Menschenproduktion. Allgemeine
Bevölkerungstheorie der Neuzeit (1979) ** | Ko-Autoren:
Rolf Knieper und Otto Steiger |
Menschen,
die zu ihrer Existenzsicherung keinen Nachwuchs benötigen, können kinderlos
bleiben, wenn ihnen Verfahren zu seiner Vermeidung zugänglich sind.Die
Geheimgeschichte der neuzeitlichen Ökonomien Merkantilismus, Kapitalismus
und »real existierender Sozialismus« verbirgt sich gerade in der Fähigkeit,
für eine nicht mehr familienwirtschaftlich organisierte Ökonomie dennoch
Menschen durch Fortpflanzung in der Familie als Arbeitskräfte bereitzustellen.
Diese Fähigkeit erweist sich als die gewaltsame, »polizey-staatliche
Menschenproduktion«. Ihr Erfolg beruht auf der Auslöschung
des Nachwuchsverhütungswissens durch millionenfache Tötung seiner Trägerinnen,
die als »Hebammen-Hexen« zwischen dem 15. und dem Ende des 18. Jahrhunderts
vernichtet wurden. Nach Abschluß dieser Massaker wurde der Glaube an einen
natürlichen Kindeswunsch« allgemein. Er beherrscht seitdem die wissenschaftliche
Analyse ungleich stärker als die einzelnen Frauen und Männer. Von nun
an konnte eine hinreichende Erklärung für die Gattungsreproduktion und
damit die gesellschaftliche Reproduktion insgesamt nicht mehr gegeben werden.Das
vorliegende Buch schreibt deshalb die Geschichte der Moderne insofern neu und
unterzieht die hierbei bedeutsamen Gesellschaftstheorien - merkantilistische und
klassische Nationalökonomie, Marxismus sowie die verschiedenen Konzepte der
modernen Bevölkerungswissenschaft - der Kritik. (Ebd., Klappentext). |
A) VorredeMenschen,
die zu ihrer Existenzsicherung keinen Nachwuchs benötigen, können kinderlos
bleiben, wenn ihnen Verfahren zur Nachwuchsvermeidung zur Verfügung stehen.
Sind ihnen diese Möglichkeiten verstellt, so birgt die ungewollte Fortpflanzung
die Gefahr der Kindesvernachlässigung. Selbst wenn Rentabilitätserwägungen
hinter der Sehnsucht nach Kindern zurückstehen, diese also jenseits ökonomischer
Zwecke gewünscht und zuwendungsreich erzogen werden, können die Eltern
ihnen keine Zukunft versprechen, sondern müssen sie in die ungewisse Konkurrenz
der Arbeitsmärkte stoßen. (Ebd., S. 11).Kindesvernachlässigung
und rascher Geburtenrückgnag in den gegenwärtigen Industriegesellschaften
bildeten den unmittelbaren Anlaß für ausführliche Analysen, deren
Resultat in den oben formulierten Sätzen zusammengefaßt werden kann.
(Vgl. u.a.: Gunnar Heinsohn / Rolf Knieper, Theorie des Familienrechts,
1974; dies., Theorie des Kindergartens und der Spielpädagogik, 1975).
Versuche, sie zu relativieren, d.h. sie nur für den industriellen Kapitalismus
anzuerkennen oder sie gar grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, haben uns zu
einer historischen und theoriegeschichtlichen Untersuchung bewogen, in deren Ergebnis
sie als zentraler Bestandteil allgemeingültiger Aussagen über das generative
Verhalten des Homo sapiens ihre Tauglichkeit unter Beweis stellen: Alle
Maßnahmen und überlegungen gegen Kindesverwahrlosung und sinkende Geburtenzahlen
blieben bisher hilfslos, wenn ein existentieller Zusammenhang zwischen den Generationen
fehlte. (Ebd., S. 11).Wir wollen zeigen,
daß Fortpflanzung und Aufzucht stets von wirtschaftlichem Kalkül getragen
sind. Wo sich der Einzelne über persönliches oder genossenschaftliches
Eigentum und dessen Vererbbarkeit erhält, stellt das individuelle Kalkül
Fortpflanzung und Aufzucht sicher. Wo dieser Zusammenhang zerbricht und der Einzelne
entweder als fremder Gewalt Unterworfener oder als freier Lohnarbeiter seine Existenz
findet, tritt an die Stelle der individuellen Fortpflanzungsüberlegung in
der Menschheitsgeschichte mehrfach die Anwendung von Bevölkerungspolitik.
Wo Fortpflanzung und Aufzucht nicht im individuellen Interesse liegen, wird versucht,
mit sanktionsbewehrten Gesetzen diese Interessen zu brechen, d.h. zur Fortpflanzung
und Aufzucht zu nötigen. Wenn Strafen unterlaufen werden können oder
die Qualität des unfreiwillig erzeugten Nachwuchses leidet, werden finanzielle
Anreize für die Fortpflanzung gesetzt, also wiederum die individuellen Einkommensinteressen
in deren Dienst gestellt. Im modernen Industriekapitalismus hat durchweg der Staat
Maßnahmen ergriffen, um das Nachwachsen eigentumsloser Arbeitskräfte
zu gewährleisten. Er hat dadurch eine nicht zu Unrecht als Bevölkerungsexplosion
bezeichnete Menschenvermehrung bewirkt. Dennoch zeigen die Verlangsamung dieses
Wachstums und seine schließliche Umkehrung - zuerst in den deutschsprachigen
Ländern Europas -, daß diese Mittel stumpf geworden sind. (Ebd.,
S. 11-12).Unsere These von der Herrschaft
des wirtschaftlichen Kalküls bei der Fortpflanzung besagt, daß die
Aufzucht von Kindern nicht einem natürlichen Drang folgt, sondern immer eine
soziale Entscheidung erfordert, gleichgültig, ob sie dem Interesse des Einzelnen
entspricht oder ob sie ihm durch das jeweils in der Gesellschaft dominierende
Interesse aufgeherrscht wird. Damit bestreiten wir das das Auftreten eines Wunsches
nach Kindern nicht, wohl aber, daß er naturgegeben ist. Wir wenden uns gegen
das Bewußtsein von der »natürlichen Vermehrung«, das überall
in der Welt zentraler Bestandteil bevölkerungswissenschaftlicher Gewißheit
geworden ist: Es gibt keine natürliche Vermehrung des Menschen. (Ebd.,
S. 12).Nun bleibt die Intensität eines Wunsches nach Kindern
davon unberührt, ob er angeboren ist oder erworben wurde. Für die Annahme
seiner überhistorischen Dauerhaftigkeit kommt es jedoch gerade auf diesen
Unterschied an. Untersuchungen zum Schwangerschafts- und Gebärverhalten belegen,
daß es die Ablehnung von Kindern ebenso gibt wie den Wunsch nach ihnen und
daß beide Haltungen an soziale Konstellationen gebunden sind, deren »Ewigkeit«
niemand behauptet. (Ebd., S.12).Ebensowenig läßt
sich die Existenz eines Aufzuchtstriebes, gemeinhin als natürliche Kindesliebe
bezeichnet, biologisch beweisen. Als belegt gelten kann dagegen, daß die
Frau nach der Geburt keine hormonal ausgelöste Phase der Hemmung des Sexualtriebes
durchläuft. Bei anderen Säugetieren garantiert diese Phase die Pflege
der Jungen, welche nach Wiedereinsetzen des Sexualtriebes in die Selbsterhaltung
gestoßen werden. Was hier hormonell geregelt wird, erfordert in menschlichen
Gesellschaften allemal bewußte Entscheidungen zwischen Aufzucht oder Vermeidung
von Nachwuchs. Solche Entscheidungen werden problematisch, wenn Menschen sich
fortpflanzen sollen, deren individuelles wirtschaftliches Interesse gegen das
Aufziehen eigener Kinder gerichtet ist, wenn also Fortpflanzung und ökonomisches
Kalkül auseinandertreten. Wir werden zeigen, daß in diesem Falle über
denjenigen, die ein Erbe nicht zu vergeben haben, ein moralisch-juristischer Apparat
errichtet wird, der ihnen Geburt und Erziehung von Nachwuchs für die Reproduktion
einer in Besitzende und Nicht-Besitzende unterteilten Gesellschaft abnötigt.
(Ebd., S. 13).Dies geschieht in großem Maßstab erstmals
in der europäischen Neuzeit. Die Entvölkerung und Verarmung während
der spätmittelalterlichen Agrarkrise stellt sich ihren Analytikern als Wiederholung
von Entwicklungen in der Spätantike dar. Damals hatten Sklavenlatifundien
die bäuerliche Familienwirtschaft weitgehend verdrängt; familienlose
Sklaven und proletarii stellten die Produzentenmehrheit. Diese Entwicklung
hatte bevölkerungspolitische Maßnahmen der römischen Kaiser sowie
moralische Bewegungen gegen Ehelosigkeit, Nachwuchsbeseitigung und regellose Geschlechtsbeziehungen
hervorgerufen. Die strikten Prinzipien der Monogamie, des Abtreibungs- und Kindestötungsverbotes
sowie des beidgeschlechtlichen Ehescheidungsverbotes hatten unter diesen Bewegungen
das Christentum zur bevölkerungspolitisch attraktivsten Gruppierung gemacht
(wann? Urchristen und auch Frühchristen waren
antifamilial! HB.): Es wurde zur herrschenden Religion, seine
Gebote wurden staatliches Familienrecht. Die christliche Familienmoral hatte jedoch
den Arbeitskräftemangel für die Sklavenwirtschaft nicht mehr beheben
können. Ihre Ideale verallgemeinerten sich erst nach Errichtung der von neuem
familial organisierten feudalen Bauernwirtschaft. (Ebd., S. 13-14).Der
Ausweg aus der spätmittelalterlichen Krise als Krise eben dieser Bauernwirtschaft
eröffnete sich wiedrum in einer nicht familienwirtschaftlichen organisierten
Form der Reichtumsgewinnung, wie sie zuletzt im Imperium Romanum gegeben war.
Die Sachverständigen dieser - merkantilistischen - neuen Ökonomie ...
wußten aus ihrem Studium der Antike von den Problem des Arbeitskräftenachwuchses
in einer solchen Ökonomie und formulierten deshalb das nur oberflächlich
banal wirkende Credo von der Menschenvermehrung zur Voraussetzung der Reichtumsgewinnung
als Handlungsanweisung an den politischen Souverän. Das entschiedene Beharren
auf der Vordringlichkeit der menschenproduktion für den Erfolg einer neuen
Produktionsweise gründete sich auf die Einsicht, daß es bis dahin niemals
gelungen war, eine nicht-familiale Ökonomie dauerhaft aus der jeweiliegn
Gesellschaft hraus mit Arbeitskräften zu versorgen. Es war bekannt, daß
Sklavenimporte den Untergang solcher Kulturen stets nur verzögert hatten.
Der Bevölkerungsrückgang in der Spätantike hatte zur Herausbildung
der christlichen Fortpflanzungsreligion geführt (wann? Urchristen
und auch Frühchristen waren fortpflanzungsfeindlich, antifamilial!
HB.), ohne das individualwirtschaftliche Fortpflanzungskalkül
bereits brechen zu können. Den Theoretikern der frühen Neuzeit erlaubte
diese Religion erstmals, eine jenseits persönlicher wirtschaftlicher Vorteilsgewinnung
angesiedelte Familie zu denken. (Ebd., S. 14).Nicht das Fortwirken
dumpfer Mittelalterlichkeit oder die Bekämpfung weiblicher Unwissenschaftlichkeit
diktierte der frühen Neuzeit Folterung und Mord von ... Frauen. Vielmehr
ist die Gewaltsamkeit die nicht wegdenkbare - wohl aber verdrängbare - Grundlage
der europäischen Neuzeit und der in ihr sich vollziehenden Weltherrschaft
der christlichen Nationen. ... Wie die Menschenproduktion, so gehört auch
der Kapitalismus mit freier Lohnarbeit genuin in dei Neuzeit. Die Menschenproduktion
existiert allerdings neben ihm und ist aus ihm heraus nicht erklärbar. Zwar
dient sie auch dem Kapitalismus mit der Bereitstellung sich selbst fortzeugender
Lohnarbeiter. Dieser wird aber am ehsten fähig, durch technische Ersetzung
der lebendigen Arbeit die auf Fortpflanzung zielende staatliche Gewalt zu verringern,
währen Systeme wie Merkantilismus und der moderne Sozialismus mit ihrem inhärenten
Dauermangel an Arbeitskräften auf Menschenproduktion bisher nicht verzichten.
Diese Systeme sind zwar in der Menschenproduktion praktisch erfolgreich, scheitern
jedoch bei der Herstellung einer dem Kapitalismus vergleichbaren oder gar überlegenen
Produktivität der Güterproduktion. Alle drei Formen der Güterproduktion
können historisch aber nur durch staatliche Menschenproduktion auf Dauer
gestellt werden. Diese ergibt also die Geheimgeschichte der Neuzeit. Ihren welthistorischen
Ausnahmecharakter dokumentiert gut die langfristige Bevölkerungsstatistik
(vgl. Graphik).
(Ebd., S. 15-17).Die Neuzeit baut nicht allein auf Gewalt bei der
Durchsetzung ihrer umwälzenden sozialen Zielvorstellung. Gilt es bis dahin
in der Geschichte immer als Verantwortungslosigkeit, Kinder zu haben, denen ein
Erbe (und damit eine Zukunft) nicht versprochen werden kann, so kehren die christlichen
Kirchen diesen Wert nunmehr um und predigen die traditionelle Verantwortungslosigkeit
in der Kindererzeugung gerade als die neuzeitliche Verantwortung gegenüber
Gott. Martin Luther prägt mit seiner Bestimmung, das eigentlich Christliche
der Familie bestehe darin, daß auch der arme Mann sie schließe, die
neue Formel, der die katholische Kirche sogleich folgt. (Vgl. Martin Luther, Vom
ehelichen Stande, 1522 S. 267ff.). (Ebd., S. 16).Nach
Jahrhunderten des Folterns, Mordens und Predigens ist schließlich die Frau
»geschaffen«, die von den Fortpflanzungsdingen nichts weiß,
deren Sexualtrieb nur noch als Krankheit erscheint und als deren wirkliche »Natur«
Kindesliebe und Gattentreue gelten. Angesichts der »Natur« dieser
Frauen können die Männer der Aufklärung die Naturrechte auf Leben
und auf Familie als Ideale vor die gesamte Menschheit stellen. Tatsächlich
ist die gegenwärtige Welt-Zivilisatiop, soweit sie die allgemeine Erklärung
der Menschenrechte vom 10.12.1948 für sich akzeptiert hat, davon überzeugt,
daß der Ausschluß eines Menschen von Heirat und Vermehrung (Art. 16)
seine »natürliche« Würde verletzt. (Ebd., S. 16).
 | Wie
umfassend einerseits der Sieg dieser Moral ist und wie langwierig sich andererseits
ihre Durchsetzung vollzogen hat, belegt noch die menschenreichste außerchristliche
Hochkultur - China -, die erst im 20. Jahrhundert, vermittelt über den europäischen
Marxismus, das christliche Kindestötungsverbot durch das Familiengesetz von
1950 endgültig befestigt hat. (Ebd., S. 16-18).In der
Dritten Welt wiederholt sich inzwischen die Bevölkerungsexploslon, welche
Europa nach dem Ende der Hexenverfolgungen (d.h. seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts; HB) erlebte. Hier hatte sie die Arbeitsmärkte
mit billigen Arbeitskräften überflutet und zugleich bewirkt, daß
Europäer zwei weitere Kontinente besiedelten, die beiden übrigen beherrschten
und auch dort die neuzeitliche Familienmoral zur verbindlichen werden ließen.
(Ebd., S. 18).Und dennoch - das »Wunder der Neuzeit«
währte in Europa nicht lange. Nachdem offenkundig geworden war, daß
Menschen wohl dazu gezwungen werden können, Leben zu setzen, nicht aber,
dieses vor Verwahrlosung zu schützen, nachdem also die Bevölkerungsexplosion
massenhaft Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, entstand die Unausweichlichkeit
des Kinderschutzes durch Arbeitsverbote und Schulpflicht (nein,
denn die Schulpflicht wurde - zumindest in Deutschland - schon seit Beginn des
17 . Jahrhunderts eingeführt [z.B. in Sachsen-Weimar 1619, z.B. in Sachsen-Gotha
1642, z.B. in Preußen 1717], also lange vor der »Bevölkerungsexplosion«!
HB). Die Unterhaltskosten stiegen rapide. Sie trieben die Eltern in
eine solche Notlage, daß sie selbst gegen Gesetz und Moral von neuem nach
Verhütungsmitteln suchen mußten. Diese Entwicklung setzte sich im letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts durch. Zu dieser Zeit bestand kein Menschenmangel,
so daß die neuerliche Ausbreitung des Verhütungswissens keine Wiederholung
der Hexenverfolgung nach sich zog, sondern nach harten Kämpfen schließlich
weniger grausam bestraft und in einzelnen Ausnahmen sogar straffrei wurde.
(Ebd., S. 18).Sobald die Verhütungsfähigkeit
sich ausbreitet, bestätigt sich unsere These von der prinzipiellen Familienlosigkeit
des Lohnarbeiters. Umgehend reduziert sich nicht nur die Kinderzahl pro Paar,
sondern es entsteht zunehmend Kinderlosigkeit, die sich für die entwickeltsten
Nationen der Gegenwart der 30-Prozent-Schwelle aller Erwachsenen nähert.
(Ebd., S. 18).
B) Wie die römische Sklavenwirtschaft durch Zerstörung
der Familienwirtschaft groß wird und an der dadurch versiegenden Menschenproduktion
zerbricht
1) Warum die patriarchalische Familie eine territoriale Expansionsdynamik
entwickelt
In den griechisch-römischen Patriarchaten hilt
der Existnezgrund des freien Mannes als ausschließliches Kriterium für
die Organisation der Familie. Diesem zweck sind Frauen und Kinder dienend zugeordnet.
(Ebd., S. 19).Die nicht erbenden Söhne, die sich mit der Perspektive
des freien Mannes über ihre Väter ebenfalls identifiziert haben, verfallen
in Knechtschaft, sofern es ihnen nicht gelingt, selbst eigenes Land zu gewinnen.
Hier liegt die Wurzel für den enormen expansionistischen Drang aller patriarchalisch
strukturierten Gemeinwesen des Mittemeerraumes. Die der Knechtschaft ausweichenden
nichterbenden Söhne treiben die patriarchalische Struktur um den »Erdkreis«
(was sie darunter verstanden; HB) und stoßen
dabei auf aus gleichem Grunde expansive Gegner anderer Herkunft. Die militärische
Notwendigkeit, mehr als nur die Erbsöhne aufzuziehen, kommt dementsprechend
erst an ihr Ende, als eines der beteilgten Völker - historisch also Rom -
fast den gesamten besiedelten Raum durch durch Siege über die anderen unter
seine Kontrolle gebracht hat. Diese Siege befrieden die Region und ziehen gleichzeitig
der weiteren Expansion eine räumliche Grenze. (Ebd., S. 21).Überall
dort, wo die siegenden Römer größere Territorien erobern, als
sie selbst mit einzelwirtschaftlichen Bauernstellen besiedeln, lassen sie große
Teile der eroberten Bevölkerungen am Leben und setzen sie als Sklaven auf
großflächigen Latifundien ein, die im Eigentum freier römischer
Bürger stehen. Diese auf Sklavenarbeit beruhende Produktion für die
Märkte des Imperiums entfesselt eine neue wirtschaftliche Dynamik. Bei vielen
der wichtigen Produkte (etwa Ziegel, Wolle, Fleisch, Öl, Wein und Bodenschätze)
produziert die Latifundie billiger als der Einzelbauer. Ihre Überlegenheit
bewirkt einen ununterbrochenen Bankrott kleiner Betriebe zugunsten großer
Sklavenunternehmen. Dieser ökonomische Prozeß erzeugt die Jahrhunderte
währenden politischen Kämpfe zwischen Kleineigentümern (Plebejern)
und Großgrundbesitzern, die nach der Ermordung des Gaius Gracchus im Jahre
121 vor unserer Zeitrechnung zum endgültigen Sieg der letzteren führen.
(Ebd., S. 21-22).Zwei Probleme ragen aus dieser Entwicklung hervor
und werden schließlich zu Anknüpfungspunkten für politische bzw.
moralische Gegenbewegungen: Mit der Zerstörung der Familienbetriebe wird
zugleich die Menschenquelle beseitigt. Nichterbende Kinder von Kleineigentümern
sind ja wesentliches Reservoir für die Sklavenmärkte. Es ist also der
Sieg des »Kaufsklavenkapitalismus« (Max Weber) selbst, der ihn seiner
wichtigen Basis beraubt: der Sklaven. (Ebd., S. 22).Sklavenzuchtversuche
scheitern an der beträchtlichen Risikobelastung dieses Geschäfts: Die
weiblichen Sklaven vernachlässigen die nicht in ihrem Interesse aufgezogenen
Kinder, die Sterblichkeitsrate ist hoch, und die Preiserwartungen über den
langen Aufzuchtszeitraum hinweg sind ungewiß. (Ebd., S. 22).Im
Ergebnis ist ein Rückgang der Bevölkerung vom Beginn der Kaiserzeit
bis zum dritten nachchristlichen Jahrhundert um fast 50 Prozent zu verzeichnen.
Menschenmangel erscheint dem Bewußtsein der Zeitgenossen als die zentrale
Ursache der Reichskrise. Eine Betrachtung dieser Bevölkerungsschrumpfung
als Vorteil, wie sie für die Gegenwart häufig anzutreffen ist und dann
meist zur Vermeidung einer zureichenden Erklärung des Geburtenrückgangs
dient, kann sich den Politikberatern der Antike nicht aufdrängen. Die Ersetzung
der lebendigen Arbeit durch Maschinerie, wie sie im England des späten 18.
Jahrhunderts im großen Stil stattfindet, bietet sich für die römische
Kaufsklavenökonomie als Ausweg nicht an. Der freie Lohnarbeiter, ein freier
Bürger ohne Bodeneigentum und vor der Notwendigkeit des eigenen Unterhalts
stehend, tritt erstmals im England der frühen Neuzeit auf (Beweise,
Quellen fehlen! HB). In Rom kann ein freier Lohnarbeiter, dessen relativ
hohe Lohnkosten zu seiner maschinellen Ersetzung nötigen, nicht entstehen.
Die wenigen Lohnarbeiter sind »proletarii« und damit römische
Bürger. Sie werden deshalb vom Staat alimentiert und bilden ein parasitäres
Proletariat (bzw. »Prekariat«).
Ihr Existenzminimum und auch ihr Alter sind also gesichert, was sie nicht hindert,
bei Gelegenheit etwas dazuzuverdienen. Sie sind meist familienlos aus eigenem
Interesse, d.h. sie kommen noch aus Kleineigentümerfamilien, gründen
aber selber keine mehr. Da sie das Aussetzungs- und Abtreibungsrecht des freien
Mannes sowie Zugang zu nichtehelicher Sexualität haben, geht ihre Zahl aufgrund
der Kinderlosigkeit immer mehr zurück. (Ebd., S. 22-23).Der
Sklave hingegen wird zum Mittel ökonomischer Expansion nur, solange er immer
billiger zu haben ist, solange die römischen Armeen also mächtiger werden
und größere Ländereien sowie Menschenmengen zu rauben imstande
sind. Die Kosten der Bodenbearbeitung sinken, d.h. die Gewinne steigen, solange
die Sklaven zahlreicher werden. Einzig ihre große Zahl ermöglicht die
Realisierung eines organisatorischen Produktivitätszuwachses, der aus der
Vergrößerung der ökonomischen Einheiten hervorgeht. Der Arbeitsprozeß
in dieser neuen Einheit bleibt allerdings statisch, weil die Sklavenarbeit reine
Zwangsarbeit ist. Ihre Produktivität bleibt gefesselt wie die Sklaven selbst,
wenn sie auf die Felder geführt werden. Die Dynamik des modernen Unternehmens,
das nicht durch Beschäftigung immer größerer Belegschaften expandiert,
sondern die Produktivkraft der Arbeit durch technischen Fortschritt entwickeln
muß, um die Kosten zu senken und so im Markt zu bleiben, kommt in Rom nicht
zustande. Als dort durch Versiegen der Menschenquelle nach Inbesitznahme aller
erreichbarer Territorien die Arbeitskollektive für die großflächige
Landwirtschaft nicht mehr voll besetzt werden können, sinken die Erträge.
Den Unternehmern werden die noch verbleibenden Sklaven tendenziell zu totem Kapital.
Dieses könnten sie nun entkommen lassen, verlören dadurch freilich endgültig
ihre Investitionen. Sie könnten ihnen auch formal die Freiheit geben; die
auf diese Weise »proletarii« werdenden Sklaven mit Alimentationsanspruch
und ohne Nachkommenschaft stünden für die ehemaligen Eigentümer
dann allerdings ebenfalls nicht mehr zur Verfügung. Sie könnten sie
zu freien Bauern machen, woraus den Eigentümern aber wiederum kein Einkommen
erwüchse. (Ebd., S. 23-24).Sie beschreiten
deshalb den einzig nützlichen Ausweg, indem sie die Sklaven zwar zu Bauern
machen, ihnen aber die Freiheit vorenthalten. Als Preis für die leibeigene
Bauernexistenz pressen sie ihnen Frondienste und Güter ab. Damit ist in
nuce die Wirtschaftsstruktur des Feudalismus bzw. des europäischen Mittelalters
gefunden. (Ebd., S. 24).
2) Warum die Bevölkerungspolitik der römischen Kaiser scheitert
Die
ökonomische Zerstörung der Familienbetriebe durch die römischen
Sklavenbetriebe geht einher mit dem Zerfall der patriarchalischen Moral. Sie bringt
eine weitgehende Gleichberechtigung der Frau und eine bis dahin in Rom nicht gekannte
sexuelle Freizügigkeit, deren ungewollte Folgen auf der Grundlage des patriarchalischen
Rechts auf Abtreibung und Kindesaussetzung , beseitigt werden. Der Verfall der
Familienmoral bezieht auch die verbliebenen Klein- und Großeigentümer
mit ein, da diese sich ihre Erbsöhne zunehmend nicht mehr über die eigene
Familienbildung besorgen, sondern durch Adoption aus der Masse familienloser Plebejerkinder,
freier Proletarier und sogar Sklaven. Die Auflösung der herkömmlichen
sexuellen Sitten sowie individuelle Fortpflanzungs- und Familienfeindlichkeit
werden ein weiterer Anknüpfungspunkt für Klagen über den Verfall
des Reiches. Sie geht einher mit dem Autoritätsverfall der für das Familienleben
zuständigen Götter bzw. ihrer Priester, was allenthalben als Ruin der
Religion beklagt wird. (Ebd., S. 24-25).Die Versuche der
Kaiser seit Augustus - also bereits in vorchristlicher Zeit -, Verehelichung und
familiale Fortpflanzung durch Gesetze zu erzwingen, treffen gerade die führenden
Klassen des Reiches und laufen letztlich leer, da sie die sklavenkapitalistische
Ursache des Problems unangetastet lassen: Der nicht mehr agrarisch-handwerklich,
sondern mit Kapital operierende Römer benötigt ja keinen »treuen«
und persönlich angelernten Sohn mehr, sondern eine kaufmännisch tüchtige
Kraft, die sich um die Geldrente zu kümmern hat und eine Beziehung zum Kapitaleigner
konstituiert, die nichts mehr mit der zwischen Sohn und Vater, die Seite an Seite
arbeiten, zu tun hat. Eine solche Kraft muß die Geldmittel beschaffen, mit
denen der Vermögende für Zeiten der eigenen Arbeitsunfähigkeit,
Arbeitsunwilligkeit und der Genußsuche Dienste kaufen kann, da er diese
nicht mehr - wie in der noch umfassend naturalwirtschaftlichen Bauernwirtschaft
- über verwandtschaftliche Unterhaltspflichten erhält. Nun ist eine
solche kaufmännische Person allerdings nicht schon deshalb für den Haushalt
des Vermögenden geeignet, weil es sich bei ihr um einen selbstgezeugten Sohn
handelt. Um diesen Sohn zu gewinnen, müssen häufig in der Regel mehrere
Kinder aufgezogen werden, von denen dann das tüchtigste ausgewählt wird.
(Ebd., S. 25).Das vaterrechtlich unverzichtbare Institut der Adoption
- das allein den unfruchtbaren Mann und das patriarchale System insgesamt vor
dem Untergang schützt - ebnet den Weg, den vermögensverwaltenden Erben
nicht mehr mühsam, risikoreich und kostspielig in der eigenen Familie hernazuziehen,
sondern ... aus der Masse der Erbschaft suchenden Bewohner der Städte oder
dem weiteren Familienkreis auszusuchen. (**).
(Ebd., S. 25).
Die
u.E. unübertroffene Darstellung des ökonomischen Kalküls dieser
Zeit finden wir in Plautus' Komödie Der Bramarbas, wo er den Greis
Periplectomenes im 2. Akt, 1. Auftritt sagen läßt: »Hab'ich Verwandte
genug. Was hab' ich Kinder nötig? Jetzo leb' ich gut und glücklich,
ganz nach meinem Sinn, wie mir's beliebt. Mit meinem Tode fällt den Anverwandten
mein vermögen zu: ich jedem seinen Teil. Sie essen bei mir, pflegen mich,
seh'n, was ich mach' und was ich will. Noch eh' es tag wird, steh'n sie da und
fragen nach, wie ich die Nacht geschlafen. Das sind meine Kinder; ja, sie schicken
mir sogar Geschenke. Kommt ein Opfer vor, so geben sie mir einen größern
Teil, als auf sie selber kommt. Sie holen mich zum Opferschmause, laden mich zum
Frühstück und zum Abendtisch. Unglücklich schätzt sich der
am meisten, der das wenigste mir geschickt. Recht um die Wette machen sie Präsente
mir. Beim Pollux! Hätt' ich Kinder, diese brächten mir des Jammers genug;
ich wär' in steter Todesangst, ob eins im Rausche, ob es wo vom Pferde fiel'
und nicht allein die Beine bräche, nein, den Hals. Dann auch, ob meine Frau
nicht ein gezeichnet' Kind zur Welt mir bringe: eins mit einem Muttermal, ein
Krummaul, einen Grätschler, Schieler, Hinkebein.« (Übersetzt
von W. Binder, in: Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischen
und römischen Klassiker, 1855-1907). (Ebd.). |
Wenn
also die Adoptionen im Rom der Kaiserzeit in die Hunderttausende gehen so hat
das nichts - wie populär spekuliert wird mit Impotenz oder gar mit einer
von den Bleiwandungen der Luxusgefäße verursachten Unfruchtbarkeit
zu tun, sondern ist der ökonomisch optimalen Variante der Vermögenserhaltung
und Vermögensübertragung geschuldet. (Ebd., S. 25-26).Das
Adoptionswesen wird nicht aus rein quantitativen Erwägungen zum Anknüpfungspunkt
für die Familien- und Fortpflanzungsgesetze, da Sklaven vorerst noch immer
über Kriege gewonnen werden können. Es birgt freilich für die Kaiser
einen anderen Nachteil, entzieht es ihnen doch die politische Manövriermasse
von Fachleuten für ihre Weltpolitik. Die Söhne der über Produktiveigentum
verfügenden und daher mit dem Reich identifizierten Römer bleiben aus.
Es mangelt an Offizieren, Verwaltern, Spezialisten und Kolonisten für den
Zusammenhalt des Reiches. Ihrer Gewinnung sollen die kaiserlichen Gesetze vorrangig
dienen. Sie operieren mit einer zentralen Waffe: Wer seinen ökonomischen
Vorteil darin sucht, daß er Familienleben und Kinderaufzucht vermeidet,
soll selber in seinem Erbe beschnitten werden. Alle anderen Bestimmungen ergänzen
diese Maßnahme lediglich; dazu gehören die Verhinderung von Scheinehen,
besondere Ehrenkleider für kinderreiche Mütter, Nachteile der Kinderlosen
bei der Erlangung öffentlicher Ämter und, zunächst noch vorsichtig,
Sperren gegen das, was bei den Christen später Uunzucht heißen und
im Zentrum ihrer Angriffe stehen wird. Erst unter Septimus Severus - also zwei
Jahrhunderte nach der augusteischen Gesetzgebung- gelingt es, ein speziell gegen
Unzucht gerichtetes kaiserliches Gesetz durchzusetzen. Septimus Severus ist zugleich
derjenige Kaiser, der erstmals Christen in hohe Staatsämter beruft und biblische
Münzsymbole gestattet. (Ebd., S. 26-27).Die Unzuchtsverfolgung
soll diejenigen treffen, die Erben und Unterhaltspersonen wohl benötigen,
diese jedoch durch Adoption oder Mietvertrag gewinnen und trotz dieser Verfahren
- also der Ehe- und Familienlosigkeit - jederzeit Geschlechtsbefriedigung finden
können. Die Unzuchtsverfolgung soll den Geschlechtstrieb in die Zeugung ehelicher
Kinder kanalisieren und damit die Zahl des Nachwuchses des freien Bürgers
über lediglich einen Adoptiverben hinaustreiben. Sie ist historisch etwas
Neues, setzt Sklaven und freies Proletariat voraus, die für nichteheliches
Geschlechtsleben und Adoptionen zur Verfügung stehen. Der Eingriff der Kaiser
in das Privatleben der Römer ruft deshalb erheblichen Widerstand hervor und
wird als schwerster Anschlag auf die persönliche Freiheit erfahren, der jemals
in der römischen Geschichte gegen die eigenen Bürger versucht worden
war, eine Freiheit übrigens, die in vergleichbarem Ausmaß erst in hochentwickelten
Gesellschaften des 20. Jahrhunderts wieder erreicht und - wie noch zu zeigen sein
wird - auch hier nicht selten bald wieder eingeschränkt wird. Neben den staatlichen
Gegensteuerungsversuchen der Kaiser kommt es auch zu privaten Reaktionen auf Krisenerscheinungen
wie Familienzerfall, Menschenmangel, »Sittenlosigkeit«, Kindesaussetzungen
und Abtreibungen lange vor der christlichen Epoche. (Ebd., S. 27).
3) Warum neben der staatlichen Politik auch religiöse Bewegungen gegen
den Familienzerfall auftreten
Die Zerstörung der wirtschaftlichen
Familienbasis zieht Sinnlosigkeitsängste bei den betroffenen Menschen nach
sich. Sie verweisen auf das Bedürfnis nach einer neuen Lebensperspektive.
Die Krisenzeit bereitet also ein Klima für ganz unterschiedliche Bewewältigungsformen
der in ihr wachsenden Ängste. Deren jeweilie Angriffspunkte zeigen die verscheidenen
Reichweiten der damals aufkommenden Analysen des gesellschaftlichen Zustandes.
Wo dieser mit Magie, Astrologie oder schlicht Kriminalität verändert
werden soll, liegt ein Analyseverfahren vor, das wiederum von weiterdenkenden
Gruppen, aus denen später auch Anhänger des Christentums hervorgehen,
in Frage gestellt wird. (Ebd., S. 27-28).Obschon das römische
System der Sklavenökonomie im 1. Jh. n.Chr. und in einigen (griechischen)
Gebieten bereits früher deutliche Krisenerscheinungen aufweist, so verfügt
es - im ganzen betrachtet - doch noch immer über Dynamik, treibt die produktivere
Sklavenökonomie voran und ist deshalb auch noch fähig und willens, sich
zu verteidigen. (Ebd., S. 31).Der Christengott ist gleichsam
im Zustande der Unschuld und nicht mit den Taten des römischen Systems assoziiert.
... Er sit zugleich - und hierin liegt wohl die größte Stärke
- ein Gott mit höchstem Respekt vor dem menschlichem Leben und deshalb besonders
anziehend für jene Klassen und Gruppen der römischen Gesellschaft, deren
leben am wenigsten gilt: Sklaven, Frauen und - vertreten durch ihre Beschützer
- Kinder. (Ebd., S. 32).Da der alte »Familienkollektivismus«
mit der Auflösung der »albäuerlichen Lebens- und Wirtschaftsform«
(Max Kaser, Das römische Privatrecht, 1955, S. 232) seine Grundlage
verloren hat, setzen sich gegen den anhaltenden politischen Widerstand des »Traditionalismus«
(ebd.) langsam Ehebeziehungen durch, deren kurzfristige Verbindlichkeit einzig
über bloß äußerliche Attraktivität zustande kommt.
(Ebd., S. 32-33).
4) Wie die christliche Moral staatliches Familiengesetz wird
Die
Kaiser begnügen sich bei ihren Versuchen, der Krise Herr zu werden, keineswegs
mit Verfolgungen der christlichen Opposition und mit Gesetzen, die Fortpflanzung
befördern sollen. Sie schaffen vielmehr - von den ... wirtschaftlichen Zuständen
dazu gezwungen - die gesetzlichen Grundlagen für die Aufrichtung der feudalen
Gesellschaft: Die verbliebenen Proletarier und Sklaven werden seit dem Ende des
zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung (Edikt des Pertinax) zunehmend in Landeigentümer,
Kleinbauern also, verwandelt. So kann ein erheblicher Teil des Bodens verwaister
ehemaliger Sklavenlatifundien als Kulturland und Steuerquelle wiederhergestellt
werden. Die neuen Bauern sind - wie gezeigt (**)
- nicht frei: »Es entstand also ein neuer Stand, wirtschaftlich ein Mittelding
zwischen Pächtern und Sklaven, zwischen Staatsbauern und Leibeigenen, dessen
lage rechtlich fixiert werden mußte, da er etwas Neues, bis dahin Unerhörtes
war.« (Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 5. Band, 1910,
S. 913/919). (Ebd., S. 35).Die freie Verkaufbarkeit von Land
und Arbeitskräften - zentrale Strukturmomente der römischen Ökonomie,
die das Reich zuerst aufblühen und dann zerfallen lassen - wird weitgehelid
unterbunden. Immerhin jedoch benötigen die »Kolonen« zur Erhaltung
und Fortführung ihrer Existenz die Familie, verfügen also über
die ökonomische Basis für eine Familienmoral. Sie sind an die Scholle
gefesselt, dürfen ihr Land nicht verlassen und müssen ihren Herren Naturalrenten
entrichten oder Frondienste leisten. Diese Herren - Nachfahren der alten Städtegründer
- haben die Städte verlassen müssen, als sich ihre Latifundien entvölkerten,
und nun die Gutshäuser aus der Stadt mitten in die Ländereien verlegt,
die sich allmählich wieder zum Oikos, zum Ganzen Haus, wandeln und
alle lebenswichtigen Güter selbst produzieren. Ohne die Konkurrenz einer
preisdrückenden Sklavenökonomie dehnt sich die schollenfeste bäuerliche
Landwirtschaft in feudaler Abhängigkeit, eher friedlich denn kriegerisch
kolonisierend in Europa aus und treibt gleichzeitig einen neuen Stadttypus hervor:
den mittelalterlichen. Dieser ist nicht mehr die antike Ansammlung stadtsässiger
Grundeigentümer, sondern Handwerker und Kaufmannsstadt. Ihr Grund wird zwar
vom feudalen Eigentümer gestellt und, um Geldmittel zu gewinnen, auch mit
Marktsteuern belegt; aber ihre Aufgabe ist nicht Herrschaft, sondern Produktion.
(Ebd., S. 35-36).Unserer These, daß die
Einsetzung des Christentums als anerkannte Religion (325) und später als
Staatsreligion (391) des Imperiums einem bevölkerungspolitischen Kalkül
gehorcht und dafür christliche Familiengesetzgebung wird, scheinen die hohen
christlichen Ideale von Keuschheit und Jungfräulichkeit entgegenzustehen,
an denen sehr viel später zwar der Protestantismus gerüttelt, aber die
katholische Kirche stets festgehalten hat. Zweifellos beherrscht das Askeseideal
die Wertordnung der Christen vor dem Übergang zur Staatsreligion, dessen
nicht-asketische, auf familiale Vermehrung zugeschnittene Gestalt den entschiedensten
Bekennern denn auch als Verrat an den Idealen der Bewegung erscheint. Daraus wird
verständlich, daß unmittelbar nach der staatlichen Anerkennung des
Christentums klösterlich-kommunistische Wirtschaftsformen unter dem Askeseideal
entstehen, die sich in Auseinandersetzungen mit der Kirchenbürokratie verwickeln.
Doch bereits das Konzil von Gangra (341 unserer Zeitrechnung) sieht die asketische
Fraktion in der Minderheit und verurteilt die Ehelosigkeit. Schwäche, doch
mehr noch die aus - unter Diokletian (**)
- selbst erlittenen Massakern erwachsene Toleranz hindern die junge Staatskirche
daran, diese radikale Verwirklichung der ehemals gemeinsamen Ideale sogleich zu
zerstören. Es gelingt ihr, die Gegenkultur als ihr eigenes höheres Gewissen
zu integrieren. Indem sie den Klöstern die Verwaltung ihres höchsten
religiösen Ideals - der Keuschheit - überläßt, nimmt sie
teil an seiner Autorität über die weltlichen Gläubigen, die sich
mit belastetem Gewissen gegenüber der idealistisch-kämpferischen Vergangenheit
im Feudalismus eingerichtet haben. (Ebd., S. 38-39).
Unter
Diokletians Regentschaft kommt es zu den letzten und grausamsten Christenverfolgungen:
die Wiedergewinnung einer wirtschaftlichen Stabilität schien nur noch erreichbar
zu sein, wenn auch die Gottheiten aus Roms großer Vergangenheit wieder aufgerichtet
würden. Dabei blieb unbegriffen, daß sich die neue antikapitalistische
Feudal-Struktur von derjenigen des freien Sklavenunternehmertums extrem unterschied,
die vielfach kompromittierte Autorität der alten Götter auch mit Gewalt
einer ihnen äußerlichen Sozialstruktur nicht aufzupressen war. Die
Situation für die Christen verschärfte sich dadurch, daß sie -
aus ähnlichen Motiven wie der Kaiser und seine Mitregenten - den Zeitpunkt
für einen religiösen Neubeginn auf der Ebene des gesamten Reiches für
gekommen sahen. Sie versuchten eine Art von religiösem Putsch (vgl. dazu
Jacob Burckhardt, Die Zeit Konstantins des Großen, 1852, S. 319 ff.).
(Ebd.). |
C) Wie der Feudalismus durch Wiederherstellung der Familienwirtschaft
problemlos Menschen produziert, in seiner Krise jedoch wieder Menschenmangel entsteht
Europäische
Bevölkerung in Millionen von 400 v.Chr. bis 1950 (Ebd., S. 40). |
400 | 1 | 100 | 700 | 1000 | 1050 | 1100 | 1150 | 1200 | 1250 | 1300 | 1350 | 1400 | 1450 | 1500 | 1550 | 1600 | 1650 | 1700 | 1750 | 1800 | 1850 | 1900 | 1950 | 23 | 37 | 67 | 27 | 42 | 46 | 48 | 50 | 61 | 69 | 73 | 51 | 45 | 60 | 69 | 78 | 90 | 103 | 115 | 125 | 187 | 274 | 423 | 594 | Zum
Vergleich die Zahlen aus dem Wirtschafts-Ploetz (1984, S. 47, 50, 53, 162): | | | | 27 | 42 | 46 | 48 | 50 | 61 | 69 | 73 | | | 53 -55 | 76 -80 | | 100 -105 | 94-100
/ 69,9-73,4 | 80,6 -86,2 | 97,2 -102,9 | 124,6 -127 | 266 | 401 | 576 |
Die
oben dargestellte Entvölkerung des Römischen Reiches schlägt sich
in den Zahlen nieder. der extreme Rückgang bis zum Jahre 700 unserer Zeitrechnung
hat eine zusätzliche Ursache in regelmäßigen Pestepidemien zwischen
542 und 700, die auch diejenigen Gebiete, welche nicht zum Imperium Romanum gehörten,
in Mitleidenschaft ziehen. (Ebd., S. 40-41).Die Umwandlung
der Sozialstruktur vom Kaufsklavenkapitalismus in eine feudal abhängige Bauernökonomie
vollzieht sich ... in einem langwierigen Prozeß, der erst im 8. Jahrhundert
seine expansive Dynamik voll entfalten kann. Diese findet offensichtlich durch
die Klimaveränderung, welche seit dem Ende der letzten (Kaltzeit
der) Eiszeit Nordeuropa das wärmste und fruchtbarste Wetter bescherte
(**), ihre entscheidende Kraft. Wichtige
Neuerungen neben der wiederhergestellten Bauernfamilie - auf technischem Gebiet
werden bereits vor dieser Zeit eingeführt:»Das
Herausragende in der europäischen Geschichte des frühen Mittelalters
war zwischen dem 6. und späten 8. Jahrhundert die Entwicklung einer neuen
landwirtschaftlichen Methode, die den geographischen Bedingungen Nordeuropas angepaßt
war .Im Zuge ihrer Ausprägung zu einem neuen, sich stetig ausbreitenden Kulturmuster
erwies sie sich als die -pro Arbeitskraft -reichste landwirtschaftliche Methode,
welche jemals auf der Welt existiert hatte. Zur Zeit Karls des Großen hatte
sie das Zentrum der europäischen Kultur von den Küsten des Mittelmeers
in die nordeuropäischen Ebenen verschoben, wo es seitdem auch geblieben ist.«
(L. White, a.a.O.). | Die tragenden technischen Innovationen
der landwirtschaftlichen Umwälzung sind der schwere Wendepflug auf Rädern,
die Dreifelder- Wirtschaft und die erstmalige Verwendung des Pferdes als Zugtier
mit Hilfe von neuartigem Zaumzeug und Hufeisen. (Ebd., S. 41).
Vgl.
dazu den Kölner Klimatologen und Geologen Martin Schwarzbach, zitiert in:
Dieter Hentrup, Die letzte kleine Eiszeit endete vor 100 Jahren, in. Frankfurter
Rundschau, Nr. 264, 25.11.1978, S. 13; und G. Duby, Krieger und Bauern - die
Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im frühen Mittelalter (VII.-XII.
Jh.) (1973), 1977, S. 16 und S. 185. (Ebd.). |
Zu
Beginn des 12. Jahrhunderts hat die wirtschaftliche Entwicklung dieser feudalen,
abhängigen Bauerngesellschaft ihre Blüte, die demographisch dadurch
gekennzeichnct ist, daß die land- und ehelose Gesindeschaft weniger als
ein Bevölkerungsdrittel bleibt. Sie vermag dieses Niveau noch während
einer langen Zeitspanne zu halten, bis sie zu Anfang des 14. Jahrhunderts ihren
Höhepunkt endgültig überschritten hat. (Ebd., S. 41).Zu
Beginn des 12. Jahrhunderts hat die wirtschaftliche Entwicklung dieser feudalen,
abhängigen Bauerngesellschaft ihre Blüte, die demographisch dadurch
gekennzeichnet ist, daß die land- und ehelose Gesindeschaft weniger als
ein Bevölkerungsdrittel bleibt. Sie vermag dieses Niveau noch während
einer langen Zeitspanne zu halten .... (Ebd., S. 41).Die
lang anhaltende Stabilität folgt aus der Beständigkeit, mit welcher
die nicht sehr zahlreichen nicht-erbenden Söhne der wohlhabenden Bauernschaft
für die Besiedlung und Urbarmachung selbst zweitklassiger oder abseits gelegener
Böden ausgerüstet werden können. Die Nettoreproduktionsrate liegt
über 1, so daß die europäische Bevölkerung zwischen 1000
und 1340 allmählich von ca. 38,5 auf 73,5 Millionen Menschen zunimmt (**).
Doch nicht allein die hohe Geburtenzahl selbst, sondern insbesondere die faktische
Erleichterung der Eheschließung für nichterbende Söhne drückt
die Zuversicht aus, welche aus der langwährenden Prosperität gewachsen
ist und welche zugleich die Bauernschaft so sicher und selbstbewußt werden
läßt, daß Knechtschaft kaum noch ertragen wird. Erst die offensichtliche
Erschöpfung der Böden bringt diese Entwicklung zum Stillstand. Wiederum
spielt dabei das Klima, welches ab 800 der Landwirtschaft überaus günstig
war, eine wesentliche Rolle: eine »kleine Eiszeit«, deren Beginn auf
1303 (???? Anm HB) datiert wird und die bis 1880
(???? Anm HB) währt, hat erhebliche Auswirkungen
auf die Bodenerträge. Neue Verfahren der Düngung und Saatsetzung belegen
die Suche nach Auswegen. Sie vermögen jedoch den Rückgang der Ernteerträge
nicht zu verhindern. (Ebd., S. 42).Die seit 1348 mit der
schlechten Ernährungslage sich schnell über ganz Europa ausbreitende
Pest dramatisiert die große Krise, die erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts
überwunden wird. In England entsteht hierbei die historisch neue soziale
Organisationsform, die als kapitalistische Gesellschaft mit freier Lohnarbeit
bis heute bestimmend geblieben ist. (Ebd., S. 42). |
Die
seit 1348 mit der schlechten Ernährungslage sich schnell über ganz Europa
ausbreitende Pest dramatisiert die große Krise, die erst zu Beginn des 16.
