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Erdgeschichte und EvolutionErdgeschichte und Evolution Erdgeschichte und EvolutionErdgeschichte und Evolution

Hochgeschichtliche Historiographik
Antike Sicht:
Kelten und Germanen
Abendländische Sicht:
Kelten und Germanen
Germanen
- Tafeln und Karten -
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- Hochkulturelle Historiographie -


Text in altgriechischer, bereits vokalisierter Alphabet-Schriftsprache.

Die Antike war noch eine Frühkultur, als die Griechen begannen, die für sie redundanten Konsonanten aus der phönokischen Schrift zu Vokalen zu machen. Die griechische Schrift, d.h. das griechische Vokalalphabet kommt also selbst noch aus der Frühgeschichte.
().
Geschichtsphilosophisch benutzt wurde die griechische Schrift jedoch erst in der hochkulturellen, d.h. hochgeschichtlichen Zeit.

Der Begriff „Hochgeschichte“ muß erklärt werden, damit keine Mißverständnisse entstehen. Dieser Begriff sollte nicht mit dem der „Alten Geschichte“ verwechselt werden, denn im Unterschied zu diesem, der sich nur auf einen Zeitabschnitt bezieht, konzentriert sich jener ganz besonders auf die historiographischen Formen in den hochkulturellen Phasen einer jeden Kultur. Er bezieht sich auf die „jugendhaft historiographierende Hochkultur“, auf das „sommerliche“ Quartal der historiographierenden Kulturen. Beispiele „klassischer“ Geschichtsschreibung:

 

Hochhistoriographie (Beispiele)
Beispiel (Kultur) Stufe der Historiographie Text zur Kulturgeschichte
Mesopotamien *
Antike *
Abendland *
Hochkultur (ca. 2850 bis 2510)
Hochkultur (ca. 700 bis 359)
Hochkultur (ca. 1453 bis 1789)
Frühsommerliche Kulturphase  Hochsommerliche Kulturphase  Spätsommerliche Kulturphase

Geschichtsstufe
Historiographische Werkzeuge
Hauptmotive
Nächste Stufe
Nächste Stufe
Nächste Stufe
(1) Bildkunst
(1) + (2) Schrift
(1) + (2) + (3) Hilfsmittel
(1) Religion, Gedenkbild
(1) + (2) Ökonomie, Besitz
(1) + (2) + (3) Wissenstechnik
 

 

- Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft -

Um Erfahrung weiterzugeben, wollten die Griechen das Traditionsgut mit einem unbedingten Wahrheitsanspruch überliefern sowie Gründe und Zusammenhänge historischer Vorgänge aufzeigen. Sie wollten also eine ganz eigene, hochkulturelle Geschichtsschreibung, die sie von der eigenen Frühgeschiche befreite. (). Ihre Geschichtsschreibung wurde mehr und mehr ausdifferenziert und mündete schon bald in die Philosophie. In der Antike begann die Geschichtsphilosophie mit den Untersuchungen von Hekataios (560-480), Herodot (484-425) und Thukydides (460-400) über die Kräfte der geschichtlichen Bewegung, ging weiter über Xenophon (430-354), um mit dem Hellenismus ins „zivilisatorische“ oder spätkulturelle Quartal zu münden, z.B. mit Alexanders Hofschriftsteller Kallisthenes (370-327), mit Polybios (201-120) bis hin zu der ganzheitlichen Auffassung des Poseidonios (135-51) und zur sittlich-politischen des Plutarch (45-120). ().

Im Abendland erfolgte die Verbreitung einer „modernen“ Staatengeschichte seit dem Ende des 15. Jahrhunderts („Renaissance-Ironie“). Sie entwickelte sich einerseits aus dem entstandenen bürgerlichen Selbstbewußtsein, anderserseits aus der Abwendung von der Kirchenchronistik und der Hinwendung zu einer Weltchronistik, die der Humanismus beim gebildeten Bürgertum hervorgerufen hatte. Obwohl danach unter dem Einfluß der Glaubenskämpfe die von den Humanisten vernachlässigte Kirchengeschichte wiederentdeckt wurde, ging die Geschichtsbetrachtung - somit auch die Geschichtsschreibung - doch immer mehr in eine nicht-kirchliche, also weltliche Richtung. Einen „uralten teutschen“ Beitrag zur deutschen Geschichtsschreibung leistete Johannes Turmayr (1477-1534). Im 16. Jahrhundert wurde eine reichspublizistische Geschichtsschreibung von Johannes Sleidanus (1506-1556) begründet, im 17. Jahrhundert brachten die inneren Auseinandersetzungen in England die Parteien-Geschichtsschreibung hervor. Die benediktinischen Mauriner entwickelten die philologische Quellenkritik und begründeten auch die historischen Hilfswissenschaften wie z.B. die Urkundenlehre (Diplomatik). Als Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und damit auch der spätkulturellen oder „zivilisierten“ Historiographie kann man jedoch nur einen ansehen, der gleichzeitig auch Wegbereiter des Klassizismus war: Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), dessen Hauptwerk „Geschichte der Kunst des Altertums“ 1764 erschien. (). In Deutschland wurden die Hilfswissenschaften v.a. durch das wissenschaftliche Programm der 1819 von Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein (1757-1831) gegründeten Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde (vgl. Monumenta Germaniae historica = Historische Denkmäler Deutschlands) gefördert und damit zum Bestandteil spätkultureller oder „zivilisierter“ Historiographie. ().

Die Geschichtsschreibung der Aufklärung unterzog die historische Überlieferung und die herkömmlichen Autoritäten einer schonungslosen, an der Rationalität orientierten Kritik. Die Historiker der Aufklärung waren die ersten, die die Geschichte nicht mehr ausschließlich vom Standpunkt der Regierenden beurteilten, sondern auch aus der Perspektive der Untertanen. Sie überwanden die heils- und territorialgeschichtliche Verengung durch eine an der Entwicklung der Menschheit orientierte Universalgeschichte. Neue Sachgebiete wurden erschlossen oder entstanden: Kulturgeschichte, Rechtsgeschichte, Verfassungsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Kolonialgeschichte; Hauptanliegen war dabei die systematische Erforschung von Ursachen und Wirkungen. Von Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Geschichtsschreibung war die deutsche Aufklärung, aber kaum die englische Aufklärung (Hume, Gibbon, Robertson), wohl aber die französische Aufklärung (Montesquieu und Voltaire). Eine methodisch-fortschrittliche deutsche Historiographie wurde aber trotzdem erst wesentlich gefördert durch die Göttinger „Historische Schule“ (z.B. Gatterer, Heeren, von Schlözer, von Spittler u.a.), die Geschichtsvereine und die wissenschaftlichen Akademien, sie alle betrieben bereits zivilisierte Historiographie. ().

