenzials.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 130 |
Die
Selbigkeit des eigentlich existierenden Selbst ist aber dann ontologisch durch
eine Kluft getrennt von der Identität des in der Erlebnismannigfaltigkeit
sich durchhaltenden Ich Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 130 |
In
der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, in der Verwendung des Nachrichtenwesens
ist jeder Andere wie der Andere. Dieses Miteinandersein löst das eigene Dasein
völlig in die Seinsart »der Anderen« auf, so zwar, daß
die Anderen in ihrer Unterschiedlichkeit und Ausdrücklichkeit noch nicht
verschwinden. In dieser Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit entfaltet
das Man seine eigentliche Diktatur. Wir genießen und vergnügen uns,
wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur
und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom »großen
Haufen« zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden »empörend«,
was man empörend findet. Das Man, das kein bestimmtes ist und das
Alle, obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die Seinsart des Alltäglichen
vor.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 126 |
Jeder
ist der Andere und Keiner er selbst. Das Man, mit dem sich die Frage nach
dem Wer des alltäglichen Daseins beantwortet, ist das Niemand,
dem alles Dasein im Untereinandersein sich je schon ausgeliefert hat.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 128 |
Das Man ist ein Existenzial und gehört als ursprüngliches
Phänomen zur positiven Verfassung des Daseins. Es hat selbst
wieder verschiedene Möglichkeiten seiner daseinsmäßigen
Konkretion. Eindringlichkeit und Ausdrücklichkeit seiner Herrschaft
können geschichtlich wechseln.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 129 |
Zunächst ist gefordert, die Erschlossenheit des Man, das
heißt die alltägliche Seinsart von Rede, Sicht und Auslegung,
an bestimmten Phänomenen sichtbar zu machen. Mit Bezug auf diese
mag die Bemerkung nicht überflüssig sein, daß die Interpretation
eine rein ontologische Absicht hat und von einer moralisierenden Kritik
des alltäglichen Daseins und von »kulturphilosophischen«
Aspirationen weit entfernt ist.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 167 |
Alles sieht aus wie echt verstanden, ergriffen und gesprochen
und ist es im Grunde doch nicht, oder es sieht nicht so aus und ist es
im Grunde doch.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 173 |
Die
Angst ist nicht nur Angst vor ..., sondern als Befindlichkeit zugleich Angst
um .... Worum die Angst sich abängstet, ist nicht eine bestimmte
Seinsart und Möglichkeit des Daseins. Die Bedrohung ist ja selbst unbestimmt
und vermag daher nicht auf dieses oder jenes faktisch konkrete Seinkönnen
bedrohend einzudringen.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 187 |
Worum
sich die Angst ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 187 |
In
der Angst versinkt das umweltlich Zuhandene, überhaupt das innerweltlich
Seiende. Die »Welt« vermag nichts mehr zu bieten, ebensowenig das
Mitdasein Anderer. Die Angst benimmt so dem Dasein die Möglichkeit, verfallend
sich aus der »Welt« und der öffentlichen Ausgelegtheit zu verstehen.
Sie wirft das Dasein auf das zurück, worum es sich ängstet, sein eigentliches
In-der-Welt-sein-können. Die Angst vereinzelt das Dasein auf sein eigenstes
In-der-Welt-sein, das als verstehendes wesenhaft auf Möglichkeiten sich entwirft.
Mit dem Worum des Sichängstens erschließt daher die Angst das Dasein
als Möglichsein und zwar als das, das es einzig von ihm selbst her
als vereinzeltes in der Vereinzelung sein kann.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 187-188 |
Die
Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt
das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens.
Die Angst bringt das Dasein vor sein Freisein für ... (propensio in
...) die Eigentlichkeit seines Seins als Möglichkeit, die es immer schon
ist. Dieses Sein aber ist es zugleich, dem das Dasein als In-der-Welt-sein überantwortet
ist.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 188 |
Das,
worum die Angst sich ängstet, enthüllt sich als das, wovor
sie sich ängstet: das In-der-Welt-sein.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 188 |
Die Selbigkeit des Wovor der Angst
und ihres Worum erstreckt sich sogar auf das Sichängsten selbst.
Denn dieses ist als Befindlichkeit eine Grundart des In-der-Welt-seins.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 188 |
Eigentliche Angst ist ... bei der Vorherrschaft des Verfallens
und der Öffentlichkeit selten.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 190 |
Das Man läßt den Mut zur Angst vor dem Tode nicht
aufkommen.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 254 |
Das Gewissen redet einzig und ständig im Modus des Schweigens.
Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 273 |
Die
Entschlossenheit löst als eigentliches Selbstsein das Dasein nicht
von seiner Welt ab, isoliert es nicht auf ein freischwebendes Ich. Wie sollte
sie das auch - wo sie doch als eigentliche Erschlossenheit nichts anderes als
das In-der-Welt-sein eigentlich ist. Die Entschlossenheit bringt das Selbst
gerade in das jeweilige besorgende Sein bei Zuhandenem und stößt es
in das fürsorgende Mitsein mit den Anderen.Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S.298 |
Die
Angst offenbart das Nichts.Martin
Heidegger, Was ist Metaphysik?, 1929 |
Wir
schweben in Angst.Martin
Heidegger, Was ist Metaphysik?, 1929 |
Diese
Angst wird im Dasein zumeist niedergehalten. Die Angst ist da. Sie schläft
nur. Ihr Atem zittert ständig durch das Dasein.Martin
Heidegger, Was ist Metaphysik?, 192 |
In
der hellen Nacht des Nichts der Angst entsteht erst die ursprüngliche Offenbarkeit
des Seienden als eines solchen: daß es Seiendes ist - und nicht Nichts.
Einzig weil das Nichts im Grunde des Daseins offenbar ist, kann die volle Befremdlichkeit
des Seienden über uns kommen und die Grundfrage der Metaphysik: Warum ist
überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?Martin
Heidegger, Was ist Metaphysik?, 1929 |
Das
griechische Wort filosofia geht auf das Wort filosofoV
zurück. Dieses Wort ist ursprünglich ein Adiectivum wie filargyros,
silberliebend, wie filotimioV, ehrliebend.
Das Wort filosofoV wurde vermutlich von Heraklit geprägt.
Dies besagt: für Heraklit gibt es noch nicht die filosofia.
Ein duhr filosofoV ist nicht ein »philosophischer«
Mensch. Das griechische Adiectivum filosofoV sagt etwas
völlig anderes als die Adiectiva philosophisch, philosophique. Ein duhr
filosofoV ist derjenige, oV filei to sofon,
der das sofon liebt; filein,
lieben, bedeutet hier im Sinne Heraklits: omologein,
so sprechen, wie der logoV spricht, d.h. dem logoV
entsprechen. Dieses Entsprechen steht im Einklang mit dem sofon.
Einklang ist armonia. Dies, daß ein Wesen dem
anderen wechselweise sich fügt, daß sich beide ursprünglich einander
fügen, weil sie zueinander verfügt sind, diese armonia
ist das Auszeichnende des heraklitisch gedachten filein,
des Liebens.Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 12-13 |
Das duhr
filosofoV liebt das sofon. Was dieses Wort für
Heraklit sagt, ist schwer zu übersetzen. Aber wir können es nach Heraklits
eigener Auslegung erläuter. Demnach sagt to sofon
dieses: En Panta, »Eines (ist) Alles«.
»Alles«, das meint hier: Panta ta onta,
das ganze, das All des Seienden. En, das Eins meint:
das Eine, Einzige, alles Einigende. Einig aber ist alles Seiende im sein. Das
sofon sagt: Alles Seiende ist im Sein. Schärfer
gesagt: Das Sein ist das Seiende. Hierbei sprich »ist« transitiv
und besgat soviel »versammelt«. Das Sein versammelt das Seiende darin,
daß es Seiendes ist. Das Sein ist die Versammlung - logoV
(vgl. Vorträge und Aufsätze, 1954, S. 207-229). Das Seiende ist
im Sein. Solches zu hören, klingt für unser Ohr trivial, wenn
nicht gar beleidigend. Denn darum, daß das Seiende in das Sein
gehört, braucht sich niemand zu kümmern. Alle Welt weiß: Seiendes
ist solches, was ist. Was steht dem Seienden anderes frei als: zu sein? Und dennoch:
gerade dies, daß das Seiende im Sein versammelt bleibt, daß im Scheinen
von Sein das Seiende im Sein versammelt bleibt, daß im Scheinen von Sein
das Seiende erscheint, dies setzte die Griechen, und sie zuerst und sie allein,
in das Erstaunen. Seiendes im Sein: dies wurde für die Griechen das Erstaunliche.
Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 13-14 |
Indessen mußten sogar
die Griechen die Erstaunlichkeit dieses Erstaunlichsten retten und schützen
- gegen den Zugriff des sophistischen Verstandes, der für alles eine für
jedermann verständliche Erklärung bereit hatte und sie auf den Markt
brachte. Die Rettung des Erstaunlichsten - Seiendes im Sein - geschah dadurch,
daß sich einige auf den Weg machten in der Richtung auf dieses Erstaunlichste,
d.h. des sofon. Sie wurden dadurch zu solchen, die
nach dem sofon strebten und durch ihr eigenes
Streben bei anderen Menschen die Sehnsucht nach dem sofon
erweckten und wachhielten. Das Filein to sofon, jener
schon genannte Einklang mit dem sofon, die armonia,
wurde so zu einer arexiV, zu einem Streben nach dem
sofon. Das sofon - das Seiende
im sein - wird jetzt eigens gesucht. Weil das Fileinn
nicht mehr ein ursprünglicher Einklang mit dem sofon
ist, sondern einbesonderes Streben nach dem sofon,
wird das filein to sofon zur filosofia.
Denn das Streben wird durch den Eros bestimmt. Dieses strebende Suchen nach dem
sofon, nach dem En Panta,
nach dem Seienden im Sein wird jetzt zur Frage: Was ist das Seiende, insofern
es ist? Das Denken wird jetzt erst zur »Philosophie«. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 14-15 |
Wir selber müssen dem,
wohin die Philosophie unterwegs ist, entgegenkommen. Unser Sprechen muß
dem, wovon die Philosophen angesprochen sind, ent-sprechen. Wenn uns dieses Ent-sprechen
glückt, dann ant-worten wir im echten Sinne auf die Frage: Was ist das -
die Philosophie? Das deutsche Wort antworten bedeutet eigentlich soviel
wie ent-sprechen Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 20 |
Die Antwort auf die Frage:
Was ist das - die Philosophie? besteht darin, daß wir dem entsprechen, wohin
die Philosophie unterwegs ist. Und das ist: das Sein des Seienden. In solchem
Entsprechen hören wir von Anfang an auf das, was die Philosophie uns schon
zugesprochen hat .... Deshalb gelangen wir nur so in die Entsprechung, d.h. zur
Antwort auf unsere Frage, daß wir im Gespräch mit dem bleiben, wohin
uns die Überlieferung der Philosophie ausliefert, d.h. befreit. Wir finden
die Antwort auf die Frage, was die Philosophie sei, nicht durch historische Aussagen
über die Definition der Philosophie, sondern durch das Gespräch mit
dem, was sich uns als das Sein des Seienden überliefert hat. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 21 |
Die Entsprechung zum Sein des
Seienden bleibt zwar stets unser Aufenthalt. Doch nur zuzeiten wird sie zu einem
von uns eigens übernommenen und sich entfaltenden Verhalten. Erst wenn dies
geschieht, entsprechen wir erst eigentlich dem, was die Philosophie angeht, die
zum Sein des Seienden unterwegs ist. Das Entsprechen zum Sein des Seienden ist
die Philosophie; sie ist es aber erst dann, wenn das Entsprechen sich eigens vollzieht,
dadurch sich entfaltet und diese Entfaltung ausbaut. Dieses Entsprechen geschieht
auf verschiedene Weise, je nachdem der Zuspruch des Seins spricht, je nachdem
er gehört oder überhört wird, je nachdem das Gehörte gesagt
oder geschwiegen wird. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 22-23 |
Das Entsprechen ist notwendig
und immer, nicht nur zufällig und bisweilen, ein gestimmtes. Es ist in einer
Gestimmtheit. Und erst auf dem Grunde des Gestimmtheit (dis-position) empfängt
das Sagen des Entsprechens seine Präzision, seine Be-stimmtheit. Als ge-stimmtes
und be-stimmtes ist das Entsprechen wesenhaft in einer Stimmung. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 23-24 |
Wenn wir die Philosophie
als das gestimmte Entsprechen kennzeichnen, dann wollen wir keineswegs das Denken
dem zufälligen Wechsel und den Schwankungen von Gefühlszuständen
ausliefern. Vielmehr handelt es sich einzig darum, darauf hinzuweisen, das jede
Präzision des Sagens in einer Disposition des Entsprechens gründet,
des Entsprechens sage ich, ... im Achten auf den Zuspruch. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 24 |
Wir versuchen, auf die Stimme
des Seins zu hören. In welche Stimmung bringt sie das ... Denken? Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 28 |
Oft und weithin sieht es so
aus, als sei das Denken nach der Art des räsonnierenden Vorstellens und Rechnens
von jeder Stimmung völlig frei. Aber auch die Kräfte der Berechnung,
auch die prosaische Nüchternheit des Planens sind Kennzeichen einer Gestimmtheit.
