WWW.HUBERT-BRUNE.DE

 

China und das Abendland

- Annäherung und Kolonialisierung -
- Ende der anmaßenden Kolonialisierung Chinas -
Staatskapitalismus als Lösung? -
- Demographisches -
Auftrag des Himmels? -
- Imperiale Nostalgie? -

NACH OBEN Annäherung und Kolonialisierung

„Die Päpste des Mittelalters waren sich der Bedeutung dieses geheimnisvollen Imperiums bewußt. Immer wieder hatten sie den Versuch unternommen, durch die Entsendung kirchlicher Emissäre an den Hofvon Peking... ein Bündnis gegen die rasante Ausbreitung der islamischen »Futuhat« zu schmieden, die sich des Grabes Christi bemächtigt hatten. Schon dehnte sich der unaufualtsame Eroberungsritt der Muselmanen rund um das Mittelmeer, ja bis nach Zentralasien aus. Die Bemühungen des Heiligen Stuhls sind allesamt gescheitert. Der staunende Okzident blieb in seiner Kenntnis der blühenden Zivilisation zwischen den Strömen Hoang Ho und Yangtsekiang im wesentlichen auf die umstrittenen und extravaganten Reiseschilderungen Marco Polos angewiesen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 287Scholl-Latour).

„Eine wirkliche Verbindung zwischen dem Stellvertreter Christi in Rom und dem chinesischen Himmelssohn in Peking kam erst zustande, als der Jesuitenorden seine hochgebildeten Emissäre über Macao in die Verbotene Stadt entsandte. Noch heute gibt die Sternwarte - von der kolossalen Silhouette der chinesischen Hauptstadt fast erdrückt - Kunde vom Bemühen der Societas Jesu, auf dem Wege eigener, zumal astronomischer Wissenschaft Rang und Ansehen in einer exotischen Umgebung von Höflingen, Feldherren, Kurtisanen und Eunuchen zu finden.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 288Scholl-Latour).

„Manche von ihnen, so der Pater Schall aus Köln, wurden mit den höchsten Würden des Mandarinats ausgezeichnet. Sogar auf dem Gebiet der Kriegskunst suchte sich die Gesellschaft Jesu unentbehrlich zu machen, indem sie ihrem Gastvolk, das das Pulver längst erfunden hatte, das Gießen von Kanonen beibrachte, um die Nomadenvölker der nördlichen Steppe besiegen zu können, die sich wieder einmal anschickten, den Drachenthron zu erobern und der erlahmenden Ming-Dynastie den Todesstoß zu versetzen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 288Scholl-Latour).

„Um die Umgebung des Papstes für ihre Missionsarbeit zu gewinnen, hatten dieJünger des Ignatius von Loyola ein überaus positives, fast idyllisches Bild vom Reich der Mitte entworfen. Ihr Ehrgeiz war auf die Bekehrung des Kaisers von China zum katholischen Glauben gerichtet, in der Annahme, daß die Hinwendung seiner zahllosen Untertanen zur Botschaft des Kreuzes dann nur noch Frage eines imperialen Erlasses wäre.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 288Scholl-Latour).

„Die Societas Jesu hat verzweifelt versucht, die starren, dogmatischen Vorstellungen der Päpste zu durchbrechen und insbesondere den Ahnenkult, der für das konfuzianische China unverzichtbar war, nach bewährter kasuistischer Methode mit der heiligen Verehrung der Katholizität in Einklang zu bringen. DieJesuiten sind nicht nur an der Weigerung Roms gescheitert, dieser exotischen Abschweifung nachzugeben. Ihr ganzes Konzept war möglicherweise verfehlt. Abgesehen von einer Reihe hoher Würdenträger, die sich taufen ließen, verharrte der Hof in der unwandelbaren Rigidität der konfuzianischen Sittenlehre und ihrer pedantischen Riten. Selbst die Mandschu-Eroberer, die sich, kaum dem Barbarentum entronnen, auf dem Drachenthron einrichteten, unterwarfen sich den uralten Regeln des Meisters Kong, ja praktizierten seine Vorschriften mit dem Eifer von Neophyten.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 288-289Scholl-Latour).

„Die Berichte der Jesuiten hatten die päpstliche Riten-Kongregation nicht umgestimmt.lmJ ahr 1742 setzte Papst Benedikt XIV. mit seinem kategorischen Edikt einen Schlußstrich unter diese fernöstliche Akkulturation und verbaute damit möglicherweise eine einmalige Missionierungschance der Geschichte. Paradoxerweise fanden die frommen Patres eifrige, begeisterte Lehrer unter ihren schärfsten ideologischen Gegnern, den kirchenfeindlichen Philosophen und Dichtem der Aufklärung. In ihrem Bemühen, abendländisches Interesse für das Reich der Mitte zu wecken, Subventionen und Anerkennung für ihre entsagungsvolle Tätigkeit in Peking zu gewinnen, war das Reich der Mandschu-Kaiser, das bereits im achtzehnten Jahrhundert mit vielen Kennzeichen des Verfalls und der geistigen Sklerose behaftet war, von den europäischen Geistlichen als eine ideale Gelehrtenrepublik platonischen Zuschnitts beschrieben worden.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 289Scholl-Latour).

„Der Kaiser thronte lediglich als wohlwollendes Symbol erdentrückter Despotie über ihr, während der Stand der Krieger, der im spätfeudalen Europa hohes, fast exklusives Ansehen genoß, bei den Söhnen des Himmels auf der untersten Gesellschaftsstufe rangierte und sich keinerlei Achtung bei jenen Gebildeten erfreute, die die höchste Autorität innehatten. Daß in Peking das Erlangen mandarinaler Würden an das Bestehen von philosophischen, ja literarischen Examina gebunden war, die - theoretisch zumindest - jedem begabten Untertan des Kaisers offenstanden, daß die Rangordnung der hohen Verwaltung einer »Meritokratie« entsprach, von der im damaligen Europa kaum jemand zu träumen wagte, schürte zusätzliche Begeisterung.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 289Scholl-Latour).