Jahrhunderts überwunden wird. In England entsteht hierbei die historisch
neue soziale Organisationsform, die als kapitalistische Gesellschaft mit freier
Lohnarbeit bis heute bestimmend geblieben ist. Die Krise des 14. und 15. Jahrhunderts
bedeutet den Bruch mit einer Entwicklung, die nicht nur den Feudalherren Reichtum
brachte, sondern auch den Bauern einen Lebensstandard oberhalb des Existenzminimums
sicherte. Die Krise erfaßt auch die Feudalherren, ruiniert also neben den
Bauern häufig gerade Adligen. Mangelnder Bodenertrag beeinträchtigt
ihre Existenz fast ebensosehr wie die hohen Menschenverluste, welche viele Ländereien
verwaisen lassen. Zwischen 1300 und 1350 sinkt die europäische Bevölkerung
von 73,5 auf 50 Millionen Menschen, also um fast ein Drittel (**).
Die ... Graphik (rechts [**])
zeigt die langfristige Entwicklung der englischen Bevölkerung zwischen 1086
und 1525 in den Grenzen der möglichen Schätzwerte. Die Bevölkerung
Englands hat sich besonders dramatisch - um wenigstens 60% - zwischen 1350 und
1450 vermindert. (Ebd., S. 42-43).Bis zur Krise war das Bevölkerungswachstum
des Mittelalters in übereinstimmung mit der seit dem 4. Jahrhundert geltenden
christlichen Ehe- und Fortpflanzungsmoral verlaufen. Die Intention der Kirche,
den Prozentsatz eheloser Knechte und Mägde Iohne eigenen Boden nicht wieder
auf römische Verhältnisse der Sklaverei anwachsen zu lassen, ließ
sich, da die Bevölkerung ohne Schwierigkeiten ernährt werden konnte,
relativ leicht verwirklichen. (Ebd., S. 43)Das formal strenge
Kindestötungsverbot bedurfte keiner besonders scharfen Beaufsichtigung, d.h.
die Vermeidung oder Beseitigung nicht benötigten Nachwuchses wurde geduldet,
solange sie nicht als offene Kindestötung betrieben, sondern durch Verhütung
und Abtreibung besorgt oder als natürliche Sterblichkeit getarnt, der Moral
mithin Reverenz erwiesen wurde. Es erhalten sich also in der Blütezeit des
Mittelalters ziemlich ungehindert das Wissen und die Kunst der - nun moralgerechten
- Verhütung und Beseitigung von Nachwuchs, die es im antiken Rom ebenso wirksam
gegeben hatte und die in allen Kulturen - seien sie primitiv oder zivilisiert
- außerhalb der europäischen Neuzeit vorkommen. Dieses hochentwickelte
Expertenturn lag vorrangig in weiblichen Händen. Seine Anwendung blieb möglich
durch einen stillen Pakt mit der Kirche, der sich erst später in einen gnadenlosen
Kampf verwandeln sollte, an dessen Ende die Vernichtung dieser wissenden Frauen
als Hexen und der Abstieg fast aller Frauen (und Männer) in weitgehende Unwissenheit
über die Vorgänge der Zeugung und Geburt standen. Der Pakt umfaßt
die Sexualität insgesamt. (Ebd., S. 43).Haben wir am
Ausgang der Antike die scharfe Verurteilung jedes nicht-ehelichen Geschlechtsverkehrs
als Unzucht (Konzil von Elvira, um 300), so tritt während der stabilen Zeit
der feudalabhängien Bauernökonomie die harte Unzuchtsdefinition in den
Hintergrund. Auf den Konzilen, an denen Frauen selbst ... teilnehmen, wird vorehelicher
Geschlechtsverkehr nur noch als einfache Unmäßigkeit deklariert (so
Konzil von Toledo im Jahre 750). Im Zentrum der kirchlichen Macht gibt es also
eine Anpassung an die für diese Macht real nicht bedrohlichen Verhältnisse.
Gleiches gilt für die »Hurerei«. Kasuistische Debatten drehen
sich z.B. darum, ob eine Frau als Hure gebrandmarkt werden dar, wenn sie nachweislich
mit 40 bis 60 Männern verkehrt hat, oder erst dann, wenn sie dieses mit 23000
verschiedenen Männern getan hat. Unter dem Blickwinkel der Neuzeit, welche
als Hure jede Frau bezeichnen wird, die Sexualität außerhalb ihrer
Ehezeit pflegt, wird die ungeheure Umwälzung, die sie gewaltsam vollbringt,
deutlich. (Ebd., S. 44-45).Unsere These von der Dominanz
des ökonomischen Kalküls bei der Fortpflanzung wird von der mittelalterlichen
Entwicklung bestätigt. Landlosigkeit bedeutet Ehelosigkeit. Nicht ansiedelbarer
Kinderüberschuß der Landbesitzer sowie des ehelosen, aber keineswegs
zur Enthaltsamkeit verpflichteten Gesindes wird vermieden. Dabei bleiben das Ideal
der Askese für die Ehelosen als moralisches Gebot und das Verbot des Kindesmordes
als staatliches Gesetz in Kraft. Sie werden jedoch nicht zu inquisitorisch-terroristischen
Instrumenten geschliffen, solange Kirche und Adel von der prosperierenden Bauernwirtschaft
profitieren, also zwar durch Unterdrückung der Produzenten, aber ohne deren
gewaltsame Vermehrung ihren Unterhalt bestreiten können. (Ebd., S.
45)
D) Wie die Krise des Feudalismus zur staatlichen Menschenproduktion
führt
Das
neue Produktionsverhältnis, das durch Bodeneigentümer und freie Lohnarbeiter
gekennzeichnet ist, entsteht auf dem Lande als Agrarkapitalismus. Bevor diese
Entwicklung jedoch anheben kann, unternimmt die englische Aristokratie alles,
um den unfreien Bauern auf der Scholle zu halten. Trotz anfänglicher Erfolge
- wie nach dem großen Bauernaufstand von 1381 - geht für sie der Kampf
um die ihr bis dahin unterworfenen Arbeitskräfte schließlich militärisch
verloren. Zwar wird die Leibeigenschaft formal erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts
aufgehoben, aber bereits Mitte des 16. Jahrhunderts ist die Niederlage des englischen
Adels besiegelt. Seitdem stehen unfreie Arbeitskräfte praktisch nicht mehr
zur Verfügung. Die Vorfahren der freien Lohnarbeiter haben damit einen definitiven
Sieg errungen, der zwar nicht ihrem Ziel, freie Bauern zu werden, entsprach, historisch
aber erhebliche Konsequenzen hatte:»Die
Frage ... einer Wiedereinführung der Leibeigenschaft war damit ein für
allemal erledigt, was nicht dem Zartgefühl der Herrschenden geschuldet war.«
(R. H. Hilton, a.a.O.). | Zwischen Bodeneigentümern
und den kämpfenden unfreien Bauern entsteht also eine Pattsituation, deren
Auflösung ihre Anerkennung als freie Lohnarbeiter bringt und die ehemaligen
Aristokraten zu kapitalistischer Wirtschaft zwingt. (Ebd., S. 47-48).Nicht
vertriebene freie Bauern werden - wie KarMarx annimmt (vgl. ders., Das Kapital,
1867, in: Marx-Engels-Werke, Band 23, Kapitel 24, S. 744ff.) - zu den
ersten freien Arbeitern der »Lohnsklaverei« (Matt) geknechtet, vielmehr
entfliehen unfreie Bauern der Knechtschaft der zerfallenen Gutsherrlichkeit und
landen in der freien Lohnarbeit, die ihnen zunächst mehr Unabhängigkeit
und höhere Einkommen als zuvor gewährt. Sie müssen also nicht verjagt,
sondern sie können nicht mehr gehalten werden. (Ebd., S. 48).Aus
der Graphik geht der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsschwund nach der mittelalterlichen
Agrarkrise um 1300 sowie der Konkurrenz um die verbleibenden Arbeitskräfte
und den damit steigenden Löhnen hervor . Nicht also der schlecht behandelte
freie Bauer wird zum freien Lohnarbeiter des modemen Kapitalismus. Vielmehr setzt
diese Behandlung den Agrarkapitalismus mit freier Lohnarbeit bereits voraus -
aus der Graphik ist ihr hoher Preis bis ins 16. Jahrhundert hinein ersichtlich.
Erst dann gelingt es der Aristokratie, durch allmähliche organisatorische
Veränderung der Produktion - die Umwandlung von Ackerland in Weideland -
die Reallöhne auf breiter Ebene zu drücken. Diese erste echte Rationalisierung
in der bekannten Menschheitsgeschichte findet statt, weil die Arbeitskosten aufgrund
der Freiheit der Arbeiter anders nicht verringert werden können. Das Sprichwort
»Schafe fressen Menschen« entsteht. In einem Prozeß, der auch
als sogenannte erste Einhegungsbewegung bekannt ist, mittels der die Grundbesitzer
ihre 200 Jahre hindurch stark gesunkenen Einkommen wieder erhöhen (vgl. H.
Hilton, a.a.O.), werden nun auch freie Bauern ruiniert oder vertrieben und tatsächlich
gewaltsam in die Lohnarbeit gestoßen. Ihre Böden werden zur arbeitsparenden
Produktion der reißfesten Wolle genutzt, die - als ein leicht lagerbares
und transportables agrarisches Handelsgut - die Märkte Europas erobert und
später zu einer technischen Voraussetzung der Fabrik in der Textilerzeugung
wird. (Ebd., S. 48-49).
1) Wie durch Hebammen-Hexen-Verfolgung die Menschenproduktion
der Neuzeit beginnt
Der reduzierte Zugriff der Grundherren auf die
Arbeitskraft und der starke Bevölkerungsrückgang, d.h. der Arbeitskräftemangel,
führen nach der Krise des Spätmittelalters vordringlich zu Überlegungen,
wie die Bereitstellung von Arbeitskräften gewährleistet werden kann,
deren potentielle Eltern nicht mehr unter direkter Aufsicht stehen und - wie in
England - auch zunehmend keiner individuellen bäuerlichen Fortpflanzungsnotwendigkeit
mehr ausgesetzt sind. Diese Überlegungen und die daraus hervorgehenden Maßnahmen
werden zum hauptsächlichen Aktionsbereich der wachsenden absolutistischen
Verwaltungen und Denkschulen. Die politischen Theoretiker dieser Verwaltungen
können Anstrengungen, für den stetigen Zufluß neuer Arbeitskräfte
zu sorgen, nur noch vom Inhaber der politischen Gewalt fordern und formulieren
zu diesem Zweck das merkantilistische Dogma von der Bevölkerungsvermehrung
als Voraussetzung des nationalen Reichtums. Sie deuten den Niedergang der mittelalterlichen
Bauernökonomie als Parallelphänomen zum Untergang des Imperium Romanum,
befinden sich im Verhältnis zu diesem Untergang freilich bereits in der Rolle
der Schlüsse ziehenden Politiker und nicht - wie die römischen Kaiser-
in der des tastend nach einer Lösung Suchenden. (Ebd., S. 51).Die
Durchsetzung des christlichen Kindestötungsverbotes und des Schutzes der
Frauen vor Scheidung konnte, wie gezeigt, im beginnenden Feudalismus auf staatlichen
Terror deshalb verzichten, weil die neue halbfreie Bauernschaft ohnehin wieder
Interesse an erbenden und/oder mitarbeitenden Kindern ausbildete und zugleich
in der aus der wirtschaftlichen Krise resultierenden Sinnkrise der Spätantike
in großer Zahl freiwillig die christliche Moral angenommen hatte. Die schnelle
Expansion der nordeuropäischen Landwirtschaft wiederum verlangte keine direkte
polizeiliche Überwachung der Fortpflanzung. Kunstreiche Verfahren der Frucht-
und Kindesbeseitigung wurden entwickelt und gingen einher mit einer reichen sexuellen
Kultur welche das Mittelalter von der Neuzeit deutlich unterscheidet. Sowohl auf
die sexuellen Geschicklichkeiten und die Geburtenkontroll-Künste der Frauen
und Hebammen als auch auf die stillschweigende Duldung der Kirche war es zurückzuführen,
daß noch im Augsburger Achtbuch zwischen 1338 und 1400 unter 3000 Verbrechern
nur eine Kindsmörderin - also 0,033% - genannt wurde. Nürnberg verzeichnete
bis 1499 keine einzige zum Tode verurteilte Kindsmörderin. Im 17. und 18.
Jahrhundert erreichten sie jedoch bereits Anteile von 12% bzw. ca. 22% an den
Todesstrafen. (Ebd., S. 51-52).Wir behaupten also, daß
ab dem 15. Jahrhundert - mit dem Höhepunkt zwischen 1560 und 1630 - die Auslöschung
des Nachwuchsverhütungswissens organisiert wird: durch die Vernichtung von
Millionen Frauen, die als Hexen auf die verschiedensten Arten zu Tode gebracht
werden. Wir betrachten deshalb die Hexenverfolgung nicht als Zerstörung »naturhafter
Weiblichkeit« durch den »wissenschaftlichen Geist der Neuzeit«,
nicht als den Triumph männlicher Rationalität über weibliche Irrationalität
- wie es in heute gängigen Thesen unterstellt wird -, sondern umgekehrt als
die Austreibung zweckrationalen Verhaltens aus der Fortpflanzung, als die weitgehende
Verschüttung jenes biologisch und physikalisch-chemischen Wissens, welches
Schwangerschaften zu verhüten, Föten abzutreiben und Neugeborene einem
sanften Tode anheimzugeben erlaubte. über diese hochentwickelten Kenntnisse,
welche auch die Geburtsheilkunde einschließen und ... 103 verschiedene chemische
und physikalische Praktiken umfaßten, verfügten die Frauen, insbesondere
die Hebammen. (Ebd., S. 54).Unseres Erachtens diente die
langandauernde Massentötung einem bevölkerungspolitischen Kalkül,
das die Erfahrung der Spätantike verarbeitet und einen neuerlichen »Untergang«
der Zivilisation aus Menschenmangel zu unterbinden getrachtet hat. Daß die
... Kenntnisse der weisen Frauen verschüttet wurden, ist häufig beschrieben
worden. Es wurde sogar erkannt, daß sie mit den Hexenmassakern verschwinden.
Warum indes die systematische Vernichtung dieses Wissens durch Ausrottung seiner
Trägerinnen ab ca. 1480 erfolgte, gilt »als ein Rätsel der Weltgeschichte«.
(L. genz, a.a.O.). (Ebd., S. 54-55).Am klarsten ausgeführt
finden wir das bevölkerungspolitische Kalkül der frühen Neuzeit
bei dem herausragenden Staatsdenker des 16. Jahrhunderts, Jean Bodin, der bereits
auf ein volles Jahrhundert der Mordkimpagnen gegen Frauen zurückblicken kann.
Bodin ist der Begründer der Quantitätstheorie des Geldes und des frühmerkantilistischen
Populationismus. Er gilt als Schöpfer des modernen Souveränitäts-Begriffes
und scheint neben aller Rationalität und an ihm gepriesenen Toleranz durch
eine dunkle, abseitige Leidenschaft ausgezeichnet gewesen zu sein, die in unbegreiflichem
Widerspruch zum aufklärerischen Duktus dieses Protagonisten der Neuzeit zu
stehen scheint: Er verfaßte die entschiedenste, brutalste Schrift zur Hexenverfolgung
- Vom ausgelassenen wütigen Teufelsheer -, sie erschien 1580 in Paris.
Wir meinen nun allerdings, daß dieses Werk nicht in Widerspruch zu seinen
anderen Schriften steht, sondern daß es nur mit ihnen gemeinsam verständlich
wird, ja, diesen sogar das Fundament liefert. (Ebd., S. 55).Jean
Bodin verficht nicht nur die Auffassung, daß für eine neue Dynamik
der Reichtumsentwicklung nach der spätmittelalterlichen Agrarkrise der Staat
als Ausdruck der aristokratischen Interessen zum Wirtschaftsgaranten und deshalb
mit umfassender Souveränität ausgestattet werden muß, sondern
auch die, daß der Staat für die Arbeitskräfte einer neuen Okonomie
zu sorgen hat. (Vgl. Jean Bodin, Sechs Bücher über die Republik,
1576, Buch I, Kapitel 8ff., S. 84ff.). Er bezieht in seine Gesellschaftsanalyse
den Faktor Arbeitskraft ein. Aus dem Studium des Untergangs des Römischen
Reiches gewinnt er die überzeugung, daß Menschenmangel die Ursache
dieser »Katastrophe« war, und erwägt, wie die »griechischen«
Mittel der Abtreibung und Kindestötung unterdrückt werden können,
damit sie nicht von neuern geschichtsmächtig werden::»Wie
viele Jungfrauen sehen wir durch ihre eigenen Eltern verkauft und entehrt, die
liederlich leben, statt verheiratet zu sein, die denken, daß es Ibesser
sei, ihre Kinder auszusetzen oder zu töten, anstatt sie zu ernähren.
Wie kann all dieses vermieden werden, wenn nicht durch die Polizei (Censor)?«
(Jean Bodin, Sechs Bücher über die Republik, 1576, Buch VI, Kapitel
2, S. 644). | Als zentrale Aufgabe einer solchen Polizei
versteht er seinen nun keineswegs mehr irrational anmutenden Kampf gegen die Hebammen.
Praktisch hat er gegen die »Hexen« neben Anklagetatbeständen
wie Häresie, Gotteslästerung, Teufelsanbetung, Propaganda für den
Teufel, Schwur beim Namen des Teufels, Geschlechtsverkehr mit dem Teufel und neben
den traditionellen Vorwürfen der Vieh- und Fruchtverhexung lediglich demographische
Bedenken als wirklich handfeste Begründungen der Verfolgung vorzubringen:
Darbietung der Kinder an den Teufel, Darbietung selbst Ungeborener , Kindesmord,
Menschenmord, Giftmord, Menschenfresserei, Inzest und - immer wieder - Verhütung
und Abtreibung, die wie ein Mord verfolgt werden sollen, unter welch unglücklichen
Umständen auch immer die Frauen zu diesen Mitteln Zuflucht genommen haben
mögen. Ja, solche unglücklichen Umstände sollen geradezu als Beweise
für absichtliche Täuschung über die todeswürdige Hexerei gelten
können::»Denn,
wer immer mit der (Zauber- )Kunst umgeht, kann nicht in Abrede stellen, daß
er das Gesetz Gottes und der Natur bricht: weil er die Wirkung der von Gott eingesetzten
Ehe verhindert. Daraus erfolgt entweder die Ehescheidung oder Unfruchtbarkeit,
was dann ein ganz eindeutiges Sakrileg oder eine Vergreifung an der heiligen Sache
bedeutet. Zusätzlich wird er nicht leugnen können, daß er dadurch
ein Totschläger wird. Derjenige also, der die Zeugung oder Heranreifung der
Kinder bebindert, muß ebenso als Totscbläger angeseben werden wie derjenige,
der einem anderen die Gurgel durcbscbneidet.« (Jean Bodin, Sechs Bücher
über die Republik, 1576, Buch VI, Kapitel 2, S. 644) | Hier
wird deutlich. daß Bodin die Hexerei (Zauberei) absolut mit der Verletzung
der »göttlichen« Ehezwecke identisch setzt. Die Hexe ist in jedem
Falle, was immer sie sonst tun mag, als Verhüterin der Fortpflanzung wie
eine Mörderin zu verfolgen. Er formuliert auch bereits die moralischen Werte,
die ... zur allgemeinen Ideologie avancieren werden, wenn er das dem Ehezweck
hinderliche Hexentreiben als die unversöhnliche Feindschaft »zu dem
heiligen Band der Natur und der menschlichen geselligen Gemeinschaft« deutet.
(Vgl. Jean Bodin, Sechs Bücher über die Republik, 1576, Buch
VI, Kapitel 1, bes. S. 644). (Ebd., S. 55-57).Bodin arbeitet
als Berater ... bei der Organisierung und Intensivierung der Hexenverfolgung auch
praktisch mit. »Schrecklich donnerte er gegen die milden Richter«.
welche die Hexen dem Feuertod entziehen und dadurch das Heil der Menschheit aufs
Spiel setzen. (Vgl. J. Kohler, Bodinus und die Hexenverfolgung, a.a.O.,
1919, S, 457). Da die Richter Schwierigkeiten mit der Beweisaufnahme haben, insbesondere
wo es um so schwer überprüfbares Verhalten wie Schwangerschaftsverhütung,
Abtreibung und das Einleiten von Fehlgeburten geht, haben sich immer wieder Richter
geweigert, Foltern anzuordnen und Todesurteile auszusprechen, ja teilweise bekundet,
daß »Hexen kunstreiche Leute« seien. Gegen diese Künste
nun richtet sich gerade die Bevölkerungspolitik der absolutistischen Regierungen
als deren herausragender Theoretiker Bodin zu gelten hat. (Ebd., S. 57).Die
Verwunderung über seinen Irrationalismus, die bis heute in die Bewunderung
für seinen Rationalismus gemischt ist, resultiert also aus dem Unverständnis
vor der »Hexerei«, die für Bodin identisch mit Geburtenkontrolle
ist. Seine Befürwortung der Folter ist nicht irrational, sondern gerade furchtbarer
Ausdruck seiner gefeierten Rationalität, fördert sie doch die zahlreichen
chemischen und physikalischen Praktiken der Nachwuchsverhütung zutage, gegen
welche die päpstlichen Dekrete gerichtet sind: Im Hexenhammer von
1486 heißt es unter der Kapitelüberschrift »dass die Hexen-Hebammen
die Empfängnis im Mutterleibe auf verschiedene Weisen verhindern, auch Fehlgeburten
bewirken, und, wenn sie es nicht tun, die Neugeborenen den Dämonen opfern«:
»Niemand schadet dem katholischen Glauben mehr als die Hebammen.«
(Heinrich Krämer [wahrscheinlich mit Jakob Sprenger], Hexenhammer,
1486). Darin drückt sich frühzeitig die entscheidende bevölkerungspolitische
Intention der römischen Kirche aus, die seit der Bulle Innozenz' VIII. von
1484 - initiiert von den Verfassern des Hexenhammer (Heinrich
Krämer [und wahrscheinlich Jakob Sprenger]; HB) - den Menschenmangel
einheitlich in ganz Europa und damit alle bis dahin noch wenig koordinierten Unterdrückungsstrategien
zentralisierend bekämpft. Der Papst wirft den »Hexen-Hebammen«
vor, daß sie »die Geburten der Weiber ... umkommen machen, ... die
Menschen, die Weiber ... mit grausamen sowohl innerlichen als äusserlichen
Schmertzen und Klagen belegen und peinigen, ... daß sie nicht zeugen, und
die Frauen, daß sie nicht empfangen, und die Männer, daß sie
denen Weibern, und die Weiber, daß sie denen Männern, die ehelichenWerke
nicht leisten können ....« (Tenor Bullae Apostolicae adversus haeresim
malificarum, 05.12.1484, in: Heinrich Kämer [/ Jakob Sprenger], Hexenhammer,
1486, S. XXXVII). (Ebd., S. 58).Ab 1484 gehört somit
das bevölkerungspolitische Stillhalte-Abkommen zwischen Kirche und Hebammen
und allen Bürgern, das für das Mittelalter praktisch zureichend war,
endgültig und allgemein der Vergangenheit an. Die im Zerfall der Spätantike
zur Staatsreligion gewordene Antitötungsmoral des Christentums ebenso wie
sein strenges Fortpflanzungsgebot erleben nun gewissermaßen ihre erste wirkliche
Belastungsprobe und gehen aus ihr erfolgreich hervor: um den Preis millionenfacher
Tötung und generativer Verdummung der überlebenden Frauen (und Männer).
Tendenziell ist jede Frau verdächtig, am Empfängnis- und Gebärverhalten
zu manipulieren, also Hexe zu sein. Hieran wird deutlich, daß die »Hexerei«
erst dann als überwunden gelten kann, wenn das Verhütungs- und Abtreibungswissen
weitgehend verschwunden ist und die Frauen auf den primitiven, aber leicht entdeckbaren
Kindesmord als ultima ratio verwiesen sind. So ist es nicht verwunderlich,
wenn gerade Kindsmörderinnen seit dem 16. Jahrhundert mit Hilfe neuer Verfahrensvorschriften
verfolgt und aufgrund neuer staatlicher Gesetze besonders grausamen Todesstrafen
ausgesetzt werden. (Ebd., S. 58-59).Es ist das Verdienst
von Manfred Schwarz, gezeigt zu haben, daß gerade die Neuzeit die überaus
brutale Exekutierung der Kindsmörderinnen eingeführt hat, die bis dahin
»dem finsteren Wahn des Mittelalters« zugeschrieben worden war. (Vgl.
Manfred Schwarz, Die Kindestötung in ihrem Wandel vom qualifizierten zum
privilegierten Delikt, 1935). Diese irrige Auffassung setzte sich in der Aufklärung
durch. Daran wird deutlich, daß die Aufklärung zur allgemeinverbindlichen
Formulierung der »natürlichen Liebe« zwischen Eltern und Kindern
- und übrigens auch zwischen Gatten - erst voranschreiten konnte, nachdem
in der Neuzeit, in deren Tradition gegen das Mittelalter sie sich stolz und selbstbewußt
stellte, die blutige Mordarbeit von Kirche und Staat mit dauerhaften Folgen besorgt
worden war .Der großartige Mythos von der allgemeinen und natürlichen
Liebe zum Kind bildete sich erst heraus, als der tatkräftige Gedanke einer
zweckrationalen Einstellung zu dem ungeborenen oder neugeborenen Kinde mit dem
Mittel des öffentlichen Terrofs ausgelöscht war (Ebd., S. 59).
4) Warum die Bevölkerungspolitik widersprüchlich verläuft
oder: Die Unfähigkeit zur Feinsteuerung in der Menschenproduktion
Es
erweist sich, daß die neue christliche Sexualmoral durch ständige Überwachung
auch dem ehelosen Gesinde aufgeherrscht wird. Der Agrarkapitalismus - und mehr
noch der junge Industriekapitalismus - kann ... mit dem Pfunde wuchern, welches
der Absolutismus bereitgestellt hat. (Ebd., S. 72).Am deutlichsten
wird der Triumph der christlichen Moral in der Arbeiterklasse an den in England
proletarisierten Massen, die in Amerika eine puritanische Bauerngesellschaft errichten,
deren Fortpflanzungsmoral diejenige des Kontinents weit übertrifft. Die englischen
Proletarier entwickeln nach ihrer Verwandlung in die »New-England-Yankees«
die strengste Sexualmoral der bekannten Geschichte. (Ebd., S. 72).Daß
gerade England zum Hort der strengsten Sexualmoral und Fortpflanzungsbereitschaft
wird, hängt mit dem ... sehr viel früheren Auftreten einer freien, landlosen
oder landarmen Lohnarbeiterschaft zusammen, deren Kinder prinzipiell in Versorgungsschwierigkeiten
stecken. Die im Jahre 1601 abgeschlossenen Armengesetze des hier ganz merkantilistisch
operierenden englischen Staates begünstigen die Trennung solcher Kinder von
ihren Eltern und ihre Aufzucht in Armenhäusern. Es beginnt hier übrigens
die besondere juristische Fassung einer Lohnarbeiterfamilie, wie sie - historisch
neu - für alle bürgerlichen und staatssozialistischen Gesellschaften
bis heute kennzeichnend ist. Es gibt nicht länger die unbedingte väterliche
Verfügungsmacht über die Entwicklung der Kinder, an ihre Stelle tritt
nunmehr die Aufsicht des Staates über die Väter, die zur Erziehung ihrer
Kinder im Interesse der Gesellschaft verpflichtet werden müssen, weil sie
mit ihren persönlichen Interessen nicht übereinstimmt. (Ebd.,
S. 72-73).
5) Wie die Bevölkerungsentwicklung der neuzeit im Populationismus
der späteren Theorie reflektiert wird
Merkantilistische Politik
ist die planvolle Reaktion auf die Krise bauernwirtschaftlicher Reichtumsgewinnung
in feudaler Abhängigkeit und auf den katastrophalen Bevölkerungsschwund
am Ausgang der spätmittelalterlichen Agrarkrise. Sie versucht, eine neue
Dynamik durch staatliches Wirtschaften im Interesse der Aristokratie zu schaffen
und benötigt dazu Arbeitskräfte. Sie richtet sich deshalb gegen das
dem Kleineigentümer mit seiner allenfalls statischen Wirtschaft angemessene
Fortpflanzungsverhalten. Für ihn ist die Überschreitung einer bestimmten
Kinderzahl ökonomisch unvorteilhaft, sittlich gesprochen: verantwortungslos,
da er dem Nachwuchs, der nicht erbt, keine Zukunft versprechen kann. Dies gilt
erst recht für alle Kinder der Nichteigentümer, insbesondere der freien
Lohnarbeiter Englands. (Ebd., S. 77).Die merkantilistische
Menschenproduktion verselbständigt sich allmählich zu einem allgemeinen
Prinzip der Reichtumsgewinnung durch Bevölkerungsvermehrung, weil das sehr
konkrete Kalkül des neuzeitlichen Staates als ewige Moral und Sittlichkeit
exekutiert wird. Die Menschenproduktion beginnt zwar anzulaufen, aber die so gewonnen
Arbeitskräfte werfen, bevor sie irgendwo eingesetzt werden können, sofort
das Problem ihre Unterhalts auf. Die historische Erfahrung von Antike und Mittelalter,
daß Macht über Menschen Wohlstand bringt, verleitet die Theoretiker
der Neuzeit zu der Vorstellung, daß auch Menschen, für welche zunächst
einmal niemand individuelle aufzukommen hat, in gleicher Weise Quelle von Reichtum
sind. Die staatliche Menschenproduktion erscheint so unter dem Kalkül eines
individuell an Fortpflanzung interessierten Produzenten, ohne daß der Staat
zugleich Unterhalts- und Aufzuchtsinstanz ist, wie das für die Produzenten
gilt. Die Menschenproduktion jenseits des individuellen Produzentenkalküls
muß die Organisation staatlicher Unterhaltsmittel nach sich ziehen, da sonst
Armut der Nation und nicht Wohlstand aus ihr erwächst. (Ebd., S. 79-80).Das
Mißverständnis der Staatsdenker besteht darin, die traditionelle ökonomische
Einsicht: Je mehr persönlich anwendbare Menschen, desto mehr Reichtum
zum ewigen ökonomischen Naturgesetz unter der Forrnel: »Je mehr
Menschen, desto mehr Reichtum« umzubilden. Das muß Kritik an diesen
sogenannten Naturgesetzen hervorrufen, wenn Armut auftritt und gerade nicht Reichtum.
Historisch bedeutet das für den Staat: »Leibeigenschaft endet und die
Armengesetze beginnen.« Es entstehen also Kosten, zu deren Minderung oder
Vermeidung die Staatsdenker wiederum Vorschläge machen. Einigen fällt
auf, daß der Staat als Menschenproduzent eben nicht zugleich »Menschenanwender«
ist und Unterhaltsmöglichkeiten für sein Produkt erst zu schaffen hat.
So schreibt Veit Ludwig von Seckendorf (1626-1692) über das Tagelöhnerturn:
»Dieses
aber ist eine große und meines Wissens von wenigen genugsam bedachte
ursach, daß kein Verdienst in Teutschland zu machen, damit sich eine
menge volcks von gemeinen leuten beständig ernähren könnte.«
(Veit Ludwig von Seckendorf, Teutscher Fürsten-Staat, 1656, S. 177). | Wo
diese »neue« Position nicht gefunden wird, folgt aus dem »Naturgesetz«
- je mehr Menschen, desto mehr Reichtum - die Erschütterung der bis dahin
anerkannten Theoreme, so etwa vom Bodenumfang als absoluter Grenze der Ernährungsbasis.
Ein Wissenschaftler mit diesem »Naturgesetz« im Kopf deutet dann die
Verhältnisse in einem dicht besiedelten Land so, daß der Mangel an
Boden den Reichtum mehre, da er die Bewohner zu Fleiß und Einfallsreichtum
nötige, während in Wirklichkeit die Innovationen aus dem nichtagrarischen
Sektor und die relative Freih81eit der Bauern die Intensivierung der Landwirtschaft
und die Bevölkerungszahl erklären können. (Ebd., S. 81).Die
im Glauben an das »Naturgesetz« vom Reichtumszuwachs durch Bevölkerungsvermehrung
propagierte relative Sorglosigkeit bei der Erzeugung von Nachwuchs - das zuvor
undenkbare Gottvertrauen, daß genügend Nahrung vorhanden sei - gerät
in eine Krise, sobald am modernen Industrieproletariat sichtbar wird, daß
Kinderaufzucht nicht allein Ernährung, sondern auch - modern gesprochen -
zureichende Sozialisation verlangt. Die mit der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit
beider Elternteile gekoppelte Verwahrlosung und Verrohung des Nachwuchses - soweit
er überlebt - wird zu einem wesentlichen Merkmal der »Ärmlichkeit«.
Diese Ärmlichkeit kann durchaus den materiellen Lebensstandard eines Bauernhofes
überschreiten, der jedoch ein gänzlich anderes Sozialisationsmilieu
- wenigstens für den erbenden Sohn - darstellt. (Ebd., S. 81-82).Die
Tatsache des unerhört schnellen Bevölkerungsanstieges der Industriearbeiterschaft,
der sogar die hohen Auswanderungsund Kindersterblichkeitsquoten quantitativ zu
verschwindenden Größen macht, läßt das »Naturgesetz«
mit der Wirklichkeit in Widerspruch geraten und inspiriert etliche Autoren zu
einer neuen Theorie über die Bevölkerung. Diese läßt sich
zusammenfassend als Umkehrung des alten »Gesetzes« formulieren: Je
unbeschränkter die Menschen sich vermehren, desto größer wird
die allgemeine Armut. Diese späteren Autoren stehen von vornherein in
Opposition zum Staat, der zur Gewinnung des Arbeitskräftepotentials Elend
in Kauf nimmt. Mit ihren eigenen Vorschlägen bleiben die neuen (prämalhusianischen)
Bevölkerungstheoretiker jedoch ebenfalls Geschöpfe ihrer Zeit. Sie durchbrechen
nicht das aus der Hexenverfolgung resultierende christliche Tabu über die
Verhütungsmittel und verfallen bei der Suche nach Möglichkeiten der
Geburtenbeschränkung durchweg auf den Zölibat, die lebenslängliche
sexuelle Enthaltsamkeit, und nicht auf die verhütungsgeleitete Genußsexualität.
(Ebd., S. 82).Die Malthusianer konstruieren ...: Nahrung produziert
Menschen. Die Konsequenz daraus ist die Bekämpfung der Armenfürsorge,
die lediglich zur Zeugung weiterer Kinder führe und das Problem nicht löse,
sondern verschärfe. .... Für die Malthusianer bedeutet Nichtenthaltsamkeit
unvermeidliches Elend. Sie reduzieren die Armut also nicht auf ökonomische
Umstände, sondern machen für sie die sogenannte menschliche Natur haftbar.
(Ebd., S. 83).Der Kampf gegen sexuelle Enthaltsamkeit wird
von zwei ganz verschiedenen Konzeptionen her begründet: (a)
der marxistischen, die den ihrer Meinung nach ebenfalls auf natürliche
Weise zunehmenden Nachwuchs gesellschaftlich erziehen will, also biologistisch
bleibt, aber dem Elend zu entkommen hofft, und (b)
der neomalthusianischen, die auf Schwangerschaftsverhütung setzt,
welche in jüngster Zeit, wenn auch nicht vrobehaltlos, von den meisten Marxisten
ebenfalls geübt wird. (Ebd., S. 83).
E) Warum in der industrielen Revolution die polizey-staatliche
Menschenproduktion ihren Höhepunkt, nicht jedoch ihren Ausgangspunkt hat
1) Wie es zur »Bevölkerungexplosion« kommt
Die
industrielle Revolution erfolgt in England. Sie ist nicht Resultat neuer sozialer
Strukturen, sondern die Fortentwicklung der Dynamik, welche der Agrarkapitalismus
mit faktisch freier Lohnarbeit bereits im 16. Jahrhundert freisetzt. Die landwirtschaftlichen
Produktivitätsfortschritte gehen weiter, reduzieren den anfänglich hohen
Preis für die Arbeitskraft und verschärfen den Konkurrenzdruck auf die
kleineren Produzenten. Diese suchen einen Ausweg z.T. in der Einführung der
verlagsmäßigen Industrie, d.h. sie nutzen das aufgrund der Menschenproduktion
und der Rationalisierung billiger werdende Angebot der freien, landarmen Lohnarbeiter.
(Ebd., S. 84).Dies ist die Vorbedingung für Akkumulation in
der verlagsmäßigen Industrieproduktion, die ab etwa 1775 in England
den Sprung zur Konzentration der Arbeiter in Fabriken einleitet. Er wird unerläßlich,
sobald die Expansion des Verlagssystems über eine bestimmte, noch kostenakzeptable
Ausdehnung hinausgetrieben ist. Erst jetzt - um ca. 1760 - beginnt in größerem
Maße der gezielte Einsatz des akkumulierten Kapitals zu rein technischen
Erfindungen, die in Fabriken zur Anwendungkommen, d.h. die Arbeitskraft dorthin
zu wandern nötigen. Die Fabriken wiederum werden nach Entwicklung mobiler
Kraftmaschinen von Wasserkraft unabh~gig und können infrastrukturell kostengünstig
zusammengelegt werden. Der Prozeß mündet nach 1790 in den Fabrikstädten
des modernen Kapitalismus. (Ebd., S. 84).
1a) Wie den historischen Demographen die Erklärung der »Bevölkerungexplosion«
mißlingt
Die Erklärungsschwäche der historischen
Femographie rührt ... daher, daß sie zur Basis der Erklärung ihres
Problems ausgerechnet das zu erklärende Problem macht. Zu fragen ist: Warum
pflanzen sich Menschen fort oder warum lassen sie das sein? Die Demographen aber
fragen: Wie verhält sich der »natürliche Fortpflanzungs- und Eheschließungswunsch«
unter verschiedenen historischen Gegebenheiten? Die Verbrennung der Hebammen-Hexen
zeigt auch hier ihre erfolgreiche Nachwirkung. Sie hat die gedankliche Beschäftigung
mit dem Fortpflanzungsgeschehen nachhaltig - jedenfalls unter Wissenschaftlern
- bis auf unsere Tage tabuisiert. Die naturrechtliche These von der jedem Individuum
quasi angeborenen Familiensehnsucht, welche nach der Zerstörung anderer
Sehnsüchte seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, also nach dem Abflauen der
Hexentötungen, erst formuliert werden kann, wird zum Dogma des gesellschaftstheoretischen
Denkens, sei es radikaler - etwa marxistischer -, sei es Konservativer Herkunft:
Ein historisches Produkt erscheint als ewige Naturkonstante. (Ebd., S. 88-89).
1b) Warum die neuzeitliche Menschenproduktion in die »Bevölkerungexplosion«
übergeht
Die »Bevölkerungsexplosion«
gründet ... nicht in einem der ... genannten Faktoren - im medizinischen,
hygienischen oder ökonomischen Fortschritt -, sondern - so lautet unsere
These - in der Zulassung bisher daran gehinderter sozialer Schichten zur Eheschließung.
Diese Schichten, bislang in ihrer Sexualbetätigung eingeschränkt, müssen
die neuzeitliche christliche Sexualmoral praktizieren, d.h. sie können kaum
verhüten, haben viele Kinder und müssen diese, soweit sie nicht sterben,
versorgen. Sie sind also weitgehend hilflos und unwissend, lassen es sich aber
nicht nehmen, endlich ihre sexuellen Bedürfnisse straffrei zu befriedigen,
und enden deshalb zwangsläufig im Kinder-»Reichtum«. Sie halten
ganz überwiegend die staatlichen Gesetze gegen Kindestötung, Kindesaussetzung,
Kindesabtreibung und Schwangerschaftsverhütung ein und sorgen damit für
eine relative Zunahme der Geburten pro Ehe und für eine absolute Zunahme
der Ehen im nationalen Maßstab. (Ebd., S. 89).Diese
Kombination bewirkt die Bevölkerungsexplosion. Und es dauert - wiederum aus
bevölkerungspolitisch motivierten Widerstand des Staates - etliche Generationen,
bis das ökonomische Kalkül der Einzelnen erfolgreiche Waffen gegen dasjenige
des »Polizey«-Staates in den modernen Gesellschaften findet und die
neuzeitliche christliche Fortpflanzungsmoral zu zerfallen beginnt. (Ebd.,
S. 89-90).Die »Bevölkerungsexplosion« resultiert
aus der Verlagerung von ungewollt sexuell im wartestand befindlichen Schichten
in die neuen sozialen Verhältnisse der Städte. Dorthin wird gedrängt,
um - zur Realisierung der Sexualität - Ehen schließen zu können
und über ein von Kontrolle befreites einkommen zu verfügen. (Ebd.,
S. 92).Der »Industriearbeiter der Frühezeit war nach
sozialer Intention und Lebensstil noch ein verhinderter Bauer.« (Gerhard
Mackenroth, Bevölkerungslehre, 1953, S. 356). Er hat allerdings nicht
praktisch lernen dürfen, den einer Bauernexistenz angemessenen kalkulatorischen
Umgang mit »Familie« und wirtschaftlichem Fortkommen auszubilden.
Die »kinderreich« werdende Industriearbeiterschaft rekrutiert sich
somit aus ländlicher Unterschicht, die zwar frei, aber in ihren persönlichen
Entscheidungen erheblich beschränkt ist. (Ebd., S. 92-93).So
folgenreich die »polizey«-staatliche Menschenproduktion aller christlichen
Länder welthistorisch ist - Europa wird weltbeherrschend -, so gerät
sie doch in dem Augenblick in Schwierigkeiten, als ein »physisch und geistig
entartetes« Proletariat die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft
bedroht und staatliche Rettungsmaßnahmen hervorruft: Verschonung von Lohnarbeit
bis schließlich zum 15. Lebensjahr und gleichzeitige Unterbringung der Kinder,
deren Eltern arbeiten, in öffentlichen Anstalten (Kinderbewahranstalten,
Schulen u.s.w.). Die dafür den Eltern aufgebürdeten Kosten nötigen
sie schließlich, Wege zur Vermeidung dieser Kosten zu suchen. Die Geschlechtslust
wird neuerlich von der Fortpflanzung abgetrennt. Der Gebrauch nicht-befruchtender
Befriedigungstechniken nimmt ebenso zu wie der von Verhütungsmitteln. Die
große Zeit des »polizey«-staatlichen Strafsystems zur Nachwuchserzwingung
neigt sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihrem Ende zu. Fortan
sinken die Geburtenziffern in den entwickelten Gesellschaften - jeweils beschleunigt
durch wissenschaftliche Revolutionierungen der Verhütungsmittel -, ein Prozeß,
der bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist. (Ebd., S. 95-96).
F) Wie es zum neuerlichen Durchbruch ökonomischer
Rationalität im Fortpflanzungsverhalten der Europäer kommt oder: Warum
die Geburtenraten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu sinken beginnen
1) Wie die Bevölkerungexplosion zu Qualitätsproblemen
in der Menschheitsproduktion führt und der Staat zum Erzieher wird
Sobald
die Agitation für die soziale Reform (nach der französischen Revolution
- d.V.) verschwindet, geht auch das Interesse an Geburtenkontrolle zurück«.
(Norman E. Himes, a.a.O.). Dieser sogenannte Interessenrückgang ist den Demographen
unerklärlich. Unseres Erachtens hat er gar nicht stattgefunden. Vielmehr
wird dieses halbe Jahrhundert zum Schauplatz politisch bewußten Disponierens
mit Menschenmassen, für deren Erzeugung nun die juristischen und »staatspolizeylichen«
Maßnahmen, welche seit Beginn der Neuzeit unter Verwendung der nach der
Spätantike erlassenen christlichen Fortpflanzungsgesetze in bislang ungekannter
Machtperfektion vorliegen. Daß eine kapitalistische Ökonomie auf Lohnarbeiter
- die Kinder persönlich nicht benötigen, weshalb sie ihnen abzupressen
sind - angewiesen ist, erzwingt die entschiedene Ächtung aller nur denkbaren
Nachwuchsverhütung, bedeutet also die unbedingte Aufrechterhaltung von Irrationalität
und Unwissenheit im sexuellen Bereich oder - religiös gesprochen - das Festhalten
an der neuzeitlichen Verantwortungslosigkeit im Fortpflanzungsverhalten, kurz,
an dem Vertrauen, daß Gott die Kinder schon ernähren werde. Die strafrechtliche
Verfolgung gilt mithin sexueller Aufklärung, dem Anbieten von Verhütungsmitteln,
der Kindestötung und Kindesaussetzung, der Abtreibung, dem Vertrieb erotischer
Schriften, dem Kontakt der Jugend mit sexuellen Sachverhalten, allen nicht zur
Schwängerung führenden Formen der Sexualbefriedigung - selbst im Rahmen
der Ehe -, der Homosexualität, der außer- und vorehelichen Sexualität,
der Unterhaltspflichtverletzung u.s.w.. Die entsprechenden Gesetze befestigen
eine Sexualmoral, die an Grausamkeit, Ausschließlichkeit und Konsequenz
in der Menschheitsgeschichte ohne Vorbild ist. Die ausführlichste uns vorliegende
Untersuchung über das Sexualverhalten in verschiedenen Gesellschaften aus
Vergangenheit und Gegenwart nennt außer den christlichen Gesellschaften
nur noch einen kleinen westafrikanischen Stamm (Ashanti) mit ähnlich rigider
Moral, aber ohne entsprechendes Kindestötungsverbot. (Vgl. G. P. Murdock,
a.a.O.). (Ebd., S. 132-133).Nun geht die Unterdrückung
einer Verhütungskampagne, die sich theoretisch auf Malthus und praktisch
auf Place hätte berufen können, keineswegs mit totaler gesellschaftlicher
Blindheit der Regierungen Europas und in erster Linie Englands zusammen. Die schnell
wachsende Industrie ebenso wie die - von nicht als Menschen anerkannten »Heiden«
bewohnten - Kolonien bilden das Feld, auf dem die Nationen Europas ihren Konkurrenzkampf
aus dem Arbeitskräftereservoir bestreiten, das ihre Bevölkerungspolitik
abwirft:»Von
diesem Augenblick an (dem ersten englischen Census von 1801 - d.V. ) wurde ein
kontinuierliches Bevölkerungswachstum als normal angesehen, eine Abschwächung
oder gar ein Aufhören jedoch als ungünstiger Zustand. Heute (1927 -
d.V.) ist diese Idee zu einem Dogma geworden, das nirgendwo mehr Anhänger
gefunden hat als in England. Auf ihm gründen sich die ehrgeizigsten Hoffnungen
für eine britische Expansion: Entsprechend einem Glaubenssatz, der seine
Apostel und Fanatiker gefunden hat, werden Wohlstand und Macht des Empire unbegrenzt
mit seiner Bevölkerung wachsen, so daß eines Tages Kanada, Australien
und Südafrika hunderte Millionen von Menschen haben werden, eine ganze neue
Rasse, die Englisch spricht und auf immer ein großes Commonwealth unter
dem Union Jack bildet.« (P. Mantoux,a.a.O.). | Tatsächlich
leben heute ca. 270 Millionen Menschen englischer Muttersprache außerhalb
Englands, bezeugen also den Drang der im 19. Jahrhundert in England massenhaft
geborenen Kinder, eine freie Bauern- oder sonstige selbständige Produzentenexistenz
in übersee aufzubauen. Es wiederholt sich hier im internationalen Kontext
und durch Engländer lediglich begonnen, was wir während der Antike im
Mittelmeerraum beobachtet haben: Vor die Alternativen »Lohnarbeiter oder
selbständiger Produzent« gestellt, wird abermals - und nunmehr millionenfach
die letztere gewählt. (Ebd., S. 133-134).In England
wird im Gefolge der Auswanderung ein zentrales Problem der staatlichen Menschenproduktion
zuerst deutlich sichtbar. Zwar können durch staatliche Gewalt und kirchliche
Indoktrination den Lohnabhängigen Kinder abgepreßt werden, aber beide
Mittel sind untauglich, die Zuwendung zu erzwingen, ohne welche Kinder nicht zu
gedeihen vermögen. Deshalb werden bereits in der frühen Kindheit - also
noch vor dem Zwang zu industrieller Kinderarbeit ab etwa dem 6. Lebensjahr - Millionen
von Kindern für das gesamte Leben nachhaltig geschädigt. Zudem wird
das waghalsige Unternehmen der Auswanderung vorrangig von den stabileren Personen
riskiert, während im Mutterland die weniger stabilen Menschen als Geschöpfe
der industriellen Revolution zurückbleiben. Auf dem Überhandnehmen dieses
»menschlichen Schutts« des 19. Jahrhunderts begründet Francis
Galton, ein Vetter Charles Darwins, seine Eugenik (Rassenhygiene; vgl. Francis
Galton, Hereditary Genius, its Laws and Consequenes, 1869). Die Lehre Galtons
erfährt rasch internationale Verbreitung: Die zweite Weltbevölkerungskonferenz
(nach der Genfer von 1927) findet unter der Schirmherrschaft Hitlers 1935 in Berlin
statt und versammelt Rassenhygieniker aus fast allen entwickelten Ländern
der Erde. Schon zwischen 1907 und 1935 werden in den USA rassenhygienische Gesetze
in 31 von 48 Bundesstaaten durchgesetzt und damit eugenische Sterilisationen zulässig.
