Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist
- Freiheit.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie
oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, 1795,
S. 67 |
Also soll das endliche Ich streben, alles was in ihm möglich
ist, wirklich … zu machen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie
oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, 1795,
S. 122 |
Die Natur schlägt im Menschen ihre Augen
auf und bemerkt, daß sie da ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie
oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, 1795 |
Vielleicht aber sind nie auf so wenigen Blättern so viele
tiefe Gedanken zusammengedrängt worden, als in der Kritik der teleologischen
Urteilskraft § 76 (vgl. Kants Kritik der
Urteilskraft, 1790, § 76; HB) geschehen ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie
oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, 1795,
S. 122 |
Die Intelligenz erhebt sich durch eine absolute Handlung über
alles Objektive.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, System des transzendentalen Idealismus,
1800 |
Nur im Verstand gibt es Fortschritt, in der Vernunft keinen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, 1804 |
Die wirkliche Freiheit besteht in der Vereinigung mit der Notwendigkeit
…. Die Aufgabe besteht darin, die richtige Notwendigkeit zu wählen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Über das Wesen der menschlichen
Freiheit, 1809 |
Descartes, dem es einmal nicht darum zu tun war, die Dinge zu
begreifen, sondern nur darum, zu wissen, daß sie seien (das Wenigste,
was man von den Dingen wissen kann), wurde durch seinen Vorgang Ursache,
daß diese Frage: ob unseren Vorstellungen von den äußern
Dingen in der Tat etwas entspreche, für geraume Zeit als Hauptfrage
in der Philosophie betrachtet wurde. Es hätte dem Descartes ganz
nahe gelegen, schon zum völligen Idealismus fortzugehen, d.h. zu
dem System, welches behauptet, daß die Dinge nicht objektiv außer
uns, sondern nur in unsern, wenngleich notwendigen Vorstellungen existieren.
Allein dies wollte er nicht; um daher jener notwendigen Konsequenz zu
entgehen, nahm er zu einem andern Begriff seine Zuflucht. Weil die Vorstellungen
keine Bürgschaft in sich selbst, so bedarf es eines Bürgen
für die Wahrheit seiner Vorstellungen von Außendingen
hier sucht er aus dem Subjektiven ins Objektive zu kommen (metabasiV)
, diesen Bürgen findet er in Gott, dessen Dasein aber dann
vorher bewiesen sein muß. Dies bewerkstelligt er denn kürzlich
auf folgende Art: Es ist in mir der Begriff eines allervollkommensten
Wesens. (Dies wird als empirische Tatsache vorausgesetzt, wie das Ich
denke eben auch nur ein empirisches Faktum ist.) Nun gehört aber
zum Begriff des allervollkommensten Wesens nicht, wie man späterhin
sagte, der Begriff der Existenz überhaupt, denn so ungeschickt ...
pflegte Descartes ... nicht zu schließen, der wohl wußte,
daß Existenz überhaupt etwas gegen Vollkommenheit und
Unvollkommenheit Gleichgültiges ist es gehört zum Begriff
des vollkommensten Wesens auch der Begriff der notwendigen Existenz.
Sowie ich also Gott nur denke, muß ich auch einsehen, daß
er existiert. Dies ist also der unter dem Namen des ontologischen bekannte
Erweis des Daseins Gottes. Aus dem bloßen Begriff des allervollkommensten
Wesens wird dann weiter geschlossen, das allervollkommenste Wesen würde
dieses nicht sein, wenn es nicht auch das allerwahrhaftigste wäre
(hier ein Übergang von dem Begriff, der bis jetzt nur als ein metaphysischer
genommen schien, zu moralischen Eigenschaften), einem solchen also müßte
es auch unmöglich sein, uns zu täuschen 1. in Ansehung der mathematischen
Wahrheiten (sonderbar, daß Descartes immer nur diese und
nicht auch die allgemeinen Begriffe, so wie die Gesetze des Denkens, Urteilens
und Schließens bezweifelt), 2. ebenso unmöglich (da nur Gott
diese Täuschung bewirken könnte) in Ansehung der sinnlichen
Dinge. Hier wird daher nun Gott, nachdem ein ganz anderes principium cognoscendi
angenommen war, doch auch noch anerkannt als das wahre Erkenntnisprinzip,
d.h. als das, was aller Erkenntnis erst Wahrheit erteilt. Jene Berufung
auf die Wahrhaftigkeit Gottes hat übrigens auf den Nachfolger des
Descartes, den Franzosen Malebranche, so wenig gewirkt, daß
er diesem Argument höchstens Wahrscheinlichkeit zugesteht und bemerkt,
daß Gott, wenn er es sonst gut und nötig fände, uns gar
wohl Körper vorstellen könnte, wenn es auch keine gäbe.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Descartes, in: Zur Geschichte der
neueren Philosophie, 1827, S. 37-39 |
Was uns indes am wichtigsten sein muß, und weswegen ich
von der Philosophie des Descartes vorzüglich einen Begriff zu geben
gesucht habe, ist eben jenes von ihm auf die Bahn gebrachte ontologische
Argument. Bei weitem weniger durch das, was er außerdem über
die Anfänge der Philosophie behauptete, als durch die Aufstellung
des ontologischen Beweises ist Descartes für die ganze Folge der
neueren Philosophie bestimmend geworden. Man kann sagen: die Philosophie
ist noch jetzt damit beschäftigt, die Mißverständnisse,
zu denen dieses Argument Veranlassung gab, zu entwirren und auseinanderzusetzen.
Merkwürdig ist dieses Argument auch noch, weil es unter den Schulbeweisen,
mit denen die Existenz Gottes in der gewöhnlichen Metaphysik bewiesen
zu werden pflegte, bis auf Kant noch immer obenan stand. Es ist wohl zu
bemerken, daß dieses Argument von den Scholastikern keineswegs anerkannt
wurde. Denn obgleich schon Anselm von Canterbury ein ähnliches aufgestellt
hatte, so widersprach ihm doch Thomas von Aquin aufs bestimmteste. Vorzüglich
wurde der sogenannte ontologische Beweis auch Gegenstand der Kantschen
Kritik, allein weder Kant noch irgendeiner seiner Nachfolger hat den rechten
Punkt getroffen. Der hauptsächlichste Einwurf gegen Descartes' Beweis,
der vorzüglich von Kant geltend gemacht worden, beruht auf der schon
erwähnten unrichtigen Vorstellung, als laute das Argument so: Ich
finde in mir die Idee des vollkommensten Wesens, nun ist aber die Existenz
selbst eine Vollkommenheit, also ist in der Idee des vollkommensten Wesens
von selbst auch die Existenz enthalten. Hier wird dann der Untersatz des
Schlusses geleugnet. Man sagt, die Existenz sei keine Vollkommenheit.
Ein Dreieck z.B. wird durch die Existenz nicht vollkommener, oder wenn
dies wäre, so müßte mir ebensowohl verstattet sein zu
schließen, das vollkommene Dreieck müsse existieren. Was nicht
existiert, sagt man, ist weder vollkommen noch unvollkommen. Existenz
drückt eben nur aus, daß das Ding, d.h., daß seine Vollkommenheiten,
sind. Also ist die Existenz nicht eine dieser Vollkommenheiten,
sondern sie ist das, ohne welches weder das Ding noch seine Vollkommenheiten
sind. Allein ich habe schon bemerkt, daß Descartes nicht auf diese
Weise schließt. Sein Argument lautet vielmehr so: der Natur des
vollkommensten Wesens würde es widerstreben, bloß zufällig
zu existieren (so wie z.B. meine eigne Existenz eine bloß zufällige
prekäre und eben darum an sich zweifelhafte ist), also kann
das vollkommenste Wesen nur notwendig existieren. Gegen dieses Argument
wäre nun, besonders wenn man sich über den Begriff von notwendig
Existieren verständigt und darunter nur das Gegenteil von zufällig
Existieren versteht, so wäre, sage ich, gegen dieses Argument nichts
einzuwenden. Aber der Schlußsatz des Descartes lautet anders. Wiederholen
wir uns noch einmal den ganzen Syllogismus. Das vollkommenste Wesen kann
nicht zufällig, mithin nur notwendig existieren (Obersatz); Gott
ist das vollkommenste Wesen (Untersatz), also (sollte er schließen)
kann er nur notwendig existieren, denn dies allein liegt in den
Prämissen; statt dessen schließt er aber: also existiert er
notwendig, und bringt dann auf diese Art scheinbar allerdings heraus,
daß Gott existiert, und scheint die Existenz Gottes bewiesen zu
haben. Aber es ist etwas ganz anderes, ob ich sage: Gott kann nur
notwendig existieren, oder ob ich sage: er existiert notwendig. Aus dem
Ersten (er kann nur notwendig existieren) folgt nur: also existiert
er notwendig, N.B. wenn er existiert, aber es folgt keineswegs,
daß er existiert. Darin liegt also der Fehler des Descartesschen
Schlusses. Wir können diesen Fehler auch so ausdrücken. In dem
Obersatz (das vollkommenste Wesen kann nur notwendig existieren)
ist bloß von der Art der Existenz die Rede (es ist nur gesagt, das
vollkommenste Wesen könne nicht zufälligerweise existieren),
im Schlußsatz (in der conclusio) ist aber nicht mehr von der Art
der Existenz die Rede (in diesem Fall wäre der Schluß richtig),
sondern von der Existenz überhaupt, also ist plus in conclusione
quam fuerat in praemissis, d.h., es ist gegen ein logisches Gesetz gefehlt,
oder der Schluß ist in der Form unrichtig. Daß dies
der eigentliche Fehler sei, kann ich auch daraus beweisen, daß Descartes
an mehreren Stellen selbst unmittelbar oder zunächst wenigstens nur
auf die von mir angezeigte Art schließt. In einem Aufsatz, der überschrieben
ist: Rationes Dei existentiam etc. probantes ordine geometrico dispositae,
lautet die Konklusion so: Also ist es wahr, von Gott zu sagen, die Existenz
sei in ihm eine notwendige, oder (setzt er hinzu) Er existiere.
Das Letzte ist nun aber etwas ganz anderes als das Erste und kann nicht
als gleichgeltend mit diesem an gesehen werden, wie durch das Oder angedeutet
wird (Descartes selbst ist sich wohl bewußt, daß in seinem
Begriff des vollkommensten Wesens eigentlich nur die Art der Existenz
bestimmt ist. So sagt er in derselben Darstellung: Im Begriff eines limitierten,
endlichen Dings ist enthalten die bloß mögliche oder zufällige
Existenz, im Begriff des vollkommensten also der Begriff der notwendigen
und vollkommenen Existenz). An einer andern Stelle, in seiner V. Meditation,
führt er den Schluß so aus: Ich finde in mir die Idee Gottes
nicht anders oder gerade so wie die Idee irgendeiner geometrischen Figur
oder einer Zahl, nec, fährt er alsdann fort, nec minus clare et distincte
intelligo, ad ejus naturam pertinere, ut semper existat. (Bemerken Sie
dieses semper wohl; hier sagt er also nicht, ad ejus naturam pertinere,
ut existat, sondern nur, ut semper existat.) Daraus folgt nun auch
bloß, daß Gott wenn er existiert, nur immer existiert, aber
es folgt nicht, daß er existiert. Der wahre Sinn des Schlusses
ist immer nur: entweder existiert Gott gar nicht, oder wenn er existiert,
so existiert er immer, oder so existiert er notwendig, d.h. nicht
zufällig. Aber damit ist klar, daß seine Existenz nicht bewiesen
ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Descartes, in: Zur Geschichte der
neueren Philosophie, 1827, S. 39-41 |
Mit dieser Kritik des Descartesschen Arguments geben wir nun
aber zu, daß, wenn nicht die Existenz, doch die notwendige
Existenz Gottes bewiesen sei und dieser Begriff ist nun
eigentlich derjenige, der von der bestimmendsten Wirkung für die
ganze Folgezeit der Philosophie gewesen ist.
Was hat es also mit dieser notwendigen Existenz Gottes auf sich?
Schon indem wir als richtigen Schlußsatz nur diesen anerkennen:
Also existiert Gott notwendig, wenn er existiert, schon dadurch sprechen
wir aus, daß der Begriff Gottes und der Begriff des notwendig existierenden
Wesens nicht schlechterdings identische Begriffe sind, so nämlich,
daß der eine in dem andern genau aufginge, daß Gott nicht
mehr wäre als das bloß notwendig existierende Wesen. Wäre
er nur dieses, so wäre es allerdings ein von selbst sich verstehender
Satz, daß er existiert. Vor allem fragt sich also:
1. Was ist unter dem notwendig existierenden Wesen zu verstehen?
2. Inwiefern ist Gott das notwendig existierende Wesen?
3. Sind Gott und notwendig existierende Wesen identische Begriffe, inwiefern
ist er mehr als nur dieses?
Um also das erste zu beantworten, soweit es auf dem Punkt, wo wir jetzt
noch stehen, möglich ist (denn wir werden in der Folge noch mehr
als einmal auf diesen Begriff zurückkehren), so unterscheiden wir
in allem Sein
a) das was Ist, das Subjekt des Seins, oder wie man auch sonst
sagt, das Wesen,
b) das Sein selbst, welches sich zu dem, was ist, als Prädikat
verhält, ja von dem ich allgemein gesprochen sagen kann, daß
es das Prädikat schlechthin ist, das was in jedem Prädikat eigentlich
allein prädiziert wird. Es wird nirgends und in keinem möglichen
Satz etwas anderes ausgesagt als das Sein. Wenn ich z.B. sage: Phädon
ist gesund, so wird eine Art des organischen, weiter des physischen, zuletzt
des allgemeinen Seins ausgesagt; oder: Phädon ist ein Liebender,
hier eine Art des gemütlichen Seins. Immer aber ist es das Sein,
das ausgesagt wird. Nun steht es mir aber auch frei, das was Ist
allein oder rein zu denken, ohne das Sein, das ich erst von ihm
auszusagen hätte habe ich es so gedacht, so habe ich den
reinen Begriff gedacht, das, in dem noch nichts von einem Satz oder
einem Urteil ist, sondern eben der bloße Begriff (es ist absurd,
den reinen Begriff in das Sein zu setzen, was gerade das über den
Begriff Hinausgehende, das Prädikat ist. Notwendig aber ist das Subjekt
eher als Prädikat, wie denn schon in der alten gewöhnlichen
Logik das Subjekt das Antecedens, das Prädikat das Consequens genannt
wurde). Das was Ist ist der Begriff kat
exochn, es ist aller Begriffe Begriff, denn in jedem
Begriff denke ich nur eben das, was Ist, nicht das Sein. Inwiefern ich
nun das, was ist, rein denke, so ist also hier nichts über
den bloßen Begriff Hinausgehendes, mein Denken ist noch in den reinen
Begriff eingeschlossen, ich kann dem, was Ist, noch kein Sein beilegen
oder attribuieren, ich kann nicht sagen, daß es ein Sein hat, und
doch ist es nicht Nichts, sondern allerdings auch Etwas, es ist eben das
Sein selbst, auto to ON, ipsum Ens das
Sein ist ihm noch im bloßen Wesen oder im bloßen Begriff,
es ist das Sein des Begriffs selbst, oder es ist der Punkt, wo Sein und
Denken eins ist. In dieser Bloßheit muß ich es wenigstens
einen Augenblick denken. Aber ich kann es in dieser Abstraktion nicht
erhalten; es ist nämlich unmöglich, daß das, was Ist,
von dem ich nun weiter noch nichts weiß, als daß es der Anfang,
der Titel zu allem Folgenden ist, aber noch nichts selbst ist es
ist unmöglich, daß das, was der Titel, die Voraussetzung, der
Anfang zu allem Sein ist, daß dieses nicht auch sei
dies »sei« im Sinn von Existenz genommen, d.h. vom Sein auch
außer dem Begriff. Damit wendet sich uns der Begriff nun
unmittelbar, und zwar in sein Gegenteil um wir finden das, was
wir als das Seiende selbst bestimmt hatten, nun auch wieder
als das Seiende, aber als das Seiende in einem ganz andern nämlich
nur im prädikatlichen oder, wie wir auch sagen können, gegenständlichen
Sinn, statt daß wir es vorher als das Seiende im urständlichen
Sinn dachten. Hier ist die vollkommenste Conversio des Subjekts in
das Objekt wie es im reinen Begriff das bloße, reine Subjekt
(suppositum, denn auch diese beiden Ausdrücke sind gleichbedeutend)
oder der reine Urstand des Seins war so ist es in unmittelbarer
Folge seines Begriffs eben vermöge seines Begriffs:
das Seiende selbst zu sein ist es unmittelbar, eh' wir es uns versehen,
das objektiv, das gegenständlich Seiende.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Descartes, in: Zur Geschichte der
neueren Philosophie, 1827, S. 41-43 |
Den allgemeinsten, aber zugleich schlimmsten Einfluß übte
die Philosophie des Descartes aus, indem sie das schlechterdings Zusammengehörige,
gegenseitig sich Erklärende und Voraussetzende, Materie und Geist,
absolut auseinander riß und so den großen allgemeinen Organismus
des Lebens zerstörte und mit dem niederen zugleich den höheren
einer toten bloß mechanischen Ansicht preisgab, die nahezu bis auf
die letzte Zeit in allen Teilen des menschlichen Wissens und selbst in
der Religion die herrschende blieb.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Descartes, in: Zur Geschichte der
neueren Philosophie, 1827, S. 52-53 |
Wenn man sich das Descartessche System nach seiner wahren Beschaffenheit
vergegenwärtigt, so sehnt man sich nach einer besseren, schöneren,
beruhigenderen Gestalt, welche sich denn auch sogleich im Spinozismus
entdeckt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Spinoza - Leibniz - Wolff, in:
Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827, S. 57 |
Gewiß sah Leibnizens Geist weiter, als er zu erkennen gab.
Er war gleichsam mit einem magischen Blick begabt, einem Blick, dem jeder
Gegenstand, auf den er sich heftete, wie von selbst sich aufschloß.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Spinoza - Leibniz - Wolff, in:
Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827, S. 82 |
Leibniz wird durch die Weite und Umfassung seines Geistes, die
Fruchtbarkeit seiner Ideen, die ungemeine Gabe sinnreicher Erfindung,
die ihm beiwohnte und die in der Philosophie etwas so Seltenes ist als
in der Poesie oder in irgendeiner Art menschlicher Bestrebungen
er wird durch dies alles immer ein Stolz der deutschen Nation bleiben
....
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Spinoza - Leibniz - Wolff, in:
Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827, S. 82 |
Das Hauptbestreben von Leibniz scheint gewesen zu sein, das rovolutionäre
Element, das durch Descartes in die Philosophie gekommen war, wieder zu
beschwichtigen und gegen den objektiven Rationalismus des Spinoza, der
in der Tat ein vorzeitiger war zu früh der freien wissenschaftlichen
Dialektik ein Ende zu machen suchte , gegen diesen erstarrenden
Rationalismus wieder die Freiheit einer noch lange nicht erschöpften
und ans Ende gekommenen Dialektik geltend zu machen. Unvermeidlich mußte
er so dem objektiven Rationalismus des Spinoza eine subjektive,
eine bloß räsonierende, subjektive Vernünftigkeit begründende
Philosophie entgegenstellen, aus der durch eine natürliche Folge,
besonders nachdem Christian Wolff, langweiligen Andenkens, sich der Leibnizischen
Ideen bemächtigt hatte, jener Rationalismus hervorging, der besonders
in der Religion so lange Zeit herrschend blieb. Die ersten theologischen
Rationalisten waren lauter Wolffianer, die in dem Staat aufgestanden waren,
in welchem die Wolffische Philosophie lange Zeit gleichsam die privilegierte
gewesen war. Leibniz lenkte wieder zu der alten Metaphysik um und wurde
so allerdings der mittelbare Urheber oder doch Veranlasser jener Gestalt,
welche die Schulmetaphysik vor Kant angenommen hatte. Kant aber
sollte für diese neuere Metaphysik eben das werden, was Descartes
für die alte war. Der allgemeine Charakter der scholastischen Metaphysik,
dem auch die neuere im ganzen treu blieb, beruht 1. auf der Voraussetzung
gewisser allgemeiner Begriffe, die als unmittelbar mit dem Verstande selbst
gegeben angenommen werden. Leibniz hatte sich sehr bemüht, die Priorität,
die Unabhängigkeit dieser Begriffe von sinnlicher Wahrnehmung und
Erfahrung und damit die ihnen einwohnende Notwendigkeit und Allgemeinheit
zu verteidigen und wider die Gegner angeborner Begriffe zu schützen.
