Gespräch
mit Peter Scholl-Latour: Ich fürchte, Israel hat sich verschätzt.
Der Nahostexperte Peter Scholl-Latour über den Angriff auf den Libanon und
die Gefahr einer Ausweitung des Krieges. (von Moritz Schwartz) Herr
Professor Scholl-Latour, droht in Nahost tatsächlich ein neuer arabisch-israelischer
Krieg durch die Einbeziehung Syriens und des Iran, wie manche befürchten? Scholl-Latour:Die
Entscheidung darüber wird in Washington gefällt werden. Dort scheint
man im Moment darauf aus zu sein, einen Keil zwischen Syrien und Iran zu treiben
- was nicht abwegig ist, denn Syrien hat bekanntlich ein säkulares, national-arabisches
Regime, das mit einem schiitischen Gottesstaat nichts zu tun haben will. Die Strategie
für Syrien ist jene, die man schon im Fall Libyen angewendet hat. Was den
Iran angeht, so ist Amerika de facto gelähmt: Kriegerische Aktionen gegen
Teheran würden zum Eingreifen der iranischen Revolutionsgarden im irakischen
Krieg führen. Darüber hinaus kann Iran - obwohl es keine ernstzunehmende
Kriegsmarine hat - mit Booten, Raketen, Selbstmordkommandos die Zufahrt zum Persischen
Golf sperren, und damit eine schwere Ölkrise auslösen. Denkbar ist auch,
daß iranische Raketen die Erdölfelder Saudi-Arabiens treffen. Welche
Rolle spielt der Iran in dem Konflikt im Libanon tatsächlich? Scholl-Latour:Dank
des Iran könnte der Führer der Hisbollah, Scheikh Nasrallah, Israel
noch tiefer im Hinterland treffen, als bisher schon. Nämlich dann, wenn er
die weitreichenden und präzisen Fajr-Raketen einsetzt, die ihm von den Persern
geliefert worden sind. Offenbar hat Teheran dazu aber noch nicht grünes Licht
gegeben. Ist ein Krieg der verbündeten arabischen Staaten gegen Israel
wie in der Vergangenheit heute politisch noch möglich? Scholl-Latour:Bemerkenswert
ist die Passivität, die sowohl Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien
an den Tag legen. Das rührt aus der Befürchtung dieser zutiefst sunnitischen
Staaten her, daß die schiitische Glaubensrichtung, die durch den Iran zur
Vormacht am Persischen Golf heranwächst, den Irak weitgehend beherrscht und
im Libanon mindestens vierzig Prozent des Volkes ausmacht, zum beherrschenden
Faktor in diesem Raum wird und die sunnitischen und proamerikanischen Regime dort
in ihrer Existenz bedroht. Sind die beiden entführten israelischen
Soldaten tatsächlich der Kriegsgrund? Scholl-Latour:Beide Seiten
waren offenbar an einer Eskalation interessiert. Die Hisbollah wollte mit der
Verschärfung des Konflikts die Position des befreundeten Iran stärken
und Israel wollte die libanesische Regierung und den Westen zwingen, jene UN-Resolution
umzusetzen, die die Entwaffnung der Milizen, auch der Hisbollah, im Libanon verlangt. Werden
die Israeli ihre Ziele erreichen oder wird sich die Operation am Ende als »Eigentor«
herausstellen? Scholl-Latour:Ich fürchte, daß die Israeli
sich bezüglich der Auswirkungen ihrer Offensive verschätzt haben. Bisher
konnten sie, wie die Großdemonstrationen in Beirut anläßlich
der Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Hariri im Oktober 2005
gezeigt haben, sich bei den Christen und einem großen Teil der Sunniten
des Libanon auf eine proamerikanische Haltung verlassen. Seit jedoch Präsident
Bush fast bedingungslos gemeinsame Sache mit den Israeli macht und die Bomben
auf christliche Stadtviertel der Hauptstadt fallen, wird auch bei den maronitischen
Christen die Amerikafeindlichkeit zugenommen haben. Bush hat den Konflikt
bekanntlich gegenüber Tony Blair als »Shit« bezeichnet. Deutet
das darauf hin, daß sich an der Position der USA etwas ändern wird? Scholl-Latour:Eine
Karikatur dieser Tage bringt es auf den Punkt: Blair beugt sich zu Bush und sagt:
»George, Du hast Dich vertan, es heißt nicht 'Shit', sondern 'Shiite'
(englisch für Schiit)!« Beobachter vermuten, Israel kommt die
Massenflucht gerade recht, es ziele auf die Schaffung einer entvölkerten
Sicherheitszone im Süd-Libanon. Scholl-Latour:Die schon einmal
bestehende Sicherheitszone wurde im Mai 2000 aus guten Gründen geräumt:
weil die Anschläge der Hisbollah gegen die dort stationierten israelischen
Soldaten zu relativ hohen Verlusten geführt haben. Das Problem der Israeli
ist: Wenn die Bevölkerung gegangen ist, werden die Milizen dennoch bleiben.
Und wie jeder General weiß, ist eine zerstörte Stadt ein perfektes
Gefechtsfeld für Partisanen. Wie sieht das Schicksal des Libanon zwischen
Bürgerkrieg, israelischen Interventionen und syrischer Hegemonie aus? Scholl-Latour:Der
Einfluß Damaskus' ist ja durch den von den USA und Frankreich 2005 erzwungenen
Abzug der syrischen Truppen ausgeschaltet worden. Heute kann man sich allerdings
fragen, ob die syrische Präsenz nicht eine gewisse Sicherheitsgarantie bedeutete
für den Libanon, wie für Israel. Junge Freiheit vom 28. Juli 2006 |