Deutschland unter den Nationalsozialisten folgt mit dem Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses am 18. Juli 1935. Es wird vom Ehrenpräsidenfen
der us-amerikanischen »Eugenic Research Association« auf dem
Berliner Kongreß begrüßt:»Aus
der Synthese aller großen Wissenschaftler haben Männer wie der Führer
der Deutschen Nation, Adolf Hitler, sachkundig unterstützt von Innenminister
Frick und beraten von den deutschen Anthropologen, Rassenhygienikern und Sozialphilosophen
eine umfassende Rassenpolitik der Entwicklung und Verbesserung der Bevölkerung
geschaffen, welche in der Rassengeschichte Epoche machen wird. Es schafft das
Modell, welches die anderen Nationen und Rassen nachvollziehen müssen, wenn
sie in ihrer rassischen Qualität, in ihrer rassischen Vollkommenheit und
in ihrer Fähigkeit zu überleben, nicht zurückfallen wollen.«
(H. Laughlin, Studies on the Historical and Legal Development oif Eugenical
Sterilization in the United States, in: Bevölkerungsfragen, Hrsg.:
Hans Harmsen & Franz Lohse, 1936, S. 666ff.). | Die
hier beispielhaft in später Formulierung vorgeführte Idee einer Konkurrenz
der Rassen beginnt die kapitalistischen Länder Europas im letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts, also relativ gleichzeitig, zu beschäftigen. Die buchstäbliche
Sorge, daß die Mehrheit der Nation den Verstand verliere oder Verstand erst
gar nicht erwerbe, löst Maßnahmen gegen einen frühzeitigen Verschleiß
der Menschen aus. In den zu erwartenden Waffengängen zwischen den ökonomisch
expandierenden Nationen Europas werden diejenigen mit schlechterem »Menschenmaterial«
ausgestatteten von vornherein auf der Verliererseite gesehen. (Ebd., S.
134-135).In dem Maße also, in welchem die Fabrikarbeiter
ihren Anteil an der Bevölkerung erhöhen, wird offensichtlich, daß
die absolute Mehrheit der Nationen allmählich aus früh geschädigten
Menschen besteht, deren defizitäre Sozialisation sich im Nachwuchs noch zu
potenzieren droht: Der Bericht der englischen »Kommission von 1863 über
die Beschäftigung von Kindern« formuliert diese Besorgnis folgendermaßen:
»Die Töpfer als eine Klasse, Männer und Weiber, repräsentieren
eine entartete Bevölkerung, physisch und geistig entartet«; »die
ungesunden Kinder werden ihrerseits ungesunde Eltern, eine fortschreitende Verschlechterung
der Race ist unvermeidlich«, und dennoch »ist die Entartung der Bevölkerung
der Töpferdistrikte verlangsamt durch die beständige Rekrutierung aus
den benachbarten Landdistrikten und die Zwischenheiraten mit gesundern Racen!«
(Zitiert in: Karl Marx, Inaugaraladresse der Internationaln Arbeiter- Assoziation
vom 28. September 1864, in: Marx-Engels-Werke, Band 16, S. 8).
(Ebd., S. 135).Der Rassismus des Bürgertums, zusammengesetzt
aus der Furcht vor dem Niedergang der eigenen »Racen« und der Angst
vor »Überflutung« durch »mindere Racen« hat hier
seinen historischen Ursprung. Es entsteht in den bürgerlichen Familien »eine
umgekehrte und dunkle Ahnentafel, deren beschämende »Adelstitel, die
Krankheiten oder Belastungen der Verwandtschaft waren« (Marcel Foucault,
Sexualität und Wahrheit, 1976, S. 150). Im Rassenwahn unter dem NS-Regime
findet diese Unreinheitsangst - nunmehr vor jüdischen und anderen »nicht
arischen« Ahnen - ihre fürchterlicheVollendung. (Ebd., S. 135-136).England
steht also als erste Nation vor den Problemen, mit denen sich später alle
anderen bürgerlichen Gesellschaften in gleicher Weise konfrontiert sehen:
Wie ist es möglich, eine Lohnarbeitergesellschaft nicht allein biologisch
zu reproduzieren, sie nicht nur zum bloßen Setzen von Leben, sondern auch
zu befriedigender Erziehung der Kinder zu veranlassen? Wie kann das Kunststück
der Neuzeit, an welchem alle vergangenen Hochkulturen gescheitert sind, weitergeführt
werden? Wie sind die sexuelle Ignoranz und die persönliche, aber religiös
gerechtfertigte elterliche Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Nachwuchs
als Resultat der Hexenverfolgungen festzuhalten? Wie kann der einmal gewonnene
Nachwuchs weiterhin vor dem Tode bewahrt und ihm schließlich jene menschliche
Qualität vermittelt werden, ohne die eine Gesellschaft nicht überleben
kann? Was Adam Smith - vor der industriellen Revolution - als bestimmendes Moment
der Beziehungen zwischen Lohnarbeitern und ihrem Nachwuchs erkannte - nämlich
Vernachlässigung und Gleichgültigkeit -, prägt allmählich
das Verhältnis zwischen der Bevölkerungsmehrheit Englands und ihren
Kindern. Den Anstieg des Anteils der Fabrikarbeiter an der Gesamtbevölkerung
Englands verdeutlichen die folgenden Zahlen: Noch 801 arbeiten in der Landwirtschaft
35 Prozent der Arbeitskräfte, in der Industrie jedoch nur 29 Prozent. Bereits
1831 haben die industriellen Zentren mit 6317580 Einwohnern fast denselben Anteil
an der Gesamtbevölkerung erreicht wie die landwirtschaftlichen und gemischten
Gebiete mit 7734405 Einwohnern. Im Jahre 1841 beschäftigt die Landwirtschaft
nur noch 23 Prozent der Arbeitskräfte gegenüber 39-43 Prozent in der
Industrie und 34-38 Prozent in den Dienstleistungsgewerben. 1901 schließlich
machen die Fabrikarbeiter mit 54. Prozent die absolute Bevölkerungsmehrheit
Englands aus (in Deutschland waren es schon früher
mehr; HB). (Ebd., S. 136).Die Lösung
des gewaltigen Problems der Kindesvernachlässigung können die staatlichen
Gewalten nicht um den Preis der Überwindung der christlichen Familienmoral
betreiben, da dann der Zufluß der Arbeitskräfte überhaupt gefährdet
würde. Sie verhalten sich also nur konsequent, wenn sie die Mehrung der Kinder
unberührt lassen und sich zu ihren Beschützern erheben. Der Staat übernimmt
die institutionelle Aufgabe der qualitativ zureichenden Entwicklung der Kinder,
macht sich in doppeltem Sinne zu ihrem »Vater« .Er ist bereits verantwortlich
für die Erzeugung und kümmert sich nun auch um die Erziehung. Erfolg
in beiden Fällen wird zur Voraussetzung der Fortexistenz der Nation.
(Ebd., S. 136-137).Den entscheidenden Schritt als Erzieher der
nachwachsenden Lohnarbeitergeneration glaubt der englische Staat bereits damit
getan zu haben, daß er effektiv seit 1833, programmatisch bereits seit 1802,
sukzessive die Kinderarbeit verbietet sowie die Frauenarbeit - also Mütterarbeit
- verkürzt (1844 auf maximal 12 Stunden) und etwa im Bergbau ganz untersagt.
Diese Gesetze bewirken zwar eine enorme Reduzierung der Kinderarbeit, mögen
auch die nun nicht mehr »halbnackt« im Bergwerk tätigen Mütter
in der gewünschten Sexualmorall bestärkt haben, lösen das Verwahrlosungsproblem
aber gerade nicht. (Ebd., S. 137).Die Ursache des qualitativen
Problems der Menschenproduktion liegt nämlich nicht nur in der Fabrikarbeit
als solcher, sondern in der perspektivlosen Existenz des Lohnarbeiters, der seine
Kinder für keine konkrete Lebensaussicht zu erziehen imstande und willens
ist. So gelten im Jahre 1851 von den 4908696 Kindern Englands zwischen 3 und 15
Jahren 3015405 als mehr oder weniger streunend. Noch 15 Jahre später, also
1866, befinden sich in Manchester 54 Prozent der Kinder weder in der Schule (immerhin
40 Prozent besuchen bereits eine solche), noch an einem Arbeitsplatz (an dem sich
nunmehr nur noch 6 Prozent der Kinder finden), sondern halten sich auf den Straßen
oder in den ärmlichen Wohnungen der außerhäusigen Eltern auf.
Die Verwahrung dieser Kinder, die sich keineswegs im Sinne der erforderlichen
Fortpflanzungsmoral zu entwickeln und die obendrein als Analphabeten den Anforderungen
der Maschinenbedienung nicht zu genügen drohen, werden zum Anlaß des
ersten verwirklichten allgemeinen Pflichtschulsystems der Weltgeschichte (nein,
denn die Schulpflicht wurde in Deutschland schon in den ersten Jahrzehnten des
17 . Jahrhunderts eingeführt [z.B. in Sachsen-Weimar 1619]! HB):
der »infant school«. Die Neuzeit schafft sich hier das zweite Bein
ihres »Wunders«, das darin besteht, eine mehrheitlich aus Besitzlosen
zusammengesetzte Gesellschaft zu sein und sich dennoch fortzupflanzen. Nach der
Erzwingung der Fortpflanzung erzwingt sie nun auch die Erziehung der Lohnarbeiterkinder
in öffentlichen Institutionen. Im Jahre 1870 wird in England für Kinder
zwischen 5 und 13 Jahren eine Pflichtelementarschule gesetzlich eingeführt.
Im Jahre 1876 erlegt ein weiteres Gesetz den Eltern die Verantwortung für
den tatsächlichen Schulbesuch ihrer Kinder auf. Seit 1880 wird schließlich
die Anwesenheit der Kinder in der Schule - mit bis 1918 geltenden Ausnahmen nur
noch für die über Zehnjährigen - praktisch erzwungen. Die Funktion
der Schule besteht - neben der schlichten Aufbewahrung - in der Indoktrinierung
der Kinder mit der christlichen Moral sowie in ihrer Einübung in Grundkenntnisse
des Rechnens, Schreibens und Lesens. Bereits im Armengesetzgebungs-Bericht von
1834 haben die Ratgeber des englischen Parlaments vorausgesehen, daß der
Staat Erzieher werden muß. In der alten Armengesetzgebung von 1601, die,
wie gezeigt, unmittelbar nach und als Folge der Beseitigung von Leibeigenschaft
entstand, war bereits die Rede davon, daß es Eltern gibt, die nicht »fähig
sind, ihre Kinder ordentlich aufzuziehen und zu ernähren«. (D. V. Glass,
a.a.O.). Das Gesetz steckte sich deshalb das Ziel, die Eltern materiell zu befähigen,
ihre Kinder »anständig« aufzuziehen. Sie empfingen Gegenstände
des täglichen Lebens- und Arbeitsbedarfs, und es wurde damit gerechnet, daß
sie unter dem Konformitätsdruck der meist ländlichen Umgebung ein dem
bäuerlichen vergleichbares Arbeits- und Familienleben führen würden.
(Ebd., S. 137-138).Das neue Armengesetz von 1834, das bis 1929
in Kraft bleibt, bricht mit dieser Konzeption völlig, vertraut nicht mehr
auf traditionelle Tugenden der Eltern als Erzieher, zwingt diese vielmehr nach
Geschlechtern getrennt in Arbeitshäuser und ist sich »vollkommen bewußt,
daß es für die allgemeine Verbreitung guter Prinzipien und Verhaltensweisen,
welche heute benötigt werden, nicht sinnvoll ist, ökonomische Unterstützungen
zu geben, sondern sich auf die moralische und religiöse Erziehung zu konzentrieren
..., welche umsichtig vom Staat geleistet werden soll. Obwohl dieses Thema nicht
zur Aufgabe unserer Kommission gehört ..., meinen wir, daß nach der
allgemeinen Verbesserung durch eine effektivere Durchführung der Armengesetze,
die wichtigste Aufgabe des Gesetzgebers darin besteht, Maßnahmen für
die religiöse und moralische Erziehung der arbeitenden Klassen zu treffen.«
(N. W. Senior, a.a.O.). Dennoch erweist sich gerade die Schutzgesetzgebung für
die Kinder als entscheidender Faktor bei der Durchbrechung der Ignoranz in sexuellen
und Verhütungs-Angelegenheiten, bei der Durchbrechung der christlichen Familienmoral.
War es den Eltern noch bis 1833 möglich, die Kinder bald in die Fabriken
zu schicken, sie also selbst für den Unterhalt und vielleicht sogar für
denjenigen der noch nicht arbeitsfähigen Geschwister aufkommen zu lassen,
so bedeutet bereits das Kinderarbeitsverbot eine schwerwiegende Einkommenseinbuße,
gegen die in der Arbeiterschaft auch gekämpft wird. Diese Einbuße verschärft
sich dann durch den 1876 zum Gesetz gewordenen Zwang, die Kinder für den
Schulbesuch auch materiell auszustatten. 1874 wird mit dem Gesetz über die
staatliche Registrierung von Geburten- oder Sterbefällen die Pflicht auferlegt,
die Geburt eines Kindes anzugeben. Erst jetzt ist die überprüfung der
Eltern bei der Befolgung der für den Kinderschutz erlassenen Gesetze möglich.
(Ebd., S. 138-139).Das Interesse an Informationen über die
Verhütung von Nachwuchs, die ja seit 1822 in den Arbeiten von Francis Place
vorliegen, wird nun mächtiger als die Furcht vor Strafen für Verbreitung
oder Besitz »obszöner« Schriften, als welche Aufklärungsliteratur
verfolgt wird. Die hochschnellende Kostenbelastung der Eltern im Gefolge der Kinderschutz-
und Schulpflichtgesetze lassen die Suche nach Informationen über SchwangerschaftSVerhütung
in den arbeitenden Klassen noch dringlicher werden. Dieses Interesse trifft auf
opferbereite Intellektuelle, die solche Informationen mit allen Risiken für
die eigene Existenz zu geben bereit sind. Ein Jahr nach dem Gesetz über die
elterliche Verantwortlichkeit des Schulbesuchs ihrer Kinder verteilen Annie Besant
und Charles Bradlaugh öffentlich eine Schrift, für deren Verkauf der
Buchhändler Henry Cook aus Bristol wegen »Verbreitung obszöner
Schriften« zwei Jahre Zwangsarbeit erhalten hatte. Es handelt sich um einen
Nachdruck Von Charles Knowltons (1800-1850) 1832 erstmals anonym erschienenem
Buch Fruits of Philosopby, das dem Historiker der Geburtenkontrollmethoden
Norman E. Hirnes (1899-1949) »als die erste wirklich wichtige Untersuchung
seit denjenigen von Soranos und Aetios [antikeAutoren - d. V.]« über
Verhütung bezeichnet wird. (Ebd., S. 139-140).
Die Freidenker Annie Besant und Charles Bradlaugh unterrichten
die Polizei von ihrer Verteilungsaktion, werden verhaftet und erzwingen
So einen Musterprozeß, der nach Revision vor dem höchsten Gericht
Englands 1878 mit Freispruch endet. Am 18. Juli 1877 gründen die
beiden - noch unter Anklage stehend - die »Malthusian League«,
die in ihrem ersten Programmpunkt verkündet, für »die
Abschaffung aller Strafen auf öffentliche Diskussion der Bevölkerungsfrage
zu agitieren, um solche gesetzlichen Bestimmungen zu erlangen, daß
es in Zukunft unmöglich sein wird, derartige öffentliche Besprechungen
unter dem Begriff eines Vergehens nach dem gemeinen Recht zu verfolgen«.
(R. Ledbetter, A History of the Malthusian League 1877-1927, 1932,
S. XIII). Sie sprechen gegen Malthus' Empfehlung, durch sexuelle Enthaltsamkeit
die Kinderzahlen niedrig zu halten, da es »viele Krankheiten und
viele geschlechtliche Laster (verursache); frühes Heiraten dagegen
hat die Tendenz, Keuschheit, häuslichen Komfort, soziales Glück
und individuelle Gesundheit zu befördern; aber es bedeutet schwere
soziale Verfehlung von Männern und Frauen, wenn sie mehr Kinder in
die Welt setzen, als sie angemessen unterbringen, ernähren, kleiden
und erziehen können«. Daraus wird ersichtlich, daß die
Neomalthusianer nicht der Familienlosigkeit, sondern dem Familienglück
zuarbeiten. Die Familienhaftigkeit des Menschen steht für sie außer
Frage. Ihre Leidenschaft rührt aus dem Glauben, daß sie gewissermaßen
die ersten Menschen seien, die über Geburtenkontrolle nachdenken,
und damit ebenfalls die ersten, die den Geheimschlüssel zu einem
wirklich glücklichen Familienleben in Händen halten. Die Neomalthusianer
- als Verhütungsaufklärer verfolgt - liefern somit einen der
stärksten Beweise für den ungeheuren Erfolg der Auslöschung
des Verhütungswissens im Zuge der Hexenverfolgungen. Diese feiert
ihren Triumph darin, daß die Ideologie von der Natürlichkeit
des Familienlebens von denjenigen am leidenschaftlichsten verfochten wird,
die es mit jenen Mitteln vollkommen machen wollen, deren frühere
Zerstörung den Glauben an diese Natürlichkeit erst begründet
hat. (Ebd., S. 140-141).
1910 versammeln
sich 18 europäische Sektionen der neomalthusianischen Bewegung in Den Haag.
In fast allen Ländern Europas gehen malthusianische Intellektuelle in die
Gefängnisse und erzwingen Musterprozesse. Sie sind indes erst in den 1960er
Jahren unseres Jahrhunderts in der Weise erfolgreich, daß nun zwar Verhütung
weitgehend betrieben wird, aber der Traum vom glücklichen Familienleben der
Verhütenden zerstoben ist und ihren Denkfehler praktisch offenbart.
(Ebd., S. 141).Im Jahre 1927 tritt die Liga zum letzten Mal zusammen
und erklärt ihren Zweck für erfüllt. Im selben Jahre organisiert
Margaret Sanger die erste Weltbevölkerungskonferenz in Genf. Sie versucht,
die Geburtenkontrolle zu einer Angelegenheit des Völkerbundes zu machen,
und erreicht dabei einen entscheidenden öffentlichen Durchbruch. Damit hat
ein neues Zeitalter der weltweiten Familienplanung begonnen. Alle Befürworter
der Verbreitung von Verhütungswissen predigen zugleich weiterhin die christliche
Familie in religiöser oder säkularisierter Ausgestaltung. Die Familienhaftigkeit
aller Menschen und damit auch des freien Lohnarbeiters wird nach wie vor als »conditio
humana« unterstellt und - meist - auch geglaubt. So versammeln sich denn
im Jahre 1965 beinahe alle Staaten der Erde zu einer Konferenz »on Family
Planning Programs«. Damit ist die christliche Moral zur Weltmoral erhoben.
Der europäischen Zivilisation ist es gelungen, alle Erdteile der industriellen
Warenproduktion zu öffnen und zugleich das Gebot zur Familiengründung
zu verallgemeinern, ohne das Lohnarbeitergesellschaften nicht überdauern
können. Die Weltbevölkerungskqnferenz von Bukarest im August 1974 verkündet
dann den endgültigen Sieg der Familienplanungsidee: »Im vorliegenden
Aktionsplan wird die Notwendigkeit anerkannt, allen (Ehe-)Paaren die erwünschte
Kinderzahl mit dem erwünschten zeitlichen Abstand zwischen den Geburten zu
effilöglichen und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf
dieses Ziel auszurichten.« (Punkt 28 des World Population Plan of Action)
Der Neomalthusianismus, die Familienplanung, ist damit Welt-Bevölkerungspolitik
geworden. Seine bürgerlichen und marxistischen Gegner haben sich ihm angeschlossen.
Allenfalls bei der Bestimmung wirklich »maßgerechter Familien«,
um die »Weltbevölkerungs-Bombe« zu entschärfen, scheint
es noch Probleme zu geben. Doch die Zahlen deuten den Erfolg schon an. Die Lohnarbeiterfamilie
scheint weltweit durchgesetzt zu sein. (Ebd., S. 141-142).
2) Warum in Frankreich früher als im übrigen Europa die Geburtenraten
zurückgehen
Das reale Fortpflanzungsverhalten der Lohnarbeiter
hat jedoch bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den Glauben an die
Naturhaftigkeit der Familie zu unterminieren begonnen. Der ab 1878 in England
- und dann auch in den anderen europäischen Ländern - einsetzende Geburtenrückgang
erscheint zwar vorerst als bloße Verringerung der Kinderzahlen. Von Anfang
an aber gibt es die gewollte Kinderlosigkeit, die Verwendung der Verhütungsmittel
in jener staatlich so gefürchteten Perspektive der Neuzeit. Mit der Familienlosigkeit
nähert sich der moderne Lohnarbeiter seinem ökonomischen Interesse an.
(Ebd., S. 142).Der Prozeß des Geburtenrückgangs entwickelt
sich in Europa nicht überall gleichzeitig. Im vorwiegend kleinbäuerlich
bewirtschafteten Frankreich, dessen Produzenten Familie brauchen und zugleich
für ihren Zweck klein halten müssen, um sich nicht durch Besitzteilungen
zu ruinieren, beginnt er früher. Diese vieldiskutierte Ausnahme bedeutet
aber nicht, daß in Frankreich Kinderlosigkeit auftritt, bevor dies in anderen
Ländern der Fall ist, sondern daß ab etwa 1740 im Pariser Becken und
ab etwa 1810 im gesamten Land die Kinderzahlen pro Ehe zurückgehen, d.h.
mehr als ein halbes Jahrhundert vor dem übrigen Europa. (Ebd., S. 143).
3) Wie die historischen Demographen den Geburtenrückgang erklären
Die
historischen Demographen bieten als Erklärung des Geburtenrückgangs
in Gesamteuropa wiederum ein Faktorenbündel an:»Fallende
Sterberaten bei Kindern und Neugeborenen, die Bereitschaft des Staates, in der
Altersversorgung Verantwortung zu übernehmen, die Einführung verbesserter
Geburtenkontrollmethoden, die Emanzipation der Frau und vor allem der neue
starke Wunsch, materiell und sozial voranzukommen, bewirken zusammen den Fall
der Geburtenraten.« (N. Tranter, a.a.O.). | Dabei
fällt auf, daß die gleiche Industrialisierung dazu herhalten muß,
zuerst die »Bevölkerungsexplosion« und dann einige Jahrzehnte
später, den Geburtenrückgang zu begründen:»Die
frühen und späten Stufen der Industrialisierung haben ganz unterschiedliche
Auswirkungen auf das Bevölkerungswachstum. Der Beginn der Industrialisierung
stimuliert das Bevölkerungswachstum durch die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften
und auch durch die Unterminierung der alten sexuellen Zurückhaltung. Aber,
sowie der Anstieg des Gesamteinkommens nicht völlig von der wachsenden Bevölkerung
aufgesogen wird und sowie die Investitionseinflüsse stark genug sind, das
Pro-Kopf-Einkommen garantiert zu erhöhen, hat die Industrialisierung einen
umgekehrten Effekt. Nunmehr führt eine wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften
nicht mehr zu einem Geburtenanstieg, sondern zu einer Kornforterhöhung.«
(J. Hababukk, a.a.O.). | Abermals wird der allemal schon
vorausgesetzte »natürliche Wunsch nach Ehe und Kindern« (Tranter)
unter verschiedenen historischen Bedingungen betrachtet und gerade nicht gefragt,
was aus den historischen Veränderungen über das Fortpflanzungsverhalten
selbst gelernt werden kann. Infolgedessen mißlingt den Demographen mit der
Erklärung des Geburtenrückgangs auch die Erklärung der einzelnen
Faktoren in ihrem Bündel. (Ebd., S. 145).So
tritt z. B. die Frauenemanzipation als rätselhafte Neuerung in die Geschichte
ein, wenn sie als ein »Faktor« des Geburtenrückgangs und nicht
etwa als ein Phänomen bedacht wird, das - wie der Geburtenrückgang selbst
- der Ergründung erst noch bedarf. Woher kommt nun die Frauenemanzipation?
Da der Lohnarbeiter keine Söhne benötigt, die ein Erbe mit dem Ziel
übernehmen sollen, ihn bei Arbeitsunfähigkeit und Alter zu versorgen,
benötigt er an einer Frau auch nicht deren Fähigkeit, Erben zu gebären
und aufzuziehen. Der Unterhalt einer Ehefrau wird ebenso wie derjenige von Kindern
nach dem staatlichen Verbot ihrer frühzeitigen Ausbeutung ökonomisch
ein Minusposten. Allmählich beginnen deshalb männliche Lohnarbeiter
auf die Eheschließung zu verzichten, was schwierig bleibt, solange nichtehelicher
Geschlechtsverkehr als Vergehen geahndet wird. Ein anderer Weg, Unterhaltskosten
zu vermeiden, führt zu einer Sexualpartnerin, mit der zwar die staatliche
geforderte Eheform eingegangen wird, die wirtschaftlich aber keine Belastung darstellt,
weil sie selbst einer Erwerbstätigkeit nachgeht. In demselben Prozentsatz
also, in dem Männer diesen Schritt zur Ehelosigkeit bzw. zur Bindung an eine
verdienende Frau tun, verlieren Frauen die Chance, von einem Mann unterhalten
zu werden. Wollen sie trotzdem überleben, dann müssen sie selber berufstätig
werden, also ihrerseits in die Konkurrenz um die Erwerbsquellen eintreten. Dazu
benötigen sie alle diejenigen formalen Rechte - freie Arbeitsplatzwahl, Vertragsmündigkeit,
freie Wohnsitzgründung u.s.w. -, die vorher nur ihre Väter oder Ehegatten
für sie ausüben konnten. Aus der Not entsteht der Kampf der Frauen um
gleiche Rechte. An diesem Kampf sind schließlich auch diejenigen unter ihnen
interessiert, die von einem Ehemann aus Privatvergnügen noch unterhalten
werden, da sie dieser Versorgung nicht von vornherein sicher sein können.
Bevor sie also einen Mann finden, der bereit ist, für sie zu sorgen, müssen
sie meist ebenfalls erst einmal auf den Arbeitsmarkt und in die Erwerbstätigkeit,
wofür sie auch die entsprechenden formalen Rechte benötigen. Wollen
daher die Frauen, die keinen zahlenden Mann finden, nicht nur überleben,
sondern ebensogut leben wie beispielsweise Männer in höheren Positionen,
dann müssen sie eine ebensogute Ausbildung erhalten wie diese, damit sie
um die gutbezahlten Arbeitsplätze erfolgreich konkurrieren können. Aus
diesem »Muß, entsteht der Kampf der Frauen um faktische Gleichheit
mit den Männern. Zur faktischen Gleichheit gehört, daß sie nicht
etwa durch Kinder gegenüber den Männern im Konkurrenzkampf um die attraktiven
Arbeitsplätze benachteiligt sind. Über diese Vermittlung
hängen Frauenemanzipation und Geburtenrückgang tatsächlich zusammen,
der letztere ist jedoch nicht Ursache der ersteren, sondern beide sind Folgen
der Annäherung des Lohnarbeiters, dessen Geschlechtsunabhängigkeit hier
deutlich wird, an sein ökonomisches Interesse. (Ebd., S. 146-147).In
den USA beispielsweise steigt der Prozentsatz der erwerbstätigen Frauen zwischen
1860 und 1870 - also kurz vor dem Beginn des Geburtenrückganges - um fast
50 Prozent von 10,2 auf 14,8 Prozent der Gesamtzahl aller Erwerbstätigen.
Das entspricht einem Anstieg des Anteils der erwerbstätigen Frauen an der
Gesamtheit der Frauen von 9,7 auf 13,7 Prozent. Die überwiegende Mehrheit
der Frauen kann also noch auf einen männlichen Versorger rechnen. Im Jahre
1970 jedoch liegen die entsprechenden Quoten der selbstverdienenden Frauen bereits
bei 42,8 Prozent aller Frauen und bei 42,6 Prozent der Erwerbstätigen. Beide
Geschlechter nähern sich also mit nur noch geringem Rückstand der Frau
der ökonomischen Bestimmung des Lohnarbeiters, einzig sich selbst erhalten
zu müssen. (Ebd., S. 147).Der Geburtenrückgang
und die ersten Schritte zur Kinderlosigkeit sind Merkmale einer Epoche, in der
Europa nicht mehr von Menschen entleert ist, wie im 14., 15. und 16. Jahrhundert,
sondern permanent Überschußbevölkerung erzeugt, die auf die Auswanderung
verwiesen ist. Die Richter, welche Annie Besant und Charles Bradlaugh freisprechen,
sehen keinem realen Bevölkerungsschwund entgegen, und sie mögen die
Gewißheit der neomalthusianischen »Täter« vom natürlichen
Heirats- und Kindswunsch des Menschen teilen. Tatsächlich kommt es 94 Jahre
nach dem Urteil von 1877 in europäischen Ländern - vor allem den deutschsprachigen
-zu einer absoluten Abnahme der Gesamtbevölkerung. (Ebd., S. 147).Im
Faktorenbündel für die Erklärung des Geburtenrückgangs finden
wir neben der Frauenemanzipation und der sinkenden . Säuglingssterblichkeit
auch die staatliche soziale Absicherung gegen Krankheit, Invalidität, Alter,
Arbeitslosigkeit und Verlust des Ernährers (Witwen und Waisen). Das erste
Sozialversicherungssystem wird ab 1883 im Deutschen Reich geschaffen. England
übernimmt seine wesentlichen Bestandteile 1911 .... (Ebd., S. 147-148).
4) Wie sich der natürliche Kinderwunsch zu verflüchtigen
beginnt
Forschungen zeigen, »daß
unverheiratete junge Frauen mit Hochschulausbildung und guten Gehältern die
am wenigsten depressive Gruppe« der ... us-amerikanischen Bevölkerung
ausmachen. Umgekehrt gehören »verheiratete Frauen mit kleinen Kindern
zu den depressivsten Menschen überhaupt« (Angus Campbell, a.a.O.).
(Wer soll das denn glauben? HB). (Ebd.,
S. 159).»Den höchsten Grad ausgedrückter
Befriedigung finden wir in Familien ohne Kinder im Hause.« (Angus Campbell,
a.a.O.). (Wer soll das denn glauben? HB).
(Ebd., S. 160).
5) Wie durch vielfältige Bevölkerungspolitiken die
Menschenproduktion in Gang gehalten werden soll
Wir
haben gezeigt ... Die Entschlossnheit, ... einen neuerlichen Menschenmangel, wie
das Rom der Spätnatike erlebt hat, zu verhindern, d.h. einer von der failialen
Einzelwirtschaft losgelösten Ökonomie die erforderlichen Arbeitskräfte
dauerhaft zu sichern. (Ebd., S. 162).
5a) Warum Marxisten mit Christen und Staat eine unheilige Allianz
eingehen
Überall in Europa verringern sich die Geburtenzahlen
pro Frau. Diese gebrauchen zunehmend Verhütüngsmittel. Die Verhütungsmittel
werden deshalb zum zentralen Angriffsobjekt der Regierungen und ihres staats-»polizeylichen«
Apparates. Das Kindestötungsverbot selbst, das ab 318 unserer Zeitrechnung
unter Konstantin zum Gesetz aller abendländischen Territorien (Konstantins
Reich gehört nicht zum Abendland! HB) zu werden begann, wird
dabei von niemandem öffentlich in Frage gestellt. Die Erlaubnis zur Abtötung
der Leibesfrucht wird ebenfalls kaum gefordert. Die Information über Verhütungsmittel
aber stößt auf nicht weniger Abscheu und Feindschaft als später
die Abtreibung. In England bekämpfen nicht nur Staat und Kirche die Intellektuellen,
die den Arbeitern die gesuchten Informationen vermitteln, sondern auch die in
der »Socialist League« zusammengeschlossenen Marxisten wie Edward
Aveling und die Marx-Tochter Eleanor. Lediglich die »Fabians« - insbesondere
Sidney und Beatrice Webb sowie Bernhard Shaw (die »Fabianische
Gesellschaft« wurde benannt nach Quintus Fabius Maximus Verrucossus, auch
genannt Cunctator [»Zauderer«]; HB) - machen sich zu Fürsprechern
der Verhütungsaufklärung. Auf dem Kontinent spricht Wilhelm Liebknecht,
der Führer der deutschen Sozialdemokratie, der bestorganisierten und größten
marxistischen Bewegung der Erde, 1876 empärt von »schmutzigen Praktiken«,
mit welchien die büregrlichen Ökonomen die Arbeiter gegen ihre besseren
Interessen aufwieglelten. (Vgl. Wilhelm Liebknecht, Zur Grund- und Bodenfrage,
1876, S. 121) Seit 900 führt das Deutsche Reich den kampf gegen die modernen
Verhütungsmittel, in dem bestraft wird, wer »Gegenstände, die
zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich
sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder
anpreist«. (Vgl. § 184 Abs 1 Satz 3 StGb in der Fassung vom 23.05.1900).
Höchstrichterliche Entscheidungen von 1901, 1903 und 1904 weisen sämtliche
neomalthusianischen Vorstöße, die Verhütungsmittel von den »unzüchtigen
Gegenständen« auszunehmen, zurück. (Vgl. RGST 34, 365 [1901];
36, 312 [1903]; 37, 142 [1904]). (Ebd., S. 165).Wir sehen,
daß die Theoretiker der sozialistischen Planwirtschaft die zunächst
blutig durchgesetzte und dann gewaltsam erhaltene christliche Familie so nötig
brauchen wie ein Verdurstender das Wasser. Sie müssen für ihr überleben
in der Arbeiterschaft noch unerbittlicher kämpfen als die Verteidiger der
kapitalistischen Okonomie, da sie für ihre Bewegung ausschließlich
auf Lohnarbeiter setzen können, während der politische Gegner immerhin
die Eigentümer auf seiner Seite hat, welche auch ohne gewaltsame Nachhilfe
aus Vererbungs- und Selbsterhaltungsinteresse Familien gründen. Und sie scheitern
schließlich wie diese an der herkulischen Aufgabe, durch Gewalt und moralische
Appelle - für die klassenlose Gesellschaft dort und das paradiesische Himmelreich
hier - einen Interessenzusammenhang zwischen den Lohnarbeitergenerationen herzustellen,
also einen bewußten Fortpflanzungswillen zu kreieren. (Ebd., S. 170).
5b) Warum die staatliche Abtreibungsbestrafung nur zögernd liberalisiert
wird
Eine sozialistische Gesellschaftsformation, die von neuem ein
Band existentiellen Zusammenhangs zwischen den Generationen knüpft, ohne
auf die Einzelbauernwirtschaft zurückzufallen, erscheint als denkunmöglich,
so daß die gewaltsame Menschenproduktion der Neuzeit weitergeht. (Ebd.,
S. 178-179).
5c) Wie der Staat über finanzielle Anreize die Menschenproduktion
auch jenseits der Familie in Gang zu halten versucht
Weder der »Wille
des Herrn« noch die »Stimme der Natur« vermögen in den
entwickelten Gesellschaften mit Lohnarbeit langfristig den Arbeitskräftezufluß
zu gewährleisten. Materielle Entschädigungen, ... Kindergeld, Erziehungslohn,
Steuererleichterung bzw. Steuererschwerung für Kinderlose, Sozialhilfe, Ehestandsdarlehen,
Krankengeld u.s.w.. .... Meßbarer Erfolg ... scheint diesen Maßnahmen
nur dann beschieden zu sein, wenn das Kinderhaben in gleicher Höhe wie eine
volle Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Freistellung von ihr entlohnt wird.
(Ebd., S. 181).Am langfristigen Geburtenverhalten ... wird deutlich,
daß nicht die Einkommenshöhe, sondern die Einkommenquelle über
die Familienhaftigkeit entscheidet .... (Ebd., S. 182).
G) Wie der Glaube an den natürlichen Heirats- und
Fortpflanzungswunsch zur Fallgrube der Analysen wird oder: Das familistische Scheitern
der Wissenschaft vom Geburtenrückgang
Zum
dritten Mal innerhalb des von uns analysierten Geschichtszeitraumes ergibt sich
nun das Problem, Geburtenrückgang zu erklären. Die römischen Theoretiker
der Kaiserzeit wußten, daß die Sklaven-Latifundien die Familienwirtschaft
durch die billigere Produktion verdrängten und damit die Menschenquelle zum
Versiegen brachten. Der politischen Führung gelang es nicht, den Zerfall
durch gegensteuernde bevölkerungspolitische Gesetzgebung aufzuhalten. Sie
bereitete jedoch (ab dem 3. Jh.) die Durchsetzung
des allgemeinen Kindestötungs- und Abtreibungsverbotes im Feudalismus vor
(**|**).
In der langen Phase des Mittelalters reifte die aus dem Zerfall Roms hervorgegangene
christliche Heiligung des kindlichen Lebens und der strrikt monogamischen Sexualität
zu einem Ideal, keineswegs aber zur allgemein praktizierten Moral. Den
Theoretikern des Bevölkerungsschwunds in der spätmittelalterlichen Krise
wurde dieses Ideal zur Waffe: die mörderische Verfolgung von Abtreibung und
Kindesaussetzung, verstärkt durch die weitgehende Zerstörung des Verhütungswissens
durch das Töten von Millionen von Frauen, trieb die Menschen in einen von
individuellen Interessen abgekoppelten Kinderreichtum, aus welchem die Arbeitskräfte
für die moderne, nicht-familiengebundene merkantilistische und kapitalistische
Wirtschaft Europas und seine weltweite Kolonisationstätigkeit rekrutiert
wurden. Die Theoretiker dieser Bevölkerungsexplosion verkannten jedoch deren
Ursachen, da sie selbst im Dogma der Natürlichkeit von Heirat und Fortpflanzung
befangen waren, der angsterzeugende Terror, der ... Hexenjagden in ihnen fortwirkte.
(Ebd., S. 185-186).Die Theoretiker des neuerlichen Geburtenrückgangs
vom späten 19. Jahrhundert an bleiben ebenfalls weitgehend dem familialen
Dogma treu. Einige formulieren die Ahnung, daß Lohnarbeit und Familienleben
zueinander in Widerspruch stehen, ohne allerdings die - ökonomisch gesehen
- prinzipielle Familienlosigkeit des freien Lohnarbeiters erkennen zu können
(Ebd., S. 186).
1) Wie erste Zweifel an einem Fortpflanzungstrieb des Menschen in die ökonomische
Analyse eingehen (Karl Kautsky, 1880,
1910; Paul Mombert, 1907; Ludwig Josef Brentano, 1909)
Übernahme
der seit Anfang des Jahrhunderts von den Deutschen Paul Mombert (1907) und Ludwig
Josef Brentano (1909) entwickletn und in den 1970er Jahren von US-Ökonomen
wieder formulierten These, daß bei steigendem Lebensstandard die materiellen
Ansprüche wachsen und auf Kosten von Kindern verwirklicht werden. (Ebd.,
S. 189).»Mit zunehmendem Wohlstand und zunehmender Kultur
wächst die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse der Menschen, und mit dem
Auftreten anderer Bedürfnisse macht sich auch hinsichtlich der Befriedigung
des Geschlechtstriebes das Gossensche Gesetz geltend, wonach der nach der größten
Summe des Wohlgefühls strebende Mensch mit der Befriedigung eines Bedürfnisses
da abbricht, wo ein Fortfahren in seiner Befriedigung ihm geringeren Genuß
bereiten würde, als die Befriedigung eines anderen Bedürfnisses, auf
das er sonst verzichten müßte. Der Mensch bricht mit der Kindererzeugung
da ab, wo die Mehrung der Kinderzahl ihm geringere Befriedigung schafft, als andere
Genüsse des Lebens, die ihm sonst unzugänglich würden, oder als
die Befriedigung, die es ihm gewährt, daß seine Fr~u nicht dem Siechtum
verfällt, daß er keine mit Krankheit belastete Kinder auf die Welt
setzt oder seinen Kindern eine bessere Ausrüstung für den Kampf ums
Dasein zu verschaffen vermag.« (Ludwig Josef Brentano, Die Malthussche
Lehre und die Bevölkerungsbewegung der letzten Dezennien, 1909, S. 606).
(Ebd., S. 192).
Geburtenrückgang
und Gossensche Gesetze gemäß Ludwig Josef Brentano (a.a.O., 1909) | Brentano
beruft sich hier auf das zweite Gossensche Gesetz, das Gesetz vom Grenznutzenausgleich,
das in der damaligen Haushaltstheorie, die auf der Grenznutzenanalyse aufbaute,
eine entscheidende Rolle spielte (vgl. die Graphik rechts). Vorausgesetzt ist
hierbei zugleich die Gültigkeit des ersten Gossenschen Gesetzes, das
Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen, d.h. in unserer Darstellung fallen bei einem
bestimmten Einkommen (E0) sowohl die Grenznutzen des Bedarfs nach Kindern
(GNK) als auch der damit konkurrierenden Bedürfnisse (GNB)
bei wachsender Kinderzahl (XK) bzw. Menge der anderen Bedürfnisse
(XB). Von beiden Bedürfnissen wird jene Quantität XK0
bzw. XB0 nachgefragt, bei der ihre jeweiligen Grenznutzen
gleich sind, d.h. GNK0 = GNB0. Bei
einem höheren Einkommen (E1 > E0) steigt der Grenznutzen
der mit dem »Bedürfnis nach Kindern« konkurrierenden Bedürfnisse
von GNB0 auf GNB1. Unter der Annahme,
daß der Grenznutzen für das »Kinderbedürfnis« unverändert
bleibt und keine größere Menge der konkurrierenden Bedürfnisse
nachgefragt wird (XB0 = XB1), kann
jetzt der höhere Grenznutzen der anderen Bedürfnisse mit demjenigen
nach Kindern nur ausgeglichen werden, wenn die Zahl der Kinder sich von XK0
auf XK1 vermindert. Wir werden noch zeigen, daß diese
Darstellung sich von derjenigen der us-amerikanischen Familienökonomen nur
formal unterscheidet, die statt mit der Grenznutzen-Analyse mit der Indifferenzkurvenanalyse
der Hicksschen Konsumenten-Theorie operieren. (Ebd., S. 192-194).
2) Wie durch die Unterscheidung zwischen Einkommensquelle und -höhe
als Faktoren der Fortpflanzung neue Einsichten gewonnen werden
(Rudolf Goldscheid, 1911; Johannes Müller, 1924;
Rudolf Heberle, 1936; Alva und Gunnar Myrdal, 1934)
»Die Abnahme
der Zeugungslust, die Schwächung des Fortpflanzungswillens ist kein rein
individualistisch zu begreifendes Phänomen, sondern eine Anpassungserscheinung,
d.h. eine bis zu einem noch näher zu bestimmenden Grade notwendige Korrelation
des gegenwärtigen technischen und ökonomischen Reproduktionsprozesses.«
(Rudolf Goldscheid, Höherentwicklung und Menschenproduktion - Grundlegung
der Sozialbiologie, 1911, S. 407). (Ebd., S. 195).»Schon
rein privatwirtschaftlich betrachtet, haben die Verhältnisse das Großziehen
von Kindern zu einer immer kostspieligeren Sache werden lassen. Kinder waren früher
schon in verhältnismäßig jungen Jahren brauchbare Mithelfer, nicht
nur in der Landwirtschaft, wo sie auch heute noch als billige Arbeitskräfte
geschätzt sind, auch in dem früher noch einfacher arbeitenden städtischen
Handwerk fanden sich mannigfache Arbeiten und Verrichtungen, in denen auch Kinder
mit Vorteil und ohne Schädigung ihrer Gesundheit Verwendung finden konnten.
Rechnet man hinzu, daß in diesen Kreisen die Kinder nach vollendeter Schulausbildung
oft noch geraume Zeit im elterlichen Haushalt und Berufszweig mitzuarbeiten pflegten,
so brachten sie alles in allem wohl nicht unerhebliche Einnahmen in den elterlichen
Haushalt ein. Erst die Industriearbeiterschaft und der geistig arbeitende Mittelstand
haben im eigenen Hause und Berufe keine nutzbringende Verwendung mehr für
ihre Kinder. Für diese Schichten bedeuten sie eine reine Belastung, es sei
denn, daß sie in einer ihre Gesundheit schädigenden Weise zur Arbeit
herangezogen werden. Und da die sozialpolitische Gesetzgebung und alle die sonstigen,
den Kinderschutz fördernden Maßnahmen diesen Ausweg immer mehr verbaut
haben, so ist das Debetkonto der Kinder immer mehr angeschwollen, und zwar in
einem für die Volksgesamtheit immer drückenderen Umfange, je größer
der Anteil der Industriearbeiterschaft und des modernen Mittelstandes an der Gesamtbevölkerung
wurde. Also schon die Tatsache der Industrialisierung eines Volkes an sich ist,
wenigstens unter den wirtschaftlichen Verhältnissen des europäischen
Staatenkreises, der zur Erörterung steht, wohl geeignet, in der Richtung
einer verhältnismäßigen Kleinhaltung der Kinderzahl zu wirken.«
(Johannes Müller, Der Geburtenrückgang, 1924, S. 59).
(Ebd., S. 197).»Die Jungen sind längst nicht mehr so
abhängig von den Alten, sind weniger deren Erben, schaffen sich vielmehr
ihre Lebensstellung in weit größerem Umfange selbst; je weniger die
Alten aber den Jungen mitgeben können, je mehr diese ihr Schicksal in ihre
eigene Hand nehmen müssen, um so mehr wächst auch ihr Selbständigkeitssinn.
Müssen sie sich ihren Platz im Erwerbsleben selbst erobern, haben sie hier
ihren Eltern weniger zu verdanken, so haben sie auch immergeringere Neigung, ihre
Eltern in deren Alter zu unterstÜtzen oder gar entferntere Verwandte bei
sich aufzunehmen, was ihnen durch die sozialpolitische Gesetzgebung mit ihren
Alters- und Invalidenrenten noch erleichtert worden ist.« (Johannes Müller,
Der Geburtenrückgang, 1924, S. 65). (Ebd., S. 198).»Jeder
Schritt aus der reinen Marktwirtschaft heraus würde ... bevölkerungspolitisch
günstigere Bedingungen schaffen.« (Rudolf Heberle, Soziologische
Theorie der Geburtenbeschränkung, in: Bevölkerungsfragen,
Hrsg.: Hans Harmsen, 1936, S. 277). (Ebd., S. 199).»Man
muß die Extrakosten des Kinderhabens verringern, um das Hindernis, welches
Kinder heute im ständigen Streben der Familien nach höherem Lebensstandard
darstellen, zu verkleinern. Und man muß die Behinderung der Frauen in ihrem
neuen sozialen Leben durch Kinder rninimieren.« (Alva Myrdal / Gunnar Myrdal,
Kris i befolkeningsfrågan, 1934, S. 138). (Ebd., S. 199).
4) Wie die alternative ökonomische Erklärung des Geburtenrückgangs
darzustellen ist
Die bevölkerungsökonomische Analyse der
US-Theoretiker ... endet einmal mehr in theoretischer ... Finsternis. (Ebd.,
S. 234).Wir machen ... in unserer Analyse die Voraussetzung von
in jedem Falle vorhandenen Kindern nicht. Wir gehen davon
aus, daß Kinder keinen ökonomischen Nutzen haben können, d.h.
daß bereits ein erstes Kind nutzlos und statt dessen Kinderlosigkelt das
ökonomisch Gebotene ist. (Ebd., S. 234).In unserer Darstellung
werden Kinder nicht wie ein beliebiges Konsumgut betrachtet, das einen - wie immer
definierten - Nutzen abwirft. Fortpflanzung betrachten wir statt dessen vom ökonomischen
Interesse potentieller Eltern her. Wir behaupten, daß es eine Indifferenzkurve,
in welche Kinder eingehen, nicht gibt. Kinder können
sehr wohl ökonomische Güter sein, fungieren dann aber nicht als Konsum,
sondern als Investition. Wir haben also direkt die Rentabilität der Kinderproduktion
darzustellen. (Ebd., S. 234).Zu bestimmen
ist also der Kapitalwert von Kindern für eine bestimmte ökonomische
Einheit (Familie als Produktionseinheit, Lohnarbeiter, Haushalt, Kollektivproduzenten).
Der Kapitalwert (V) entspricht der Differenz zwischen der Summe der abdiskontierten
Erträge (E/(1+i)n), welche die Kinder in späterer Zeit für
ihre Erzeuger erbringen, z. B. Kinderlohn, Altersversicherung, Mitarbeit u.s.w.,
und der Summe der abdiskontierten Kosten (C/(1+r)n) für die Kinderproduktion
(K). Wir können für die Zusammenhänge folgende Gleichungen aufstellen:
G0) Erklärung der Fortpflanzung aus dem Investitionskalkül | -
wobei i = Kalkulationszinssatz, r = interner Zinssatz, (der Zinssatz, der realisiert
wird, wenn E = C) und n = Anzahl der ökonomisch interessanten Lebensjahre
der Kinder. Es ist also solange rentabel, Kinder zu zeugen, wie E > C ist,
bzw. r > i, d.h. solange V einen positiven Wert hat. Mit wachsender Kinderzahl
steigen sowohl die Kosten als auch die Erträge. Die Kinderproduktion ist
so lange rentabel, wie die Erträge über den Kosten liegen, d.h. K <
Km (siehe Graphik G0).
