Die
Ausgabe 4/2008 von Literaturen, dem »Journal für Bücher und Themen«
(eine Art deutscher Abklatsch des legendären französischen Magazine
littéraire), erschien mit seinem Kopfbild auf dem Umschlag, dazu die
Titelzeile »Nazi-Jurist und Terror-Denker: Carl Schmitt. Eine deutsche Karriere«.
Die »deutsche Karriere« soll natürlich an Hitler gemahnen, der
Rest der Ausrichtung des lesenden Publikums dienen, das man vorbereitet wissen
möchte auf den »Geist« respektive »Ungeist« des »katholischen
Nihilisten« und »Rechtsdenker des Führerstaats«, dessen
Grundauffassungen »Politische Theologie« und ein »starres Freund-Feind-Schema«
bestimmt haben sollen.Man kann der redaktionellen Einleitung entnehmen,
daß die Verantwortlichen von Literaturen keine Ahnung haben, jedenfalls
keine Ahnung von Carl Schmitt. Der Eindruck verbessert sich nur unwesentlich,
wenn man die Beiträge zum Thema genauer durchmustert, etwa die Rezension
Friedrich Balkes über den Briefwechsel zwischen Schmitt und Ernst Forsthoff,
die dessen Kern systematisch verfehlt, oder die Auslassungen Micha Brumliks, der,
erfreut über den gelungenen Nachweis von »Rassismus«, seine Unkenntnis
in der Sache kaum als gravierend empfindet (nicht Schmitt hat den Reichsparteitag
von 1935 als »Reichsparteitag der Freiheit« »gefeiert«,
es handelte sich um die offizielle Bezeichnung; selbstverständlich wird die
»Neue Rechte« nicht bestreiten, daß Schmitt auch die Vernichtung
des »gerechten Feindes« für legitim gehalten hat).Da
den Anlaß für Brumliks Ausführungen eine wohlwollende Besprechung
von Christian Lindners Der Bahnhof von Finnentrop (Eine Reise ins Carl-Schmitt-Land,
2008) bot, neigt man zu Mißtrauen gegenüber der Leseempfehlung, wird
allerdings angenehm überrascht, wenn man diese »Großreportage«
zur Hand nimmt. Es handelt sich nicht um eine Biographie, eher um eine Verknüpfung
von Lebenslauf und geistiger Entwicklung Schmitts mit Reflexionen, Impressionen
und Assoziationen des Autors. Das bietet zwar im Hinblick auf die Kenntnis Schmitts
und die Deutung seines Werkes nicht viel Neues, ist aber manchmal überraschend
und immer kurzweilig zu lesen und wirkt erhellend vor allem im Hinblick auf zwei
Punkte: die Verankerung Schmitts im Sauerland der Bahnhof von Finnentrop
lag an der Rhein-Ruhr-Strecke und mußte angefahren werden, wenn man Plettenberg
per Zug ansteuerte und die Funktion der Judenfeindschaft im Denken Schmitts.
Daß der eine über die Kollaboration mit dem NS-Regime hinausreichende
Bedeutung zukam, ist nicht zu bestreiten. Allerdings macht Lindner auch deutlich,
wie wenig man es mit dem landläufigen oder dem hochideologischen Antisemitismus
zu tun hat, und wie sehr mit Schmitts ganz persönlicher Politischer Theologie,
die ihre widerwärtigen Züge hatte, aber doch nicht reduziert werden
kann auf das Weltbild eines »Täters«, nicht einmal eines »Schreibtischtäters«.Lindners
Bereitschaft zur Differenzierung unterscheidet sein Buch deutlich von demjenigen
Jan Werner Müllers Ein gefährlicher Geist (2007), dessen Autor
sich nichts weniger als »Carl Schmitts Wirkung in Europa« vorgenommen
hat, aber an diesem großen übergroßen Thema scheitert
und lediglich einen, fallweise nicht nur lückenhaften, sondern auch irreführenden,
Abriß bietet. Es handelt sich erkennbar um jene Art von Konjunkturliteratur,
die dem neuen Interesse an Schmitt dadurch begegnen will, daß sie in ermüdender
Weise auf dessen politisches Belastetsein verweist und wie ein Mantra »gefährlich«
»gefährlich« »gefährlich« wiederholt.
Im Vorwort zu Müllers Buch weist Michael Stolleis denn auch darauf hin, daß
man es nicht nur mit dem Schmittismus von Linken und Rechten am Rande der Szenerie
zu tun habe, sondern neuerdings mit den »Vordenkern des übergesetzlichen
Notstands in den Szenarien des Terrorismus«, die offen oder verdeckt auf
Schmitt rekurrierten und so die »Prinzipien der pluralistischen Demokratie«
und den »Universalismus der Menschenrechte« in Frage stellten.»Pluralismus«
ist ein Stichwort, das im Zusammenhang mit dem Denken Schmitts unbedingt erwähnt
werden muß, und es verwundert, daß sich bisher niemand gründlich
mit der Bedeutung dieses Begriffs im Werk Schmitts auseinandergesetzt hat. Das
hat es allerdings erleichtert, die bereits 1989 vorgelegte Dissertation Thor von
Waldsteins Der Beutewert des Staates (Carl Schmitt und der Pluralismus,
2008) jetzt endlich in einer Buchausgabe vorzulegen. Man wird nicht zuviel sagen,
wenn man es zu den bedeutendsten Arbeiten über Schmitt der letzten Jahre
rechnet. Dabei hat sich Waldstein nicht damit begnügt, die Auseinandersetzung
Schmitts mit der Theorie des Pluralismus beziehungsweise dessen Protagonisten
Harold J. Laski nachzuzeichnen, sondern auch erklärt, warum Schmitt dieses
Thema in den zwanziger Jahren mehrfach aufgriff, ohne daß dazu ein akuter
Anlaß bestand. Schmitt witterte hinter der Propaganda für den Pluralismus
den Versuch, die Reste von Staatlichkeit im Namen von Selbstbestimmung und Freiheit
zu zerstören. Damit würden die »indirekten Gewalten« endgültig
die Macht übernehmen und den »Leviathan« zerlegen, was nicht
nur aus prinzipiellen Gründen zu verwerfen sei, sondern vor allem angesichts
der konkreten Lage des besiegten Deutschlands verhindert werden mußte.Gerade
weil Waldstein die Überlegungen Schmitts an die politische Situation bindet,
in der sie entstanden, gewinnt er einen souveränen Standpunkt im Hinblick
auf die Frage nach Schmitts politischer Brauchbarkeit heute. Bemerkenswert ist
dabei die Nüchternheit des Urteils, das von prinzipieller Verdammung und
Häme genauso weit entfernt ist wie von Apologie und kritikloser Bewunderung.
In seinem Schlußwort weist Waldstein auf das wirklich Bleibende an Schmitt
hin, wenn er schreibt: »Als Vademecum zur Entwicklung bündiger Politikkonzepte
taugen Schmitts Schriften ohnehin kaum. Wer politische Programme schreiben will,
braucht Carl Schmitt nicht. Vielleicht sind es aber gerade seine Fragen und nicht
seine Antworten, die den eigentlichen Wert seiner Bücher und Aufsätze
ausmachen.« (Ebd., August 2008). |