Nächst diesen allgemeinen Begriffen setzte man dann 2. gewisse Gegenstände
als in der Erfahrung gegeben voraus. Zu diesen Gegenständen gehörten
nicht bloß diejenigen, welche heutzutag allein Erfahrungsgegenstände
genannt werden, indem man nämlich die Erfahrung auf die bloß
sinnliche einschränkt. Zu diesen Gegenständen gehörten
ebensowohl Seele, Welt und Gott, deren Dasein man im allgemeinen als gegeben
voraussetzte und nur zum Gegenstand einer rationalen Erkenntnis zu erheben
strebte. Dies geschah durch eine einfache Anwendung der schon vorhandenen
Begriffe auf die Gegenstände. Solche Begriffe waren Wesen, Sein,
Substanz, Ursache oder abstrakte Prädikate, als Einfachheit, Endlichkeit,
Unendlichkeit usw., und es kam nur darauf an, die vorausgesetzten Begriffe
mit den vorausgesetzten Gegenständen in äußere
Verbindung zu bringen, was man dann beweisen nannte. Der Beweis war nie
ein Selbstbeweis des Gegenstandes; nicht der Gegenstand erwies sich durch
seine eigne Fortbewegung oder innere Entwicklung als dieses oder jenes,
er hatte sich nicht innerlich oder in sich selbst entwickelt, z.B. bis
zu dem Punkt, wo er sich als menschliche Seele aussprach, sondern unter
den bekannten und vorausgesetzten Dingen fand sich auch eins, das man
die menschliche Seele nannte und mit dem man nun das ebenfalls schon bekannte
Prädikat der Einfachheit, d.h. der Immaterialität, in Verbindung
zu bringen suchte. Es war also hier auch kein durch alle Gegenstände
fortgesetztes System, sondern mit jedem Gegenstand fing diese Metaphysik
wieder von vorn an und konnte die verschiedenen Materien ganz bequem kapitelweis
abhandeln. Es war nicht ein und derselbe Begriff, der durch das Ganze
hindurchging und der, auf jeder neuen Stufe von Entwicklung angekommen,
sich als ein anderer, z.B. hier als Materie oder bestimmter als Pflanze,
als Tier, dort als menschliche Seele bestimmte. Es war nicht um das Subjekt
und um das Prädikat selbst (die man bloß voraussetzte), sondern
nur um die Verbindung beider, d.h., es war um die Formen feststehender
Sätze zu tun, in die man beide brachte; dergleichen Sätze waren
z.B.: die Seele ist absolut einfach, die Welt ist im Raum und der Zeit
nach entweder begrenzt oder unbegrenzt (denn hier in den kosmologischen
Begriffen ließ jene Metaphysik eine gewisse Freiheit zu). Kant hat
späterhin etwas Besseres darin gesucht, daß diese widersprechenden
Behauptungen gerade nur bei den kosmologischen Ideen sich hervortun. Allein
dem ist keineswegs so. Der angebliche Widerspruch zwischen den kosmologischen
Ideen pflanzt sich auf die Theologie und Psychologie fort. Die Frage:
ob die Welt unendlich oder endlich, ob sie in der Zeit angefangen habe
oder ohne Anfang, eine ins Endlose zurückgehende Kette von Ursache
und Wirkungen sei, diese Frage ist auch für die theologischen Ideen
von Einfluß, und der Meinung, daß die Welt angefangen, entspricht
notwendig auch eine ganz andere Vorstellung von Gott als der entgegengesetzten;
ferner die Meinung, daß in der Welt alles durch einen notwendigen,
unverbrüchlichen Kausalnexus bestimmt sei, der also auch durch keine
freie Handlung unterbrochen werden könnte, ist von notwendigem Einfluß
auf die rationale Psychologie wie auf die Theologie. In der Theologie
ist gerade derselbe Widerspruch. Die zwei Behauptungen, Gott sei ein bloß
blind, d.h. nur zufolge der inneren Notwendigkeit seiner Natur, wirkendes
Wesen, und Gott sei frei, an nichts gebunden und Herr seines Tuns:
diese zwei Behauptungen stehen sich ebenso direkt entgegen als die beiden
andern: die Welt sei anfänglich, oder sie sei ohne Anfang. Der Grund,
warum dieser Widerspruch in den theologischen Ideen nicht ebenso zum Vorschein
kam, war, weil man hier überhaupt behutsamer sein mußte und
weil man insbesondere ein scheinbares Mittel, Freiheit und Notwendigkeit
in Gott zu vereinigen, an dem schon erwähnten Begriff einer bloßen
moralischen Notwendigkeit gefunden hatte. Mit der Welt glaubte man aber
schon freier umgehen zu dürfen, und die so oft, sogar von Theologen,
gehörte Meinung, es liege der Vernunft nichts daran und mache im
Grunde keinen Unterschied, ob man annehme, daß Gott von Ewigkeit
her geschaffen habe oder nicht, schreibt sich eben von jenem Leibniz-Wolffschen
Rationalismus her.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Spinoza - Leibniz - Wolff, in:
Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827, S. 82-85 |
Das ontologische Argument, wenn es nicht auf einem Mißverstand
beruht, kann bloß zum Begriff der absoluten Substanz führen,
das kosmologische nur zum Begriff der Ursache überhaupt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Spinoza - Leibniz - Wolff, in:
Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827, S. 90 |
Ich glaubte, die ehemalige Metaphysik aus verschiedenen Gründen
hier etwas ausführlicher darstellen zu müssen. Denn 1. war sie
doch eigentlich die allein geltende, öffentlich geduldete und angenommene:
weder die Philosophie des Descartes noch die des Spinoza noch selbst das
eigentlich Spekulative der Leibnizischen Philosophie war je in die Schulen
aufgenommen worden; 2. ist es noch immer wichtig zu wissen, was eine bloß
subjektive, also außer dem Gegenstand bleibende Dialektik
etwa vermag, und als Vorübung zur höheren Philosophie würde
diese Metaphysik noch immer mit Vorteil selbst auf den Universitäten
vorgetragen. Denn obgleich wir sie im Grunde nur für eine bloß
räsonierende, subjektiv-vernünftige Philosophie halten können,
so läßt sie doch eben deswegen zugleich eine gewisse Freiheit
des Gedankens und des Verstandesgebrauchs zu, die um so wohltätiger
wirken würde, als diese Art zu philosophieren die einzige der großen
Mehrzahl gemäße und bequeme ist; denn diese, wenn sie überhaupt
mit Philosophieren sich befaßt, will doch nicht gern von ihrem Standpunkt
sich entfernen, sondern, höchst zufrieden mit der zufällig etwa
erlangten Bildung und wenig geneigt einzusehen, daß dieses Gebäude
ihrer vermeinten Bildung einer Revision und Wiederaufbauung von Grund
aus bedürfe, schreibt sich jeder a priori eine Vernunft zu, die ihn
berechtige, zum voraus zu bestimmen, was er etwa zulassen wolle oder nicht
also diese bei weitem größte Mehrzahl will doch am Ende
nichts anderes, als daß ihr von ihrem Standpunkt aus und ohne daß
sie genötigt ist, diesen zu verlassen, durch bloßes vernünftiges
Reden oder Diskurrieren die großen Gegenstände der Philosophie
expliziert werden.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Spinoza - Leibniz - Wolff, in:
Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827, S. 93-94 |
Trotz des scholastischen Zuschnitts und Wortkrames, mit dem sich
jene Schulmetaphysik im Anfang umgeben hatte, ging sie daher mit der Zeit
auch äußerlich immer mehr in eine solche bloß räsonierende
Philosophie über, und da eine stufenweis immer lebhafter erregte
Zeit dem bald auf den Grund sah (daß sie nämlich nicht eine
wissenschaftliche, sondern eine bloß räsonierende Philosophie
sei), und da zum bloßen Räsonieren am Ende jeder gleich viel
Recht hat oder zu haben meint, weil es dazu nichts mehr bedarf als jener
allgemeinen Vernunft, die sich jeder zuschreibt und deren Besitz keiner
erst durch die Tat rechtfertigen zu müssen glaubt, so mußte
jene Schulmetaphysik allmählich in eine Art von formloser, bloß
populärer Philosophie, zuletzt in eine völlige Anarchie ausschlagen.
Die Periode des sogenannten Selbstdenkens begann, was freilich
ein ziemlich pleonastischer Ausdruck scheint, denn es versteht sich wohl
von selbst, daß jeder, der denkt, selbst denken muß und keiner
einen andern für sich denken lassen kann, sowenig, als er einen andern
für sich kann schlafen oder verdauen lassen; die Meinung war aber
eben diese, daß jeder mit jener allgemeinen Vernunft schon hinlänglich
ausgerüstet sei, um über alle möglichen Gegenstände
der Philosophie vernünftige Vorstellungen zu haben, jeder, hieß
es, müsse sein System sich selbst machen, eine Philosophie, die auf
objektive Gültigkeit Anspruch mache, sei höchstens gut für
die Schule, oder um einer unerfahrenen Jugend zu imponieren, das Leben
und die Erfahrung sei alles usw. Dieses Hinweisen auf die Erfahrung brachte
jedoch der Philosophie von einer andern Seite Vorteil, indem sie Anlaß
zur Entstehung und Bearbeitung der empirischen Psychologie gab, die freilich
bis jetzt selbst einer eigentlichen wissenschaftlichen Begründung
entbehrt, aber doch dem menschlichen Geist eine neue Region seiner selbst
aufschloß, besonders jene höchst interessante, die zwischen
dem Physischen und Psychischen in der Mitte liegt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Spinoza - Leibniz - Wolff, in:
Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827, S. 94-95 |
In diesem Zustand also befand sich die Philosophie, als Immanuel
Kant unversehens als Instaurator derselben erschien und ihr den wissenschaftlichen
Ernst und damit zugleich die verlorene Würde wiedergab.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 96 |
Ehe ich nun zu Kant selbst fortgehe, will ich eine allgemeine Bemerkung
vorausschicken, die mehr oder weniger auf alle menschlichen Taten anzuwenden
ist, daß nämlich ihre eigentliche Wichtigkeit, d.h., daß
ihre wahren Wirkungen meist andere sind, als die beabsichtet worden oder
die im Verhältnis der Mittel stehen, durch welche sie hervorgebracht
wurden. Kants Wirkung war in der Tat eine außerordentliche. Man
kann sich eben nicht darüber freuen, wenn fünfzig Jahre nach
Kants Erscheinung, nachdem wir jetzt allerdings auf einem andern Punkte
sind, aber zu dem wir nie ohne ihn gelangt wären, Kants Verdienst
von solchen herabgesetzt wird, die nichts dazu beigetragen, daß
wir über Kant hinausgekommen. Eben dasselbe ist von Fichte zu sagen.
Es gehört heutzutage nicht viel dazu, ein Verwerfungsurteil über
beide auszusprechen, aber es gehörte viel dazu, die Philosophie nur
wieder auf den Punkt zu heben, wohin sie durch Kant und Fichte war gehoben
worden. Das Urteil der Geschichte wird sein, nie sei ein größerer
äußerer und innerer Kampf um die höchsten Besitztümer
des menschlichen Geistes gekämpft worden, in keiner Zeit habe der
wissenschaftliche Geist in seinem Bestreben tiefere und an Resultaten
reichere Erfahrungen gemacht als seit Kant. Aber diese Wirkung wurde nicht
eigentlich hervorgebracht durch das, was Kant unmittelbar wollte. Während
er durch seine Kritik aller Erkenntnis des Übersinnlichen für
immer ein Ende gemacht zu haben glaubte, hat er eigentlich nur bewirkt,
daß Negatives und Positives in der Philosophie sich scheiden mußten,
aber eben damit das Positive, nun in seiner ganzen Selbständigkeit
hervortretend, sich der bloß negativen Philosophie als die zweite
Seite der Philosophie überhaupt, als positive, entgegensetzen konnte.
Diesen Scheidungs- und den darauf erfolgten Verklärungsprozeß
der Philosophie ins Positive hat Kant eingeleitet. Kants Kritik hat um
so mehr dazu beigetragen, als sie keineswegs feindselig gegen das Positive
gesinnt ist. Während er das ganze Gebäude jener Metaphysik zusammenbricht,
zeigt er doch immer die Meinung, daß man am Ende wollen müsse,
was sie gewollt habe, und daß ihr Inhalt doch zuletzt die wahre
Metaphysik sein würde, wenn es nur möglich wäre.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 96-97 |
Ich gehe nun zur Darstellung Kants selbst über mit dem Satz,
daß Kants Kritik zunächst gegen die in den Schulen angenommene
Metaphysik gerichtet war, daß sie aber von einer andern Seite und
unter der Hand gleichsam auch wieder zu einer Verteidigung eben dieser
Metaphysik wurde.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 97 |
Es hatte sich gegen dieselbe eben damals von England aus, hauptsächlich
durch John Locke, der Empirismus erhoben, welcher die Existenz aller von
der Erfahrung unabhängiger Begriffe leugnete, und aus diesem Empirismus
war die alles Allgemeine und Notwendige in der menschlichen Erkenntnis
bezweifelnde oder vielmehr widersprechende Lehre des berühmten englischen
Philosophen und Geschichtschreibers David Hume hervorgegangen; dieser
sogenannte Skeptizismus Humes war nach Kants eigner Angabe dasjenige,
wodurch er den Hauptanstoß zu seiner eignen Philosophie erhielt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 97 |
Humes Angriffe gingen fast ausschließlich gegen die objektive
Gültigkeit des Kausalgesetzes, des Grundsatzes, daß alles,
was geschieht, eine Ursache habe. Unbedenklich richten wir uns in allen
unsern Handlungen wie in unsern Urteilen, ja Hume als ganz pragmatischer,
d.h. als lehrreicher, die Ereignisse aus ihren Ursachen erklärender
Geschichtschreiber, richtet sich selbst nach diesem Gesetz Und was das
Wunderbarste ist, wir selbst wenden dieses Gesetz an und sehen andere
es anwenden, ohne daß wir dieses Gesetzes eigentlich bewußt
sind. Wir wenden es nicht an infolge einer wissenschaftlichen Einsicht
in dasselbe, sondern von Natur und gleichsam instinktmäßig,
zum Beweis, daß es ein reales Prinzip in uns ist, das uns so zu
urteilen nötigt. Genau betrachtet hat Hume nur bewiesen, daß
ein solches universelles, nicht bloß für alle wirklichen, sondern
für alle möglichen Fälle geltendes Gesetz nicht aus der
Erfahrung herstammen könne. Die Erfahrung kann allerdings nichts
Allgemeines gewähren. Nun war aber schon angenommen, daß alle
Erkenntnis nur aus den Sinnen komme. Es blieb also Hume nichts übrig,
als die Allgemeinheit in der Anwendung dieses Gesetzes als eine bloß
subjektive Erscheinung, nämlich durch eine bloß subjektive
Angewöhnung, zu erklären. »Nachdem wir, sagt er, in unzähligen
Fällen gesehen haben, daß gewissen Erscheinungen oder Ereignissen
andere vorausgegangen sind, oder umgekehrt auf gewisse vorausgegangene
Ereignisse andere gefolgt sind, so hat sich durch diese beständige
Wiederholung unser Verstand zuletzt daran gewöhnt, jene Erscheinungen
oder Ereignisse in Verbindung zu sehen und so zuletzt sie in den Zusammenhang
von Ursache und Wirkung zu setzen, die vorausgehenden als Ursache, die
folgenden als Wirkung zu betrachten.« Ich will vorjetzt nicht auseinandersetzen,
daß selbst eine unendlichmal wiederkehrende Aufeinanderfolge zweier
Ereignisse A und B noch immer nicht den Begriff der Ursache und Wirkung
hervorbringen würde, wenn dieser nicht, unabhängig von der äußeren
Erfahrung, durch eine innere Notwendigkeit unserer Natur uns auferlegt
wäre. Alles, was uns aus jener wiederholten Wahrnehmung entstehen
könnte, wäre, daß wir sagten: auf die Erscheinung A ist
in allen Fällen, die ich bis jetzt beobachten konnte, die Erscheinung
B gefolgt, und nie habe ich die Erscheinung B beobachtet, ohne daß
die Erscheinung A vorausgegangen wäre, aber von dieser Bemerkung
ist es noch himmelweit bis zur Verbindung beider als Ursache und Wirkung,
worin noch etwas mehr liegt als bloße Aufeinanderfolge diese
kann mich immer nur ein post hoc, aber nie ein propter hoc lehren, und
wir würden in Ansehung aller Erscheinungen bei dem post hoc stehenbleiben,
wie wir in gar vielen Fällen wirklich bei demselben stehenbleiben
selbst in Fällen, wo nicht einmal nur und zufällig, sondern
wirklich nach einer Regel eines auf das andere folgt, und wo wir uns wohl
hüten, beide Erscheinungen miteinander in Kausalnexus zu bringen.
Wenn wir die eine Art von Folge, das post hoc, wo eine bloß äußere
Folge ist, von der andern, dem propter hoc, wohl zu unterscheiden wissen,
warum sollten wir dies nicht in allen Fällen können? Ich will
indes auf dieser Reflexion gar nicht einmal bestehen, so wie ich überhaupt
fragen möchte, ob es zur Widerlegung des Humeschen Zweifels gerade
des großen Apparats der Kritik der reinen Vernunft bedurfte. Es
ist sonderbar genug, daß man diese Widerlegung so schwer gefunden,
wie niemand bis jetzt das ganz Einfache bemerkt hat, daß er selbst
aus bloßer Erfahrung widerlegt werden kann. Hume erklärt das
Kausalprinzip aus einer Angewöhnung; zu jeder Angewöhnung gehört
aber eine gewisse Zeit; Hume muß also dem einzelnen Menschen nicht
nur, er muß dem ganzen Menschengeschlecht eine gewisse Zeit zugeben,
während deren es immer auf eine gewisse Erscheinung A die andere
Erscheinung B folgen hat sehen, und so sich endlich gewöhnt hat,
diese Folge als notwendig zu betrachten (denn dies liegt im Kausalbegriff).
Aber eben dies, was Hume stillschweigend voraussetzt und also voraussetzen
zu können meint, ist gar nicht vorauszusetzen. Denn ich bin überzeugt,
keiner von uns wird geneigt sein, eine Zeit zuzugeben, wo das Menschengeschlecht
nicht nach dem Gesetz der Ursache und Wirkung geurteilt hätte, und
Hume selbst, wenn wir ihm die Frage vorlegen könnten, ob er sich
den Menschen in irgendeinem Zeitpunkt seiner Existenz ohne diesen Begriff
und ohne die Anwendung desselben denken könne, würde mit seinem
Ja auf diese Frage zaudern; er würde fühlen, daß der Mensch,
dem er das Urteil nach Ursache und Wirkung entzogen hätte, uns gar
nicht mehr als Mensch erscheinen könnte. Wir können also völlig
gewiß sein, daß schon der erste Mensch gleich am ersten Tage
seines Daseins nach diesem Prinzip urteilte, weil es zur menschlichen
Natur gehört, so zu urteilen, wie denn die Schlange im Paradies,
welche doch übrigens nach der mosaischen Erzählung dem ersten
Menschen gleich skeptische Bemerkungen gegen das göttliche Verbot
zuflüstert, ihm nicht etwa Unterricht über das Kausalgesetz
erteilt, sondern voraussetzt, er verstehe sie wohl, wenn sie ihm sagt:
So ihr die Frucht esset, werden eure Augen aufgetan sein, oder des Tages,
da ihr von dieser Frucht esset, werdet ihr wie Gott sein; was doch so
viel heißt: die Frucht oder das Essen der Frucht wird die Ursache
davon sein, daß eure Augen aufgetan werden, die Wirkung dieses Genusses
wird sein, daß ihr Gott gleich werdet. Es existiert in arabischer
Sprache ein Roman oder eine Erzählung unter dem Titel: Philosophus
Autodidactus, wo ein Kind fingiert wird, das von seiner Mutter gleich
nach der Geburt auf einer Insel des Indischen Ozeans ausgesetzt wird und
das nur stufenweise durch Anwendung des ihm an- oder eingeborenen Verstandes
zu allen philosophischen Begriffen und Einsichten gelangt. Allein wir
bedürfen keiner solchen Fiktion, um Hume zu widerlegen; denn das
Kind in der Wiege, das noch keine Gelegenheit gehabt hat, sich an eine
gewisse Aufeinanderfolge von Erscheinungen zu gewöhnen, und dem noch
weniger jemand von Ursache und Wirkung gesprochen, das Kind in der Wiege,
wenn es ein Geräusch hört, wendet es sich nach der Gegend, wo
das Geräusch herkommt, in keiner andern Absicht, als um die Ursache
dieses Geräusches zu sehen, die es sonach voraussetzt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 97-100 |
Nach dem Gesetz der Ursache und Wirkung zu urteilen, ist uns also
durch eine nicht bloß von unserem Wollen, sondern selbst von unserem
Denken unabhängige und diesem vorausgehende Notwendigkeit auferlegt;
was aber von unserem Wollen und Denken unabhängig ist, das nennen
wir ein reales Prinzip. Es ist daher durch die Erfahrung selbst bewiesen,
daß es ein reales Prinzip ist, das gleichsam wie eine universelle
Schwerkraft so wie diese den Körper bestimmt, gegen das Zentrum
sich zu bewegen, so uns nötigt, nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung
zu urteilen wie nach dem Gesetz des Widerspruchs zu denken.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 100 |
Gehen wir jedoch nun zu Kants Kritik der reinen Vernunft fort,
so liegt dieser im allgemeinen der Gedanke zugrunde: ehe man etwas erkennen
wolle, sei es nötig, unser Vermögen, zu erkennen, selbst einer
Prüfung zu unterwerfen. Wie ein vorsichtiger Bauherr, eh' er sich
ein Haus aufführe, seine Mittel wohl überlege, ob sie nämlich
auch zur festen Begründung und zur glücklichen Hinausführung
des Baus zureichen, so müsse der Philosoph, eh' er daran denke, ein
Gebäude der Metaphysik aufzuführen, erst sich der Materialien
desselben versichern, ob er sie auch herbeischaffen könne, und da
diese Materialien hier aus einer geistigen Quelle geschöpft werden,
so müsse diese selbst erst untersucht sein, damit man gewiß
sei, ob sie zu dem beabsichtigten Bau auch wirklich zureichenden Stoff
enthalte oder darbiete. Ehe man sich Hoffnung auf Erkenntnis besonders
der übersinnlichen Gegenstände mache, müsse erst
untersucht sein, ob wir auch das Vermögen besitzen, sie zu erkennen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 100-101 |
Auf den ersten Blick ist dieser Gedanke ungemein einleuchtend.
