Unsere volkswirtschaftlichen Stärken. Wir sind bisher mit einer Politik
gut gefahren, die industriefreundlich war, die den Ausbau der erneuerbaren Energien
so vorangetrieben hat, daß gleichzeitig die Preisausschläge vertretbar
blieben. Dabei geht es um eine Schlüsselfrage unserer Wettbewerbsfähigkeit,
unseres Wohlstands. Beides sehe ich immer stärker gefährdet, wenn die
Energiepreise künstlich verteuert werden oder wir unsere Energieinfrastruktur
beschädigen. (Jürgen Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 88).
Wir sollten erst einmal zusammenrechnen,
was uns der Umbau der Energiewirtschaft volkswirtschaftlich kostet. Und dann sollten
wir genau überlegen, was wirklich ökologisch ist und wo uns jeder ausgegebene
Euro den größten Effekt bringt. Wir müssen das ökonomische
Prinzip wieder stärker in die Debatte reinbringen. Dann würden wir vielleicht
erkennen, daß wir Solartechnik dort anwenden, wo man mit ihr zumindest irgendwann
mal zu Marktbedingungen auch Strom erzeugen kann. Noch stehen 50 Prozent der weltweit
installierten Solarkapazität im »sonnenreichen« Deutschland.
(Jürgen Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 90).(Zum Desertec-Projekt,
Sonnenstrom aus der Sahara zu importieren). Das ist ein faszinierendes
Projekt. Aber auch hier empfiehlt sich eine nüchterne Abwägung, was
Träumerei ist und was realistisch. Von den Sandstürmen bis zur politischen
Instabilität der Region sind noch viele Punkte zu klären, technisch,
wirtschaftlich und politisch. .... Wenn man thermische Kraftwerke bauen will,
brauchen die auch in der Sahara Kühlwasser. Oder die Leitungen: Wir haben
im Moment schon Schwierigkeiten, unsere Offshore-Windanlagen in der Nord- und
Ostsee mit dem deutschen Netz zu verbinden. Dort aber glaubt man, daß wir
ohne Weiteres Riesenleitungen quer durchs Mittelmeer legen können. Und noch
etwas macht mich stutzig: Herr Sarkozy hat fast all den Ländern dieser Region
bereits Kernkraftwerke angedient. Also, dort wird in der Konsequenz Kernkraft
aufgebaut. Wir bauen sie ab, und hoffen auf Afrikas Sonne. Ein ähnlicher
Effekt ist östlich von uns zu besichtigen. Rußland steigt gerade von
Erdgas auf Kohle um, weil uns Europäern das Erdgas besser zu verkaufen ist
und wir damit die Kohle ablösen können. Der ökologische Effekt
wird nicht positiv sein, weil die Kraftwerke dort weniger effizient sind als hier.
An alldem sieht man, wie absurd die Forderung nach deutschen Alleingängen
in der Energie- und Umweltpolitik ist. (Deutscher Sonderweg!
HB). Wer dem folgt, der steht irgendwann da wie der Zauberlehrling
und sagt, oh Gott, nun tanzen die Besen. (Jürgen Großmann, in:
Cicero,
November 2009, S. 90).Ich sehe nur, daß sich der Rest der
Welt ganz anders verhält als wir. Jede Woche gehen in China und Indien derzeit
zwei große Kohlekraftwerke ans Netz. Und nicht nur dort: Die halbe Welt
setzt auf Kohle. Die großen indischen Oligarchen kaufen Kohlevorkommen in
Indonesien. Auch Rußland setzt auf Kohle. Das heißt, alle anderen
streben nach einem Energieträger, der nicht leitungsgebunden ist und viele
Quellen hat, um die politischen Risiken zu minimieren. Das Gleiche gilt für
die Kernkraft, die ein globales Comeback erlebt, nicht zuletzt aus Klimaschutzgründen.
In beiden Feldern könnte Deutschland zumindest Technologieführer sein.
In beiden Feldern aber bringt uns die öffentliche Stimmung ins Abseits.
(Jürgen Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 91).Also, es gibt viele Länder, die keine
bestimmte Laufzeit (für Kernkraftwerke; HB)
haben, sondern die einfach sagen, wir werden das entfristen, wir schicken euch
alle fünf Jahre einen TÜV, und der sagt, weitermachen oder nachrüsten.