„Die Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts entdeckte ein utopisches Spiegelbild ihrer eigenen Wunschvorstellungen in jenem femen Imperium des Ostens, das Europa bereits mit seinen Porzellanfiguren entzückte. Die Mode der »Chinoiseries« erfreute die Höfe des Abendlandes. Friedrich der Große ließ im Park von Sanssouci einen chinesischen Pavillon errichten, und die Philosophen - Leibniz, Voltaire und Fénelon an der Spitze - waren des Lobes voll für eine asiatische Staatsform, die Friedfertigkeit, Toleranz, geistige Harmonie und vor allem die Priorität der Gebildeten zu garantieren schien. Konfuzius, der alte Lehrmeister, der fünfuundert Jahre vor Christus den Söhnen des Drachen den Weg des Einklangs zwischen Himmel und Erde gewiesen hatte, wurde an hervorragender Stelle in das Pantheon der »Lumieres« eingereiht.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 289-290Scholl-Latour).

„Wie plötzlich und unerbittlich der Verfall eines Imperiums ablaufen kann, das sich eben noch als Zentrum des Universums betrachtete, dem alle anderen mehr oder minder barbarischen Potentaten sich nur mit Geschenken und Huldigungen als Vasallen nähern konnten, wurde unter der späten Qing- oder Mandschu-Dynastie auf geradezu exemplarische Weise vorgeführt. Noch im Jahr 1793 hatte der letzte große Kaiser Qian Long von dem Botschafter Seiner britischen Majestät Lord Macartney, der ein für beide Seiten vorteilhaftes Handelsabkommen aushandeln wollte, verlangt, daß er sich dem demütigenden Ritual des Kotau, dem dreimaligen Niederknien mit jeweilig dreimaliger Verbeugung bis zum Boden, unterwürfe, was der Beauftragte Londons resolut ablehnte.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 290Scholl-Latour).

„Unter Qian Long hatte die lange Kette kaiserlicher Herrlichkeit noch einmal einen Höhepunkt erreicht. Er hatte die heutigen Autonomen Regionen der Volksrepublik - die Mongolei, Ost-Turkestan und vor allem auch Tibet - unter die Autorität seines Drachenthrones gebracht. Sechzig Jahre lang hatte er regiert, und es war ihm gelungen, seinen Untertanen jene verheerenden Bürgerkriege und Bauernaufstände zu ersparen, die die Grundfesten des Staatsgebäudes in vier Jahrtausenden immer wieder erschüttert hatten. Als Folge dieser Friedensperiode und einer klugen Agrarpolitik hatte sich die Bevölkerung Chinas von 150 Millionen Menschen auf das Doppelte, 300 Millionen, vermehrt. Zur gleichen Zeit verfügte England über ganze acht Millionen Einwohner.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 290Scholl-Latour).

„Dennoch war der Niedergang vorprogrammiert .... Kaiser Qian Long hatte - von langer Herrschaft ermattet - auf den Himmelsthron verzichtet. Er war sich bei aller Glorie seines Regnums wohl bewußt geworden, daß er einem verkrusteten, in steriler und immobiler Tradition erstarrten System verhaftet blieb, während Europa in einer Phase ungestümer industrieller Revolution und strahlender Fortschrittsgläubigkeit davonstürmte. Das Aufeinandertreffen von zwei so unterschiedlichen Kulturen war von vornherein entschieden.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 290-291Scholl-Latour).

„Es gehörte bis dahin zum Wesen Chinas, daß es ganz auf Beharrung ausgerichtet war. Konfuzius hatte bei der Dekretierung seines Gesellschaftsmodells, das - fern von aller Metaphysik - auf das harmonische Zusammenleben der Menschen unter festgefügten Autoritäten und Regeln ausgerichtet war, stets nach rückwärts geblickt, auf eine legendäre Vergangenheit, auf das »Goldene Zeitalter« der mythischen Dynastien Shang (Schang [1500-1000]) und Zhou (Schu bzw. Chou [1000-256]), deren Perfektion es wiederherzustellen galt.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 291Scholl-Latour).

„Das Abendland hingegen - an erster Stelle das Königreich England, das mit der protestantischen Reformation, mit dem Ausbau seiner welterobernden Flotte, dem Aufkommen einer dynamischen Ethik von Handel und Bereicherung sich schon auf eine technische Revolution zubewegte - blickte gebannt auf die Zukunft und widmete sich der Erfüllung seiner »great expectations«.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 291Scholl-Latour).

„Niemals hat sich der westliche Imperialismus so skrupellos und raffgierig dekuvriert wie bei dem Opiumkrieg 1839. Das wesentliche Ziel Londons war es, den gewaltigen chinesischen Markt für den ungehemmten Import und Konsum des Rauschgiftes zu öffnen, das die britische East India Company auf ihren Plantagen in Indien produzierte. Den englischen Händlern ging es darum, das Handelsdefizit, das vor allem durch den Ankauf von chinesischem Tee und chinesischer Seide entstand und sich laufend zu Ungunsten der Briten vergrößerte, dank des tödlichen Kompensationsgeschäftes auszugleichen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 291Scholl-Latour).

„Bei dieser Gelegenheit war den Söhnen des Himmels zum ersten Mal ihre groteske militärische Unterlegenheit vor Augen geführt worden. Aber es sollte ein volles Jahrhundert vergehen, ehe die kommunistischen Umstürzler, auf die revolutionäre Inbrunst ihrer Volksbefreiungsarmee gestützt, die letzten Spuren dieser Unterjochung auslöschten. “ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 291-292Scholl-Latour).

