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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/         24. November 2006

 

 

"Das ist hier normal"
Warum der Wrangelkiez ein kulturelles, kein soziales Problem ist
(von Moritz Schwarz)

Wer den in die Schlagzeilen geratenen Wrangelkiez besucht, dem fällt kaum etwas Bedrohliches auf. Recht "adrett" wirkt gar die Ecke, wo sich die Attacken gegen die Polizeibeamten ereigneten: Einzelhändler, Kopfsteinpflaster, Bäume. Doch da sind die Jungs, die am Straßenrand sitzen. Zunächst unauffällig, ein, zwei, offensichtlich ausländischer Herkunft, dann ein Grüppchen, bald hat sich ein ganzer Pulk versammelt. Das ist es, was im Wrangelkiez passiert: Nicht Tristesse und blankes Elend, Verwüstung und Verwahrlosung des öffentlichen Raums, wie man es aus den USA kennt, zeigen hier den Verfall der Ordnung an. Die Horde Jungs, die plötzlich die Wrangelstraße dominiert, ist wohlgenährt, trendig gekleidet und ausgestattet mit Mobiltelefonen. Die Situation erinnert an den Fall der Rütli-Schule. Die Berliner Problemschule machte im April Schlagzeilen, als die Lehrer dort aus Verzweiflung über Chaos, Anarchie und Gewalt den Unterricht einstellten. Wer den Ort des Geschehens besuchte, war überrascht: eine ruhige, grüne parkartige Gegend. Ein gediegener wilhelminischer Bau, Kopfsteinpflaster, saubere Straßen.

Der offensichtliche Verfall der Ordnung findet in gepflegter Umgebung statt. Es handelt sich trotz der hohen Arbeitslosigkeit nicht wirklich um einen sozialen Verfall, sondern um die Abwesenheit einer verbindlichen Kultur, den Verfall einer verbindlichen Autorität. Was hier passiert, wird klar, wenn man die Jugendlichen reden hört: "Das waren doch noch Kinder, die die Polizei da verhaften wollte." Haben sie nicht einen anderen Jungen überfallen? "Ach, wegen einem MP3-Spieler, das ist doch hier normal." Da sprechen keine "Verdammten dieser Erde", sondern Menschen, die nicht mehr wissen, was öffentliche Ordnung und Autorität überhaupt ist. "Wir haben nichts gegen die Polizei, wir haben Respekt vor ihr, wenn sie Respekt vor uns hat." Immerhin - in ihrer Welt sind den Beamten also noch Höflichkeitsbesuche im Kiez erlaubt.

Ob man, wie im Oktober, die Feuerwehr im Einsatz behindert, weil die nicht so löscht, wie man es für richtig hält, oder wie im November einen Sanitäter angreift, weil der nicht so rettet, wie man sich das vorstellt, oder nun im Fall des Überfalls auf die Kiezschule (siehe Seite 4), die Polizei von der Strafverfolgung für entbunden erklärt, weil die nicht so ermittelt, wie gewünscht, immer ist diese eigentümliche Ignoranz gegenüber jeder anderen Autorität als der der eigenen Gruppe zu spüren - ein dem Mitteleuropäer völlig unbekannter Tribalismus. Hier wirkt ganz offensichtlich eine gruppenbezogene kulturelle Prägung, die in Deutschland über die Jahrhunderte durch das Entstehen staatlicher Instutionen und einer bürgerlichen Gesellschaft ausgestorben ist.

Um so erstaunlicher, daß davon in der Mediendebatte nichts zu hören ist. Die einzige etablierte Stimme, die diese ethno-kulturelle Größe anspricht, ist der SPD-Mann Heinz Buschkowsky: Ursache, so der Berliner Bezirksbürgermeister, sei zum einen "der Werteverfall, der dazu führt, daß staatliche Ordnung nicht mehr akzeptiert wird" sowie die - wie er die kulturelle Prägung volkstümlich nennt - "südländische Mentalität der Migranten".

Pariser Verhältnisse in Berlin?

21. April, Berlin-Kreuzberg: Polizeibeamte werden im Wrangelkiez nach Messerstecherei von über 100 Anwohnern bedroht und angegriffen.

25. April, Berlin-Wedding: Beamte im Einsatz wegen einer Ruhestörung werden von 70 Jugendlichen umringt, bedroht und attackiert.

29. April, Berlin-Wedding: 20 Männer aus einem türkischen Lokal befreien einen eben Verhafteten aus Polizeigewahrsam.

10. Mai, Berlin-Kreuzberg: Nach einer Festnahme müssen Beamte Schußwaffen und Schlagstöcke gegen eine Menschenmenge einsetzen.

