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Die ignorierte Wahrheit ... Kassandrarufe
wollte niemand hören / Der Fall Hepp (von Karlheinz Weißmann) Deutschland
ist allzeit das beste Land und Nation gewesen, es wird ihm aber gehen wie Troja,
daß man wird sagen: Es ist aus!" Der Satz stammt von Martin Luther
und ließe sich ohne Schwierigkeit in eine lange Reihe von Untergangsprognosen
stellen. Wen das beruhigt, der sei darauf hingewiesen, daß die Regelmäßigkeit
solcher Vorhersagen nicht unbedingt gegen ihre Richtigkeit spricht. Kassandra
wollte niemand hören, nicht einmal die Erfahrung mit griechischen Geschenken
ließ die Trojaner mißtrauisch werden, weil sie sich in ihrer Bequemlichkeit
und Friedenssehnsucht gestört fühlten. Das nahm dem Kassandraruf in
der gegebenen Lage nichts von seiner Richtigkeit und hatte nur eins zur Folge:
eben daß es mit Troja aus war. Im Hinblick auf die demographische
Entwicklung könnte man eine ganze Reihe von Mahnern nennen, die das Schicksal
der Kassandra erlitten haben. Angefangen bei Richard Korherr, der schon in der
Zwischenkriegszeit seine Stimme erhoben hat, über Ilse Schwidetzky, die nach
1945 auf die anthropologische Realität des "Völkertodes" verwies,
bis hin zu denjenigen, die in den letzten Jahren der alten Bundesrepublik versuchten,
die immer bedrohlicher werdende Entwicklung zu korrigieren. Was die Lage der letzteren
gegenüber den ersteren außerordentlich erschwerte, war die Unsachlichkeit
der Debatte. Die relative Nüchternheit, mit der bis in die siebziger Jahren
die "Gastarbeiterfrage" und die Folgen des "Pillenknicks"
diskutiert werden konnten, war einer Atmosphäre gewichen, in der die Linke
ihre Hegemonie dahingehend nutzte, daß sich jede realistische Einschätzung
von Geburtenschwund einerseits, den zunehmenden Problemen mit Arbeitsmigranten,
Wirtschaftsflüchtlingen und Asylbegehrenden andererseits sofort unter Generalverdacht
gestellt sah. Daß der linke Alarmismus nur dazu diente, eigenen Einfluß
zu sichern und in Gestalt einer zukünftigen Klientel aus Neubürgern
zu erweitern, hat man besonders deutlich daran erkennen können, daß
auch die auf hohem Niveau vorgetragenen Einwände gegen den "Multikulturalismus"
kein Gehör fanden, sondern mit allen Mitteln der Diffamierung bekämpft
wurden. Wer wie Manfred Ritter ("Sturm auf Europa", 1990) oder Jan Werner
("Die Invasion der Armen", 1992) offen gegen die Landnahme argumentierte,
sah sich beruflicher Disziplinierung oder dauerhafter Zurücksetzung unterworfen. Ähnliches
widerfuhr auch dem Soziologen Robert Hepp, der allerdings im Unterschied zu Ritter
und Werner eine sehr viel umfassendere Vorstellung von den Ausmaßen des
demographischen Problems besaß. Hepp hatte schon seit den siebziger Jahren
vor den Folgen des Bevölkerungsrückgangs gewarnt und ihn mit den Entwicklungstendenzen
der Wohlfahrts- und Konsumgesellschaft in Beziehung gesetzt. Seine Argumentation
zielte nicht auf kurzfristige Abhilfe, sondern auf eine prinzipielle Korrektur. Damit
stand Hepp weitgehend allein. Als Konservativer Intellektueller der mittleren
Generation konnte er in seiner Altersgruppe keine Verbündeten finden. Wer
aus dieser Kohorte die akademische Laufbahn eingeschlagen hatte und nicht dem
linken Mainstream oder den Parteibuchbürgerlichen zuzurechnen war, der bemühte
sich um Unauffälligkeit, und genau das lehnte Hepp ab. Wahrscheinlich