Die optimale Kinderzahl ist dort erreicht, wo der Abstand zwischen Erträgen
und Kosten am größten ist, d.h. bei K0. Daß die Erträge
ab einer bestimmten Kinderzahl sinken, hängt mit der Annahme zusammen, daß
Kinder nur dann einen ökonomischen Ertrag bringen wenn sie mit anderen Investitionsgütern
kombiniert werden, die selbst nicht unbegrenzt vermehrbar sind, wie z.B. Grund
und Boden des bäuerlichen Produzenten. Wir sehen also auch in dieser formalen
Betrachtung, daß es notwendig ist, die besonderen ökonomischen Bedingungen
darzustellen. Wir können fünf idealtypische Fälle unterscheiden.(1) | G1)
Fortpflanzung selbständiger Produzenten mit vielen Expansionsmöglichkeiten | Für
den selbständigen Produzenten, wozu traditionell die Bauern ... gehören,
werden ökonomische Notwendigkeit und Expansionsgrenzen zum bestimmenden Faktor
für die Kinderzahl, wo dies in Graphik
G1 am Beispiel der jeweiligen Kapitalwert-, Ertrags- und Kostenfunktionen
eines Kleinbauern (KB) und eines Großbauern (GB) gezeigt wird. Für
einen Bauern, der expandieren kann, ist sowohl die Anzahl der rentablen Kinder
als auch die optimale Kinderzahl größer als für den fest begrenzten
Bauern. Damit ist sogleich gesagt, daß die Bauernstelle so klein sein kann,
daß sie direkte Mitarbeiter gar nicht benötigt, sondern einzig den
späteren Unterhalt gewährleistenden Erben, so daß hier die Kinderzahl
durchaus unter die volle Reproduktion fallen kann, d.h. nach Geburt eines männlichen
Kindes die Fortpflanzung eingestellt wird. Die überwiegend kleinbäuerlichen
Existenzen in Frankreich, wo Bodenteilung nicht einmal mehr die Reproduktion der
Eigentümer garantiert hätte, können als historisches Beispiel für
Geburtenrückgang in einer agrarischen Gesellschaft herangezogen werden. In
dem Augenblick, da die Bauern nur noch eine Minderheit der Gesamtbevölkerung
bilden, die sich in die Altersversicherungssysteme der Produzentenmehrheit der
Lohnabhängigen einkaufen kann, wird selbst der männliche Erbe überflüssig.
Dies erklärt die willentlich kinderlosen Bauern in den hochentwickelten Ländern
der Gegenwart. | (2) | G2)
Fortpflanzung der Lohnarbeiter bis zum Ende der Kinderarbeit | Für
Lohnarbeiter, die es als freie Bürger massenhaft erst in der Neuzeit
gibt, gilt - systematisch gesprochen ebenso wie für Sklaven oder Gesinde
-, daß Ertrag aus Kindern nicht gewonnen werden kann. Lediglich in der Epoche
der Kinderarbeit, die etwa ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (in
Deutschland schon eher, z.B. in Preußen ab 1839 [Preußisches Regulativ]!
HB) wegen der Verwahrlosung des Nachwuchses in Europa unterbunden
wird, bietet sich die Möglichkeit, durch Kinderlohn Aufzuchtskosten zu kompensieren,
ohne daß Kinderhaben allerdings rentabel wird, da der Betrag der Kinder
zur Alterssicherung höchst unsicher ist. Zum elterlichen Kalkül der
Kostensenkung wird der Kinderlohn jedoch erst dadurch, daß mit Hilfe der
... Gewaltmaßnahmen die Lohnarbeiterfamilie in der Neuzeit staatlich geschaffen
wurde. Dieses Kalkülläßt sich ... graphisch darstellen (siehe
Graphik G2). Die Kinderzahl liegt
also stets an der Rentabilitätsgrenze; es läßt sich keine optimale
Kinderzahl bestimmen. Es wird aber auch deutlich, daß durch die bekannten
Gesetze nach Abschluß der Hexenverfolgungen die hohen Kinderzahlen der Arbeiterschaft
leichter abgepreßt werden konnten, solange die Kinder nach dem fünften
oder sechsten Jahr erwerbstätig wurden, d.h. ihre Kosten bis dahin wieder
einbrachten. | (3) | G3)
Fortpflanzung der Lohnarbeiter seit dem Verbot der Kinderarbeit | Nach
dem Verbot der Kinderarbeit und der Beschränkung von Frauenarbeit
ist die Fortpflanzung des Arbeiters nur noch mit Unkosten verbunden - die Alterssicherung
muß kollektiv erspart werden, da sie von den eigenen Kindern nicht garantiert
werden kann. Schon das erste Kind verursacht nun lediglich Unkosten. Graphisch
läßt sich zeigen, daß der Kapitalwert von Kindern immer negativ
ist. Zu den Kosten für die Kinder sind jetzt noch Kosten für entgangenes
Einkommen hinzuzufügen, was zu einer Verschiebung der Kostenkurve nach oben
(und einer zusätzlichen Verschiebung der Kapitalwertkurve nach unten) führen
muß (siehe Graphik G3). | (4) | In
den entwickelten Gesellschaften mit fortgeschrittener Verallgemeinerung der
Lohnarbeit existieren Angebote an die Frauen, welche die Mutterschaft selbst
zur Einkommensquelle für sie machen sollen. Je höher dieses Unterhaltsangebot
für Mutterschaft an dem für die einzelne Frau real zu erwartenden Einkommen
in der Lohnarbeit liegt, desto interessanter wird es für sie, die Mutterschaft
zur Einkommensquelle zu machen. Die Angebote kommen noch überwiegend von
männlichen Privatpersonen, doch auch der Staat erprobt Mutterschaftsentlohnung
und bietet ungefähr eine Summe um 1000 DM pro Monat für eine Frau mit
einem Kind. Für die in diesem Nettoverdienstbereich rangierenden Frauen ergibt
sich der Vorteil, nicht in die sexuelle Loyalität an einen einzigen Mann
gebunden zu sein. Allerdings ist das Schicksal der Lohnarbeit so nur zeitlich
begrenzt durchbrechbar. Für beide Unterhaltsangebote - also aus sexuell-emotionalen
oder direkt bevölkerungspolitischen Motiven - gilt aber, daß die Wahrscheinlichkeit
eines Kindes - Verhütungsfähigkeit unterstellt - um so größer
wird, je näher das Angebot an die Summe aus Kinderkosten plus entgangenem
Einkommen heranrückt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet würden demzufolge
die Geburtenzahlen in dem Maße steigen, wie das staatliche Unterhaltsangebot
an die höchsten Frauenlöhne plus Kinderkosten heranreicht. Sollte wiederum
tendenziell jede Frau sich voll reproduzieren, also mindestens zwei Kinder haben,
so ließen sich dafür bei einem durchschnittlichen Geburtsabstand von
drei bis vier Jahren etwa 10 Jahre entgangener Arbeitslohnbis zur Schulpflicht
beider Kinder plus Kindeskosten von ca. 18 bis 27 Jahren kalkulieren - bis zu
deren Mündigkeit bzw. Ausbildungsende -, so daß sich pro Kind etwa
140000 DM staatlicher Kostenerstattung ohne staatliche Erziehungskosten errechnete,
für zwei Kinder also 280000 DM plus 10 Jahre entgangenes Einkommen von ca.
120000 DM, was staatliche Kosten von insgesamt 400000 DM pro Frau ergäben.
Um die zuletzt ca. 600000 Neugeborenen wieder zu »ersetzen«, müßten
für 300000 Frauen jährlich diese Beträge veranschlagt werden. Das
bedeutete bei Versorgung voller 23 Jahrgänge jährliche Kosten von 120
Milliarden DM. Die Summe ist freilich noch höher anzusetzen, da das auszugleichende
Fraueneinkommen hundertprozentig nur dann bevölkerungspolitisch wirksam würde,
wenn nicht das weibliche Durchschnittseinkommen, sondern die oberen Einkommensgrenzen
für Frauen die Bemessungsgrundlage bildeten. So gewaltig diese Summen auch
anmuten mögen, bilden sie doch mehr als nur eine Gedankenspielerei. Da auch
in Zukunft ein ausreichendes Angebot an Arbeitsplätzen für Frauen und
Männer, das obendrein attraktiver als Kindererziehung ist, nicht erwartet
werden kann, vielmehr die Rationalisierung die Arbeitslosen - etwa für die
Bundsrepublik Deutschland - zu einem beträchtlichen Millionenheer anschwellen
lassen wird und dieses dann zu unterhalten ist, könnte dem Staat durchaus
einfallen, die Arbeitslosen in bezahlte Eltern zu verwandeln und so Geburtenrückgang
und ihm nicht genehme soziale Unruhen mit derselben Waffe zu bekämpfen. Er
könnte dies sogar in liberaler Manier besorgen, indem ein lebenslanger Versorgungsanspruch
für Frauen angeboten wird, welchen diese gleichwohl abtreten können,
um selbst statt eines Mannes in die Konkurrenz der Lohnarbeit zu treten. Es würde
sich also nicht um gewöhnliche polizeystaatliche Maßnahmen zur Menschenproduktion
handeln, sondern um das Kalkulieren auf das Interesse von Frauen, die nicht in
die Lohnarbeit und nicht an einen männlichen Versorger gebunden sein wollen.
Eine große Schwierigkeit besteht aber in dem vom Geldangebot ganz unabhängigen
Problem der Zuwendung für die geborenen Kinder. Ihre existentielle Frage
nach den Gründen, warum sie denn in der Welt sind, wie sie also der ihnen
gegenüber jetzt schon vorherrschenden Gleichgültigkeit entkommen können,
ist trotz aller staatlicher Bemühungen bisher ohne zureichende Ant wort geblieben. | (5) | Die
einzige uns bekannte ... Gesellschaft, die ebenfalls keine traditionelle Familienstruktur
mehr aufweist, aber ihre Industrie und Landwirtschaft statt durch Lohnarbeit durch
gleichberechtigte Genossen mit identischen Einkünften betreibt, ist der israelsiche
Kibbutz. .... | Der Kapitalwert von Kindern im
Kibbutz gleicht ... demjenigen für die traditionellen Bauern (vgl. Graphik
G1) .... Allerdings ... kann auch der Kibbutz nicht als allgemeine
Problemlösung für die Menschenproduktion in einer technisch hochentwickelten
Gesellschaft gelten. (Ebd., S. 234-244).
Das Apriori von Kindheit (in: Kindheit [2]; 1980) **
Wo
von Generationsbeziehungen, Kindheit oder Familie die Rede ist, sind Kinder allemal
schon vorausgesetzt. .... Von Familie zu sprechen, macht erst Sinn, wenn
es sich bei der benannten Formation nicht lediglich um Erwachsene handelt, sondern
auch Kinder einbezogen sind. (Ebd., S. 301 [§ 1], 302 [§ 2]).Die
nachgeborenen Brüder konstituieren eine potentiell niedere Klasse von Männern,
um der Knechtschaft zu entgehen. Im Kolonisationsprozeß der Griechen, Phönizier
und Römer werden aber zunehmend unterworfene Männer nicht mehr ausgerottet,
sondern zu Sklaven gemacht, und an seinem historischen Abschluß stehen schließlich
auch bankrotte freie Bauern selbst dem Rekrutierungsfeld der Sklavenmärkte
zur Verfügung. Dort kaufen die Latifundienbesitzer ihre Arbeitskräfte
und ruinieren aufgrund höherer Produktivität ihrer großflächigen
Wirtschaft immer weitere Familienbauernwirtschaften, bis schließlich diese
familienwirtschaftliche Menschenquelle, welche auch die wesentliche Sklavequelle
darstellt, so weit reduziert ist, daß der Kaufsklavenkapitalismus abstirbt.
(Vgl. Karl Julius Beloch, Bevölkerung der griechisch-römischen Welt,
1886; Max Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur,
1896). (Ebd., S. 305 [§ 7]).Die Dynamik dieses Aufstiegs
und Falls des römischen Reiches ist von seinen Wissenschaftlern - insbesondere
Plinius dem Älteren - früh prognostiziert worden, im Endeffekt aber
nicht aufzuhalten gewesen. Dennoch resultieren aus den kaiserlichen Versuchen,
die familiale Vermehrung und so die alte militärisch-kolonisatorische Dynamik
wieder herzustellen, gesetzgeberische Initiativen für eine politische
Erzwingung von Familienleben, d.h. für eine gewaltsame Brechung des individuellen
ökonomischen Interesses, das mit Hilfe von Verhütung, Abtreibung und
Kindestötung zu Kinderlosigkeit führt. Den letztendlich bevölkerungspolitisch
wirkungslosen Kaisern bietet sich zugleich mit den Christen eine Gruppe an ....
(Ebd., S. 305 [§ 8]).Als Konstantin der Große im Jahre
315 n.Chr. für Italien eine Kindergeldregelung einführt und 318 n.Chr.
die Kindstötung unter Androhung furchtbarer Strafen verbietet, ... erweist
sich allerdings eine politische Erzwingung von Familie gegen die Interessen
der Menschen als bereits nicht mehr erforderlich: Inzwischen - seit 197 n.Chr.
- waren die verbliebenen Sklaven, um aus ihnen überhaupt noch etwas herausholen
zu können, sukzessive zu unfreien Bauern - Kolonen - gemacht worden, die
für ihre Herren zu arbeiten hatten, aber selbst nicht mehr in der Sklavenkaserne,
sondern in eigenen Familien lebten. Der römische Kaufsklaven-Kapitalismus
war um 300 n.Chr. mit den Reformen Diokletians, dem Vorgänger Konstantins,
weitgehend zerstört, d.h. die freie Verkaufbarkeit von Boden und Arbeitskräften
verboten. Das sog. Mittelalter oder der Feudalismus hatte seine 1000jährige
europäische Geschichte begonnen. Seine Bauern mußten für die eigene
Altersversicherung wieder Kinder haben. (Ebd., S. 306 [§ 9]).Wenn
die Findelhäuser bis ins 16. Jahrhundert hinein selten bleiben, so liegt
das daran, daß das hochentwickelte mittelalterliche Nachwuchsverhütungswissen
unangetastet bleibt, d.h. in die Interessen sowohl der Herren als auch der Bauern
hineinpaßt. Die Bedingungen für die Veränderungen dieses Zustandes
reifen seit dem 14.Jahrhundert heran, als durch eine klimatische Abkühlung
(sog. kleine Eiszeit) insbesondere im nördlichen Europa, wo bis dahin
in Grönland Äpfel und in England Oliven reifen, die Erträge zu
sinken beginnen und die Ablieferungspflichten der Bauern ungleich drückender
gespürt werden, was sich schließlich in einer langen Phase von Kriegen
gegen die Grundherren entlädt. Die seit 1348 mit der schlechten Ernährungslage
sich zusätzlich über ganz Europa ausbreitende Pest dramatisiert diese
sog. spätmittelalterliche Krise noch, die erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts
überwunden wird. Sie bedeutet den Bruch mit einer Entwicklung, die nicht
nur den Herren Reichtum brachte, sondern auch den Bauern einen Lebensstandard
oberhalb des Existnzminimums sicherte. Mangelnder Ertrag für die Grundherren
und die Hohen Menschenverluste, welche viele Ländereien verwaisen lassen,
zwingen sie zunehmend über eneue Wege der Einkommensgewinnung nachzusinnen.
Zwischen 1340 und 1450 sinkt die europäische Bevölkerung, die zwischen
800 und 1300 sehr langsam von ca. 30 auf 75 Millionen gestiegen war, immerhin
auf knapp 50 Millionen Menschen ab. (Ebd., S. 307 [§ 10, 11]).Im
Jahre 1484 (per Hexenbulle Sumnis desiderantes affectibus
vom 05.12.1484; HB) wird durch Papst Innozenz VIII. die Verfolgung
und Tötung für das gesamte katholische Europa koordiniert: »Niemand
schadet dem katholischen Glauben mehr als die Hebammen!«, heißt es
im Hexenhammer (vgl. Jakob Sprenger / Heinrich Institoris [Krämer],
Malleus maleficarum: Der Hexenhammer, 1486), der offiziellen Begründung
der katholischen Kirche für die Hexenverfolgung. (Ebd., S. 308 [§
12]).Die 240 Mittel, die nicht allein von Hebammen zur Fortpflanzungsvermeidung
verwendet werden, sondern tendenziell jede Frau verdächtig machen, werden
das große Kampfziel der frühmerkantilistischen Bevölkerungspolitik
in religiöser Rechtfertigung. In den Bullen der Päpste tauchen die Mittel
umgehend auf, nachdem sie in der Folter preisgegeben werden, um sei dann allgemein
verfolgen und auslöschen zu können. So lehrt der Römische Katechismus
von 1566, die bedeutendste Autorität der katholischen Kirche jener Zeit-
und auch heute noch Grundlage des katholischen verbotes von Abtreibung und Empfängnisverhütung
(vgl. § 14 in der Enzyklika »Humanae Vitae« Pauls V. von 1968)
-: Es ist »ein schweres Verbrechen, wenn Eheleute künstlich die Empfängnis
verhüten oder abtreiben; eine solche Tat ist ebenso zu beurteilen wie gemeiner
Meuchelmord.« Entsprechend dekretiert Sixtus VI. in der Bulle »Effraenatam«
von 1588 die Todesstrafe nicht nur für die Abtreibung, sonderna uch für
Empfängnisverhütung: »Wer würde deshalb nicht mit den strengsten
Bestrafungen die Verbrechen derer verdammen, die durch Gifte, Tränke und
malefica (= Hexerei) Frauen unfruchtbar machen oder durch verfluchte Medizinen
verhindern, daß sie empfangen oder gebären?« (Ebd., S.
308 [§ 12]).Das Resultat der Verfolgung
von Nachwuchsvermeidung - und durch diese ist Hexerei (malefica) definiert (vgl.
Jakob Sprenger / Heinrich Institoris [Krämer], Malleus maleficarum: Der
Hexenhammer, 1486) - ist Massenmord (Massenmord
wird mit Massenmord bestraft - wie so häufig in der Geschichte; HB).
Zwischen mehreren Hunderttausend und zehn Millionen schwanken die Schätzungen
über die Zahl der Frauen, welche in den 3 Jahrhunderten seit der Hexenbulle
(1484) von Past Innozenz VIII. - mit dem Höhepunkt zwischen 1560 und 1630
- als Hexen = Hebammen verbrannt, ertränkt, erwürgt und gehängt
werden. Dabei wird das gynäkologische Wissen ... der Frauen des Mittelalters
mit ihren Trägerinnen weitgehend ausgerottet. Damit ist ein Pfeiler für
die Geburt der modernen Familie errichtet. Der andere baut sich aus der
moralisch-religiösen Rechtfertigung einer nicht mehr persönlichen wirtschaftlichen
Zwecken gehorchenden Familienbildung und Vermehrung auf: Gilt es bis dahin in
der Menschheitsgeschichte meist als Verantwortungslosigkeit, Kinder in die Welt
zu setzen, denen man - individuell oder kollektiv - ein Erbe und damit eine Zukunft
nicht versprechen kann, so kehren die christlichen Kirchen diesen Wert jetzt um
und predigen die traditionelle Verantwortungslosigkeit in der Kindererzeugung
gerade als die neue Verantwortun vor Gott. (Ebd., S. 308-309 [§ 12]).Für
den Protestantismus steht Martin-Luther als herausragender Repräsentant des
politisch-religiösen Werkes der Neuzeit, die individuelle Rationalität
aus dem Fortpflanzungsverhalten auszutreiben: »Am Ende haben wir vor uns
eine große starke Einrede zu beantworten. Ja, sagen sie, es wäre gut,
ehelich zu werden, wie will ich mich aber ernähren? Ich habe nicht: nimm
ein Weib und iß davon u.s.w.. Das ist freilich das größte
Hindernis, das am allermeisten die Ehe hindert und zerreißt und Ursache
aller Hurerei ist. Aber was soll ich dazu sagen? Es ist Unglaube und Zweifel an
Gottes Güte und Wahrheit. Darum ist es auch nicht wunder, wo der ist, daß
lauter Hurerei folge und alles Unglück. Es fehlt ihnen daran, sie wollen
zuvor des Guten sicher sein, wo sie essen, trinken und Kleider hernehmen. Ja sie
wollen den Kopf aus der Sclinge ziehen ...: Im Schweiße deines Angesichts
sollst du dein Brot essen, faule gefräßige Schelme wollen sie
sein, die nicht arbeiten müssen« (Martin Luther, Vom ehelichen Stande,
1522, a.a.O., S. 305). Im selben Text bestimmt Luther das Spezifische der christlichen
Ehe - der »Schlinge« - konsequent mit dem Gebot, daß auch arme
Menschen sie schließen sollen. Eine nicht verantwortungslos wirkende Formel
für die Überwindung des Verantwortungsgefühls der Menschen gegenüber
sich selbst und möglichem Nachwuchs hat also die protestantische Ehekonzeption
der Neuzeit zu finden. Zugleich wird - da nicht verborgen bleibt, daß Geborene
zahlreich verhungern - unbedingter Erwerbsfleiß gefordert und so der Lebenssinn
des Arbeitens für die Kinder jenseits allen Kalküls aus Gottes Gebot
heraus formuliert. (Ebd., S. 309 [§ 13]).Luthers These,
das eigentlich Christliche an der Familie bestehe ab jetzt darin, daß auch
der arme Mann sie schließe, wird die neue Formel, der die katholische Kirche
auf dem Konzil von Trient (1545-1563) umgehend folgt. Im bereits erwähnten
»Römischen Katechismus« von 1566 heißt es jetzt ganz offen,
daß die Menschen sich nicht mehr -wie bisher - vermehren sollen, »um
Erben für Hab und Gut zu hinterlassen, als um Kinder des wahren Glaubens
und Anhänger der wahren Religion heranzuziehen«. Nach Jahrhunderten
des Folterns, Mordens und Predigens ist gegen 1700 eine neue Frau geschaffen,
die von den Fortpflanzungsdingen wenig weiß, deren Sexualtrieb als Krankheit
aufgefaßt wird und als deren wirkliche Natur: Kindesliebe und
Gattentreue gelten. Formuliert das alte Testament noch als Fluch, daß Frauen
gebären und ihrem Eheman treu sein müssen, so beginnt nun die Ideologie,
daß es ihr angeborener Wunsch sei, viele Kinder zu haben und nur einem Mann
ganz unerotisch treu angehören zu wollen. (Heute ist
bereits der exakt gegenläufige Trend erkennbar, und in nicht allzu ferner
Zukunft könnte es z.B. gemäß der dann von einer Frauenbeauftragten
erlassenen Machobulle heißen: daß es der Wunsch der Männer
sei, Feministen zu sein und nur der einen für sie zuständigen Frauenbeauftragten
ganz unerotisch treu angehören zu wollen! HB.). Angesichts der
Natur dieser Frauen nach ihrer historisch wohl fürchterlichsten Niederlage
können dann die Männer der Aufklärung die Naturrechte auf
Leben und auf Familie als Ideale vor die gesamte Menschheit stellen. (Ebd.,
S. S. 309 [§ 13]).Die in Europa ... ablaufende Bevölkerungsexplosion
bewirkt denn auch durch die Besiedlung der Kontinente Amerika und Australien sowie
durch die Unterwerfung Afikas und Asiens die Ausbreitung deer neuzeitlichen christlichen
Moral zur Weltmoral: Da mit den Methoden der gewaltsamen Menschenproduktion eine
Feinsteuerung der Bevölkerung nicht möglich ist, wird die Alternative
zu viele Menschen verwirklicht. Die Mittel der Feinsteuerung wie Verhütung,
Abtreibung und Kindestötung werden ja gerade als Ursache von zu wenig
Menschen gefürchtet. (Ebd., S. 310 [§ 14]). **Mit
den Arbeitsverboten (für Kinder; HB) entfallen
aber die Kinderlöhne, so daß die Unterhaltskosten der Eltern umgehend
hochschnellen, ohne daß ihnen doch erlaubt wird, weniger Kinder zu haben
als zuvor oder gar bereits vorhandene zu beseitigen. (Hier
werden die Verhältnisse aber wieder besonders negativ zugespitzt und überdramatisiert;
HB). Diese Notlage setzt die Erwachsenen unter so starken wirtschaftlichen
Druck, daß sie nun selbst gegen Moral und Gesetz von neuem nach Verhütungswegen
suchen und dabei auch die Hilfe opferbereiter - neomalthusianischer - Intellektueller,
die dafür in die Gefängnisse müssen, finden. Trotz andauernder
Verfolgung von Verhütungsmittelvertrieb und Abtreibung breitet sich ab 1870
im menschenbepackten Europa, in dem nun Arbeitskräftemangel nicht absehbar
ist, die Verhütungsfähigkeit gegen den Widerstand der Kirchen und der
marxistischen Parteien, die um das Versiegen der riesigen Proletarierheere für
die staatssozialistische Zukunft fürchten, zunehmend aus. Die Konkurrenz
zwischen solchen Lohnarbeitern, die schon verhüten können und sich durch
geringe Unkosten für Kinder einen Vorteil in der beruflichen Mobilität
ergattern, und den Nachhinkenden treibt dazu - durch klerikale, faschistische
und staatskommunistischel Gewaltanwendung immer erheblich gebremst, aber doch
nicht wirklich unterbrochen - die Ökonomisierung des Lohnarbeiterprivatlebens
immer weiter voran. In diesem Prozeß tritt auch der ökonomische Minusposten
des Unterhalts einer Frau - noch beschleunigt durch die Entwicklung pflegeleichter
und schnen arbeitender Haushaltsgeräte - zunehmend ins Kalkül der Konkurrenten.
Allmählich beginnen männliche Lohnarbeiter auf die Eheschließung
zu verzichten oder nach einer Partnerin zu suchen, die wirtschaftlich keine Belastung
darstellt, also in der Regel selbst erwerbstätig ist. Auffällig wird
diese Entwicklung zuerst bei den gut verdienenden Lohnabhängigen, weil dort
das männliche Einkommen für den Unterhalt einer Familie ausreichen würde,
während in der Arbeiterschaft ohnehin die Ehefrauen häufig für
Lohn arbeiten mußten. In demselben Prozentsatz nun, in dem Männer diesen
Schritt zur Ehelosigkeit tun bzw. die Bindung an eine verdienende Frau suchen,
verlieren Frauen die Chance auf Unterhalt. Wollen sie gleichwohl überleben,
dann müssen sie selber berufstätig werden, also ebenfalls in die Konkurrenz
um Erwerbsquenen eintreten dürfen. Dafür benötigen sie alle diejenigen
formalen Rechte - wie freie Arbeitsplatz- und Wohnsitzwahl, Vertragsmündigkeit
u.s.w.. -, welche bis dahin von Vätern, Ehegatten oder Vormündern für
sie ausgeübt wurden. Aus der Arbeitsnotwendigkeit entste t mithin der Kampf
um die Gleichberechtigung der Frauen. Wollen nun die Frauen durch eigene
Arbeit nicht nur erbärmlich überleben, sondern etwa ebensogut leben
wie die besser verdienenden Lohnabhängigen, die anfangs ja vorrangig Männer
sind, dann müssen sie auch eine ebensogute Ausbildung erhalten wie die qualifizierten
Männer, damit sie um die gut bezahlten Arbeitsplätze überhaupt
erfolgreich konkurrieren können. Aus diesem »Muß« entsteht
der Kampf der Frauen um materielle Gleichheit, der bis heute im Gange ist.
(Ebd., S. 313 [§ 19], 314 [20]).In seinem Verlauf zerstört
die feministische Bewegung die nachhexenverfolgerische Ideologie von der naturhaft
nur nach Kindern strebenden, gattenliebenden und ansonsten asexuellen Frau. Die
gesellschaftlichen Verhältnisse zwingen sie, sich gewissermaßen wieder
ihrer biologischen Konstitution zu nähern, um im Konkurrenzkampf nicht durch
Kindererziehung behindert zu sein. Innerhalb von hundert Jahren (1870-1970) sind
die Geburten pro Frau auf ein Viertel oder gar ein Fünftel gefallen. Unter
dieser Größe verbirgt sich aber bereits eine sehr schnell wachsende
Kinderlosigkeit, die sich in den entwickeltsten Nationen der 30%-Schwelle aller
Erwachsenen annähert, sie in ihren großstädtischen Zentren schon
überschritten hat und offensichtlich nicht unglücklicher macht als das
Leben mit Kindern. Es mag aus Angst vor Bindungslosigkeit noch geheiratet
werden, wer dabei aber kinderlos bleibt, bildet keine Familie mehr. (Ebd.,
S. 314 [§ 20]).Aus diesem Grunde existieren - beginnend nach
dem 1. Weltkrieg - in etlichen bürgerlichen und sozialistischen Staaten Angebote
an Frauen, die Mutterschaft selbst zur Einkommensquelle zu machen. Je näher
solche staatlichen Unterhaltsangebote für Vermehrung an dem für die
einzelne Frau real zu erwartenden Einkommen durch Lohnarbeit liegen, desto interessanter
wird es für sie, diese Einkommensquelle zur »Mutter« ihres Kindes
zu machen. Erprobt wird Mutterschaftsentlohnung bereits in einer Höhe um
1000 DM pro Monat in der Bundesrepublik für eine Frau mit einem Kind (vgl.
Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 1977, S. 104). Für die
in diesem Nettoverdienstbereich rangierenden Frauen ergibt sich der Vorteil, nicht
mehr zur sexuellen Loyalität gegenüber einem einzigen männlichen
Versorger genötigt zu sein. Allerdings ist das Schicksal der Lohnarbeit auf
diesem Wege nur zeitlich begrenzt durchbrechbar. Für beide vorhandenen Unterhaltsangebote
- also aus sexuell-emotionalen Hoffnungen von Männern oder direkt bevölkerungspolitischen
staatlichen Motiven - gilt aber, daß die Wahrscheinlichkeit eines Kindes
um so größer wird, je näher das Angebot an die Summe aus Kinderkosten
plus entgangenem Einkommen heranrückt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet
werden demzufolge die Geburtenzahlen in dem Maße steigen, wie das staatliche
Unterhaltsangebot an die höchsten Frauenlöhne plus Kindernderkosten
heranreicht. (Ebd., S. 314 [§ 22]).Es ist aber nicht
wahrscheinlich, daß dieser Schritt in naher Zukunft gegangen wird. Geburtenrückgang
ist für den Staat, dessen Aufgabe darin besteht, die Wirtschaft konkurrenzfähig
zu halten, an sich keine Kategorie. In seiner Perspektive gibt es nur einen Arbeitskräftemangel.
Auch ein noch so süßes Baby dient - vom Staat her gesehen - lediglich
seiner Aufgabe, billige, loyale und qualifizierte Arbeitskräfte
für eine nicht familienwirtschaftlich organisierte Ökonomie bereitzustellen.
(Ebd., S. S. 314 [§ 22]).»Gegen den alternden Kapitalismus
in der Ersten Welt erhebt sich nicht - wie man noch vor 20 Jahren (1960)
glauben mochte - eine sozialistische Welt, sondern ein neuer, expansiver und aggressiver
Kapitalismus, der mit Hilfe leicht verfügbarer Rohstoffe und Löhnen,
die 50% oder sogar 80% (mehr, nämlich: 95% oder sogar
98%! HB) unter den hiesigen liegen, und einer modernen, schnell beschafften
Technologie Märkte erobert.« (B. Gustafson, Imperialismen - Tredje
Världen och historiens list, in: Ekonomik Debatt, Heft 5, 1978, S. 340).
(Ebd., S. 315 [§ 25]).
Kommentar zur Periodisierung der Kindheitsgeschichte durch Lloyd deMause: Hört
ihr die Kinder weinen?, 1974 (in: Kindheit [3]; 1981) **
Hielte
man also den Vergleich von Vergleichbarem durch, so gewönne man keine aufsteigende
Linie à la deMause, sondern eine allmähliche Wiederannäherung
an die anständige Behandlung von gewünschten und mit einer Zukunftsperspektive
versehenen Kinder, also eine Kreisbewegung. (Ebd., S. 342).Logischerweise
ergibt sich diese (Kreisbewegung! HB) auch,
wenn man ausschließlich Geburtenkontrolle mit Geburtenkontrolle vergleicht:
Aussetzung und Abtreibung der Antike erscheinen wieder in der gegenwärtigen
Abtreibungsliberalisierung, die denn die Kirche ja auch als Neubeginn einer Ära
des Kindemordes kennzeichnet. (Ebd., S. 342).Wollte deMause
dem entgegenhalten, sein Terminus »Kindesmord« sei kein kirchlicher,
so könnte ihm doch jeder Kirchenhistoriker schnell erklären, daß
die Kirche es eben als eine ihrer größten - und blutigsten - Errungenschaften
betrachtet, die Geburtenkontrolle als Kindesmord, der ausdrücklich Abtreibung
und Verhütug einschließt, perhorresziert zu haben. (Ebd.,
S. 342).
Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen (2003)
**
1) Aktueller Weltfeind: die überzähligen Söhne
aus dem Youth BulgeNicht
alle, ja nicht einmal die größten Megatötungen sind Youth Bulges
anzulasten. Die 30-60 Millionen Menschen etwa, die in der Sowjetunion seit 1922
im Gulag der Vernichtung durch Arbeit zugeführt werden (vgl. R. J. Rummel,
a.a.O; vgl. Courtois, a.a.O.), sollen große Produktionswunder ... erbringen.
(Ebd., S. 22).Islamische Länder
tragen das Siegesbanner der Fortpflanzung. (Ebd., S. 24).Youth
bulges sind keine alles erklärenden Faktoren, aber Theorien weltgeschichtlicher
Großereignisse, die sie schlichtweg ignorieren, greifen zu kurz. Auch weil
der Faktor Sohnesüberschuß so beschämend simpel ausschaut und
wenig hergibt für theoretische Finessen, läßt man ihn leichthin
unausgelotet oder gleich ganz beiseite. Selbst wo er einem irgendwie einleuchtet,
behält er etwas Repetitives und Unoriginelles. Dagegen ist nur einzuwenden,
daß bei allen Ansprüchen auf Eleganz eines Arguments auf seine Relevanz
gleichwohl nicht verzichtet werden kann. (Ebd., S. 24).Der
Vorwurf des eindimensional-biologistischen Arguments wird ebenfalls gerne gegen
die Sicht der überschüssigen Söhne vorgebracht. Das hat auch seine
Berechtigung, wenn die kritisierten Autoren nicht angeben können, warum die
Zahl der jungen Männer plötzlich ansteigt und in ihrer Hilflosigkeit
dann in der Tat auf Kräfte der Natur verfallen. So hat man die Megatötungsfeldzüge
von Napoleon bis einschließlich des Ersten Weltkrieges als Mittel zur Vernichtung
der ganz unstrittig gerade in dieser Zeit besonders überzähligen jungen
Europäer gedeutet: »Die demographische Inflation zieht den Völkermord
nach sich« (G. Bouthoul, Nachgeholte Kindestötung, 1970, S.
199). Dabei konnte die Herkunft dieser Inflation jedoch nicht erklärt werden.
Gleichwohl weist Bouthouls »Nachgeholte Kindestötung« in die
Richtung einer verbotenen Geburtenkontrolle. Es falle - so Bouthoul - den Regierungen
leichter, die Überzähligen in Kriegen zu verbrauchen, als Verhütung
und Abtreibung so weit zu legalisieren, daß womöglich nicht einmal
mehr die bevölkerungspolitischen Minima - geschweige denn Überschüsse
- erreicht werden können. Im III.
Kapitel ist zu zeigen, daß es für die Youth Bulge-Erzeugungen
der europäischen Neuzeit (ab 1485) selbstredend ohne Biologie nicht geht,
ihre welthistorische Extremaktivierung jedoch ganz handfester Politik anzulasten
ist. Die demographische Analyse interessiert sich also für die moralischen
Verpflichtungen, gesetzlichen Beschränkungen und gewalttätigen Verfahren,
mit denen eine Gesellschaft ihren Nachwuchs hervorbringt. Darüber bekommt
man mit einem bloßen Blick auf die Menge der Körper bzw. die Biomasse
eines Volkes nichts heraus. (Ebd., S. 24).Wo nun zwei oder
mehr Söhne in den Familien um Zuwendung konkurrieren, gibt es nicht nur Reibereien,
sondern auch eine wachsende Bereitschaft, die jungen Männer risikoreich einzusetzen
- nicht nur, um ihnen ein Auskommen zu ermöglichen, sondern auch, um den
sozialen Frieden zu erhalten. Eine Nation mit Youth Bulge entwickelt also
ein ganz anderes Temperament als eine in absoluten Zahlen viel größere
Nation, die ohne interne Probleme mit überzähligen Söhnen lebt
oder bereits mit einern Sohnesmangel konfrontiert ist. Wiederholt sich ein Youth
Bulge - statt ein einmaliger Babyboom zu bleiben - über zwei oder mehrere
Generationen, sind kumulierende Effekte unvermeidbar. (Ebd., S. 24-25).Das
aktuell quantitativ beeindruckendste Beispiel für Youth Bulges liefern
die islamisch geprägten Länder, die in nur fünf Generationen (1900-
2000) von 150 auf 1200 Millionen Menschen zugenommen haben und immer noch - neben
einigen schwarzafrikanischen Nationen - das Siegesbanner der Fortpflanzung tragen.
Zum Vergleich: das immer wieder als Weltbedrohung und »gelbe Gefahr«
gezeichnete China hat sich im selben Jahrhundert von 400 auf 1200 Millionen Menschen
»nur« verdreifacht, das Territorium des heutigen Indien von 250 auf
1000 Millionen vervierfacht. Lediglich für Einwanderungsländer ergeben
sich höhere Werte. So wächst Brasilien mit
seinen zahlreichen Genoziden an Eingeborenen bis in die 1990er Jahre (vgl. Gunnar
Heinsohn, Lexikon der Völkermorde, 1999) zwischen 1900 und 2000 von
17 auf 170 Millionen. Südamerika (hier definiert als Gesamtamerika ohne USA
und Kanada) kommt mit einer Zunahme von 70 (1900) auf 525 Millionen (2000) noch
am ehesten an die islamische Welt heran und geht ihr als Terror- und Bürgerkriegsregion
chronologisch direkt vorher. Die USA - mit ihren Reservats-Deportationen und Indianergenoziden
bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts steigen zwischen 1790 und 1890 sogar um
den Faktor 15 (knapp 4 auf über 60 Millionen [vgl.
auch Hugo Ott / Hermann Schäfer, Wirtschafts-Ploetz, 1984, S. 447;
HB]). Die gesamte Menschheit hat sich zwischen 1800 bis 2000 von 1,5
auf 6 Milliarden vervierfacht. (Ebd., S. 25).Ohne selbst
in absoluter Armut zu stecken, gehen schon archaische Stammesgesellschaften daran,
ihre Söhne in einer Weise einzusetzen, bei der Krieg, Kreuzzug und Genozid
noch kaum unterscheidbar sind. Obwohl sie viel von Geburtenkontrolle verstehen
und nur wenige Kinder aufziehen, sind sie immer an einer Positionsverbesserung
interessiert. Ihre militärischen Operationen zielen zwar auch auf Ernährungsgrundlagen,
aber eher im Sinne einer Optimierung, einer Gewinnung von ökologisch interessanterem
Lebensraum. Es ziehen also keine Geschwächten los, sondern Krieger, die sich
noch besser stellen wollen. Ihre Eroberung von Äckern, Gewässern und
Wäldern führt »zur Umverteilung des Landes von den Schwachen zu
den Starken«. Dafür gibt es mit der »Vertreibung der Schwächeren«
und »Ausrottungskriegen« im wesentlichen nur zwei Mittel (J. Keegan,
1993, a.a.O.). Überlebende junge Frauen und auch Kinder der Geschlagenen
können vom Siegerstamm adoptiert werden. Da er selbst ja keine überbordende
Populationsdynamik aufweist, ist er daran interessiert, Gefallene zu ersetzen.
(Ebd., S. 25-26).Aktueller Youth bulge ist größer
als alle seine Vorgänger. (Ebd., S. 26).Jede »Kolonisation«
der Weltgeschichte erweist sich bei genauerem Zusehen als Euphemismus für
eine Mixtur aus Ansiedlung und Ausrottung. Das gilt auch für das erste vorchristliche
Jahrtausend, als Griechen, Phönizier und Römer ihre überzähligen
Söhne - die gesunden werden meist aufgezogen, während bereits der Erhalt
eines einzigen Mädchens der Sitte Genüge tut - für die Auswanderung
ausrüsten. Diese Siedler eliminieren - nach Raub der Töchter und Tötung
der Väter und Brüder - die Stämme um das Mittelmeer herum in wenigen
Jahrhunderten und stoßen dann in großen Kriegen unter Ebenbürtigen
aufeinander. Die schon im Altertum verklärte Pax Romana setzt erst
ein, als 146 v.u.Z. mit der Schleifung und Ausmordung von Korinth (50000 Tote
bei 120000 Einwohnern) und Karthago (150000 Tote von 250000 Einwohnern) die Metropolen
der Griechen und der Phönizier ausgelöscht sind (vgl. näher Gunnar
Heinsohn, Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, 1982, S. 154ff.).
(Ebd., S. 26).Die deutsche Kolonisation Livlands durch nachgeborene
Söhne vor allem aus dem Gebiet Bremen/Niedersachsen ab 1201 verfährt
nicht weniger genozidal als die konkurrierenden Mächte des Altertums. Selbst
die von deutschen Katholiken frisch Getauften - in diesem Fall Letten - haben
bei den noch zu bekehrenden Esten im Namen der Heiligen Jungfrau immer wieder
»Männer, Weiber und Kinder ... vom Morgen bis zum Abend« umgebracht,
bis die »Hände und Arme der Tötenden müde vom ungeheuren
Morden des Volkes endlich erlahmten« (Heinrich von Lettland, Livländische
Chronik, 1227, S. 95). (Ebd., S. 26).Die deutsche Ostkolonisation
von 1150 bis 1350 zeigt exemplarisch, wei eine Expansion durch das schlichte Abklingen
eines Sohnesüberschusses auch wieder aufhört. »Das größte
Werk des deutschen Volkes im Mittelalter« kommt »infolge des großen
Menschenverlustes durch die Pest von 1348« abrupt zum Stillstand (vgl. Brockhaus,
»Ostdeutsche Kolonisation«, in: Der Große Brockhaus,
1932, Band XIII, S. 782). (Ebd., S. 26-27).Für die Eroberung
der Welt durch Abkömmlinge der europäischen Youth Bulges aus
den vierhundert Jahren zwischen 1493 und 1900 werden gerade mal 50 Millionen,
allerdings zu allem entschlossene Menschen ausgeschickt (dazu die Kapitel III
und IV).
Die blutigste Phase der Eroberung zwischen 1500 und 1750 besorgen - bei Umrechnung
der spanischen Zahlen für Lateinamerika auf die ganze Welt - kaum mehr als
200000 junge Männer (vgl. R. Romano / A. Tenenti, Die Grundlagen der modernen
Welt, 1967, S. 204). 50 Millioen junge Leute könnte das heutige Indien
(345 Millionen kinder unter 15 Jahren) an einem einzigen Tag freigeben und wäre
daheim immer noch mit einem heftigen Bevölkerungswachstum beschäftigt.
(Ebd., S. 27).Vielleicht läßt
sich Huntingtons ursprüngliche These so umformulieren, daß ein Youth
Bulge, einmal in Bewegung geraten, sich Rechtfertigungen für sein firchtbares
Tun auch aus der religion und Moral seiner Herkunftsgebiete zurechtschneidert.
Die Religion liefert dann zusätzliches Öl für ein Feuer, dessen
Ausgangsbrennstoff nicht von ihr stammt. (Ebd., S. 31).
2) Wo leben die jungen Männer?Die
LEX JULIA des Kaisers Augustus aus dem Jahre 14 v.u.Z. bedroht Nachwuchsverweigerer
damit, daß sie ihr eigenes Erbe nicht antreten dürfen. Ausnahmen aber
müssen gemacht werden - damals für Prostituierte. Daraufhin lassen sich
die feinen Damen Roms in die Hurenregister eintragen. Das Imperium geht weiter
unter: »Bis man zu den Zeiten kam, in denen wir weder unsere Krankheiten
noch ihre Heilmittel ertragen könne«, kommentiert das Livius (63 v.u.Z.
- 17 u.Z.) in der Einleitung zu seiner Römischen Geschichte. (**).
Damals im Römischen Reich
verschwindet mit der Bankrottierung der Bauern die kleine ökonomischen Einheit,
auf der das römische Familienleben beruht. Nach der Vollstreckung in ihr
verpfändetes Land bleiben diesen Bauern nur noch ihre proles (Kinder),
nach dem Wegsterben dieser Proletarier wächst dann nichts mehr nach. Am Ende
soll das Imperium ... 2000 Familien gehört haben. Auf immer größer
werdenden Latifundien der erfolgreichen Konkurrenten hat gerade noch der Aufseher
der Sklavenkaserne eine eigene Familie. Sklavenzuchtversuche scheitern an den
langwierigen Preiserwartungen, weil nach Investitionen in zehn oder mehr Lebensjahre
plötzlich ein einziger großer Sieg in Parthien Zehntausende billigst
auf die Sklavenmärkte des Imperiums spülen und die Aufzuchtkosten zum
Verlust machen konnte. Am Ende erfüllt sich des älteren Plinius (23-79)
Diagnose latifundia Italiam perdidere (die Latifundien haben Italien [bzw.
das Römische Reich] zugrunde gerichtet); Naturgeschichte, Buch XVIII,
35). (Ebd., S. 47-48).Gewiß kann man für jede
Nation zusätzlich auch nach ureigenen landestypischen Tötungsgründen
jenseits eines Youth Bulge fahnden. Aber man würde ähnliche Gründe
auch bei anderen Nationen finden, in denen nicht oder kaum getötet wird,
so daß man am Ende doch einer Einbeziehung des Youth Bulge nicht
ausweichen könnte. Man würde ganz ähnlich verfahren wie bei der
stereotypen Erforschung von großtötenden Diktatoren. Weil diese Männer
psychologisch und allgemeinmedizinisch extrem genau seziert werden, findet man
bei ihnen fast immer irgendwelche »Mörder«-Anlagen als oberflächlich
überzeugende Ursache ihres bösen Tuns. Würde man aber auch alle
unauffällig gebliebenen Staatslenker ebenso intensiv angehen, verlören
sich die meisten Gewißheiten recht schnell, weil viel verrücktere Herrscher
oft ganz harmlos geblieben sind. (Ebd., S. 54-55).Rangfolge
nach Bevölkerungswachstum, nach Unter-15-Jährigen in absoluten Zahlen,
nach Unter-15-Jährigen in Prozent (Stand: 2003) |
Rang | | Bevölkerungswachstum | in
% | | Unter-15-J.
absolut | in
Mio. (in%) | | Unter-15-J.
relativ | in
% | | Fruchtbarkeit | Rate |
1 | Ver.
Arabische Emirate | 7,4 | Indien | 345
(33%) | Uganda | 49,8 | Timor-Leste | 7,6 |
2 | Timor-Leste | 5,3 | China | 306
(24%) | Timor-Leste | 49,5 | Niger | 7,2 |
3 | Pälastina | 4,1 | Indonesien |
64 (31%) | Niger | 48,9 | Angola | 7,0 |
4 | Somalia | 3,2 | Pakistan |
60 (40%) | Tschad | 48,0 | Somalia | 6,9 |
5 | Belize | 3,2 | USA |
59 (21%) | D. R. Kongo | 47,9 | Afghanistan | 6,8 |
6 | D. R. Kongo | 3,0 | Nigeria |
57 (44%) | Somalia | 47,8 | D.
R. Kongo | 6,7 |
7 | Angola | 3,0 | Brasilien |
49 (28%) | Angola | 47,6 | Guinea-Bissau | 6,6 |
8 | Jemen | 3,0 | Bangladesch |
45 (28%) | Mali | 47,2 | Mali | 6,4 |
9 | Salomonen | 3,0 | Mexiko |
34 (33%) | R.
Kongo | 46,9 | R.
Kongo | 6,3 | 10 | Saudi-Arabien | 2,9 | Äthiopien |
32 (47%) | Burkina
Faso | 46,9 | Burkina
Faso | 6,2 | (Ebd.,
S. 60-70 [vgl. auch: Fischer Weltalmanach, 2006, S. 500-507).
Rot = 30% und mehr Unter-15-Jährige
- Wachstum der Bevölkerung und der Kriege pro Jahr - (Quelle: H. Dießenbacher,
Kriege der Zukunft, 1988, S. 83) |
3) Die demographische Herkunft der Konquistadoren und
das Wunder der europäischen WelteroberungDie
Eroberung der Welt durch ein halbes Dutzend Länder aus dem kleinen Europa
ab 1492 verstört bis heute nicht nur durch seine Enormität, sondern
auch durch seine schiere Unbegreiflichkeit. (Ebd., S. 72).
4) Weltmächte von gestern und morgen: mehr Söhne
und striktere EigentumsstrukturenDie
Basis des Wirtschaftens liegt ... weder im Kapital noch im Markt, sondern im Eigentum.
Das kann man nicht sehen, riechen, schmecken oder anfassen, weil es ein papierener
Rechtstitel ist. (Ebd., S. 88).Die Unterscheidung zwischen
Besitz und Eigentum ist für das Verständnis des Wirtschaftens fundamental.
Ökonomie wird so schlecht verstanden, weil die Gelehrten Besitz und Eigentum
für ein und dieselbe Sache halten. (Ebd., S. 89).Die
auf Eigentum basierenden Gesellschaften können auch zahlenmäßig
größere Völker übertreffen, weil Eigentum für die Schaffung
von Geld belastet und für das Borgen von Geld in einem Kredit verpfändet
werden kann. Der Geldschaffer verliert durch diese Belastung während des
Kreditzeitraumes die Freiheit seines Eigentums, kann es nicht noch einmal belasten
und auch nicht verkaufen oder verschenken. Dafür gewinnt er die Zinszusage
seines Schuldners. Und eben für dieses Immer-Mehr aus niemals länger
werdenden Jahresfristen, muß erfinderisch gewirtschaftet werden. (Ebd.,
S. 89). Gesellschaften ohne Eigentum haben kein Geld, also keine
zinsbelasteten Schulden und bleiben eben deshalb ohne nennenswertes Wachstum.