1. August, Berlin-Wedding: 50 Türken beschimpfen Polizisten als "Nazi-Schweine" und attackieren sie.

11. Oktober, Berlin-Reinickendorf: Als Beamte eine Massenschlägerei beenden wollen, werden sie von 30 Jugendlichen angegriffen.

27. Oktober, Berlin-Kreuzberg: 200 Ausländer bedrängen die Feuerwehr im Einsatz. Löscharbeiten können nur mit Polizeischutz fortgesetzt werden.

14. November, Berlin-Kreuzberg: Im Wrangelkiez werden Beamte bei einer Verhaftung aus einer vorwiegend ausländischen Menge attackiert.

15. November, Berlin-Moabit: Nach einem Verkehrsunfall werden Feuerwehr und Polizei im Einsatz aus einer Menschenmenge bedrängt.


"Die Hoffnung aufgegeben"
Albrecht Derf* wohnt im Berliner Problemstadtteil Wrangelkiez, wo letzte Woche Anwohner Polizisten angriffen
(von Moritz Schwarz)

Herr Derf., Sie leben seit 36 Jahren im Wrangelkiez. Wie ist die Lage dort wirklich?

Derf: Zum Beispiel: Um nach Hause zu kommen, muß ich lediglich über die Kreuzung hier, ich kann aber altershalber nicht so schnell, und so werde ich regelmäßig beschimpft. Allerdings nicht nur von Ausländern, auch von Deutschen. Wenn es dunkel ist, gehen alte Leute wie ich nicht mehr auf die Straße. Ich bin in den letzten Jahren zweimal zusammengeschlagen worden. Einmal auf dem kurzen Weg von der Kirche, die Sie da drüben sehen, nach Hause. Die Täter waren Punker, die mich mit dem Pfarrer verwechselt haben, weil ich im Gottesdienst aushelfe und ein Meßgewand trug. Das zweite Mal hier in meinem eigenen Laden. Die Täter waren Ausländer. Warum sie das mit mir gemacht haben, weiß ich bis heute nicht, denn gestohlen haben sie nichts.

Keiner Ihrer Geschäftsnachbarn war bereit, sich in einem Interview mit uns zu äußern. Einer berichtete hinter vorgehaltener Hand, daß er für seinen Versuch, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, mit dem Demolieren seiner Schaufenster bestraft wurde.

Derf: Viele hier fürchten sich, öffentlich zu sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt. Ich bin zu diesem Gespräch auch nur bereit, weil Sie garantieren, meine Anonymität zu wahren.

Offiziell dementiert die Polizei die Existenz rechtsfreier Räume in Berlin.

Derf: Die Polizei streift nun immerhin regelmäßig durch den Wrangelkiez. Und als am Mittwoch letzter Woche eine Gruppe von achtzig bis hundert ausländischen Jugendlichen durch die Wrangelstraße zog, um nach der Auseinandersetzung mit der Polizei am Dienstag zu zeigen, wem die Straße gehört, war sie auch da, wenn auch auf Distanz. Die Polizei ist zwar da, aber viel zu zahm.

Wie hat sich der Wrangelkiez seit 1970 verändert?

Derf: Der Kiez ist multikulti geworden.

Also das, was die Politik von den Grünen bis zur CDU sich inzwischen als gesellschaftspolitisches Ziel vorstellt.

Derf: Die Politiker müssen ja hier nicht leben, sie sollten mal herkommen und sich das Ergebnis anschauen. Mit der Gegend ist es in den letzten Jahren massiv bergab gegangen. Die Deutschen, die es sich leisten können, ziehen weg. Das ist auch deshalb schlimm, weil damit unsere Kundschaft wegzieht. Bei uns gibt es Tage, da setzen wir in den zehn Stunden, die wir offen haben, keine 25 Euro um! Die, die im Kiez bleiben, sind Hartz-IV-Empfänger und Ausländer. Denn wo hier ein Deutscher auszieht, zieht ein Türke oder Araber ein.

Auch die alteingesessenen Türken klagen: Ein Verkäufer des Gemüse-Ladens, vor dem sich der Angriff auf die Polizei am Dienstag abgespielt hat, klagte uns hinter vorgehaltener Hand sein Leid.

Derf: Die erste Generation von Türken war eben noch anders. Das waren Leute, die nach Deutschland kamen, um zu arbeiten, und die Sitten hier respektierten. Mit unseren türkischen Nachbarn, die hier ordentliche Geschäfte betreiben, kommen wir auch gut aus. Diese Leute wußten noch, daß, wenn man in ein anderes Land kommt - oder dort geboren wird -, man sich anpassen muß. Aber das interessiert die junge Generation nicht mehr. Die junge Ausländergeneration hat keinen Respekt. In der Heimat sind sie "Deutsche", hier Türken. Multikulti hat heimatlose Menschen aus ihnen gemacht. Täglich versammeln sie sich an der Ecke Wrangel-/ Oppelner Straße, und dann gehen die Pöbeleien los. Wenn sie kein Geld haben, stehlen sie, auch hier bei uns im Laden.