„Schneller noch als der Absturz in eine schändliche Unterwürfigkeit, die durch die Greuel der japanischen Besatzung vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ins Unerträgliche gesteigert wurde, hat sich dann das fulminante Wiedererstarken des Reiches der Mitte vollzogen. Der Westen mag vor allem die erbarmungslose kommunistische Tyrannei und deren fürchterliche Hekatomben der Revolution Mao Zedongs (Tse-tungs) in Erinnerung behalten. Die Masse der heute lebenden Chinesen bewertet diesen radikalen Umbruch als positive geschichtliche Leistung. Mao schuf die Voraussetzungen dafür, daß die von ihm gegründete, von Deng Xiaoping (Teng Xiao-ping) gründlich reformierte Volksrepublik sich neuerdings anschickt, die Vereinigten Staaten von Amerika aus ihrer hegemonialen Rolle als einzig verbliebene Supermacht zu verdrängen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 292Scholl-Latour).

„Wer sich heute über die Annexion und Gleichschaltung Tibets durch Peking entrüstet, sollte zudem bedenken, daß die Qing-Dynastie schon im Jahr 1720 ihr Protektorat über das Dach der Welt verhängte. Wenn in der Folge der bizarre Mönchsstaat der Dalai Lama nicht dem britischen Empire angegliedert wurde, das über den Himalaya nach Norden ausgriff, so war das lediglich dem Erlahmen jenes »great game« zu verdanken, das sich London und Sankt Petersburg in schwindelnder Gletscherhöhe um die Kontrolle Zentralasiens lieferten.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 292Scholl-Latour).

NACH OBEN Ende der anmaßenden Kolonialisierung Chinas

„Der Schlußstrich unter die anmaßende europäische Präsenz in China - ein halbes Jahrtausend nachdem die Portugiesen an der Küste von Kwantung ihre Dependenz aisbauten - war erst im Dezember 1999 gezogen worden.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 282Scholl-Latour).

„Dem letzten Repräsentanten der britischen Krone war es gelungen, für die Einwohner des ehemaligen Empire-Juwels einige parlamentarische Sonderprivilegien durchzusetzen, an deren Gewährung zur Zeit der Kolonialherrschaft keine Regierung im fernen London jemals gedacht hätte.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 282Scholl-Latour).

„Angela Merkel ... huldigte der »political correctness« (), wie sie von Washington vorgegeben war. Sie versäumte keine Gelegenheit, den roten Mandarinen von Peking ins Gewissen zu reden, sie mit erhobenem Zeigefinger auf die Einhaltung »demokratischer« und »humaitärer« (reine Polit-Rhetorik, die auch darauf hinweist, wer die »Politische Korrekteit« befiehlt []; Anm HB) Normen zu verweisen, denen die deutsche Diplomatie in anderen, weit skandalöseren Fällen nur geringe Bedeutung schenkte. Die Kanzlerin fühlte sich einer »werteorientierten Außenpolitik« (reine Polit-Rhetorik, die auch darauf hinweist, wer die »Politische Korrekteit« befiehlt []; Anm HB) verpflichtet und war aich offenbar nicht bewußt, daß außerhalb des nordatlantischen Kuklturkreises eine Reihe wirtschaftlich und machtpolitisch aufstrebender »Schwellenländer« über ganz andere gesellschaftliche Kriterien und Traditionen verfügen, um den Fortschritt und das Erstarken ihrer Völker zu forcieren.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 284-285Scholl-Latour).

„Am Beispiel Chinas offenbart sich mit betrüblicher Deutlichkeit, in welchem Ausmaß den Europäern und Amerikanern das geschichtliche Bewußtsein abhanden gekommen ist. Die Fehldiagnose des Politologen Fukuyama vom »End of History« war auf allzu fruchtbaren Boden gefallen. So begegnet die westliche Welt dem phänomenalen Aufstieg Chinas in den Rang der zweiten Weltmacht mit einem Gemisch aus Arroganz und Mißgunst. Noch halten allzu viele »Experten« an der Vorstellung fest, sie hätten es bei den 1,3 Milliarden Angehörigen der Ran-Rasse mit einer unterentwickelten, allenfalls zum Plagiat westlicher Errungenschaften befahigten Menschheitsgattung zu tun. Auf der anderen Seite erzeugt die explosive Dynamik Chinas wachsende Furcht, ja die Ahnung des eigenen Rückfalls in unerträgliche Mittelmäßigkeit.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 285Scholl-Latour).

„Nach relativ kurzer Unterbrechung findet China wieder zu jenem erhabenen Rang zurück, der ihm seit seit vier Jahrtausenden zusteht.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 287Scholl-Latour).

NACH OBEN Staatskapitalismus als Lösung?

„Der gewaltige Umbruch jedoch, der die Welt erbeben läßt, wie Napoleon es auf Sankt Helena voraussagte, vollzog sich in China. Nach dem Abflauen, ja dem Scheitern des Maoismus ... kam dort eine originelle Formel für gigantisches industrielles Wachstum, für Entwicklung von High Technology und sensationelle Anhebung des Lebensstandards zum Zuge, die sich auf einen seltsamen Synkretismus stützt. Unter der Autorität der Kommunistischen Einheitspartei und einer straffen Form des Staatskapitalismus entfesselte sich die wissenschaftliche und vor allem merkantile Begabung der Han-Rasse.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 274Scholl-Latour).

„In der Lehre einer utopischen Harmonie, die das Politbüro von Peking der parlamentarischen »Streitkultur« des Westens entgegensetzt, finden sich Konfuzius, Mao Zedong (Mao Tse-tung) und jener erste legendäre Kaiser Qin Xi Huangdi (Schi Hoang-ti) wieder. Dessen Reichsgründung zweihundert Jahre vor Christus erlaubt es heute der offiziellen Propaganda, die verblaßte Doktrin des Marxismus-Leninismus durch einen ehrgeizigen, alle Normen sprengenden Nationalismus zu ersetzen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 274-275Scholl-Latour).

NACH OBEN Demographisches

„Dem Abendland kann es nicht gleichgültig sein, je es stellt sich die nackte Überlebensfrage, wenn - um nur diese Beispiele zu erwähnen - die Zahl der Algerier zwischen 1960 und 2000 von 8 auf 30 Millionen, die der Iraker zwischen 1950 und 1990 von 5 auf 25 Millionen hochgeschnellt ist, währen der eigene Bevölkerungsstand nur durch den unablässigen Zustrom außereuropäischer Migranten auf dem bisherigen dem bisherigen Niveau gehalten wird. Für die außereuropäischen großen Siedlungsgebiete der weißen Menschheit - Nordamerika und Sibirien zumal - gelten ähnlich düstere Perspektiven.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 319-320Scholl-Latour).