(Ebd., S. 89).Daß der Zins als entscheidende Zugkraft des
Wirtschaftens am Eigentum haftet, ist zwar ganz allgemein schlecht verstanden.
Aber nur die Marxisten schreiten seit 1917 zu seiner regelrechten Abschaffung.
Sie versprechen - wenn man so will - den Menschen für ihr Auto eine noch
höhere und überdies pannensichere Geschwindigkeit, wenn man nur den
Motor ausbaue. Diese Heilung der Tuberkulose durch Entfernung der Lunge hat an
die 100 Millionen Menschen das Leben gekostet. (Ebd., S. 90).An
einem Stück Ackerland läßt sich die wirtschaftliche Potenz des
Eigentums über das bloße besitzbasierte - und ewige - Produzieren hinaus
besonders leicht nachvollziehen. .... Zur geschäftlichen Verwendung eines
Ackers - also zum Wirtschaften mit ihm - kann es erst kommen, wenn zum Besitzrecht
noch ein Eigentumstitel hinzutritt. Man kann sagen, daß mit dem Acker produziert,
mit dem Zaun, der ihn umgibt, jedoch gewirtschaftet wird, wobei er den Eigentumstitel
symbolisiert und nicht nach Draht und Pfosten betrachtet wird, die es auch in
reinen Besitzgesellschaften geben kann. Während der Bauer einer Eigentumsgesellschft
seine Feldmark - durch eigenen Gebrauch oder durch Verpachten - als Besitzer
nutzt, kann er mit dem Eigentumstitel an ihr gleichzeitig und eben zusätzlich
wirtschaften. Er kann diesen Titel für das Leihen von Geld - Mark
z.B. - verpfänden, oder er kann ihn für die Besicherung des von ihm
selbst emittierten Geldes - wiederum Mark - belasten. (Ebd., S. 90-91).Die
Geldnote - ob auf Metall oder Papier gedruckt - ist ... ein Eingriffsrecht in
das Eigentum ihres Emittenten und kommt nur durch Schuldenmachen in die Welt.
Auch das auf fast wertlosem Material notierte Geld ist wertvoll, weil hinter ihm
besicherndes und zusätzlich verpfändetes Eigentum steht. Wo jemand Geld
emittiert, tut er diese für einen anderen, der ihm mindestens im selben Wert
Eigentum verpfändet sowie Tilgung und Zins zusgesagt hat. Der in die Zirkulation
gelangten Geldnote entspricht mithin ein zweites notifiziertes Dokument. Das ist
der Kreditkontrakt, in dem der geschaffene Betrag als mit Eigentum des Leihers
besicherte und zu verzinsende Schuld niedergeschrieben ist. Erst wenn der die
Schuld getilgt hat, kann die zum Verleiher heimgekehrte Geldnote vernichtet und
der Kreditkontrakt zerrissen werden. Sind die Noten aus Metall oder ist das Papier
noch gut, können sie bei einer neuerlichen Emission wieder verwendet werden.
.... Als Verwender von Geld, das immer jemand - nämlich der im geldschaffenden
Kreditkontrakt Benannte - schuldet, entwickeln Mitglieder von Eigentumsgesellschaften
einen ganz anderen Blick auf die Welt als Menschen aus reinen Besitzgesellschaften,
also aus Stämmen oder aus Feudalgesellschaften, werden diese nun durch Adelkasten
oder »Avantgarden einer Arbeiterklasse« dirigiert. Geldschuldner suchen
immer nach Wegen, aus der prinzipiell unveränderlich gleich langen Zeit eines
Jahres oder eines Monats das Zusätzliche herauszuholen, das sie für
den Zins aufbringen müssen. Eben dafür erzeugen sie Märkte. Auf
diesen versucht man Schuldendeckungsmittel, also Geld zu erlangen. Dessen Existenz
geht dem Markt somit voraus, während die Marktwirtschaftler glauben, daß
erst die Märkte da seien, auf denen es dann für eine Tauscherleichterung
erfunden werde. (Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht, 2003,
S. 89-92).
5) Youth Bulges im transnationalen TerrorJeder
versteht, daß der ab 81 n.Chr. errichtete römische Limes für die
Schwächung des Römischen Imperiums steht. Alle wissen, daß die
chinesische Mauer gebaut wird, als man die Kraft zu militärischen Offensiven
gegen feindliche Stämme nicht mehr aufbringt. Seit die USA - mit dem Ballistic
Missile Defense System - einen Schutzschild bis hoch in den Weltraum zu bauen
beginnen, ist offensichtlich geworden, daß es sich in abnehmender Machtkurve
befindet - trotz seiner überregenden Technologie. Star Wars ist nicht
Ausdruck für einen dynamischen Eroberungswillen, sondern die schlichte Abwesenheit
eines solchen. Auch Limes und Mauer sind zu ihrer Zeit unübertroffene Leistungen
der besten Militäringenieure eines Hegemon, aber eben eines wankenden. ....
Die Vorstellung, daß die USA gerade jetzt ihren Einflußgipfel erstiegen
hätten und deshalb ein Weltgewaltmonopol zum Schutze der Zivilisation aufrichten
könnten und sollten (vgl. Sibylle Tönnies, Auf dem Weg zum Weltstaat,
2002), hat gewiß ihren Charme. Die USA jedoch haben guten Grund, sich ganz
anders zu sehen. Sie können schlichtweg nicht beliebig oft ihren einzigen
Sohn herausschicken, um draußen zehn andere vom Kämpfen abzuhalten.
Gleichwohl verfallen auch sie gelegentlich in die ihnen fast immer vorgehaltene
Selbstüberschätzung, wenn etwa der Präsident die aktuelle militärische
Kraft eines Landes als »unprecedented« (historisch noch nie dagewesen)
bezeichnet (vgl. George W. Bush, National Security Strategy of the United States
of America, 20.09.2002; www.whitehouse.gov).
Unprecedented ist US-Amerikas Macht lediglich zwischen 1941 und 1949, als
man (mit Hilfe der Verbündeten; HB) die
beiden Großreiche Deutschland und Japan schlägt, das Britische Empire
und die Sowjetunion über Wasser hält .... (Ebd., S.
127-128).In deutschen Diskussionen fällt auf, wie schnell
selbst ausgewiesene Champions der Menschenrechte auf »unsere«, also
die zuvor scharf verurteilten us-amerikanischen Atomwaffen, zurückgreifen
wollen, wenn sie sich einen 11. September in Frankfurt oder Hamburg vorstellen.
Bisher hat Al-Qaida dies ja nur angedroht (vgl. Focus Online, 09.10.2002; www.focus.de)
und sich darauf beschränkt, deutsche Touristen in Tunesien und Bali sowie
deutsche Soldaten in Kabul zu ermorden. .... In jedem Fall würden nach einem
Treffer die Empörungen über den kosmischen Schutzschild der USA umgehend
Anklagen darüber weichen, daß man nicht auch unter ihn schlüpfen
durfte. Alldeutsche Mahnungen, daß die USA ihre »Aggressionen«
gefälligst ohne den deutschen Weltfriedenskämpfer durchstehen solle,
wären schnell vom Tisch. So weit allerdings wird man es gar nicht kommen
lassen. Man ähnelt zu sehr den frühen Christen, die das römische
Imperium zwar gehaßt, vor seinem Untergang sich jedoch niedergeworfen und
um seine Verschonung zum Herrn geschrien haben. Die Deutschen liefern für
die Mischung aus Schutzbedürfnis und dem Drohen mit fremden Waffen zwar nicht
das einzige, aber doch ein Paradebeispiel. Vor dem zweiten Irakkrieg terten ihre
Führer als »deutschwegige« Pazifisten gegen Bushs »Spielerei
mit dem Krieg« auf (vgl. Die Welt, 18.09.2002, S. 3). Da sie sich dabei
mit den Akut-Kriegern Putin (Tschetschenien) und Chirac (Elfenbeinküste)
verbünden, wird der Verkauf ihrer Impotenz als Keuschheit schnell durchschaut.
Man kann ja nicht einmal die in Afghanistan stationierten Soldaten »mit
eigenen Kräften ... evakuieren«, weil es »an geeignetem Fluggerät
fehlt« (vgl. H.-J. Leersch, in: Die Welt, 01.02.2003, S. 4). Nur weil die
US-Amerikaner durch Zusage von Luftkapazität den Deutschen auch noch diese
Verantwortung abnehmen, können sie sich im Kampf gegen die Terroristen überhaupt
sichtbar machen. Im Jahr 2002 wenden die gut 280 Millionen US-Amerikaner für
ihr Militär 350 Milliarden Dollar und die 59 Millionen Briten immerhin noch
knapp 40 Milliarden Dollar auf, während sich die 83 Millionen Deutschen (die
allerdings die EU finanzieren, also auch die Miltärausgaben aller anderen
EU-Mitglieder!) mit 25 Milliarden Dollar für global untaugliches Gerät
und Personal begnügen (vgl. G. Baker et al., in. Finacial Times, 07.11.2002,
S. 8). »Europa hat mit 2 Millionen Soldaten eine halbe Millionen mehr als
die USA, aber nur ein Bruchteil davon ist wirklich einsetzbar« (J. Black,
in: The Guardian, 09.11.2002, S. 2). 250 us-amerikanischen Großraumflugzeugen
für die schnelle Fernverlegung von ganzen Divisionen stehen 11 europäische
Maschinen gegenüber. Vor 2010 sind eigene Modelle (Airbus 400M) nicht verfügbar.
50 Prozent aller US-Flugzeuge können auch nachts eingesetzt werden, von den
europäischen aber nur 10 Prozent. Im Jahre 2003 beginnen die Briten mit dem
Bau der beiden größten Flugzeugträger ihrer Geschichte. Sie sollen
2012 und 2015 in Dienst gehen, das Land also für die Gipfelzeit weltweiter
Youth-Bulge-Krisen global einsatzfähig halten. Eine Ankündigung
deutscher Flugzeugträger für eine wirklich spürbare Beteiligung
an friedenssichernden Bündnisse würde wohl als Zeitungsente abgebucht
werden. (Und dieses Land, hatte einmal die größte
Armee aller Zeiten!) Und doch könnte nur ein Schritt in diese Richtung
die Glaubwürdigkeit des Landes (richtig muß es
heißen: die Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen in diesem Land; HB) wiederherstellen. (Ebd., S. 131-133).Europa kann
Israel nicht lieben. (Ebd., S. 137).Deutschland wird den
Juden Auschwitz niemals verzeihen. (Ebd., S. 138).
4) Hereingelassene und HerausgehalteneDie
Vermittlung von ökonomischem Wissen ist die beste Entwicklungshilfe. - Lassen
sich die exkommunistischen Staaten wenigstens so weit attraktiv machen, daß
ihr demographisches Ausbluten aufhört und sie womöglich sogar Einwanderungsattraktivität
gewinnen? Sie brauchen dafür keine anderen Ratschläge als die
übrigen Entwicklungsländer. Gebt uns frei, dann werden wir reich und
mächtig wie ihr, tönt es um 1960 aus Europas Kolonien. Gebt uns Entwicklungshilfe,
denn ihr seid noch reicher geworden, seit ihr uns nicht mehr ausbeutet, heißt
es kaum zehn Jahre später. Laßt freie Märkte zu, rufen die Gelehrten
der alten Herrenländer. Also gibt man Preise frei, kauft Maschinen oder bekommt
diese sogar geschenkt und doch wird die Armut größer. Ist es möglich,
daß die Berater ihr eigenes System nicht verstehen? Wenn man den weniger
entwickelten Ländern helfen will, dann darf man ihnen kein Geld geben. Die
denken sonst in der Tat, daß auf rätselhafte Weise riesige Tresore
voll mit dem edlen Papier gerade in den OECD-Staaten
(gemeint sind: Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland,
Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg,
Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden,
Schweiz, Südkorea, Spanien, UK, USA) gelandet sind, die somit ruhig
mal etwas abgeben könnten. Doch die haben keine Kisten, sondern für
die Geldschaffung belastbares Eigentum. Die Etablierung von Eigentum wiederum
erfordert nur ganz geringen technischen Aufwand. Bloße Besitztümer
müssen um Eigentumstitel ergänzt und dabei breit gestreut werden. Diese
Verteilung muß in Dokumenten über die Eigentumstitel fixiert werden.
Kataster und Grundbücher sind anzulegen. Man muß also schreiben und
Urkundenstempel herstellen können. Man muß an Gesetze gebundene Polizei
und unabhängige Gerichte schaffen, die in die Eigentumstitel - ohne Ansehen
der Macht ihrer Halter - vollstrecken können. All diesen Anforderungen können
auch die Nicht-OECD-Länder (**)
ohne großartige Gedankenverrenkungen nachkommen. Keine Hilfe zur Selbsthilfe
kann sich segensreicher auswirken als die Information über die Mechanismen
der Geldschaffung. Ein akademisch ungeehrter Außenseiter wie Hernando de
Soto aus dem Entwicklungsland Peru muß daherkommen, um dem Entwicklungsland
Ägypten zu zeigen, wie der Weg aus der Armut auszusehen hat. Neun Zehntel
der Immobilien Ägyptens - so findet er heraus - können nicht für
die Kreditaufnahme belastet werden, weil sie lediglich unvollstreckbarer Besitz
sind. »Totes Kapital« nennt der Peruaner das ein wenig dunkel. Durch
Umwandlung des bisherigen Besitztitel in Eigentumstitel - jetzt in der Sprache
dieses Autors - würde der Preis des gänzlich neugeschaffenen Eigentums
»dreißigmaI höher als der Marktwert aller Firmen liegen, die
an der Kairoer Börse registriert sind« (Hernando de Soto, Totes
Kapital und die Armen in Ägypten, 2001, S. 35). Wenn etwa 70 Prozent
der Weltgeldschaffung immer noch mit Grundeigentum besichert ist, Entwicklungsländer
aber kaum 10 Prozent ihres Landes als solches Eigentum zur Verfügung haben,
dann sind Elend und zugleich extreme Unterschiede in den Einkommen unvermeidlich.
Die OECD-Staaten (**)
und eine noch einmal so große Gruppe - insgesamt 59 Länder - schaffen
auf ihren Eigentumsstrukturen 96 Prozent des Weltbruttosozialprodukts und halten
zugleich 98 Prozent der Weltbörsenkapitalisation. Die übrigen 140 Länder
erbringen nur 4 bzw. 2 Prozent. Der »große Satan« ist niemand
anders als ihre eigene Nichtvereigentümerung. Die Dauerrede von den reichen
Nationen, die endlich ihre Privilegien mit den armen Völkern teilen sollten,
könnte aus dem Bereich bloßer Torheit herausfinden, wenn diese «Vorrechte»
als vollstreckbare Eigentumstitel identifiziert und ins allgemeine Bewußtsein
gehoben würden. Die Nationen, die sie noch nicht haben, würden dann
nicht mehr nach Teilung des anderswo Geschaffenen, sondern nach Ausbreitung dieser
Rechte auch bei sich rufen. Sollte es einmal gelingen, die ungeheure Wohlstandsverhinderung
durch Abschottung des Besitzes gegen seine Vereigentümerung zu überwinden,
wäre in vielen Ländern erstmals eine realistische Zukunftsperspektive
gegen Apathie oder Terror gesetzt. Zugleich wäre die intellektuelle Fantasie
vom Markt als angeblichem Essenzial des Wirtschaftens vom Tisch (als auch theoretisch
durchdachten Wegweiser für eine solche Offnung; vgl. Ulf Heinsohn, Eigentum
und Entwicklung, 2001, S. 295-335). (Ebd., S. 146-147).Denn
selbst bei einer extrem liberalen Öffnung der Grenzen können Einwanderer
eines nicht sonderlich gut - nämlich viele begabte junge Leute bereitstellen,
die von klein auf in einer hochtechnologischen Gesellschaft heranwachsen,
souverän mit ihr umgehen lernen und dann die kritische Masse bilden, die
sie ideenreich auf neue Höhen führt. Diese Voraussetzung für ein
Verbleiben Europas im Spitzensegment der Weltwirtschaft kann ... mit direkt
in der Wissensgesellschaft aufgewachsenem eigenen Nachwuchs leichter erreicht
werden als mit wie auch immer motivierten Zuzüglern aus Afrika und der muslimischen
Welt. Selbst Kinder aus
zugewanderten Familien, die ihre gesamte Schulausbildung in Deutschland
erhalten, scheinen keine Garantie für das Halten eines hohen Niveaus zu geben.
Im Gegenteil, sowie der Migrantenanteil bei 20 Prozent liegt, rutscht das Leistungsniveau
aller Kinder in diesen Klassen ab ... (vgl. dazu auch: Joachim Peter, Ausländerkinder
senken Lern-Niveau erheblich, in: Die Welt, 04. März 2003 [**]).
(Ebd., S. 160).
Ausländerkinder
senken Lern-Niveau erheblich! Neue Pisa-Teilanalyse weist auf erhebliche Schwierigkeiten
an Schulen schon bei geringem Migrantenanteil hin! Bereits ein geringer Anteil
von Ausländerkindern an Schulen hat drastische Folgen für das Bildungsniveau.
Zu diesem Ergebnis kommt eine der WELT vorliegende
neue Teilanalyse der nationalen Pisa-Studie. Danach bewirkt schon ein Migrantenanteil
von 20 Prozent eine »sprunghafte Reduktion der mittleren Leistungen«.
Im Vergleich zu Schulen mit weniger als fünf Prozent Ausländerkindern
ergibt sich ein Unterschied von knapp zwanzig Punkten. Die Studie kommt zu der
Schlußfolgerung, daß bereits bei einer »quantitativ relativ
moderaten ethnischen Durchmischung« den Schulen der »Umgang mit der
Heterogenität« Schwierigkeiten bereite. .... Die Ergebnisse der internationalen
OECD-Bildungsstudie Pisa I hatten bereits gezeigt, daß Kinder
und Jugendliche aus zugewanderten Familien deutlich geringere Bildungserfolge
erzielen als Schüler ohne Migrationshintergrund, auch wenn sie ihre gesamte
Schullaufbahn in Deutschland absolviert haben. Die von den Teilnehmerländern
gemeinsam entwickelten Leistungstests wurden bei 15-jährigen Schülern
durchgeführt. (Joachim Peter, Ausländerkinder senken Lern-Niveau
erheblich, in: DIE WELT, 04. März 2003). |
Warum werden sie zu Kriegern? (Vortrag in Hannover; 10.02.2003) **
Der
Hauptgegner der Weltmacht trägt seit der Präsidentschaft Clintons nicht
mehr den Namen bestimmter Nationen, sondern heißt - auf Englisch - Youth
Bulge (Jugendüberschuß; HB) und
wird noch auf »Jahrzehnte« hinaus Gefahrenpotential für die USA
entfalten. Ein »Jugendboom« bzw. die überproportionale Ausstülpung
(Bulge) der Alterspyramide bei den 15-24-Jährigen ist immer dann gegeben,
wenn diese zehn Jahrgänge mindestens 20% und die fünfzehn Jahrgänge
der Kinder (0-14-Jährigen) mindestens 30% der Gesamtbevölkerung ausmachen.
In den vierzig Spitzenländern des Jugendbooms der islamischen und schwarzafrikanischen
Welt wird der Anteil der 15-24-Jährigen in den kommenden fünfzehn Jahren
sogar um die 30% ausmachen. (Vgl. S. P. Huntington: »Der kritische Punkt
ist erreicht, wenn Jugendliche mindestens 20% der Gesamtbevölkerung ausmachen.«).
. .... »Demographische Gründe für ethnische Konflikte«, ein
Aufsatz von Gary Fuller (1995): er hatte nur auf den ersten Blick eine Beziehung
zwischen Youth Bulges und Massakern, ... Massentötungen studiert und
dafür weder ökonomische Strukturänderungen noch Klimaverschlechterungen
verantwortlich machen können. Auch Hunger, der immer wieder für die
Erklärung von Terrorismus herangezogen wird, spielt keine Rolle. Vielmehr
kulminierte das Töten, als die Youth-Bulge-Gipfel der 15-24-Jährigen
sogar noch über 20% gestiegen waren. Zuvor hatten also die 0-14-Jährigen
- Children Bulge (Kinderüberschuß; HB) - bei 35% bzw. 37% gelegen. .... Über 900 Millionen Jungen unter
15 Jahren werden 2003 außerhalb der OECD-Staaten (nebst Rußland u.a.
slawische Staaten bzw. für 2004 vorgesehene EU-Kandidaten) aufgezogen. Die
Familien der USA verfügen im selben Zeitraum nur über 30 Millionen Söhne
unter 15 - zwanzig Prozent davon mit Übergewicht. Die übrigen OECD-Staaten
haben noch einmal 70 Millionen Söhne unter 15. Selbst für den unwahrscheinlichen
Fall allgemeinen Zusammenhalts steht es immer noch 9:1 für die weniger entwickelte
Welt. Nimmt man dort China heraus, verbessert die entwickelte Welt ihre Unterlegenheit
von einem Neuntel auf ein Siebtel. Während die entwickelte Welt bei der Gesamtbevölkerung
noch ein gutes Fünftel der Menschheit umfaßt, wird sie beim Nachwuchs
in wenigen Jahren auf ein Zehntel gefallen sein. Die weniger entwickelte Welt
hat einen weiteren Vorteil dadurch, daß fast jeder Junge in der Ersten Welt
der einzige Sohn oder zunehmend sogar das einzige Kind ist, so daß die Sorge
um sein Überleben jeden nichtzivilen Einsatz so gut wie unmöglich macht.
Hingegen können die Youth-Bulge-Familien ein oder gar zwei Söhne
verlieren und immer noch weiter funktionieren. (Ebd.).Wiederholt
sich ein Youth Bulge - statt ein einmaliger Babyboom zu bleiben - über
zwei oder mehrere Generationen, kumulieren sich seine Effekte. Das quantitativ
beeindruckendste Beispiel liefern die islamisch geprägten Länder, die
in nur fünf Generationen (1900-2000) von 150 auf 1200 Millionen Menschen
zugenommen haben und immer noch - neben einigen schwarzafrikanischen Nationen
- das Siegesbanner der Fortpflanzung vorantragen. Zum Vergleich: die gesamte Menschheit
hat sich in der doppelt so langen Zeit von 1800 bis 2000 »nur« versechsfacht
(von einer auf sechs Milliarden). .... Es spricht wenig dafür, daß
die nicht unterzubringenden Heißsporne von heute auf Großtaten verzichten
werden. (Ebd.).Schon archaische Stammesgesellschaften, die
alles in allem begrenzte Sohnespotentiale aufzogen und viel von Geburtenkontrolle
verstanden, hatten deren Außeneinsatz in einer Weise organisiert, bei der Krieg und Genozid noch kaum unterscheidbar waren. Ihre militärischen Operationen
zielten zwar auch auf Ernährungsgrundlagen, aber eher im Sinne einer Optimierung,
einer Gewinnung von ökologisch interessanterem Lebensraum. Da zogen also
keine Hungernden los, sondern Krieger, die sich noch besser stellen wollten. Ihre
Eroberung von Äckern, Gewässern und Wäldern führte »zur
Umverteilung des Landes von den Schwachen zu den Starken«. Dafür gab
es mit der »Vertreibung der Schwächeren« und »Ausrottungskriegen«
im wesentlichen nur zwei Mittel. Überlebende junge Frauen und auch Kinder
der Schwächeren konnten vom Siegerstamm adoptiert werden, da er Gefallene
zu ersetzen hatte und selbst ja keineswegs eine überbordende Populationsdynamik
aufwies. Jede »Kolonisation« erweist sich bei genauerem Zusehen als
Euphemismus für eine Mixtur aus Ansiedlung und Ausrottung. Das gilt selbstverständlich
auch für die Zeit, als Griechen, Phönizier und Römer ihre überzähligen
Söhne - die gesunden wurden meist aufgezogen, während bereits der Erhalt
eines einzigen Mädchens der Sitte Genüge tat - für die Auswanderung
ausrüsteten. Diese Siedler hatten - nach Raub der Töchter und Tötung
der Väter und Brüder - die Stämme um das Mittelmeer herum alsbald
eliminiert und stießen dann in großen Kriegen unter Ebenbürtigen
aufeinander. Die schon im Altertum verklärte Pax Romana setzte erst ein,
als 146 v.u.Z. mit der Zerstörung und Ausmordung von Korinth (50000 Tote
bei 120000 Einwohnern) und Karthago (150000 von 250000 Einwohnern) die Metropolen
der Griechen und der Phönizier ausgelöscht worden waren. Für die
Eroberung der Welt aus europäischen Youth Bulges in den 400 Jahren
zwischen 1493 und 1900 waren gerade mal 50 Millionen, allerdings zu allem entschlossene
Menschen erforderlich. 50 Millionen junge Leute könnte das heutige Indien
(345 Millionen Kinder unter 15) an einem einzigen Tag freigeben und wäre
immer noch mit einem heftigen Bevölkerungswachstum daheim beschäftigt.
Der neue Youth-Bulge-Weltfeind ist also ein ganz alter Bekannter und zieht
sehr lange schon seine Spur durch die Geschichte. .... Es spricht
wenig dafür, daß die nicht unterzubringenden Heißsporne von heute
auf Großtaten verzichten werden denn »der Krieg versorgt noch jedermann,
durch Sieg oder Tod« (Thomas Hobbes, 1651, Kap. XXX, § 17). Als durch
Francis Fukuyama (1989; 1992) das Ende der Geschichte verkündet wurde, hatte
er die zornigen Männer schlichtweg vergessen. Und das, obwohl der aktuelle
Youth Bulge größer ausfällt als alle seine Vorgänger.
Im Jahre 2002 hat der ehemalige Berater des US-Außenministeriums dann einen
möglichen Wiederbeginn historischer Dynamik eingeräumt .... Wegen des
höheren Mädcheninfantizids dürften in den kommenden 15 Jahren etwa
750 Millionen Jungen aus Children Bulges in das »Kampfalter«
der Youth Bulges überwechseln. Selbst im optimistischen Szenario,
daß für jeden ausscheidenden Vater sogar mehr als ein Sohn in der Heimat
eine Position findet, werden mindestens 300 Millionen junge Männer
zweite oder gar dritte Brüder - in die Territorien der entwickelten Welt
drängen. Dort werden im selben Zeitraum gerade 100 Millionen Jungen in das
Jugend- und Erwachsenenalter entlassen, von denen die große Mehrheit für
Frieden und Gewaltlosigkeit erzogen wird. (Ebd.).Von den
6,25 Milliarden Menschen des Jahres 2003 (genau: 6 240 739 158 am 31. Juli 2002)
wurden 4 Milliarden in den 35 Jahren nach 1968 geboren, als die weltweite Bewegung
der 68er begonnen und schon sich für ganz besonders zahlreich, jugendlich
und wirkungsmächtig gehalten hatte. ... Jedes Jahr hat in diesen 35 Jahren
die Weltbevölkerung zwischen 75 und 87 Millionen (jeweils Überschuß
der Geborenen über die Gestorbenen) zugenommen. 2004 sollen es nur noch 74
Millionen sein und am Ende von noch einmal 35 Jahren, im Jahre 2038, soll die
Zunahme lediglich 49 Millionen betragen. Obwohl die 750 Millionen Mangelernährten
unter den 6,25 Milliarden zutiefst beunruhigen müssen, dürfen die Schritte
nach vorn nicht übersehen werden. 1930 trug die Erde 2 Milliarden Menschen,
von denen ein erheblicher nicht genau bekannter Anteil gehungert
hat. Wer damals für den Beginn des 21. Jahrhunderts 5,5 Milliarden satte
Menschen vorausgesagt hätte, wäre in der Phantastenecke gelandet. Obwohl
die absolute Weltbevölkerung zwischen 1990 und 2000 noch einmal um eine Milliarde
zulegt, ist die Zahl der Menschen mit lediglich einem US-Dollar pro Tag von 1280
auf 1150 Millionen und der Prozentsatz der Hungerbedrohten von 20 Prozent auf
17 Prozent gefallen. Wichtiger noch, wo heute absolute Armut angetroffen wird,
kann sie nicht auf überschrittene natürliche Grenzen zurückgeführt
werden. Selbst in vielen Ländern mit Hungernden werden mehr Nahrungsmittel
produziert, als vor Ort konsumiert werden können. Je erfolgreicher nun der
Kampf gegen den Hunger verläuft, desto kampfeslustiger werden die nach Positionen
strebenden jungen Männer. Die ubiquitäre Hoffnung auf Weltfrieden durch
Sättigung auch noch der 750 Millionen absolut Armen gilt den Strategen als
liebenswerteste und zugleich naivste der Illusionen. Kaum zwei Tode stehen so
fern voneinander wie Hungertod und Heldentod. Ohne in Hunger zu versinken, haben
die islamischen Länder ihre Einwohnerschaft im 20. Jahrhundert von 150 auf
1200 Millionen verachtfacht. Europa, das sich 1900 mit 401 Millionen Menschen
auf ein Viertel der Weltbevölkerung vermehrt hatte, war bis 2000 »nur«
auf ca. 725 Millionen gestiegen und hatte sich so aus einer fast dreifachen »Übermacht«
gegenüber dem Islam in eine fast zweifache »Unterlegenheit« gedreht.
(**).
Die Kampfformel der verzweifelt um Positionen ringenden jungen Männer ist
uralt: »Gebt uns genügend ab oder ihr werdet auch nichts davon haben.
Überlaßt uns einen gerechten Anteil des vom Volke Geschaffenen,
sonst werden wir euch alles nehmen. Selbst wenn wir unterliegen, wird die Beute,
die wir nicht festhalten können, zerstört.« Eine solche Forderungskette
zieht sich in endlosen Variationen durch den Lauf der Zeiten. So primitiv dieser
Grundmechanismus auch arbeitet, so simpel kommt er gleichwohl nicht daher. Das
zwar übermächtig starke, aber dennoch niedrige Motiv will höhere
Weihe. Noch die Drahtzieher der Attentate vom 11. September 2001 wissen um diese
Notwendigkeit. Deshalb heißt es im Befehl: »Und wie Mustafa, einer
der Anhänger des Propheten, sagte, töte und denke nicht an den Besitz
derjenigen, die du töten wirst.« Die Bewegten brauchen eine gerechte
Sache. Fast immer gibt es die und führt nicht nur Reporter, sondern auch
spätere Revolutionsforscher leicht in die Irre. Denn eine Logik, die aus
der Gerechtigkeit einer Sache zwangsläufig zum Töten für sie führt,
gibt es nicht. (Ebd.).Samuel P. Huntington hat früh (1996)
darauf hingewiesen, daß auch in islamischen Ländern die Religion bestenfalls
eine nachgeordnete Rolle für die Ausübung des Terrors spielt: In
allen Gesellschaften sind junge Männer die entscheidenden Gewalttäter;
in muslimischen Gesellschaften finden sie sich in überreichlicher Zahl. In
den 2020er Jahren wird der muslimische Youth Bulge schrumpfen. Das Zeitalter
muslimischer Kriege könnte dann Vergangenheit sein (Huntington, 2001/2002,
12/13; Hervorhebung G.H.). Als gäbe es einen untergründigen Dialog zwischen
der demographischen Analyse und dem Führer der islamistischen Bewegung, hat
Osama Bin Laden in einer am 7. Oktober 2002 ausgestrahlten Ankündigung
nicht etwa mit seinen Frommen, Wahren und Gerechten gedroht, sondern gleich umfassend
mit der »Jugend des Islam« oder gar der »Jugend Gottes«.
Sind Youth Bulges einmal in Bewegung geraten, schneidern sie sich Rechtfertigungen
für ihr furchtbares Tun selbstverständlich auch aus der Religion und
Moral ihrer Herkunftsgebiete. Dabei gibt es dann auch Spezialitäten: Wenn
ein Selbstmordattentäter schon vor Vollzug der Tat die Paradieseinweisung
von einem besonders ehrwürdigen Mullah mit Brief und Siegel verbürgt
bekommt, hat man ihm den Rückzug verstellt. Denn ohne Tat verliert er das
Heil für immer, während seine Brüder, die sich nicht zum Töten
gemeldet haben, auf den traditionellen Wegen in eine gute Ewigkeit streben können.
So gewiefte Mittel haben andere nicht, aber 2000 japanische Kamikazes vor 1945
und 200 tamilische Selbstsprenger bis 2002 zeigen, daß derselbe Effekt auch
anders erreicht werden kann. Gleichwohl liefert die bald siebzigjährige Glorifizierung
des Judenmordes durch Selbstauslöschung in der palästinensischen Öffentlichkeit
einen Faktor eigenen Gewichts. Wenn bei einem Gebäralter von 17 Jahren
bereits vier Generationen die Gleichsetzung von Ruhm und Ehre mit solchem
Töten verinnerlicht haben, braucht es für den Schritt zur Tat nicht
mehr viel. .... Es stimmt schon, daß der islamische Religionsstifter als
erfolgreicher Heerführer und Machtpolitiker vor die Welt tritt, während
der christliche als Wanderprediger hingerichtet wird. Der eine tötet, der
andere vergibt seinen Henkern. Religion und Staatsgewalt liegen im Islam von Beginn
an in einer Hand, während die christliche Kirche gegen die römische
Herrschaft heranwachsen muß und auch danach nur in Ausnahmefällen direkt
die Regierungen stellt.
Zwei - nicht mehr und nicht weniger (in: Die Welt; 20.05.2005) **
Die
deutsche Familienpolitik prämiert hohe Geburtenraten in der Unterschicht
und die Ein-Kind-Familie bei Gebildeten. Das ist ihr entscheidender Fehler.
(Ebd.).Zwei Kinder pro Frauenleben wachsen nur dann zu den dringend
benötigten Bürgern heran, wenn sie sich jene Innovationen ausdenken
können, die für das Verbleiben ihres Landes in der Weltkonkurrenz unverzichtbar
sind. Die Kinder müssen also gescheiter werden als ihre Eltern und die Einwanderer
qualifizierter sein als der Durchschnitt des Aufnahmelandes. Da nun die Leistungsfähigkeit
eines Kindes vorrangig von seinen Eltern bestimmt wird und mit drei Jahren weitgehend
geformt ist, entscheidet der Nachwuchs der gebildeten Frauen über das Los
ihres Landes. Kann man sie zu zwei Kindern bewegen und diese bis zum dritten Lebensjahr
vor staatlicher Massenkindhaltung schützen, ist das Wichtigste geschafft.
Die Bildungsfrauen aber streben in die anspruchvollsten Berufe und müssen
dafür in eine lebenslange Konkurrenz, die jeden benachteiligt, der Zeit nicht
für eigenes Lernen und Streßabbau einsetzt. Die emotionale Sehnsucht
nach Mutterschaft muß sich dann viel zu oft mit nur einem Kind begnügen.
Die Bevölkerungspolitik konzentriere sich deshalb auf das zweite Kind der
Karrierefrauen, die längst die Mehrheit des weiblichen Geschlechts stellen.
Von den 12 Millionen Zuwanderern, die seit 1990 nach Deutschland kamen, waren
nur 10 Prozent hinreichend qualifiziert (gegenüber immerhin 75 Prozent in
England für den gleichen Zeitraum). Infolgedessen stieg in Deutschland die
Sockelarbeitslosigkeit von 500000 auf über drei Millionen Menschen an. ....
Unter 83 Millionen Einwohnern gibt es jetzt 14 Millionen mit Migrationshintergrund.
7,3 Millionen davon mit deutschen Pässen. Da die meisten Neubürger in
Deutschland um Spitzenpositionen gar nicht konkurrieren können, werden für
sie jene Vermehrungsbeihilfen vom Sozialhilfesatz bis zum Erziehungs- oder Elterngeld
attraktiv, mit denen man aber eine Hochqualifizierte von ihrer hart erarbeiteten
Position nicht weglocken kann. Weil also für ein viertes Kind mehr bezahlt
wird als für das zweite und weil selbst dritte Töchter und vierte Söhne
versorgt werden, verhindert die Migrationsbevölkerung rein mengenmäßig
zwar einen noch tieferen demographischen Absturz, doch werden ihre Kinder die
Sockelarbeitslosigkeit noch höher treiben. Über 60 Prozent von ihnen
gelangen bestenfalls mit einem Hauptschulabschluß auf die Arbeitsmärkte.
Eine deutsche Aufholjagd im internationalen tertiären Sektor (Software-Services,
Bioindustrie, Pharmazie etc.) gelingt damit nicht. Deutschland hat mithin nicht
nur zuwenig Nachwuchs, sondern selektiert die hier Geborenen und die von draußen
Zuwandernden immer stärker in Richtung Bildungsferne. Das Pionierland Bremen
weist den Weg. Nach einem gerade erschienenen Bericht der Arbeitnehmerkammer Bremen
gewinnt die Hansestadt aus ihrer Migrationsbevölkerung von 22 Prozent stattliche
41 Prozent ihres Nachwuchses und unübertroffene 80 Prozent ihrer harten Gewaltkriminellen
unter 21 Jahren. 32 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren dümpeln auf Sozialhilfeniveau
dahin - gegenüber knapp 15 Prozent in der gesamten Republik. Entsprechend
fällt der niedrigste Pisa-Rang immer wieder an die Hanseaten. In Bremens
Richtung geht aber auch der Rest der Republik. (Ebd.).Im
noch bescheidenen Westdeutschland von 1965, als Abtreibung strafbar war und die
Fruchtbarkeitsrate bei 2,3 lag, erhielten gerade einmal 160000 Kinder unter 18
Jahren Sozialhilfe. Bis Ende 2005 wird - jetzt freilich für Gesamtdeutschland
gerechnet und wuchtig gesteigert durch Hartz IV - bereits für zwei Millionen
Kinder bezahlt. Ob Deutschland - oder gar Bremen - noch zu retten ist, wenn es
umgehend die Richtung wechselt, kann niemand versprechen. In jedem Fall jedoch
muß die jetzt eingebrockte Suppe über Jahrzehnte hinweg ausgelöffelt
werden.Woher weiß man das? Die USA erreichten die heutige deutsche Sozialhilfequote
von 15 Prozent aller Kinder im Jahre 1990. Weil die Söhne der »Welfare-Mütter«
drei- bis viermal so viele Gewaltverbrechen verüben wie die anderen Jungen,
verkündete Bill Clinton im Wahlkampf von 1992 das Ende einer Familienpolitik,
die dazu führte, daß Frauen ab dem 13. Lebensjahr immer wieder Kinder
bekamen, um ihr Recht auf Sozialhilfe zu verlängern - auch weil er dies zu
ändern versuchte, wurde Clinton, der Linke aus Arkansas, zum 42. Präsidenten
der Vereinigten Staaten. Seit dem 1. Januar 1997 erhält eine us-amerikanische
Mutter nur noch maximal fünf Jahre lang staatliche Versorgung. Damit will
man auf höchstens zwei Kinder pro Gettomädchen herunter. Wegen dieser
Regelungen traten Sozialpolitiker in Washington empört zurück. Sie wollten
die »hilflosesten« Mitglieder der Gesellschaft nicht so unmenschlich
behandelt sehen - und erwiesen sich als Rassisten. Denn die schwarzen Mädchen
sind keineswegs begriffsstutzig: Mittlerweile verhüten sie und suchen sich
Arbeit. Heute liegt die Kinderzahl pro Afroamerikanerin nach aktuellsten Zahlen
aus Kalifornien bei nur noch 1,66 Kindern. Auch US-Amerika sucht deshalb nun nach
Wege zu einer zweifachen Mutterschaft auf hohem Bildungsniveau. Jener Lebensweg,
den Clinton damals verstellte, ist für eine Nation deshalb so destruktiv,
weil er nur die Töchter der Unterschicht versorgt, ihre Brüder aber
nicht durch viele Vaterschaften an Unterhalt gelangen können. Sie verdienen
nicht einmal die Steuern für ihre kinderreichen Schwestern. Und doch wollen
auch sie alles haben. Frankreich, das jeder Mutter für das dritte Kind mehr
zahlt als für das zweite und für das fünfte noch einmal mehr als
für das dritte, steht bereits in regelmäßigen Scharmützeln
mit seinen unverwendbaren Söhnen. Warum sollte es Deutschland anders ergehen?
Attraktive Offerten für ein zweites Kind auch im höheren Bildungsmilieu
sind nur finanzierbar, wenn Leistungen für alle weiteren Kinder entfallen.
Heute zur Sozialhilfe verführte Frauen werden dann so gut verhüten wie
nach 1997 die Mädchen in den Gettos von Los Angeles. Das Grundgesetz garantiert
auch weiterhin allen Bürgern das Recht auf Vermehrung. Die Politik aber fördere
nur noch zwei Kinder pro Frau und darf dafür den Steuerzahler auch belasten.
Alles darüber hinaus bleibt - wie früher auch - Teil der selbst zu bezahlenden
Glückssuche. (Ebd.).Neben einer Gesetzgebung für
nur noch zwei staatlich geförderte Kinder gehört ein Kassensturz in
die Familienpolitik. 40 verschiedene Behörden verwalten in Deutschland etwa
hundert verschiedene Maßnahmen für Familien. Sie verfügen jährlich
über 160 Milliarden (so das Rechenergebnis der Deutsche Bundesbank) bis 240
Milliarden Euro (so das Institut für Weltwirtschaft in Kiel). Mitgerechnet
sind dabei die beklagenswerten staatlichen Kindergarten-, Schul- und Hochschulsysteme.
Das ist sehr viel sinnvoll einsetzbares Geld. Die über drei Jahre zu zahlenden
Beträge für zwei Kinder müssen unabhängig vom Einkommen gezahlt
werden. Denn welches Argument könnte dafür sprechen, einer ohnehin schlechter
Gestellten - ob sie nun aus Palästina oder Vorpommern stammt - weniger gute
Voraussetzungen für ihr von der Gesellschaft doch ausdrücklich gewolltes
Kind zu ermöglichen? Das Stammtischgerede von der »Schlampe«,
die auf Staatskosten ihre Kinder verkommen läßt, lebt ja vom jetzigen
System, das sich erst durch eine Reihe von Geburten rechnet und daher zu immer
weiteren Kindern animiert, um auf deren Rücken durchs Leben zu kommen. Dem
Betrag für das zweite Kind muß der Löwenanteil der Mittel vorbehalten
bleiben. Die Sehnsucht nach dem ersten sorgt ja bisher schon für Resultate
und wird sich auch noch über 20 Prozent dessen freuen, was es für das
zweite geben sollte. Und beim Gedanken an dieses zweite Kind muß die Vorstellung,
bei seinem Ausbleiben auch noch einen üppigen Vermögensverlust von -
sagen wir - 90000 Euro zu erleiden, richtig wehtun. Das aktuelle Angebot von 22000
Euro Elterngeld für 14 Monate reicht dafür nicht. Doch die Dreijahresperspektive
könnte die Konkurrenz aushebeln. Es hieße nicht mehr so leichthin:
Du kriegst das Kind, und ich ergattere deinen Posten. Wer verzichtet schon vorschnell
auf 90000 Euro und die selbstbestimmte Zeit mit dem Kind? (Ebd.).
Gespräch im Philospohischen Quartett(TV-Sendung; 13.11.2005):
Die Diktatur des Kapitals
**
Wir haben seit 1990 elf Millionen Menschen
ins Land gelassen, davon zehn Millionen ohne Qualifikation. (Ebd.).Dieses
Problem lösen wir nicht durch Erhöhung des Rentenalters, und wir lösen
es nicht durch unqualifizierte Einwanderer, wir lösen es wahrscheinlich auch
nicht durch qualifizierte Einwanderer, weil die knapp sind. Und wenn es welche
gibt, dann gehen die in die angloamerikanische Welt von Alaska bis Neusseeland.
Die suchen jedes Jahr 1,5 Millionen; aber die suchen natürlich nicht Unqualifizierte,
sondern ... »foreign talent« oder »skilled immigration«
(also: Qualifizierte! HB). Das heißt,
man sagt: Sie müssen was können, und sie kriegen keine Sozialhilfe!
Das ist eine ganz andere Zugangslösung für das Problem; denn dasselbe
Problem haben die auch; die haben auch fallende Geburtenraten und können
sich aus dem Bestand nicht ersetzen. (Ebd.).(Verwandeln von)
Besitz in Eigentum. Dadurch können die Leute zu einer Bank gehen und einen
Kredit aufnehmen. Dafür muß man nämlich Eigentum verpfänden.
Sonst kriegt man den Kredit nicht. Dafür müssen sie aber, wenn sie den
Kredit jetzt haben, Zinsen bezahlen können. Und um diese Zinsen zu verdienen,
müssen sie Erfindungen machen. Weil sie aus derselben kurzen Zeit von 365
Tagen immer zusätzlich den Zins 'rausholen müssen. (Ebd.).Die
Koreaner und Chinesen ... machen Preußen nach - das von 1810 - und nichts
anderes. (Ebd.).Kapital
ist eine geschuldete Geldsumme. Die muß ich tilgen. Die muß ich verzinsen.
Wenn ich das nicht schaffe, kommt die Bank und vollstreckt mir mein Eigentum,
verliere ich mein Eigentum, bin ich meine Existenz los. Das ist die Peitsche.
Daß ich Angst habe, mein Eigentum zu verlieren. Deshalb strenge ich mich
an, daß ich den Zins verdiene durch Erfindungen die die Leute brauchen,
da sie mein Waren kaufen. Wenn ich dabei scheitere, gehe ich unter. Und je mehr
Nationen und je mehr Einzelmenschen auf der Erde in diesem System 'reingehen ...,
desto mehr Konkurrenz haben wir. Wir haben ... eine Verfünffachung oder Versechsfachung
derer, die miteinander konkurrieren und deshalb miteinander konkurrieren müssen,
um die Vollstreckung abzuwehren. Also: In der Eigentumsgesellschaft gibt es einen
Diktator - das ist der Gerichtsvollzieher. (Ebd.).Wenn Sie
ein »Lamm« und betrachten die Begegnung zwischen »Tiger«
und »Lamm«, dann denken Sie da ganz anders drüber als in der
Zeit. als Sie der »Tiger« waren. Der »Tiger« war beispielsweise
Deutschland zwischen 1820 und 1970 - sage ich mal rund -, die 150 Jahre hat Deutschland
globalisiert, hatte Deutschland die besten Produkte, fegte Deutschland andere
von den Märkten. .... Der »Tiger« war Deutschland. Und diese
Globalisierungsmotorik hat Deutschland verloren. .... Die hat China heute. China
hat die optimistischste Bevölkerung der Menschheit. (Ebd.).Ich
glaube nicht, daß die Deutschen ihre Innovationskraft zurückgewinnen,
die sie dazu geführt hat, die anderen Länder zu globalisieren.
(Ebd.).Wir drehen es nicht mehr 'rum. Also gehen wir mit weiteren
Schulden zugrunde. (Ebd.).Wir haben 65 Nationen auf der Erde,
die schrumpfende Bevölkerungen haben. Deutschland ist ein davon und ist nicht
in der allerschwersten Lage. Das ist ein gemeinsames Problem von all diesen
Ländern, das Deutschland auch hat, und weil die das alle haben, jagt
einer dem anderen die Arbeitskräfte ab. (Ebd.).Das
Problem ist ..., daß eien Nation um so erfindungsreicher ist, je mehr Söhne
um die Liebe der Mutter in den Familien konkurrieren. Bei uns konkurrieren keine
Söhne mehr um die Liebe der Mutter, denn sie hat nur 0,6 Söhne. ....
Und mit einer schrumpfenden und zugleich vergreisenden Gesellschaft verlieren
sie diesen Faktor. Nicht nur Deutschland verleirt diesen Faktor. Viele Nationen
verlieren diesen Faktor. Und jetzt können wir sehen, wer bei diesem Untergehen,
bei diesem Heruntergehen bleibt. Es ist ein »Rückbau«.
(Ebd.).Hier sehe ich noch eine Chance, daß man sagt: 2, 3,
4 Millionen (Qualifizierte sind gemeint! HB)
zu uns und nicht nach Australein, nicht nach Kanada, nicht nach USA. Da sehe ich
keinerlei Bemühung. (Ebd.).
