Kinder
kriegen die Leute immer. Irrtümer, Fehlprognosen, Mutlosigkeit: Vor
50 Jahren wurden die Weichen für die umlagefinanzierte dynamische
Rente gelegt (von Michael Paulwitz) Es war die wohl folgenreichste
Sozialreform der Bundesrepublik Deutschland: Vor fünfzig Jahren, am 21. Januar
1957, beschloß der Deutsche Bundestag die Einführung der dynamischen
Rente. Das Wirtschaftswunder bekam sein Rentenwunder: Über Nacht stieg das
Niveau der Altersversorgung um etwa zwei Drittel. Irrtümer, Fehlprognosen
und mangelnder Mut zur Konsequenz standen bei dieser Reform schon an der Wiege.
Eine Korrektur ist bis heute nicht gelungen. Im Wirtschaftwunderland herrschte
Altersarmut Nach zwei verlorenen Kriegen und den damit einhergehenden Geldentwertungen
und Währungsreformen war die Bismarcksche Alters- und Invaliditätsversicherung
von 1880 ruiniert. Der Kapitalstock der Rentenkassen war durch Inflation und Mißbrauch
ebenso vernichtet wie die privaten Ersparnisse breiter Bevölkerungskreise.
Die Rentenzahlungen waren karg und weitgehend steuerfinanziert, eigene Rücklagen
hatten die wenigsten. Dem "Wirtschaftswunder" zum Trotz herrschte in
Deutschland Altersarmut. Das hatte die kapitalgedeckte Rente in Mißkredit
gebracht. Einen raschen Ausweg versprach die von Adenauer durchgesetzte Umstellung
auf die Umlagefinanzierung. Künftig sollten also die Beitragseinnahmen sofort
an die gegenwärtigen Rentner ausgezahlt werden. Die Beitragszahler füllen
nicht mehr ihr persönliches Rentenkonto, sondern erwerben Ansprüche
an die Solidarität künftiger Generationen von Beitragszahlern. Zudem
wurden die Renten "dynamisch" an die Bruttolohnentwicklung angekoppelt,
um die Rentenansprüche gegen Geldwertschwankungen abzusichern. Die
Reform war in mehrfacher Hinsicht revolutionär. Nicht nur, weil das Finanzierungssystem
radikal umgestellt wurde. Die Rente sollte darüber hinaus von der Fürsorgeleistung
zum Alterseinkommen, zum faktischen "Lohnersatz" werden und damit im
Charakter den Beamtenruhegehältern angenähert werden. Pensionen für
alle - damit gewann Adenauer die Bundestagswahl 1957, und mit wahltaktischen Argumenten
hatte er auch alle Widerstände im Kabinett niedergebügelt. Im regierungsinternen
"Rentenkrieg" rebellierten gegen den Kanzler sowohl Finanzminister Fritz
Schäffer, der die Renten weiter an der Bedürftigkeit ausrichten wollte,
als auch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der das ganze System für nicht
zukunftsfähig hielt. In der Tat beruht die Umlagefinanzierung auf drei
optimistischen Annahmen: daß die Wirtschaft stetig weiterwächst, daß
faktisch Vollbeschäftigung herrscht und daß schließlich jede
Generation genügend Kinder zeugt, um sich zu reproduzieren und so den Generationenvertrag
zu erfüllen. Stottert einer dieser Motoren, wird es eng. Die umlagefinanzierte
Rente in Bausch und Bogen als "Schönwettersystem" abzutun, greift
dennoch zu kurz. Die demographischen Risiken des Systems waren den Architekten
der Reform nämlich bewußt - es waren die Politiker, die, den schnellen
Erfolg im Auge, entscheidende Elemente einfach weggelassen hatten. Adenauers Reform
beruhte auf einem Modell, das der Geschäftsführer des Bundes Katholischer
Unternehmer Wilfrid Schreiber im Jahr 1954 entworfen hatte und das staatliche
Zuschüsse, versicherungsfremde Leistungen und Frühverrentungen kategorisch
ausschloß. Etwaigen Rentenverschlech-terungen würde durch die ständig
steigende Produktivität entgegengewirkt. Das funktioniert nur, wenn
das Generationenverhältnis ausgewogen bleibt. Deshalb geht Schreibers "Generationenvertrag"
von einem Drei-Generationen-Modell aus: "Wer kinderlos oder kinderarm ins
Rentenalter geht und (...) für gleiche Beitragsleistungen gleiche Rente verlangt
und erhält, zehrt im Grunde parasitär an der Mehrleistung der Kinderreichen,
die seine Minderleistung kompensiert haben." Damit begründete Schreiber
eine nach Familienstand gestaffelte zusätzliche "Kindheits- und Jugendrente"
als "bewußtes Element der Bevölkerungspolitik", das über
35jährigen Kinderlosen doppelte Beitragsquoten auferlegte. Derlei Unpopuläres
ließ Adenauer lieber weg, das ihm zugeschriebene "Kinder kriegen die
Leute immer" verdient unter den geflügelten Irrtümern deutscher
Sozialpolitik einen Platz neben Norbert Blüms "Die Rente ist sicher". Ebenso
gestrichen wurden die schon von Schreiber vorgesehene Anhebung des Renteneintrittsalters
um zwei Jahre, um den von 1965 an erwarteten Anstieg der Lebenserwartung aufzufangen,
und die Ermunterung zur privaten Vorsorge. Erst nach einem halben Jahrhundert
rückt ein zaghaftes Nachholen dieser Schritte näher. Den logischen Zusammenhang
von Renten- und Bevölkerungspolitik ignorieren die Nachfolger Adenauers bis
heute und halten trotz einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
an der Umverteilung zu Lasten der Familien fest. Erfolglose Bewältigung
des demographischen Wandels Mit Eifer hat die Politik in den letzten fünfzig
Jahren fast alles falsch gemacht, was schon die Erfinder der dynamischen Rente
als falsch erkannt hatten - vom Aufblähen versicherungsfremder Leistungen
als Wählergeschenke auf Kosten der Rentenkassen bis zur Frühverrentungspolitik
der Siebziger und Achtziger, die den Arbeitsmarkt exakt entgegen den Notwendigkeiten
steuerte. "Sicher" ist die gesetzliche Rente in dem Sinne, daß
immer etwas verteilt werden wird. Ein Umlagesystem kann nicht pleite gehen, aber
es kann seine Legitimation verlieren: wenn nämlich der Durchschnittseinzahler
trotz jahrzehntelanger Beitragsleistung gerade mal eine Grundsicherung in der
Nähe der Sozialhilfesätze erwarten kann. Selbst Minusrenditen gehören
zum Umlagesystem, wenn denn die Säulen schrumpfen, auf denen es ruht - Wachstum,
Arbeitsmarkt, Demographie. Seit der Wende werkeln die Sozialpolitiker mit
Nettolohnkoppelung und "Nachhaltigkeitsfaktor" erfolglos an der Bewältigung
des demographischen Wandels. Die Beiträge steigen, das Rentenniveau sinkt,
der Zuschuß aus Steuermitteln zur Deckung der versicherungsfremden Leistungen
stieg auf achtzig Milliarden Euro - ein Drittel des Volumens. Ein Kurswechsel,
sei es die auch nur teilweise Rückkehr zur Kapitaldeckung oder wenigstens
eine konsequente Neuausrichtung des Umlagesystems am ursprünglichen Konzept,
ist nicht in Sicht. Kaum verwunderlich, daß in Berlin an diesem Jahrestag
keiner feierte. Junge
Freiheit vom 26. Januar 2007
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