„Vor zweihundert Jahren waren die europäischen Kolonialmächte noch zutiefst davon überzeugt, ihnen sei der göttliche Auftrag erteilt, den in barbarischer Rückständigkeit und Willkür dahindämmernden Völkern Asiens und Afrikas die erlösende Botschaft des Christentums oder der Aufklärung zu vermitteln. Rudyard Kipling bezeichnete diese zivilisatorische Mission als »Bürde des weißen Mannes«.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 320Scholl-Latour).

„Bei manchen allzu selbstherrlichen Philanthropen kommt mir das Zitat in den Sinn: »Der Freund des Menschengeschlechts ist niemandes Freund.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 323Scholl-Latour).

NACH OBEN Auftrag des Himmels?

„Einem hochrangigen Funktionär des Olympischen Komitees ist der geniale Gedanke gekommen, in Zukunft sollten die weltumspannenden sportlichen Wettkämpfe nur in Staaten ausgetragen werden, die den Ansprüchen von Menschenrechten und westlicher Demokratie entsprechen. Damit würde jedoch die Zahl der qualifizierten Veranstalter auf eine extrem bescheidene Anzahl der sogenannten Völkerfamilie reduziert. Das Atlantische Bündnis sollte sich nicht länger um die Erkenntnis herumstehlen, daß nicht nur gewisse Prozeduren des Parlamentarismus ihre Fragwürdigkeit offenbaren, sondern daß der pauschale Begriff »Demokratie«, der im klassischen Griechenland alles andere als einen Idealzustand menschlichen Zusammenlebens definierte, einer globalen Erosion ausgesetzt ist. Um nur ein griffiges Beispiel zu erwähnen: In Schwarzafrika ist die tribalistische Bindung und Verpflichtung das oberste und exklusive Gesetz politischen Kräftemessens.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 325Scholl-Latour).

„Bei der überwiegend negativen Berichterstattung deutscher Politiker und Publizisten über die Entwicklung in der Volksrepublik China dürfte neben einer schwärmerischen Präferenz für Indien vor allem die Tatsache den Ausschlag gegeben haben, daß Peking im Begriff steht, die Bundesrepublik wirtschaftlich und industriell zu überholen, ihr den Rang der bedeutendsten Exportnation streitig zu machen, auch wenn die Qualität chinesischer Produkte oft noch zu wünschen übrigläßt. Aber auf Dauer werden sich die als beleidigte Verlierer auftretenden Industriellen aus Europa und Amerika nicht damit herausreden können, die Erben Mao Zedongs (Mao Tse-tungs) seien zwar unübertreffliche Meister der Nachahmung, aber zu eigener Kreativität nur in geringem Maße befähigt. Mit solchen Behauptungen versucht man, unser Wissen um das erfinderische Genie zu verdrängen, das dem Reich der Mitte zwei Jahrtausende lang gegenüber dem Abendland einen deutlichen Vorrang verschaffte.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 325-326Scholl-Latour).

„Noch versteifen sich die Auguren des Westens auf die Behauptung, daß sich der asiatische Gigant nur unter Verzicht auf seine sozialistische Ideologie zu einer rüden Form des Frühkapitalismus durchgerungen habe .... Inzwischen haben die völlig unerwartete Finanzkrise des Jahres 2008 (Finanzkrise 2008) und die drohende Rezession in der Realwirtschaft die extreme Fragilität der angelsächsisch-calvinistisch ausgerichteten Finanzkonzepte bloßgelegt. In der breiten Öffentlichkeit des Westens kommt der Verdacht auf, daß die jüngsten Auswüchse des spekulativen Vabanquespiels den Anforderungen einer anfangs überschwenglich gepriesenen Globalisierung nicht gewachsen sind.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 326Finanzkrise 2008Scholl-Latour).

„Wer hätte vor zehn Jahren vorauszusagen gewagt, daß New York und London das Heil ihrer Börsen in der Verstaatlichung einiger Großbanken suchen würden, daß die unbegrenzte Wachstums-Euphorie der Friedman-Schule und ihrer Chicago Boys mit einem Schlag recht altmodisch aussehen würde, während eine Rückwendung zu John Maynard Keynes und seiner These des »deficit spending« neuen Zuspruch gewänne?“  (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 326Scholl-Latour).

„Geradezu demütigend für die europäischen Hasardeure der »New Economy« ist die Tatsache, daß der ungebrochene Wirtschaftsaufstieg Chinas weit weniger durch die allgemeine Ratlosigkeit und Katastrophenstimmung betroffen war als die Systeme der übrigen großen Industrienationen. Die Bank of China ist infolge einer gewaltigen Anhäufung us-amerikanischer Wertpapiere, Schatzanleihen und Dollarreserven ein lebenswichtiger Partner der Vereinigten Staaten von Amerika und für eine eventuelle Stabilisierung beziehungsweise Konsolidierung der US-Ökonomie unentbehrlich geworden. Die Europäer sind demgegenüber auf eine zweitrangige Position zurückgefallen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 326Scholl-Latour).

„Daß das gewaltige Reich der Mitte vor Zerreißproben nicht gefeit ist, dessen dürfte sich das Parteikollektiv des Generalsekretärs Hu Jintao, dessen interne Spannungen selten nach außen dringen, sehr wohl bewußt sein. Der »Drachensohn«, der gottähnliche Kaiser in der Verbotenen Stadt, mußte stets befürchten, daß - als Folge von Naturkatastrophen, administrativer Mißwirtschaft oder militärischen Niederlagen - das Volk sich gegen ihn auflehnte und er selbst des »Auftrags des Himmels« verlustig ging. Da half es ihm auch nicht, daß jedes seiner Dekrete mit der Weisung »Zittere und gehorche!«  endete.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 326-327Scholl-Latour).