- Vierkraft -
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Die Antike entwickelte ein Vokal-Alphabet, das Abendland bewegliche Buchstaben und später ein „Elektronik-Alphabet“.

Auch ohne Text-Elektronik war die Antike nicht weniger attraktiv als das spätere Abendland.

Das ewige Inferior
Zu wenig ausgeprägt war in der Antike das Zusammenspiel zwischen Ökonomie und Medien einerseits und Wissen und Technik andererseits. Diese Bereiche wurden offenbar wie Einzelkörper behandelt, also genau voneinander abgegrenzt. (Kosmologie).

Der Antike fehlte nicht die Moderne an sich, der Antike fehlte eine „abendländische Moderne“. (Analogien).

 

 

Historiographierte Kelten und Germanen: 8. Jh. v. Chr. - 4. Jh. v. Chr. Fortsetzung

- Antike Historiker beschreiben Kelten und Germanen -

Nachdem Griechenland seine Frühgeschichte mit den letzten frühhistoriographischen Vertretern wie Homer (8. Jh. v. Chr.) und Hesiod (um 700 v. Chr.) fast abgeschlossen hatte, begann es bald, immer mehr faktische Historiographie zu betreiben. Am Beispiel der Hallstattzeit kann man die Entwicklung der griechischen Geschichtsschreibung einigermaßen nachvollziehen. Um Hallstatt A, B und C, also die Zeit vom 12. Jh. v. Chr. bis etwa 600 v. Chr., zu studieren, benötigt man neben dem (früh-)historiographischen noch eine Menge archäologisches Material, aber für Hallstatt D, also für das 6. und 5. Jh. v. Chr., kann man mit umgekehrten Verhältnissen rechnen. Anfangs berichteten die Griechen über die Hallstattzeit nur durch beschreibende Reiseschilderungen, also illustrativ und auf eine Art des Umschreibens einfacher Zustände. Historiographisch gesehen ist das noch ein relativ dürftiges Material, weil die Quellen zu wenig über Personen, Beziehungen und andere Verhältnisse in den betreffenden Gebieten aussagen. Anders sieht das schon im 5. Jh. v. Chr. aus, als die Hallstattzeit allmählich zur Latènezeit wurde und die griechische Geschichtsschreibung schon Hochkonjunktur hatte, z.B. mit Hekataios (~560-480), Herodot (~490-430), Thukydides (~460-400). Für das nicht-antike Europa gibt es deshalb erst eine Frühgeschichte, als die griechische Historiographie bereits in die ausgeprägteste Phase einer Hochkultur eingetreten war, in den kulturklimatischen Hochsommer! (Hochsommerliche Kulturphase). (Vgl. Beispiel).

 

- Ende der Bronzezeit -
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Kartographische Geschichte
Germanen und Kelten am Ende der Bronzezeit.

Eisenmetallikum

- „Hallstatt II“ -
„Hallstatt C“ (8. Jh. - 600)
„Hallstatt D“ (600 - 400)

- Latène -
(5. - 1. Jh. v. Chr.)

 

Die zyklische Kulturgeschichte und die Analogien zwischen Kulturen:



Antike und abendländische Historiken sind nicht nur wegen ihrer kulturellen Symboliken zwei scharf voneinander zu trennende Sichtweisen über Geschichte, sondern auch, weil sie durch die Zeit selbst getrennt sind. Nicht nur deshalb ist jede Art von Entwicklung sowohl zyklisch als auch linear zu verstehen.

Die Antike sah in der Geschichte Resultate politisch handelnder Körper, das Abendland sah und sieht in ihr die Resultate einer Raumpolitik. Von vergangenen Kulturen lernen konnten beide, aber nur das Abendland hatte das Glück, eine Kultur zu beerben, die trotz und wegen des in der Tiefe liegenden Gegensatzes immer attraktiv blieb.

Nachdem Herodot (~ 490 - 430) die Heimat wegen Verschwörung gegen den Tyrannen Lygdamis hatte verlassen müssen, reiste er nach Ägypten, Mesopotamien sowie in skythische Gebiete und lebte dann in Athen, wo er Perikles und Sophokles nahestand. Herodot war wahrscheinlich auch Teilnehmer an der Kolonisation von Thurii (442) und trug in der Folgezeit sein Werk auf Festen vor; später in 9 Büchern eingeteilt, behandelt es die Entwicklung des Ost-West- (Perser-Griechen) Verhältnisses von den Anfängen bis zur Schlacht von Plataiai (479). Die Darstellung ergänzte Herodot durch in sich geschlossene ethnographisch-geographische Berichte (Logoi) nach dem Vorbild von Vorgängern, und durch Reden, Anekdoten und Reflexionen.

Herodots Bemühen, dem Geschehen metaphysischen Sinn zu geben, war Abschluß vorklassischen Denkens, leitete aber zugleich über in die spätere Historiographie.

Spätgeschichtliche Historiographik Historisches Geschehen wurde angesehen als einer göttlichen Macht unterworfen, das Sicherheben einzelner als Hybris bestraft. Geschichte war folglich die Lehre aus dieser Erkenntnis. Herodot wurde später von Cicero (106-43) „Vater der Geschichts-schreibung“ genannt.

Historiographisches Beispiel der das antike Ursymbol deutlich machenden Perfektion ist Thukydides (~ 460-400). Ereignisse der Gegenwart aus sich selbst heraus verstehend zu erleben, war sein Beitrag zu jener Meisterschaft, die sein Vorgänger, der „Geschichtsvater“ Herodot.zuvor ins Leben gerufen hatte.Thukydides war ein erfahrener Staatsmann, der selbst Feldherr und Beamter gewesen war. Diese praktische Erfahrung, die man leider oft mit historischem Sinn verwechselt, machte ihn zu einem Muster der schreibenden Geschichte - unerreichbar für bloße Gelehrte. „Was ihm aber vollkommen verschlossen bleibt, ist jener perspektivische Blick über die Geschichte von Jahrhunderten hin, der für uns mit Selbstver-ständlichkeit zum Begriff des Historikers gehört. Alle guten Stücke antiker Geschichts-darstellung beschränken sich auf die politische Gegenwart des Autors, im schärfsten Gegensatz zu uns, deren historische Meisterwerke ohne Ausnahme die ferne Vergangenheit behandeln.“
(Spengler,
1917, S. 12f.). Thukydides forderte die exakte Ermittlung der Fakten, objektive Beschreibung und die Darlegung historisch wirksamer, primär in der menschlichen Natur liegender Kräfte.