Bei näherer Betrachtung findet sich aber, daß es dabei um ein
Erkennen des Erkennens zu tun ist, und daß dieses Erkennen des Erkennens
eben auch wieder ein Erkennen ist. Demnach bedürfte es erst einer
Untersuchung über die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis des
Erkennens, und so könnte man ins Unendliche zurückfragen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 101 |
Wenigstens wird Kant, da er so kritisch zu Werk geht, sich selbst
eines leitenden Prinzips und einer zuverlässigen Methode für
seine Untersuchung des Erkenntnisvermögens versichert haben. Leider
ist dies nicht der Fall. Er schickt keine allgemeine Untersuchung über
die Natur des Erkennens voraus, sondern geht gleich über zu der Aufzählung
der einzelnen Quellen der Erkenntnis oder der einzelnen erkennenden Fakultäten,
die er aber nicht etwa wissenschaftlich ableitet, die er vielmehr aus
der bloßen Erfahrung aufnimmt, ohne ein Prinzip, das ihn der Vollständigkeit
und der Richtigkeit seiner Aufzählung versicherte. Insofern kann
seine Kritik der reinen Vernunft selbst nicht als eine wissenschaftliche
Ausmessung des menschlichen Erkenntnisvermögens gelten.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 101 |
Die drei Quellen der Vernunft sind ihm Sinnlichkeit, Verstand
und Vernunft. Die Sinnlichkeit bezieht sich entweder auf die außer
uns befindlichen Gegenstände oder unser eignes Innere, inwiefern
wir die in uns selbst vorgehenden Veränderungen wahrnehmen
das Vermögen dieser Wahrnehmung der in uns selbst gesetzten Affektionen
oder Veränderungen nennt er den inneren Sinn, wo also (ohne daß
ein Grund angegeben wird) nur von einem Sinn, nicht von mehreren Sinnen
die Rede ist, wie bei den äußeren Gegenständen. Die Erkenntnis,
welche aus dieser ersten Quelle, aus der Sinnlichkeit entsteht
in der also schon mehr gedacht ist als der bloße Sinneneindruck
, heißt Anschauung. In der Anschauung aber unterscheiden wir
das Zufällige, das anders sein könnte, und ein anderes, das
nicht anders sein könnte. In Ansehung der äußeren Gegenstände
ist dies der Raum. Wir können uns die äußeren Gegenstände
nicht anders als im Raume vorstellen, der Raum ist also die notwendige
und allgemeine Form unserer äußeren Anschauung. Hier beweist
nun Kant aus der Notwendigkeit und Allgemeinheit dieser räumlichen
Form unserer äußeren Anschauung, daß der Raum nicht ebenso
wie das bloß Zufällige und Materielle der Dinge etwas bloß
Empirisches oder erst mit der wirklichen Anschauung Entstehendes sein
könne, daß er eine Form sei, die der wirklichen Anschauung
in uns vorausgehe und also in der Natur unseres Erkenntnisvermögens
selbst gegründet sei, woraus denn folgt, daß er nicht den Gegenständen
selbst an sich oder unabhängig von unserer Vorstellung inhäriert,
sondern nur den Gegenständen, sofern sie von uns angeschaut worden.
Daraus würde denn weiter folgen, daß das Wesen der Gegenstände
außer uns an sich unräumlich und unsinnlich sei. Allein Kant
überläßt uns diese Folgerung ebenso, als er uns überläßt,
selbst uns auszudenken, wie denn nun der an sich unräumliche Stoff,
der doch den letzten Grund unserer Vorstellungen von Gegenständen
außer uns hergeben muß, wie dieser Stoff sich in unserer Anschauung
zu jener Form des Raums bequeme, räumliche Form annehme.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 101-102 |
Was für die äußere Anschauung der Raum, das ist
für die innere die Zeit. Unsere Vorstellungen, Empfindungen usw.,
und zwar sowohl die Vorstellungen, die rein aus uns selbst, aus der eignen
Tätigkeit unseres Geistes entstehen, als die Vorstellungen zu welchen
wir durch äußere Gegenstände veranlaßt sind, sukzedieren
sich; die Form, unter der wir sie wahrnehmen, ist Sukzession Zeit.
Daraus folgt also, daß in dem, was unsere Vorstellung von äußeren
Dingen veranlaßt, weder Sukzession noch Zeit ist, ja es folgt sogar,
daß eigentlich nicht einmal die sinnlich vorgestellten Dinge selbst,
sondern nur die Vorstellungen, sofern wir sie durch den innern Sinn wahrnehmen,
in der Zeit sind. Es folgt also, daß die Zeit noch weniger Unabhängigkeit
von unseren Vorstellungen hat als der Raum, daß sie noch subjektiver
ist als selbst dieser.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 102 |
Bei alledem hat nun aber Kant außer Zeit und Raum, die bloß
Formen unseres Anschauens und Vorstellens sind, den an sich raum- und
zeitlosen Grund unserer Anschauungen, jenes Unbekannte, das er mit x (dem
Zeichen der unbekannten Größe in der Mathematik) bezeichnet
und das er sonderbar genug das Ding an sich nennt (eigentlich wäre
es das Ding an und vor sich selbst, d.h. eh' es zum Ding wird, denn zum
Ding wird es erst in unserer Vorstellung.) Was nun aber dieses außer
allem Raum und außer aller Sukzession und Zeit Gesetzte, das, inwiefern
es außer allem Raum, ein Geistiges, weil außer aller Zeit,
ein Ewiges ist, was dieses Unbekannte sein könne, wenn es nicht etwa
Gott ist, ist schwer zu sagen. Als Gott aber es zu bestimmen, ist Kant
weit entfernt, denn er nennt den Idealismus des Berkeley, der die ganze
Sinnenwelt für eine durch göttliche Einwirkung auf unser Vorstellungsvermögen
erzeugte Vorspiegelung erklärt diesen Idealismus, der wenigstens
noch zu denken ist, nennt Kant schwärmerisch. Mag er dies sein, aber
das Schwärmerische selbst, wenn nur noch etwas bei ihm zu denken
ist, ist philosophisch besser, als was in einem völligen Nichtgedanken
oder Ungedanken endigt, wie Kants Theorie der sinnlichen Anschauung, die
mit zwei reinen Unbegreiflichkeiten endigt, nämlich mit der unbegreiflichen
Einrichtung des Vorstellenden in uns, das genötigt ist, das, was
an sich außer allem Raum und außer aller Zeit ist, im Raum
und in der Zeit vorzustellen, und mit jenem ebenso unbegreiflichen Außer-uns,
von dem wir nicht wissen, weder was es ist, noch wie es auf uns wirkt,
und welche Notwendigkeit oder welches Interesse es hat, auf uns zu wirken
und uns zur Vorstellung einer Sinnenwelt zu veranlassen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 102-103 |
Kant geht jedoch nun von der Sinnlichkeit weiter zu der zweiten
erkennenden oder Erkenntnis bestimmenden Fakultät in uns dem
Verstand. Er bemerkt, daß das sinnlich Wahrgenommene für uns
nicht bloß notwendig im Raum und Zeit ist, daß wir, sowie
es erkannt wird sowie es sich zum Gegenstand des Urteils für
uns erhebt , daß wir alsdann ebensowohl genötigt sind,
ihm gewisse Verstandesbestimmungen beizulegen, z.B. es als Substanz oder
als Akzidenz, als Ursache oder als Wirkung, als Eins oder als Vieles usf.
zu bestimmen. Alle diese Bestimmungen sind nun nicht mehr bloß Formen
des Anschauens, sie sind Bestimmungen des Denkens, Begriffe Begriffe
des reinen Verstandes. Und dennoch ist unsere Meinung, daß diese
Begriffe in den vorgestellten Gegenständen selbst seien, daß
unser Urteil, dies oder jenes sei Substanz oder sei Ursache, nicht ein
bloß subjektives, sondern ein objektiv gültiges ist und die
Dinge so wenig ohne diese Begriffe gedacht als z.B. ohne den Raum angeschaut
werden können. Dennoch weil jene Bestimmungen Begriffe sind,
die nur in einem Verstande sich denken lassen, so sollte man meinen,
beweisen sie einen unabhängig von uns in den Dingen selbst gegenwärtigen
Verstand aber Kant schließt nicht auf diese Weise, sondern
so können sie nur von den vorgestellten Gegenständen
als solchen, nicht aber über diese hinaus, d.h. auch vom Ding an
sich, gelten; sie sind nicht anwendbar auf jenes Unbekannte, das den letzten
Grund unserer Vorstellungen enthält. Dieses Unbekannte ist aber gerade
das in letzter Instanz Erklärende, um das es uns also vorzugsweise
zu tun sein muß. Fragen wir nun, was das noch sein könne, das
nicht im Raum, nicht in der Zeit, das nicht Substanz, nicht Akzidenz,
nicht Ursache, nicht Wirkung ist, so werden wir gestehen müssen,
daß jenes Unbekannte nicht mehr = x, wie Kant es bezeichnet (= die
unbekannte Größe einer mathematischen Formel), sondern daß
es = 0, daß es uns zum völligen Nichts geworden ist. Da ihm
also jenes außer der Erfahrung Vorausgesetzte (denn unter Erfahrung
versteht Kant nicht die bloße Anschauung, sondern die durch jene
Verstandesbegriffe bestimmte und so zur Erkenntnis erhobene Anschauung)
indem ihm jenes außer aller Erfahrung Vorausgesetzte eben
damit zugleich völlig zu nichts wird, sehen wir, daß Kant uns
am Ende eben wieder dahin bringt, wo wir zuvor waren, zu der völlig
unerklärten Erfahrung. Dennoch hat Kant das Verdienst, die Allgemeinheit
und Notwendigkeit in unserer Erkenntnis, ohne welche es gar keine Gewißheit
mehr geben würde, erhalten, wenn auch nicht erklärt zu haben.
Selbst des sinnlichen Phänomens kann ich nicht gewiß sein,
wenn nicht in meinem Geiste ein notwendiges Prinzip sich findet, das mir
ihre Gültigkeit versichert. Man käme am Ende darauf es ist unmöglich,
daß ich das, was ich empfinde, nicht empfinde.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 103-104 |
Kants Kritik ist aber vorzüglich durch die Behauptung berühmt
geworden, daß die Verstandesbegriffe (oder, wie er mit dem von Aristoteles
entlehnten Wort sie nennt, die Kategorien) auf das Übersinnliche
nicht anwendbar seien; damit glaubt Kant aller Metaphysik, inwiefern sie
auf eine Erkenntnis des Übersinnlichen geht, ein Ende gemacht zu
haben. Allein er hat hierin mehr getan, als er wollte. Denn wenn es mit
jener Nichtanwendbarkeit der Verstandesbegriffe auf das Übersinnliche
seine Richtigkeit hat, so folgt, daß das Übersinnliche nicht
nur nicht zu erkennen, sondern daß es auch nicht einmal zu denken
ist. Dadurch gerät aber Kant in einen Widerspruch mit sich selbst.
Denn wenigstens die Existenz des Übersinnlichen leugnet ja er selbst
nicht und setzt es bei seiner Konstruktion der Erfahrung selbst voraus.
Denn was ist doch eigentlich jenes Ding an sich, wie er es nennt? Ist
es nicht auch ein Übersinnliches? Zum wenigsten ist es doch ein Außer-
und Unsinnliches. Als solches kann es aber nur zweierlei sein, entweder
etwas, das über oder das unter der sinnlichen Erfahrung ist. Unter
der sinnlichen Erfahrung wäre es, wenn es als bloßes Hypokeimenon,
bloßes Substrat, als reine Materie ohne alle aktuelle Eigenschaft
(die es erst in der sinnlichen Anschauung erhält) gedacht würde.
Der Begriff Substrat ist aber von dem Begriff Substanz nicht verschieden.
Da hat er also etwas außer der sinnlichen Erfahrung Liegendes, das
er genötigt ist als Substanz zu bestimmen. Oder will er es als Übersinnliches
denken. Hier würde sich zuerst fragen: wie dieses Übersinnliche
sich von dem Übersinnlichen der anderen Art, das Kant immer wenigstens
als Gegenstand unseres Erkenntnisbestrebens darstellt, wenn er gleich
leugnet, daß es wirklich erkannt zu werden vermöge, wie es
sich zu jenem Übersinnlichen, das Kant in Gott, in der menschlichen
Seele, in der Freiheit des Willens usw. erkennt, wie es sich zu diesem
verhalte. Nichts ist auffallender, als daß Kant bei dem gerühmten
kritischen Verfahren doch nie auf diese naheliegende und sich aufdringende
Frage geraten ist: wie sich denn das eine Außersinnliche oder bloß
Intelligible zu dem andern, dem eigentlich Übersinnlichen, verhalte,
daß er diese beiden ruhig nebeneinander stehen läßt,
ohne sie irgendwie entweder zu unterscheiden oder miteinander in Verbindung
zu bringen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 104-105 |
Kant selbst nennt das sogenannte Ding an sich (was nach seinen
eignen Begriffen ein wahres hölzernes Eisen ist, denn inwiefern es
Ding [Objekt] ist, ist es nicht an sich, und wenn es an sich ist, ist
es nicht Ding), aber er selbst erklärt dieses Ding an sich als den
intelligiblen Grund unserer Vorstellungen. Das Wort Grund läßt
nun freilich auch eine bloß logische Bedeutung und demnach ein bloß
logisches Verhältnis jenes Intelligiblen zu unserer Vorstellung zu.
Allein da er der wirklichen Vorstellung einen Eindruck auf die Sinne vorausgehen
läßt, dieser Eindruck aber nicht von dem schon Vorgestellten,
also nicht von dem schon mit den Formen der reinen Sinnlichkeit und mit
der Form des Verstandes bekleideten Objekt, sondern nur von dem Ding außer
und über aller Vorstellung herkommen kann, so muß er den Eindruck
von jenem Intelligiblen herleiten, dieses Intelligible zur causa efficiens
unserer Vorstellung machen, d.h. es selbst als Ursache (vermöge eines
Verstandesbegriffs) bestimmen; wobei noch das Merkwürdige sich ereignet,
daß er diesem Intelligiblen, diesem Noumenon, wie er es nennt, kein
unmittelbares Verhältnis zur Intelligenz, zum Nus, zum eigentlich
erkennenden Vermögen, sondern zu unseren bloß materiellen Sinnen
oder zu den körperlichen Sinnesorganen zugesteht. Wenn jener intelligible
Grund, den Kant das Ding an sich nennt, eigentlich die bloße Materie,
den Stoff zu unsern Vorstellungen hergibt, welcher dann erst in der transzendentalen
Synthesis der Apperzeption, wie Kant diese Operation nennt, auf jeden
Fall also erst in dem Subjekt jenes Gepräge des Verstandes annimmt,
welches wir in ihm voraussetzen müssen, wenn er Gegenstand eines
objektiven Urteils sein soll, so fragt es sich, 1. wie jener intelligible
Grund an das Subjekt komme, auf dasselbe wirke, 2. wie sich dieser Stoff
so willig der Verstandesform füge, 3. woher dem Subjekt diese Gewalt
über den Stoff komme. Diese Fragen sind in der Kantschen Kritik nicht
beantwortet, ja nicht einmal aufgeworfen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 105-106 |
Zwei Forderungen werden an die Philosophie gemacht: erstens, die
Genesis der Natur zu erklären, sei es nun, daß man diese als
etwas objektiv, auch außer unsern Vorstellungen, so wie wir sie
vorstellen, Seiendes, oder daß man sie idealistisch als bloß
in unserer Vorstellung so existierend annehme. Hier muß nämlich
wenigstens gezeigt werden, durch welchen und zwar notwendigen
Prozeß unseres Innern wir genötigt sind, eine solche Welt mit
diesen Bestimmungen und mit solchen Abstufungen uns vorzustellen. Kant
hat diese Forderung umgangen. Die zweite Forderung, welche an die Philosophie
gemacht wird, ist, jene eigentlich metaphysische Welt, die übersinnliche
Region, wohin Gott, Seele, Freiheit, Unsterblichkeit gehören, uns
aufzuschließen. Gegen diesen höheren Teil der Philosophie hat
nun Kant ein eigentümliches Verhältnis. Wie schon bemerkt, will
er in Ansehung dieses Metaphysischen eigentlich dasselbe, was die hergebrachte
Metaphysik vor ihm gewollt hatte. Wenn es eine wahre Metaphysik gäbe
(diese Meinung gibt Kant überall zu erkennen), so müßt;
sie Gott als freien Urheber der Welt, sie müßte die moralische
Freiheit des Menschen neben dem unverbrüchlichen Kausalnexus in der
Natur und die Unsterblichkeit des menschlichen Wesens dartun. Dabei setzt
aber Kant keine andern Mittel zur Erreichung dieses Zwecks voraus, als
welche auch die frühere Metaphysik gekannt hat. Seine Kritik bezieht
sich so sehr bloß auf diese, daß man wohl sieht, es ist ihm
nie auch nur eingefallen, daß es außer dieser eine andere
geben könnte. Ja sogar nur auf eine bestimmte Form dieser Metaphysik
bezieht sich Kants Kritik, auf die nämlich, welche sie zufällig
gerade zur Zeit seiner Jugend durch Christian Wolff, und noch mehr durch
Alexander Baumgarten (Kants Lehrer, unter den Wolffianern noch immer einer
der besten Köpfe [meiner Information zufolge
war der Königsberger Martin Knutzen Kants Lehrer; HB]) angenommen
hatte. Kant ignoriert alles, was über den subjektiven Rationalismus
jener Metaphysik hinausgeht. Insofern ist seine Kritik von keiner Anwendung
z.B. auf Spinozismus. Kant sagt zwar: der Begriff einer Substanz kann
und darf auf übersinnliche Gegenstände, also auf Gott nicht
angewendet werden. Dies kann gegen den Spinozismus gesagt scheinen, allein
dieser Grund trifft den Spinoza nicht, weil dieser eben Gott nicht als
ein im Sinne Kants und jenes subjektiven Rationalismus Übersinnliches
denkt. Gott ist dem Spinoza nur die unmittelbare Substanz des sinnlichen
wie alles anderen Seins. Kant müßte also erst beweisen, daß
Gott notwendig ein in seinem Sinn Übersinnliches sei, dies beweist
er aber nicht, sondern setzt es bloß aus der allgemeinen Lehre oder
der vor ihm angenommenen Metaphysik voraus. Indem er also die Unzulänglichkeit
der gewöhnlichen metaphysischen Beweise, z.B. in bezug auf das Dasein
Gottes, Unzerstörlichkeit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele
dargetan hat, glaubt er über alle wissenschaftliche Metaphysik den
Stab gebrochen; das letzte Resultat seiner anstrengungsvollen Kritik ist,
daß keine wirkliche Erkenntnis des Übersinnlichen möglich
sei. Die eigentlichen metaphysischen Gegenstände sind ihm bloße
Vernunftideen, die, wie er sagt, in keiner möglichen Erfahrung vorkommen
können. Aber in dieser Allgemeinheit und Unbestimmtheit, wie dies
behauptet wird, ist es noch keineswegs ausgemacht, daß Gott kein
Gegenstand der Erfahrung sei oder sein könne. Freilich nicht der
Erfahrung, die er allein so nennt; allein er selbst statuiert doch außer
der Erfahrung durch die äußeren Sinne auch eine innere Erfahrung;
ferner sagt er zwar: wirkliche Erfahrung sei nur in jenem Zusammentreffen
der außer uns liegenden intelligiblen Ursache der Materie unserer
Vorstellungen und unseres (ebenfalls intelligiblen) Subjekts, das durch
seine Natur genötigt ist, ihr die Formen des Verstandes aufzudrücken.
Insofern ist also jenes Intelligible selbst einer der Faktoren unserer
Erkenntnis und scheint eben darum selbst nicht Gegenstand der Erkenntnis
sein zu können. Gegenstand der Erkenntnis ist immer nur das Erzeugnis
dieser beiden Faktoren. Allein eben weil jenes Intelligible einer der
Faktoren aller Erkenntnis ist, so ist es als eine Voraussetzung aller
wirklichen Erkenntnis ein gegen diese als notwendig Erscheinendes, während
die Erkenntnis als solche gegen diese Voraussetzung derselben als ein
Zufälliges erscheint. Zugegeben also, es folge aus dieser Ansicht,
daß jenes Intelligible nicht Gegenstand einer wirklichen Erkenntnis
sein könne, so zeigt es sich doch als Gegenstand eines notwendigen
Denkens, und mehr als dieses mehr, als daß z.B. Gott Gegenstand
eines notwendigen Denkens sei, hat auch die alte Metaphysik nicht gewollt.
Allein es verhält sich mit der Kantschen Kritik wirklich so, wie
schon gesagt worden, daß sie genau genommen nicht bloß die
Erkenntnis, sondern daß sie alles Denken des Übersinnlichen
aufhebt und unmöglich macht, indem sie nämlich, wie sie sich
ausdrückt, alle Anwendung der Verstandesbegriffe auf dasselbe verbietet.
Nun führt aber bekanntlich Kant selbst, nachdem er Gott aus der theoretischen
Philosophie verwiesen, ihn dennoch durch die praktische wieder zurück,
indem er wenigstens den Glauben an die Existenz Gottes als einen durch
das Sittengesetz geforderten darstellt. Ist nun dieser Glaube nicht ein
völlig gedankenloser, so ist Gott hier wenigstens gedacht. Nun möchte
ich wissen, wie es Kant anfängt, Gott zu denken, ohne ihn als Substanz
sich zu denken, freilich nicht als Substanz im Sinn des Spinoza, als id
quod substat rebus, aber unstreitig denkt er Gott als absolut geistige
und sittliche Persönlichkeit. Nun ist freilich in dem Begriff einer
solchen Persönlichkeit mehr enthalten als in dem Begriff der Substanz.
Gott ist insofern nicht bloße Substanz; wie z.B. auch ein Mensch
dadurch nicht hinlänglich charakterisiert ist, daß man sagt,
er sei eine Substanz. Aber ist er darum überall nicht Substanz? Ebensowenig
sehe ich ein, was noch von dem Begriff Gottes übrigbleibt, wenn ich
ihn nicht als Ursache denken darf. Kant hat also durch seine Kritik über
sein eignes Ziel hinausgeschossen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 106-109 |
Wenn nun nach dem bisher Gezeigten das materielle Resultat der
Kantischen Kritik zuletzt und im Grunde ein so leeres und nichtiges ist,
worauf beruht das dennoch unleugbar Große und Außerordentliche
seiner Wirkung, wodurch verdient er gleichwohl ein Instaurator der Philosophie
genannt zu werden? Man könnte zunächst verschiedenes anführen.
