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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/   26. Juli 1991

 


Exklusivität deutscher Verbrechen als Staatsräson?
(von Klaus Kunze)

Der jahrzehntelang nur in engen Zirkeln verbreitete sogenannte historische Revisionismus ist erwachsen geworden. Dem Dogma, Deutschland sei schon immer an allem schuld gewesen, hatten Amateurhistoriker die Antithese entgegengesetzt: Deutschland war an nichts schuld; und dabei hatten sie teilweise erstaunliche, von der historischen Forschung vernachlässigte Details ans Licht befördert.

Seit dieser Revisionismus das rührend naive Stadium "Deutschland war an nichts schuld" verlassen hat und sich mit Namen verbindet wie Professor Hellmut Diwald oder Ferdinand Otto Miksche, erreicht er in zunehmendem Maße eine breitere Öffentlichkeit. Die Historisierung des von dem Berliner Geschichtsprofessor Ernst Nolte sogenannten europäischen Bürgerkriegs von 1914 bis 1945 vermittelt einem Millionenpublikum differenzierte Aussagen zur Frage der Kriegsschuld an beiden Weltkriegen und zum Ausmaß deutscher und alliierter Verbrechen. Anders als frühere revisionistische Amateure, vertreten diese Autoren keineswegs die Auffassung, eigentlich sei das nationalsozialistische Deutschland ganz harmlos und liebenswert gewesen. Als zahlenmäßig und moralisch bedeutend werden den deutschen Verbrechen die alliierten Verbrechen gegenübergestellt, und wenn das ein Millionenpublikum nicht etwa aus der Feder eines verbohrten Altnazis liest, sondem im Buch eines Miksche, der im Zweiten Weltkrieg Offizier im persönlichen Stabe von General de Gaulle gewesen ist, kann eine Bewußtseinsverschiebung in einer breiteren Öffentlichkeit nicht ausbleiben.

Wer als Leser derartiger Bücher die Meinungsfreiheit in diesem Lande einer Probe aufs Exempel unterzieht und etwa, Miksche folgend, im privaten Kreise behauptet, es seien nicht sechs, sondem höchstens 1,5 Millionen Juden ermordet worden, sieht sich zu seinem Erstaunen strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Gefährlich ist es auch, darauf weist Diwald in seinem Buch "Deutschland einig Vaterland" von 1990 hin, die Konzentrationslager des Dritten Reiches zu einem Gegenstand historischer Forschung zu machen.

Wer an der alleinigen Schuld Deutschlands zweifelt, wird als Verfassungsfeind und Staatsfeind angesehen und behandelt. Wer diese Behauptung Diwalds in seinem oben zitierten Werk liest und die einschlägige Gerichtspraxis nicht kennt, wird ihn belächelt und sich im Wohlgefühl gesonnt haben, im freiesten Staat zu leben, den es je auf deutschem Boden gegen hat. Indessen entzieht der Zweifler an der alleinigen Schuld Deutschlands eben diesem Staat und den Grundlagen der Verfassungsmäßigkeit allen staatlichen Handelns nach Meinung von Diwald den Boden: Wenn sich nämlich das Grunddogma der alleinigen Schuld nicht aufrechterhalten lasse, werde der Zweite Weltkrieg zum größten Verbrechen der Geschichte, das zu einem bedeutenden Teil auf England, Frankreich und den Vereinigten Staaten laste.

Daß dieser Begründungszusammenhang aktuell ist, bestätigte das höchste deutsche Verwaltungsgericht in einem Urteil vom 28.09.1990, in dem es die Wertungen Diwalds indirekt bestätigt und ihnen die juristische Weihe verleiht (NJW, 1991, S.997). Das Bundesverwaltungsgericht entfernte einen Soldaten trotz überdurchschnittlicher dienstlicher Leistungen aus dem Dienst. Ein Offizier verstoße gegen seine Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Staat, wenn er nationalsozialistische Verbrechen leugne. Die politische Treuepflicht gehöre zu den Kernpflichten des Soldaten und verlange, sich zu der Idee des Staates, dem er dient, zu bekennen. Durch das Bestreiten der Verfolgung und Tötung von Juden im Dritten Reich habe der Soldat gegen die Pflicht verstoßen, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten.