Finis Germaniae? (in: Kursbuch [162]; November 2005) **
Naturwissenschaftliche
Pionierleistungen und technische Großleistungen erwartet die Welt ... aus
Mitteleuropa. 1914 verfügen die beiden Kaiserreiche von Berlin und Wien über
100 von 1000 kampffähigen Männern (15 bis 29 Jahren) weltweit. Bei der
heutigen Supermacht USA sind es mit 30 nicht einmal ein Drittel davon. Großbritanniens
Landstreitkräfte haben einen Umfang, der so spottet Bismarck
ihre Festnahme durch die preußische Polizei erlaubt. (Ebd.).Die
Niederlage von 1918 erklärt sich später einer der Geschlagenen aus mangelnder
Rücksichtslosigkeit. Gewissensbisse, die er für eine jüdische Erfindung
hält, sollen von nun an keinen deutschen Triumph mehr verhindern. »Wenn
ich Krieg zu führen habe
würde (ich) ihn nicht wie das Deutschland
Wilhelms II. führen, das ständig Gewissensqualen wegen der vollständigen
Anwendung seiner Waffengewalt hatte. Ich werde bis zum letzten rücksichtslos
kämpfen.« (Ernst G. Deuerlein, Hitler - Eine politische Biographie,
1969, S. 144), (Ebd.).70 Prozent aller Europäer wollen
die EU als Supermacht im Rang der USA sehen, und 59 Prozent lehnen deren globale
Führungsrolle rundweg ab. Aktiv betreiben eine solche Politik bisher jedoch
nur die Führungen Deutschlands und Frankreichs. (Ebd.).Heute
schrumpft Berlin von allen Megastädten der Erde am schnellsten. .... In Frankreich
sorgen vor allem Araber und Schwarzafrikaner mit höheren Kinderzahlen dafür,
daß man nicht noch schneller zurückfällt. Da sie sich auf eine
konkurrenzferne Existenz am unteren sozialen Rand einstellen, greifen sie die
großzügigen Prämien für Gebären und Erziehung bereitwillig
ab. Mit ihrem Kindersegen schaffen sie eine neue Dienstbotengesellschaft. Kindermädchen
und Köchinnen sind wieder bezahlbar. In den USA sorgen die katholischen Hispanier
für einen ähnlichen Effekt. Die weiße us-amerikanische Akademikerin
aber hat nicht mehr Kinder als eine deutsche (ca. 1,0). (Ebd.).In
Deutschland ... scheint man sich von Sozialhilfehaushalten viel zu erhoffen. Sie
bilden nämlich den einzigen nicht schrumpfenden, sondern sogar kräftig
wachsenden Familientypus. Im noch bescheidenen Westdeutschland von 1965 (2,3 Kinder
pro Frau) lebten 160000 Kinder unter 18 Jahren von Sozialhilfe. Bis 2002 (nur
noch 1,3 Kinder pro Frau) wird jetzt für Gesamtdeutschland
bereits für 1,02 Millionen Kinder bezahlt. In »demokratischen«
Ländern gewinnen auch Minderheiten politischen Einfluß, wo Vorsprünge
von zwei oder drei Prozent nationale Wahlen entscheiden. Muslime können bisher
nur in Frankreich (10 Prozent) innenpolitische Anliegen und außenpolitische
Vorlieben durchsetzen. Es wird zwar nicht ermittelt, wie hoch der Islamanteil
am französischen Nachwuchs liegt. Treffen die 20 bis 30 Prozent aber zu,
von denen geredet wird, dann werden im Jahr 2050 über 50 Prozent der produktiven
Bevölkerung Muslime sein. (Ebd.).Wachsende Minderheiten
können demographische Verluste ausgleichen, bei den Einheimischen aber eine
gegenläufige Bewegung provozieren. Überall in der entwickelten Welt
gilt nämlich, daß die Tüchtigen sich nicht nur ihre Firma, sondern
auch den für sie zuständigen Nationalstaat auswählen können.
Denn alle OECD-Nationen liegen bei den Geburten unterhalb der Nettoreproduktion,
die USA erreichen sie so gerade. Alle reichen Länder kämpfen also längst
um die Talente der Nachbarn. Beim Betreten der kanadischen Botschaft für
die Auswanderungspapiere nach Vancouver mag man aus australischem Munde die Vorzüge
Sidneys zugeraunt bekommen, nachdem man dem Kiwi und seinen Anpreisungen der Naturbelassenheit
Neuseelands gerade entkommen ist. (Ebd.).Aus Angst vor Muslime
in Frankreich bringen sich heute schon manche Mitglieder der jüdischen Minderheit
in Sicherheit. Fast alle politischen Gewalttaten der hinzu gewonnenen treffen
sie und oft genug gibt es bei den Schaulustigen keine Hilfe für die Bedrängten.
Nach einem Ha«aretz-Bericht vom 3. März 2005 denken von den 520000
Juden Frankreichs über 50 Prozent an Auswanderung. (Ebd.).In
krassem Gegensatz zur Anglo-Welt wird den deutschen Empfängern von Sozialleistungen
immer noch versichert, daß man den Hochqualifizierten die Gehälter
kappen und die erlangten Beträge nach einem Schwundgang durch die Taschen
der Staatskasse an sie weiterleiten werde. Mit solchen Zusagen lassen sich Wahlen
umso leichter gewinnen, je mehr Bürger über Transfers bereits teil-
oder ganz versorgt werden. In Frankreich und Deutschland ist das gegenüber
den USA ein Mehrfaches. Und obwohl gerade in Deutschland die Wohlstandsdifferenz
zwischen unten und oben im inter- nationalen Vergleich gering ausgeprägt
ist, befürworten 71 Prozent der politisch Interessierten eine noch stärkere
Umverteilung »von den Reichen zu den Armen« (INFRATEST DIMAP, für:
Die Welt, 16. September 2005). 56 Prozent der Westdeutschen und 66 Prozent der
Ostdeutschen halten im August 2005 den »Sozialismus für eine gute Idee,
die bislang nur schlecht ausgeführt worden ist« (INFRATEST DIMAP, für:
Die Welt, 16. September 2005). (Ebd.).Die USA (lediglich
1 Prozent Muslime im Jahr 2005) werden islamischem Druck am längsten widerstehen
können. (Ebd.).Der ... slawische Raum hat viele seiner
Mobilsten in den letzten 15 Jahren bereits abgegeben. 15-20 Millionen sind nach
Westen gegangen und haben dafür gesorgt, daß´die osteuropäischen
Bevölkerungen nicht nur stagnieren, sondern längst schrumpfen. Die Bundesrepublik
hat nicht einmal 750000 dieser Besten an sich ziehen können. Wie man schon
1997 bei den Hongkong-Chinesen geschlafen hat Kanada holt sich eine Million
, behält man aus Osteuropa oft gerade diejenigen, die ohnehin lieber
in der Illegalität verbleiben. Die slawischen Territorien außerhalb
der EU leiden längst unter Implosionssymptomen. Energieversorgungen und Transportsysteme
brechen zusammen, Unterhaltungsleistungen sinken oder kommen gar nicht erst zur
Auszahlung. Schon im Jahre 2000 warnte die CIA davor, hier gar Bündnispartner
zu suchen, weil einem alsbald nur noch Schützlinge auf der Tasche liegen
werden. (Vgl. CIA, Global Trends 2015 - A Dialogue About the Future With Nongeovernment
Experts, 2000, S. 43). (Ebd.).Ethnische Russen rücken
stetig aus Sibirien ab und überlassen es den Ureinwohnern, die in Nordamerika
Eskimos oder Indianer heißen würden. Sie entscheiden sich immer weniger
für Moskau oder Petersburg, sondern fliegen gleich nach Toronto oder Seattle.
Weit reisen müssen sie allemal, und die Heimat zeigt keinerlei Anzeichen
für zukunftsträchtige Leistungen in auch nur einem einzigen High-Tech-Segment.
Siedler für diese ungeheuren Territorien gibt es nicht einmal vom südlichen
Nachbarn China, wo die Geburtenrate pro Frau mit 1,7 hinter die USA ... zurückgefallen
ist. Die Rohstoffe des Riesenraumes aber braucht der ab 2010 größte
Exporteur der Erde so dringend wie der Verdurstende das Wasser. Man wird die Mineralien
oder gar die dazugehörigen Territorien allerdings eher kaufen als erobern.
Gleichwohl könnte einem Handstreich chinesischer Armeen vom vergreisten Rußland
(11 Millionen Söhne unter 15) nichts außer Atomwaffen entgegengesetzt
werden. Die aber hat Peking auch und überdies Zugriff auf 148 Millionen Söhne
unter 15, von denen wegen höherer Tötung weiblicher Föten
und Neugeborener 15 Millionen zu Hause keine Ehepartner finden werden.
Würde eine Moskauer Nomenklatura die eigene Auslöschung für »lediglich«
schwere Verluste beim Gegner riskieren? Putin legt im Mai 2000 die 89 Regionen
Rußlands zu sieben Föderationsbezirken zusammen, deren Grenzen den
sieben alten Militärbezirken entsprechen. Sechs läßt er von Militärs
und Geheimdienstoffizieren kommandieren. Er bereitet sich also vor. (Ebd.).Was
nach Implosionen als zurückgelassener Rest aus den slawischen Nationen noch
in den Westen strebt, würde hier weder produktiv werden noch Versorgung finden
können. Was in einer solchen Völkerwanderung wiederum als jüngere
Elite mit heraustreibt, wird überall im OECD-Raum nachgefragt. Warum sollte
sie in ein bereits islamisch absinkendes Westeuropa streben? Die Festungen heißen
dann einmal mehr USA und Kanada. Und auch dort kann man doch auf keinen Tüchtigen
verzichten. (Ebd.).Einwanderer ohne Hochschulabschlusß
und selbst länger arbeitende einheimische Akademiker können nämlich
eines nicht die kritische Masse begabter junger Leute bereitstellen, die
von klein auf mit High-Tech heranwachsen, souverän mit ihr umgehen und sie
dann ehrgeizig und voller Ungeduld auf neue Höhen führen wollen. Diese
Essentials für ein Verbleiben Deutschlands in der ersten ökonomischen
Liga wird man nicht einfach Schwarzafrikanern oder Muslimen aufbürden können.
Da aber gerade sie am ehesten hereindrängen, gibt es für die demographischen
Probleme Deutschlands und auch der übrigen Länder Kontinentaleuropas
keine elegante Lösung. (Ebd.).Finis-Germaniae-Seufzer
haben sich schon öfter als voreilig erwiesen. Dennoch sieht die Lage nicht
gut aus. Nichtgeborene vollwertig zu ersetzen, ist kaum einfacher als Tote aufzuwecken.
(Ebd.).Die Hexen-Bulle von 1484 entfaltete auf
dem Alten Kontinent ... umgehend Wirkung für die »Repöplierung«
nach dem Bevölkerungsabsturz von 80 auf 50 Millionen seit der Großen
Pest von 1348-1352. Europaweit verhängt Papst Innozenz VIII. die Todesstrafe
für »Personen beiderlei Geschlechts
welche die Geburten der
Weiber umkommen machen und verursachen
daß die
Frauen
nicht empfangen«. (Jakob Sprenger / Heinrich Institoris [Krämer], Malleus
maleficarum: Der Hexenhammer, 1486). »Abgesehen« vom immer schon
bestraften Schadenszauber, so präzisiert der 1486er Hexen-Hammer als Rechtskommentar
zur Bulle, ist nunmehr eine »siebenfache Hexerei« auszurotten, deren
Delikte durchweg den »Liebesakt und die Empfängnis im Mutterleibe mit
verschiedenen Behexungen infizieren«. (ebd., a.a.O., S. 107). (Ebd.).Secundones,
also Zweit- und Nachgebore, nennen die Spanier ihre jugendlichen Konquistadoren.
Auch sie werfen sich nieder und schreien zum Herrn, bevor sie zum Töten schreiten,
aber ihr »Gold, Ruhm und Evangelium« gewährt der Religion doch
nur den letzten Platz. Bis zum Ersten Weltkrieg erzeugt Europa ununterbrochen
Youth Bulges, also eine übermäßige Ausstülpung der
Bevölkerungspyramide bei den 15- bis 29-Jährigen. 30 bis 45 von 100
männlichen Einwohnern unterstehen dann den Rekrutierungsbehörden. Vier
Jahrhunderte lang werden Geburtenraten wie heute im Gaza-Streifen oder in Uganda
erzwungen. Wie ein nicht endender Mongolensturm holt sich die Alte Welt mit diesem
Überschusspotential bis 1918 neun Zehntel der Erde. Dabei werden für
das direkte Unterwerfen und Töten weniger als 500000 Mann eingesetzt, und
auch die gesamte Siedlerzahl erreicht zwischen 1500 und 1900 gerade einmal vierzig
Millionen. (Ebd.).Im Jahr 1492 kommen im weltweiten Vergleich
von 1000 Männern im besten Kampfalter (15- bis-29-Jährigen) gut 100
aus Europa. 1914 sind unter Einschluß von Nordamerika, Australien
und Neuseeland von 1000 Wehrfähigen weltweit 350 Weiße. In Kombination
mit ihrer eigentumsbasierten Ökonomie wird ihnen die Beherrschung des Globus
zum Spaziergang. Europas Lehrer und Pfarrer predigen Imperialismus und soldatischen
Geist wie biologische Wahrheiten. Bald kann man sich nur noch untereinander die
Kolonien abjagen. Nach den 10 Millionen Gefallenen von 1914 bis 1918 aber geht
es rasant abwärts. In fast allen westlichen Nationen werden Lohnabhängige
zur Bevölkerungsmehrheit. Eigentumsökonomien, in denen am Ende über
90 Prozent abhängig erwerbstätig sind, scheitern fast überall an
der Nettoreproduktion von 2,1 Kindern pro Frauenleben. Die Menschen stehen in
keinem ökonomisch motivierten Generationenvertrag mehr. Ihre Absicherung
bei Notfällen erfolgt nicht durch Übergabe eines Eigentums (Hof, Handwerk,
Fabrik, Laden u.s.w.) an den Nachwuchs, der als Gegenleistung die Eltern bei Alter
und Krankheit versorgt. Fortpflanzung gibt es bei Straffreiheit von Geburtenkontrolle
also nur noch aus emotionalen Gründen. Da bereits ein Kind dieses Sehnen
erfüllen kann, tendieren die Geburtenraten deutlich unter zwei und fallen
bei ausbleibenden Gegenmaßnahmen sogar unter eins. Im Jahre 2005 schaffen
nicht einmal die reichsten Länder der Erde die Nettoreproduktion von 2,1
Kindern pro Frauenleben: Luxemburg mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen
von 59000 Kaufkraft-Dollar bringt 1,79 Kinder, in Norwegen mit 41000 Kaufkraft-Dollar
sind es 1,78. (Ebd.).Im selben Maße, wie die hoch qualifizierte
Männergruppe wächst, nimmt die Zahl von Versorgungsangeboten an potentielle
Mütter ab. Wollen die Frauen gleichwohl überleben, müssen auch
sie in den Wettstreit um Geldlöhne eintreten dürfen. Dafür erkämpfen
sie noch im 20. Jahrhundert ihre Emanzipation, also Gleichberechtigung beim Schließen
von Arbeits-, Miet- und Kaufverträgen sowie im Wahlrecht und beim Ämterzugang.
Im Jahre 2005 rivalisieren über 90 Prozent aller Männer und Frauen auf
den Arbeitsmärkten so hart wie 1925 die Minderheit der Spitzenmanager. Um
Männer und Frauen auszustechen, setzen auch Frauen ihre stärksten und
zugleich gebäroptimalen Jahre (15 - 35) für den Weg nach oben ein. Monetäre
Gebäranreize, die diesen Aufstiegszwang brechen könnten, sind in der
Weltkonkurrenz nicht bezahlbar. (Ebd.).In diesen Mechanismus
des Geburtenrückgangs läßt sich jede beliebige Religion einfüllen,
ohne daß er sich ändert. Im Jahre 2005 etwa liegen die islamische Türkei
und der multireligiöse Libanon bei 1,95 Kindern pro Frau, also hinter den
USA. Das erklärt, warum der allenthalben erwartete Bürgerkrieg im Libanon
nicht ausbricht, als die Syrer im Frühjahr 2005 abziehen müssen. Zwischen
1975 und 1990 hingegen, als sich 150000 Libanesen gegenseitig umbringen, agieren
die 1950-bis-1965-Geborenen, und in der Periode haben Libanons Frauen über
sechs Kinder. Die großen Tötungen in der Türkei zwischen 1980
und 2000 (40000 Linke, Kurden, Soldaten etc.) besorgen die Jahrgänge 1950
- 1970, als 5 bis 7 Kinder pro Mutter geboren werden. Politiker, die den Eintritt
der Türkei in die EU irgendwann nach 2015 verhindern wollen, um Deutschlands
Überschwemmung mit Anatoliern zu verhindern, werden das Land zu diesem Zeitpunkt
ablehnen müssen, weil man nicht auch noch seine Rentenprobleme lösen
könne. (Ebd.).Von den alten Mächten versuchen in
den 1930er Jahren noch einmal Italien und Deutschland, Siedlungsräume an
sich zu reißen. Dazu schlägt sich Japan, das im Ersten Weltkrieg nicht
einen Mann verliert. Zwischen der Vernichtung der russischen Flotte in der Straße
von Tshushima im Jahre 1905 und dem 1941er Angriff auf die us-amerikanische Flotte
in Pearl Harbor legen die Ostasiaten von 45 auf 75 Millionen Menschen zu. ....
Im Jahre 2005 ist der Weltanteil der »Weißen« auf das Niveau
von 1500 zurückgefallen. Japan fällt mit. Wenn die besten Forscher der
1980er und 1990er Jahre das 21. Jahrhundert zum »japanischen« erklären,
dann ist diese groteske Fehleinschätzung ihrer Überzeugung von der Irrelevanz
demographischer Faktoren geschuldet. Nach Monaco (Durchschnittsalter: 45) ergraut
kein Land so schnell wie Japan (43), das überdies schlechter als jedes andere
OECD-Land auf die Integration von Fremden eingestellt ist. Die »Weißen«
stellen 2005 nur noch 120 von 1000 jungen Männern weltweit. Die wachsen als
einzige Söhne oder gar Einzelkinder auf, die mit ständig wachsendem
Erfolg zur Gewaltlosigkeit erzogen werden. (Ebd.).Die gewaltige
Wucht der in Europas kolonialem Herrschaftsraum triumphierenden jungen Männer
wird erst nach den »Befreiungs«-Kriegen voll ausgespielt. Während
für die Vertreibung der Weißen deutlich unter einer Million Toten auf
beiden Seiten zu Buche stehen, geht es nun in eine ganz andere Dimension. Die
Revolutionen fressen dabei aber nicht ihre Kinder, sondern die Brüder aus
den siegreichen Youth Bulges. Wo man einen Weißen von seinem Posten
gejagt hat, wollen von dort nun zwei oder drei Aufständische dem Volke dienen.
... Und doch werden bis 2020 in anderen Weltregionen etliche hundert Millionen
zweite bis vierte Brüder für neue Kämpfe bereitstehen. Zu jedem
beliebigen Zeitpunkt sind das mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.
Werden auch die wieder mit Thomas Hobbes beweisen wollen, wie gut der Krieg noch
jeden Mann durch Sieg oder Heldentod versorgen kann? (Ebd.).Der
seit Oswald Spenglers Buch von 1917 immer wieder prophezeite Untergang des Abendlandes
rückt näher .... (Ebd.).Im September 2002 hält
Präsident Bush die militärische Kraft seines Landes für »unprecedented«
(historisch noch nie da gewesen). Davon kann keine Rede sein. »Unprecedented«
steht US-Amerika lediglich zwischen 1941 und 1949 da, als man die beiden Großreiche
Deutschland und Japan zerschlägt, gleichzeitig das Britische Imperium und
die Sowjetunion über Wasser hält .... (Ebd.).Die
North American Free Trade Association (NAFTA) dürfte 2050 mit 610
Millionen Einwohnern auf knapp 22 Millionen Quadratkilometern immer noch ganz
weit vorne stehen. Dabei sind die Implosionsflüchtlinge aus Europa und womöglich
auch Japan und Korea nicht einmal mitgezählt. Die Globalstrategie der USA
bis 2020 / 2025 bestimmt sich eben der fortlaufenden Rivalität mit
China wegen aus dem Jungmännerüberschuss von über 80 Staaten.
Schon am 5. Februar 1997 informiert Generalleutnant Patrick M. Hughes, damals
Direktor der US Defence Intelligence Agency, die Geheimdienstausschüsse
des us-amerikanischen Kongresses: »Eine globale Bedrohung und Herausforderung
der Vereinigten Staaten sind Youth-Bulge-Phänomene
die auch historisch die Schlüsselgröße für Instabilität
gewesen sind.« Einen zukünftigen Youth Bulge (30 bis 45 Prozent
aller männlichen Einwohner im Alter von 15 bis 29) kann es nur bei einem
vorhergehenden Children Bulge geben (33 bis 52 Prozent aller männlichen
Einwohner im Alter von 0 bis 15). Im Jahre 2005 verfügen 68 der 125 bevölkerungsreichsten
Länder (davon 62 mit aktuellen Tötungen) 16 über einen Children
Bulge mit über 600 Millionen Söhnen (ohne China, aber mit Indien)
gegen die 31 Millionen der USA. Für 300 Millionen der jungen Männer
wird auf ein akzeptables Unterkommen daheim gehofft. Auf die zweite Hälfte
bereitet man sich vor. Entsprechend lautet die globalstrategische Frage: Können
300 Millionen zweite bis vierte Brüder, die Hälfte davon aus dem Islam,
in nur 15 Jahren (2005 bis 2020) die Leistung von 20 Millionen Söhnen Europas
wiederholen, die sich über 400 Jahre gestreckt die Erde unterwerfen? Die
daraus resultierende militärische Frage steht unter der völkerrechtlichen
Prämisse, daß die USA gegen diese Massen nicht genozidal, also nicht
mit Massenvernichtungswaffen, vorgehen darf und lautet dann: Wie oft kann man
den einzigen Sohn hinausschicken, um draußen zehn überzählige
Brüder vom Kämpfen und Töten abzuhalten? Grundsätzlich geht
das kein einziges Mal. Aber schon im Afghanistankrieg stehen die GIs gegen
junge Al-Qaida-Männer aus 43 Nationen, wie man nach Befragung der Guantanamo-Gefangenen
erfährt. (Ebd.).Das Vorgehen der USA muß sich
den klassischen sechs Optionen für überzählige junge Männer
anpassen: (1) Emigration bzw. unblutige Kolonisation mit allerdings hohem Unruhepotential
bei Scheitern auch in der Fremde; (2) Kriminalität; (3) Aufstand oder Putsch;
(4) Bürgerkrieg und Revolution; (5) Beseitigung von Minderheiten und Völkermord
und (6) Angriffs- und Eroberungskrieg bzw. blutige Kolonisation. Strategisch einschlägig
ist die Option (6) Eroberung, soweit solche Vorstöße für eine
Reichsbildung Interessen der Führungsmacht berühren oder sie gar direkt
treffen. Zur Vermeidung von grenzüberschreitenden Kriegen wird also darauf
geachtet, daß die Youth-Bulge-Kämpfer sich auf die ersten fünf
Optionen innerhalb der Grenzen ihrer Nation beschränken. (Ebd.).Die
Kriege gegen Afghanistan (ab Herbst 2001) und Irak (ab Frühjahr 2003) können
deren Youth Bulges nicht zum Verschwinden bringen (ganz
im Gegenteil! HB) . Sie verwandeln aber grenzüberschreitende
Aggressionen in innere Kämpfe und einheimischen Terror. Das entgeht beispielsweise
der deutschen Regierung, als sie 2500 Mann in den Norden Afghanistans schickt
(Oktober 2005), weil sie ihrer Pazifismusrhetorik treu bleiben will: »Irakkrieg
wegen fehlender Megatötungswaffen nein!«, aber »Friedensmission
am Hindukusch selbstverständlich!« Die von dorther kommenden Angriffe
sind jedoch nur gegenüber den USA gestoppt. (Ebd.).Nach
den 55 Toten vom Londoner 7. Juli 2005 durch eingewanderte Pakistani wird sehr
schnell das Elend in ihrem Herkunftsland beklagt. Auch soll Pakistans 1947er »Geburtsfehler«
einer gescheiterten Trennung von Religion und Staat genau 58 Jahre später
seine verheerenden Wirkungen entfalten. Der ununterbrochene Youth Bulge
mit einer Verachtfachung der Bevölkerung zwischen 1930 (gut 20 Millionen)
und 2005 (über 160 Millionen) wird weder erwähnt, noch gar mit Gründen
für irrelevant erklärt. Daß Terror und Töten gerade aufblühen,
als sich Pakistans Pro-Kopf-Einkommen versechsfacht (350 auf 2200 Kaufkraftdollar
von 1970 bis 2005), fällt wegen Unvereinbarkeit mit dem Verelendungsargument
ebenfalls unter den Tisch. (Ebd.).Daß der Sieg über
den Hunger der Dritten Welt auch den Krieg besiegen wird, verheißen Friedensforscher
in immer neuen Werken. Die Youth-Bulge-Analyse jedoch findet, daß
nach der Sättigung das Töten erst richtig losgeht. Denn die von den
Ehrgeizigen erstrebten Positionen lassen sich nicht so schnell vermehren wie Nahrung,
Schulbücher und Impfstoffe. Gerade bei zunehmendem Wohlstand verschärft
sich noch der ewige Jungmännerzorn, wenn er mit ökonomischer Unterbeschäftigung,
sexueller Frustration und demographischer Überzähligkeit kombiniert
wird. Um Brot wird gebettelt, um Macht wird geschossen. Ob im aktuellen irakischen
Bürgerkrieg ... Tötungszahlen wie unter Saddam herauskommen, wird sich
zeigen müssen. Erst dann aber würde die Anklage fast aller Experten
Sinn machen, daß Iraqi Freedom mehr Opfer gebracht als verhindert
habe. Bisher steht man einschließlich aller Kriegs-, Bombardierungs- und
Attentatstoten bei weniger als zehn Prozent der 1,5 Millionen Kriegstoten unter
Saddam. Auch das Personal für Außenterror könnte allerdings
nur kurzzeitig reduziert sein, da sich Al-Qaida-Männer aus der ganzen
Welt in Mesopotamien zum »Endkampf« stellen und dort beträchtliche
Verluste erleiden. .... Ihr Zorn gewinnt durch die USA einen »nobleren«
Vorwand für den Konkurrenzkampf um die Spitzenpositionen ihres Landes, als
es der schnöde Brudermord je sein könnte. Die älteren gehen ganz
unfanatisch in die Produktion, und die nächsten melden sich bei Polizei und
Armee. Dennoch bleiben jede Menge dritte und vierte Söhne, die sich vor den
Arbeitsämtern und Rekrutierungsbüros in die Luft sprengen und den Irak
in die Failed-State-Ecke drücken .... Die dabei zu beklagenden 3000
Toten der letzten achtzehn Monate füllen täglich die Medien. Von den
im selben Zeitraum ins Kampfalter gelangten 550000 Irakis berichtet so gut wie
niemand. In Massenbewegungen haben es Religionen so gut, weil die jungen Männer
die bekämpften Eliten zwar liquidieren, aber nicht als gewöhnliche Mörder
oder suizidale Psychopathen ins Amt kommen wollen. Um ehrbare Scharfrichter zu
bleiben, suchen sie eine hehre Warte, von der her das Töten wie eine große,
aber gewiss auch letzte Härte vor dem Heil anmutet. Deshalb werden Europäer
der frühen Neuzeit zu bewaffneten Missionaren. Und deshalb führt die
demographische Explosion der Muslime von 140 Millionen Menschen 1900 (global 10
Prozent) auf 1,4 Milliarden 2005 (global 22 Prozent) und 2,8 Milliarden im Jahre
2050 (global 30 Prozent) zu einer Islamistenwelle, die noch vieles mit sich reißen
wird. Europa hat für seine demographische Weltdominanz dreimal so viel Zeit
benötigt. (Ebd.).Das Streben nach Ehrbarkeit bei der
Gewaltausübung formuliert der 25-jährige Pakistani Hassan Butt aus Manchester.
Der bekennende Sympathisant für die Londoner Attentäter, der auch britische
Muslime zum Kampf gegen den Westen in Afghanistan rekrutiert, spricht im August
2005 mit der Zeitschrift Prospect: »Schon lange vor meiner Zeit als praktizierender
Muslim war ich sehr hitzköpfig. Diese Hitzköpfigkeit führte uns
auf einen zerstörerischen Weg. Viele Leute, mit denen ich aufwuchs, wandten
sich Drogen zu, verstrickten sich in Kriminalität und Prostitution
und das bereits in recht jungen Jahren. Ich erinnere mich noch sehr genau daran,
wie ich dem ersten Moslem begegnete, der mir in einer Sprache, die ich verstehen
konnte, den Islam nahe brachte. Er zeigte mir, daß eine Menge Wut und Frustration
in mir steckte. Und er sagte mir, ich solle diese Energie in etwas Produktiveres
lenken. Von da an begann ich, den Islam ernst zu nehmen. Obwohl wir, meine Brüder
und ich, Hitzköpfe waren, wurden wir dennoch keine Straßengangster.
Wir haben immer noch fleißig studiert und mit guten Noten unsere Prüfungen
abgelegt.« Die Grausamkeiten kommen also nicht aus den frommen Büchern,
sondern von denjenigen, die keine Killer werden wollen und deshalb die Folianten
überhaupt erst entstauben. Die Erregung der jungen Männer kann deshalb
mit Erläuterungen über den »eigentlichen« oder »wirklich
gemeinten« Inhalt der heiligen Texte auch nicht abgestellt werden. Die kaum
abreißende Flut von Artikeln über den üblen Einfluß von
Koranlehrern verkehrt mithin Ursache und Wirkung. Wo zur Bewegung fähige
Massen fehlen, vermögen selbst geniale Hetzer so gut wie nichts. Und selbst
dort, wo Religionsschulen nachweislich ohne terroristisches Curriculum auskommen,
hindert das die Absolventen nicht an ihren Taten für ein neues Kalifat von
Spanien bis zu den Philippinen. (Ebd.).Weil Kolonisation
als Siedeln mit den jungen Frauen und Tötung oder Verknechtung des
Restes bisher unvorstellbar erscheint, beschränken sich die Youth-Bulge-Jünglinge
gegenüber dem Westen auf Terror. Die Alternative zu ihm lautet also nicht
Frieden, sondern ganz wie zu Zeiten europäischer Konquistadoren
Eroberung und Reichsbildung. Bereits 1998 versichert der Koranlehrer Mohammed
Fazazin in Hamburg-Sankt-Georg den Twin-Tower-Angreifern um Mohammed Atta: »Wir
können ihnen gar nicht so viel wegnehmen, wie sie uns schulden.
Wir
sind hier in einem kriegerischen Land, das den Islam und die Muslime bekämpft.
So dürfen wir uns ihre Töchter, Mütter, Frauen und Seelen
nehmen.« (Ebd.).Um eines Tages nicht nur noch genozidale
Waffen gegen die auf Reichsbildung setzenden Megaarmeen einsetzen zu können,
müssen die USA dort entwickelte Megatötungswaffen wegverhandeln oder
vorab ausschalten. Weil es dafür Erfolgsgarantien nicht geben kann, werden
sie sich an der Befestigung des eigenen Lagers mit himmelhohen Mauern (Cosmic
Shield) durch ... Klagelieder am allerwenigsten behindern lassen. Fernschlagkapazitäten
sowie die us-amerikanischen und britischen Flugzeugträgergruppen sollen die
dennoch unvermeidlichen Kriege gewinnbar machen. Gegen Großtötungen
innerhalb der Youth-Bulge-Länder wird es bis dahin bei verbalen Empörungen
und papiernen Protesten bleiben. Da das alles niemanden freuen
kann, wünscht man sich die nächsten zwanzig Friedensnobelpreise nur
für Persönlichkeiten, die Lösungen anbieten, wie der Machtwillen
von 300 Millionen ohne Krieg und Gewalt gezähmt werden könnte.
(Ebd.).
Kinder, Kinder (in: Die Welt; 24.12.2005) **
Der
von Birg mit Recht
beklagte Spätstart des bundesdeutschen Demographie offenbart sich vor allem
bei ihren historischen Ausflügen. Da ist man vom Gedankenreichtum der Zeit
vor 1933 noch weit entfernt. Birgs Idee, der Geburtenrückgang sei eine »Nebenwirkung«
des Erfolges der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung, widerlegte schon Julius Wolf.
Er wurde um 1900 zum Entdecker der seit 1860/'70 fallenden Kinderzahlen Europas
(in einigen Ländern Europas schon seit Ende des 18.
Jahrhunderts; HB). (Ebd.).Wolf fand heraus, daß
nicht die Versorgung bei Krankheit und Alter durch den Staat die Leute von eigenen
Erben unabhängig und alsbald kinderlos machte. Vielmehr wurden die Sozialgesetze
gerade für Lohnabhängige erlassen, die ihren bürgerlichen Unterhaltspflichten
schlicht nicht mehr nachzukommen vermochten, weil Vater und Sohn gleichzeitig
arbeitslos sein konnten. Und da diese Lohnabhängigen ohnehin kein Erbe im
Tausch für Versorgung anbieten konnten, tendierten sie zu Kinderlosigkeit,
solange nicht mit Gewalt gegen die Geburtenkontrolle vorgegangen wurde.
(Ebd.).Der Geburtenrückgang ist also nicht deutsch und auch
nicht europäisch, sondern strukturgeboren. Abhängig Erwerbstätige
schaffen sich im Wettstreit um qualifizierte Positionen Vorteile, wenn sie Zeit,
Energie und Geld für lebenslanges Lernen einsetzen und nicht für Familie
und Kindererziehung verbrauchen. Deshalb suchen zuerst Männer - das beginnt
bei den bestbezahlten - nach Frauen, die bei der Kinderzahl nach unten und für
die Erwerbstätigkeit nach draußen gehen. Bei einem Niveau von 80 bis
95 Prozent Lohnabhängigen in den 50 am meisten entwickelten Staaten kämpft
heute jeder gegen jeden um die attraktivsten Jobs, weshalb auch Frauen ihre stärksten
und zugleich gebäroptimalen Jahre (15-35) für den Weg nach oben einsetzen
müssen. (Ebd.).Warum aber haben im Jahr 1850 geborene
deutsche Lohnarbeiterinnen sieben Kinder, während 1970 geborene näher
bei eins als bei zwei liegen? Über die dafür verantwortliche Bestrafung
der europäischen Geburtenkontrolle hören Birgs
Leser wenig. (Ebd.).Schon 1484 dekretiert die Hexen-Bulla
für die »Repöplierung« Europas nach dem Bevölkerungsabsturz
von 80 auf 50 Millionen seit der Großen Pest die Todesstrafe für »Personen
beiderlei Geschlechts ..., welche die Geburten der Weiber umkommen machen und
verursachen, ... daß die ... Frauen ... nicht empfangen«. Zwischen
1480 und 1500 begann infolgedessen die europäische Geburtenexplosion, deren
Früchte alsbald den Großteil der Erde eroberten. Selbst die Mächtigsten
wußten bald weniger von der Verhütung als heute ein zehnjähriges
Kind. (Ebd.).Und ausschließen kann
man eine neuerliche Vernichtung der Weisen Frauen nicht. (Ebd.).Birg
fordert die »Priorität für Mütter bei Stellenbesetzungen
durch Frauen«. (Ebd.).Indes verhüllen Frankreichs
vorbildlichen Antidiskriminierungsgesetze, wer da eigentlich die Kinder bekommt.
Nicht einmal der Anteil der Muslime ist bekannt, so daß allenthalben mit
nur geschätzten zehn Prozent argumentiert wird. (Ebd.).Welchen
Anteil diese - sowie die christlichen Einwanderer aus dem Gebiet südlich
der Sahara - am französischen Nachwuchs stellen, ist ebenfalls unbekannt.
Sind es schon 30 Prozent? In jedem Fall stecken viele Araber und Schwarzafrikaner
am unteren sozialen Rand, von dem aus sie die großzügigen Prämien
für Gebären und Erziehung gern abgreifen. Mit ihrem Kindersegen sorgen
sie für eine Wiedergeburt der Dienstbotengesellschaft, in der auch Mittel-
und Oberschichtfrauen beim Nachwuchs zulegen, weil Kindermädchen und Köchinnen
wieder bezahlbar werden. Noch muß sich erweisen, ob ein solcher Mix Frankreich
... zu halten vermag .... Die doch erst einmal schwer zu verdienenden Gebärprämien
könnten sich mithin ganz anders auswirken, als Demographen erhofften.
(Ebd.).Vor der Wahl zwischen ... Fortpflanzungsdiktatur und einem
Eurabien in Frankreich mag für manchen der stetige Niedergang an Schrecken
verlieren. Als Kaiser Augustus 14 vor Christus alle freien
Römer um ihre Erbschaft bringen wollte, die nicht zuvor für Nachwuchs
gesorgt hatten (**),
mußte er eine Ausnahme billigen: Prostituierte. Daraufhin ließen sich
viele der besser betuchten Frauen in die Hurenregister Roms eintragen und kamen
so auch kinderlos an das elterliche Vermögen. Der Bevölkerungsschwund
des Reiches gingungebrochen weiter, und der große Livius beschrieb jene
Verwirrungen als die »Zeit, da wir weder unsere Gebrechen noch ihre Heilmittel
ertragen konnten«. (**) (Ebd.).Ungeachtet
aller Parallelen zur Gegenwart bleibt doch fraglich, ob heute alle verfassungsmäßigen
Vorschläge schon auf dem Tisch sind. (Ebd.).
Gespräch im Philospohischen Quartett(TV-Sendung; 29.10.2006):
Radikalismus und Bevölkerungswachstum **
Wenn
eine Nation über Jahrzehnte oder Jahrhunderte pro Frau drei oder mehr Söhne
hat und nur einer, vielleicht zwei eine Chance finden, dann werden die überzähligen
Söhne, wenn sie nicht friedlich auswandern können, der Gewalt in irgendeiner
Form - von der Kriminalität bis zum Krieg - sich zuwenden. (Ebd.).Es
geht über überflüssige junge Männer, die zugleich nicht hungern.
Denn um Hunger wird gebettelt - der Hunger ist grausam, aber strategisch fürchtet
ihn niemand -, um Positionen wird geschossen. (Ebd.).Am Anfang
steht eine Bewegung, und dann will die Bewegung ehrbar sein, nicht kriminell,
nicht mörderisch, und dann greift sie nach den Texten. (Ebd.).Die
Verlegenheit besteht in der Tat darin, daß wir bisher nicht wissen, wie
man ein solches Problem ... friedlich lösen kann. Ich würde sagen: Die
nächsten fünfzehn Nobelpreise für Frieden an Leute, die eine unblutige
Lösung für den Machtwillen von 300 Millionen jungen Männern - das
sind die 300 Millionen, die in den nächsten fünfzehn Jahren fünfzehn
bis neunundzwanzig Jahre alt sein werden. (Ebd.).England
hat über vierhundert Jahre lang fünf oder sechs Kinder (pro
Frau! HB) zuhause, und die reichen immer aus, um das Wachstum der
Wirtschaft zu betreiben, um Bürgerkriege zuhause zu machen, um Kriege in
Europa zu machen, um Eroberungen und Ausmordungen in der ganzen Welt zu machen
und um noch zu besiedeln. (Ebd.).Als Lateinamerika seinen
Youth bulge hat, von 1955 bis 1995, geht fast der ganze Kontinent hinein
in die Diktatur, und die herrschenden Eliten begreifen, in einer Demokratie werden
sie weggestimmt und ihre Position verlieren, und entscheiden sich für den
Bürgerkrieg. Die jungen Männer teilen sich ziemlich gleich auf in eine
Guerillas für die »Freiheit« und Soldaten für das »Gesetz«.
Dann töten sie sich so lange gegenseitig weg, bis eine Balance erreicht ist.
Dann können die Überlebenden Positionen einnehmen, und die Ideologie
wird ganz schnell abgeworfen, und die Demokratie kommt auch wieder. (Ebd.).Gerade,
was Sie sagen: »Anerkennung« - der Wunsch nach Wichtigkeit. Es gibt
kein Menschenrecht auf Wichtigkeit, aber es ist der stärkste Wunsch, den
die Menschheit kennt. Die Wichtigkeit ist halt verbunden mit bestimmten Positionen,
und es sind immer mehr Wichtigkeitswünsche in einer Gesellschaft als Wichtigkeitkarrieren.
(Ebd.).Die zweiten bis n-ten Brüder des Islam, die wissen
schon auch, daß sie in ein Sexualleben, das es nur in Form des Ehelebens
gibt, nur hereinkommen können, wenn sie eine Position erringen können
- und das ist fast aussichtslos. Und dann gilt die Beobachtung von Thomas Hobbes,
der schon 1651 beobachtet, wie gut der Krieg noch jeden jungen Mann durch Sieg
oder einen sehr respektvollen Heldentod versorgen kann. (Ebd.).Europa
verliert nach 1945 jeden Krieg, weil es das Personal nicht mehr hat, welche zu
führen. Während die Kolonien acht, neun Kinder (pro
Frau! HB) haben, haben die europäischen Frauen noch zwei bis
drei. Und man hat in den beiden Weltkriegen gerade 15 Millionen junge Männer
verbraucht. Das ist der Grund, weshalb - meines Erachtens- Europa friedlich wird
und »erotisch« werden kann. . .... »Make love not babies«
.... (Ebd.).Das beste (aber nicht das
einzige und doch bei einer bestimmten Mehrheit funktionierende) Verhütungsmittel
ist immer die Verlohnarbeiterung, das heißt, daß eine Mehrheit lohnabhängig
wird und nicht mehr über Erben ihr Alter und ihre Krankheit sichern muß.
(Ebd.).Die Wut, die pubertäre Wut hat auch der einzige Sohn,
wenn der 15 wird. . .... »Angry young men« - die gibt es immer. Diese
Kondition, würde ich sagen, ist ewig. Aber wenn sie jetzt zusätzlich
in einer Überschüssigkeit stecken, in einer Arbeitslosigkeit und einer
Kultur, die sagt: »Sexualleben gibt's nur, wenn du vorher eine Karriere
gemacht hast«, dann kriegt diese Wut eine Verdreifachung, eine Vervierfachung,
jedenfalls eine Verschärfung. Und erst die macht dann die nächsten Schritte.
(Ebd.).
Es wollen aus der »Dritten Welt« ungefähr 300
Millioen junge Männer 'raus. Die wollen alle auswandern. Die wollen
zu uns, in die »Erste Welt«. In dieser »Ersten Welt«
gibt es in der gleichen Zeit bis 2020 - wir reden von den nächsten
15 Jahren - ... 100 Millionen junge einzige Söhne, oft einzige Kinder.
Zu denen wollen hinzutreten 300 Millionen Männer, dritte, vierte,
fünfte, sechste Brüder. Das ist der Konflikt der nächsten
15 Jahre. Und der wird so laufen, daß die einzige Macht überhaupt
antritt: USA - 30 Millionen Söhne, davon ein Drittel übergewichtig
- gegen diese 300 Millionen, die kommen werden. Nur die USA kämpfen.
.... In dieser Situation werden Festungen aufgerichtet, und die sicherste
Festung wird Usanada (USA + Kanada) sein.
.... Die kann sich in dieser Situation stabilisieren. Und wenn es notwendig
wird, wenn also von diesen Youth-Bulge-Ländern ... nicht Bürgerkrieg
gemacht wird, sondern Krieg, dann werden die (USA
+ Kanada) noch intervenieren, so lange der Krieg sie betrifft.
Aber die Paraole wird sein: »Kriege zu Bürgerkriegen«.
Das wird das Erfolgskriterium sein. (Ebd.).
In Europa bereitet sich die aufgeklärte Jugend
ja darauf vor, nach Usanada auszuwandern. .... Is' ja jeder selber schuld, wenn
er 2030 noch hier is'. (Ebd.).Das Prinzip Hoffnung
ist: Nach 2020 ist Ruhe (sehr wahrscheinlich nicht!
HB). Also: Man muß eigentlich nur 15 Jahre durchhalten. ...
Ja, man muß durchhalten. Wie gesagt, es gibt ... Ausnahmen: ... Palästina,
die (Palästinenser) haben weiter sieben Kinder
(pro Frau!). Warum? Weil wir sagen: »Wir bezahlen
euch das.« »Habt ihr ein erstes, ein fünftes, ein fünfzehntes
Kind - das ist ein Flüchtling: Wir bezahlen euch das.« Also. Wir verführen
die Palästinenser dazu, sich weiter demographisch aufzurüsten. Wir geben
ihnen die Hoffnung, daß sie die Juden tatsächlich eines Tages ins Meer
treiben können. (Ebd.).In Zukunft wird man die Bürgerkriege
und die Völkermorde genauso laufen lassen wie auch heute. (Ebd.).Europa
hat nur noch die Möglichkeit, sich als Festung zu verteidigen. Und ich weiß
nicht, ob Europa das kann. (Dem bleibt nur hinzuzufügen:
Europa darf nicht länger nur ein Imperium bleiben, sondern muß eine
Nation werden. Und ich weiß nicht, ob Europa das kann. HB).
(Ebd.).
Jung, aggressiv und engagiert. Die Wut der Söhne und des
Terrorismus (Vortrag, 1. Juni 2007) **
So
sterben etwa im Jahre 2000 selbst im ärmsten Afrika von 100 neugeborenen
Kindern weniger - nämlich 14 - als im Jahre 1900 in der globalen industriellen
Führungsmacht Deutschland, wo es 20 waren. (Ebd.).Einer
von dreien, vielleicht auch einmal zwei von vieren kommen dann unter. Die Überzähligen
gehen fast immer dieselben sechs Wege .... (Ebd.).Nicht irgendeine
Überbevölkerung mit zu wenig Platz oder Nahrung wird als Gewaltauslöser
identifiziert, sondern das genaue Gegenteil davon. Die überzähligen
jungen Männer müssen nicht nur häufiger als zuvor auftreten, sondern
dazu auch passabel ernährt sein und zudem über ein gehöriges Stück
Freiheit verfügen. Hier wird also verstanden, daß bei Hunger lediglich
um Brot gebettelt, für das Erlangen von Positionen aber zur Waffe gegriffen
wird. (Ebd.).
Die demographische Kapitulation (in: Cicero, Juni 2007) **
Heute
konkurrieren fast alle Männer und Frauen so hart wie damals wenige Spitzenkräfte.
Um beide Geschlechter ausstechen zu können, müssen nun auch 90 Prozent
der Frauen ihre besten Jahre für den Aufstieg einsetzen und von Kinderlasten
freihalten. Bei Legalität der Geburtenkontrolle tendiert die Geburtenrate
nur deshalb nicht gegen null, weil die Erfüllung der Sehnsucht nach einem
Kind für eine Eins vor dem Komma sorgt. Daß die fünfzig höchstentwickelten
Nationen im Durchschnitt sogar bei 1,45 Kindern liegen, verdankt sich partiell
den Prämien und Privilegien der Bevölkerungspolitik. (Ebd., S.
107).Niemals wird man auf neue Computer und Mobiltelefone oder
auch nur elegante Leinensakkos aus Russland warten. Ohne Devisen für Gas
und Öl wäre längst offensichtlich, wie fertig das Land ist.
(Ebd., S. 107).Weitgehend unbemerkt wegen seines schieren Volumens
von mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern bleibt, daß auch China jährlich
schon eine halbe Million seiner Besten an Gebiete verliert, die teilweise ebenfalls
von Chinesen bewohnt werden und die niedrigsten Geburtenraten der Welt aufweisen:
Taiwan (1,2 Geburten pro Frau), Singapur (1,1), Hongkong (1,0) und Macao (0,8).
Der Viererblock mit zusammen 35 Millionen Einwohnern wäre ohne Chinas permanenten
Aderlaß schon raus aus den Märkten. Von einer Ausweidung dieses Giganten
durch die Kleinen zu reden, mag übertrieben anmuten. Aber dieser Prozeß
kann sich ... nur beschleunigen. (Ebd., S. 107).Im Jahre
2050 werden von Chinas dann 1,4 Milliarden Einwohnern 430 Millionen Rentner sein,
für deren Versorgung nicht einmal falsche Prognosen à la Blüm
vorliegen. Da niemand den jungen Chinesen weniger Intelligenz oder Fleiß
bescheinigt als dem deutschen Nachwuchs, schwimmen sie bereitwillig mit im Pool,
aus dem man »foreign talent« fischt. Wegen geringster Immigrationsattraktivität
und hoher Westorientierung seiner Eliten spricht wenig für Chinas Aufstieg
in die Oberliga der preissetzenden Innovateure. Das Land bleibt deshalb erstrangiger
Abwerberaum für die übrigen Spitzenländer. (Ebd., S. 107-108).Während
in Deutschland über einreisende Luschen und ausreisende Asse gejammert wird,
betreiben andere Hightech-Nationen das Absaugen der Talente aus dem Ausland systematisch.
Mit dem eigenen Nachwuchs schaffen wir es nicht durch das 21. Jahrhundert, wirbt
etwa der Angelsachsen-Raum ganz offen. Seine Prinzipien versteht jeder.
Neubürger ob daheim geboren oder hinzukommend müssen den
Leistungsdurchschnitt der jetzt Aktiven übertreffen, da in der internationalen
Konkurrenz nur mithalten kann, wer durch innovative Produkte Preise auch setzen
kann und nicht immer nur unterbieten muß. Fachabsolventen, die jünger
als vierzig Jahre sind und Geld für die Überbrückung der Startzeit
mitbringen, erhalten Eintritt in ein Territorium mit erstklassiger Infrastruktur,
das nicht von Banditen, sondern von Gesetzen beherrscht wird. Das ist schon das
ganze Angebot. Dann aber bleiben den Neuen von ihren Einkommen nicht nur 50, sondern
mehr als 70 Prozent, damit sie Erziehung, Gesundheit und Altersversorgung auf
freien Märkten einkaufen können. Lediglich körperlich und geistig
Behinderte können sich auf staatliche Fürsorge verlassen. (Ebd.,
S. 108).Wer schon daheim zu den Abgeschlagenen gehörte und
nun im Westen seine Menschenrechte auf Grundeinkommen und Kinderreichtum bezahlt
haben will, hört in Canberra oder Ottawa keineswegs nur Unfreundlichkeiten.
