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Kulturen sind * * *
„Einzelwelten des Werdens, die im Gesamtbilde der Geschichte ebenso schwer wiegen, die an Großzügigkeit der seelischen Konzeption, an Gewalt des Aufstiegs die Antike vielfach übertreffen.“ Spengler betont, daß die 8 Kulturen „eine in keiner Weise bevorzugte Stellung einnehmen.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 24Spengler). „Spenglers zentrale Denkerfahrung liegt in der Beobachtung, daß Formen ein Eigenleben haben - sein ganzes Genie steckt in diesem Motiv. Die Form, die Spengler vor allem interessiert, ist das, was er eine Kultur nennt.“ (Peter Sloterdijk, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 177). „Spengler redet in solchen Zusammenhängen ganz nietzscheanisch, wobei man wissen muß, daß Nietzsche in seinen besten Augenblicken als Immunologe spricht, wie ein Kulturarzt, der weiß, daß Kulturen und ihre Träger, die Menschen, Wesen sind, die mit dem Ungeheuren geimpft werden und eigensinnige Immunreaktionen entwickeln, aus denen verschiedene kulturelle Temperamente hervorgehen. In diesem Sinne muß man Spenglers These auffassen, daß es nur acht Hochkulturen im eigentlichen Wortsinn gegeben habe. Nur in dieser kleinen Zahl von Fällen haben sich die hochkulturschöpferischen Immunreaktionen vollzogen, von denen jede einzelne einen unverwechselbaren Charakter besaß. Die 8 hohen Kulturen wären demnach die Abwicklung lokaler Immunreaktionen.“ (Peter Sloterdijk, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 225-226). Diese
8 Kulturen () sind:
1) Kultur (*) Mesopotamien/Sumer
2)
Kultur (*) Ägypten
3)
Kultur (**) Indien
4)
Kultur (**) China
5)
Kultur (*) Antike
(apollinisch)
6)
Kultur (*) Maya/Inka
7)
Kultur (**) Persien/Arabien
(mag.)
8)
Kultur (**) Abendland
(faustisch)
seit 43. Jh. v. Chr.
seit 36. Jh. v. Chr.
seit 21. Jh. v. Chr.
seit 21. Jh. v. Chr.
seit 21. Jh. v. Chr.
seit 14. Jh. v. Chr.
seit 10. Jh. v. Chr.
seit   1. Jh. n. Chr.
Unterschiede beachten!
NACH OBEN Seelenbild und Ursymbol am Beispiel von zwei gegensätzlichen Kulturen
Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid (Euklid) hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß (Gauß) ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen - wie unzählige andere Beispiele auch - für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Spengler, 1918, S. 155, 227ff., 234, 390Spengler). Vgl. auch das Germanentum (Germanen).
„Jede Kultur hat ihren ganz bestimmten Grad von Esoterik und Popularität, der
ihren gesamten Leistungen innewohnt, soweit sie symbolische Bedeutung haben.“
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 419Spengler).
Die Antike war populär, weil nicht esoterisch. Das Abendland ist esoterisch, weil nicht populär.