war das eine Temperamentsfrage, denn seit seinen Anfängen in der "Katholischen"
bzw. "Konservativen Front" der sechziger Jahre, einer Art Gegen-APO,
neigte er dazu, jenes Maß an Provokationsspielraum für die Rechte in
Anspruch zu nehmen, das die Linke selbstverständlich verlangte. Die Folge
waren Vorstöße, denen es an der sonst im konservativen Milieu üblichen
Betulichkeit mangelte. Und das erklärt auch den besonderen Tonfall seines
1988 erschienenen Buches "Die Endlösung der Deutschen Frage". Anders
als viele Bevölkerungswissenschaftler trieb Hepp ausdrücklich "politische
Demographie", die nicht nur Statistisches sammelte, verglich und distanziert
auswertete, sondern aus dem Datenmaterial eine unmißverständliche Folgerung
zog: Bevölkerungsschwund ist ein Ausdruck kollektiver Todessehnsucht, und
wer dem als Politiker nicht entgegentritt, verrät seine Pflicht gegenüber
dem Volk, dem er zu dienen hat. Einwanderung, so Hepp, könne durchaus ein
Gewinn sein, aber nur, wenn die Einwanderer tatsächlich die autochthone Kultur
bereicherten oder an eine dauerhafte Unterschichtung der Heimischen gedacht sei.
Daß Hepp es wagte, solche Gedanken zu äußern - und unter Hinweis
auf die bêtes noires der Soziologenzunft zu begründen -, hat sofort
die Zensur auf den Plan gerufen. Die trat vor allem in Gestalt der meinungsführenden
Presse auf, erreichte aber auch die Universitätsleitung Osnabrück und
Hepps Disziplinarvorgesetzte. Das kampagnenartige Kesseltreiben genügte,
um ihn künftig von jeder Breitenwirkung abzuschneiden. Das ist um so bitterer,
als Hepp seine Gegner intellektuell um Haupteslängen überragte, aber
es ist auch symptomatisch insofern, als gerade seine Prognosefähigkeit ihn
so unbeliebt machte. Mittlerweile pfeifen die Spatzen vieles von den Dächern,
was Hepp schon in den achtziger Jahren sagte, aber manche Wahrheit findet nach
wie vor kein Gehör. Die erste dieser Wahrheiten ist die von der fatalen Wirkung
des hierzulande gepflegten Liberalismus, der mit seiner Verachtung des Volkes
und seinem Minderheitenfetischismus die staatlichen Grundlagen zerstört:
"Spätestens in der 'Konkordanzdemokratie' oder Militärdiktatur
der Zukunft werden die Deutschen erfahren, daß die Liberalen sie um ihre
Demokratie gebracht haben"; die zweite Wahrheit ist die vom nur bedingten
Lebenswert der Völker: "Es gibt auch bei Völkern ein Stadium der
Hinfälligkeit, wo man sich sagen muß, sie sollten lieber 'raschen Tod
erwerben, als, so verschmachtend, lebenslang zu sterben'". Das war
selbst für Hepp ein besonders bitteres Wort, nicht unähnlich demjenigen
Luthers, das eingangs zitiert wurde. Aber solche Bitterkeit speist sich zuletzt
immer aus dem Wunsch, daß der Beschimpfte sich ermannen möge und angesichts
des Abgrunds seine Kraft wiederfinde, um ein großes Leben zu führen.
Was Hepp vor fast zwanzig Jahren schrieb, gilt nach wie vor: "Wenn ich um
mich blicke, sehe ich ein recht morbides Völkchen mit einer ziemlich befremdenden
'Kultur'. Da gibt es nicht viel, was ich partout bewahrt und gegen eine 'Überfremdung'
verteidigt wissen möchte. Nicht ob die Bundesrepublikaner 'sich über
Wasser halten' können, ist deshalb für mich die Frage, sondern ob sie
noch den Willen und den Elan haben, wieder etwas aus sich zu machen."
Junge
Freiheit vom 14. April 2006
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