„So war der kriegerische Tumult der »Roten Turbane«, der im vierzehnten Jahrhundert der mongolischen Fremdherrschaft der Yüan-Dynastie ein Ende setzte, Ausdruck der geballten Unzufriedenheit des Volkes. Er war durch die Wühlarbeit von Geheimgesellschaften, deren Strukturen sich unter dem Namen »Triaden« bis auf den heutigen Tag erhalten haben, vorbereitet worden.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 327Scholl-Latour).

„Schon tausend Jahre zuvor hatte eine Art chinesischer »Bundschuh« der »Gelben Turbane« die kaiserliche Herrschaft erschüttert. Für den Bestand des Reiches stellte die kurz darauf folgende mystische Massenbewegung der »Gelben Kopftücher« jedoch eine weit größere Gefahr dar, entsprach sie doch einem Hang zu magischer Sektenbildung, die im Taoismus wurzelte und gegen die Mißstände des konfuzianischen Mandarinats anstürmte.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 327Scholl-Latour).

„Noch im neunzehnten Jahrhundert wäre die Mandschu-Dynastie fast vom Thron gefegt worden, als der Bauernsohn Hong Xiuquan sich in seinem religiösen Wahn als jüngerer Bruder Jesu Christi ausgab. Er predigte die »allgemeine Gleichheit auf Erden«, die manche Elemente der maoistischen Zwangskollektivierung auf verblüffende Weise vorwegnahm. Nach einer Periode unsäglicher Greuel und Massaker, die fast fünfzig Jahre andauerte, wurde der Usurpator, der sich den Titel eines »Himmlischen Königs des Himmlischen Reiches des Friedens« zugelegt hatte, aus seinem Regierungssitz Nanking vertrieben. Es hatte eines Aufgebots europäischer Söldner und Abenteurer unter dem Befehl des britischen Generals Gordon bedurft, um die Taiping-Revolte -unter diesem Namen ist sie in die Geschichte eingegangen -im Blut zu ersticken.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 327Scholl-Latour).

„Die derzeitige Staatsführung weiß, daß die ansonsten so nüchtern und pragmatisch wirkende Rasse der Han gegen gewaltsam ausufernde Anwandlungen mystischer, chiliastischer Hirngespinste keineswegs gefeit ist. So läßt sich in unseren Tagen die unerbittliche Verfolgung der Falun-Gong-Sekte erklären. Mit allen Mitteln versucht Peking zu verhindern, daß der beachtliche Zulauf, den Falun Gong vor allem bei der Jugend findet, sich nicht zu einer neuen pseudo-religiösen Erweckungsbewegung ausweitet.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 328Scholl-Latour).

„Fremdherrschaft ist den Chinesen nicht erspart geblieben. Aus Westen kommend, eroberten die mongolischen Erben Dschingis Khans das Reich der Mitte und verhalfen ihm unter Kaiser Kublai Khan zu beachtlicher Expansion. Knapp dreihundert Jahre später stürmten die Mandschu-Horden aus Norden heran und bemächtigten sich des Pekinger Drachenthrones. Ihre am Ende dekadente und in Palastintrigen erstickende Yüan-Dynastie wurde erst im Jahre 1911 nach der Ausrufung der Republik durch Sun Yatsen aus der Verbotenen Stadt vertrieben. Aber die der Han-Rasse und ihrer Zivilisation innewohnende Kraft erwies sich als so gewaltig und überlegen, daß die Eindringlinge binnen kurzer Zeit einer totalen Assimilation erlagen und sämtliche Bräuche und Riten des konfuzianischen Hofes übernahmen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 328Scholl-Latour).

„In diesen geschichtlichen Prüfungen kam den Chinesen zugute - so unterschiedlich ihr Aussehen zwischen der Hoang-Ho-Ebene und den Bergen Yünans auch sein mochte, so sehr sie bislang durch diverse Sprachbarrieren, die erst heute durch die obligatorische Einführung des Mandarin überwunden werden, getrennt waren -, daß sie sich stets allen anderen Völkern des Erdballs weit überlegen fühlten. Die Geringschätzung aller Fremden macht übrigens auch vor den Europäern nicht halt, wie jeder bestätigen kann, der gelegentlich von seiner erzürnten chinesischen Geliebten als »redfaced Barbarian« beschimpft wurde.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 328Scholl-Latour).

„Man mag einwenden, daß - um im ostasiatischen Raum zu bleiben- die Vietnamesen mit ähnlicher Geringschätzung auf die artfremden Gebirgsvölker herabblicken, die sie als »Moi«, als Wilde, bezeichneten .... Sogar die sanftmütigen Laoten suchten die ethnischen Gegensätze ihres kleinen Mekong-Staates zu überwinden, indem sie die fremdrassigen Meo, Yao oder Kha kurzerhand zu »Lao Theung«, Laoten der Berghänge, deklariertenähnlich wie Atatürk im femen Anatolien aus seinen kurdischen Untertanen »Bergtürken« gemacht hatte. Die entscheidende Differenz besteht allerdings darin, daß sich der Superioritätskomplex der Han auf die ganze übrige Menschheit erstreckt und sie zu potentiellen Vasallen ihrer riesigen Einzigartigkeit herabstuft.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 328-329Scholl-Latour).

„Das törichte Gerede von der »gelben Gefahr« hat vor allem in USA neue Aktualität gewonnen. Wie sähe sie wohl aus, die chinesische Weltherrschaft, die manche Phantasten bereits an die Wand malen? Eine »Pax Sinica« würde vermutlich kaum länger dauern als die »Pax Americana«, die gerade zu Ende geht. Sie böte auch keinerlei Gewähr dafür, daß sich unter ihrer Ägide eine harmonische Konvivialität und eine für alle ersprießliche Zukunft einstellen würde. Aber hüten wir uns vor den Schimären des verstorbenen Kaisers Wilhelm II. (gemeint ist dessen »Hunnerede«; HB).“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 329Scholl-Latour).