Ein kartographischer Vergleich: die folgenden zwei Karten der „Hallstattzeit“ zeigen die Heimat der Kelten und Germanen im 8. und 7. Jh. v. Chr. und die beginnende erste Ausbreitungswelle im 7. und 6. Jh. v. Chr., während die nächsten Karten („Frühe Latènezeit“ und „Mittlere Latènezeit“) verdeutlichen, daß die Kelten im 5. Jh. v. Chr. nach Südwesten, Nordwesten und Südosten und somit auch in die Gebiete der Hallstatt-Kultur gezogen sind.

- Hallstattzeit -
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Karte und Text (Antike) Karte und Text (Antike)
Kelten und Germanen in der Hallstattzeit (Heimat im 8./7. Jh. v. Chr., Ausbreitung ab 7./6. Jh. v. Chr.)

In Mitteleuropa begann die Frühgeschichte im 5. Jh. v. Chr. - dank der griechischen Historiker. Infolge sozialer Wandlungen und einer Zeit der Unruhe und Wanderungen, in denen eine breite Adelsschicht der Hallstatt-Kultur mit ihrer Klientel die Kelten der Latènezeit führte, brach ein altes System zusammen, dessen Struktur ein neues übernahm und weiter differenzierte. (Vgl. dazu die Tafel). Die Geschichte der Latènezeit (ca. 5. bis 1. Jh. v. Chr.) kam sowohl in den Stammeserzählungen der Kelten retrospektiv zum Ausdruck als auch durch die Berichte der antiken Autoren über deren Völkerwanderungen und Königszwiste.

- Frühe Latènezeit -
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Karte und Text (Antike
Kelten und Germanen in der Früh-Latènezeit (5. und 4. Jh. v. Chr.)
Starke Kelten-Expansion im 4. Jh. v. Chr.; sie führte zur „Keltisierung“ der einheimischen Bevölkerung.

Im 4. Jh. v. Chr. begann eine starke Kelten-Expansion. (Vgl. Karte). Kelten ließen sich in Norditalien nieder; 387 v. Chr. kam es zur Schlacht bei Allia und zur Belagerung des Kapitols: („Vae victis“ = „Wehe den Besiegten“), 369 v. Chr. gab es laut Xenophon (430-354) Kelten als Söldner auf der Peloponnes. Ein knappes Jahrhundert später (279 v. Chr.) drangen Kelten auf dem Balkan bis nach Delphi vor. Eine weitere Gruppe wurde nach 275 v. Chr. von dem Seleukidenherrscher Antiochos I. Soter in der nach ihnen benannten Landschaft Galatien angesiedelt. In Italien begann jedoch nach der Schlacht bei Sentinum (293 v. Chr.) der Rückzug der Kelten.

- Mittlere Latènezeit -
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Karte und Text (Antike
Kelten und Germanen in der Mittel-Latènezeit ( 4. und 3. Jh. v. Chr..)
Starke Kelten-Expansion im 4. Jh. v. Chr.; sie führte zur „Keltisierung“ der einheimischen Bevölkerung.


- Rückzug der Kelten (ab 3. Jh. v. Chr.) -

Die Kelten-Expansion im 4. Jh. v. Chr. wurde von den Römern im 3. Samnitenkrieg (298-290) durch die Schlacht von Sentinum (295 v. Chr.) beendet und durch die anschließenden „Keltenkriege“ (285-282) endgültig besiegelt: Roms Herrschaft in Mittelitalien war gesichert, denn von nun an ging von Etruskern, Samniten und Kelten keine Gefahr mehr aus. Gefahren kamen ab jetzt aus südlichen und östlichen Richtungen, wie die Kriege mit Tarent (bzw. Epirus), dann mit Karthago, später auch mit Makedonien und dem hellenistischen Seleukiden-Reich zeigen sollten. (Vgl. Roms Kriege mit Tarent, dann die Punischen Kriege usw.).

Durch die Auseinandersetzung Roms mit Karthago (Punische Kriege) gingen die keltischen Gebiete in Spanien und Südfrankreich an die Römer verloren. 52 v. Chr. wurde ganz Gallien von Cäsar unterworfen und okkupiert, so daß nur noch Britannien als Rückzugsgebiet in Frage kam. Doch diese Zeit währte nur knapp 100 Jahre, denn 43 n. Chr. begann unter Kaiser Claudius die römische Eroberung Britanniens, die bis 54 n. Chr. dauerte und nur noch Schottland und Irland unbesetzt ließ.

Die Kelten waren also ein bedeutendes frühgeschichtliches Volk, dessen Herkunft zwar nicht ganz geklärt ist, aber in etwa eingegrenzt werden kann, wenn man 3 Hypothesen berücksichtigt (vgl. dazu auch die Karten: [1][2][3][4][5]):

a) Mittel-Bronzezeit (16. - 13. Jh.): Mögliche Teilhabe an der Hügelgräber-Kultur
Spät-Bronzezeit (13. - 8. Jh.)
: Mögliche Teilhabe an derUrnenfelder-Kultur
b) nach Herodot (~490-430): Quellgebiet der Donau (Schweiz und Schwarzwaldgebiet). Nachbarn: Ligurer
c) unter Berücksichtigung von a) und b): West-Mitteleuropa: tendenziell wie in Karte [2]

Zu berücksichtigen ist allerdings, daß Kelten und Germanen zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Gebieten nicht voneinander zu trennen sind und man in diesem Zusammenhang von „Keltogermanen“ oder „Germanokelten“ sprechen sollte. Dies betrifft z.B. im 8. Jh. v. Chr. das deutsche Mittelgebirgsgebiet zwischen Rhein und Elbe sowie Nordwestdeutschland (Germanen oder Kelten?), seit dem 3. Jh. v. Chr. Nordost-, Ostfrankreich, Elsaß-Lothringen und Belgien. Deshalb kann man davon ausgehen, daß auch Germanen an der sogenannten Keltisierung vieler Gebiete Europas beteiligt waren.

