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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/   10. Oktober 2008

 
Die Seeschäumer und der solide Kleinkredit
(von Günter A. Zehm)

Von "Seeschäumern" einerseits, "Landtretern" andererseits sprach einst Carl Schmitt, als er in seinem Buch "Land und Meer" eine grundsätzliche Differenz zwischen Angelsachsen und Kontinentaleuropäern markieren wollte. Pankraz fühlt sich in diesen Tagen und Wochen der Finanzkrise intensiv daran erinnert. Die Medien, gerade auch die offiziellen, halboffiziellen und "führenden", bibbern geradezu vor Eifer, einen schwerwiegenden, ja anthropologisch fixierten Unterschied zwischen "drüben" und "hüben" zu beschwören. Soviel plötzliches Umdenken war nie.

Da ist kaum noch etwas von "atlantischer Wertegemeinschaft", "gemeinsamem westlichem Lebensstil", "wechselseitiger Verwurzelung in abendländischer Tradition" u.s.w. Der Ton ist voll auf Abgrenzung eingestellt. Wenn's ans Geld geht, hört eben jede Gemütlichkeit auf. Der schnöde Coup der Wallstreet, hausgemachte oberfaule Kredite über die ganze Welt zu verstreuen und damit riesige Verheerung in faktisch sämtlichen Volkswirtschaften anzurichten, hat dauerhaft Zorn und Wut etabliert. So hat man sich die "Globalisierung" nicht vorgestellt.

Wohlgemerkt: Es geht nicht um die alte Scheinalternative zwischen Kapitalismus und Sozialismus. In die stumpfsinnige, völlig ineffektive sozialistische Planwirtschaft möchte niemand zurück. Alle wissen, daß zum guten und auch nur zum erträglichen Leben eine freie Wirtschaft und ein vielfältiger, Angebot und Nachfrage regelnder Markt gehören. Das mag man "Kapitalismus" nennen, aber dieser Kapitalismus ist kein "System", das man "anwenden" oder auch nicht anwenden kann. Er ist nur ein anderes Wort für modernes Wirtschaften und Kommunizieren insgesamt.

Zu fragen ist dann freilich, wie man sich im Rahmen modernen Wirtschaftens und Kommunizierens verhält, bedachtsam oder rücksichtslos, fair oder frech, den anderen Marktteilnehmer respektierend oder ihn brutal übers Ohr hauend. Der Markt regelt dergleichen nicht von selbst, er hat keine unsichtbare Hand, die am Ende alles zum Guten fügt. Adam Smith, der Urvater der freien Marktwirtschaft, ging ganz selbstverständlich von der Tugendhaftigkeit der Marktteilnehmer aus. Sie mußten christliche Gentlemen sein, sonst verwandelte sich der Markt in eine Räuberhöhle.

Wenn man den aktuellen Medien hierzulande lauscht, dann ist genau dies während der letzten Zeit in den USA passiert: Wallstreet hat sich in eine Räuberhöhle verwandelt, in eine Ansammlung wüster Abzocker und Kaputtmacher, denen jeder Sinn für Ausgewogenheit und konstruktives Wirtschaften abgeht. Und dieser Tatbestand, so vernimmt man weiter, komme nicht von ungefähr, er sei angelegt in der "Spezifik des angelsächsischen Kapitalismus", in der ungehemmt ausgreifenden Mentalität jener Seeschäumer eben, über deren Traditionen Carl Schmitt so eindrucksvoll Kunde gegeben hat.

Ziemlich starker Tobak dies. Aber es ist richtig: Seefahrende Nationen neigen (neigten zumindest in der Vergangenheit) zur Herausbildung einer penetranten Überheblichkeit anderen Kulturen gegenüber. Während die Landtreter, wenn sie über ihre Heimatregion hinausgriffen, ständig unmittelbar mit anderen Kulturen konfrontiert wurden, mit denen sie sich messen und arrangieren mußten, pflügten die Seeschäumer zunächst einmal weite, schier unendliche Meere, auf denen gar nichts war, "leerer Raum". Und das hatte Folgen.

Die neuen Völker, bei denen sie schließlich anlandeten, gehörten in der Sicht der Ankömmlinge selber zum leeren Raum, zur "offenen Grenze", waren leicht unterwerfbar oder gar schlicht ignorierbar. Sie waren weder ernsthafte Verhandlungspartner noch ebenbürtige Gegner, die in harter Schlacht niedergerungen werden mußten, sie waren bloße Manövriermasse im Kalkül der "Kolonisatoren". Gut möglich, daß sich manches von dieser originären Seeschäumer-Mentalität heute im aktuellen Finanzgebahren von Wallstreet fortsetzt und modern potenziert.

Die Welt in all ihren Differenzierungen und Variabilitäten ist zur bloßen Manövriermasse für Seeschäumer geworden, zum leeren Raum im Kalkül von Leuten, die zu lange nur Meer, im aktuellen Fall also: nur Geldscheine und nichts als Geldscheine, gesehen haben und die nun alle konkreten Formen des Lebens ebenfalls für nichts als Geld halten. So etwas tut keinem gut.

Es ist wie in dem berühmten Gleichnis von Aristoteles in der Antike, der sich als erster mit der Geldwirtschaft befaßte: König Midas, dem sich alles, was er berührt, in Geld verwandelt, muß am Ende verhungern, da sich Geld als solches nicht essen läßt. Leider liest man bei Aristoteles nicht, ob das "Berühren" sich auch auf die inneren Organe des Königs bezog. Er hätte ja, falls nicht, nur den Mund aufsperren und seine Diener anweisen brauchen, ihm die Leckerbissen in denselben zu werfen. So wäre er nicht verhungert. Aber er wäre doch immerhin zum hilflosen Patienten geworden, genau wie heute Wallstreet zum Weltpatienten geworden ist.

Ist Wallstreet deshalb hilflos? Zur Zeit sitzt es noch wie der Kuckuck im Grasmückennest, sperrt den Schnabel sperrangelweit auf und läßt sich ohne Selbstberührung die Leckerbissen in den Schlund stopfen. Die stopfenden Grasmücken sind allerdings schon sichtlich überfordert. Ihre Haushalte halten dergleichen nicht mehr lange aus. Und die Wut der Steuerzahler wächst, und die kritischen Medientöne gegen Wallstreet werden immer lauter.

Am Ende werden wohl alle Seeschäumer wieder zu Landtretern werden müssen. Sie passen einfach nicht mehr in die sogenannte Globalisierung. Denn die globalisierte Welt kennt keine "offene Grenze" mehr und keine Inseln, die noch kolonisiert werden könnten. Sie ist bekanntlich zum Dorf geworden, wo jeder der direkte Nachbar des anderen ist und auf diesen wie auf dessen Eigentum und auf das Dorf im ganzen Rücksicht zu nehmen hat. Solide Kleinkredite sind da allemal besser als faule Großkredite.

Junge Freiheit vom 10. Oktober 2008


 

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