1. Schon dadurch wirkte Kant wohltätig, daß er nur überhaupt
wieder methodisch und mit Ernst zu Werke ging und dadurch jener philosophischen
Anarchie, die ihm voranging ich meine damit nicht die äußere,
daß in jener Zeit kein herrschendes Haupt in der Philosophie gewesen,
sondern die innere Anarchie die völlige Prinzipienlosigkeit
(archê, woher anarchia kommt, heißt bekanntlich Prinzip),
daß er also dieser völligen Prinzipienlosigkeit der Philosophie
ein Ende machte; 2. daß, wenn er jene tieferen Fragen, die sich
hauptsächlich auf den intelligiblen Grund alles erkennbaren Seins
bezogen wenn nicht beantwortete, ja nicht einmal aufwarf, daß
er sie wenigstens unvermeidlich anregte, insbesondere aber, wie schon
bemerkt worden, daß er die Allgemeinheit und Notwendigkeit in der
menschlichen Erkenntnis gegen einen zerstörenden Skeptizismus und
Sensualismus behauptete. Allein in allem diesem ist die eigentliche historische
Wirkung Kants nicht zu suchen das, wodurch er bestimmend war für
die Folge der deutschen Philosophie. Diese Wirkung war vielmehr dadurch
veranlaßt, daß er ihr die Richtung auf das Subjektive gab,
die sie durch Spinoza völlig verloren hatte; denn das Eigentümliche
des Spinoza ist eben die Substanz, die bloß Objekt, subjektlos ist,
die als Subjekt sich völlig vernichtet hat. Zwar eine gewisse Ängstlichkeit,
die Kant nicht überwinden konnte, und die noch vermehrt wurde, weil
man seiner Philosophie gleich mit allen möglichen gehässigen
Prädikaten entgegenkam, hatte ihn bewogen, Stellen in der ersten
Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, in welchen er sich sogar beinahe
als Idealist erklärt hatte, in den späteren Ausgaben mit andern
zu vertauschen, in denen er scheinbar den Idealismus widerlegte. Aber
der Weg zum Idealismus war dennoch gebahnt, das Ding an sich ein zu unbestimmtes,
ja nichtiges (denn alles, was das Objekt zum Ding, zum Wirklichen macht,
kam vom Subjekt), als daß es hätte bestehen können, und
so war denn der nächste Schritt unstreitig der daß das Subjekt,
das Ich allein übrigblieb. Dieser Schritt ist durch Fichte geschehen,
welcher geradezu aussprach: das Ich, nämlich eines jeden Ich, ist
die einzige Substanz.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 109-110 |
Fichte faßt nicht etwa das Ich als allgemeines oder absolutes,
sondern nur als menschliches Ich auf. Das Ich, als das sich ein jeder
in seinem Bewußtsein findet, ist das einzige wahrhaft Daseiende.
Alles ist für jeden nur mit seinem Ich und in seinem Ich gesetzt.
Für jeden Menschen ist mit jenem transzendentalen, d.h. mit jenem
das empirische Bewußtsein selbst erst bedingenden und ihm daher
vorausgehenden Akt, mit diesem Aktus des Selbstbewußtseins ist für
jeden Menschen das ganze Universum zumal gesetzt, das eben darum nur im
Bewußtsein da ist. Mit dieser Selbstsetzung: Ich bin, beginnt für
jedes Individuum die Welt, dieser Akt ist in einem jeden der gleich ewige,
zeitlose Anfang seiner selbst sowohl als der Welt. Jeder Mensch fängt
gleichsam ewiger Weise (modo aeterno) an, mit ihm ist für seine Vorstellung
seine ganze Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt. Wenn aber Fichte
glauben konnte, den Schwierigkeiten, denen der philosophische Geist unter
Voraussetzung des objektiven Daseins der Dinge bei Erklärung der
Welt begegnet, dadurch entgangen zu sein, daß er die ganze Erklärung
in das Ich verlegte, so mußte er nur um so mehr sich verbunden erkennen,
ausführlich zu zeigen, wie mit dem bloßen Ich bin für
einen jeden die ganze sogenannte Außenwelt mit allen ihren sowohl
notwendigen als zufälligen Bestimmungen gesetzt sei. Er hätte
die außer dem unmittelbaren Bewußtsein gesetzten Dinge wenigstens
als Durchgangspunkte, als Vermittlungen jenes Aktes der Selbstsetzung
nachweisen können. Allein es ist, als ob Fichte in der Außenwelt
gar keine Unterschiede wahrgenommen hätte. Die Natur ist ihm in dem
abstrakten, eine bloße Schranke bezeichnenden Begriff des Nicht-Ich,
des völlig leeren Objekts, an dem gar nichts wahrzunehmen ist, als
daß es eben dem Subjekt entgegengesetzt ist die ganze Natur
ist ihm in diesem Begriff so zusammengeschwunden, daß er eine Deduktion,
die weiter als dieser Begriff sich erstreckte, nicht für nötig
hielt. Am Ende war in Kants Kritik mehr Objektivität als in Fichtes
Wissenschaftslehre. Denn Kant ließ sich bei der unternommenen Kritik,
bei der Ausmessung des Erkenntnisvermögens, unbedenklich von der
Erfahrung leiten, bei Fichte war es doch nur seine, also eine zufällige
Reflexion, die alle Kosten der Fortschreitung bestritt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 110-111 |
Nach Fichte also war alles nur durch das Ich und für das
Ich. Fichte hatte damit die Selbständigkeit oder die Autonomie, welche
Kant dem menschlichen Selbst für seine moralische Selbstbestimmung
zuschrieb, zur theoretischen erweitert, oder dieselbe Autonomie dem menschlichen
Ich auch für seine Vorstellungen von der Außenwelt vindiziert.
Jener Satz: Alles ist nur durch das Ich und für das Ich, schmeichelt
daher anfänglich zwar dem menschlichen Selbstgefühl und scheint
dem inneren Menschen die letzte Unabhängigkeit von allem Äußeren
zu geben. Aber näher betrachtet hat er etwas Thrasonisches oder Großsprecherisches,
solang nicht gezeigt ist, wie, auf welche Weise dies alles, was wir als
existierend anerkennen müssen, durch das Ich und für das Ich
ist. Die Meinung dieses subjektiven Idealismus selbst konnte nicht sein,
daß das Ich die Dinge außer sich frei und mit Wollen setzte;
denn nur zu vieles ist, das das Ich ganz anders wollte, wenn das äußere
Sein von ihm abhinge. Der unbedingteste Idealist kann nicht vermeiden,
das Ich, was seine Vorstellungen von der Außenwelt betrifft, als
abhängig zu denken wenn auch nicht von einem Ding an sich,
wie es Kant nannte, oder überhaupt von einer Ursache außer
ihm selbst, aber doch wenigstens abhängig von einer inneren Notwendigkeit,
und wenn er dem Ich ein Produzieren jener Vorstellungen zuschreibt, so
muß dieses wenigstens ein blindes, nicht in dem Willen, sondern
in der Natur des Ich gegründetes Produzieren sein. Um dies alles
zeigte sich nun Fichte unbekümmert, er gab sich gegen die gesamte
Notwendigkeit mehr das Verhältnis eines unwillig sie Negierenden
als eines sie Erklärenden. Angewiesen nun, die Philosophie da aufzunehmen,
wo sie Fichte hingestellt hatte, mußte ich vor allem sehen, wie
jene unleugbare und unabweisliche Notwendigkeit die Fichte gleichsam nur
mit Worten hinwegzuschelten sucht, mit den Fichteschen Begriffen, also
mit der behaupteten absoluten Substanz des Ich sich vereinigen ließe.
Hier ergab sich nun aber sogleich, daß freilich die Außenwelt
für mich nur da ist, inwiefern ich zugleich selbst da und mir bewußt
bin (dies versteht sich von selbst), aber daß auch umgekehrt, sowie
ich für mich selbst da, ich mir bewußt bin, daß, mit
dem ausgesprochenen Ich bin, ich auch die Welt als bereits da
seiend finde, also daß auf keinen Fall das schon bewußte Ich
die Welt produzieren kann. Nichts verhinderte aber, mit diesem jetzt in
mir sich-bewußten Ich auf einen Moment zurückzugehen, wo es
seiner noch nicht bewußt war eine Region jenseits des jetzt
vorhandenen Bewußtseins anzunehmen und eine Tätigkeit, die
nicht mehr selbst, sondern nur durch ihr Resultat in das Bewußtsein
kommt. Diese Tätigkeit konnte nun keine andere sein als eben die
Arbeit des Zu-sich-selbst-Kommens, des sich Bewußtwerdens selbst,
wo es denn natürlich ist und nicht anders sein kann, als daß
diese Tätigkeit mit dem erlangten Bewußtsein aufhört und
bloß ihr Resultat stehenbleibt. Dieses bloße Resultat, in
welchem sie dem Bewußtsein stehenbleibt, ist dann eben die Außenwelt,
der sich eben darum das Ich nicht als einer von ihm selbst produzierten,
sondern nur als einer zugleich mit ihm daseienden bewußt sein kann.
Ich suchte also mit einem Wort den unzerreißbaren Zusammenhang des
Ich mit einer von ihm notwendig vorgestellten Außenwelt durch eine
dem wirklichen oder empirischen Bewußtsein vorausgehende transzendentale
Vergangenheit dieses Ich zu erklären, eine Erklärung, die sonach
auf eine transzendentale Geschichte des Ichs führte. Und so verriet
sich schon durch meine ersten Schritte in der Philosophie die Tendenz
zum Geschichtlichen wenigstens in der Form des sich selbst bewußten,
zu sich selbst gekommenen Ich. Denn das Ich bin ist eben nur der Ausdruck
des Zu-sich-Kommens selber also dieses Zu-sich-Kommen, das im Ich
bin sich ausspricht, setzt ein Außer und Vonsich-Gewesensein
voraus. Denn nur das kann zu sich kommen, was zuvor Außer sich war.
Der erste Zustand des Ichs ist also ein außer-sich-Sein. Hierbei
ist nur noch zu bemerken (und dies ist ein sehr wesentlicher Punkt), daß
das Ich, inwiefern es jenseits des Bewußtseins gedacht wird, eben
darum noch nicht das individuelle ist, denn zum individuellen bestimmt
es sich eben erst im Zu-sich-Kommen, also das jenseits des Bewußtseins
oder des ausgesprochenen Ich bin gedachte Ich ist für alle menschlichen
Individuen das gleiche und selbe, es wird in jedem erst sein Ich, sein
individuelles Ich, indem es eben in ihm zu sich kommt. Daraus, daß
das jenseits des Bewußtseins gedachte für alle Individuen dasselbe
ist, daß hier das Individuum noch nicht mitwirkt, daraus erklärt
sich alsdann, warum ich für meine Vorstellung von der Außenwelt
unbedingt, und ohne selbst erst eine Erfahrung darüber gemacht zu
haben, auf die Übereinstimmung aller menschlichen Individuen zähle
(das Kind schon, das mir einen Gegenstand zeigt, setzt voraus, daß
dieser Gegenstand ebensowohl für mich als für es existieren
müsse). Allerdings nun indem das Ich zum individuellen wird
was eben durch das Ich bin sich ankündigt angekommen also
bei dem Ich bin, womit sein individuelles Leben beginnt, erinnert es sich
nicht mehr des Wegs, den es bis dahin zurückgelegt hat, denn da das
Ende dieses Wegs eben erst das Bewußtsein ist, so hat es (das jetzt
individuelle) den Weg zum Bewußtsein selbst bewußtlos und
ohne es zu wissen zurückgelegt. Hier erklärt sich die Blindheit
und Notwendigkeit seiner Vorstellungen von der Außenwelt, wie dort
die Gleichheit und Allgemeinheit derselben in allen Individuen. Das individuelle
Ich findet in seinem Bewußtsein nur noch gleichsam die Monumente,
die Denkmäler jenes Wegs, nicht den Weg selbst. Aber eben darum ist
es nun Sache der Wissenschaft, und zwar der Urwissenschaft, der Philosophie,
jenes Ich des Bewußtseins mit Bewußtsein zu sich selbst, d.h.
ins Bewußtsein, kommen zu lassen. Oder: die Aufgabe der Wissenschaft
ist, daß jenes Ich des Bewußtseins den ganzen Weg von dem
Anfang seines Außersichseins bis zu dem höchsten Bewußtsein
selbst mit Bewußtsein zurücklege. Die Philosophie ist
insofern für das Ich nichts anderes als eine Anamnese, Erinnerung
dessen, was es in seinem allgemeinen (seinem vorindividuellen) Sein getan
und gelitten hat: ein Ergebnis, das mit bekannten Platonischen Ansichten
(wenngleich diese zum Teil einen andern Sinn und nicht ohne eine gewisse
Zutat von Schwärmerischem verstanden waren) übereinstimmte.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 111-114 |
Dies war also der Weg, den ich zuerst und noch eben von Fichte
herkommend, einschlug, um meinerseits wieder ins Objektive zu kommen,
und leicht begreiflich konnte es dieser Wendung des Fichteschen Begriffs,
wodurch dieser eigentlich erst verständlich und die Haupteinwendung
gegen denselben entfernt wurde, bei ihrem ersten Hervortreten nicht an
Beifall fehlen. Es war ein Versuch, den Fichteschen Idealismus mit der
Wirklichkeit auszusöhnen oder zu zeigen, wie gleichwohl, auch unter
Voraussetzung des Fichteschen Satzes, daß alles nur durch das Ich
und für das Ich ist, die objektive Welt begreiflich sei.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 114 |
So wenig habe ich mich beeilt, ein eigenes System aufzustellen,
daß ich mich begnügt, wie es auch meiner damaligen Jugend geziemte,
vorerst nur das Fichtesche System begreiflich zu machen, in Hoffnung,
Fichte selbst werde diesen seinem System gegebenen Sinn billigen, was
freilich nachher sich anders gefunden. Mir war es nicht um ein System
zu tun, dessen ich mich als eines eignen rühmen konnte, sondern nur
um ein solches, das mich selbst befriedigte. Auch war ich nicht in dem
Fall, wie so manche, die, zumal nach der großen Anregung durch Kant
und Fichte, sich auf die Philosophie warfen, lediglich weil sie nichts
anderes gelernt hatten und weil sie meinten, in der Philosophie sei noch
am ehesten ohne Kenntnisse auszukommen; ich hatte noch mehr als eine Region
menschlicher Forschung, in der ich zu meiner eigenen Befriedigung mich
ergehen konnte und zu der mich meine frühesten Neigungen hinzogen.
Also ich wollte damals nur Fichtes System erklären,
ob ich gleich nie Fichtes Zuhörer gewesen, was ich rein bloß
als historische Berichtigung bemerke, nicht etwa, um mich des Danks gegen
Fichte zu entledigen oder ihn als Lehrer und Vorgänger zu verleugnen,
denn er war mir dies, wie er es allen gewesen ist, inwiefern er zuerst
das Wort einer auf Freiheit gegründeten Philosophie aussprach, auf
die Selbständigkeit des Ich nicht bloß, wie Kant, die praktische,
sondern ebensowohl die theoretische, und demnach die ganze Philosophie
begründete ich suchte also damals zuerst nur zu zeigen, wie
man sich mit dem menschlichen Ich alles gesetzt denken könne. Diese
Ausführung des Fichteschen Idealismus ist enthalten in meinem anno
1800 erschienenen System des transzendentalen Idealismus. Ist einer unter
Ihnen, der jetzt oder in der Zukunft den allmählichen Entwicklungsgang
der neueren Philosophie genau und urkundlich kennenlernen will, so kann
ich nicht anders, als ihm dieses System des transzendentalen Idealismus
zum Studium empfehlen; er wird darin unter der Hülle des Fichteschen
Gedankens schon das neue System erkennen, das früher oder später
diese Hülle durchbrechen mußte, er wird in diesem Werk schon
jene Methode in voller Anwendung finden, die später nur in größerem
Umfang gebraucht wurde; indem er diese Methode, welche nachher die Seele
des von Fichte unabhängigen Systems geworden ist, hier schon findet,
wird er sich überzeugen, daß diese gerade das mir Eigentümliche,
ja dergestalt Natürliche war, daß ich mich derselben fast nicht
als einer Erfindung rühmen kann, aber eben darum kann ich sie auch
am wenigsten mir rauben lassen oder zugeben, daß ein anderer sich
rühme, sie erfunden zu haben. Ich sage dies nicht, mich zu rühmen,
sondern ganz allein, weil man die Pflicht hat, der Unwahrheit überhaupt,
zumal wenn sie durch Schweigen beglaubigt wird, entgegenzutreten.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 114-115 |
Die Aufgabe, die ich mir zuerst gesetzt, war also: die von unserer
Freiheit schlechterdings unabhängige, ja diese Freiheit beschränkende
Vorstellung einer objektiven Welt durch einen Prozeß zu erklären,
in welchem sich das Ich eben durch den Akt des Selbstsetzens unbeabsichtigter,
aber notwendiger Weise verwickelt sieht. Indem nämlich das Ich sich
selbst zum Gegenstand macht, kann es nicht umhin, sich selbst anzuziehen
(in dem Sinn, wie man sagt: ich ziehe mir dieses oder jenes nicht an
ich ignoriere es), und es konnte sich selbst nicht anziehen, ohne sich
dadurch zu begrenzen, seine an sich ins Unendliche strebende Tätigkeit
zu hemmen, sich selbst, das zuvor lautere Freiheit und als nichts war,
für sich selbst zu etwas, also zu einem Beschränkten, zu machen.
Die Schranke, welche Fichte außer das Ich fallen ließ, fiel
auf diese Art in das Ich selbst, und der Prozeß wurde ein völlig
immanenter, in welchem das Ich nur mit sich selbst, mit dem eignen, in
sich gesetzten Widerspruch, zugleich Subjekt und Objekt, endlich und unendlich
zu sein, beschäftigt war. Das Ich hatte nämlich, indem es sich
selbst Objekt wurde, sich zwar gefunden, aber nicht als das Einfache,
das es zuvor war, sondern als ein Doppeltes, als Subjekt und Objekt zugleich,
es war nun für sich selbst, hatte aber eben damit aufgehört
an sich zu sein: diese in ihm gesetzte Zufälligkeit mußte überwunden
werden, die Momente dieser sukzessiven Überwindung wurden als identisch
nachgewiesen mit den Momenten der Natur, und dieser Prozeß wurde
von Stufe zu Stufe, von Moment zu Moment fortgeführt bis zu dem Punkt,
wo das Ich aus der Beschränkung wieder in die Freiheit durchbrach
und nun erst sich wirklich hatte, oder für sich selbst war, wie es
an sich war als lautere Freiheit. Damit war die theoretische Philosophie
geschlossen, und es begann die praktische. Zuerst in der Philosophie hatte
ich hier die geschichtliche Entwicklung versucht die ganze Philosophie
war mir Geschichte des Selbstbewußtseins, die ich förmlich
in Epochen abteilte, z.B. erste Epoche von der ursprünglichen Empfindung
(der durch die Selbstobjektivierung im Ich gesetzten Begrenztheit) bis
zur produktiven Anschauung. Das Instrument war jedoch zu beschränkt,
um die ganze Melodie darauf ausführen zu können. Das
Prinzip des Fortschreitens oder die Methode beruht auf der Unterscheidung
des sich entwickelnden oder mit der Erzeugung des Selbstbewußtseins
beschäftigten Ichs und des auf dieses reflektierenden, gleichsam
ihm zuschauenden, also philosophierenden Ichs. Durch jeden Moment war
in das objektive Ich eine Bestimmung gesetzt, aber diese Bestimmung war
nur für den Zuschauer in ihm gesetzt, nicht für es selbst. Der
Fortschritt bestand also jederzeit darin, daß, was im vorhergehenden
Moment im Ich bloß für den Philosophierenden gesetzt war, im
Folgenden dem Ich selbst objektiv für das Ich selbst in ihm
gesetzt wurde, und daß auf diese Art zuletzt das objektive Ich selbst
auf den Standpunkt des Philosophierenden gebracht war oder das objektive
Ich dem philosophierenden, insofern subjektiven, völlig gleich wurde;
der Moment, in welchem diese Gleichheit eintrat, wo also in dem objektiven
Ich genau dasselbe gesetzt war, was im subjektiven, war der Schlußmoment
der Philosophie, welcher sich damit zugleich ihres Endes bestimmt versichert
hatte. Zwischen dem objektiven Ich und dem philosophierenden bestand ungefähr
das Verhältnis wie in den Sokratischen Gesprächen zwischen dem
Schüler und dem Meister. In dem objektiven Ich war jederzeit eingewickelter
Weise mehr gesetzt, als es selbst wußte, die Tätigkeit des
subjektiven, des philosophierenden Ich bestand nun darin, dem objektiven
Ich selbst zu der Erkenntnis und dem Bewußtsein des in ihm Gesetzten
zu verhelfen und es so endlich zur völligen Selbsterkenntnis zu bringen.