.... In den USA rechnet man beispielsweise mit Kraftwerkslaufzeiten von 80 Jahren,
wie mir das dortige Energieministerium gerade persönlich bestätigt hat.
Auch in den Niederlanden, wo wir gerade mit dem Unternehmen Essent zusammengehen,
gelten Laufzeiten von 60 Jahren. Das dortige Kraftwerk ist eine Kopie von unserem
Biblis, das als erstes zur Abschaltung anstünde. Nun haben wir in Biblis
über eine Milliarde nachgerüstet, es wäre also absurd, wenn dort
stillgelegt würde. (Jürgen Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 91).Mit Blick auf die genannten internationalen
Laufzeiten wären zehn Jahre gar nicht mal so viel. Man sollte dabei bedenken,
daß wir zur Erhaltung beträchtliche Investitionen auslösen können.
.... Ich habe nie in Abrede gestellt, daß auch der Staat davon profitieren
könnte. Schon jetzt gehen doch schon 40 Cent von jedem Euro Gewinn über
den Fiskus an den Staat. (Jürgen Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 91).Es gibt ja Überlegungen, über einen
Fonds solche Mehrerlöse vernünftig einzusammeln und geeignet einzusetzen.
Hier können einige Milliarden zusammenkommen. (Jürgen Großmann,
in: Cicero,
November 2009, S. 91).Aber generell finde ich, daß wir die
beträchtlichen Erlöse von 100 Milliarden Euro, die wir steuerlich über
den Energieverbrauch erwirtschaften, zu stark konsumtiv und zu wenig investiv
verwenden. Deutschland hat als rerssourcenarmes Land wichtige Zukunftsaufgaben
in den Bereichen Energie und Bildung. Gleichzeitig werden viele Millarden Energie-
und Ökosteueraufkommen einfach in die Sozialversicherungen gepackt, ohne
den dort vorhandenen strukturellen Umbaubedarf richtig anzunehmen. Die Erlöse
aus dem Emissionshandel werden in den kommenden Jahren zusätzliche zweistellige
Milliardenbeträge erreichen. Mein Vorschlag: Laßt uns solche Einnahmen
gezielter für Bildung und den Aufbau geistiger und energetischer Infrastruktur
nutzen. Wir würden Großes bewirken können. (Jürgen
Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 91-92).Insgesamt glaube ich schon, daß
eine schwarz-gelbe Koalition für eine wettbewerbsfähige Energiepolitik
besser ist als eine ideologisch stark vorgefärbte .... (Jürgen
Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 92).Erinnern Sie sich noch an das Waldsterben?
Das war in keinem Land der Welt so ein Thema wie bei uns. Und wenn Sie die Hochrechnung
damals gesehen haben ..., hätten wir heute keinen Wald mehr. Wir haben ihn
aber dennoch. Und er wächst sogar, gesund und munter. Wir haben heute sogar
mehr Biomasse im Wald gebunden als damals. Wir neigen, glaube ich, sehr viel stärker
dazu, Sachverhalte zu emotionalisieren, also quasi religiös zu betrachten.
Auch bei der Kernenergie ist das leider so. Was mich dabei besonders erstaunt,
ist der Öko-Nationalismus. Denn bei uns abzuschalten, ändert nichts
daran, daß im französischen Cattenom Kernkraftwerke laufen, die belgischen
verlängert werden, die Holländer aufrüsten. Die Schweizer wollen
bauen, Tschechien baut, auch Polen wird über kurz oder lang Kernkraftwerke
bauen. Ich frage deshalb, warum wir dann diesen Glaubenskrieg machen müssen.
Noch dazu redet bei uns gar keiner von Neubau, es geht nur um den Weiterbetrieb
von Kraftwerken, die sicherlich bester Stand der Technik sind. (Jürgen
Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 92).(Zum Ende seines Konzernlenkerpostens
bei RWE). Ich stecke in der Mitte meiner Amtszeit, die dauert noch knapp
drei Jahre. Dann werde ich die Altersgrenze erreicht haben und das Unternehmen
hoffentlich in starke junge Hände legen können. Und wenn unsere Kernkraftwerke
zu dem Zeitpunkt noch alle laufen, freue ich mich natürlich besonders.
(Jürgen Großmann, in: Cicero,
November 2009, S. 92). |