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Abd Ar Rahman Ibn Chaldun (Khaldun)
(27. Mai 1332 – 19. März 1406)

Ibn Chaldun auf einer tunesischen Briefmarke
Ibn Chaldun auf einer
tunesischen Briefmarke.
Der Philosoph wurde
1332 in Tunis geboren
und starb 1406 in Kairo.
Als Ibn Chaldun 1406 starb, war die einst zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert aufblühende und zu jener Zeit am höchsten entwickelte Kultur der Welt (diese „magische Kultur“ war zu diser Zeit bereits eine „Zivilisation“ , um die Begriffe von Oswald Spengler zu benutzen) bereits in einem fortgeschrittenen Zustand des Niedergangs. Sie verlor nicht nur ihre räumliche Einheit, auch ihre Wissenschaftstradition erlosch. Die auf der Vernunft basierende Deutung der Welt und der Politik der großen Philosophen des islamischen Rationalismus wurde von der Ulema-Orthodoxie verdrängt. Ihren Platz nahm die scholastische Fiqh-/Sakraljurisprudenz ein, die ihre Weltsicht eines schriftgläubigen Islam, der alles mit dem Koran-Text erklärt, zur Hegemonial-Ideologie machte.

Ibn Chalduns Denken widmete sich der Frage, wie Kulturen entstehen, gedeihen, blühen und dann verwelken und untergehen. Der sonst zurückhaltende Arnold Toynbee ließ sich zu Superlativen bewegen, als er Ibn Chaldun mit den Worten ehrte, er sei, „der brillanteste und scharfsinnigste Geist, den die Menschheit je hervorbrachte“. Obwohl Ibn Chaldun die Zivilisation des Islam im Sinne hatte, als er seine „Ilm al-Umram“ („Wissenschaft von der Kultur“) begründete, haben seine Erkenntnisse auch eine Relevanz für die Deutung des heutigen Zustandes der abendländischen Kultur.

Ibn Chaldun legte ein mehrbändiges Geschichtswerk vor, in dem er Aufstieg und Niedergang der morgenländischen Kultur erklärt, war aber als Philosoph mehr an der Deutung als an der Chronik dieser Geschichte interessiert. Deshalb schrieb er eine Einleitung („Muqaddima“) für seine Geschichte, die auf mehrere hundert Seiten anwuchs, so zum eigentlichen Werk wurde und das ursprüngliche Geschichtswerk in den Hintergrund drängte. Seit diesem Werk haben Morgenländer viele Bücher auf Arabisch und in anderen islamischen Sprachen geschrieben, aber keines davon erreichte die Qualität von al-Muqaddima. Vor Ibn Chaldun haben Philosophen wie Al-Kundi, Al-Farabi, Avicenna (Ibn Sina), Averroes (Ibn Ruschd), Ibn Tufayl (Abubacer) und viele andere Werke ähnlichen Kalibers vorgelegt. Doch Ibn Chaldun war der letzte Morgenländer dieser Größe.

„Dem islamischen Bereich zugehörig ist das Geschichtswerk von Ibn Chaldun, das in seinem Hauptteil die Geschichte der arabischen und berberischen Stämme des Maghreb mit so vielen Details schildert, daß es nur für Spezialforscher lesbar ist.“ (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998., 1998, S. 441 **).

„Gleich zu Beginn gibt sich Ibn Chaldun als ein kritischer Historiker zu erkennen .... kritisch scheint auch die Einstellung gegenüber seinem eigenen Volk zu sein, denn es finden sich sehr negative Urteile über die Araber, ka diese erscheinen geradezu als die nomadischen und barbarischen Kulturzerstörer schlechthin. Sie sind wegen ihrer wilden Natur Räuber und Zerstörer, und sie haben die wenigsten Anlagen zur Kunstfertigkeit. (Ibn Chaldun, Ausgewählte Abschnitte aus der Muqaddima. Aus dem Arabischen von Annemarie Schimmel, 1951, S. 65, 214).“ (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998., 1998, S. 441 **).