Nicht nur dies; sogar die Vernunft, die sich von allem Einfluß der Leidenschaften
frei hält, ist als Vernunft auf die Zuversicht in die logisch-mathematische
Einsichtigkeit ihrer Prinzipien und Regeln gestimmt. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 28-29 |
Das eigens übernommene
und sich entfaltende Entsprechen, das dem Zuspruch des Seins des Seienden entspricht,
ist die Philosophie. Was das ist - die Philosophie -, lernen wir nur kennen und
wissen, wenn wir erfahren, wie, auf welche Weise die Philosophie ist. Sie ist
in der Weise des Entsprechens, das sich abstimmt auf die Stimme des Seins des
Seienden. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 29 |
Dieses Ent-sprechen ist ein
Sprechen. Es steht im Dienst der Sprache. Was das heißt, ist für
uns heute schwer zu verstehen; denn unsere geläufige Vorstellung von der
Sprache hat seltsame Wandlungen durchgemacht. Ihnen zufolge erscheint die Sprache
als ein Instrument des Ausdrucks. Demgemäß hält man es für
richtiger zu sagen: die Sprache steht im Dienst des Denkens, statt: das Denken
als Ent-sprechen steht im Dienst der Sprache. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 29 |
Weil wir ohne eine zureichende
Besinnung auf die Sprache niemals wahrhaft wissen, was die Philosophie als das
gekennzeichnete Ent-sprechen, was die Philosophie als eine ausgezeichnete Weise
des Sagens ist. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 30 |
Weil nun aber die Dichtung,
wenn wir sie mit dem Denken vergleichen, auf eine ganz andere und ausgezeichente
Weise im Dienst der Sprache steht, wird unser Gespräch, das der Philosophie
nachdenkt, notwendig dahin geführt, das Verhältnis von Denken und Dichten
zu erörtern. Zwischen beiden, Denken und Dichten, waltete eine verborgene
Verwandtschaft, weil beide sich im Dienst der Sprache für die Sprache verwenden
und verschwenden. Ziwschen beiden aber besteht zugleich eine Kluft, denn sie »wohnen
auf getrenntesten Bergen«. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 30 |
Jeder ist der Andere und Keiner
er selbst. Das Man, mit dem sich die Frage nach dem Wer des alltäglichen
Daseins beantwortet, ist das Niemand, dem alles Dasein im Untereinandersein
sich je schon ausgeliefert hat. Martin
Heidegger, Was ist das - die Philosophie? (Vortrag, August 1955),
1956, S. 128 |
Eins unter
ihnen (den mannigfaltigen Zeichen des Zukünftigen, das auf die Menschen zukommt)
sind z.B. die Fernseh- und Rundfunkempfänger, die wir bald reihenweise auf
den Dächern der Häuser in den Städten und Dörfern feststellen
können. .... Sie zeigen, daß die Menschen dort, wo sie von außen
gesehen »wohnen«, gerade nicht mehr zu Hause sind. Die Menschen werden
vielmehr täglich und stündlich fortgezogen in fremde, anlockende, aufreizende,
bisweilen auch unterhaltsame und belehrende Bezirke. Diese bieten freilich keinen
bleibenden, verläßlichen Aufenthalt; sie wechseln unausgesetzt vom
Neuen zum Neuesten. .... Wie können wir uns dem Andrängen des Unheimischen
gegenüber zur Wehr setzen? Nur so, daß wir die spendenden und heilenden
und bewahrenden Kräfte des Heimischen unablässig wecken, daß wir
die Kraftquellen des Heimischen immer wieder zum Fließen bringen und ihrem
Fluß und Einfluß die rechte Bahn verschaffen.Martin
Heidegger, auf einem Vortrag in seiner Heimatstadt Meßkirch, 1961 |
Die
Philosophie wird keine unmittelbare Veränderung des jetzigen Weltzustandes
bewirken können. .... Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die einzige
Möglichkeit, im Denken und Dichten eine Bereitschaft vorzubereiten für
die Erscheinung Gottes oder für die Abwesenheit des Gottes im Untergang.Martin
Heidegger, in: Der Spiegel, # 10, 1966 |
Die
Seinsfrage und die Entfaltung dieser Frage setzt gerade eine Interpretation des
Daseins voraus, das heißt: des Wesens des Menschen. Der Grundgedanke meines
Denkens ist ja gerade der, daß das Sein beziehungsweise die Offenbarkeit
des Seins den Menschen braucht und daß umgekehrt der Mensch nur Mensch ist,
insofern er in der Offenbarkeit des Seins steht.Martin
Heidegger, in der TV-Sendung: Im Denken unterwegs, 1975 |
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