Dieses Verfahren, wobei stets, was im vorhergehenden Moment bloß
subjektiv gesetzt ist, im folgenden zum Objekt hinzutritt, hat auch in
der folgenden, größeren Entwicklung ersprießliche Dienste
geleistet.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 115-117 |
Die Anfänge dieser Darstellung des Idealismus finden sich
in den einzelnen Abhandlungen, die im ersten Teil meiner philosophischen
Schriften wieder abgedruckt worden. Wer mir die Ehre erweisen will, den
Gang meiner philosophischen Entwicklung zu beurteilen, und besonders wer
das eigentlich heuristische Prinzip, das Prinzip der Erfindung, welches
mich leitete, kennenlernen will, muß bis dahin zurückgehen
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Kant - Fichte / System des transzendentalen
Idealismus, in: Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1827,
S. 117 |
Wenn nun aber das Reale als solches nur in der Spannung gegen
das Ideale da ist, so existiert jetzt, da beide in einer höheren
Potenz untergeordnet sind, weder mehr das eine noch das andere als solches,
sondern nur das Dritte, in dem sie eins sind, zu dem sie beide sich gleichsam
verständigt haben und für das es eben keinen andern Namen mehr
gibt als den des Lebendigen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 118 |
Ich gehe nun über zur Darstellung des Systems, wie es in der
völligen Unabhängigkeit von Fichte hervorgetreten ist. Hier
war es also nicht mehr das endliche oder menschliche Ich, von dem ausgegangen
wurde, sondern das unendliche Subjekt, nämlich 1. das Subjekt überhaupt,
weil das allein unmittelbar Gewisse, aber 2. das unendliche Subjekt, d.h.,
das nie aufhören kann Subjekt zu sein, nie im Objekt untergehen,
zum bloßen Objekt werden, wie es dem Spinoza durch einen Akt, dessen
er selbst sich nicht bewußt ist, geschehen ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 118 |
Das Subjekt, inwiefern es noch in seiner reinen Substantialität
gedacht wird, insofern ist es noch frei von allem Sein, und obgleich nicht
nichts, doch als nichts. Nicht nichts, weil doch Subjekt, als nichts,
weil nicht Objekt, weil nicht im gegenständlichen Sein seiend. Aber
es kann in dieser Abstraktion nicht bleiben, es ist ihm gleichsam natürlich,
sich selbst als Etwas und demnach als Objekt zu wollen. Aber der Unterschied
dieses Objektwerdens von dem, was auch der Spinozischen Substanz vorausgedacht
werden muß, ist dieser, daß letzteres mit gänzlichem
Verlust seiner selbst, also ganz und ohne Rückhalt übergeht
in das Objekt und nur als solches (als Objekt) noch angetroffen wird,
jenes Subjekt aber nicht blindes, sondern vielmehr unendliches Selbstsetzen
ist, d.h. das im Objekt-Werden nicht aufhört Subjekt zu sein, unendliches
also nicht in dem bloß negativen Sinn, daß es nur nicht
endlich ist oder gar nicht endlich werden könnte, sondern in dem
positiven, daß es sich verendlichen (sich zu etwas machen) kann,
aber aus jeder Endlichkeit siegreich, wieder als Subjekt, hervortritt,
oder: daß es durch jedes Endlich-, Objekt-Werden sich nur wieder
in eine höhere Potenz der Subjektivität erhebt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 118 |
Aber eben darum, weil dies seine Natur ist, nie bloß Objekt
sein zu können, sondern immer und notwendig zugleich Subjekt zu sein,
so ist, die Bewegung einmal angefangen, oder ihren Anfang gesetzt
ist sie eine notwendig fortschreitende.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 118 |
Der Anfang ist natürlich das erste sich zu etwas Machen das
erste Objektiv-Werden; denn mit diesem war infolge der Unendlichkeit des
Subjekts, nach welcher jedem Objektiv-Werden unmittelbar nur eine höhere
Potenz der Subjektivität folgt aus diesem Grunde also war
mit dem ersten Objektiv-Werden der Grund aller folgenden Steigerung und
damit der Bewegung selbst gelegt. Das Wichtigste ist daher die Erklärung
dieses Anfangs, dieses ersten Etwas-sein. Dies wurde nun auf folgende
Weise gedacht. Das Subjekt noch in seiner reinen Substantialität
oder Wesentlichkeit, vor allem Aktus gedacht, ist, wie schon bemerkt,
zwar nicht nichts, aber als nichts; dieses als drückt immer etwas
über das Wesen Hinzukommendes aus und bezieht sich demnach auf das
gegenständliche, auf das über das Wesen hinausgehende Sein;
wenn also gesagt wird, das Subjekt oder Ich in seiner reinen Substantialität
war als nichts, so drückt dies nichts anderes aus als die Negation
alles gegenständlichen Seins. Dagegen wenn wir nun zuerst von ihm
sagen: es ist als Etwas, so wird eben damit ausgedrückt, daß
dieses Etwassein als Sein ein Akzessorisches, Hinzugekommenes, Zugezogenes,
in gewissem Betracht Zufälliges ist. Das als bezeichnet hier eine
Anziehung, eine Attraktion, ein angezogenes Sein. Zur Erläuterung!
Es gibt gewisse moralische und andere Eigenschaften, die man gerade nur
hat, inwiefern man sie nicht hat, oder wie die deutsche Sprache trefflich
dies ausdrückt, inwiefern man sich dieselben nicht anzieht. Z.B.
wahre Anmut ist gerade nur möglich im Nichtwissen ihrer selbst, dagegen
eine Person, die um ihre Anmut weiß, sie sich anzieht, sogleich
aufhört, anmutig zu sein, und wenn sie als anmutig sich gebärdet,
vielmehr das Gegenteil wird. Ebenso ist es mit der Unbefangenheit. Das
unbefangene Sein ist überall nur das, was sich selbst nicht weiß;
sowie es sich selbst Gegenstand wird, ist es auch schon ein befangenes.
Wenden Sie diese Bemerkungen auf das Vorliegende an, so ist das Subjekt
in seiner reinen Wesentlichkeit als nichts eine völlige Bloßheit
aller Eigenschaften es ist bis jetzt nur Es selbst, und so weit
eine völlige Freiheit von allem Sein und gegen alles Sein; aber es
ist ihm unvermeidlich, sich sich selbst anzuziehen, denn nur dazu ist
es Subjekt, daß es sich selbst Objekt werde, da vorausgesetzt wird,
daß nichts außer ihm sei, das ihm Objekt werden könne;
indem es sich aber sich selbst anzieht, ist es nicht mehr als nichts,
sondern als Etwas in dieser Selbstanziehung macht es sich zu etwas;
in der Selbstanziehung also liegt der Ursprung des Etwas-Seins oder des
objektiven, des gegenständlichen Seins überhaupt. Aber als das,
was es Ist, kann sich das Subjekt nie habhaft werden, denn eben im sich-Anziehen
wird es ein anderes, dies ist der Grund-Widerspruch, wir können sagen,
das Unglück in allem Sein denn entweder läßt es
sich, so ist es als nichts, oder es zieht sich selbst an, so ist es ein
anderes und sich selbst Ungleiches nicht mehr das mit dem Sein
wie zuvor Unbefangene, sondern das sich mit dem Sein befangen hat
es selbst empfindet dieses Sein als ein zugezogenes und demnach zufälliges.
Bemerken Sie hier, daß demgemäß der erste Anfang ausdrücklich
als ein Zufälliges gedacht wird. Das erste Seiende, dieses primum
Existens, wie ich es genannt habe, ist also zugleich das erste Zufällige
(Urzufall). Diese ganze Konstruktion fängt also mit der Entstehung
des ersten Zufälligen sich selbst Ungleichen , sie fängt
mit einer Dissonanz an und muß wohl so anfangen. Denn zuvor
vor der Zuziehung des Seins, in seinem an und vor sich Sein, war das Subjekt
auch unendlich, aber inwiefern es die Endlichkeit noch vor sich hatte,
aber eben darum ist es dort noch nicht als unendlich gesetzt; um sich
als unendlich zu setzen, muß es von dieser Möglichkeit, auch
das Endliche zu sein, sich gereinigt haben, also die Endlichkeit selbst
wird ihm zum Mittel, sich als unendlich (d.h. als Freiheit vom Sein, denn
ein anderer Begriff wird mit dem Wort unendlich hier nicht verbunden)
sich als unendlich zu setzen. Nur durch wirklichen Gegensatz konnte es
in sein wahres Wesen erhöht werden, konnte es sich als Unendliches
erreichen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 119-120 |
Ich will das letzte noch in einer anderen, obwohl völlig
äquivalenten Wendung erklären.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 120 |
Das Subjekt, das erst reines, sich selbst nicht gegenwärtiges
Subjekt ist indem es sich haben will, sich selbst Objekt wird,
ist es mit einer Zufälligkeit behaftet (Zufälligkeit ist Gegensatz
des Wesens). Aber dadurch ist es als Wesen nicht aufzuheben, denn es ist
nicht bloß Wesen überhaupt, sondern unendlicher Weise. Jene
Zufälligkeit wird ihm also nur Anlaß, in sein Wesen zurücktretend
sich gegen jenes Zufällige als Wesen zu setzen, das es zuvor nicht
war. An und vor sich war es Wesen (= Freiheit vom Sein), aber nicht als
Wesen, denn es hatte jenen, daß ich so sage, verhängnisvollen
Akt des sich selbst-Anziehens noch vor sich; es stand noch an jenem Abhang,
von dem es sich selbst nicht zurückhalten kann. Denn entweder bleibt
es stehen (bleibt, wie es ist, also reines Subjekt), so ist kein Leben,
und es selbst ist als nichts, oder es will sich selbst, so wird es ein
anderes, sich selbst Ungleiches, sui dissimile. Es will sich zwar als
solches, aber dies eben ist unmittelbar unmöglich, im Wollen selbst
schon wird es ein anderes und entstellt sich aber es ergibt sich darein,
weil ihm doch nur versagt ist unmittelbar sich als Wesen zu setzen, jenes
endliche oder befangene Sein das allein unmittelbar mögliche
stellt sich ihm selbst gleich nur dar als Vermittlung seines als
unendlich-, als Wesen-Seins; insofern kann es jenes Sein wollen, ob es
gleich nicht das ist, was es eigentlich will. Dieses endliche Sein vermittelt
ihm, sich in einer zweiten Stufe oder Potenz zu setzen nun als
Wesen. Dieses in der zweiten Potenz gesetzte Wesen ist, was das unanfängliche
ist, mit dem einzigen Unterschied, daß es (ohne sein eigenes Zutun)
gleich als Wesen gesetzt und demnach festgemacht ist. Nennen wir das Wesen
oder reine Subjekt A, so ist das Subjekt vor allem Aktus nicht als A,
also ist es auch nicht so A, daß es nicht nicht-A oder = B sein
könnte. Nun aber macht es sich selbst zu B in der Selbstanziehung,
wo es ein anderes wird. Aber die Notwendigkeit seiner Natur ist, unendliches
Subjekt, unendliches A zu sein, d.h. nicht Objekt sein zu können,
ohne Subjekt zu sein. Es kann also nicht B sein, ohne uno eodemque actu
als A zu sein, nicht sofern es B ist, wohl aber in einer andern Gestalt
seines Wesens. In dieser ist es nicht mehr bloßes A, sondern als
A, als A, weil jetzt die Möglichkeit, nicht-A zu sein, schon ausgeschlossen
ist. Das als A gesetzte A ist aber nicht mehr das einfache A, sondern
A, das A ist, nicht ist und nicht ist, sondern entschieden ist.
A, das A ist, ist das mit sich selbst duplizierte A (in der älteren
Logik wurde diese Art des Setzens, wo A nicht simpliciter, sondern als
A gesetzt wird, die reduplikative oder Reduplicatio genannt), also das
als A gesetzte A ist nicht mehr einfaches, sondern dupliziertes A, das
wir (nachdem der Begriff erklärt ist) der Kürze wegen wohl A2
nennen können, und wir hätten also nun auf der einen Seite A,
das B geworden ist, auf der andern im Gegensatz und in der Spannung mit
diesem aber eben darum zugleich in der Erhöhung durch dieses
A2 (das in sich selbst erhöhte A, denn das heißt das
als solches gesetzte A).
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 120-122 |
Auf diese Weise wären wir also aus der Einheit heraus und
bis zur Zweiheit gelangt, mit welcher nun, wie Sie zum voraus begreifen,
der Grund eines ferneren notwendigen Fortschritts schon gelegt ist. Doch
eh' ich zu diesem fortgehe, habe ich noch erst die nähere und bestimmtere
Bedeutung jenes Gegensatzes aufzuzeigen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 122 |
In dem nun als A gesetzten A, in dem A2, hat sich das A zum Höheren
seiner selbst, inwiefern es B ist, erhoben. Notwendig und immer aber ist
das Höhere zugleich das Begreifende und Erkennende des Niederen,
was unmittelbar auch so einzusehen ist. Das absolute Subjekt, das als
nichts ist, macht sich zu Etwas, zu einem gebundenen, beschränkten,
befangenen Sein. Aber es ist das unendliche, d.h. das nie und in nichts
untergehen könnende Subjekt, und demzufolge, indem es etwas ist,
ist es auch unmittelbar wieder das über sich selbst Hinausgehende,
also das sich selbst in diesem Etwas-sein Begreifende, Erkennende. Als
das etwas seiende ist es das Reale, als das Begreifende desselben das
Ideale, hier treten also zuerst auch diese Begriffe (des Realen und des
Idealen) in unsere Betrachtung ein. Wenn nun aber diese Geschichte des
sich selbst setzenden, sich selbst in allen Bestimmungen seines Seins
erzeugenden Subjekts eine wahre, eine wirkliche Geschichte ist, so muß
sich dieses erste Etwas-sein des Subjekts, so wie das ihm Entgegengesetzte,
worin es als Subjekt ist jenes Reale und dieses Ideale, diese beiden
ersten Potenzen des Selbstsetzens der Selbstverwirklichung
müssen sich in der Wirklichkeit nachweisen lassen oder einen entsprechenden
Ausdruck in der Wirklichkeit haben. Als jenes erste überhaupt Etwas-sein
des zuvor freien und als nichts seienden Subjekts, als das mit sich selbst
also befangene oder verfangene Subjekt, als dieses erste wurde die Materie
erklärt. Mehr wird nämlich vorerst im Begriff der Materie nicht
gedacht als das überhaupt etwas, das nicht mehr nichts, d.h. das
nicht mehr frei Seiende. Diese Materie, die nur das erste Etwassein selbst
ist, ist allerdings nicht die Materie, die wir jetzt vor uns sehen, die
geformte und mannigfach gebildete, also namentlich auch nicht die schon
körperliche Materie; was wir als Anfang und erste Potenz, als das
Nächste am Nichts, bezeichnen, ist vielmehr selbst die Materie dieser
Materie, der schon geformten nämlich und uns sinnlich erkennbaren,
mit sinnlichen Eigenschaften ausgestatteten Materie, ihr Stoff, ihre Grundlage;
denn jene Materie, die nur das erste Etwas-sein überhaupt ist, wird,
wie wir bald sehen werden, unmittelbar zum Gegenstand eines Prozesses,
in welchem sie verwandelt und zur Grundlage eines höheren Seins gemacht
wird, und nur indem sie dazu wird, nimmt sie jene sinnlich erkennbaren
Eigenschaften an. Diesem ersten Realen nun, diesem ersten Etwas-sein steht
das Ideale entgegen, das insofern das Nichts (nämlich das nicht Etwas)
ist, aber weil es das dem Etwas entgegengesetzte, das als solches gesetzte
Nichts oder reine Wesen ist, insofern ist es doch eben darum selbst auch
Etwas: wir werden sagen, oder vielmehr in der ersten Entwicklung dieser
Philosophie wurde gesagt, dieses als solches gesetzte reine Wesen
das gegen die Materie als nichts ist sei das Licht. Das Licht ist
gegen die Materie als nichts und doch nicht nichts; dasselbe, was in der
Materie als etwas ist, ist in dem Licht als nichts, und insofern allerdings
auch als etwas, aber als ein anderes Etwas, als das rein ideale gesetzt.
Das Licht ist offenbar nicht Materie, wozu frühere Hypothesen es
herabgesetzt haben. Wenn selbst Materie, wie könnte es Körper
geben, die das Licht in allen Richtungen nicht bloß, sondern in
jedem Punkt ihrer Substanz geradlinig durchdringt? Wollte man dies durch
Poren oder von Materie leere Zwischenräume erklären, so müßte
der durchsichtige Körper von jedem Punkt seiner Oberfläche aus
geradlinig durchbohrt sein (denn in jedem Punkt seiner Oberfläche
ist er durchsichtig), also er müßte in jedem Punkt Porus und
daher nichts als Porus sein. (Eben jetzt ist auch die beobachtende Physik
geneigter, die Immaterialität des Lichts als seine Materialität
zu behaupten. Bekanntlich wird die Undulationstheorie vorgezogen, nach
welcher das Licht nur ein Akzidenz, insofern freilich nicht Materie ist,
aber das Akzidenz einer Materie, was als Hypothese für den Kalkül
gewisse Erleichterungen gewährt, und eben nur so weit zulässig
ist wie auch die Atome, deren Gewicht die Stöchiometrie sogar bestimmt,
ob sie gleich nie einen dieser Atome gesehen hat. Übrigens hat es
etwas durchaus Widerstrebendes, die Phänomene des Lichts, in denen
gerade die geradlinige Bewegung das Dominierende, unter die Vorstellung
eines undulierenden Mediums zu subsumieren. Die Naturphilosophie erklärt
das Licht nicht für immateriell in dem Sinn, daß es bloß
Akzidenz, sondern es ist ihr auch Substanz, aber immaterielle wie
Spinoza ausgedehnte und denkende Substanz.)
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 122-124 |
Das Licht ist also selbst nicht Materie, aber es ist im Idealen
eben das, was die Materie im Realen ist; denn es erfüllt den Raum
auf seine, d.h. auf ideale Weise geradeso nach allen Dimensionen, wie
ihn die Materie erfüllt; das Licht ist also der Begriff der Materie,
nicht etwa innerlich oder bloß subjektiv, sondern es ist der selbst
objektiv gesetzte Begriff der Materie, eine Bestimmung, bei der ich einen
Augenblick verweile, indem sie Veranlassung gibt, einen wesentlichen Fortschritt
dieser Philosophie in bezug auf Fichte und noch weiter zurück ins
Licht zu setzen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 124 |
Descartes und sein Nachfolger Spinoza hatten das Denken von der
Ausdehnung und dem Ausgedehnten rein ausgeschlossen. Aber z.B. das Licht
ist in der ausgedehnten Welt offenbar ein Analogon des Geistes oder des
Denkens, und wenn wir diesen unbestimmten Begriff eines Analogon auf einen
bestimmten Begriff reduzieren, so ist das Licht gar nichts anderes als
der Geist oder das Denken selbst, nur auf einer tieferen Stufe oder Potenz.
Ganz auf dieselbe Weise hatte Fichte den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich.
Zwar hätte er seiner eignen Lehre zufolge, daß nur das Ich
wahrhaft existiert, das Ich auch als die Substanz oder als das letzte
Wesen der Natur erkennen, er hätte von der Natur behaupten müssen,
daß auch sie wahrhaft nur existiere, inwiefern sie innerlich oder
ihrem Wesen nach = Ich, Subjekt-Objekt sei. Er hätte dies behaupten
müssen, wenn er ihr nicht alle Realität außer unsern Vorstellungen
abgesprochen hätte. Also auch Fichte kannte nichts Subjektives als
nur in dem menschlichen Ich oder Geist, während man z.B. von dem
Licht sagen kann, es sei ein Subjektives, aber ein in die Natur selbst
Gesetztes, das, worin die Natur gegen sich selbst subjektiv oder Subjekt
ist, woraus denn auch folgt, daß die Natur nicht etwas bloß
Objektives bloßes Nicht-Ich sei. Denn das Ich ist gleichsam
das Ich oder das erste Subjektive der Natur das erste Subjektive
außer uns. Nirgendwo, in keiner Sphäre ist ein bloß Subjektives
oder ein bloß Objektives, sondern immer eine Einheit beider. Das
Licht gehört für mich allerdings zu der mir objektiven Welt,
zu der Welt, die für mich, der bereits auf eine höhere Stufe
erhoben ist, als Objektiv sich verhält, die aber in sich selbst auch
ein Subjektives hat. Nur gegen ein noch höheres Ideales, z.B. gegen
das menschliche Wissen, also überhaupt nur relativ, beziehungsweise
gehört das Licht zur reellen Welt, für sich betrachtet aber,
oder auch mit der Materie verglichen, ist es in seiner Art oder Potenz
ebensowohl ein Ideales, als das menschliche Denken in seiner Potenz ein
Ideales ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 124-125 |
Aus den bisherigen Bestimmungen hat sich nun also ergeben, daß
die ersten Momente des unendlichen sichselbst-Setzens oder, da in diesem
das Leben des Subjekts besteht, daß die ersten Momente dieses Lebens
Momente der Natur sind. Hieraus folgt also, daß diese Philosophie
mit ihren ersten Schritten in der Natur ist oder von der Natur anfängt
natürlich nicht um in ihr zu bleiben, sondern um in der Folge
durch immer fortschreitende Steigerung sie zu übertreffen, über
sie hinauszukommen und zum Geist, in die eigentlich geistige Welt, sich
zu erheben. Diese Philosophie konnte also in ihrem Anfang Naturphilosophie
heißen, aber die Naturphilosophie war nur der erste Teil oder die
Grundlage des Ganzen. Die Natur war selbst nur die eine Seite des Universums
oder der absoluten Totalität, in welcher erst das absolute Subjekt
ganz verwirklicht ist, die relativ ideale Welt. Die Welt des Geistes war
die andere Seite. Die Philosophie mußte in die Tiefen der Natur
hinabsteigen, nur um sich von dort aus zu den Höhen des Geistes zu
erheben. Die andere Seite des Systems war also die Philosophie des Geistes.
Wenn man daher das ganze System Naturphilosophie nannte, so war dies eine
denominatio a potiori, oder eigentlich a priori, als eine Benennung von
dem, was in dem System das Vorausgehende, das Erste, aber insofern vielmehr
das Untergeordnete war. Es war im Grunde schwer, diesem System einen Namen
zu finden, weil es eben die Gegensätze aller früheren Systeme
in sich aufgehoben enthielt; in der Tat war es weder Materialismus noch
Spiritualismus zu nennen, weder Realismus noch Idealismus. Man hätte
es Real-Idealismus nennen können, inwiefern in ihm der Idealismus
selbst einen Realismus zur Basis hatte und aus einem Realismus entwickelt
wurde. Nur einmal, in der Vorrede, also in dem exoterischen Teil meiner
ersten Darstellung dieses Systems, hatte ich es das absolute Identitätssystem
genannt, um eben anzudeuten, daß hier kein einseitiges Reales noch
ein einseitiges Ideales behauptet werde, sondern in dem, was man von Fichte
her das Reale, und in dem, was man das Ideale zu nennen gewohnt war, nur
Ein letztes Subjekt gedacht werde. Allein auch diese Benennung wurde übel
gedeutet und von denen, welche nie in das Innere des Systems eindrangen,
benutzt, um daraus zu schließen, oder dem ununterrichteten Teil
des Publikums glauben zu machen, es werden in diesem System alle Unterschiede,
namentlich jeder Unterschied von Materie und Geist, von Gutem und Bösem,
selbst von Wahrheit und Irrtum aufgehoben, nach diesem System sei im gemeinen
Sinn alles eins. Ich setze nun übrigens die Darstellung desselben
fort.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 125-126 |
Wir hätten also nun die zwei ersten Potenzen, die Materie
auf der einen Seite als Ausdruck des ersten noch mit oder von sich selbst
Befangenseins des zuvor lauteren und freien Subjekts und das Licht als
Ausdruck des als frei und unbefangen gesetzten Subjekts, was aber eben
darum nicht mehr das ganze oder das absolute Subjekt sein kann, eben weil
es das schon als solches gesetzte ist. Denn das absolute Subjekt ist noch
rein unendlich, also auch noch nicht als solches gesetzt. Es ist nun zu
zeigen, wie von diesem Punkt aus die Entwicklung weiter fortgeschritten.