Weil die antike Geschichtsschreibung zu dieser Zeit bereits gut entwickelt war, wissen wir heute mehr über die damaligen Völker, als wir ohne Berichterstattung der antiken Autoren über sie wüßten. Daß dadurch auch eine nicht als „neutral“ zu bewertende Information weitergegeben wurde, dürfte jeden historisch Interessierten bewußt sein. Dennoch muß man solche Informationen als Quellen ernst nehmen, insofern es die Kritik erlaubt, und berücksichtigen, daß in jeder Kultur Informationen vorab zurechtgerückt werden. Weil die damaligen Kelten und Germanen selbst keine Schrift entwickelten, sind „fremde“ Quellen einerseits unerläßlich, andererseits hinterließen Kelten und Germanen jede Menge Artefakte, so daß auch schon anhand der archäologischen Funde deutlich wird, daß beide Völker keineswegs „Barbaren“ waren, wie die antiken Autoren immer behaupteten. Überdies entpuppten sich in der Geschichte schon häufiger die kulturell überlegenen Völker gerade dann als die wahren „Barbaren“, wenn sie dabei waren, diese Rolle auf andere, meistens unterlegene Völker zu projizieren. ('Zivilbarbaren'). Projektionen gehören zu den urtümlichsten seelischen Regungen im Menschen. Ob innerhalb der Hominiden-Familie, der Primaten-Ordnung oder der gesamten Säugetiere-Klasse: je weiter man in der Evolution zurückgeht, desto „natürlicher“ treten sie zutage, und je mehr man sich der Gegenwart nähert, desto mehr müssen sie kanalisiert werden. Um dem Gruppenzwang genügen zu können, müssen solche Lebewesen ihren Erfolg immer mehr durch Tarnung, Täuschung und Lüge sichern und sich in eine immer „seelischer“ werdende Fluchtwelt retten. Projektionen haben offenbar einen stark mammalischen Zug und setzten sich seit dem „Tertiär“ auch auf kulturelle Art immer mehr durch, weil sich die Kultur insgesamt immer mehr behaupten konnte. (Tertiär (Paleozän, Eozän, Oligozän, Miozän, Pliozän)). Anpassung und Distanz

Daß historiographische Informationen mit Vorsicht zu genießen sind, zeigen auch die vielen Begriffe, d.h. Wörter, deren Referenz verrät, wer die Welt in wessen Namen interpretierte. Trotzdem gibt es zu ihnen keine historiographisch verwertbare Alternative, wenn die historiographierten Völker selbst keine schriftliche Sprache entwickelten: „Oppida“ (Singular: „Oppidum“) war niemals ein keltisches, sondern ursprünglich ein lateinisches Wort und bezeichnete zunächst altitalische Burgen und stadtähnliche Siedlungen, dann (nach Cäsar) große keltische Stadtanlagen des 2. und 1. Jhs. v. Chr., die von Frankreich bis zum Karpatenbecken verbreitet waren. Diese keltischen Stadtanlagen ähnelten sich in Befestigung, Innenbebauung (stadtviertelähnliche Gliederung) und Funktion, z.B. als Orte der Münzprägung und damit wohl als Sitz der Zentralgewalt eines Stammes. Bedeutende Oppida waren z.B. Alesia, Gergovia, Magdalensberg. (Vgl. Spät-Latènezeit). Mit der römischen Eroberung war die Latènezeit zu Ende; damit aber auch die Sprache, die Kunst und die weitere eigenständige Entwicklung der Kelten. Doch muß man gerade im Hinblick auf die Kelten daran erinnern, daß sie ohnehin im Schatten einer apollinischen Kultur gestanden hatten: der Antike.

Historiographie im Abendland: 15. Jh. - 18. Jh. Fortsetzung

- Abendländische (Sekundär-) Historiker beschreiben historiographierte Kelten und Germanen -

Das auf Vergangenheit und Zukunft bezogene Bild eines Abendländers ist das exakte Gegenstück zu dem eines Antiken, für den nur die Gegenwart zählte. Selbst das Römische Reich war nicht primär aus bewußtem Antrieb durch identitätsstiftende Geschichten, also durch eine Mythomotorik
gebildet worden, sondern aus sich selbst heraus. Im Gegenteil dazu suchte das Abendland von Anfang an seinen Antrieb durch Geschichten; und gerade die Geschichte des Römischen Reiches, die doch selbst durch Gegenwart, durch ständige Präsenz gekennzeichnet war, wurde (vielleicht auch deshalb!) zur Basis jeder Übertragung. Das „Reich“ wurde zur Grundlage jedes bildenden und einbildenden Projektes, d.h. jeder Projektion.

„Die maßgeb-lichen europäi-schen Mächte unternahmen immer neue Anläufe, ein Reich nachzuspielen, das ihrer politischen Phantasie als unverlierbares Paradigma vorgeordnet blieb. So könnte man geradezu sagen, daß Europäer ist, wer in eine Übertragung des Reiches verwickelt wird. Dies gilt besonders für
Deutsche, Österreicher, Spanier, Engländer und Fransosen ....“

(Peter Sloterdijk,
1994, S. 34).

Die ursprüngliche Heimat der Kelten war in der Spät-Bronzezeit der Raum östlich des Rheines im heutigen Bayern und Böhmen bis hinein in den Mittelgebirgsraum und zum Harz sowie am Rhein von der Quelle bis zur Mündung. Derjenige Teil des heutigen Deutschlands, der durch den Mittellandkanal im Norden und durch die Saale im Osten eingrenzbar ist, war also damals ein Gebiet der Kelten. Im Übergangsgebiet gab es auch Germanen. Ob man aber Kelten und Germanen räumlich wie ethnisch genau voneinander trennen kann, weiß niemand genau. Deshalb sollte man hier von Keltogermanen oder Germanokelten sprechen. (Kartographische Geschichte).