Das Urteil entspricht dem geltenden Gesetzesrecht und dem Selbstverständnis dieser Bundesrepublik. Zum Kernpunkt des Staatsverständnisses und zur Grundlage der Verfassungsmäßigkeit gehört das Dogma von der Alleinschuld Deutschlands und von der Einzigartigkeit seiner Verbrechen. Eine historische Forschung, die diese Verbrechen und alliierte Verbrechen, begangen von den Führem demokratischer Staaten, als moralisch und zahlenmäßig gleichgewichtig nebeneinander stellt, trifft die Grundlage der Legitimität der Nachkriegsordnung ins Mark. Wenn der durch das nationalsozialistisehe Deutschland an den Juden begangene Völkermord und andere Verbrechen nicht einzigartig und nicht schwerwiegender waren, als beispielsweise der angloamerikanische Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung, als das Verhungernlassen von bis zu einer Million deutscher Kriegsgefangener in amerikanischen Gefangenenlagem, dann steht auch die Rechtfertigung aller Verfolgungsmaßnahmen seit den Nümberger Prozessen in Frage.

Spätestens seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts haben wir es schwarz auf weiß: Die "Idee unseres Staates" ist keine Schimäre; es gibt sie wirklich. Nach dem klassischen Staatsrecht weist jeder Staat die Komponenten des Staatsvolks auf, des Staatsgebiets und der Staatsgewalt. Letztere geht vom Volk aus. Der Staat hat die Aufgabe, durch seine Staatsgewalt den Frieden und die Wohlfahrt des Staatsvolkes nach innen und außen zu schützen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen klassischen juristischen Kanon erweitert und eine "Staatsidee" juristisch dingfest gemacht.

Im politischen Bereich' definierte sich die Identität unseres Gemeinwesens von Anfang an im Gegensatz zu allem, was mit dem Dritten Reich zusammenhängt oder mit diesem in Zusammenhang gebracht werden kann. Jetzt hat dieses politische Selbstverständnis in der Jurisprudenz Einzug gehalten, einer Wissenschaft, die dem Politischen sonst verschlossen gegenübersteht.

Die moralische Rechtfertigung für die historisch einzigartige Metamorphose einer Nation zu einer sich selbst leugnenden Gesellschaft ist die angeblich historisch singuläre Schuld unserer Großvätergeneration. Wegen unserer blutmäßigen Abstammung von dieser Generation der "Täter" weist man uns Jüngeren eine "Betroffenheit" zu. Die rassische Komponente der Abstammung und die moralische Komponente der singulären Schuld werden funktionalisiert, um uns auf das historische Novum einer bestimmten Staatsidee einzuschwören. Da diese Staatsidee eines sich sonst als pluralistisch verstehenden Staates ausschließlich in der Negation eines bestimmten historisch verflossenen Reiches mit allen seinen Erscheinungsformen besteht, muß jede Veränderung des historisch fixierten Bildes vom Dritten Reich als Angriff auf die als Spiegelbild fixierte Idee unseres heutigen Staates angesehen werden. Darum wertet das Bundesverwaltungsgericht und werten deutsche Gerichte und Regierungen jeden Versuch einer Korrektur selbst bloßer historischer Detailfragen als Mohrenwäsche oder Verharmlosung, lassen eine Beweisaufnahme über wirkliche oder angebliche "historische Tatsachen" nicht zu.

