Europäer sollten
die Tea Party ernst nehmen - und lernen (von Jürgen Liminski)
Man
könnte die Kommentare der meisten deutschen Medien über die Wahlen in
Amerika schon vorher schreiben, und der Tenor dürfte sein: Der Erfolg der
Republikaner sei einigen verrückten Gestalten geschuldet, die sie mit Hilfe
der Tea Party in politische Geiselhaft genommen hätten. Dazu ein paar Bilder
von Sarah Palin oder der jungen Christine ODonnell, am besten schreiend
oder sonst irgendwie schrill auftretend. Es ist ja so einfach, ein paar Beispiele
zu hochzuhalten und damit sich und die Zuschauer oder Leser zu manipulieren. Aber
was die selbstherrlichen Abkanzler in den Redaktionen nicht ahnen und vermutlich
auch nicht wissen wollen: Diese Wahl markiert nicht nur die politische Einhegung
des Medienlieblings Barack Obama Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus,
möglicherweise sogar im Senat , sondern auch das Aufkommen eines Phänomens,
das in Europa ebenfalls Schule machen könnte. Neue Ausdrucksformen
des Volkswillen Denn hinter und mit der Tea Party manifestiert sich eine
Bewegung, die die Bedeutung des Staates und der etablierten Parteipolitiker in
Schranken weist, die der wirkliche Souverän, das Volk, setzt. Es ist die
Suche nach neuen Ausdrucksformen des Volkswillens, die von den blassen und blasierten
Funktionären weder kontrolliert noch usurpiert werden können. Die
Tea Party hat keinen Chef, nur einige Sprecher, aber auch die ohne Mandat. Sie
ist nicht landesweit organisiert und strebt keinen Parteienstatus an. Sie ist
aus Protesten entstanden, aus vielen Millionen freiwilligen Stunden und vielen
Millionen kleiner Spenden, aus einem Gefühl der Vernachlässigung und
Verachtung durch die politische Klasse, einschließlich der Repräsentanten
der Republikaner. Aber sie will keine neue Partei sein, sondern die Republikanische
Partei erneuern durch eine Besinnung auf die Wurzeln amerikanischen Denkens. Sie
will weniger Staat und mehr Eigenverantwortung, mehr Freiraum für den Unternehmergeist
und weniger Gängelung durch Ideologen und Bürokraten. Sie könnte
sich, so gesehen, erweisen als die Avantgarde eines neuen demokratisch-konservativen
Denkens. Entzauberung Obamas als Blender Entscheidend für die
nahe Zukunft wird erstmal die mediale Entzauberung Obamas sein. Je nachdem welche
personelle Alternative sich auf der republikanischen Seite in den nächsten
Monaten ergibt, könnte diese Wahl auch der Anfang vom Ende einer blendenden
Ära sein. Obama hat in der Tat geblendet. Er hat seine Versprechen
nicht einlösen können. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie seit einer
Generation nicht mehr. Die Verschuldung ist gigantisch. Eine zweite Rezession
steht vor der Tür. Der Dollar schwächelt anhaltend. Die Kriege gegen
Islamisten, Piraten und Staatsterroristen sind nicht beendet. Seine Ratlosigkeit
in außenpolitischen und in wirtschaftlichen Fragen macht ihn zum großen
Zauderer im Weißen Haus ein deutlicher Kontrast, mehr als ein Schatten,
zu seinen Entschlossenheit vorgaukelnden Reden. Der Hauptgrund für
seinen Niedergang aber ist derselbe, der die Tea Party wachsen läßt:
Obama sieht, wie viele europäische Politiker, das Heil im Staat. Das hat
ihm in der Krise, da viele Amerikaner Haus, Geld und Zukunft verloren haben, die
Stimmen der vom Schicksal Geschlagenen beschert. Die Bank Lehman Brothers ging
sechs Wochen vor der Wahl 2008 pleite, der Schock gab vielen Amerikanern den Rest. Schon
vorher waren etliche Republikaner von Bush enttäuscht, weil dieser republikanische
Präsident bereits in manchen Bereichen staatsinterventionistisch agierte.
Obama aber tat dies auf aggressive Weise und hat damit tiefsitzende Instinkte
einer eigentlich politisch desinteressierten Masse aufgeschreckt. Amerikaner
korrigieren politische Fehler schnell Eine neue Gallup-Umfrage hat ergeben,
daß nur 20 Prozent der Amerikaner ihr Heil im (Sozial-)Staat sehen, 42 Prozent
dagegen definieren sich als staatskritische Konservative. Die anderen
38 Prozent halten sich für gemäßigt und irgendwo dazwischen. Obama
könnte trotz seines Scheiterns Karriere machen in Europa, aber nicht
in Amerika. Die Wogen der Krise und sein rhetorisches Talent haben ihn nach
oben gespült. Aber die Amerikaner zeichnet eine hohe Flexibilität aus.
Sie haben das Privileg, in der Politik Fehler rasch zu korrigieren. Das ist in
Europa anders. Hiesige Kommentatoren werden Obamas Niederlage eher damit begründen,
daß die Erwartungen in diesen Messias schlicht zu hoch gesteckt
waren. Es ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit, der europäische. Eine
Bewegung wie die Tea Party, die eine bestehende Volkspartei von innen heraus erneuert,
sucht noch ihresgleichen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, daß die
Amerikaner ein anderes Gleichgewicht gefunden haben zwischen Politik und Staat,
Politik und Kultur, Politik und Religion. Die amerikanische Zivilreligion
als Vorbild? Alexis de Tocqueville bezeichnete die amerikanische Staatsform
schon vor fast 200 Jahren als Religion mit demokratischen Zügen. Von
Anfang an waren Politik und Religion einig, und sie haben seither nicht aufgehört,
es zu sein, schrieb der große Franzose. Und er sah auch die Verbindung,
ja die gegenseitige Abhängigkeit: Nie war ich überzeugter als
heute, daß nur die Freiheit und die Religion in einer gemeinsamen Bemühung
die Menschen aus dem Sumpf herausziehen können, in den die Demokratie sie
stößt, sobald eine dieser Stützen ihnen fehlt. Wenn
der Freiheit die Religion fehlt, endet sie in Gleichmacherei und Beliebigkeit.
Wenn der Religion die Freiheit fehlt, endet sie in Diktatur. Tocqueville hatte
ein sozusagen natürliches Verständnis für die amerikanische Lebensform.
Dieser Impetus mündet in einer Maxime: Die persönliche Freiheit des
einzelnen ist dieser Grundsatz des Lebens, abgestützt und eingehegt von der
Verantwortung vor Gott. Mit dieser Maxime tun sich die Europäer schwer. Und
deshalb wird es auch schwer sein, den Europäern die Niederlage Obamas zu
erklären. Junge Freiheit vom 31. Oktober 2010 |