Man gibt ihm und das kostenlos den Tipp, es doch in der Europäischen
Union und dort vor allem in Deutschland oder Frankreich zu versuchen. Dort haben
im Januar 2007 auch für die Zukunft fixiert Diskriminierte,
nachziehende Familienangehörige und halblegal im Land schon Lebende Vorrang.
Erst an vierter Stelle geht es um Tauglichkeit für den Arbeitsmarkt. Deshalb
sind unter Einwanderern nach Frankreich und Deutschland nur zehn Prozent qualifiziert,
von den Neubürgern Australiens und Kanadas aber 80 beziehungsweise 95 Prozent.
Deshalb wachsen die Zahlen der Hartz-IV-Empfänger und der offenen Stellen
wie in gegeneinander hermetisch abgeschotteten Welten gleichzeitig. Und deshalb
hören die Deutschen mit Bestürzung, daß bei ihnen »jüngere
Jahrgänge seltener einen tertiären Bildungsabschluß haben als
ältere« (Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn e.V., April
2007). Das liegt vor allem daran, daß die Zugewanderten geringer qualifiziert
sind als die Alteingesessenen (Statistisches Bundesamt, 4. Mai 2007). (Ebd.,
S. 108).Nach Englands Abzug aus Hongkong im Jahre 1997 hat Kanada,
anders als Deutschland, die exilwilligen Einwohner der Enklave mit offenen Armen
empfangen. Drei Millionen Chinesen gäbe es zwischen Rhein und Oder, wenn
Bonn damals wie Ottawa zugegriffen hätte. Das wäre schon mehr als der
halbe Bedarf bis 2050 bei der Absackvariante auf 69 Millionen. Ist es jetzt zu
spät? Wird Deutschland den Sozialstaat auf Behinderte beschränken, um
von Hilfesysteminteressenten auf Leistungsträger zu wechseln?
(Ebd., S. 108).Wenn bei Oranienburg für 700 Millionen Euro
nun eine chinesische Stadt mit Pagodendächern geplant wird, sind Chinesen
aus Fleisch und Blut vielleicht nicht mehr weit. Wie 1685 die Hugenotten nach
Berlin und 1732 die Salzburger nach Ostpreußen treckten, so würden
jetzt chinesische Neusiedler nach Brandenburg an der Havel, Halle an der Saale
oder Bremerhaven am Nordseestrand strömen. Wir bräuchten sie dringend.
Die erste halbe Million ließe sich mit verbrieften Titeln auf eine Wohnung
ködern. Immerhin muß ein Tüchtiger nach Vancouver, Los Angeles
oder Brisbane auch noch Geld für eine Unterkunft mitbringen. Bei uns würden
Grips und Fleiß vollkommen reichen doch der politische Wille zu solchen
Maßnahmen fehlt selbst im Angesicht der demographischen Kapitulation.
(Ebd., S. 108).
Strategie gegen Deutschlands demographischen und pädagogischen Sinkflug (15.09.2008,
22:57) **
I.
Die Lage.Der demographische GAU tritt ein, wenn die Lebenserwartung
steigt, die Geburtenrate abstürzt und die Einwanderung unerheblich ist oder
bewußt gebremst wird. Im GAU-Bereich verteidigt den Spitzenrang unangefochten
Japan (127 Millionen Einwohner). Dort liegt das Durchschnittsalter bei 44 Jahren
(im Jahre 2050 über 56) bei einem Weltdurchschnitt von 27 Jahren oder gar
nur 15 in so blutigen Gebieten wie Kongo, Gaza und Uganda. Nur 13 von hundert
Japanern sind jünger als fünfzehn, dafür aber 22 (gegen 8 im Weltdurchschnitt)
älter als 65. Pro Frauenleben werden 1,22 Kinder geboren und seit 2007 nimmt
die Bevölkerung absolut ab. Die arbeitsfähige Bevölkerung, die
mit ihren Produkten heute noch den 4. Platz unter den Exporteuren der Welt schafft,
soll zwischen 2005 und 2050 von 78 auf 48 Millionen sacken. (Ebd.).Zum
demographischen GAU-Bereich gehören aber auch unauffällige Kandidaten
wie etwa Jugoslawiens ehemaliges Musterland Slowenien (2 Millionen Einwohner und
sinkend). Dort sind ebenfalls nur noch 13 Prozent unter fünfzehn und schon
16 Prozent über 65. Das Durchschnittsalter arbeitet sich an 42 heran und
soll 2050 bei japanischen 56 Jahren liegen. Die Frauen schaffen 1,27 Kinder. Keine
größere Stadt des Westens schrumpft schneller als das malerische Maribor
(vor 1919 das ethnisch-deutsche Marburg an der Drau). (Ebd.).Bisher
behauptet niemand, für Japan, Slowenien und ihresgleichen eine Lösung
zu kennen. Dabei befinden sich diese Länder nicht einmal in der Sphäre
eines Super-GAUs. Der allergrößte anzunehmende demographische Unfall
tritt ein, wenn bei steigender Lebenserwartung und abtauchender Geburtenrate eine
bildungsferne Masseneinwanderung erfolgt und zugleich heimische Eliten weggehen.
In diesem Sektor tummeln sich vor allem westeuropäische Nationen, aber keine
kann Deutschland vom letzten Platz verdrängen. In der Berliner Republik sind
bald nur noch 13 Prozent der Einwohner unter 15 und schon 20 Prozent über
65. Das heutige Durchschnittsalter nähert sich Japans 44 Jahren. Die ethno-deutschen
Frauen haben mit 1,1 Kindern noch weniger Nachwuchs als ihre ostasiatischen Schwestern.
Aber alle weiblichen Einwohner zusammen schaffen 1,38 Kinder, weil die 20 Prozent
der Migrantinnen 40 Prozent der Babys beisteuern. (Ebd.).Viele
Länder ächzen unter noch heftigerem Talenteverlust als Deutschland und
haben obendrein geringere Geburtenraten. Ganz vorne in dieser Schicksalsgemeinschaft
liegen Rußland, Ukraine und Polen Übergewichtige im Trippelschritt
auf Liliputanerbeinen. Insgesamt mit Ausnahme der von Brüssel, Berlin
et al. ausgehaltenen Territorien der Albaner befinden sich alle Länder
östlich der Oder zwischen Estland und Griechenland demographisch im GAU-Bereich.
Keiner kennt einen Ausweg aus dem Fiasko dieser bei Mitzählung von
Armenien und Georgien - 22 Staaten. Ihr Großraum stürzt von 215 Millionen
Erwerbstätigen im Jahre 2005 auf nur noch 140 Millionen gegen 2050, wobei
die Gesamtbevölkerung von 350 auf 240 Millionen schrumpft. Und doch fällt
selbst diese vorstehende Prognose zu optimistisch aus. Sie geht nämlich davon
aus, daß die beteiligten Bevölkerungen den Sinkflug still mitmachen
und nicht zumindest in ihren tüchtigen und beweglichen Anteilen
rechtzeitig in den demographisch ebenfalls kämpfenden und deshalb massiv
anwerbenden Anglo-Raum überwechseln. Allein für das Verlangsamen der
Alterung keineswegs für ihre Umkehr brauchen Australien, England,
Irland, Kanada, Neuseeland und USA pro Jahr 1,7 Millionen skilled immigrants.
Das entspricht den 1,7 Millionen Neugeborenen pro Jahr in den fünf Staaten
Deutschland, Schweiz, Österreich, Polen und der Ukraine. (Ebd.).Ungeachtet
aller Handicaps ist der Kontinent zwischen Stettin und Wladiwostok mangels Budget
von einem gewichtigen Nachteil frei, der Deutschland so wuchtig nach unten zieht.
Ihm fehlen die Sozialsysteme, in die man einwandern kann, weshalb das beliebte
wir sind tolerant und geben Geld auf die Hand so gut wie nie zu hören
ist. Hingegen ermöglicht das deutsche Sozialsystem gerade den niedrig Qualifizierten
die stärkste Vermehrung. Denn erst über die Betreuung wiederum bildungsferner
Kinder erzielen sie akzeptable und obendrein langfristige Einkommen. Die liegen
zwar knapp unter dem deutschen Durchschnitt, aber mehrfach über dem der Herkunftsländer.
(Ebd.).Seit langem bekannt sind die Ergebnisse der Berliner Immigrationspolitik,
deren Rangfolge von (1) EU-Bürgern über (2) Familiennachzug, (3) weltweit
Diskriminierte und (4) einheimische Illegale erst ganz zum Schluß (5) Könner
für den Arbeitsmarkt berücksichtigt. Der hiesige Durchschnitts-IQ, den
ja nicht kümmert, wie weit er von der DNS oder vom Milieu stammt, ist nach
der 2007er Rindermann-Tabelle von einst wohl 102 bis 103 bereits
auf 99 Punkte abgesunken. Wo andere Länder 55% (USA), 75% (UK) oder 99 %
(Kanada) Qualifizierte unter ihren Einwanderern haben, gelingt Deutschland mit
lediglich 5% etwas so Originelles wie die Dequalifizierungsspirale, in der jüngere
Jahrgänge schlechter ausgebildet sind als ältere, obwohl doch die Anforderungen
in Zukunft nur steigen können. (Ebd.).Schaffen im Jahre
2000 noch 74,7 Prozent eines deutschen Jahrgangs eine Berufsausbildung oder gar
das Abitur, so sind es trotz erleichterter Hauptschulabschlüsse
im Jahre 2007 nur noch 72,5 Prozent. Der Anteil der Schulversager steigt von 25,3
auf 27,5 Prozent. Während die EU-Zielmarke von 85 Prozent gut Ausgebildeten
für innovative Industriestaaten in immer weitere Ferne rückt, berichtet
das Magazin Karriere 2007, daß gleichzeitig 87 Prozent der deutschen Hochschulabsolventen
vom Leben im Ausland träumen. Dort legen die Anteile der Hochschulabsolventen
zwischen 2000 und 2006 von 28 auf 37 Prozent zu. Hingegen bleibt Deutschland mit
18 auf 21 Prozent nahe der Stagnation, die zwischen 1995 und 2005 von einem Rückgang
der Bildungsausgaben von 5,4 auf 5,1 Prozent am Inlandsprodukt begleitet wird
(OECD September 2008). (Ebd.).Die bald 30 Prozent deutschen
Leistungsversager machen vor allem die übrigen 70 Prozent der Schüler
nervös. Bisher hat man ihnen nur verraten, daß demnächst 100 Aktive
70 Rentner versorgen müssen, falls es bis 2025 nicht gelingt, jährlich
100.000 statt der heutigen 500 Eliteeinwanderer zu gewinnen und
zugleich 150.000 tüchtige Auswanderer jährlich in der Heimat zu halten.
Scheitern diese Vorhaben, dann müssen 100 Aktive ab 2025 schon 100 Rentner
versorgen. Nun finden die tüchtigen Schüler aber heraus, daß womöglich
nur 80 Aktive nicht nur 100 Rentner, sondern auch noch 20 Gleichaltrige im Hartz-IV-Archipel
finanzieren müssen und dazu sämtliche Kinder. Nur übermenschliche
Heimatliebe kann da die Flucht ins Ausland unterbinden. Und das lockt immer heftiger,
weil ja in allen Spitzenländern die demographische Malaise bereits brusthoch
steht und niemand sich damit trösten kann, daß Deutschland sie schon
Oberkante Unterlippe spürt. (Ebd.).Da in Deutschland
Migranten jünger und schlechter qualifiziert sind als Alteingesessene, benötigen
sie über viel längere Lebensphasen Unterstützung aus deren Taschen.
Durch die daraus erwachsenden Zusatzkosten liegt die deutsche Staatsschuld
bei Einschluß der Rentenansprüche nicht bei 4,2, sondern bei
5,2 Billionen Euro. Diese Last liefert einen gewichtigen Grund dafür, daß
jährlich jene 150.000 Tüchtigen ob nun ethnodeutsch oder migratorisch
im Ausland ihre Karrieren und Altersversicherungen aufbauen. (Ebd.).Es
sind diese 1000 Milliarden Euro 25.000 Euro Schulden auf jeden der 40 Millionen
Erwerbsfähigen in Deutschland , die beispielsweise Japan sich spart.
Sie bewirken im besten Falle, daß gegen 2050 Deutschlands Durchschnittsalter
mit 52 vier Jahre unter dem japanischen oder slowenischen liegen soll. Wer hierzulande
in sozialpolitische Musterkommunen schaut, wird solche Jugendlichkeits-Prognosen
gerne glauben. So ist etwa Bremerhaven mit seinen 115.000 Einwohnern eine vergleichsweise
junge Stadt, weil bereits 52 Prozent aller Babys direkt in die Hartz-IV-Viertel
geboren werden. Das dreimal so menschenreiche Neukölln schafft sogar weltrekordverdächtige
75 Prozent. In Nordrhein-Westfalen repräsentativ für die gesamte
Republik stellen Migranten erst 25 Prozent der Gesamtbevölkerung,
aber schon 65 Prozent der Schulabbrecher. Bereits in jungen Jahren wählen
diese Nachkommen ihrerseits junger und bildungsferner Eltern die Elternschaft,
weil man sie dafür bezahlt, während sie am Arbeitsmarkt nur unten oder
gar nicht unterkommen. Wer das à la mehr Einwanderer, die
uns nützen, und weniger die uns ausnützen als Schmarotzertum
angreift, vergißt, daß doch jedermann staatliche Geldangebote abgreift,
solange sie zu seinem Erwartungshorizont passen. Das Angebot ist Schuld und nicht
die Hereindrängenden, die es gerührt abgreifen. (Ebd.).Die
Wege von Weser, Spree und Rhein werden wohl noch viele Jahre beschritten, weil
die deutschen Alten bisher kaum ahnen, daß einmal sie für viele der
quirligen Neubürger sorgen müssen und nicht umgekehrt. Schon
jetzt sind 34 Prozent der 7,4 Millionen Bundesdeutschen unter 65 im Hartz-IV-Archipel
jünger als 18 Jahre, während es bei den übrigen 58 Millionen unter
65 nur 20 Prozent sind. Solche Probleme der hiesigen Alten kennen die Senioren
in Japan nicht. Deshalb geraten sie so gut wie nie in Schlägereien mit zornigen
Jünglingen aus der Fremde. (Ebd.).Die deutsche Führung
will ihr Megaproblem aus Überalterung, Überschuldung und Entqualifizierung
dadurch in den Griff bekommen, daß sie die Prämien für dritte
bis sechste Kinder noch einmal erhöht. Die sollen mit diesem Geld klüger
gemacht werden. Niemand hat eine Ahnung, ob das funktioniert. Man will die Kleinen
bei Sprechbeginn, also ab dem 18. Lebensmonat aus den heimischen Milieus lösen,
dann mit hoch eloquenten Deutschsprachigen viele Stunden pro Tag konfrontieren
und so nach oben sozialisieren. Noch ist nicht einmal absehbar, ob die etwa 100.000
pädagogischen Spitzenkräfte für die Intelligenzformung von bald
fünfzig Prozent der Neugeborenen zu haben sind. Sie müssen schließlich
aus der heimischen Elite rekrutiert werden, die besonders intensiv über Auswanderung
nachdenkt. Ob dann ihnen gelingt, woran die Lehrkräfte in Anatolien oder
Afrika bei der Erziehung unserer Immigranten gescheitert sind, kann man erst gegen
2020 ermitteln, wenn die ersten Absolventen Aufnahmetests für die höheren
Schulstufen zu bestehen haben. In jedem Fall spielt die deutsche Bildungspolitik
mit dieser gigantischen kognitiven Umvolkung ihren letzten Joker.
Wenn der nicht sticht, bleibt am Ende nichts als die Vergeudung von Milliarden
für den subtilen Rassismus eines pädagogischen Überlegenheitsdünkels
und noch mehr weniger, älter, dümmer und ärmer.
(Ebd.).Ungeachtet dieser Unwägbarkeiten wird jenseits
der Regierung und ihrer Soziologenteams leicht verstanden, daß die
Zusatzprämien noch mehr dritte bis sechste Kinder im bildungsfernen Sektor
hervorbringen. Es muß ja immer ein Kind unter drei da sein, damit die Mütter
dem Arbeitsmarkt entkommen können. Von der Leyens Zulagen für dritte
und weitere Kinder dürften die Entscheidung gegen elterliche Eigenverantwortung
noch profitabler machen. Ein beamtenähnlicher Status als Berufsmutter mit
staatlicher Alimentierung bis zum Lebensende muß dann kein mehr Traum bleiben.
Schon 2007 leben 2,6 Millionen Kinder von Sozialtransfers, während es im
viel ärmeren und überdies abtreibungsfeindlichen Jahr 1965 gerade mal
160.000 waren. (Ebd.).II. Strategie.Gibt
es andere Optionen als staatliche Anreize für mehr Bildungsferne? Man könnte
sich anschauen, wie vier technologische Spitzennationen, die ob ihrer geringen
Geburtenraten eigentlich bald verschwunden sein sollten, dennoch wachsende und
zudem besonders intelligente Bevölkerungen aufweisen. Es geht um Singapur
(1,08 Kinder pro Frauenleben; Durchschnitts-IQ 107), Hongkong (1,0 Kinder; IQ
106), Taiwan (1,1 Kinder; IQ 108) und Kanada (1,57 Kinder; IQ 102). Diese Territorien
mit knapp 70 Millionen Einwohnern sind Pioniere beim demographischen Ausschlachten
der Volksrepublik China (1,7 Kinder), das trotz geschlossener Schulen und Lehrerabschlachtungen
unter Mao beim IQ immer noch mit 107 glänzt. Die vier Chinaprofiteure ähneln
Österreich und der Schweiz, die wiederum als wenig beachtete Kleine
beim Absaugen der Besten aus Deutschland vorne liegen. Insgesamt gibt es
bereits 65 Staaten unterhalb der Nettoreproduktion von 2,1 Kindern pro Frauenleben.
Keiner von ihnen kann bei der gegenseitigen Kannibalisierung für Talente
nicht mitmachen. Sie können lediglich daran arbeiten, auf der anzapfenden
und nicht auf der angezapften Seite zu landen. (Ebd.).China
wird in der Tat alt, bevor er reich wird, was seine intelligenten Bewohner so
gut verstehen, das schon jetzt eine Million pro Jahr in Länder mit oberen
Rängen in der globalen Innovationskonkurrenz streben. Dort können sie
noch am ehesten eine eigene Altersversorgung aufbauen. Bei einem Abwandernden
auf 1300 Einwohner pro Jahr gegen einen auf 500 in Deutschland scheint
das ein geringer Aderlaß zu sein, aber er wird umso kräftiger, je mehr
junge Leute ihre prekäre Lage begreifen. In China mag das schneller gehen
als hier, denn beim demographisch fundamentalen Verhältnis zwischen 15-19-jährigen
Jungen und 0-4-jährigen Mädchen, die ja allein einmal die Kinder bekommen
können, liegen die Asiaten wegen häufigerer Tötung weiblicher
Föten mit 100:65 sogar noch hinter Deutschland mit 100:71. (Ebd.).Chinas
Geburtenlücken und Abwanderungen sorgen dafür, daß sein Durchschnittsalter
2050 bei 51 Jahren liegt. Die Westeuropäer sollen dann mit 49,5 Jahren kaum
jünger sein und selbst bei Maximalerfüllung der Träume von
Elitezuwanderern bei den Arbeitsfähigen von 200 auf 160 Millionen
absinken (830 auf 730 Millionen in China). Hingegen wird der US-Konkurrent, der
schon heute bald 4 Millionen Chinese Americans beherbergt, im Durchschnitt jünger
als 40 sein und seinen Bevölkerungsrückstand auf China um 80 Millionen
verringern (1330:300 Millionen 2005 gegen 1370:420 im Jahre 2050). Bei den Arbeitsfähigen
werden die USA von 180 auf 230 Millionen zulegen. Nach dem 2008er 20-Millionen-Rückstand
auf die 200 Millionen Arbeitsfähigen Westeuropas, die dort Weltmachtsphantasien
beflügeln, werden die Amerikaner auf einen Vorsprung von 70 Millionen davonziehen.
Dieses 2050er Verhältnis von 230 (USA) zu 160 Millionen (Westeuropa) mag
für die Alte Welt noch viel zu optimistisch aussehen, weil wiederum unterstellt
wird, daß ihre Tüchtigsten einfach in der Falle sitzen bleiben und
die Einladungen nach Seattle oder Boston ausschlagen. Davonziehen wird Westeuropa
lediglich bei der Softpower: 2050 werden hier knapp 100 Millionen Rentner gegen
dann 85 Millionen in den USA stehen. (Ebd.).In Kanada (33
Millionen Einwohner) sorgen 1,4 Millionen Chinesen dafür, daß es als
erstes Land der Welt bei den Kindern der Zuwanderer mehr Intelligenz mißt
als beim Nachwuchs der Alteingesessenen. Hätte Deutschland (83 Millionen
Einwohner [wenn die Dunkelziffer berücksichtigt würde,
dann: mehr als 100 Millionen! HB]) vergleichbar gehandelt, gäbe es
zwischen Maas und Oder fast 4 Millionen Han. Allein im Ruhrgebiet hätten
die ein halbes Dutzend kleine Shanghais aufbauen können. Statt dessen liegen
nirgendwo auf der Welt Einwandererkinder beim Schulerfolg so weit unter den einheimischen
wie in Deutschland. (Ebd.).Gewiß, auch in Kanada gibt
es scheele Blicke auf Fremde. Die weichen aber schnell einem zufriedenen Schmunzeln
darüber, daß die einen keineswegs 25000 Euro kosten, sondern später
sogar versorgen werden. Ein preiswerteres und obendrein einträglicheres Mittel
gegen Ausländerfeindlichkeit ist schwer vorstellbar. Die kommt nur selten
als Rassismus daher, sehr oft aber als Widerstand dagegen, Schulversager ferner
Länder versorgen zu müssen. Je leistungsfähiger die Zuwanderer
antreten, desto irrelevanter wird ihre Hautfarbe. Nicht Rassismus steuert Kanadas
Einwanderungspolitik, ein Art »Intelligenzismus« aber schon.
(Ebd.).Ganz schlecht stehen die ostasiatischen Optionen für
Deutschland nicht. An seinen Universitäten besetzen 25.000 Chinesen unter
ausländischen Studenten Platz eins. Wer mit dem Pfund einer »gelben
Erlösung« allerdings erfolgreich wuchern will, muß den chinesischen
Standardtraum von einem späteren Leben in Nordamerika im Auge behalten. So
berichten niederländische Kollegen, daß die Technische Hochschule Delft
direkt und teuer in China Studenten rekrutiert und dann mit ansehen muß,
daß die nach dem Examen oft nicht zu Philips, sondern nach Kalifornien gehen.
Auch ein japanischer Griff nach dem chinesischen Rettungsring hätte mit demselben
Problem zu kämpfen. (Ebd.).Das Festhalten mehr noch
als das Anlocken von Eliten lenkt den Blick auf bisher gänzlich unerprobte
Verfahren der Bevölkerungsstabilisierung. Da in besagten 65 Ländern
vor allem das zweite und nicht selten sogar das erste Kind der Karrierefrauen
fehlt, nicht aber das dritte oder gar sechste der Bildungsfernen, kann man die
Steuergelder der Bürger so konzentrieren, daß es Prämien nur noch
für ein zweites Kind gibt. Alle Mittel für erste sowie dritte und weitere
Kinder würden dabei umgeleitet auf das zweite Kind. Das ergäbe schon
aus den heutigen deutschen Budgets eine fast sechsstellige Eurosumme, die
wie Peter Mikolasch bemerkt hat bei Zwillingsmüttern sogar schon beim
ersten Sprößling anfallen. (Ebd.).Eine so fokussierende
Sozialpolitik streicht die öffentliche Fürsorge nicht, begrenzt sie
allerdings, woraufhin die Schulversager der Welt hier auch nicht mehr ihr Heil
suchen. Mit einem derart gezielten Einsatz von Steuergeldern hätte man sogar
Kanadiern und Australiern etwas voraus und müßte das auch, wenn man
Talente hierher umleiten will. Diese Anglos offerieren ja als einzige Verlockung,
daß man so Alter (unter 44) und Bildung stimmen herein darf,
um die Produktions- und Sozialsysteme der neuen Heimat zu stützen. Die Familienbildung
wird vor allem dadurch angereizt, daß man von 100 Einkommen 70 bis 80 und
nicht nur 40 bis 60 in der Tasche behält. (Ebd.).Der
üppige Betrag für ein zweites Kind könnte sich nebenher auch als
Mittel gegen hiesiges Schulversagen erweisen. Da er auch an Bildungsferne ginge,
erhielten deren Zöglinge erstmals eine Chance. Daheim mußten sie nur
noch mit einem geschwisterlichen Rivalen um die so intelligenzrelevante elterliche
Zuwendung konkurrieren. Weitere Konkurrenten gäbe es nicht mehr. Und das
würde niemanden schmerzen. Denn anders als bei realen Schulversagern entsteht
durch ihr Ungeborensein niemandem ein Schaden. Draußen könnten Migrantenkinder
auf ehrliche Integrationsangebote rechnen. Denn man würde nicht mehr skeptisch
und lustlos Kümmerungsappellen der Politklasse folgen, sondern angesichts
des zu verdienenden Geldes diesen Kindern hochklassige pädagogische Dienste
anbieten. (Ebd.).
Gespräch im Philospohischen Quartett (TV-Sendung; 25.10.2009):
Halbzeit der Krise? **
Die
Krisen von 1929 und von 2008 sind beide noch nicht verstanden. Bei der Bekämpfung
werden aber unterschiedliche Fehler gemacht. Und die aktuell gemachten Fehler,
also den Zins jetzt fast aller wichtigen Zentralbanken auf Null zu setzen, sind
heftigere Fehler als die von 1929 bis 1933. (Ebd.).Nur die
Banken machen diese Gewinne, und die Summen sind ohne jeden Kontakt mit dem Sektor,
in dem geleistet wird - das sind die Firmen und die Arbeitskräfte.
(Ebd.).Die achtzig Nobelpreise für Ökonomie sind auf
eine Lehre gefallen, die das Wirtschaften nicht versteht. (Ebd.).Die
Verhaltensökonomen unterscheiden sich eigentlich nicht ... von ... Neoklassikern
und auch von ... Marxisten. Sie schauen alle auf den Markt und glauben, am Markt
sei etwas schief gegangen. Man kann den Markt nicht am Markt heilen. Denn der
ist etwas Nachgeordnetes. Ich kann auf einem Markt nur etwas für 100 Euro
anbieten, wenn vorher diese 100 Euro geschaffen worden sind in einem Kreditkontrakt,
in dem ein Eigentümer Eigentum besichert, um Geld zu schaffen, weil ein anderer
Eigentümer Eigentum verpfändet, um den Kredit zu besichern, über
den er das Geld bekommt. .... Und wenn wir den Finanzsektor, von dem der Markt
ein »Kind« ist - der Kaufkontrakt ist ein »Kind« des Kreditkontrakts
-, wenn wir den Kreditkontrakt nicht verstehen, dann können wir nicht den
Markt verstehen. (Ebd.).Was wir erleben, ist, daß die
Regierungen in allen Ländern jeden Tag eine neues Gesetz unterschreiben für
mehr »Feuerlöscher« auf den Märkten und zugleich mit der
linken Hand immer mehr »Brandbeschleuniger« aus den Zentralbanken
- dieses »Null-Zins-Geld« - in dieselben Märkte schmeißen.
(Ebd.).Wir sind ja in einer Situation, wo Zentralbanken die Märkte
zerstören, wo sie die Geschäftsbanken verlocken in dieses Null-Geld
- die Firmen fragen es nicht nach oder können es nicht nachfragen -, und
mit dem Geld wird gespielt. Und wir hören jetzt gleichzeitig, daß die
Finanzaufsicht, die Bankenaufsicht in die Hand der Zentralbanken kommen soll.
Also: Nie ist mehr Bock für einen Gärtner vorgeschlagen worden, als
daß die Zentralbanken, die die »Null-Zins-Politik« fahren, jetzt
die Banken überwachen sollen und die Finanzaufsicht. Umgekehrt wird ein Schuh
daraus: Wie brauchen eine Bankenaufsicht für Zentralbanken - eine globale.
Und das ist einfach, denn es gibt nur 20, 25 ernst zu nehmende Zentralbanken.
Das hätten die G20 in Philadelphia anfassen können. Das war nicht mal
als Tagesordnungspunkt auf dem Tisch. (Ebd.).Der Fehler -
der Denkfehler - ist, daß sie die Krise nicht verstehen, daß sie nicht
verstehen: nach einer Krise sind die Eigentumspreise gefallen, und Pfänder
in der Wirtschaft sind nicht mehr da. Und deshalb nutzt es nichts, wenn sie den
Zins 'runterfahren. (Ebd.).Die Zentralbank hat die Geschäftsbanken
dazu verführt, Leuten ohne Pfand Kredit zu geben. (Ebd.).Diese
20 Millionen Amerikaner, die für 60 Millionen Menschen stehen - einmal die
Bevölkerung Frankreichs oder Italiens -, die hat man vorher mit der Maschinenpistole
vor der Bank weggejagt. Jetzt hat man ihnen die Bank aufgemacht und hat gesagt:
»Wir haben kalkuliert. Wenn zehn von euch die Hypothek aufnehmen und einer
oder zwei verlieren, dann bleibt für uns noch was ... übrig, weil: wir
haben diesen geringen Zins.« Ohne diesen Zins wäre das Spiel nicht
begonnen worden. Wenn das Spiel begonnen wird, dann ist klar, daß das Hauptkonsumgut
der Menschen in den Eigentumsgesellschaften - das Haus - ... vorne steht. Da ist
einmal die Bevölkerung Frankreichs behaust worden, ohne daß sie's bezahlen
kann. .... Die 20 Millionen, die jetzt gebaut haben und das nicht bezahlen können,
haben diese 20 Millionen Häuser auf die Märkte geschmissen. .... Und
60 Millionen Amerikaner, die brav ihre Hypotheken bedienen konnten, können
die jetzt nicht mehr bedienen, weil ihre Hypotheken durch dieses Zusatzangebot
'runterfallen. Das kostet 500000, das Haus, und sie haben ein Kredit von 500000,
jetzt kostet es noch 350000, und der Kredit ist 500000. Das heißt: In dem
Prozeß ist ja enorm vielen Amerikanern die Behausung genommen worden.
(Ebd.).Der Zentralbanker ... kann den Gewinn der Zentralbank an
den Sozialminister überweisen, und der gibt das als Sozialhilfe und Miethilfe
an die Leute weiter, die jetzt in dieser Situation ein schweres Schicksal erleiden.
Das wäre die Aufgabe der Zentralbank. Es ist nicht die Aufgabe der Zentralbank,
Sozialpolitik zu machen. Und das wollen die. Und einer der Sozialpolitik machen
will, darf niemals auf den Sessel einer Zentralbank. (Ebd.).Als
die Amerikaner auf »Null-Zins« gingen, haben sie das schneller gemacht
als die Europäer .... Wenn die Euro-Länder jetzt einen Zentralbankzins
von Null haben, dann liegt das nicht daran ..., daß unsere Zentralbanker
die Bankregeln nicht kennen - die kennen sie -, aber sie sagen: »Ich kann
ja nicht den amerikanischen Banken einen Null-Zins erlauben und unseren
Banken vier Prozent abnehmen. Dann fallen die aus der internationalen Konkurrenz
heraus.« Diese Abwärtsspirale in den Zentralbankzinsen, die ist natürlich
einer solchen Konkurrenz geschuldet. Und wer zuerst den Schachzug macht, der hat
mehr seine eigenen Banken geschützt als der andere, der später ... dann
seine Banken schützen kann. (Ebd.).In Amerika sind es
fünf Dollar ..., die aus der Zentralbank 'rauskamen: von denen kam ein Dollar
in der sogenannten »Realwirtschaft« an, von der wir hoffentlich jetzt
verstanden haben, daß es die nicht gibt, sondern daß die immer das
»Kind« der Kreditverträge ist. (Ebd.).Die
ganz Reichen ... haben gesagt in der Krise: »Wir fallen von 100 auf 20.
Wir wollen aber nur auf 90 fallen«. Dann haben die Regierenden gesagt: »Was
zwischen 90 und 20 ist, die 70, die zahlt der Mittelstand. Und da der kein Geld
hat, verschulden wir den Mittelstand in seiner Figur als Staatsbürger.«
.... Als »Staatsbürger« verschuldet sich die Regierung .... Und
in diesem Schritt haben jetzt alle Systeme Belastungen. Der EU-Raum geht von 66%
auf 84%, die USA gehen von 66% auf über 90% Staatsschulden. Aber:
Wer kann die bedienen? Und da hatten wir kürzlich eine ... Debatte mit Herrn
Sarrazin, der in der Bundesbank sitzt und sagt: »Es kommt auch auf's Personal
an, das nachwächst, ob man noch Schulden bedienen kann.« Und jetzt
schauen wir die Situation noch 'mal anders an: Da fällt Deutschland - nehmen
wir nur Deutschland jetzt: Exportweltmeister! - von 83 Millionen auf 73 Millionen
Menschen ..., Amerika legt aber zu um 140 Millionen Menschen, während wir
um 10 Millionen abnehmen. Das heißt: Amerika kann eine ganz andere Staatsschuld
schultern, weil Leute nachwachsen, die einaml diese Schulden bedienen können.
Die werden mehr und nicht sehr viel älter und vielleicht klüger. Wir
werden weniger, dümmer und älter .... (Ebd.).Man
hat geglaubt, und das sind auch die Änderungsvorschläge ..., man hat
geglaubt, man kann eine »Investment«-Bank, die ja nur mit diesem »Spielgeld«
gearbeitet hat und kaum Firmenschuldner hatte, man hat gesagt, ich kann die kippen
lassen und zugleich die »Retail«-Banken, ... die die Kredite an die
Firmen geben, die laß ich leben. Der Gedanke ist ja im Kern nicht falsch.
Nur was man gleichzeitig hätte tun müssen und auch in Deutschland nicht
getan hat, ich mach's an Deutschland: Die 100 Milliarden, die jetzt die »Bankenrettungen«
gekostet haben, die hätte man nehmen können, um eine »Gute Bank«,
eine »good bank«, eine »anständige Bank« auszustatten.
100 Milliarden Eigenkapital, die erlauben Ausleihungen von 1 Billion. Das wäre
mehr als alle anderen Banken gewesen. Und dies in Kombination mit der Einlagengarantie
der Kanzlerin, die ja richtig war, hätte also diese »starke Bank«
leben lassen, und alle Firmen, die jetzt verpfändungs- und verschuldungsfähig
sind, hätten einen Ansprechpartner gehabt, den auch die verschuldungsfähigen
Firmen bei den Banken nicht mehr hatten, weil deren Eigenkapital 'runtergefahren
war und die bestimmte Ausleihungsgrenzen nicht mehr schaffen konnten. (Ebd.).Das
wäre möglich gewesen, diese »Gute Bank« hinzustellen. Aber
man hätte das System verstehen müssen. Und das größte systemische
Risiko war nicht die Lehman-Bank. Das größte systemische Risiko ist
bis jetzt, daß das System nicht verstanden wird. (Ebd.).Es
ist so einfach. Natürlich. Und sie haben zugleich eine Volksbank, bei der
das Volk verdienen würde. Und jetzt haben sie also da so und so viel Milliarden
zusätzliche ... Schulden für diese 25 Millionen ... aufgenommen, die
überhaupt noch volle Steuern zahlen - es ist ja nur noch ein Bruchteil derer,
die arbeiten gehen. Aber ich hätte es verstehen müssen. Ich hätte
sagen müssen: Aha, da ist 'ne »Investment«-Bank. Ich will
doch, man wollte doch die Firmen und die Arbeitskräfte schützen. ....
Das ist doch ein gutes Ziel. .... Ich muß eine Bank haben, an der die Firmen
Kredit bekommen, jedenfalls, wenn sie ... noch was zu verpfänden haben. Die
Bank muß ich schaffen. (Ebd.).Man kann eine Standardkrise
als Standardkrise erhalten und nicht in eine Megakrise umsetzen. .... Man hat
die Standardkrise nicht verstanden. Und weil man die Standardkrise nicht
verstanden hat und gedacht hat, mit Null-Zins kann man die heilen, hat man diese
Riesen-Vergiftung gemacht und eine Megakrise gemacht. (Ebd.).Wir
erreichen viel, wenn wir eine Standardkrise als Standardkrise laufen lassen und
für die Opfer eine anständige Sozialpolitik machen und nicht das Finanzsystem
zerstören, von dem, wie gesagt, unsere Marktwirtschaft ein »hilfloses
Kind« ist. (Ebd.).Wirtschaften wird vorangetrieben,
weil ich ein Eigentzum im Preisverfall schützen muß. Ob ich ein Gieriger
bin oder ein Lieber: Ich muß das machen. Dann muß ich investieren.
Dann muß ich mich verschulden. Und wenn ich das nicht verstehe und sehe
das, daß da alle Leute auf einmal Schulden aufnehmen und investieren, um
Gewinne zu machen, dann sage ich: ».... Die wollen den Verfall ihres Eigentums
auf Null verhindern.« Wie Sie, wenn Sie ein Haus haben, sagen: »Jetzt
muß ich die Schulden aufnehmen für's neue Dach, sonst fällt mein
Hauspreis so weit 'runter, daß ich's nicht mehr loswerden kann.« Es
ist derselbe Mechanismus. (Ebd.).Es gibt keine »Realwirtschaft«.
Es gibt nur verschuldete Unternehmen, die versuchen, diese Schulden zu decken,
und beim Decken dieser Schulden schaffen sie Märkte. Märkte sind - ich
wiederhole mich -, Kaufverträge sind »Kinder« von Kreditverträgen.
(Ebd.).Und wenn in dieser Sphäre, in der Kredite geschaffen
werden, auf einmal die Bedingungen der Kreditschaffung nicht mehr eingehalten
werden, weil a) der Unternehmer, der jetzt eine Modernisierungsinvestition
durchsetzen will, der kommt gar nicht an diesen Tresen heran, und b) die
aber herankönnen - jetzt sind's wieder die Banken »Safranski«
und »Heinsohn« (als Beispiele; HB)
-, wir reiben uns die Hände und sagen: »Ist ja ein Wunder für
Null kriegen wir das! Irgendwo werden wir damit schon einen Gewinn machen!«
Da ist dann die Abtrennung von den verschuldeten Firmen eingetreten. Wir machen
jetzt andere Schulden, um irgendetwas damit zu gewinnen. Wir kaufen auf Preissteigerungen,
wir investieren in Preissteigerungen und nicht in Produktionssteigerungen und
nicht in Produktionsmodernisierungen, wohin ein Unternehmen investiert. Wir investieren
nur in Preissteigerungen und sagen: »Das können wir auch
so lange machen, wie die aus den Zentralbanken immer nachschieben.« Das
heißt: Die Zentralbanken haben es geschafft, daß die Geschäftsbanken
nicht mehr in Kontakt stehen mit ihren gewöhnlichen Firmenschuldnern. Das
ist eingetreten. (Ebd.).Unterschätzen Sie die Banker
nicht. Wenn z.B. Prince sagt: »Entschuligen Sie, meine Leute, ich muß
so lange tanzen, wie die Musik spielt. Wenn ich als Bank dieses Null-Zins-Geld
nicht nehme, und die Aktionäre meiner Bank kriegen das mit - die stoßen
morgen die Aktien dieser Bank ab und kaufen Aktien der Bank Safranski,
weil der Safranski mit diesem Null-Geld 'was unternimmt
und der Heinsohn einfach stillsitzt und sagt: Das kann nicht gut gehen.«
Natürlich, wir wissen beide: Es kann nicht gut gehen. Aber so lange noch
ein größerer Idiot in den höheren Preis geht, sind wir ja gut
'raus. (Ebd.).Das ist ein didaktisches Problem. Aber, wie
gesagt, wenn ... erstklassige Leute ... sagen, wir verstehen das Wirtschaften
nicht, wir haben 'n Modell, das kennt nur Teilelager, Firmen sind Teilelager,
und die tauschen Schrauben so lange miteinander aus, bis 'was geschraubt werden
kann, und eine Schraube wird zum Geld gemacht - das ist die herrschende Lehre
(!), 's klingt so dumm, aber darauf sind die 80 Nobelpreise gefallen (!) -, wenn
die sagen, wir verstehen nicht, und gehen dann weiter zur Tagesordnung über,
und der Kollege ... sagt, aber ich werde nachgefragt mehr als je zuvor, ich kann
reden mehr als je zuvor .... (Ebd.).
Wie man mit viel Geld Armut vermehrt (in: Die Welt, 9. Februar 2010) **
Am
22. August 1996 unterschreibt Bill Clinton im Einklang mit den Republikanern ein
Gesetz, das den überkommenen Sozialstaat abschafft. Bis dahin war Clinton
noch das Idol der us-amerikanischen Linken, jetzt schallt ihm überall »Rassist!«
entgegen. Warum tut der Präsident das? Der Sozialstaat verhält sich
widersinnig, ja regelrecht absurd. Obwohl USA pro Kopf immer reicher wird und
immer höhere Summen an seine Armen überweist, geraten immer mehr Menschen
in Armut. Dabei soll das seit 1935 geltende Familiengesetz unschuldig in Not geratene
Mütter befähigen, auch weiterhin die Erziehung ihrer Kinder abzusichern.
Schützen soll es die kinderreiche Witwe eines vom Gerüst gestürzten
Dachdeckers oder eines sonst wie ums Leben gekommenen Ernährers. (Ebd.).Auffällig
wird dieses Gesetz erst in den 1960er Jahren, als junge Frauen vor den Staat treten
und für sich und ihren minderjährigen Nachwuchs Geld fordern, obwohl
bei ihnen niemand vom Gerüst gefallen ist. Lediglich die Namen der Väter
sind ihnen entfallen. Das wohlgemeinte Gesetz wird für die Steuerzahler plötzlich
zur Falle. Sie durchschauen die Mütter, können aber doch die Neugeborenen
nicht ohne Schutz lassen. Grimmig also zahlen sie auch an diese Frauen. Die aber
hören dann mit dem Kinderkriegen nicht auf, um es für die bestmögliche
Erziehung der schon vorhandenen einzusetzen, sondern bekommen weitere Kinder.
Für den Steuerzahler verdoppelt sich die Rechnung. Zugleich verschlechtern
sich die Entwicklungschancen der bereits vorhandenen Kinder und die der neuen
gleich mit. Um der wachsenden Bildungsferne zu begegnen, werden die staatlichen
Hilfen erhöht, was noch mehr Neugeborene nach sich zieht. Hilfe gibt es am
Ende vor allem für Frauen, die durch Vermehrung nach Einkommen streben.
(Ebd.).Die demographischen Auswirkungen erweisen sich als ungemein
wuchtig. Während 1964 lediglich eine Million von Müttern geführte
Familien mit vier Millionen Mitgliedern Sozialhilfe beziehen, explodiert ihre
Zahl bis 1994 auf fünf Millionen Haushalte mit 14 Millionen Menschen. Das
sind zwar nur fünf Prozent aller US-Amerikaner unter 65 Jahren, aber die
zehn Millionen Kinder unter ihnen stellen bereits zehn Prozent aller us-amerikanischen
Kinder. (Ebd.).USA schafft sich ein regelrechtes Proletariat,
also eine schnell wachsende Minderheit, die sich nur über proles -
lateinisch für Kinder - finanziert. Angesichts dieser
Lage formuliert Charles Murray in seinem Buch »Losing Ground« (1984)
sein heute berühmtes - damals aber auch verteufeltes - Gesetz, daß
Versorgungszahlungen an Sozialhilfemütter ihre Kinder nicht besserstellen,
sondern lediglich immer mehr von Sozialhilfe abhängige Mütter und Kinder
hervorbringen (**). (Ebd.).In
Staaten wie Kalifornien oder New York, die »linksprogressiv« regiert
werden und besonders großzügig auszahlen, wird Murrays Befund am härtesten
bestätigt. Die beiden Staaten stellen 1995 weniger als 20 Prozent der us-amerikanischen
Bevölkerung, beherbergen aber fast 30 Prozent aller für Staatsgeld geborenen
Kinder. Nahezu ein Viertel aller Babys werden in diesen beiden Staaten direkt
in die Sozialhilfe geboren. In New York führt das - trotz wachsender Einwohnerschaft
der Gesamt-USA - zu Bevölkerungsrückgang, weil steuerkräftige Bürger
aus dem Staat fliehen. Zur Verbitterung der Progressiven laufen die für ihre
großzügigen Gesetze vorgesehenen Zahler einfach davon. (Ebd.).Clinton
bekommt von seinen Kritikern zu hören, Armut sei farbig, weiblich und kindlich.
Sie treffe also die Schwächsten überhaupt, und gerade die greife der
einst so verehrte Präsident an. Mitte der 1990er Jahre sind von 100 US-Amerikanern
zwölf schwarz, aber unter 100 Sozialhilfebeziehern sind es 37. Weil ein Viertel
aller schwarzen - und übrigens auch 20 Prozent aller hispanischen - Mütter
vom Steuerzahler leben, entsteht der Eindruck eines Rassenproblems. Aber 75 Prozent
aller schwarzen Frauen kommen - wenn auch mit eher einfachen Arbeiten - ohne Staatshilfe
zurecht. Es geht also nur zum Teil um Unterschiede der Hautfarbe. Als gewichtiger
erweisen sich Unterschiede in der Leistungsorientierung. Die schwarzen Frauen
auf Sozialhilfe sind jünger, bildungsärmer und kinderreicher als ihre
»Schwestern«. Gegen ihre beamtenähnliche Versorgung auf Lebenszeit
empören sich deshalb schwarze Steuerzahlerinnen nicht weniger als hispanische,
weiße oder solche koreanischer und chinesischer Herkunft. (Ebd.).USA
fürchtet um seine Zukunft. Denn viele Töchter der Sozialhilfefrauen
bereiten sich ihrerseits auf ein kinderreiches Leben auf Sozialhilfe vor. Die
Söhne sind oft noch weniger qualifiziert als die Mädchen, weshalb sie
die Steuergelder für ihre Mütter und Schwestern nicht verdienen können.
Stärker noch beunruhigt, daß sie bei einem Anteil von nur zehn Prozent
aller Jungen über 50 Prozent aller jugendlichen Gewalttaten begehen. Die
Sozialhilfe eröffnet Karrieren also nur für die Mädchen, die beizeiten
schwanger werden, um selbst Ansprüche aufbauen zu können. Die Jungen
hingegen können durch schlichtes Nachwuchszeugen keine Versorgung erlangen.
Doch haben wollen verständlicherweise auch sie alles. Der Schritt in die
Kriminalität ist dann nicht weit. (Ebd.).Was nun unternimmt
Bill Clintons Gesetz gegen eine schnell zunehmende Jugend, die nicht ausbildungsfähig
ist und ihre zahlenden Mitbürger mit Gewalt bedroht? Ab 1. Januar 1997 kürzt
es körperlich gesunden US-Amerikanern den bis dahin lebenslangen Rechtsanspruch
auf Sozialhilfe auf fünf Jahre. (**).
Diese Entscheidung wird flankiert durch Trainingsprogramme für Mütter
und Tagesstätten für ihren Nachwuchs. Entscheidend aber wirkt die Obergrenze
von fünf Jahren. Die können am Stück oder in Raten genommen werden,
damit selbst mehrere echte Notlagen abgefangen werden können. (Ebd.).Wieder
passiert etwas scheinbar Widersinniges. Obwohl US-Amerika seine Ausgaben gegen
Armut herunterfährt, nimmt die Zahl der Armen nicht etwa zu, sondern ab.
Erhalten am Vorabend des Gesetzes im Jahre 1996 noch 12,2 Millionen Bürger
Sozialhilfe, so sind es 2005 nur noch 4,5 Millionen. Die Clinton-Kritiker dagegen
prophezeien eine massive Zunahme der Fälle. Die aber bleibt aus. Die Zahl
der Neuanträge sinkt. Charles Murrays Erkenntnis, daß man mit steigenden
Ausgaben für mittellose Familien ihre Zahl noch vermehrt, funktioniert auch
in der Gegenrichtung. (**). Werden die
Prämien für Kinder von Sozialhilfebezieherinnen wieder abgeschafft,
wird für solche Anreize auch nicht mehr geboren. (Ebd.).Das
behauptete Rassenproblem scheint gleichwohl nicht geschwunden. Denn auch unter
den verbleibenden Hilfeempfängern sind Afroamerikaner mit 36 Prozent dreimal
häufiger und Hispanier mit 24 Prozent zweimal häufiger vertreten, als
es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Weiße hingegen machen mit 33
Prozent nur die Hälfte ihres Bevölkerungsanteils aus, während aus
Korea, Japan und China stammende US-Amerikaner so gut wie niemals etwas beanspruchen.