Die abendländische Geschichtsforschung kann sich heute über diese keltische Heimat deshalb so sicher sein, weil sie sich nicht nur auf die antiken Schriftzeugnisse stützt, sondern auch auf archäologische Funde. In der Antike, die im Vergleich zum Abendland als ahistorisch bezeichnet werden kann, besaß die Archäologie keinen hohen Stellenwert, während sie im Abendland seit der Renaissance immer wichtiger wurde, aber bis zur eigentlichen Begründung noch einige Zeit vergehen mußte. (). Die Frage z.B., wer die Vorfahren der Deutschen waren, interessierte auch noch zu Luthers Zeiten nur wenige Leute, denn das Geschichtsbild war immer noch sehr von der Bibel bestimmt. Sie umfaßte Noah, Jerusalem, die Stämme Abrahams und die Gestalten der Apostel; man lebte in der christlichen Passionsgeschichte, hielt seinen Gottesdienst in den alten Kirchen der deutschen Kaiserzeit, die man bald „romanisch“ oder „gotisch“ nannte, und wußte von Fürsten und Päpsten. Nur einige gelehrte Herren, die sich mit lateinischen und griechischen Texten befaßten, studierten die „Germania“ des Tacitus (ca. 55-120), die damals gerade wiederentdeckt worden war. Es gab zu dieser Zeit einen „deutschen Herodot“ namens Johannes Aventinus bzw. Turmayr (1477-1534), der sozusagen Neuland betrat, als er seine bayrische Chronik, die „Annales Bojorum“, nicht nur in Latein, sondern auch in Deutsch verfaßte. Turmayr war Protestant und von der Sprachgewalt der Lutherbibel, die er wieder und wieder las, angerührt. Nachdem er 1523 die erste Karte Bayerns herausgegeben hatte, widmete er sich vor allem der Herausgabe seines Geschichtswerkes. Zu seinen Lebzeiten erschien allerdings nur der „Bayrischer Chroniken kurzer Auszug“. Das Hauptwerk und seine deutsche Ausgabe kamen erst nach seinem Tod, letztere 1566, auf den Markt, da Turmayr als „Radikaler“, d.h. als Protestant, keine Druckerlaubmis bekommen hatte. Sein Werk heißt: „Chronica vom ursprung, thaten und und herkommen der uralten Teutschen“ - und für ihn waren die „uralten Teutschen“ und die Germanen identisch. Nachdem dies einmal ausgesprochen war, leuchtete es jedem ein, denn die Germanen schienen ja in der Tat eben dort gelebt zu haben, wo man als Deutscher lebte. In der Zeit des „Cäsarismus“ und der römischen Kaiserzeit war das auch so, aber nicht in der früheren Zeit, als Kelten und Germanen gemeinsam in Deutschland lebten. (Vgl. Karten: [3][4][5][6]).

Die Methode der Interpretation historischer Textquellen, hier die der griechischen und römischen Historiker, wurde im Abendland nicht nur zu einer zentralen historiographischen Methode, sondern gleichzeitig auch ihr Problem. Wenn abendländische Wissenschaftler ins Detaill gehen und auf den Punkt kommen wollen, den antike Gelehrte schon längst ein- und abgegrenzt hätten, tut sich ihnen plötzlich ein ganzes Universum an neuen Fragen auf. Die für die abendländische Geschichtswissenschaft so wichtig gewordenen Hilfswissenschaften haben zwar stets stolze Erfolge gebracht, aber immer wieder auch neue Probleme aufgeworfen. Archäologie deckt vieles auf, aber auch einiges zu. Es ist fast so, als ob die von Archäologen freigelegte Erde, die einen ehemaligen „Standpunkt“ zunächst zu widerlegen, zu korrigieren oder zu rechtfertigen schien, an ihrer neuen Stelle wiederum „Wahrheiten“ verdecken wollte. Trotzdem ist gerade die Archäologie eine der exaxtesten und interessantesten Wissenschaften auf dem Feld der Historiographie, und zusammen mit anderen historischen Hilfswissenschaften, z.B. Geographie, Numismatik, Heraldik, Sphragistik, Epigraphih, Diplomatik, Genealogie, Chronologie und Paläographie, bildet sie eine notwendige Ergänzung, ohne die die abendländische Geschichtswissenschaft dem antiken Erbe verhaftet geblieben wäre. Die germanischen Kontrollgene waren es, die aus dem antiken und magischen Erbgut des Abendlandes ein eigenes Seelenbild und ein eigenes Ursymbol schufen, so daß durch sie solche einzigartigen, in der Kulturtiefe verwurzelten Wissenschaften entstanden, die so nur das Abendland entwickelte, nur entwickeln konnte. Lobend und tadelnd zugleich, muß festgehalten werden, daß eine Kultur gar nicht anders kann, als ihren Kontrollgenen von Anfang an zu folgen, so wie ein Lebewesen seit der Zeit, als sich das befruchtete Ei teilte. Es gibt meines Erachtens nur eine Kultur, die eine dem Abendland ähnliche psychosoziologische „Kulturpersönlichkeit“ hätte ansteuern und steuern können und es zum Teil auch getan hat: China.

Auch die Geschichte der Geschichtswissenschaft bleibt von der Ironie der Geschichte nicht verschont: der Einzug der Archäologie in die Geschichtswissenschaft fiel ausgerechnet in die Zeit der „antiken Wiedergeburt“, der „Renaissance“ (deshalb ist „Reformationzutreffender), wodurch sich das Abendland noch mehr als vorher von seinem antiken Erbe löste.

(Vgl. auch den Unterschied zwischen Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft).

 

- Germanen und ihre Runenschrift-

Die Germanen, zu den Indogermanen bzw. zur indogermanischen Sprachfamilie gehörend, gingen im End-Neolithikum aus Trägern der nach Westen vorstoßenden Megalithkultur, der Trichterbecherkultur () und Schnurkeramik- bzw. Streitaxtkultur () hervor. Sie bewohnten anfangs Südskandinavien und Schleswig. (Vgl. dazu die Tafel).

Kartographische Geschichte

Germanen

Germanen

Germanen (1. Jh. v.Chr.)

Römische Provinzen in (16. v.Chr. - 16 n.Chr.)

Römische Provinzen in (69 - 96)

Germanen

Germanen

Germanen

Germanen

Germanen

Um 750 v. Chr. siedelten die Germanen bereits weiter südlich, auch im deutschen Mittelgebirge, wo sie die Kelten als Nachbarn hatten.

Man weiß nicht genau, wann und wo die germanische Runenschrift entstanden ist. Sie muß aber im 2. Jahrhundert vor Christus bereits entwickelt gewesen sein, weil sie in dieser Zeit der ersten Zeugnisse - d.h. der ersten, uns bekannten germanischen Schriftquellen - bereits so fertig ausgebildet war wie im Mythos: eine Lautschrift, geordnet in einer festen Reihe, dem sogenannten Futhark.