NACH OBEN Imperiale Nostalgie?

„Für politische Informationsgespräche in Peking blieb nicht viel Zeit nach den Umbuchungen, die ich vorgenommen hatte. Ich tröstete mich damit, daß ich jenseits der üblichen Freundschaftsbeteuerungen über den Rüstungsstand der Volksbefreiungsarmee ohnehin nichts Relevantes erfahren hätte. Die in Peking akkreditierten Verteidigungs-Attaches des Westens werden systematisch von jeder realistischen Einschätzung abgeschirmt oder ganz gezielt mit falschen Angaben gefüttert.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 329Scholl-Latour).

„Ich bat das Hotelpersonal, die Telefonnummer eines alten Kollegen aus der Zeit des us-amerikanischen Vietnamkrieges ausfindig zu machen, eines englischen »Schlachtrosses«, dessen profunde Kenntnis des Femen Ostens mich stets beeindruckt hatte. Seine Heirat mit einer Singapur-Chinesin hatte ihm auch einen Zugang zur chinesischen Mentalität verschafft, die den meisten Ausländern verschlossen ist.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 329-330Scholl-Latour).

„Nach Erreichen der beruflichen Altersgrenze war Derrick Turner als Freelancer in Peking geblieben. Der joviale, immer noch robuste Engländer stand im Ruf, für den britischen Auslandsdienst MI6 eine wertvolle Nachrichtenquelle zu sein. Nach längerem Suchen entdecke ich sein diskretes Büro in einem der monströsen Hochhäuser, deren Spitze in der gelben Dunstglocke der Hauptstand verschwindet. Nichts verbindet so sehr wie gemeinsame Erlebnisse auf exotischen Schlachtfeldern. Wir sind beide gealtert, aber die Herzlichkeit ist schnell wiederhergestellt. Derrick gehört zu jener Kategorie von »gentlemen adventurers«, die heute kaum noch anzutreffen ist und für die nachwachsende Generation so fremd bleibt wie Kiplings »Der Mann, der König sein wollte«. Seine chinesische Ehefrau Suey serviert uns lächelnd und diskret den Tee und verzieht sich dann in ihre Wohngemächer. »Es ist seltsam«, bemerkt Derrick, »daß ich eine ganze Reihe von Europäern und Amerikanern getroffen habe, die mit Töchtern der Han-Rasse verheiratet und im allgemeinen damit recht gut gefahren sind. Hingegen sind mir kaum chinesische Männer bekannt, die eine Weiße geehelicht haben.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 330Scholl-Latour).

„Nichts verbindet so sehr wie gemeinsame Erlebnisse auf exotischen Schlachtfeldern. Wir sind beide gealtert, aber die Herzlichkeit ist schnell wiederhergestellt. Derrick gehört zu jener Kategorie von »gentlemen adventurers«, die heute kaum noch anzutreffen ist und für die nachwachsende Generation so fremd bleibt wie Kiplings »Der Mann, der König sein wollte«. Seine chinesische Ehefrau Suey serviert uns lächelnd und diskret den Tee und verzieht sich dann in ihre Wohngemächer. »Es ist seltsam«, bemerkt Derrick, »daß ich eine ganze Reihe von Europäern und Amerikanern getroffen habe, die mit Töchtern der Han-Rasse verheiratet und im allgemeinen damit recht gut gefahren sind. Hingegen sind mir kaum chinesische Männer bekannt, die eine Weiße geehelicht haben.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 331Scholl-Latour).

„Wir erwähnen beiläufig die rassischen Vorurteile, die bei den »Himmelssöhnen« mindestens so weit verbreitet sind wie im Westen. Während ich mich in dicht gedrängten asiatischen Massen niemals durch Körpergeruch belästigt fühle, nehmen die Chinesen bei den Weißen spezielle Ausdünstungen wahr. Derricks Frau Suey hatte im Scherz erwähnt, daß ihr Mann ähnlich rieche wie ihr heißgeliebter Hund Dragon, bei dem man stets auf der Hut sein müsse, daß er nicht als Leckerbissen in einem chinesischen Kochtopf enden werde. Für andere Töchter der Han-Rasse, so hatte ich erfahren, schmecke der Weiße irgendwie nach Milch oder Butter.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 331Scholl-Latour).

„Nachdem Suey die Teekanne durch eine Whiskyflasche ersetzt hat - glücklicherweise verzichtet Derrick auf Gin and Tonic, das Standardgetränk englischer Journalisten, das sie in riesigen Gläsern in sich hineinzuschütten pflegen -, kommen wir zur Sache. »Sehr nützlich kann ich dir mit meinen Kenntnissen über die chinesischen Rüstungsfortschritte nicht sein«, gesteht der englische Kollege. »Aus reiner Freundlichkeit bin ich vor ein paar Wochen zu einem großen Manöver eingeladen worden, bei dem ansonsten nur die Militärattaches der diversen Botschaften zugelassen waren. Die Volksbefreiungsarmee hat uns bei dieser Gelegenheit mit aller Deutlichkeit zu spüren gegeben, daß sie sich nicht in die Karten schauen läßt. Die donnernden Übungen, die uns dort mit fingierten Panzerschlachten und Artillerieduellen vorgeführt wurden, waren so altertümlich und konventionell, als gelte es, noch einmal die Armee Tschiang Kaischeks und seiner Kuomintang zu besiegen. Von irgendeiner Anpassung an den ›asymmetric war‹ der Gegenwart war jedenfalls keine Spur zu entdecken.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 331-332Scholl-Latour).