(Ebd.).Am meisten überraschen die Schwächsten, also die
armen Kinder. Für sie hatte man das Schlimmste angekündigt - vom Schlafen
im Straßengraben bis zum Verhungern. Das unterbleibt schon deshalb, weil
alle für Steuergeld geborenen Kinder ja auch weiter versorgt werden. Doch
ihre absolute Zahl nimmt umgehend ab. Warum? Das Recht, jedes weitere Kind aus
den Geldbörsen der Nachbarn zu finanzieren, existiert nicht mehr. Daraufhin
werden auf solche Mittel gezielte Kinder gar nicht erst geplant. Schon die bloße
Ankündigung des Gesetzes bewirkt, daß sich zwischen 1994 und 1996 über
500000 us-amerikanische Familien aus der Sozialhilfe verabschieden. Die Verwandten
machen Druck. Denn an sie würde sich nun wenden müssen, wer weiter auf
fremde Kosten leben wollte. »Den Steuerzahler kannst du meinetwegen abzocken,
aber versuch nicht, mit neuen Gören bei mir zu landen«, heißt
es jetzt derb, dafür aber auch sehr eingängig. Anders kann es nicht
sein. Vom bisherigen Recht, sämtliche Steuerzahler für meine Kinder
in Zahlungspflichten nehmen zu dürfen, ist nur noch das Recht gegenüber
solchen Steuerzahlern geblieben, die meine Verwandten sind. (Ebd.).Nur
wenigen entsteht durch Clintons Reform ein Schaden. Viele aber gewinnen. Die Bürger
dürfen mehr von ihrem Verdienst behalten. Ihre Angst vor Kriminalität
weicht. Bildungsferne Jungen, die über Gewalt nach oben streben, werden kaum
noch gezeugt. Eine bedauernswerte, weil hoffnungslose Jugend wächst schlicht
nicht mehr heran. Ungeborene können niemandem einen Baseballschläger
über den Kopf ziehen, aber sie können auch von niemandem erniedrigt
oder beleidigt werden. Vor allem die schlechter verdienenden Minderheiten können
aufatmen. Ihre Gettos brennen nicht mehr. Und die Sozialhilfemütter von gestern
können durch Erwerbstätigkeit ein Stück Selbstachtung zurückgewinnen.
(Ebd.).Auch die Einwanderung in die Sozialhilfe hört auf,
weil den Suchern nach solchem Heil schlicht nichts mehr angeboten wird. Im Gegenzug
fliehen die Leistungsträger nicht mehr. Ihre Gemeinden blühen wieder
auf. Wer in den 1980er und 1990er Jahren das immer mehr verrottende New York besucht
hat und heute wieder in die Metropole kommt, könnte an ein Wunder glauben.
Neben der Politik des Bürgermeisters Rudy Giuliani hat Bill Clintons Gesetzesänderung
einen Beitrag zu der neuen Blüte geleistet. Die Zahl der Morde sank von 1990
bis 2009 um fast 80 Prozent, von 2245 auf 461. Das spricht sich global herum.
Mehr als je zuvor streben tüchtige junge Menschen aus der ganzen Welt in
den Big Apple. Auch Los Angeles und Chikago melden drastische Rückgänge
der Gewaltkriminalität. (Ebd.).Wo die hartgesottenen
Rassisten sitzen, wird nach Clintons glücklicher Reform ebenfalls deutlich.
Sie unterteilen sich in zwei Gruppen. Die eine steht eher rechts und hält
die Sozialhilfemütter für parasitär, durchtrieben und sexuell verkommen.
Dabei handeln diese Frauen genauso rational wie andere Subventionsempfänger
auch. Wenn mir der Staat Geld anbietet, wäre ich dumm, es nicht zu nehmen.
Clinton versteht das. Deshalb beginnt er keinen moralischen Kreuzzug, sondern
ändert das Gesetz - und zwar für alle. (Ebd.).Die
zweite Gruppe steht eher links und argumentiert im Grunde noch verachtender. Sie
betrachtet die Sozialhilfemütter als hilflose Personen, die selbst einfachste
menschliche Verrichtungen nicht hinbekämen. Deshalb müsse mehr Geld
her für immer größere Schutzheere von Sozialarbeitern. Rechte
wie linke Rassisten werden von den Sozialhilfemüttern umgehend Lügen
gestraft. Sie können Schwangerschaften nämlich genauso gut verhüten
wie ihre Karriere-»Schwestern«. Gleich nach Inkrafttreten des neuen
Gesetzes verwenden auch sie das gesamte Arsenal der Geburtenkontrolle. Im einst
besonders hart betroffenen Kalifornien liegen afroamerikanische Frauen heute bei
nur noch 1,7 Kindern. Sie erreichen nicht einmal mehr die Nettoreproduktion. Seinerzeit
ehrlich besorgte und nicht nur Pfründen verteidigende Clinton-Kritiker räumen
deshalb ein, daß der Präsident viel Richtiges bewirkt hat. Und seine
Verteidiger akzeptieren, daß Sozialhilfe nicht immer »mißbräuchlich«
bezogen wird. In etwa 30 Prozent der Fälle mit 20 Prozent der Kinder handelt
es sich um wirklich unschuldig in Not Geratene. (Ebd.).Rassist«
gilt in Deutschland noch als liebevoller Anwurf gegen Kritiker von Zuständen,
die Clinton 1996 zum Handeln gezwungen haben. Gerne kommt da auch noch ein Goebbels
oder gleich ein ganzer Holocaust hinterhergeflogen. Ein Stück weit steckt
in solchen Invektiven auch Nazivergangenheit. Schwerer aber wiegt, daß Deutschlands
Interessengruppen, die aus der Armutshege stetige Gehälter beziehen, längst
größer sind als ihre Gegenstücke damals in US-Amerika. Das kann
auch gar nicht anders sein. Schließlich leben bei uns nicht nur 4,6 Prozent
der Einwohner - wie 1995 in US-Amerika - von Sozialhilfe, sondern mit elf Prozent
bereits mehr als doppelt so viele. Nicht zehn Prozent aller Kinder werden in Sozialhilfe
geboren, sondern fast 20 Prozent. Spitzenkommunen erreichen nicht wie New York
damals 25 Prozent, sondern über 70 Prozent wie im Berliner Süd-Neukölln,
über 40 Prozent im Bundesland Bremen und schon 26 Prozent selbst im noblen
Hamburg. (Ebd.).Die Zahl der von Sozialhilfe lebenden Kinder
unter 14 Jahren explodiert in Deutschland zwischen 1965 und 2009 von 120000 auf
fast zwei Millionen im April 2009. Das sind noch einmal 130000 Kinder mehr als
beim Start der Hartz-IV-Reform im Jahre 2005, die doch die Trends umkehren wollte.
Obwohl seit damals fünf Jahrgänge über das Alter von 14 Jahren
hinausgewachsen sind, verbessern sich die Zuwendungschancen der Kinder nicht.
Ganz wie damals in US-Amerika werden immer stärkere Jahrgänge direkt
in die Transfers nachgeboren. (Ebd.).1965 ist in Deutschland
die Geburtenkontrolle noch erschwert, die Abtreibung bestraft. Dennoch bleiben
Sozialhilfekinder mit 0,6 Prozent aller Kinder die rare Ausnahme. Heute ist Deutschland
um ein Mehrfaches reicher und zahlt dennoch mehr als je zuvor für seine unteren
Einkommensgruppen. Gleichwohl haben die Frauen das gesamte Programm der Verhütung
zur Verfügung. Niemand muss wegen äußerer Zwänge Kinder in
die Welt setzen. Dennoch schießt der prozentuale Anteil des Nachwuchses
auf Transfer mit jetzt 20 Prozent um den fast unglaublichen Faktor 33 nach oben.
(Ebd.).Während der Tod der Familie beklagt wird, erweist sie
sich in Hartz IV als jung und vital. Während unter den rund sieben Millionen
Hartz-IV-Empfängern unter 65 Jahren 34 Prozent jünger als 20 Jahre alt
sind, erfreuen sich in der zahlenden Gruppe mit 55 Millionen unter 65 Jahren gerade
einmal 20 Prozent solcher Jugend. Im Stillen konzediert mancher jetzt auch für
Deutschland die Gültigkeit von Murrays Gesetz, daß steigende Prämien
für bildungsferne Kinder nicht weniger und besser gebildeten Nachwuchs, sondern
noch mehr bildungsferne Kinder hervorbringen. (**).
Ungleich mehr Bestürzung bewirkt, daß mittlerweile 20 bis 25 Prozent
der gesamten Jugend nur beschränkt ausbildungsfähig ist. Unter den Hartz-IV-Kindern
sind es 40 bis 50 Prozent. Spätestens seit 2004 sind diese Zahlen bekannt.
Ein halbes Jahrzehnt später warnt der zweite Nationale Bildungsbericht der
Kultusministerkonferenz, daß dieses alarmierende Zurückbleiben immer
mehr Migrantenkinder betrifft, die Deutschlands Zukunft sind, weil ihr Anteil
in den Schulklassen jährlich steigt. Gerade die Unqualifizierten unter den
Migranten mit ihren ausgedehnten Familienclans zeigen die höchste Zufriedenheit
mit dem Leben auf Hartz IV. Hingegen wollen Einwanderer vor allem aus Osteuropa
heraus aus dem Transfersektor, wo sie sich etwa wegen Nichtanerkennung ihrer Diplome
vorübergehend aufhalten müssen. (Ebd.).In Deutschland
gibt es pro Jahr nur 700000 Neugeborene. Für die Nettoreproduktion von 2,1
Kindern pro Frauenleben wären jedoch 1,1 Millionen Geburten erforderlich.
Es fehlen pro Jahrgang also von vornherein 420000 Kinder. Zählt man zu den
Nichtgeborenen die 170000 Nichtausbildungsfähigen unter den Geborenen hinzu,
dann liegt der jährliche Fehlbestand bereits bei knapp 600000. Nun verlassen
aber seit 2004 jährlich auch noch 140000 bis 170000 junge Qualifizierte das
Land. Während damals die New Yorker vor den finanziellen und kriminellen
Lasten ihrer Heimatstadt meist nur in einen anderen Bundesstaat übersiedeln,
also US-Amerikaner bleiben, gehen die hiesigen Abwanderer gleich der gesamten
Nation verloren. Damit fehlen von den 1,1 Millionen der pro Jahr Benötigten
750000. (Ebd.).Es verbleiben pro Jahr 350000 Ausbildungssichere,
also gerade mal 30 Prozent des Bedarfs. Die deutsche Demographie rechnet mit ihnen
auch für die weitere Zukunft als festem Bestand. Da sie aber weltgewandt
sind, begreifen sie früh, daß sie als Erwachsene nicht nur 170000 unqualifizierbare
Gleichaltrige nebst Nachwuchs versorgen müssen, sondern daß jährlich
auch eine Million zusätzliche Rentner versorgt sein wollen. Selbst bei entschiedener
Vaterlandsliebe traut sich das kaum noch jemand zu. Schon 2007 träumen deshalb
87 Prozent aller deutschen Hochschulabsolventen von Karrieren im Ausland. Auch
deshalb, weil sie dank geringer Sozialverschwendung dort 70 Prozent ihres Verdienstes
behalten statt weniger als 50 Prozent hier. (Ebd.).In der
Bundesrepublik will man von Murrays Gesetz (**)
und Clintons Politik nichts wissen. Man glaubt, die Zahl der armen und bildungsfernen
Kinder anders verringern zu können. Erstens: durch noch einmal höhere
Prämien für bildungsferne Mütter sowie - zweitens - durch Kinderkrippen.
Die betroffenen Frauen sollen nicht nur für jedes Kind mehr Geld bekommen.
Zugleich sollen bildungsnahe und oftmals kinderlose Frauen ihren bildungsfernen
»Schwestern« den Nachwuchs ab dem 18. Lebensmonat viele Stunden täglich
entziehen und durch Deutschreden klug machen. (Ebd.).Daß
dies nicht funktioniert, kann man bereits heute besichtigen. Kein Bundesland lebt
seit 1945 linker ... als Bremen. Reich ist man damals ebenfalls. Heute jedoch
werden mit über 40 Prozent - Bremerhaven allein über 50 Prozent - mehr
Kinder gleich in die Sozialhilfe geboren als in den anderen Bundesländern.
Und nirgendwo wird mutiger mit Erziehungsreformen experimentiert als am Weserstrand.
Dennoch belegt das Land in den Pisa-Tests eisern und immer wieder nur den letzten
Platz. Und zusammen mit den Berlinern leiden die Hanseaten unter dem höchsten
Kriminalitätsrisiko. So leben von 100 Jungen Bremerhavens 2006 über
40 im Archipel Hartz IV. Die aber schaffen 90 Prozent der Jugendkriminalität.
Man wiederholt US-Amerikas Erfahrungen fast eins zu eins. (Ebd.).Wenn
irgendjemand in der Welt versucht, den Nachwuchs eingewanderter Schulversager
hochintelligent zu machen, dann sind das die Hanseaten. Und doch tritt ihr Scheitern
offen zutage. Das bremst ihren Optimismus nicht. Nur noch eine letzte Schippe
Geld drauf, und alles werde gut. So verspricht der regierende Bürgermeister,
das weitere Versinken der Hanseaten im Leistungsabgrund zu stoppen, wenn er nur
von den anderen Ländern mit »besseren Sätzen für Kinder bei
Hartz IV« eine letzte Chance bekomme. Das höchste deutsche Gericht
ist ganz bei ihm mit der anstehenden Erhöhung des Kindersatzes für Hartz-IV-Familien
gleich für die gesamte Republik. (Ebd.).Wenn Deutschland
überdurchschnittlich vielen Schulversagern aus aller Welt eine Heimstatt
bietet, dann könnte auch genau darin der Grund für die unterdurchschnittliche
Akademikerquote liegen. (Ebd.).Nun hat Deutschland bald zwölf
Millionen Menschen hereingeholt, unter denen höchstens zehn Prozent qualifiziert
sind. Dabei geht es nicht nur um Muslime. Denn auch frühere Zuwanderer aus
dem christlichen Südeuropa schaffen den Leistungssprung für höhere
Qualifikationen häufig nicht. Obwohl im Zeitraum 1970 bis 2003 rund 7,3 Millionen
Ausländer ankommen, stagniert die Zahl sozialversicherungspflichtiger Ausländer
bei 1,8 Millionen. Der Löwenanteil landet in den Transfersystemen. Hingegen
sind Neuankömmlinge in den klassischen Einwanderungsländern im Durchschnitt
deutlich besser ausgebildet als die Bevölkerung ihrer Herkunftsländer.
Die Zuwanderer in Deutschland dagegen verfügen über niedrigere Bildungsabschlüsse
als ihre Landsleute daheim. Deshalb haben bei der Migrationsbevölkerung mit
14 Prozent siebenmal mehr keinen Schulabschluß als bei den Einheimischen.
44 Prozent dieses 19-Prozent-Anteils der Bevölkerung bleibt ohne Berufsausbildung
gegenüber 20 Prozent bei den übrigen. (Ebd.).Deutschland
rekrutiert also vorrangig aus Milieus, die schon daheim im Leistungswettbewerb
ausgeschieden sind. Wie sollten die jenseits ihrer Grenzen plötzlich Elitepools
für Akademiker bilden? Die generöse Entscheidung, aus den zu Hause Gescheiterten
zu rekrutieren, sorgt dafür, daß die meisten Migrantenkinder in den
Pisa-Tests 100 Punkte oder zwei Lernjahre hinter den Einheimischen liegen. Und
diese Auswahl ist auch der entscheidende Grund dafür, daß jeder der
in Deutschland 40 Millionen Erwerbstätigen schon 2008 auf Zusatzschulden
von 25000 Euro für die Versorgung von Migranten sitzt. Nicht weil sie Ausländer
sind, sondern weil sie schlechter qualifiziert sind, zahlen sie in ihrer aktiven
Phase zwischen 20 und 60 Jahren weniger Abgaben, als sie an Leistungen erhalten.
(Ebd.).Andere Nationen hüten sich auch angesichts solcher
Noblesse davor, den deutschen Weg zu kritisieren. Mancher, der bei ihnen nicht
landen kann, mag den durchaus warmherzigen Tipp bekommen, es doch in Deutschland
zu versuchen. Aber diese Nationen kämen niemals auf den Gedanken, Deutschland
zu imitieren. Wenn wir - so argumentieren sie - die Zuwanderer erst durch viele
Milliarden klug machen sollen und das womöglich schiefgeht, haben wir in
der globalen Konkurrenz doch gleich verloren. Vor allem Anglo-Länder wie
Kanada und Australien gehen deshalb einen diametral anderen Weg. Er ist ganz leicht
zu verstehen. Diese Länder wollen, daß ihre Kinder gescheiter werden
als die Eltern und ihre Zuwanderer tüchtiger sind als die Durchschnittsbürger.
Schließlich sollen beide Gruppen gemeinsam das Land auch in Zukunft durch
Innovationen unter den Hightech-Nationen halten. Nur wer den Aufnehmenden etwas
bieten kann und ihnen nicht gleich in die Taschen greifen muß, darf hoffen,
von ihnen auch angenommen zu werden. Das funktioniert ohne Integrationsgipfel
und Dauerkampagnen gegen Rassismus. Eine Bevorzugung von Intelligenz pflegen diese
Länder an ihren Grenzen schon. Wer etwas kann, darf in jeder Farbe schillern.
Wer aber schon daheim nicht mitgekommen ist, darf auch mit lautstarkem Verweis
auf Haut und Haare nicht herein. (Ebd.).Alles unter 40 Jahren
wird entschlossen angelockt, solange es nur »highly skilled« ist.
Selbst Mittelschulzeugnisse reichen nur, wenn zugleich Meisterbriefe für
ausgewählte Handwerksberufe vorliegen. Hochschulreife sollte es schon sein.
Auch Absolventen aus Orchideenfächern dürfen herein. Denn wer in einer
Universität Erfolg hat, wird auch in einem fremden Land ohne kostspielige
Hilfe weiterkommen. Australien bringt es auf den Punkt: »Unser Programm
für die hoch qualifizierte Einwanderung zielt auf Menschen, die bestens ausgebildet
sind. Sie müssen Englisch auf hohem Niveau beherrschen und sehr schnell einen
Beitrag zur australischen Wirtschaft leisten können.« In Kanadas Signal
an die Talente der Welt erklingt derselbe Ton: Wir sind »an der Einwanderung
von erfolgreichen Unternehmern interessiert, die mit ihren Fähigkeiten und
ihrem Know-how einen Beitrag zum wirtschaftlichen und kulturellen Wohl Kanadas
sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten.« (Ebd.).Ist
es in Deutschland schon zu spät für den angelsächsischen Weg? Präsident
Clinton hat in US-Amerikas dynamisch wachsender Bevölkerung bei fünf
Prozent der Menschen unter 65 auf Sozialhilfe die Notbremse gezogen. Wir wissen
nicht einmal, daß es eine Notbremse gibt. Deshalb versorgt Ende 2009 die
Hauptstadt Berlin mit 16,6 Prozent mehr als dreimal so viele Leute unter 65 auf
Hartz IV. Bei 600000 Transferempfängern gibt es in der Metropole mittlerweile
weniger als 100000 Industriearbeiter. (Ebd.).Die heutigen
Deutschen haben bei einer schrumpfenden und vergreisenden Einwohnerschaft 20 Prozent
aller Kinder auf Hartz IV. In US-Amerika sind es selbst in den schlimmsten Jahren
nie mehr als zehn und jetzt unter zwei Prozent. In US-Amerika geht die jugendliche
Gewaltkriminalität durch die Reform kräftig nach unten. In Deutschland
explodiert die Zahl verhafteter 18- bis 20-jähriger Gewalttäter zwischen
1994 und 2008 von 19000 auf 37000. (Ebd.).Deshalb also Koffer
packen und nichts wie weg? Hunderttausende machen es so und raunen den Zögernden
zu: Wer unter 25 ist, etwas kann und trotzdem bleibt, ist selber schuld. Womöglich
ist es für Deutschland tatsächlich in dem Sinne zu spät, daß
selbst eine Beendigung der Sozialhilfetrends das demographische Gesamtproblem
kaum tangiert. Richtig ist auch, daß ein Kreuzzug gegen Minarette und Ganzkörperschleier
nicht aus der Misere führt. Denn hiesiger Islamismus erwächst nur selten
aus Frömmigkeit. Er dient zumeist als Schutzbehauptung für Versager
nach dem Muster »Ich bin kein Verlierer, sondern nur unten, weil man meine
Religion verfolgt, und dafür werden die Deutschen, Franzosen, Dänen
u.s.w. teuer bezahlen«. (Ebd.).Um zu verhindern, daß
sich die Situation weiter verschlimmert, wirkt nichts segensreicher als ein ganz
unideologisches Zudrehen des Geldhahns für alle, die ohne Behinderung sind
und dennoch von Sozialhilfe leben wollen. In US-Amerika wachsen seitdem keine
Gettobrandstifter mehr heran. (Ebd.).Man müßte
beim Kappen der Sozialhilfe die US-Amerikaner nicht einmal sklavisch imitieren.
Man könnte sie überbieten und statt fünf ein Maximum von fünfeinhalb
oder gar sechs Jahren Sozialhilfe anbieten. Gleichwohl wäre das Abstellen
der Sozialhilfekultur kein Allheilmittel für Deutschlands Gebrechen. Aber
ohne diesen Schritt kann das Land nur weiter abrutschen. Stoppt es hingegen den
aktuellen Kurs, läßt sich vielleicht die Abwanderung der Intelligenten
und gut Ausgebildeten verlangsamen. Überdies käme die Zuwanderung in
die Transfersysteme zum Erliegen. Sie erfolgt schon jetzt im wesentlichen über
die Familienzusammenführung, weil der freie Zuzug von Millionen gering Qualifizierten
nicht mehr fortgesetzt wird. (Ebd.).Nach dem Kassieren des
Rechts auf lebenslange Elternschaft in Hartz IV könnte sogar eine ernsthafte
Einwanderungspolitik à la Kanada beginnen. (Ebd.).Jährlich
verlassen fast eine Million Chinesen ihre Heimat, um anderswo ihr Glück zu
suchen. Deutschland sollte um diese Auswanderer werben. Denn es gibt starke Hinweise
darauf, daß es die Auswahl der Einwanderer ist und nicht ihre nachträgliche
Bekrippung, die den Weg zum Erfolg weist. (Ebd.).
Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen (in: F.A.Z., 16. März 2010)
**
Die
Bedrohung für die Wirtschaft, den Sozialstaat, das Gemeinwesen insgesamt
wird als so groß empfunden, daß es unter den Demographen kaum einen
gibt, der dem Land noch Hoffnungen macht. (Ebd.).Eine demographische
Zukunft haben nur die Bildungsfernen. So besteht im Februar 2010 die Hartz-IV-Bevölkerung
von 6,53 Millionen Menschen zu 26 Prozent aus Kindern unter 15 Jahren (1,7 Millionen).
Im leistenden Bevölkerungsteil von 58 Millionen Bürgern unter 65 Jahren
dagegen gibt es nur 16 Prozent Kinder (9,5 Millionen). Doch selbst der 26-Prozent-Kinderanteil
in Hartz IV ist nur ein Anfang. Er wird weiter wachsen, weil er bei den Kleinsten
schon sehr viel höher liegt. So hatte Bremerhaven vergangenes Jahr zwar »nur«
33 Prozent der Kinder von 7 bis 15 Jahren auf Hartz IV. Bei den 0- bis 3-Jährigen
aber waren es 45 Prozent. Deshalb steht zu befürchten, daß in einigen
Jahrzehnten weit mehr als ein Viertel der Menschen in eine Hightech-Gesellschaft
mit ihren hohen Qualifikationsanforderungen nicht paßt. (Ebd.).Weil
junge Frauen während ihrer optimalen Gebärperiode heute genauso wie
junge Männer mit ihrem beruflichen Fortkommen beschäftigt sind, reicht
es bestenfalls noch für ein Wunschkind und oft nicht einmal für dieses.
Deshalb liegen bereits 100 Nationen unterhalb der Nettoreproduktion von 2,1 Kindern.
Die Regierungen haben spät auf diese Entwicklung reagiert. (Ebd.).Kanada
wird zur ersten Nation, die bei den (oft chinesischen) Zuwandererkindern einen
höheren Intelligenzquotienten (IQ) mißt als bei den Alteingesessenen.
(Ebd.).Deutschland rekrutiert seine Einwanderer vorrangig nicht
aus Eliten, sondern aus den Niedrigleistern des Auslands, weshalb man eben nur
etwa 5 Prozent qualifizierte Einwanderer gewinnt. Und deren Nachwuchs schleppt
die Bildungsschwäche weiter. (Ebd.).Die deutsche politische
Führung scheint fest entschlossen, weiter auf dem erfolglosen, immer teurer
werdenden Weg der verfehlten Einwanderungs- und Sozialpolitik zu gehen. Mehr
Geld für Sozialprogramme hilft dabei nicht einmal zur Bekämpfung der
Symptome, wie der Politologe und Ökonom Charles Murray in seiner Studie »Losing
Ground« überzeugend dargelegt hat (**).
Zwischen 1964 und 1984 erhöhten die USA ihre Ausgaben für Sozialhilfe
sehr stark. Und doch stieg die Zahl der »Sozialhilfemütter« und
ihrer Kleinen von 4 auf 14 Millionen. Murray faßte diese Entwicklung in
die Gesamtformel »Mehr Geld vermehrt Armut«. (Ebd.).Seine
wichtigsten Schlußfolgerungen lauteten: Erstens:
Die Bezahlung der Mutterschaft für arme Frauen führt zu immer mehr solchen
Müttern. Zweitens: Die Kaschierung des Schulversagens
ihrer Kinder durch Senkung der Anforderungen höhlt die Lernbereitschaft weiter
aus. Drittens: Die Entschuldigung der Kriminalität
dieser Kinder - 10 Prozent der Jungen sind auf Sozialhilfe, diese begehen aber
50 Prozent der Verbrechen - als »Versagen der Gesellschaft« treibt
die Deliktzahl weiter nach oben. Viertens: Die Abschaffung
der Sozialhilfe wirkt für die Betroffenen hilfreicher als ihre Belohnung
mit Quasiverbeamtung für immer mehr bildungsferne Kinder. (Ebd.).Diese
unbequemen Einsichten haben in der us-amerikanischen Politik zu einem Umdenken
geführt. Letztlich hat der Linksliberale Bill Clinton die entscheidende Wende
eingeleitet. Ungeachtet aller »Rassismus«-Vorwürfe aus den eigenen
Reihen setzte er zum 1. Januar 1997 die wichtigsten von Murrays Vorschlägen
um. Clintons Reform beendete das geltende Recht auf lebenslange Sozialhilfe. An
seine Stelle trat ein auf fünf Jahre begrenztes Recht auf Unterstützung
bei tatkräftiger Hilfe nicht zu irgendeiner abstrakten Integration, sondern
zum Übergang in Arbeit. Der Erfolg dieser Maßnahmen war durchschlagend:
Bezogen vor der Reform 12,2 Millionen us-amerikanische Bürger Sozialhilfe,
so waren es 2005 nur noch 4,5 Millionen. Die Frauen der Unterschicht betrieben
nun Geburtenkontrolle. So sank die Zahl der »welfare mothers« drastisch,
ebenso die Kriminalität der Söhne dieses Milieus. (Ebd.).Fährt
Deutschland mit seinem sozialpolitischen Kurs, der die Clintonsche Lektion ignoriert,
wirklich besser? Die Zahl der ausschließlich von Sozialhilfe lebenden Kinder
unter 15 Jahren sprang von rund 130000 im Jahre 1965 (nur Westdeutschland) über
630000 im Jahre 1991 auf 1,7 Millionen im Februar 2010. Nicht nur 10 Prozent aller
Babys wie damals in den USA, sondern schon 20 Prozent werden mit Steuergeld finanziert.
Während deutsche Frauen außerhalb von Hartz IV im Durchschnitt nur
ein Kind haben ..., vermehrt sich die vom Sozialstaat unterstützte Unterschicht
stärker - mit allen Folgeproblemen. So sind in der Hartz-IV-Musterkommune
Bremerhaven die Jungen in Sozialhilfe mit einem Anteil von rund 40 Prozent an
der männlichen Jugend für mehr als 90 Prozent der Gewaltkriminalität
verantwortlich. (Ebd.).Solange die Regierung das Recht auf
Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs
auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen.
Allein eine Reform hin zu einer Sozialnotversicherung mit einer Begrenzung der
Auszahlungen auf fünf Jahre statt lebenslanger Alimentierung würde wirken
- nicht anders als in den USA. Eine solche Umwandlung des Sozialstaats würde
auch die Einwanderung in die Transfersysteme beenden. Deutschland könnte
dann im Wettbewerb um ausländische Talente mitspielen .... (Ebd.).
Heute Athen, morgen Berlin (in: Der Tagesspiegel, 27. April 2010) **
Die
Griechen kann es kalt lassen, ob das aktuelle europäische Hilfspaket nun
40, 80 oder 160 Milliarden Euro kostet. Bankrott bleiben sie so oder so. Und auch
in Zukunft rechnet niemand auf Innovationen aus Griechenland. Es gibt schlichtweg
keine Kameras, Computer oder Autos aus Griechenland, die wir umgehend kaufen würden,
wenn nur ihre Preise endlich fielen.Die griechische Bevölkerung
schrumpft optimistisch gerechnet bis 2040 von 11 auf 10 Millionen.
Ihr Durchschnittsalter springt von 38 auf 50 Jahre. Zur Schrumpfvergreisung gesellt
sich beim Pisa-Mathetest ein eisern verteidigter europäischer Schlußrang.
Man ähnelt hier dem Bankrotteur an der westlichen Peripherie der EU.Auch
Portugals Bevölkerung schrumpft, steigt beim Durchschnittsalter von 38 auf
50 Jahre und liegt bei Pisa nur knapp vor Griechenland. Vor dem Internationalen
Währungsfonds mag man all das verheimlichen können. Doch die Ratingagenturen
finden es heraus und werden dann neugierig auf Länder, die immer noch glauben,
den Griechen sagen zu können, wo es langgeht.Wer genau
sind zum Beispiel die »vorbildlich wirtschaftenden« Deutschen, die
jetzt widerwillig, aber irgendwie auch böse stolz für mediterranes Grillen
aufkommen? Unter 40 Millionen Erwerbstätigen hat der EU-Riese 25 Millionen
voll versicherte Nettosteuerzahler. Auf die fallen zusätzlich zu ihren
persönlichen Obligationen offizielle 1800 Milliarden Euro Staatsschulden
an. Pro Nase sind das 72000 Euro oder zwei unversteuerte Jahresgehälter.
Hinzu kommen unausgewiesene Verpflichtungen, zum Beispiel für Renten- und
Pensionsverpflichtungen. Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen veranschlagte
sie Anfang 2010 auf 6200 Milliarden Euro. Auf jeden unserer Nettoleister fallen
damit 240000 Euro Schulden oder sieben unversteuerte Jahresgehälter an. Und
dieser Einäugige unter Blinden gilt als bester Schuldner der Menschheit.Auch
die Deutschen werden einmal vor der Staatspleite stehen.Aber ist
ein solcher Betrag jemals bedienbar und bleibt sogar noch etwas übrig für
das Tilgen der griechischen Schulden? Bis 2060 soll Deutschland von jetzt 83 auf
65 Millionen Einwohner schrumpfen, wenn 100000 Hochqualifizierte jährlich
kommen und 170000 Hochqualifizierte nicht mehr auswandern. Für diesen noch
optimistischen Fall wird das Durchschnittsalter von jetzt 44 auf »nur«
54 Jahre ansteigen. 100 Versorger zwischen 25 und 65 Jahren werden »nur«
180 Versorgten gegenüberstehen.Als eine einzige Person betrachtet
wird Deutschland mithin älter, kleiner, unqualifizierter und schuldenreicher.
Gewiß, es verfügt global noch über Spitzenpositionen (mehr
als alle anderen Länder der Welt! HB). Deshalb erfolgt sein Innovationsabstieg
als Verlust von Branchen, die Griechenland von vornherein nicht hat. Nach Optik,
Telekommunikation und Computern verabschiedet sich momentan das Bio-Engineering.
Und wenn man die chinesischen Nobelkarossen auf der Auto-Show in Peking anschaut,
will man die Unantastbarkeit deutscher Autos auch nicht mehr beschwören.Überraschen
kann das gleichwohl nicht, weil Deutschland sich als erstes OECD-Land in der Dequalifizierungsspirale
befindet. Auf 100 ins Rentenalter wechselnde Ingenieure folgen ... in Deutschland
aber nur noch 90. Denen läßt der Staat von 100 verdienten Euro gerade
mal 46 in der Tasche. Und dennoch stammen von den 320 Milliarden Euro im Bundeshaushalt
2010 runde 100 Milliarden aus frischen Schulden. Auch die kommen auf die rare
Jugend zu.Niemand bringt deshalb überzeugende Gründe dafür
vor, daß die Deutschen auch nur ihren eigenen Verpflichtungen nachkommen
werden. Von einer dreißigjährigen Bundesanleihe über drei Milliarden
Euro wurde Deutschland in der vergangenen Woche nur noch 2,75 Milliarden los.
Auch das kriegen die Ratingagenturen bald heraus. Und wer spätestens dann
nicht gegen den Euro wettet, ist selbst schuld. (Ebd.).
Gabriel und die Gene (in: Die Achse des Guten, 13. September 2010) **
In
der internationalen Intelligenzforschung gilt Richard Nisbett aus Ann Arbor als
Randfigur. Aber als es in Deutschland darum geht, Thilo Sarrazin in die Ecke des
Rassismus zu drängen, steht er plötzlich im Mittelpunkt. Der SPD-Führer
Sigmar Gabriel gibt die Angriffslinie vor: Sarrazin »hat eine rote Linie
überschritten mit der Behauptung, daß sich Intelligenz und Leistung
verschiedener Kulturen genetisch vererben würden« (BILD, 1. September
2010). Diese »Perversion«, setzt er am 12. September mit einer neuen
Holocaust-Theorie nach, habe »nach Auschwitz geführt« (BILD AM
SONNTAG). Es obliegt dem SPIEGEL, Nisbett am 6. September 2010 als Kronzeugen
gegen den Bundesbanker in Stellung zu bringen. Sein Vererbungsprozentsatz von
50 bis 80 Prozent sei »veraltet«, denn »ein Wert von 50 Prozent
[sei] der maximale Beitrag der Genetik« (SPIEGEL, Nr. 36, 2010, S. 135).
Parteiführer und Regierungsspitzen, die Sarrazin zu jagen haben,
sind nur halb zufrieden. Sie können Sarrazin jetzt nur noch für sein
»bis 80 Prozent« aburteilen. Denn Gabriel wird bei Heranziehung Nisbetts
ja selbst zu einem fünfzigprozentigen Vererber. Die Anwälte Sarrazins
können dann entgegnen, daß doch auch ihr Mandant von 50 Prozent spreche
und seine Offenheit ja gerade dadurch ausdrücke, daß er die 80 Prozent
nicht dogmatisiere, sondern als Höchstwert begreife. Bis 50 Prozent sei er
also deckungsgleich mit der allermodernsten Wissenschaft und ihrem Anhänger
Gabriel. Parteichef und Dissident würden mithin als »Halbbiologisten«
durchaus Arm in Arm gehen können. Setzt Nisbett sich durch, dürfen
alle 50-Prozent-Vererber in Parteien, Parlamenten und Banken bleiben. Als schönes
Nebenprodukt gewinnt Deutschland gleich für die ganze Welt eine neue Definition
des Rassismus. Alles bis 50 Prozent bleibt legal. Doch wer nicht ausdrücklich
und immer wieder beteuert, daß er nie und nimmer auch nur ein einziges Prozent
über 50 in Erwägung ziehen werde, wird der Antifa zum Fraß vorgeworfen.
Doch schon am 8. September geht die 50-Prozent-Klarheit wieder verloren.
Nisbett erklärt in der Süddeutschen Zeitung: »Wächst man
in Ober- oder Mittelschichten auf, dann hat man meist die besseren Voraussetzungen,
den vererbten IQ auch zu entwickeln.« Das tut nun wirklich weh. Auf einmal
ist gleich der ganze IQ ererbt. So radikal formuliert nicht einmal Sarrazin. Niemand
kann so nun Nisbett seinen IQ voll entfalten, weil niemand die optimale
Umwelt für seine hundertprozentige Realisierung kennt. Die einen kommen lediglich
näher ans Maximum heran als die anderen. Haben sich unsere Journalisten mit
einem »Menschenverächter« eingelassen? Muß nun Nisbett
aus dem herrschaftsfreien Dialog ausscheiden? Wie dem auch sei, am 10.
September ist der Mann aus Michigan im STERN. Dort gibt er noch einmal den Über-Sarrazin,
wenn er bei der »Begabung« der US-Mittelschicht »die Biologie
stärker« durchschlagen läßt, weil sie über ein höheres
Anregungspotential verfüge. Stecke man aber Schüler aus der Unterschicht
täglich elf Stunden lang über drei Jahre hinweg in ein Intensivprogramm
diese 10000 Stunden kosten deutlich über 100000 Dollar , dann
könne man »die Hälfte der Leistungsunterschiede zwischen schwarzen
Kindern aus ärmeren Verhältnissen und weißen Mittelschichtkindern
zum Verschwinden bringen« (STERN Nr. 37/2010, S. 38). Rechtfertigt diese
Hälfte nun wieder volle Breitseiten gegen Sarrazin? Wohl kaum. Denn mehr
als eine Rückstandsverringerung verspricht selbst Nisbett nicht. Überdies
weiß keiner, wie es ausginge, wenn auch die Mittelschichtkinder drei Jahre
lang so trainiert würden. Führt der gute Nisbett den STERN also an der
Nase herum, weil er über ein Experiment ohne Kontrollgruppe berichtet, also
die Minima wissenschaftlicher Sorgfalt verletzt? Man muß Nachsicht haben,
wenn deutschen Intellektuellen so etwas nicht auffällt. Denn die Intelligenzmessung
wird unter Hitler als »Prüfungssystem jüdischen Ursprungs«
geächtet und hat sich von der Ermordung oder Vertreibung der einschlägigen
Gelehrten bis heute nicht erholt (H. Rindermann, »Intelligenz«, in:
Merkur, August 2009). Doch in Amerika schaut man Nisbett auf die Finger
und konzentriert sich dabei auf sein 2009er Buch Intelligence and How to Get
It (New York, Norton). So verteidigt James J. Lee von
der Harvard Universität die Position, daß die Intelligenz mittelschichtig
erzogener weißer Kinder zu 75 Prozent vererbt ist (in: Personality and
Individual Differences, Band 48, 2010, S. 247-255). Diesen Befund präsentiert
1997 als Altmeister der Zwillingsforschung Thomas J. Bouchard in seinem Aufsatz
»IQ similarity in twins reared apart: Findings and responses to critics«
(in: R. J. Sternberg und E. Grigorenko [Hrsg.], Intelligence, Heredity and
Environment, Cambridge, UK: Cambridge University Press, S. 126-160). Nisbett
will von eben diesen 75 Prozent weg und behauptet dafür, daß getrennt
aufwachsende eineiige Zwilling, die extrem unterschiedlichen Milieus ausgesetzt
sind, nicht mehr maximal zu 91 Prozent im IQ übereinstimmen, sondern höchstens
nur noch zu 67 Prozent. Lee verweist darauf, daß schon Bouchard
selbst diesen Gedanken verfolgt und aufgrund der empirischen Befunde verworfen
hat (»Do environmental similarities explain the similarity in intelligence
of identical twins reared apart?«, in: Intelligence, Band 7, 1983,
S. 175-184). Überdies zeigt die größte Untersuchung an eineiigen
(74) und zweieiigen (52) Zwillingspaaren, die ähnliche wie auch extrem unterschiedlich
pädagogische Umwelten einschließt, daß die Betroffenen in g
(generelle Intelligenz) zu 77 Prozent übereinstimmen, obwohl die zweieiigen
Paare von vornherein unterschiedliche biologische Ausstattungen mitbringen (W.
Johnson et al., »Genetic and environmental influences on the VerbalPerceptual-Image
Rotation (VPR) - model of the structure of mental abilities in the Minnesota Study
of Twins Reared Apart (MISTRA)«, in: Intelligence, Band 35, 2007, S. 542-562).
Diese 77 Prozent nun unterminieren Gabriels glücklich gefundene
Richtung, daß zwar alles bis 50 Prozent Vererbung in der SPD bleiben darf,
er aber ab dem ersten Prozent darüber mit der Auschwitzkeule zuschlägt.
Gerade mit dem Argument, das sogar Sarrazins Verteidigern peinlich ist, legt der
seinen Verfolgern also eine Nuß hin, deren Knacken noch viel Kurzweil verspricht.
Und doch ständen wir mit solchen Verrenkungen noch nicht einmal
am Anfang von Lösungen für unsere Probleme. Denn bei uns soll ja durch
Intensivförderung ab dem 18. Lebensmonat eine Bevölkerung an die Weltspitze
geführt werden, die im us-amerikanischen Jargon überwiegend als »weiß«
firmiert. Solche US-Amerikaner nun liegen bei der Internationalen Mathematikolympiade
für Zehnjährige (TIMSS 2007) mit 550 Punkten deutlich hinter us-amerikanischen
Ostasiaten (Koreaner, Chinesen), die 582 Punkte erreichen. Niemand weiß,
wo Menschen aus kürzlich noch bettelarmen Ländern die anregenden Umwelten
durchlaufen haben könnten, die sie an die mathematische Weltspitze bringen.
Und nicht einmal Nisbett kennt Wege, wie man den Rückstand seinesgleichen
mit dem unstrittig besten Anregungsmilieu aller Zeiten gegenüber den Ostasiaten
verringern oder gar halbieren könnte. Nur wer den altdeutschen Durchschnitts-IQ
von 103 (vor einigen Jahren noch: 108!
HB [**|**])
auf die ostasiatischen 107 (nach meiner Information: 100
[China], 105 [Japan], 106 [Südkorea]; HB [**|**])
anheben kann, sollte deshalb im SPD-Vorstand direkt neben Gabriel sitzen dürfen.
(Ebd.).
Europäerinnen und Europäer: Wir haben fertig! (in: Focus,
02. Juli 2012) **
Angela
Merkels noch zu haltende Europa-Rede könnte - oder müßte - ungefähr
so lauten: »Europäerinnen und Europäer: Wir haben fertig!«Liebe
Europäerinnen und Europäer! Ich habe am 14. Juni 2012 gesagt: »Unsere
Stärke ist nicht unendlich.« Man hat diese Aussage oft als Ausrede
gegen die Übernahme weiterer Lasten gedeutet. Ich möchte deshalb noch
offener werden.
Milliarden Menschen sehen
Deutschland auf vollen Geldkisten sitzen, aus denen es endlich etwas hergeben
müsse, weil viele Regierungen nur Schulden hätten und allein
aus Berlin ein globaler Absturz verhindert werden könne. Doch wo
immer wir helfen, tun wir das nicht mit frei verfügbaren Mitteln.
Für alle Gaben müssen wir selber zusätzliche Schulden aufnehmen.
Das könnten unsere Bürger doch leicht aushalten, wird gerne
entgegnet. Schließlich gelte der deutsche Staat ihretwegen als bester
Schuldner der Welt. In Wahrheit aber hat auch der deutsche Staatsbürger
seit über 40 Jahren niemals tilgen können, sondern immer weiter
hochschulden müssen. Schuldete er 1970 pro Kopf gerade mal 800, so
sind es heute 24 000 Euro. Doch 1970 hatten unsere Bürger bei
einem Durchschnittsalter von 34 Jahren noch viele aktive Jahre vor sich.
Heute hingegen drückt sie ein Durchschnittsalter von 44 Jahren. Ich
weiß nicht, wie sie von ihrer Last jemals wieder herunterkommen
sollen. Im Stillen hoffe ich, daß die Rating-Agenturen unsere Ohnmacht
nicht allzu schnell erfassen. Wir brauchen also selber dringend Rat, wo
man von uns Entlastung erhofft.
»Wir wissen nicht, wer unsere eigenen Alten
nebst ihren Schulden tragen wird. Wir stehen hilflos vor demographischen Problemen.«
Lassen Sie mich erläutern, wie wir mit unseren eigenen Schuldnern
verfahren. Der Staat hilft ihren Gläubigem bei der Vollstreckung. Wenn jemand
seine Steuern nicht zahlt, nehmen ihm unsere Gerichte Eigentum im Umfang der Schuldsumme
weg. Wie können wir den so Behandelten weiteres Eigentum abverlangen, um
es Ländern zu geben, in denen die Regeln des Kreditgebens und des Steuerzahlens
nicht durchsetzbar sind? Man sagt uns, daß 100 im Jahre
1970 geborene Griechen oder Portugiesen im Jahre 2030 lediglich 70 Enkel haben
werden, die niemals für ihre Alten sorgen können. Mitleidlos verhalte
sich Deutschland, wenn es da nichts gebe. Wir wissen um diese Not. Deshalb wurde
ja der Löwenanteil der bald 40 000 Euro, die etwa jeder Grieche seit
dem EU-Beitritt seines Landes bekommen hat, von Deutschen gegeben. Aber wir können
das nicht mehr fortführen, weil 100 im Jahre 1970 geborene Deutsche im Jahre
2030 nicht einmal 70, sondern nur 60 Enkel haben werden. Wir wissen nicht, wer
unsere eigenen Alten nebst ihren Schulden tragen wird. Wir stehen hilflos vor
unseren demographischen Problemen. Und es beschämt uns, daß wir in
Zukunft nicht einmal mehr das zahlen können, worauf man bisher so selbstverständlich
rechnen durfte. Wir hören, daß Spanien mit nur sieben
und Portugal oder Griechenland mit sogar nur zwei europäischen Patenten auf
eine Million Einwohner (2009) auch nach den Milliardenfluten niemals konkurrenzfähig
werden und deshalb für alle Zukunft Berliner Unterstützung brauchen.
Deutschland mit 114 Patenten auf eine Million Einwohner stehe dagegen glänzend
da. Wir begreifen die Hoffnungslosigkeit dieses Raumes mit seinen 65 Millionen
Menschen, und es stimmt, daß wir allein wegen unserer Innovationen anderen
noch beistehen können. Doch auch wir befinden uns in schnellem Niedergang.
Lassen Sie mich das mit Anträgen auf europäische Patente in der Hochtechnologie
belegen. 2003 kamen aus Deutschland 3500, 2008 waren es nur noch 1900. Bei internationalen
Patenten stand es 1990 zwischen Deutschland und China noch 700:100. Aber bereits
2009 ist der asiatische Gigant auf 130:100 davongezogen. Auch unsere Menschen
können gegen die Begabung, den Fleiß und die Präzision der Menschen
aus Ostasien immer weniger ausrichten. »Während wir
viele hunderttausend der Besten ziehen ließen, nahmen wir Abgeschlagene
aus der ganzen Welt in Obhut.« Manche erinnern
sich, daß Deutschland bei Kameras und Telefonen, Fernsehern und Speichermedien,
Medikamenten und der Unterhaltungselektronik, im Schiffbau und bei Atomkraftwerken
bis in die 1970er Jahre Weltspitze war. Wir haben diese Industrien nicht nur verloren,
weil andere Länder geringere Löhne zahlten, sondern weil sie schneller
und einfallsreicher waren. Das sieht man daran, daß wir diese Branchen auch
dann nicht zurückgewinnen konnten, als unsere Löhne unter die Einkommen
der Konkurrenz fielen. Wir haben für eine Aufholjagd einfach keine Köpfe
mehr. Dabei verschlechtert sich unsere Bilanz weiter, weil ein Fünftel unserer
Kinder nicht ausbildungsreif wird und in keinem Land der Erde die Schulleistungen
der Einwandererkinder tiefer unter dem einheimischen Niveau liegen als bei uns.
Während wir viele hunderttausend der Besten ziehen ließen, haben wir
Abgeschlagene aus der ganzen Welt in Obhut genommen. Da werden Millionen ein Leben
lang Hilfe fordern, aber niemals Patente entwickeln. Wir wissen nicht, wie lange
wir diese Mitbürger noch versorgen können, denn das Durchschnittsalter
unserer männlichen Leistungsträger überschreitet mühselige
46 Jahre, während der Hilfesektor bei 26 Jahren liegt. Wir wissen aber, daß
niemand außer uns für diese Menschen etwas tun wird. Erlauben
Sie mir zum Schluß ein paar Worte an unsere angelsächsischen Ratgeber.
.... Sie versichern uns, daß nach 1945 die Schuldenstände noch höher
lagen als heute und man bereits 1970 wieder gut dastand. Das ist richtig, aber
damals haben wachsende und viel jüngere Bevölkerungen diese Lasten abgetragen.
Heute stehen vergreisende und schrumpfende Bevölkerungen vor den Billionenbergen,
und es gibt die brillante Konkurrenz aus Ostasien, die zwischen 1945 und 1965
keine Rolle spielte. Hier ist man im Blick auf die Vergangenheit viel zu optimistisch.
Man warnt uns auch vor neuer politischer Radikalisierung a la 1933, wenn
wir nicht endlich garantieren und zahlen. Auch ich habe manchmal mit neuen Kriegsgefahren
argumentiert. Aber ich verstehe längst, daß die jungen Männer,
die sich damals in roten, braunen oder schwarzen Hemden gegenseitig terrorisierten,
aus den Jahrgängen der Zeit vor 1914 kamen, als Europas Frauen mit vier bis
fünf Kindern vor Problemen standen wie jetzt die Mütter in Syrien oder
dem Gazastreifen. Solche paramilitärischen Millionenheere gibt es bei weniger
als einem Sohn pro Frau in Europa nicht mehr. Hier ist man im Blick auf die Vergangenheit
also viel zu pessimistisch. Gleichwohl warnt man uns und mich
persönlich immer öfter vor dem Haß der ganzen Welt. Wir fürchten
uns vor diesen Emotionen. Aber wir haben auch viel zu selten dargelegt, warum
wir sie nicht verdienen. (Ebd.). |