NACH OBEN Idee oder Theorie zur Geschichte und speziell zur Kulturgeschichte

Goethe (1749-1832Goethe) und Nietzsche (1844-1900Nietzsche) verdankte Spengler „so gut wie alles, wie er selbst sagte. (Dank). Spenglers Ansatz gehört zu den zyklischen Geschichtsvorstellungen, die davon ausgehen, daß die Geschichte nicht einfach nur linear verläuft, sondern auch zyklisch, sich also in einem ständigen Auf und Ab befindet. Weil besonders der westliche Kulturkreis, die abendländische Kultur, der Linearität gegenüber der Zyklizität höhere Priorität einräumt, gilt es, den Blick auf die Zyklizität zu richten: Völker und Kulturen entstehen, haben einen Höhepunkt und vergehen letztendlich wieder. So schließt sich immer wieder ein Kreis, in dem ständig dieselben Muster und Stufen durchschritten werden, obwohl dieser Kreis nicht zweidimensional, sondern dreidimensional ist: eine Spirale. (Wiederkehr). Die Geschichte hat, so scheint es, keinen Anfang und kein Ende, sondern läuft ewig innerhalb dieser Kreisläufe weiter. Die großen Kulturen (Kulturen) durchlaufen nach Spenglers Vorstellung bestimmte Stadien, die man in Kurzform durch Vorzeit (bis zur „Geburt“Unterschiede beachten!!), Aufstieg, Blütezeit und Verfall definieren könnte. Laut Spengler entsteht jede Kultur fast urplötzlich, ihr Auftauchen ist fast rein zufällig und kaum zu erklären - nicht nur deshalb muß meiner Meinung nach auch die „vorgeburtliche“ Zeit unbedingt berücksichtigt werden (Unterschiede beachten!) ! Im Sinne Spenglers erlebt jede Kultur nach ihrer Geburt ein Bewußtsein, das in der Zeit vor ihrer Geburt nicht existiert hatte. (Vgl. meine Definition: „Phasen“Phasen). Auf das „Erwachen“ (Phase) folgt das „Sich-Bewußt-Werden“ (Phase) und darauf die erste sichere „Symbol-Beherrschung“ (Phase) - insgesamt also eine Zeit des Aufstiegs, ein Frühling. (Vgl. meine Definition: „Quartale“Quartale). Eigentlich ist mit der Symbol-Beherrschung schon der kulturelle Höhepunkt erreicht, die Kultur schon fertig (so wie z.B. auch ein Kind mit ca. 3 Jahren schon fertig ist, weil es die Grundlagen für ein Leben in der Erwachsenenwelt bereits entwickelt und erworben hat, obwohl es immer noch viel dazulernen muß), weshalb ab jetzt keine allgemeinen, sondern immer mehr speziellere Höhepunkte erreicht werden, während insgesamt das einmal nur Erreichte, wenn auch zunächst langsam, bereits abgebaut wird, und weil Abbau Freisetzung von Energie bedeutet, entsteht der Eindruck, daß die Entwicklung immer noch im Aufbau wäre. Hat also die Kultur ihren Höhepunkt gerade eben erreicht, ist er auch schon fast wieder überschritten. Die Jugendlichkeit einer Kultur ist wie der Sommer eine Zeit, in der trotz und wegen der innerlich bereits ablaufenden Abbauprozesse eine Konsolidierung erreicht wird, die sich besonders durch Lernfähigkeit auszeichnet - beginnend mit der „Reformation“ (Phase), heftig und absolut mit der „Tyrannis“ (Phase), kritizistisch und förmlich-moralisch vollendend mit der „Konvenienz“ (Phase). Wenn aber auch diese Phasen zu Ende sind, werden die ersten Alterungsprozesse der Kultur registrierbar, denn: sie wird immer künstlicher, verliert immer mehr ihre ursprüngliche Schöpfungskraft, wird schwächer und schwächer, was das In-Form-Sein betrifft und seinen Grund nicht im Äußeren, sondern im Inneren hat. Zwar erlebt die Kultur häufig in dieser Zeit des Niedergangs noch einmal eine Größe von ungeahntem Ausmaß - ein Ausmaß sogar, das zuvor nie erreicht wurde (!) -, doch sind gerade diese Imperien ein deutliches Zeichen dafür, daß die Kultur innerlich zerfällt. Die Phasen dieser Zeit, des Herbstes der Kultur: „Napoleonismus“ (Phase), „Weltkriege der kämpfenden Staaten“ (Phase), „Cäsarismus“ (Phase). Am Ende steht der völlige Zerfall der Kultur, der oft nach außen hin lange nicht sichtbar ist, sich nach innen aber unaufhörlich fortsetzt. Wenn auch der Herbst der Kultur zu Ende ist, wird auch nach außen sichtbar, daß die Kultur vergreisen wird. Schließlich erstarrt die Kultur, nimmt ihre endgültige, versteinerte Gestalt an, die sie aus eigener Kraft nicht mehr verändern kann. Der Wiedereintritt in eine nahezu geschichtslose Zeit ist somit vollzogen, so Spengler, denn: was folgt, ist wieder das zoologische Auf und Ab des primitiven Zeitalters, mag es sich auch in noch so durchgeistigte religiöse, philosophische und vor allem politische Formen hüllen.