Fragwürdig ist nicht nur die Verteidigung historischer Detailfragen durch den Strafrichter, wie beispielsweise die Frage der exakten Anzahl der jüdischen Opfer, oder die Frage, ob die Morde an Juden etwa durch Massenerschießungen verübt wurden oder mit Gaskammern, als käme es für die grundsätzliche historische Bewertung darauf noch an. "Der Strafjustiz würde damit eine Rolle in der politischen und historischen Auseinandersetzung aufgebürdet, mit der sie überfordert ist. Wir bezweifeln auch, daß solche Auseinandersetzungen in einer freiheitlichen Gesellschaft mit strafrechtlichen Kategorien belastet werden dürfen", erklärte sogar der Vorstand des linksstehenden Republikanischen Anwaltsvereins Klaus Eschen (Zeitschrift für Rechtspolitik 1983, S. 10) und vertritt die Auffassung, bei aller wünschenswerten Eindämmung neonazistischer Tendenzen sei die strafrechtliche Festschreibung historischer Dogmen kein geeignetes Mittel. Damit hätte die Strafjustiz die Aufgabe, historische Vorgänge als "strafrechtlich wahr" festzustellen, deren Anzweiflung oder Verharinlosung fürderhin mit Strafe bedroht wäre. Die Strafjustiz hätte (... ) historische Dogmen zu bilden und ihr Leugnen zu ahnden."

Die Klärung historischer Verbrechen würde zum "Gegenstand der Beweisaufnahme. Es käme zu der unerträglichen Situation, daß sich deutsche oder ausländische Sachverständige, Historiker, Politologen und Ethnologen darüber auseinandersetzen mußten, was als historische Wahrheit (... ) zu gelten hätte. Diese Schwierigkeit wird deutlich, wenn sich eine der inkriminierten Schriften nicht mit dem Völkermord als Ganzem, sondem lediglich mit Teilakten beschäftigt, etwa mit der Existenz oder Funktion des Warschauer Gettos." Genau diese Probleme, von Klaus Eschen 1983 hellsichtig vorausgesehen, sind heute aber Gegenstand der Rechtsprechung. Diese hilft sich mit dem Pochen auf "Historisch feststehende Tatsachen" und lehnt es grundsätzlich ab, in Beweisaufnahme über die Richtigkeit historischer Behauptungen einzutreten.

Die "Idee" unseres Staates, sich ausschließlich als Negation eines früheren Systems zu begreifen und den Zweifler an historischen Details zum Staatsfeind zu machen, ist politisch und juristisch systemwidrig. Politisch systemwidrig in einem pluralistischen System ist es, einen Bürger wegen einer abweichenden Meinung zu historischen Ereignissen zu bestrafen. Dem politischen Pluralismus zuwider ist vor allem aber die Vorstellung, das Staatsvolk auf irgendeine bestimmte Idee des Staates einschwören zu wollen. Es ist ja gerade Merkmal des politischen Pluralismus, dem Bürger jede Freiheit der Ideen und Gedanken zu gewähren. Ein pluralistischer Staat darf keine "Idee" haben, sonst ist er nicht mehr pluralistisch.

Juristisch systemwidrig ist die Annahme, wer bestimmte vorgegebene historische Behauptungen nicht glaube oder ein anderes Staatsverständnis als das der Negation eines bestimmten historischen Modells habe, sei deshalb ein Feind der Demokratie. Es wäre traurig um unser demokratisches Gemeinwesen bestellt, wenn es zu seiner Legitimation des feststehenden Feindbildes des "Nazis" und der Einzigartigkeit seiner Verbrechen bedürfte. Die Negation von irgend etwas Vergangenem oder die Festschreibung historischer "Tatsachen" ist kein Wesensmerkmal der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und darf auch nicht dazu gemacht werden. Andernfalls droht dieser Demokratie ein zwangsläufiger Legitimationsverlust, sobald sich historische Detailbehauptungen, von der Strafjustiz erbittert verteidigt, durch die Geschichtswissenschaft selbst nicht mehr aufrechterhalten lassen.

Klaus Kunze ist Rechtsanwalt in Uslar.

Junge Freiheit vom 26. Juli 1991


 

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