„Aber Ibn Chaldun ist alles andere als ein bedingungsloser Lobredner der Kultur. Sein Zentralbegriff ist vielmehr »aschabija«, und der ist am ehesten durch »Gemeinschaftsgeist« wiederzugeben. Diese »aschabija« ist auf dem Land, d.h. bei den Beduinen der Steppen und Wüsten, am stärksten, und ihre feste Basis ist die Blutsverwandtschaft, also die Sippe. Nur aus der »aschabija« erwachsen Staatlichkeit, Stadtleben und Kultur, aber eben dadurch wird sie auch geschwächt und schließlich zerstört. Der Luxus und das Wohlleben des Stadtlebens gewinnen die Oberhand über die Rauheit und den Gemeinschaftsgeist des Landlebens, d.h. des Beduinenlebens, und so zerstört die kultur ihren eigenen Ursprung.“(Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998., 1998, S. 441 **).

„Die letzte Stufe der Kultur vor ihrem Untergang läßt sich als bloße »Zivilisation« charakterisieren, und Ibn Chaldun nimmt sich so als Vorläufer Spenglers aus. Aber er ist doch nicht ein bloßer Dekadenztheoretiker, der sein eigenes Volk lobt, indem er es scheinbar herabsetzt. (Daß »barbarische« oder zurückgebliebene Völker »junge« und damit zukunftsvolle Völker seien, wird später beknanntlich zumal in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts zum Topos.). Die vielen Zitate aus dem Koran sind sicherlich nicht bloße Verzierungen, und Ibn Chaldun schreibt dem Islam offenbar eine Verwandlungskraft zu, die aus den wilden Stämmen der zeit vor Muhammad (auch: Mohammed; Anm. HB) Welteroberer kulturschaffende Dynastien gemacht hat. Ebensooft wie an Spengler mag man sich an Giambattista Vico erinnert fühlen, genauer gesagt: Ibn Chaldun kann als ein Vorläufer gerade dieser beiden Geschichtsdenker erscheinen.“ (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998., 1998, S. 441-442 **).

„Eine Vorstellung vom Niedergang, der indessen nicht unaufhebbar ist, liegt auch den Predigten der Propheten des Alten Testaments zugrunde .... Und der große islamische Historiker und Geschichtsphilosoph Ibn Chaldun alle Geschichte von der »aschabija«, dem Gemeinschaftsempfinden der ursprünglichen Sippen und Stämme ausgehen, einem Empfinden, das sich auch noch einige Zeit hält, wenn ReichsgrÜndungen und Luxus die Glanzlichter der Kultur erzeugen, das sich aber immer mehr abschwächt und schließlich eine letzte Stufe hervorbringt, die Stufe einer bloßen Zivilisation, die dem Untergang vorausgeht. Selbstzerstörung ist also der Grundcharakter jeder Kultur, und damit nimmt Ibn Chaldun wesentliche Gedankengänge von Giambattista Vico und Oswald Spengler vorweg. Die unumgängliche Konsequenz wäre, daß sich alle diejenigen täuschen, welche die negativen Phänome der Gegenwart als spezifische Eigentümlichkeit der europäischen Kultur und Geschichte charakterisieren; es würde sich vielmehr um allgemeine Phänomene handeln, deren Analogien sich in weit entfernten Zeiten aufweisen lassen. Naturwissenschaftler machen sogar darauf aufmerksam, daß Prozesse der Selbstzerstörung schon unter Tieren, ja sogar letzten Endes als kosmische Prozesse zu beobachten sind: Seefahrer setzten einst auf der Insel Fernando P6o einige Ziegen an Land, für die sie keine Verwendung hatten, und als sie nach vielen Jahren wieder an der Insel vorbeikamen, stellten sie fest, daß die Tiere, da sie auf der Insel keine Feinde vorfanden, sich sehr rasch vermehrt hatten, deshalb alle Pflanzen auffraßen und schließlich allesamt zugrunde gegangen waren; gewisse Ameisenarten halten sich Blattläuse als eine Art Sklaven und werden dadurch allmählich so träge, daß sie bald den Angriffen anderer Ameisenarten zum Opfer fallen; der Weltprozeß im ganzen ist ein Prozeß der Entropie, in dem schließlich alle Energiedifferenzen ausgeglichen werden, so daß, wenngleich nach dem Verlauf gigantischer Zeitspannen, die Erstarrung im »Kältetod« die unvermeidliche Folge ist.“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 279 **).

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- Literaturverzeichnis -