Hier kommt dann zuerst das eigentliche Prinzip des Fortschreitens oder
die Methode zur Sprache, welche auf der Voraussetzung ruhte, daß
immer das, was auf einer vorhergehenden Stufe noch subjektiv gesetzt ist,
in einer folgenden selbst objektiv werde zum Objekt hinzutrete,
damit auf diese Weise zuletzt das vollkommenste Objekt entstehe, endlich
aber das letzte, allein stehenbleibende Subjekt, das nicht mehr Objektiv
werden könnende (weil alle Formen da sind), also wirklich das höchste,
als solches gesetzte Subjekt sei, denn was im Lauf der Entwicklung als
Subjekt erscheint, ist gleichsam nur für einen Moment Subjekt, aber
in einem folgenden Moment schon finden wir es als mit zum Objekt gehörig,
selbst wieder objektiv gesetzt. Das Subjekt hat die notwendige Tendenz
zum Objektiven, diese erschöpft sich.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 126-127 |
Sie sehen von selbst, daß diese Methode nicht eine bloß
äußerliche, nur von außen auf die Gegenstände angewendete,
daß sie eine innere, immanente, dem Gegenstand selbst inwohnende
war. Nicht das philosophierende Subjekt der Gegenstand selbst (das
absolute Subjekt) bewegte sich nach einem ihm inwohnenden Gesetz, welchem
zufolge das, was auf einer früheren Stufe Subjekt, in einer folgenden
zum Objekt wird. So steht nun auch im gegenwärtigen Moment
noch das Licht, d.h. das relativ Ideale der Natur, der Materie,
als Subjekt dem Objekt, entgegen. Aber dieses Ideale muß nun auch
selbst zu dem Objekt hinzutreten objektiv werden, damit auf diese
Art das ganze, das vollkommene Objekt entstehe. In diesem ersten Idealen
ist schon wieder ein höheres, weiter zurückliegendes verborgen,
das nicht eher hervortritt und unterscheidbar wird, als jenes selbst real
geworden ist. Es kann aber nicht real oder objektiv werden, ohne eben
damit an dem Sein der Materie teilzunehmen (die den ganzen Raum des Objektiven
genommen), d.h. nicht ohne die Materie ihres bisherigen Selbstseins zu
berauben, nicht ohne ein Drittes hervorzubringen, von welchem Materie
und Licht beide selbst nur noch Akzidenzen oder Attribute sind. Was zuvor
(im vorhergehenden Moment) noch jedes ein selbst-Seiendes war Materie
und Licht diese beiden sollen in einem folgenden Moment nur noch
die gemeinschaftlichen Attribute eines Höheren, Dritten sein, beide
gemeinschaftlich einer noch höheren Potenz untergeordnet werden.
Diese Beraubung ihres Selbstseins kann sich nun aber die Materie, daß
ich so sage, nicht ohne Widerstand gefallen lassen. Damit ist also ein
Prozeß gesetzt, in welchem, wie ich schon zum voraus andeutete,
die Materie zur bloßen Grundlage eines höheren Seins genommen
oder darein verwandelt wird. Dieser Moment wurde der dynamische Prozeß
genannt, der auch wieder seine Momente hat. Als Erscheinungen dieser Momente
wurden die jetzt noch in der Natur erkennbaren, der magnetische, der elektrische
und der chemische angesehen, oder deutlicher: die drei Momente eines noch
jetzt in der Natur wahrnehmbaren und immer fortgehenden Prozesses, die
wir als Magnetismus, Elektrizität und Chemismus unterscheiden, diese
drei Momente wurden angenommen auch als Momente der ursprünglichen
Entstehung der geformten und differenten (mit unterscheidbaren Eigenschaften
ausgestatteten) Materie. Ich nannte sie in dieser Beziehung die drei Kategorien
aller materiellen Entstehung oder die drei Kategorien der Physik. Dieser
dynamische Prozeß nun aber ist bloß Übergang und beruht
noch immer auf der gegenseitigen Spannung der beiden Potenzen; der Chemismus
z.B. ist nur das Phänomen, in welchem es der widerstrebenden Materie
gelingt, die in ihr durch Magnetismus und Elektrizität gesetzten
höheren Bestimmungen immer wieder auszulöschen und zu vernichten.
Im dynamischen Prozeß behauptet die Materie noch immer ihre Selbstrealität;
von dem Moment an aber, wo sie ihre Selbständigkeit oder ihren selbständigen
Gegensatz gegen das Ideale verliert, tritt ein höheres Subjekt ein,
gegen welches nun beide sich als die bloßen gemeinschaftlichen Attribute
verhalten, wir wollen dieses Subjekt A3 nennen. Es ist das Subjekt oder
der Geist der organischen Natur, der Geist des Lebens, welcher nun mit
jenen Potenzen, mit Licht und Materie, als den seinigen wirkt. Dabei kommt
also die Materie nicht mehr als Substanz in Betracht; in der Tat ist der
Organismus nicht durch die materielle Substanz, die beständig wechselt,
sondern nur durch die Art oder Form seines materiellen Seins ist
er Organismus. Das Leben hängt an der Form der Substanz, oder für
das Leben ist die Form das Wesentliche geworden. Die Tätigkeit des
Organismus hat daher auch nicht unmittelbar die Erhaltung seiner Substanz
zum Zweck, sondern die Erhaltung der Substanz in dieser Form, in welcher
sie eben Form der Existenz der höheren Potenz (A3) ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 127-128 |
Der Organismus hat eben davon seinen Namen, daß, was zuvor
um seiner selbst willen zu sein schien, in ihm nur noch Werkzeug, als
Organ eines Höheren ist. In dem früheren Moment noch
im dynamischen Prozeß- behauptet die Materie ihr Selbstsein und
nimmt jene Tätigkeitsformen, die wir als Magnetismus, Elektrizität
und Chemismus bezeichnet haben, nur als Akzidenzen in sich auf. Ein unorganischer
Körper kann in elektrischem Zustand sein oder nicht sein ohne Nachteil
für ihn selbst, dagegen sind die Tätigkeitsformen der organischen
Materie ihr wesentlich; ein Muskel z.B. ohne Kontraktions- und Expansionsvermögen
oder ohne Irritabilität gedacht, wäre eigentlich auch kein Muskel
mehr.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 128-129 |
Wenn nun aber das Reale als solches nur in der Spannung gegen
das Ideale da ist, so existiert jetzt, da beide in einer höheren
Potenz untergeordnet sind, weder mehr das eine noch das andere als solches,
sondern nur das Dritte, in dem sie eins sind, zu dem sie beide sich gleichsam
verständigt haben und für das es eben keinen andern Namen mehr
gibt als den des Lebendigen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 129 |
Aber diese Unterordnung kann auch nur stufenweise, also durch
einen Prozeß erreicht werden. Denn noch immer sucht die Materie
ihre Selbständigkeit zu behaupten, wie z.B. in jenen unorganischen
Absätzen der Schaltiere, die ihre Abhängigkeit von dem Leben
nur durch die ihnen äußerlich aufgedrückte Form beurkunden,
innerlich aber unbelebt sind; das Unorganische, d.h. die ein Selbstsein
affektierende Materie, ist hier schon in den Dienst des Organismus getreten,
aber ohne ihm völlig unterworfen zu sein. Das Knochensystem der höheren
Tiere ist eben dieses nun nach innen zurückgedrängte und in
den inneren Lebensprozeß mit aufgenommene Unorganische, das bei
den Tieren niederer Ordnung (den Mollusken) noch äußerlich
ist und als Schale und Gehäuse erscheint. Das Tier auch der höheren
Klasse enthält in der Verschiedenheit seiner Organe noch die Andeutungen
oder Reminiszenzen der Stufen, über welche der gesamte organische
Naturprozeß emporgestiegen ist. Während des Prozesses, durch
den die organische Natur selbst ensteht, verhält sich jenes Höhere,
das wir durch A3 bezeichnet haben, noch immer zum Teil subjektiv, denn
noch ist es nicht ganz verwirklicht. Die Stufen, durch welche es bis zu
seinem vollkommenen Objektivwerden hindurchgeht, sind durch die verschiedenen
Organisationen bezeichnet. (Hier wurde in der vollständigen Entwicklung
des Systems der Unterschied des Pflanzen- und des Tierreichs erörtert,
ferner wurde hier die Stufenfolge der tierischen Oganisationen selbst
erklärt. Hier kann ich überall den bloßen Grundriß
geben, in die einzelnen Untersuchungen, in die zahlreichen Vermittlungen,
welche wieder die Übergänge von der einen Stufe des organischen
Lebens zu der anderen bilden, kann ich mich hier nicht einlassen, wo jenes
System nicht mehr selbst Zweck ist, sondern bloß für den geschichtlichen
erörtert wird.)
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 129-130 |
Diese Lehre, daß, was auf einer früheren Stufe als das Seiende
sich darstellt, auf einer folgenden zum relativ nicht-Seienden, nämlich
eben zur bloßen Stufe, also zum Mittel herabgesetzt wird, diese
Lehre, die, so einfach und in der unmittelbaren Natur jedes Fortschritts
gegründet sie ist, gleichwohl zuerst eine Sache der Philosophie war
und von dieser ausgesprochen wurde, ist jetzt bereits in die Naturforschung
gedrungen und im weitesten Umfang angewendet.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 130 |
Hat nun der (organische) Prozeß sein Ziel erreicht, so tritt
auch jenes bisher Subjektive selbst wieder zum Objekt hinzu, sein Reich,
seine Herrschaft endet, um wieder einer höheren Potenz Platz zu machen.
(Es entstehen jetzt keine ursprünglichen Organisationen mehr. Insofern
ist auch historisch dieses ursprünglich organisierende, Organisationen
hervorgerufene Prinzip zu einer Vergangenheit geworden.) Das Prinzip des
organischen Lebens gehört also in bezug oder im Verhältnis zu
dem höheren Prinzip der folgenden Periode selbst noch zur objektiven
Welt und ist insofern Gegenstand sogar der empirischen Naturforschung.
Der Moment, wo jenes bis jetzt Höchste, das A3, nun selbst auch ganz
objektiv wird, also einem noch höheren Subjekt sich unterordnet,
ist die Geburt des Menschen, mit welcher die Natur als solche vollendet
ist und eine neue Welt, eine völlig neue Folge von Entwicklungen
beginnt. Denn der Anfang der Natur war eben jenes erste Etwas-Sein, und
der ganze Naturprozeß ging nur auf Überwindung desselben in
seiner Selbständigkeit oder Substantialität, ging nur dahin,
es selbst wieder zur bloßen Existenzform eines Höheren zu machen.
Nachdem also dieses erste Sein von seiner Befangenheit erlöst und
eben dadurch, daß es einem Höheren sich unterordnete, zu der
Freiheit wieder gebracht ist, die es im Organischen schon zum Teil in
den freiwilligen Bewegungen der Tiere erlangt hat, so ist der Naturprozeß
als solcher geendigt; das Subjektive, das jetzt eintritt, hat nicht mehr
unmittelbar, wie noch die vorhergehenden Potenzen, mit dem Sein zu tun,
indem es dies als ein fertiges, vollendetes, abgeschlossenes vor sich
hat; die höhere Potenz, die nun wieder über dieser Welt des
Seins sich erhebt, hat zu dieser nur noch einen idealen Bezug, oder sie
kann nur noch Wissen sein. Denn was sich gegen das gesamte Sein wieder
als Höheres, es Begreifendes verhält, kann nur Wissen sein.
Wir hätten also jetzt das Subjekt bis zu dem Punkt gebracht, wo es
reines Wissen ist, oder wo es dasjenige ist, dessen Sein eben nur noch
im Wissen besteht, das wir nicht mehr nachweisen können als ein Ding
oder als Materie (hier war die Immaterialität der Seele oder dessen,
was in uns unmittelbar nur noch Wissen ist, besser und einleuchtender
erklärt als in allen früheren Theorien, für welche noch
außerdem die Existenz dieses Einfachen und Immateriellen, wie sie
es nannten, selbst nur eine zufällige war, während sie in jener
Folge als eine notwendige einleuchtet) es muß in dieser Folge
ein Punkt kommen, wo das Subjekt nicht mehr zur Materie herabsinkt, wo
es nur noch Wissen, also reines Wissen, d.h. reiner Geist ist, und wo
es alles, was es außerdem und unmittelbar sein könnte, bereits
außer sich, als ein Anderes vor sich, als ein für es selbst
Objektives hat. Dennoch bleibt es zwar nur in idealer, aber doch in notwendiger
Beziehung auf das, was es nun vor sich hat; denn es ist reines Wissen
eben nur, weil es das gesamte Sein schon außer sich hat; denn an
sich ist es nicht ein anderes, sondern dasselbe Subjekt, das in seinem
ersten und unmittelbaren Tun Materie geworden, in einer höheren Potenz
als Licht, in einer noch höheren als Lebensprinzip erschien; könnte
man also diese früheren Momente vor ihm hinwegnehmen, so würde
das Subjekt nur wieder eben da anfangen können, wo es angefangen
hatte, und es würde auf dieser bestimmten Stufe zu
dieser Potenz seiner selbst abermals erhoben, wieder als reines Wissen
sein; es ist als reines Wissen gesetzt nicht an sich, sondern nur vermöge
dieser Stufe, d.h. inwiefern es jene Momente vor sich hat, inwiefern es
von diesen, die in ihm, dem absolut oder an sich betrachteten, als Möglichkeiten
waren, inwiefern es sich von diesen schon gereinigt, sie außer sich,
also zugleich von sich ausgeschlossen hat, es ist als reines Wissen nicht
an sich, sondern nur durch seine Potenz, als A4, als welches es aber sich
selbst in den früheren Potenzen voraussetzt. Eben darum steht es
in notwendigem und nicht aufzuhebendem Bezug zu jenen vorausgegangenen
Momenten, in unmittelbarem Bezug aber zu dem, in welchem allein der Schluß
und das Ende des vorhergehenden Seins ist, also zu dem Menschen (denn
das folgende Moment muß immer das vorhergehende als seine unmittelbare
Basis festhalten) es ist also reines Wissen, das zwar auf die ganze
Natur sich bezieht, seine unmittelbare Beziehung aber nur zum Menschen
hat und insofern menschliches Wissen ist. Hiermit entsteht denn eine neue
Folge von Momenten, welche nicht umhinkann, der Folge von Momenten, die
wir bereits in der Natur erkannt haben, parallel zu sein. Aber der Unterschied
ist, daß hier alles nur im Idealen vorgeht, was dort im Realen ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 130-132 |
Die erste Stufe wird auch hier wieder das Objektive oder Endliche
sein, die zweite das als solches gesetzte Subjekt oder Unendliche, die
dritte Einheit beider; aber wie dort, in der Natur, das Reale und
das Ideale, Materie und Licht, beides, objektiv oder real ist, so wird
hier (in der nun anfangenden geistigen Welt) Reales und Ideales der Entgegensetzung
ohnerachtet beides nur ein Ideales. Das Subjekt, welches wir als über
die ganze Natur erhabenes bestimmt haben, ist unmittelbar nur reines Wissen,
als solches unendlich und in völliger Freiheit; insofern steht es
wieder an demselben Punkt wie das erste in seiner reinen Freiheit und
Unendlichkeit gesetzte Subjekt, aber es steht in unmittelbarer Beziehung
zu einem Endlichen und Begrenzten, dem menschlichen Wesen, und indem es
nicht umhinkann, zur unmittelbaren Seele desselben zu werden, ist es auch
genötigt, an allen Bestimmungen, Verhältnissen und Begrenzungen
desselben teilzunehmen, und auf diese Weise, indem es in alle Formen der
Endlichkeit eingeht, sich selbst zu verendlichen, und obgleich es selbst
immer ideal bleibt, dennoch mit der im Gebiete des Seins oder des Realen
herrschenden Notwendigkeit (ideal) sich zu verwickeln. Aus diesem Verhältnis
nun des in sich unendlichen Wissens und eines Endlichen, mit welchem es
in Bezug steht, wurde das ganze System der notwendigen Vorstellungen sowie
der Begriffe, nach welchem sich die objektive Welt dem menschlichen Bewußt
sein bestimmt, abgeleitet; die eigentlich erkennende oder theoretische
Seite des menschlichen Bewußtseins wurde hier entwickelt der ganze,
wiewohl berichtigte, Inhalt der Kantischen Vernunftkritik, oder was in
dieser Inhalt der gesamten theoretischen Philosophie war, wurde hier,
aber als Inhalt eines bloßen Moments, in das Gesamtsystem aufgenommen.
Aber indem nun auf diese Weise das an sich freie und unendliche Wissen
sich den Endlichen einbildet und durch ein neues Herabsinken in die reale
Welt sich mit der Notwendigkeit befängt und nun selbst als notwendiges
und gebundenes Wissen erscheint: so wird eben dadurch der Grund zu einer
neuen Steigerung gelegt; denn das unüberwindliche Subjekt tritt auch
aus dieser Gebundenheit, die es im Menschen angenommen, nochmals in sein
Wesen zurück und wird im Gegensatz mit seiner Gebundenheit als das
freie, als zweite Potenz seiner selbst und außer jener Notwendigkeit,
als sie selbst beherrschend, behandelnd und begreifend gesetzt; der Gegensatz,
der durch die ganze Folge hindurchging, erhält hier seinen höchsten
Ausdruck als Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit. Die Notwendigkeit
ist das, womit der Mensch in seinem Erkennen zu tun hat, dem er in seinem
Erkennen unterworfen ist; die Freiheit ist Freiheit des Handelns und des
Tuns; alles Handeln setzt ein Erkennen voraus, oder im Handeln macht sich
der Mensch sein eignes Erkennen wieder objektiv oder gegenständlich
und erhebt sich über dasselbe; was im Erkennen Subjekt war, wird
im Handeln Objekt, Werkzeug, Organ, und wenn es Ihnen früher oder
bisher nicht klar gewesen sein sollte, wie jenes Übertreten des Subjekts
ins Objekt oder jenes selbst Objektivwerden eines soeben noch Subjektiven
geschehe, so haben Sie hier ein ganz naheliegendes Beispiel. (Bild der
magnetischen Linie.)
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 132-133 |
In einer neuen Steigerung also, wodurch ihm die in seinem Erkennen
gesetzte Notwendigkeit selbst wieder objektiv wird, befreit sich das Subjekt
von eben dieser Notwendigkeit und erscheint nun als frei, zwar nicht in
Ansehung des Erkennens oder Wissens, wohl aber in Ansehung des Handelns.
Aber der Gegensatz ist damit nicht aufgehoben, sondern eben erst gesetzt,
der Gegensatz zwischen Freiheit und Notwendigkeit, der durch immer weiter
ausgedehnte Verzweigungen, welche ich hier nicht darstellen kann, endlich
jene hohe Bedeutung annimmt, die er in der Geschichte hat, in der nicht
das Individuum sondern die ganze Gattung handelt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 133 |
Hier also war der Punkt des Systems, wo es in die Sphäre des Handelns,
die praktische Philosophie überging, wo demnach die moralische Freiheit
des Menschen, der Gegensatz des Guten und Bösen und die Bedeutung
dieses Gegensatzes, wo dann insbesondere auch der Staat als eine, wiewohl
untergeordnete Vermittlung der Freiheit und Notwendigkeit, als ein Erzeugnis
der zwischen beiden ringenden Menschheit, und endlich die Geschichte selbst
als der große Prozeß, in den die ganze Menschheit verwickelt
ist, zur Sprache kam. Und so wurde denn dieselbe Philosophie, welche auf
einer früheren Stufe. Naturphilosophie war, hier Philosophie der
Geschichte. In dieser zeigte sich, daß eine schrankenlose Freiheit,
die durch keine Gesetzmäßigkeit gezügelt wäre, zu
einer trostlosen und verzweiflungsvollen Ansicht der Geschichte führe.