Warum nehmen die Ausländer das Multikulti-Konzept nicht an?

Derf: Ich weiß nicht, warum sollten sie? Die halten untereinander ja zusammen, wie sie bei diesem Zwischenfall ja gesehen haben. Deutsche Mädchen hier haben zum Beispiel durchaus türkische Freunde, aber türkische Mädchen so gut wie nie deutsche.

Die meisten haben keine Arbeit, keine Ausbildung. Bekommen sie keine Stellen?

Derf: Ach, die bemühen sich doch gar nicht. Wir hier bei uns im Laden haben Ausbildungsplätze angeboten - aber da besteht kein Interesse. Man muß sagen, die türkischen Mädchen bei uns, die sind anders. Die bemühen sich meist, eine Stelle zu bekommen und Fuß zu fassen.

Welche Rolle spielt der Islam hier im Kiez?

Derf: Die Bedeutung des Islam nimmt zu. Erst kamen die türkischen Arbeitskräfte, dann haben sie - menschlich verständlich - ihre Familien nachgeholt. Und nun kommt sozusagen auch noch ihre Religion nachgezogen. Es gibt im Wrangelkiez bereits eine Moschee, jetzt aber soll zusätzlich noch eine zweite gebaut werden.

Jüngst drohten ausländische Jugendliche des Wrangelkiezes vor der Presse: "Nicht mehr lange, und es ist hier wie in den Pariser Vororten." Ist das realistisch?

Derf: Noch ist das wohl übertrieben. Ich fürchte allerdings schon, daß das auch einmal auch hier so kommen könnte.

Glauben Sie, die Politik wird sich früher oder später doch noch einmal um Ihre Probleme kümmern?

Derf: Diese Hoffnung habe ich schon lange aufgegeben.

Albrecht Derf* wurde 1946 in Norddeutschland geboren und betreibt seit 1970 ein Einzelhandelsgeschäft im Wrangelkiez.

*Hinweis: Name von der Redaktion geändert

Stichwort "Wrangelkiez":

Gelegen am nördlichen Rand des Berliner Problembezirks Kreuzberg. Hier leben etwa 12.500 Menschen. Fast vierzig Prozent sind nichtdeutscher Herkunft, die Arbeitslosenquote liegt bei rund dreißig Prozent.

Stichwort "Gewalt gegen Polizisten":

Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wurden 2005 in Berlin knapp 800 Beamte durch gezielte Angriffe oder Widerstand verletzt. Damit hat sich die Zahl in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Eine Aufschlüsselung der Täter nach Staatsangehörigkeit ergab auf den ersten drei Plätzen: Libanesen, Täter mit ungeklärter Staatsangehörigkeit und Vietnamesen. Türken liegen an siebter, Deutsche an 14. Stelle.

Die jüngste Attacke in Berlin auf Polizisten im Einsatz aus einer ausländischen Menschenmenge heraus rückt ein lang verdrängtes Problem ins Rampenlicht. Bereits seit geraumer Zeit häufen sich solche Vorfälle (siehe Kasten unten links). Gehen auch bei uns die Stadtbezirke der Parallelgesellschaften ins Stadium der rechtsfreien Räume ("No-Go-Area") über, wo die Polizei keine Kontrolle mehr hat? Sind Aufstände wie vor einem Jahr in Paris auch in Berlin oder Frankfurt möglich? Am 14. November nahmen Beamte im Ausländerproblembezirk Wrangelkiez in Kreuzberg zwei 12jährige ausländischstämmige Kinder fest, die im Verdacht stehen, einen 15jährigen Deutschen überfallen und geschlagen zu haben, als der sich nicht wehrlos berauben ließ. Sofort bildete sich eine überwiegend türkische und arabische Menschenmenge, aus der heraus die Polizisten beschimpft und angegriffen wurden (siehe Seite 4). Jetzt wurde der Vorwurf des Rassismus gegen die Polizei laut. Immer wieder kommt es mittlerweile in Berliner Ausländerbrennpunkten wie Kreuzberg, Wedding oder Moabit zum sonst nur aus dem südosteuropäischen Ausland bekannten Phänomen sich spontan zusammenrottender Menschenmengen, die gegen die Ordnungskräfte vorgehen. (Vereinzelt werden solche Übergriffe auch von seiten linker und rechter Extremisten sowie von Fußballanhängern gemeldet.) (JF)

Junge Freiheit vom 24. November 2006


 

Zur benutzten und empfohlenen Literatur von:

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