Runen wurden auf Schildbuckeln, Schwertortbändern, Lanzenspitzen, Fibeln, Kämmen angebracht, aber hauptsächlich in Stein, Metall oder Holz geritzt (engl. „write“ ist verwandt mit dt. „ritzen“). Diese graphischen Zeichen wurden mit dem Aufkommen der christichl-mittelalterlichen Frühkultur des Abendlandes immer seltener und wichen schließlich ganz der lateinischen Schrift. Ursprünge für den Grundstock des germanischen Alphabets könnten auch in der antik-magischen Zeichenwelt liegen, während andere Zeichen rein germanischen Ursprungs bzw. germanische Neuschöpfungen sein dürften. Die Runenschrift ist auch eine Begriffsschrift, d.h. die Runen besitzen nicht nur einen Lautwert, sondern repräsentieren auch einen Begriff, der mit dem betreffenden Laut beginnt.

 

Schon das Wort „Rune“ enthält Zauberisches, denn es teilt mit dem Wort „raunen“ dieselbe Wortwurzel.

 

- Germanische Runenschrift -
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Germanisches „Futhark“ (Runen-Alphabet)
- benannt nach den ersten 6 Zeichen
Der Zeichenvorrat umfaßt 24 Runen
(mit graphischen Varianten). Sie sind in 3 sogenannte Geschlechte zu je 8 Runen eingeteilt. Neben ihren Lautwert bezeichnet jede Rune auch einen bestimmten Begriff, deer mit dem betreffenden Laut beginnt:

f = Fahrhabe, Vieh; u = Ur, Auerochse;
th = Thurse, Riese; a = Ase, Seelengottheit;
r = Ritt, Wagen; k = Krankheit, Geschwür;
g = Gabe; w = Wonne; h = Hügel; n = Not;
i = Eis; j = (gutes) Jahr; p = pertho: Fruchtbaum;
s = Sonne; t = Tyr, Gott; b = Birkenreis;
e = ehwaz: Pferd; m = Mann, Mensch;
l
= laguz: Wasser; ng = Ing, Gott der Fruchtbarkeit;
o = Odal, Erbbesitz.

Umstritten ist, inwieweit die Runen nach Anzahl und Stellung in der Reihe auch zahlensymbolischen Wert hatten. Damit hängt das Problem der Runenmagie zusammen. Der Name „Rune“ deutet auf eine Kunst, die Eigeweihten vorbehalten war (gotisch „runa“ ist die Übersetzung von griech. „mysterion“ = Geheimnis), in der literarischen Überlieferung Islands gelten die Runen als „reginkunnar“ (den Göttern entstammend), die isländischen Sagen erzählen wiederholt vom magischen Gebrauch der Runen.


Kein Mensch habe die Runen erfinden können, auch kein Held. Odin (Wotan) selbst opferte sich, er hängte sich 9 Tage lang an den sturmdurchtosten Weltenbaum, die Esche, er verwundete sich mit seinem Speer, und als er stöhnend herabsank, konnte er die Runentafeln entziffern. So wuchs ihm neues und geheimes Wissen zu. Erst durch Kenntnis der Runen wird der Gott zur Verkörperung germanischer Allweisheit. Wahrscheinlich erinnert diese Selbstpeinigung des Gottes Odin an die schamanistischen Praktiken aus einer früheren Kulturstufe, denn ohne solche Foltern und Prüfungen kam kein Schamane zu höherem Wissen; für die Kulturschicht des frühen Jägertums sind diese Züge charakteristisch. An diesem Mythos fällt aber auch auf, daß der Gott sich selbst verletzt - magische Zeichen sind ja nicht selten mit Blut geschrieben.

Tacitus (ca. 55-120) schrieb in seiner „Germania“, die Germanen brächten bestimmte Zeichen auf Holzstäben an, die „zum Wahrsagen und zu anderen magischem Gebrauch“ dienten. Wahrscheinlich handelte es sich tatsächlich um Buchenstäbe - daher vielleicht auch unser Wort für Buchstabe - sogenannte „Lose“, die, mit Runen versehen, ausgeworfen wurden, um aus ihrer Endlage Voraussagen machen zu können: eine Orakelform also. Nach Tacitus wurden die Stäbchen des Losorakels auf ein weißes Tuch ausgeworfen und davon dann auf „gut Glück“ 3 Stäbchen aufgenommen. Eventuell geschah die Deutung in einem „alliterierenden“ Spruch: im „Stabreim“, der seinen Namen nach dem senkrechten Hauptstrich der Rune, dem „Stab“, erhielt. Als Stab (altsächs. „stab“) wurde auch das lateinische Schriftzeichen der aus Holztafeln bestehenden Büchern bezeichnet. Diese lat. „tabulae“, got. „bokos“, ahd. „buoh“ genannten Tafeln aus Buchenholz trugen also Buchstaben im Gegensatz zu den nichtlateinischen Runen.

Die Germanen, in Wäldern lebend, verehrten „Höhere Kräfte“ in heiligen Hainen. „Übrigens glauben die Germanen, daß es mit der Hoheit der Himmlischen unvereinbar sei, Götter in Wänden einzuschließen und sie irgendwie menschlichem Gesichtsausdruck anzunähern: sie weihen Lichtungen und Haine und geben die Namen von Göttern jener Macht, die sie allein in frommem Erschauen erleben“. (Tacitus, ca. 55-120, Germania). Diese religiöse Schlichtheit schilderte der gebildete Römer Tacitus in seiner Germania mit Erstaunen und Bewunderung, denn er selbst lebte am Vorabend des Christentums in einer Weltstadt voller Tempel und Götterstatuen, die keine wahre Frömmigkeit mehr wecken konnte. Das Pathos des Autors prägte bis auf den heutigen Tag die Vorstellungen von germanischer Religiosität, denn die Germania blieb für Jahrhunderte die einzige einigermaßen zuverlässige Quelle. Grabungsfunde und Religionsforschung der letzten Jahrzehnte haben das Bild inzwischen bestätigt und zugleich korrigiert. Tacitus berichtete nicht nur von den germanischen „Buchenstäben“ (vgl. Buchstaben und Runen), sondern auch von jenen heiligen „Rossen“, aus deren Wiehern und Schnauben die Priester die Zukunft deuteten: „Die Tiere werden auf Kosten des Stammes in den bereits erwähnten Hainen und Lichtungen gehalten, weißglänzend und durch keinerlei irdischen Dienst entweiht.“ Tatsächlich vollzogen die Germanen in heiligen Eichenhainen kultische Handlungen. Aber auch Quellen und Moore waren heilige Stätten, weshalb man Verbrecher im Moor versenkte, d.h. opferte. Unser Volksmund spricht vom Froschteich, aus dem die Kinder kommen; hier hat sich eine Ahnung aus jener Frühzeit erhalten, ebenso in den Sagen von Wasser- und Waldgeistern, Erdmännchen und Irrlichtern. Jahrtausende hat sich deren Geschichte erhalten, vor allem in Sagen und Märchen. (Vgl. auch die Rückbesinnung in der deutschen Romantik, z.B. durch die Märchensammlungen der Gebrüder Grimm).