Hier, wo die höchste und am meisten tragische Dissonanz hervortritt,
in welcher der Mißbrauch der Freiheit uns selbst wieder die Notwendigkeit
zurückzurufen lehrt, hier sieht der Mensch sich genötigt, etwas
zu erkennen, das höher ist denn die menschliche Freiheit; die Pflicht
selbst könnte ihm nicht gebieten, sobald sie entschieden habe, über
die Folgen seiner Handlung ruhig zu sein, wenn er sich nicht bewußt
sein dürfte, daß seine Handlung zwar von ihm, von seiner Freiheit,
die Folgen aber oder das, was aus dieser Handlung für sein ganzes
Geschlecht sich entwickelt, von einem Anderen und Höheren abhängig
ist, welches durch die freieste, ja gesetzloseste Handlungsweise des Individuums
hindurch eine höhere Gesetzmäßigkeit handhabt und behauptet.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 133-134 |
Ohne diese Voraussetzung würde nie ein um die Folgen seiner
Handlung ganz unbekümmerter Mut, zu tun, was die Pflicht gebietet,
ein menschliches Gemüt begeistern; ohne diese Voraussetzung könnte
nie ein Mensch wagen, eine Handlung von großen Folgen zu unternehmen,
wäre sie ihm selbst durch die heiligste Pflicht vorgeschrieben. Hier
wird also für die Geschichte selbst eine Notwendigkeit gefordert,
die auch gegen die moralische Freiheit noch besteht und sich behauptet,
die also nicht blinde Notwendigkeit (über welche die Freiheit allerdings
erhoben ist) sein kann, welche vielmehr nur darum die Freiheit mit der
Notwendigkeit vermittelt, weil sie selbst nicht (wie menschliche Freiheit)
mit der Notwendigkeit in Konflikt tritt, und nicht bloß relativ,
sondern absolut frei gegen sie, immer Vorsehung, also immer und gegen
alles Subjekt reines, freies, unbeteiligtes und daher wahrhaft
unendliches Subjekt bleibt. Hier kam also die Philosophie auf jenes letzte,
über alles siegreiche Subjekt, das selbst nicht mehr objektiv wird,
sondern immer Subjekt bleibt, und das der Mensch nicht mehr wie im Wissen
als Sich, sondern als über Sich und eben darum als über allem
erkennen muß, dem zuletzt alles unterworfen ist, und das nun nicht
mehr bloß, wie im ersten Ausgang, Geist und Vorsehung ist, sondern
auch als Vorsehung sich erklärt und am Ende zeigt, was es im Anfang
schon war. Die letzte Aufgabe konnte nun bloß noch sein, das Verhältnis
dieses seiner Natur nach unzugänglichen und wie in einem unzugänglichen
Licht wohnenden weil nie Objekt werden könnenden Subjekts
zum menschlichen Bewußtsein zu zeigen; denn irgendein Verhältnis
zu diesem mußte ihm zukommen. Da aber bereits ausgesprochen ist,
daß es selbst nie und durch keinen weiteren Fortschritt zum Objekt
werden könne, sondern als herrschend über allem stehenbleibe,
so läßt sich kein weiteres Verhältnis zum menschlichen
Bewußtsein als das der bloßen Manifestation denken. Denn da
es nicht mehr selbst Objekt wird oder werden kann, so kann man nur sagen,
daß es sich manifestiere. Es fragt sich also, ob im menschlichen
Bewußtsein solche Manifestationen oder, um einen Leibnizischen Ausdruck
zu brauchen, der hier passender angewendet sein möchte, ob solche
Fulgurationen jenes Höchsten, über alles Erhabenen im menschlichen
Bewußtsein nachzuweisen sind, Erscheinungen, in denen das menschliche
Selbst sich als Werkzeug oder Organ jenes Höchsten verhält;
denn was sich bloß manifestiert, wirkt nicht unmittelbar, sondern
nur durch ein anderes hindurch. (So in der ganzen Linie des Fortschritts.)
Nun müssen wir uns erinnern, daß jenes höchste Subjekt
zwar an sich nur Eines ist, aber im Verhältnis zu den zwei Seiten
des jetzt vollendet vor uns stehenden Universums unter drei Gestalten
gedacht werden kann; denn es ist, eben weil das Höchste, und weil
alles unter ihm, ebensowohl das Letzte, final Hervorbringende der Natur,
der realen Welt, als es Herr der geistigen, der idealen Welt und wieder
das beide Vermittelnde, als eins unter sich Begreifende ist. Als Hervorbringendes
nun wird es sich im Menschen manifestieren ebenfalls durch Hervorbringung,
reale Produktion; es wird sich zeigen 1. als das Macht über den Stoff,
über die Materie hat, sie bewältigen und zwingen kann, der Ausdruck
des Geistes, ja der höchsten Ideen selbst zu sein so weit
geht die bildende Kunst bloß als solche, aber 2. in der Poesie,
welche von der bildenden Kunst vorausgesetzt wird, und zu welcher jene
selbst wieder nur in einem werkzeuglichen Verhältnis steht, in der
Poesie wird es sich manifestieren als Geist, welcher Gewalt hat, auch
den Stoff selbst hervorzubringen oder zu schaffen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 134-136 |
Die höchste Wahrheit und Trefflichkeit des plastischen Kunstwerks
besteht nicht in der bloßen Übereinstimmung mit dem Geschöpf
oder geschöpflichen Vorbild, sondern darin, daß der Geist der
Natur selbst es hervorgebracht zu haben scheint; in ihm offenbart sich
also eine Tätigkeit, die selbst nicht mehr geschöpflicher Art
ist, sondern in der man den Schöpfer zu sehen glaubt. In dem höchsten
Werk, der mit Kunst vereinigten Poesie in dem höchsten Werk
der Dichtkunst, der Tragödie, erscheint in den Stürmen blind
gegeneinander wütender Leidenschaften, wo für die Handelnden
selbst die Stimme der Vernunft verstummt und Willkür und Gesetzlosigkeit
immer tiefer sich verwickelnd zuletzt in eine gräßliche Notwendigkeit
sich verwandeln mitten unter allen diesen Bewegungen erscheint
der Geist des Dichters als das stille, allein noch leuchtende Licht, als
das allein oben bleibende, in der heftigsten Bewegung selbst unbewegliche
Subjekt, als weise Vorsehung, welche das Widerspruchsvollste doch zuletzt
zu einem befriedigenden Ausgang zu leiten vermag.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 136 |
Hier also manifestiert sich jenes Höchste als Genius der
Kunst. Ist nun die Kunst das Objektivste menschlicher Tätigkeit,
so ist die Religion die subjektive Seite derselben, inwiefern diese nicht,
wie jene, darauf geht, ein Sein, sondern im Verhältnis zu jenem höchsten
Subjekt alles Seiende als nicht seiend zu setzen. Hier offenbart sich
also jenes höchste Subjekt eben als das, wogegen alles in nichts
versinkt, als solches offenbart es sich in der Begeisterung jener sittlich-religiösen
Heroen, durch welche die Menschheit selbst verherrlicht und als göttlich
erscheint.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 136 |
Es gibt eine dritte menschliche Tätigkeit, welche das Objektive
der Kunst und das Subjektive (oder die Unterwerfung) der Religion in sich
vereinigt die Philosophie. Sie ist objektiv wie die Kunst, denn
sie zeigt den Gang des hervorbringenden, von Stufe zu Stufe wandelnden,
durch alle hindurchgehenden, aber in keiner bleibenden Schöpfers.
Sie ist subjektiv wie die Religion, weil sie alles nur in die Wirklichkeit
bringt, zeigt oder als seiend setzt, um es am Ende dem höchsten Subjekt,
der an sich selbst der höchste Geist ist, zu überantworten.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 136-137 |
Kunst, Religion und Philosophie, dies sind die drei Sphären
menschlicher Tätigkeit, in denen allein der höchste Geist als
solcher sich manifestiert, er ist der Genius der Kunst, der Genius der
Religion, der Genius der Philosophie. Diesen drei Sphären wird allein
Göttlichkeit und daher auch ursprüngliche Begeisterung zugestanden
(alle andere Begeisterung ist schon nur eine abgeleitete, und wie Homer
durch das einstimmige Zeugnis aller Zeiten, so ist auch Platon von seiner
Nachwelt der göttliche genannt worden). Betrachten wir jenes höchste
Subjekt nicht in einer jener besonderen Beziehungen, sondern schlechthin
und allgemein, so bleibt uns für dasselbe kein anderer Name, als
den ihm alle Völker ohne Unterschied geben, der Name des Gottes
nicht bloß Gottes, nicht theou, sondern tou theou, des bestimmten
Gottes, dessen, der Gott ist. In diesem Begriff endigt also die Philosophie,
er ist, nachdem die drei Potenzen der realen und der idealen Welt, gleichsam
als ebensoviel sukzessive Herrscher verschwunden und untergegangen sind,
der letzte, allein überbleibende, in welchem die Philosophie ruht
von ihrer Arbeit und gleichsam ihren Sabbat feiert.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 137 |
Auf diese Weise war also von dem Tiefsten, das sich uns darstellt,
bis zu dem Höchsten, dessen die menschliche Natur fähig ist,
eine Linie, ein stetiger und notwendiger Fortschritt dargetan.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 137 |
Mit dem zuletzt vorgetragenen System wird sich auch heutzutage
noch jeder, der es in seiner echten und ursprünglichen Gestalt kennenlernt,
in einer eignen Lage befinden. Einerseits wird ihm gleichsam unmöglich
scheinen, daß dieses System falsch sei, von der anderen wird er
etwas empfinden, das ihn verhindert, es wenigstens als das letzte wahre
auszusprechen. Er wird es als wahr erkennen innerhalb einer gewissen Begrenzung,
nicht aber unbedingt und schlechthin. Es wird also, um ein gegründetes
Urteil darüber zu haben, vorzüglich darauf ankommen, sich jener
Begrenzung bewußt zu werden.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 137-138 |
Man kann dem System 1. hinsichtlich seines Umfangs nicht absprechen,
daß es alles Erkennbare, alles, was auf irgendeine Weise Gegenstand
der Erkenntnis werden kann, umfaßt, daß es nichts ausgeschlossen
hat und daß es außerdem im Besitz einer Methode ist, durch
die es sich der Vollständigkeit seiner Erfassung versichert; man
kann sogar behaupten, daß es für jede künftige Erweiterung
der menschlichen Erkenntnis schon zum voraus den Ort und gleichsam die
Stelle enthalte. Was 2. die Methode betrifft, so war durch diese selbst
dafür gesorgt, der Subjektivität des Philosophen keinen Einfluß
zu gestatten. Es war der Gegenstand selbst, der sich nach einem ihm inwohnenden
Prinzip fortbestimmte, es war der nach innerem Gesetz fortschreitende
Gedanke, der sich seinen Inhalt gab. 3. Der Form nach war durch dieses
System zuerst in die Philosophie eingeführt der Begriff des Prozesses
und von Momenten dieses Prozesses. Sein Inhalt war die Geschichte des
unvermeidlich sich verendlichenden, aber aus jeder Verendlichung wieder
siegreich hervortretenden Subjekts, das am Ende als über alle Objektivität
und Blindheit erhabenes, im höchsten Sinn sich bewußtes Subjekt,
als Vorsehung stehenblieb. Bedenkt man außerdem, welche Gewalt aller
natürlichen Vorstellung durch den Subjektiven Fichteschen Idealismus
angetan, wie das Bewußtsein durch die frühere absolute Entgegensetzung
von Natur und Geist sich zerrissen, nicht weniger aber durch den krassen
Materialismus und Sensualismus, der sich eben damals über das übrige
Europa (außer Deutschland) verbreitet hatte, sich verletzt fühlte
so begreift man, daß dieses System im Anfang mit einer Freude aufgenommen
wurde, die kein früheres erregt hatte oder ein späteres wieder
erregte. Denn man weiß jetzt nicht mehr, wie manches damals errungen
werden mußte, was heutzutage zum Gemeingut und in Deutschland gleichsam
zum Glaubensartikel aller höher denkenden und fühlenden Menschen
geworden ist. Hiezu gehört namentlich die Überzeugung, daß,
was in uns erkennt, dasselbe ist mit dem, was erkannt wird.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 138 |
Da jene Philosophie die gesamte Wirklichkeit Natur, Geschichte,
Kunst alles Niedere und Höhere umfaßte, also dem Menschen
gleichsam sein ganzes Wissen vor Augen stellte, mußte es mehr oder
weniger auch auf den Geist der andern Wissenschaften wirken, und man kann
wohl sagen, daß es nicht bloß in der Philosophie als solcher,
daß es eine Veränderung in der Ansicht und Betrachtungsweise
der Dinge überhaupt hervorgebracht hat. Ein neues Geschlecht entstand,
das sich gleichsam mit neuen Organen des Denkens und des Wissens ausgestattet
fühlte, das ganz andere Forderungen an die Naturwissenschaft, andere
an die Geschichte stellte.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 138-139 |
Die früheren mechanischen und atomistischen Hypothesen in
der Physik ließen für die Naturerscheinungen fast kein anderes
Interesse als etwa das übrig, mit welchem die Neugierde den Kunststücken
eines Taschenspielers auf den Grund zu kommen sucht. Ihr erklärt
wohl, könnte man zu solchen Theoretikern sagen, ihr erklärt
freilich zur Not, wenn man euch diese Körperchen, diese Figuren derselben,
diese feinen Materien, diese bald so, bald anders gebohrten, in dieser
oder jener Richtung mit Klappen versehenen Kanäle zugibt, aber eins
laßt ihr unerklärt, wozu alle diese Anstalten selbst gemacht
sind, wie die Natur in solchen Taschenspielereien sich gefällt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 139 |
Glücklicherweise traten zu jenen durch die Philosophie gewonnenen,
tieferen Ansichten der Natur, nach welcher auch sie ein Autonomisches,
ein sich selbst Setzendes und Betätigendes ist, die Entdeckungen
der neueren Experimentalphysik hinzu, welche die Voraussagungen der Philosophie
erfüllten, zum Teil übertrafen. Die bis dahin für tot geachtete
Natur gab jene Zeichen eines tieferen Lebens, die das Geheimnis ihrer
verborgensten Prozesse offen darlegten. Was man kaum zu denken gewagt
hatte, schien Sache der Erfahrung zu werden.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 139 |
Wie man früher die Natur in eine bloße Äußerlichkeit,
in ein Spiel ohne alles innere Leben, ohne ein wahres Lebens-Interesse
verwandelt hatte, so gefiel man sich nicht weniger, die Geschichte als
das zufälligste Spiel gesetzloser Willkür, eines sinn- und zwecklosen
Treibens erscheinen zu lassen, ja derjenige Gelehrte galt als der geistreichste,
der das Sinnlose, ja Unsinnige der Geschichte am meisten hervorzuheben,
und je größer das Ereignis, je erhabener die historische Erscheinung
war, desto kleinere, zufälligere und nichtswürdigere Ursachen
zur Erklärung derselben aufzubringen wußte. Dies war besonders
so ziemlich der herrschende Geist der Universitäten. Ausnahmen gibt
es freilich zu jeder Zeit. Eine große Ausnahme dieser Art war Johannes
von Müller, den, während mehr oder weniger alle Stände
sich selbst untergruben, aber besonders der größte Teil der
Gelehrten vorzüglich in den positiven Fächern sich gleichsam
um die Wette bemühten, durch Wegerklärung alles höheren
Geistes ihre eigne Wissenschaft verächtlich zu machen, den, sage
ich, während einer solchen Zeit die angeborene Ehrfurcht vor der
Geschichte davor bewahrt hatte, in diesen Ton einzustimmen, aber es war
auch höchstens seine Gelehrsamkeit, die Anerkennung fand, seinen
Geist zu würdigen war einer späteren Zeit vorbehalten.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 139-140 |
Der Wert und das Interesse der Wissenschaften steigt immer in
dem Verhältnis, in welchem man sie eines tiefen und reellen Bezugs
auf die höchste aller Wissenschaften, die Philosophie, fähig
sieht, und diejenigen, welche aus einem bedauerlichen Mißverstand
sich Mühe geben, ihre spezielle Wissenschaft so weit möglich
von der Philosophie loszureißen, wissen nicht, was sie tun; denn
die Achtung, in der sie ihre Wissenschaft sehen und bei der sie sich wohl
befinden, ist selbst nur eine Folge davon, daß in ihnen jener Bezug
auf die höhere, wenn nicht ausgesprochen, doch infolge der früheren
philosophischen Entwicklungen als vorhanden gesehen wird. Wenn einmal
ein veränderter Gang der Literatur bevorstand, so mußte er
sich zuerst in den höheren, eben darum sensibleren Organen (in Poesie
und Philosophie) ankündigen, wie zarte und geistiger organisierte
Naturen Witterungsveränderungen, bevorstehende Gewitter und andere
physische Ereignisse eher als materieller organisierte empfinden. Goethe
war wohl der erste Verkünder einer neuen Zeit, aber er blieb eine
isolierte, nicht bloß seiner Zeit, sondern zum Teil sogar sich selbst
unbegriffene Erscheinung; das wahre Licht über ihn gab ihm selbst
erst die große durch Kant bewirkte Veränderung, von welcher
an der durch sie geweckte Geist sukzessiv alle Wissenschaften und die
ganze Literatur ergreifen mußte. Auch Herder verdient wohl unter
den Genien erwähnt zu werden, die diese neue geistige Bewegung zum
Teil ohne Wissen und ohne Wollen vorbereitet haben.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 140 |
Wie kam es nun, daß diese Philosophie in der Gestalt, in
welcher sie zuerst eine fast allgemeine Anziehungskraft ausübte,
dennoch nicht lange nachher sich in ihrer Wirkung gehemmt sah, einen abstoßenden
Pol zeigte, der im Anfang weniger bemerkt wurde? Nicht die großenteils
sinnlosen und ungerechten Angriffe, denen sie von vielen Seiten ausgesetzt
war, wohin z.B. das Triviale, das Gewöhnliche gehörte, daß
sie Spinozismus, Pantheismus sei nicht diese Angriffe konnten sie
eigentlich hemmen; es war vielmehr ein Mißverstand, in dem sie sich
über sich selbst befand indem sie sich für etwas gab oder (man
könnte eher sagen) sich für etwas ansehen ließ, was sie
nicht war, was sie dem ursprünglichen Gedanken nach nicht sein sollte.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 141 |
Um dies zu erklären, muß ich etwas weiter ausholen.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 141 |
Der Punkt, in welchem jede Philosophie mit dem allgemeinen menschlichen
Bewußtsein immer entweder in Übereinstimmung oder in Konflikt
sich finden wird, ist die Art, wie sie sich über das Höchste,
über Gott erklärt. Welche Stellung hatte nun Gott in der zuletzt
vorgetragenen Philosophie? Zunächst die Stellung eines bloßen
Resultats, des höchsten und letzten, alles abschließenden Gedankens
ganz der Stellung gemäß, welche er auch in der früheren
Metaphysik gehabt und die ihm auch Kant gelassen hatte, dem Gott bloß
der zur formalen Abschließung der menschlichen Erkenntnis notwendige
Gedanke war. In dem zuletzt vorgetragenen System war Gott jenes zuletzt
als Subjekt, als über alles siegreich stehenbleibende Subjekt, das
nicht mehr zum Objekt herabsinken kann; eben dieses Subjekt war durch
die ganze Natur, durch die ganze Geschichte, durch die Aufeinanderfolge
aller der Momente hindurchgegangen, von denen es nur das letzte Resultat
schien, und dieses Hindurchgehen wurde als eine wirkliche Bewegung (nicht
als ein Fortschreiten im bloßen Denken), es wurde sogar als realer
Prozeß vorgestellt. Nun kann ich mir Gott wohl als das Ende und
das bloße Resultat meines Denkens, wie er es in der alten Metaphysik
war, aber ich kann ihn nicht als Resultat eines objektiven Prozesses denken;
dieser als Resultat angenommene Gott könnte ferner, wenn er Gott
ist, nicht etwas außer Sich (praeter se), er könnte höchstens
sich selbst zur Voraussetzung haben; nun hat er aber in jener Darstellung
allerdings die früheren Momente der Entwicklung zu seiner Voraussetzung.
Hieraus aus dem letzten folgt, daß dieser Gott am
Ende denn doch bestimmt werden muß, als der auch schon im Anfang
war, daß also jenes Subjekt, das durch den ganzen Prozeß hindurchgeht
im Anfang und Fortgang schon Gott ist, eh' es im Resultat auch als Gott
gesetzt wird daß in diesem Sinn allerdings alles Gott ist,
daß auch das durch die Natur hindurchgehende Subjekt Gott ist, nur
nicht als Gott also Gott nur außer seiner Gottheit oder in
seiner Entäußerung, oder in seiner Anderheit, als ein anderer
von sich selbst, als welcher er erst im Ende ist. Wird nun aber wieder
dies angenommen, so zeigen sich folgende Schwierigkeiten. Teils ist Gott
offenbar in einem Prozeß begriffen und wenigstens gerade, um als
Gott zu sein, einem Werden unterworfen, was die angenommenen Begriffe
zu sehr vor den Kopf stößt, als daß es je auf allgemeine
Zustimmung rechnen könnte. Die Philosophie ist aber nur Philosophie,
um allgemeine Verständigung, Überzeugung und daher auch allgemeine
Zustimmung zu erhalten, und jeder, der eine philosophische Lehre aufstellt,
macht diesen Anspruch. Man kann freilich sagen: der Gott begibt sich in
dieses Werden, eben um sich als solchen zu setzen, und dies muß
man freilich sagen. Aber sowie dies ausgesprochen ist, sieht man auch
ein, daß man alsdann entweder eine Zeit annehmen muß, wo Gott
nicht als solcher war (dem widerspricht aber wieder das allgemeine religiöse
Bewußtsein), oder man leugnet, daß je eine solche Zeit gewesen,
d.h. jene Bewegung, jenes Geschehen wird als ein ewiges Geschahen erklärt.
Ein ewiges Geschehen ist aber kein Geschehen. Mithin ist die ganze Vorstellung
jenes Prozesses und jener Bewegung eine selbst illusorische, es ist eigentlich
nichts geschehen, alles ist nur in Gedanken vorgegangen, und diese ganze
Bewegung war eigentlich nur eine Bewegung des Denkens. Dies hätte
jene Philosophie ergreifen sollen; damit setzte sie sich außer allen
Widerspruch, aber eben damit begab sie sich ihres Anspruchs auf Objektivität,
d.h., sie mußte sich als Wissenschaft bekennen, in der von Existenz,
von dem, was wirklich existiert, und also auch von Erkenntnis in diesem
Sinn gar nicht die Rede ist, sondern nur von den Verhältnissen, welche
die Gegenstände im bloßen Denken annehmen, und da Existenz
überall das Positive ist, nämlich das, was gesetzt, was versichert,
was behauptet wird, so mußte sie sich als rein negative Philosophie
bekennen, aber eben damit den Raum für die Philosophie, welche sich
auf die Existenz bezieht, d.h. für die positive Philosophie, außer
sich frei lassen, sich nicht für die absolute Philosophie ausgeben,
für die Philosophie, die nichts außer sich zurückläßt.