Die Lebensdauer einer Kultur wird von Spengler auf einen Zeitraum von ungefähr tausend Jahren beziffert; nach meiner Theorie dauert eine komplette „Umdrehung“ (SpiralbewegungSpiralbewegung) mindestens 2000 Jahre (Unterschiede beachten!) - mein Richtwert: Ein Zwölftel des „Platonischen Jahres“ (ca. 2150 Jahreca. 2150 Jahre): 25850 / 12 = 2154,1666~ (Jahre)! Danach beginnt der Kreislauf von neuem, das heißt: nur scheinbar ist ein Punkt erneut erreicht, denn die Bewegung ist ja eine Spiralbewegung. Weil aber die Kreisbewegung deutlicher zu erkennen ist als die Spiralbewegung, kann der falsche Eindruck entstehen, daß Fortschritt gar nicht möglich wäre. Von den 8 Kulturen () haben bisher 7 Kulturen auch die zweite Umdrehung erreicht, und die 8. Kultur, das Abendland, steht heute am Beginn der letzten Phase (22-24 Uhr22-24 Uhr) ihrer ersten Umdrehung - das heißt für den Fall des Gelingens, daß sie im 22. oder 23. Jahrhundert ihre ersten Umdrehung vollendet haben wird. (Vgl. dazu die heutige „Position“ des Abendlandes). Ich wiederhole: Für eine Umdrehung ist die Anzahl an Jahren lediglich ein Richtwert und kann somit um bis zu einigen hundert Jahren unter- oder überschritten werden. Dies gilt also sowohl für Spenglers als auch für meinen Richtwert. In diesem Zeitraum werden alle Stufen der Entwicklung durchlaufen - nach meiner Theorie sind es 12 Phasen (Phasen), die eine Kultur für eine Umdrehung braucht -, und weil eine Kultur schon nach dieser einen Umdrehung relativ alt ist, erstarrt sie danach, obwohl sie mehr als eine Umdrehung vollziehen und so ein extrem hohes Alter erreichen kann.

Das Wesen und der Charakter einer jeweiligen Kultur werden bestimmt von ihrem Seelenbild und ihrem Ursymbol (Seelenbild und Ursymbol). Spengler nennt z.B. folgende Ursymbole: „Weg“ (ägyptische Kultur), „Nirwana“ (indische Kultur), „Tao (auch als Weg) oder auch Naturlandschaft, Naturarchitektur“ (chinesische Kultur), „Einzelkörper“ (antike Kultur) „Welthöhle“ (magische Kultur), „Unendlicher Raum“ (abendländische Kultur). Diese Ausdrucksformen machen das Einzigartige einer jeden Kultur aus, das sie von jeder anderen immer unterscheiden wird. Alles, was überhaupt geworden ist, alles, was die Kultur im Laufe ihres Lebens erzeugt hat, geht zurück auf das kulturspezifische Ursymbol und ist Ausdruck einer Kulturseele. Nach Leo Frobenius (1873-1938 Frobenius): „Paideuma“.

NACH OBEN

Ein zentraler Punkt in Spenglers Terminologie liegt in der Unterscheidung, die er zwischen Kultur und Zivilisation anstellt. Hat eine Kultur ihre „Tag-und-Nacht-Gleiche“ überschritten, ist sie Zivilisation. Demnach ist der Eintritt der Kultur in ihre Zivilisation identisch mit dem Eintritt der Kultur in ihren „Herbst“. Die Zivilisation ist gekennzeichnet z.B. durch die Künstlichkeit von Architektur und Kunst, das Anwachsen der großen Weltstädte und durch generelle Dekadenzerscheinungen, die mit dem breitflächigen Absterben des ursprünglichen Lebensgeistes der Kultur verbunden sind. Für Spengler steht die Kultur näher am Zenit und die Zivilisation näher am Nadir.