Wotan (Wodan bzw. Odin), in der späteren Sage der „unheimliche wilde Jäger“ der Lüfte mit kläffender Meute, ist der Gott des Windes, des Sturmes, des Atems und damit der Seelen, der Toten und des Jenseits („Walhalla“). Daß dieser Gott kulturell der jägerischen Frühzeit angehörte, zeigen seine schamanistischen Züge: die Erinnerung an schreckliche Prüfungen, die ein Schamane, ein Jagdzauberer, vor Ausübung seiner Macht durchstehen mußte, ist in dem Bericht der „Edda“ erhalten, der erzählt, wie Odin (Wotan) ans Stammholz der Weltesche „Yggdrasil“ geschlagen, die Runen findet. Der „Wodanstag“, von den Christen zum „mittleren Tag“ der Woche erklärt, ist der Mittwoch (ahd. Mettawech, engl. Wednesday); die Namen Godesberg (bei Bonn), aus Wodansberg entstanden, Gutmannshausen (bei Weimar), einst Wodanshusen, und Wodeneswege (bei Magdeburg), das heutige Gutenswegen, sind einige der vielen Beispiele, die auf die alten Kultstätten verweisen. Odin, wie ihn die nordgermanische Edda überliefert, und Wodan (Wotan), der im südgermanischen Raum verehrt wurde, bedeuten im Grunde die gleiche Gestalt. Wodan (Wotan) war allerdings nicht zunächst Gott, sondern der Zauberer, wie ihn auch noch der zweite Merseburger Zauberspruch (10. Jh.) überliefert, in dem Wodan (Wotan) zi holza fährt, ins Holz, in den Wald. Aus diesem Bereich dürfte die Runenfindung stammen, hier bietet die Archäologie die meisten runengeritzten Lanzenspitzen, so kommt der Mythos der Runenfindung wohl von Wodan (Wotan) auf Odin.

Donar (nordisch: Thor), den Tacitus mit Herkules gelichsetzte, war der zweitwichtigste Gott der Germanen, der den Hammer schwingt und Blitze schleudert. (Donar). Begleitet von den Böcken „Zähneknirscher“ und „Zähneknisterer“ oder auf einem Ziegenwagen fahrend, deutet er auch in die Richtung der Fruchtbarkeiskulte. Er wurde schon in der Jungsteinzeit verehrt, wie Felszeichnungen beweisen. Auch sein Hammer galt noch bis ins Mittelalter als Symbol der Fruchtbarkeit. Donar (Thor) bingt Regen, vertreibt den Frost, zerschmettert die Eisriesen, ist der zuverlässige Gott der Bauern. Wenn er mit seinem Wagen über den Himmel rollte, hörte man den Donar, den Donner; er schützt mit dem Hammer die heiligen Ordnungen, weiht Ehen wie der Schmied von Gretna Green, bekräftigte Verträge: noch heute kommt Versteigerungsgut „unter den Hammer“. Mit seiner gewaltigen Kraft war Donar (Thor) der Schrecken der Gegner. Diesem Gott ist die Eiche heilig. Orte wie Donnersberg, Donnern oder Donnersdorf u.s.w. erinnern am seinen Namen. Natürlich auch der Donnerstag, der Tag des Donar bzw. des Thor (engl. Thursday).

Auch einen echten Fruchtbarkeitsgott, den altorientalischen Göttern Adonis oder Dionysos vergelichbar, gab es bei den Germanen: Baldur, der lichte Frühlingsgott, dessen Sterben und Auferstehung im Mythos verklärt wurde. Die altnordischen Sagen berichten auch von Loki, dem Blutsbruder Odins (Wodans). Loki ist Gott des Feuers und der Unruhe, des Schöpferischen und der Zerstörung. Loki hütet das Herdfeuer, das er Freya, der Göttin der Liebe, Ehe und Fruchtbarkeit gestohlen hat. Er schmiedet Schwerter, sticht als Floh die hehre Freya, gebärt als Stute Wodans achtbeinigen Hengst Sleipnir - halb Kobold, halb Prometheus, häufig in Tiergestalt, ist er der witzige, eigenwillige Helfer. Freya, die Göttin der Fruchtbarkeit, und ihr Bruder Freyr (Fro), dem der Eber geweiht war und ebenso der Schimmelhengst, sind Fruchtbarkeits- und deshalb auch Liebesgötter. Freya rief man an, wenn man Liebesglück suchte (daher: freiern = werben, heiraten wollen). Und wenn zu Ehren des Freyr das Bild seiner mythischen Gattin auf dem heiligen Wagen durch das Gebiet eines Stammes rollte, feierte man diesen Kult mit sexuellen Praktiken wie in Griechenland den Dionysos: das war zwingende Sexualmagie. (Vgl. die antiken „Mysterien“). Freya und ihrem Bruder Freyr war natürlich der Freitag (engl. Fryday) gewidmet.

Die germanischen Kultgemeinschaften - z.B. die der Mannus-Stämme oder die Kulte um die Göttin Nerthus (Hertha) - sind mit den griechischen oder römischen Kultgemeinschaften durchaus vergleichbar. Bestimmte Heiligtümer durften nur Priester berühren, z.B. den geweihten Wagen, der mit einer Decke verhüllt war und sich auf einer Insel im Ozean im heiligen Hain befand. Freudig waren da die Tage, festlich geschmückt die Stätten, die der Gott oder die Göttin mit Ankunft und Besuch würdigte. Dann zog niemand in den Krieg, griff niemand zu den Waffen. Alles Eisen war eingeschlossen. Bekannt und geliebt waren jetzt nur Friede und Ruhe, bis der Priester der Gottheit des Umgangs mit den Menschen müde wurde. Den Gottesdienst verrichteten Sklaven, die danach von der See verschlungen wurden; daher auch: „Seele“ als „zur See gehörig“. Nur Todgeweihte durften hier schauen. (Todesstrafe).

 

Fortsetzung:

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Anmerkungen:

 

„Nie zum Nabel der Erde geh' ich mehr, zum heil'gen, flehend, auch zum Tempel von Abai nimmer oder nach Olympia, wenn dies nicht, mit Händen greifbar, allen Menschen gelten soll. Doch, o Gebieter, heißt du wahrhaft also, Zeus, Weltbeherrscher ...“ (Sophokles, ca. 496-406 v. Chr., König Ödipus, S. 411).