„Hingegen ist dem englischen Kollegen von us-amerikanischer Seite eine Studie zugespielt worden, die vor einem dramatischen Machtverfall der USA warnt, falls es dem Pentagon nicht gelänge, im Verbund mit den Streitkräften der Indischen Union ein Gegengewicht zu den Ambitionen Chinas herzustellen. Nun neigen die us-amerikanischen Chiefs-of-Staff seit langem dazu, das zunehmende militärische Gewicht Pekings ins Gigantische zu steigern, um für den eigenen maßlosen Kreditbedarf die Zustimmung des US-Kongresses zu erlangen. Derrick erscheint der vorliegende Situationsbericht dennoch interessant, weil er das strategische Schwergewicht vom Atlantik und sogar vom Pazifik weg auf die Fluten des Indischen Ozeans verlagert.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 332Scholl-Latour).

„Das Dokument »Marine Corps Vision and Strategy 2025« betont diese Umschichtung mit Nachdruck. Natürlich wird in diesem Zusammenhang auf jene gewaltige Armada verwiesen, die im vierzehnten Jahrhundert zur Zeit der Ming- Dynastie mit ihren riesigen Dschunken alle verfügbaren Flotten jener Zeit bei weitem überragte. Unter dem Befehl des Eunuchen-Admirals Zheng He übte sie die absolute Seeherrschaft zwischen China und Indonesien, Sri Lanka und dem Persischen Golfbis hin zur Ostküste Afrikas aus. Die Vormachtstellung, über die die USA auf sämtlichen Ozeanen noch verfügten, sei zeitlich ebenso begrenzt wie die Allmacht der britischen Royal Navy, die heute eine geringere Feuerkraft aufzubieten habe als die französische Marine Nationale. Die Zahl der us-amerikanischen Kriegsschiffe sei seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von 1600 auf etwa 300 geschrumpft. Dem stehe eine rasante Vermehrung der chinesischen Flotte gegenüber.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 332Scholl-Latour).

„Die Lobbyisten des militärisch-industriellen Komplexes in Washington würden zweifellos weit übertreiben, so meint Derrick, wenn sie der Volksrepublik China binnen einer Dekade eine erdrückende maritime Überlegenheit zutrauen. Vor allem der Erwerb von U-Booten übertreffe jedoch das entsprechende us-amerikanische Potential um das Fünffache. Dazu geselle sich eine formidable Entwicklung neuwertiger Seeminen, perfektionierter Trägerwaffen und vor allem einer ausgefeilten Computertechnologie, die auf die Lähmung der us-amerikanischen Kommandosysteme im Falle eines gigantischen Cyber War hinziele.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 332Scholl-Latour).

„Diese Kassandra-Rufe werden relativiert durch die Tatsache, daß die chinesische Admiralität noch über keinen einzigen Flugzeugträger verfügt. Doch die Seeschlachten der Zukunft, so vermutet der Militärexperte Martin van Crefeld, werden nicht mehr, wie im 2. Weltkrieg, durch die stählernen Ungeheuer der Air Force Carrier entschieden. Die Gefährdung der Flugzeugträger durch die Entwicklung geräuschloser U- Boote dürfte deren Bedeutung drastisch reduzieren, und der Vergleich mit den britischen Super-Schlachtschiffen des Ersten Weltkrieges, den »Dreadnoughts«, die zu keinem sinnvollen Einsatz gelangten, sei angebracht.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 332Scholl-Latour).

„Überschätzt Washington nicht die Bereitschaft Indiens, in die Bresche zu springen, die Delhi durch den Zustand US-Amerikas als »slowly declining hegemon« zugewiesen wird? Kann Indien ein neues militärisches Schwergewicht bilden in einer »post-us-american world«? Die forschen Aussagen des indischen Planers Raja Mohan aus dem Jahr 2006 klingen recht anmaßend, wenn er vorgibt: »Indien hat niemals auf eine us-amerikanische Erlaubnis gewartet, wenn es galt, ein Gegengewicht zu China zu bilden.« “ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 332-333Scholl-Latour).

„Derrick Turner ist vor einer Landkarte Asiens stehengeblieben, die eine ganze Wand seines Büros ausfüllt. Er äußert sich als erfahrener Beobachter, wenn er von den allzu theoretischen Spekulationen der Militärakademien auf seine persönliche, frontnahe Erfahrung zurückgreift.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 333Scholl-Latour).

„»Ist dir eigendich aufgefallen, daß seit dem Triumph der Alliierten über Deutschland und Japan kein einziger Krieg mehr nachhaltig gewonnen wurde?«  doziert er. »Nirgendwo, nicht einmal in den belanglosen Scharmützeln von Somalia, beim gescheiterten Blue-Strike-Unternehmen im Iran, bei der dilettantischen Landung in Suez im Jahr 1956, beim Einsatz der ›Contras‹ in Nicaragua - von dem Debakel Kennedys in der kubanischen Schweinebucht ganz abgesehen - ist es den beiden Supermächten und ihren Trabanten gelungen, einen dauerhaften militärischen Erfolg an ihre Fahnen zu heften. Selbst die Israeli stolpern seit dem fatalen Rückschlag des Yom-Kippur-Krieges von einer Fehlentscheidung zur anderen.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 333Scholl-Latour).

„Im Bodenkampf, so kommen wir überein, habe sich im Südlibanon, im Irak, in Afghanistan längst bestätigt, daß die konventionelle Kriegführung der NATO-Stäbe, aber auch Rußlands und Israels, mit der Abnutzungsstrategie, die den Kern des »asymmetrischen Krieges« bildet, nicht zurechtkommt. Die ungeheuerliche Durchschlagskraft neuer Monsterbomben, inklusive der »bunker buster«, hat sich sowohl im Hindukusch als auch im levantinischen Küstengebiet als untauglich erwiesen, die El-Qaida- Truppe Osama bin Ladens oder die Hizbollah des Scheikh Nasrallah in irgendeiner Weise zu zermalmen.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 333-334Scholl-Latour).