Es bedurfte einer geraumen Zeit, bis sich die Philosophie hierüber
ins klare setzte, denn alle Fortschritte in der Philosophie geschehen
nur langsam. Wodurch übrigens jener Zeitraum noch beträchtlich
verlängert wurde, war eine Episode, die dieser letzten Entwicklung
entgegentrat, und von der nun auch wenigstens das Notwendige zu erwähnen
ist.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Die Naturphilosophie, in: Zur Geschichte
der neueren Philosophie, 1827, S. 141-143 |
Man kann Hegel das Verdienst nicht absprechen, daß er die
bloß logische Natur jener Philosophie, die er sich zu bearbeiten
vornahm und die er zu ihrer vollkommenen Gestalt zu bringen versprach,
wohl eingesehen hatte. Hätte er sich dabei festgehalten, und hätte
er diesen Gedanken mit strenger, mit entschiedener Verzichtleistung auf
alles Positive ausgeführt, so hätte er den entschiedenen Übergang
zur positiven Philosophie herbeigeführt, denn das Negative, der negative
Pol, kann nirgends in seiner Reinheit da sein, ohne sogleich den positiven
zu fordern. Allein jene Zurückziehung auf das bloße Denken,
auf den reinen Begriff, war, wie man gleich auf den ersten Seiten von
Hegels Logik ausgesprochen finden kann, mit dem Anspruch verknüpft,
daß der Begriff alles sei und nichts außer sich zurücklasse.
Hegels eigne Worte sind diese: »Die Methode ist nur die Bewegung
des Begriffs selbst, aber mit der Bedeutung, daß der Begriff alles,
und seine Bewegung die allgemeine absolute Tätigkeit ist. Die Methode
ist daher, die unendliche Kraft zu erkennen (hier kommt demnach, nachdem
bis dahin bloß von Denken und bloß vom Begriff die Rede war,
auf einmal der Anspruch auf Erkennen herein. Das Erkennen ist aber das
Positive und hat zum Gegenstand nur das Seiende, Wirkliche, wie das Denken
bloß das Mögliche, und also auch nur das Erkennbare und nicht
das Erkannte) die Methode ist daher die unendliche Kraft zu erkennen,
der kein Objekt, sofern es sich als ein äußerliches, der Vernunft
fernes und von ihr unabhängiges darstellt, Widerstand leisten kann.«
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 144-145 |
Der Satz: die Bewegung des Begriffs ist die allgemeine absolute
Tätigkeit, läßt auch für Gott nichts anderes übrig
als die Bewegung des Begriffs, d.h. selbst nur der Begriff zu sein. Der
Begriff hat hier nicht die Bedeutung des bloßen Begriffs (dagegen
protestiert Hegel aufs eifrigste), sondern die Bedeutung der Sache selbst,
und wie es in den Zendschriften heißt: der wahre Schöpfer ist
die Zeit so kann man Hegel allerdings nicht vorwerfen, nach seiner Meinung
sei Gott ein bloßer Begriff; seine Meinung ist vielmehr: der wahre
Schöpfer ist der Begriff; mit dem Begriff hat man den Schöpfer
und braucht keinen andern außer diesem.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 145 |
Dies war es gerade, was Hegel vorzüglich zu vermeiden suchte,
daß Gott, wie es innerhalb einer logischen Philosophie doch nicht
anders sein konnte, bloß im Begriff gesetzt sei. Gott war ihm nicht
sowohl ein bloßer Begriff als der Begriff Gott, der Begriff war
ihm mit der Bedeutung, daß er Gott sei. Seine Meinung ist: Gott
ist nichts anderes als der Begriff, der stufenweise zur selbstbewußten
Idee wird, als selbstbewußte Idee sich zur Natur entläßt,
aus dieser in sich selbst zurückkehrend zum absoluten Geist wird.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 145 |
So wenig ist Hegel geneigt, seine Philosophie als die bloß
negative zu erkennen, daß er vielmehr versichert: sie sei die Philosophie
die schlechthin nichts außer sich zurücklasse; seine Philosophie
schreibt sich die objektivste Bedeutung und insbesondere eine ganz vollkommene
Erkenntnis Gottes und göttlicher Dinge zu die Erkenntnis,
die Kant der Vernunft abgesprochen, sei durch seine Philosophie erreicht.
Ja er geht so weit, selbst eine Erkenntnis der christlichen Dogmen seiner
Philosophie zuzuschreiben: in dieser Hinsicht ist wohl seine Darstellung
der Dreieinigkeitslehre das Sprechendste, welche kürzlich folgende
ist. Gott der Vater, vor der Schöpfung, ist der rein logische Begriff,
der in den reinen Kategorien des Seins sich verläuft. Dieser Gott
aber muß sich, weil sein Wesen in einem notwendigen Prozeß
besteht, offenbaren, diese Offenbarung oder Entäußerung seiner
selbst ist die Welt und ist Gott der Sohn. Aber Gott muß auch diese
Entäußerung (welche ein Heraustreten aus dem bloß Logischen
ist so wenig hat Hegel den bloß logischen Charakter des Ganzen
dieser Philosophie erkannt, daß er mit der Naturphilosophie aus
ihr herauszutreten erklärte) Gott muß auch diese Entäußerung,
diese Negation seines bloß logischen Seins wieder aufheben und zu
sich zurückkehren, welches durch den Menschengeist geschieht in der
Kunst, in der Religion und vollständig in der Philosophie, und dieser
Menschengeist ist zugleich der Heilige Geist, wodurch Gott erst zum vollkommenen
Bewußtsein seiner selbst kommt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 145-146 |
Sie sehen, wie hier jener Prozeß, den die frühere
Philosophie eingeführt, verstanden, und wie er auf die entschiedenste
Weise als Objektiver und realer genommen ist. Für so verdienstlich
man daher auch die Anwandlung anschlagen muß, die Hegel hatte, die
bloß logische Natur und Bedeutung der Wissenschaft, die er vor sich
fand, einzusehen, so verdienstlich insbesondere es ist, daß er die
von der früheren Philosophie im Realen verhüllten logischen
Verhältnisse als solche hervorgehoben hat, so muß man doch
gestehen, daß in der wirklichen Ausführung seine Philosophie
(eben durch die Prätension auf objektive, reale Bedeutung) um ein
gut Teil monstroser geworden ist, als es die vorhergehende je war, und
daß ich daher auch dieser Philosophie nicht Unrecht getan habe,
wenn ich sie eine Episode nannte
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 146 |
Um also in die Bewegung hineinzukommen, muß Hegel
mit dem Begriff auf irgendeinen Anfang zurückgehen, wo er
von dem, was durch die Bewegung erst werden soll, am weitesten entfernt
ist. Nun gibt es innerhalb des Logischen oder Negativen wieder mehr oder
weniger bloß Logisches oder Negatives, weil der Begriff ein
mehr oder weniger erfüllter sein, mehr oder weniger unter sich begreifen
kann, Hegel geht also auf das Allernegativste zurück, was sich denken
läßt, auf den Begriff, in dem noch am wenigsten zu erkennen,
der also, so sagt er, von jeder subjektiven Bestimmung so frei als möglich,
insofern der objektivste ist. Und dieser Begriff ist ihm der des
reinen Sein.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 146-147 |
Wie Hegel zu dieser Bestimmung des Anfangs kommt, läßt
sich vielleicht auf folgende Art erklären.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 147 |
Das Subjekt, welches die vorausgegangene Philosophie zu ihrem
Ausgangspunkt hatte, war gegenüber von dem Fichteschen Ich, welches
nur das Subjekt unseres, des menschlichen, oder im Grunde für
jeden nur das Subjekt des eigenen Bewußtseins war im Gegensatz
mit diesem selbst bloß subjektiven Subjekt war das Subjekt in der
auf Fichte folgenden Philosophie erklärt worden als objektives (außer
uns gesetztes, von uns unabhängiges) Subjekt, und inwiefern nun zugleich
erklärt wurde, daß die Entwicklung von diesem Objektiven Subjekt
erst fortzuschreiten habe zum subjektiven (zum in uns gesetzten),
so war hiermit der Gang im allgemeinen allerdings bestimmt worden als
Fortgehen vom Objektiven ins Subjektive; der Ausgangspunkt war das Subjektive
in seiner völligen Objektivität, also er war doch immer das
Subjektive, nicht das bloße Objektive, wie Hegel seinen ersten
Begriff bestimmt als das reine Sein. Jenem System (dem vorausgegangenen)
ist das in ihm sich Bewegende nur nicht als solches schon gesetzte
Subjekt, sondern, wie früher bemerkt, nur so Subjekt, daß
ihm möglich ist, auch Objekt zu sein, insofern noch weder entschieden
Subjekt noch entschieden Objekt, sondern eine Gleichgültigkeit zwischen
beiden, was als Indifferenz des Subjektiven und Objektiven ausgedrückt
wurde. Denn vor dem Prozeß oder an und gleichsam vor sich selbst
gedacht, ist es nicht sich selbst Objekt, aber eben darum ist es
auch nicht gegen sich selbst Subjekt (zum Subjekt von sich selbst,
welches ja nicht weniger ein relativer Begriff ist, macht es sich
eben sowohl erst, als es zum Objekt von sich selbst sich erst macht),
es ist daher auch relativ auf sich selbst Indifferenz von Subjekt
und Objekt (noch nicht Subjekt und Objekt), aber eben weil es nicht
Subjekt und Objekt von sich selbst ist, so ist es auch diese Indifferenz
nicht für sich selbst und demnach bloß objektiv, bloß
an sich. Der Übergang zum Prozeß ist nun, wie Sie
wissen, eben, daß es sich selbst als sich selbst will, und
das Erste im Prozeß ist demnach das zuvor gleichgültige (indifferente)
Subjekt in seiner nunmehrigen sich-selbst-Anziehung. In dieser
Selbstanziehung ist das Angezogene (wir wollen es B nennen), d.h. das
Subjekt, inwiefern es Objekt von sich ist, notwendig ein Begrenztes, Beschränktes
(die Anziehung selbst eben ist das Begrenzende), das Anziehende aber (wir
wollen es A nennen) ist eben dadurch, daß es das Sein angezogen,
selbst außer sich gesetzt, mit diesem Sein befangen, es ist das
erste Objektive. Dieses erste Objektive, dieses »primum Existens«
ist aber nur der Anlaß und die erste Stufe zu den höheren Potenzen
der Innerlichkeit oder Geistigkeit, zu welcher das Subjekt sich in dem
Verhältnis erhebt, als es sich in jeder seiner Formen immer wieder
zum Objekt schlägt, zum Objekt hinzutritt (denn es ist ihm gleichsam
nur darum zu tun, jenes sein erstes Sein zu einem sich angemessenen
zu erhöhen, es mit immer höheren geistigen Eigenschaften auszustatten,
in ein solches zu verwandeln, in dem es selbst sich erkennen und daher
ruhen kann); indem aber die folgende Stufe immer die frühere festhielt,
so kann dies nicht geschehen, ohne eine Totalität von Formen zu erzeugen;
die Bewegung ruht daher nicht eher, als bis das Objekt ganz = dem Subjekt
geworden. Inwiefern daher auch im Prozeß das primum Existens
ein Minimum von Subjektivem und ein Maximum von Objektivem ist, von welchem
zu immer höheren Potenzen des Subjektiven fortgegangen wird, so ist
auch hier (von dem im Prozeß Ersten aus) ein Fortgang vom
Objektiven ins Subjektive.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 147-148 |
Auf jeden Fall also mußte Hegel, da er doch im ganzen und
in der Hauptsache dasselbe System aufstellen wollte, auch einen objektiven
Anfang, und zwar wo möglich den objektivsten zu nehmen suchen. Hier
begegnet ihm aber, dieses Objektivste als Negation alles Subjektiven,
als reines Sein zu bestimmen, d.h. (wie kann man es anders verstehen?)
als Sein, in dem gar nichts von einem Subjekt ist. Denn daß er übrigens
diesem reinen Sein eine Bewegung, ein Übergehen in einen andern Begriff,
ja sogar eine innere, es zu weiteren Bestimmungen forttreibende Unruhe
zuschreibt, dies beweist nicht etwa, daß er in dem reinen Sein dennoch
ein Subjekt denke, nur etwa ein solches, von dem sich nur noch
sagen läßt, daß es nicht nicht ist oder nicht
ganz nichts ist, auf keine Weise aber, daß es schon etwas ist
wäre dies sein Gedanke, so müßte der Fortgang ein
ganz anderer sein. Daß er dem reinen Sein dennoch eine immanente
Bewegung zuschreibt, heißt daher weiter nichts als daß der
Gedanke, der mit dem reinen Sein anfängt seine Unmöglichkeit
empfindet, bei diesem Allerabstraktesten und Allerleersten, wofür
Hegel selbst das reine Sein erklärt, stehenzubleiben. Die Nötigung,
von diesem fortzugehen hat ihren Grund nur darin, daß der Gedanke
an ein konkreteres, inhaltsvolleres Sein schon gewöhnt ist, also
mit jener mageren Kost des reinen Seins, in dem nur überhaupt ein
Inhalt, aber kein bestimmter gedacht wird, sich nicht zufriedengeben kann;
in letzter Instanz ist es also nur der Umstand, daß es in der Tat
ein reicheres und inhaltsvolleres Sein gibt und daß der denkende
Geist selbst schon ein solches ist; also es ist nicht eine in dem leeren
Begriff selbst, sondern es ist eine in dem Philosophierenden liegende
und ihm durch seine Erinnerung aufgedrungene Notwendigkeit, die ihn nicht
bei jener leeren Abstraktion stehen läßt. Also ist es eigentlich
immer nur der Gedanke, der sich erst auf das möglichste Minimum von
Inhalt zurückzuziehen, dann aber wieder sukzessiv zu erfüllen,
zu einem Inhalt, und zuletzt zu dem Gesamtinhalt der Welt und des Bewußtseins
zu gelangen sucht freilich, wie Hegel vorgibt, nicht in einem willkürlichen,
sondern in einem notwendigen Fortgang; aber das stillschweigend Leitende
dieses Fortgangs ist doch immer der terminus ad quem, die wirkliche Welt,
bei welcher die Wissenschaft zuletzt ankommen soll; die wirkliche Welt
aber nennen wir jederzeit nur das, was wir von ihr erfaßt
haben, und Hegels eigne Philosophie zeigt, wie manche Seiten dieser wirklichen
Welt er z.B. nicht erfaßt hat; der Zufall ist also
von jenem Fortgang doch nicht auszuschließen, nämlich das Zufällige
der engeren oder weiteren individuellen Weltansichten des philosophierenden
Subjekts. Es ist also in dieser angeblichen notwendigen Bewegung eine
doppelte Täuschung, 1. indem dem Gedanken der Begriff substituiert
und dieser als etwas sich selbst Bewegendes vorgestellt wird, und
doch der Begriff für sich selbst ganz unbeweglich liegen würde,
wenn er nicht der Begriff eines denkenden Subjekts, d.h., wenn er nicht
Gedanke wäre; 2. indem man sich vorspiegelt, der Gedanke werde nur
durch eine in ihm selbst liegende Notwendigkeit weitergetrieben, während
er doch offenbar ein Ziel hat, nach welchem er hinstrebt, und das, wenn
der Philosophierende auch noch so sehr dessen Bewußtsein sich zu
verbergen sucht, darum nur um so entschiedener bewußtlos auf den
Gang des Philosophierens einwirkt.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 148-150 |
In der letzten Zeit versuchte Hegel noch eine höhere Steigerung
und suchte selbst bis zur Idee einer freien Weltschöpfung zu gelangen.
Eine merkwürdige Stelle, wo dieser Versuch gemacht ist, findet sich
in der zweiten Ausgabe seiner Logik die Stelle hatte in der ersten
Ausgabe der Logik anders gelautet und hatte dort auch offenbar einen ganz
andern Sinn. In der zweiten lautet sie so (S. 43):
das Letzte, worin alles als in seinen Grund eingeht, ist denn auch dasjenige,
woraus das Erste, das zuerst als Unmittelbares aufgestellt wurde, hervorgeht,
und »so wird noch mehr der absolute Geist, der als die konkrete
und letzte, höchste Wahrheit alles Seins sich ergibt, erkannt als
am Ende der Entwicklung sich mit Freiheit entäußernd
und zur Gestalt eines unmittelbaren Seins sich entlassend zur Schöpfung
einer Welt sich entschließend, welche (Welt) alles das enthält,
was in die Entwicklung fiel, die jenem Resultat vorausgegangen war, so
daß alles dieses (alles in der Entwicklung Vorausgegangene) durch
diese umgekehrte Stellung zugleich mit seinem Anfange in ein von dem Resultat
als Prinzip Abhängiges verwandelt wird« (*),
d.h. also, was erst Resultat war, wird zum Prinzip, was in der ersten
Entwicklung Anfang war, der zu dem Resultat hinführt, wird umgekehrt
zu einem von dem Resultat, das vielmehr jetzt Prinzip geworden
ist, Abhängigen und daher unstreitig auch Abzuleitenden. (In
der ersten Ausgabe der Logik von 1812 [S. 9] hieß es: »So
wird auch der Geist am Ende der Entwicklung des reinen Wissens sich mit
Freiheit entäußern und sich in die Gestalt eines unmittelbaren
Bewußtseins, als Bewußtsein eines Seins, das ihm als ein Anderes
gegenübersteht, entlassen.«) Nun, wenn diese
Umkehrung auf die Weise, wie sie Hegel will, möglich wäre
und wenn er nicht bloß von dieser Umkehrung gesprochen, sondern
sie versucht und wirklich aufgestellt, so hätte er bereits selbst
seiner ersten Philosophie eine zweite an die Seite gestellt, die umgekehrte
der ersten, welche ungefähr das gewesen wäre, was wir unter
dem Namen der positiven Philosophie wollen. Eine notwendig Folge davon
hätte aber dann sein müssen (da zwei Philosophien nicht gleiche
Bedeutung und Dignität haben können), seine erste Philosophie
als die bloß logische und negative Philosophie zu erkennen (in welcher
dann freilich der Übergang in die Naturphilosophie bloß hypothetisch
geschehen durfte, womit auch die Natur in der bloßen Möglichkeit
erhalten wurde). Allein schon die Art, wie er diese Äußerung
durch Veränderung des ursprünglichen Textes nur gelegenheitlich
und im Vorübergehen einzuschalten gesucht hat, zeigt, daß er
nie einen ernstlichen Versuch gemacht hat, jene Umkehrung wirklich zu
unternehmen, die so, wie er sie dargestellt hat, einfach darin
zu bestehen gehabt hätte, daß man die Stufen wieder herabgestiegen
wäre, die man in der ersten Philosophie hinaufgestiegen war. Sehen
wir, was damit entstehen konnte.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 172-173 |
In der Identitätsphilosophie ist es allerdings so, daß
je das Vorhergehende erst im Folgenden, relativ Höheren, und so zuletzt
alles in Gott erst seine Wahrheit hatte. Es ist zwar nicht ganz
genau so, wie Hegel dies ausdrückt, daß in das Letzte alles
in seinen Grund eingehe, es ist nicht genau so, man müßte
vielmehr sagen: jedes Vorhergehende begründete sich selbst dadurch,
daß es sich zum Grund des Folgenden, d.h. zu dem herabsetzt, was
nicht mehr selbst das Seiende, sondern einem andern Grund des Seins ist,
es begründet sich durch sein zu-Grunde-Gehen es selbst ist
also dabei Grund, nicht das Folgende. So findet der Weltkörper, dessen
Natur es ist, zu fallen, dessen Fallen daher weil alles aus der
Natur eines Dinges Folgende unendlich folgt ein unendliches
ist, seinen Grund dadurch, daß er sich einem Höheren zum Grunde
macht, und bleibt auf diese Weise im allgemeinen auf seiner Stelle (in
einer gleich mittleren Entfernung vom Zentrum) stehen; und so begründet
sich alles zuletzt dadurch, daß es sich dem Absoluten, Letzten,
als Grund unterordnet. (Nach dieser Berichtigung des Ausdrucks gehen wir
zur Sache selbst). Da nach Hegel selbst das, was das Ende ist, erst nachdem
es Ende ist, sich zum Anfang macht, so verhält[179] es sich in der
ersten Bewegung (und also in der Philosophie, in welcher es Resultat ist)
noch nicht als bewirkende, sondern als Endursache, die Ursache
nur insoweit ist, daß alles zu ihr hinstrebt. Ist nun aber das Letzte
die höchste und letzte Endursache, so ist die ganze Reihe mit alleiniger
Ausnahme des ersten Glieds die ganze Reihe ist nichts anderes als
eine ununterbrochene und stetige Folge von Endursachen; jedes an seiner
Stelle ist so gut Endursache für sein Vorhergehendes wie das Letzte
Endursache für alles. Gehen wir zurück bis zu der nur unförmlich
zu denkenden Materie, die das allem zu Grunde liegende ist, so
ist die unorganische Natur die Endursache der Materie, die organische
Natur ist die Endursache der unorganischen, in der organischen Natur ist
die Endursache der Pflanze das Tier, der Mensch die Endursache der Tierwelt.
Wenn es also, um auf eine Schöpfung zu kommen, nicht mehr
bedürfte, als dieselben Stufen wieder herabzusteigen, die man hinaufgestiegen
ist, und wenn schon einfach durch diese Umkehrung das Absolute zur wirkenden
Ursache wird, so müßte durch diese Umkehrung auch der Mensch
als wirkende oder hervorbringende Ursache der Tierwelt, das Tierreich
als hervorbringende Ursache des Pflanzenreichs, der Organismus überhaupt
als Ursache der unorganischen Natur erscheinen usw., denn wir wissen nicht,
wie weit nach Hegels Meinung dies fortzusetzen wäre, ob vielleicht
in die Logik hinein, daß man bis zum reinen Sein zurückkäme,
das = Nichts ist: genug, wir sehen, auf welche Ungereimtheiten die so
verstandene Umkehrung führen würde und wie illusorisch die Meinung
ist, durch solche einfache Umkehrung die Philosophie in eine solche verwandeln
zu können, die auch eine freie Weltschöpfung begriffe.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Hegel, in: Zur Geschichte der neueren
Philosophie, 1827, S. 173-175 |
Jedes Wesen kann nur in seinem Gegenteil offenbar werden, Liebe
nur in Haß, Einheit in Streit.
Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling, Philosophische Untersuchungen über
das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden
Gegenstände, 1834 |
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