Umstritten ist die sogenannte „Nordwestdeutsche Gruppe“: waren das Germanen oder Kelten? Es handelt sich um die Zeit des 6. Jahrhunderts v. Chr.; man wird auch hier wohl eher von einer keltogermanischen bzw. germanokeltischen Bevölkerung sprechen können, bei der sich die Züge der beiden später profilierten Völker nur vermischt nachweisen lassen. Dagegen sind die sogenannte „Jastorf-Gruppe“ an und östlich der Elbe und die Gruppen zwischen Oder und Weichsel eindeutig als Germanen zu bezeichnen. Für die nächsten Jahrhunderte kann man davon ausgehen, daß sich die Germanen immer mehr Richtung Süden, Westen und Osten ausgebreitet haben und schon im 2. Jahrhundert v. Chr. sowohl in Südosteuropa, z.B. Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, u.s.w., als auch in Südfrankreich, in Norditalien und westlich des Rheins vertreten waren. Die westlichsten und südtlichsten Gruppen der Germanen waren also im 1. Jahrhundert v. Chr. auch Einwohner des Römischen Reiches (vgl. Karte) - die Kimbern, Teutonen und Ambronen schon im 2. Jh. v. Chr. (Kimbern, Teutonen und Ambronen). Es war Cäsar, der die Kelten und Germanen mit politischen Hintergedanken aufteilte, obwohl die von ihm eroberten Gebiete in Gallien auch aus Germanen bzw. aus einer Mischung von Kelten und Germanen bestanden. Um die eroberten Gebiete westlich des Rheins zu sichern, erzeugte Cäsar ganz bewußt eine unter dem Begriff „Germanengefahr“ bekannt geworden e hysterisierende Situation. Sie ist vergleichbar mit den Situationen, die die heutigen „abendländischen Cäsaristen“ durch Schüren von Ängsten erzeugen. Keine Angst, ein solcher Cäsar steht uns erst noch bevor, denn im Abendland hat die Phase des Cäsarismus gerade erst begonnen (!).

Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen - wie unzählige andere Beispiele auch - für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.

Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Bd I., Bd. II, 1918-1922

Vorderasien oder Morgenland: diese Begriffe sindnicht ganz zutreffend, weil zum magischen Kulturkreis (Spengler nennt ihn „arabisch“) auch der ehemalige (griechische) Osten der Antike gehört, wenn auch nur pseudomorph. Mit Vorderasien bzw. Morgenland meine ich die Kultur der späteren Religionskulturformen, z.B. des altiranisch-parsistischen (mazdaistischen) Persertums, des manichäischen Babyloniens, des Judentums, des Arabertums, des Urchristentums u.a. magischer Elemente. Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. Die Vertreter der magischen Kultur berücksichtig(t)en stets den „Consensus“ - die Übereinstimmung der Gelehrten als Grundlage für die religiöse (= „wahre“) Lehre. Das arabische Wort „Idschma“ ist auch in diesem Sinne zu verstehen, und es gilt immer noch als eines der vier Grundprinzipien der islamischen Rechtslehre.

„Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 784). Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz „Antike“ genannt, und der (jungen) magischen Kultur, auch „Persien/Arabien“ genannt, macht es deutlich: „Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. ... Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 800-801).

Phase ist für mich der Inbegriff einer wohltemperierten Abrundung durch geistig-politische Tätigkeiten in einer bestimmten Zeitspanne, oft ausgedrückt durch technische und künstlerische Richtungen, aber auch durch ökonomisch-politische und geistig-metaphysische Richtungen. Sie kann nur 60-80 Jahre andauern, wie im Falle des Rokoko, oder 200-300 Jahre, die etwa jeweils Karolingik, Romanik und Gotik ausmachten. Eine Phase umfaßt im Mittel etwa 180 Jahre. Ein Kulturquartal umfaßt 3 Phasen und damit durchschnittlich 500-600 Jahre, manchmal auch nur 300-350 Jahre, wie im Falle der abendländischen Jugend (Renaissance, Barock und Rokoko). Ein Kulturquartal ist eine Jahreszeit in dem Sinne, daß an ihr erkennbar wird, was sie ist, wenn sie gewissermaßen innehält. Winter, Frühling, Sommer und Herbst sind wie unterirdisches Wachstum, zarte Blüten, Hochblüte und Verfall, wie die pflanzliche Welt immer wieder bezeugt, aber nicht nur sie: die 4 Jahreszeiten sind wie uterines, kindliches, jugendliches und erwachsenes Leben, z.B. auch vergleichbar mit dem der Säugetiere. Das erwachsene Leben kann mehrere Quartale umfassen; in dem Falle teilen die Älteren (Elter[e]n) ihr Leben mit den Kindern, Enkelkindern oder gar Urenkelkindern. In Kulturen war und ist dies auch möglich: China, Indien und die magische Kultur existieren als Zivilisationen („Erwachsene“) schon länger als das Abendland.

Quartal meint eine Jahreszeit (= 3 Phasen) oder ein Viertel der Uhrzeit (z. B. 0-6, 6-12, 12-18, 18-24 Uhr).

China nenne ich die Kultur oder den Kulturkreis, zu dem nicht nur das heutige China gehört, sondern auch Japan, Korea und viele andere Teile Südostasiens. Japan stellt zwar einen Sonderfall innerhalb der chinesischen Kultur dar, weil es mittlerweile auch viele abendländische Kulturanteile übernommen hat - ähnlich wie Rußland, Osteuropa, der Balkan oder die Türkei (ähnlich auch wie früher die phönikischen Karthager antike Kulturanteile übernommen hatten). Aber welche fremde Kultur hat bislang nicht die Attraktivität der abendländischen Kultur für sich genutzt? Trotzdem kann auch Japan seine kulturelle Herkunft - eine großartige (!) - nicht verbergen, und das sollte es auch gar nicht.

Mythomotorik bedeutet Antrieb durch formierende oder identitätsstiftende Geschichten. „Den Ausdruck Mythomotorik hat m.W. Jan Assmann ... eingebracht. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerungen und politische Identität in den frühen Hochkulturen, München, 1992.“ (Peter Sloterdijk, Falls Europa erwacht, 1994, S. 64).

Peter Sloterdijk, Falls Europa erwacht - Gedanken zum Programm einer Weltmacht am Ende des Zeitalters ihrer politischen Absence, 1994.

 

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