„Der klarsichtige Professor van Crefeld ... zitiert den Nordvietnamesen Truong Chinh als Kronzeugen einer erfolgreichen Guerrilla. Bei diesem Gefahrten Ho Tschi Minhs heißt es: »Das Leitprinzip der Strategie unseres gesamten Widerstands muß es sein, den Krieg in die Länge zu ziehen. Den Krieg zu verlängern ist der Schlüssel zum Sieg. Warum muß der Krieg verlängert werden? Weil es offensichtlich ist, wenn wir unsere Kräfte mit denen des Feindes vergleichen, daß der Feind noch stark ist und wir noch schwach sind. Wenn wir unsere ganzen Truppen in wenige Schlachten werfen und versuchen, die Entscheidung zu erzwingen, dann werden wir mit Sicherheit geschlagen werden, und der Feind wird siegen. Wenn wir auf der anderen Seite unsere Kräfte bewahren, sie ausweiten, unsere Armee und das Volk ausbilden, militärische Taktiken lernen und gleichzeitig die feindlichen Kräfte zermürben, dann werden wir sie so sehr demoralisieren und entmutigen, daß sie, so stark sie auch sein mögen, schwach werden und die Niederlage sie erwartet, nicht der Sieg.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 334Scholl-Latour).

„Ähnlich hatte sich Henry Kissinger geäußert, von dem man erhofft hätte, daß er den zunehmend sinnlosen Einsatz der NATO in Afghanistan mit Kritik überzöge: »Die Ordnungskräfte«, so argumentierte der ehemalige Außenminister Richard Nixons, »die Ordnungskräfte verlieren, weil sie nicht gewinnen. Rebellen hingegen gewinnen dadurch, daß sie nicht verlieren. Das trifftweitgehend zu, ob die Täter nun Weiße oder Schwarze sind, traditionalistisch oder modern, kapitalistisch oder sozialistisch und so weiter. Es gilt auch unabhängig davon, ob es sich um gottesfürchtige Amerikaner oder um atheistische Kommunisten handelt.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 334Scholl-Latour).

„Mein Freund Turner hält plötzlich inne. Er hat sich zu einer Mitteilsamkeit hinreißen lassen, die für ihn ganz ungewohnt ist. »Der Arzt hat mir mit Rücksicht auf den hohen Blutdruck von Whisky dringend abgeraten, und jetzt erlebst du meine Geschwätzigkeit. Aber mit wem soll ich mich denn noch aussprechen? Etwa mit unseren Militärexperten, die krampfuaft versuchen, auf den Niedergang unseres Empire mit der ihnen anerzogenen ›stiff upper lip‹ zu reagieren? Oder mit einer Crew jüngerer Fernost-Reporter, die sich auf Geheiß ihrer Chefredakteure am allgemeinen ›Chinabashing‹ beteiligen?«“  (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 334-335Scholl-Latour).

„Es sei doch ein schändlicher Witz, daß an einer Schlüsselstellung internationaler Seefahrt, im Golf von Aden, vom Bab-el-Mandeb bis zum Archipel der Komoren eine lächerliche Fischereiflotte somalischer Hungerleider mit ihren brüchigen Schlauchbooten allein im Jahr 2008 annähernd 100 Handelsschiffe und Tanker attackiert und 35 von ihnen ohne nennenswerte Gegenwehr mit ein paar Kalaschnikovs gekapert hätten. Inzwischen hat sich eine internationale Streitmacht ungewöhnlichen Ausmaßes, darunter auch zwei chinesische Fregatten, dort eingefunden, und eines Tages werde es dieser Koalition wohl gelingen, dem Spuk dieser primitiven Korsarenmannschaft ein Ende zu bereiten. Aber welcher Blamage habe der Westen sich dort ausgesetzt!“  (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 335Scholl-Latour).

„Am Beispiel der somalischen Freibeuter lasse sich ermessen, welche Katastrophe über die US Navy hereinbrechen könnte, wenn das Pentagon sich zu einem Militärschlag gegen die Islamische Republik Iran aufraffen würde. Die perfektionierten, mit Sprengstoff gefüllten Schnellboote der Revolutionswächter, der Pasdaran, die nur darauf warten, als Märtyrer, als »Schuhada«, in die Gärten Allahs einzugehen, würden in der schmalen Fahrrinne von Hormuz die weitaus wichtigste Erdölversorgung des Westens zum Erliegen bringen, ganz zu schweigen von dem Raketenhagel, der über den Petroleumfeldern und Raffinerien Kuwaits, Saudi-Arabiens und der Emirate niedergehen würde. Ob es wirklich so weit kommen wird, wie es der us-amerikanische Kommentator Robert D. Kaplan beschreibt: »Zum ersten Mal seit dem Eindringen der Portugiesen in den Indischen Ozean im frühen sechzehntenjahrhundert befindet sich hier die Macht des Westens in einem Zustand des Niedergangs.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 335-336Scholl-Latour).

„In Zukunft werden die Inder und die Chinesen in diesen Gewässern ihre dynamische Großmacht-Rivalität austragen.« “ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 336Scholl-Latour).

„Mein englischer Gefährte hat das neu gefüllte Glas erhoben. »Ich bin kein törichter Nostalgikervon Empire-Größe«, meint er, »und neige nicht dazu, historische Tränen zu vergießen. Aber ich muß dir gestehen, daß mich jedes Mal auf dem Höhepunkt des Londoner ›Concert of the Proms‹ Wehmut überkommt, wenn die Hymne angestimmt wird: ›Rule Britannia, Britannia rule the waves‹.«“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 336Scholl-Latour).

„Suey hat unserem Austausch sehr aufmerksam zugehört. Sie streicht sich eine graue Strähne aus der Stirn und lächelt uns zu. »Ich bin ja froh, daß ihr wenigstens darauf verzichtet habt, eure Erlebnisse aus dem Vietnamkrieg wieder aufzuwärmen.« Liebevoll beugt sie sich über Derrick, dessen Gesicht unter der Einwirkung des Whiskys tatsächlich die Farbe eines »red lobster« angenommen hat. - »Do not listen to him«, scherzt Suey, »he is a silly old man.« »So am I«, füge ich hinzu und umarme sie freundschaftlich.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 336Scholl-Latour).

NACH OBEN

WWW.HUBERT-BRUNE.DE

Anmerkungen:

 

NACH OBEN

WWW.HUBERT-BRUNE.DE