„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ (SpenglerSpengler), so heißt es bei Spengler. Aufgrund der „Gleichzeitigkeit“ passiert in Kulturen quasi immer wieder das Gleiche, das nur dadurch verschiedenartig wirkt, da es jeweils auf das Ursymbol zurückgeht und darum Ausdruck einer bestimmten Kulturseele ist, die die einzigartige Prägung verleiht. Alle Erscheinungen innerhalb einer Kultur - z.B. jeder Stil in Architektur und Kunst, jede Philosophie oder Wissenschaft, jede Staatsform, jedes Stadtbild u.s.w. - sind für sie ganz einzigartig und neu, innerhalb der Menschheitsgeschichte aber nur Symbole für das Ewig-Gleiche. Wir Menschen umkreisen das, worum es geht (Zentrum:Zentrum), auf einer Bahn („M“, siehe Abb.), die wir Menschheitsgeschichte nennen und die wiederum von jeder Historienkultur auf einer zweiten Bahn („H“, siehe Abb.), die wir Kulturgeschichte nennen, umkreist wird. Wir müssen also mindestens zwei Bahnen oder Ebenen berücksichtigen, wenn wir die Entwicklung der Menschen - inklusive Eigendrehung (Eigendrehung) und Neigung (Neigung) - verstehen wollen, wobei die erste Bahn natürlich wichtiger ist als die von ihr abhängige zweite Bahn. Wahrscheinlich wird die erste Bahn die zweite Bahn überdauern, aber es ist auch möglich, daß beide gleichzeitig verschwinden werden. (Tabelle). Der Spenglerschen Theorie zufolge hat jede einzelne Kultur (nicht aber ihre Zivilisation) definitiv ein Ende. Laut Spengler ist das Ende einer Kultur dann erreicht, wenn sie ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hat, wenn sie ihr Ursymbol und ihre Seele vollkommen verwirklicht und vollendet hat.


NACH OBEN Ist denn nichts gut an unserer Moderne, unserer Zivilisation?

Spengler beschreibt z.B. das Individuum der Zivilisation als den innerlich erstorbenen Menschen der späten Städte, seien es Babylon und Alexandria oder Paris und Berlin, dessen ganze geistige Existenz sich auf das Kausalitätsprinzip gründet. Wissenschaft und Atheismus sind die großen Themen jeder beginnenden Zivilisation. Bedeutsam ist der Rationalismus, der Verstand, der alles überprüfen und nichts mehr glauben will. Die Kunst wird künstlich, die Architektur wird form- und maßlos. Die alten Formen der Blütezeit werden plötzlich als Zwang empfunden, die man durchbrechen muß. Was nun stattfindet sind nur mehr Moden, pure Abwechslung, die für Entwicklung gehalten wird. Alte Stile werden wiederbelebt und verschmolzen, aber es entsteht nichts großes Neues. Das letzte Ergebnis, so Spengler, ist ein feststehender, unermüdlich kopierter Formenschatz. Je mehr sich die Zivilisation ihrem Nadir nähert, desto mehr nähert sich z.B. auch die Macht der Wissenschaft dem Ende, eingeleitet durch eine Stimmung des Skeptizismus. In ihm kommen einer Kultur zum ersten Mal wieder Zweifel an den Möglichkeiten und dem Wahrheitsgehalt der Wissenschaft. Es zeigt sich für Spengler, daß Wissenschaft ein spätes und vorübergehendes Schauspiel ist. Das Abendland erlebte nach Spengler den letzten Höhepunkt seiner Wissenschaften im 19. Jahrhundert. Spengler räumt allerdings ein, daß die abendländische Wissenschaft durchaus etwas besonderes sei, das es noch in keiner bisherigen Kultur gegeben habe. Dennoch sei auch sie nur eine vorübergehende Erscheinung. Spengler prophezeit, daß Wissenschaft und Technik nur solange aufrecht erhalten, weiterentwickelt und von Nutzen sein werden, solange es Menschen gibt, die ihre Funktionsweise verstehen. Nimmt die Zahl dieser Menschen allmählich ab - wie es die von ihm in Aussicht gestellte zunehmende Kinderlosigkeit der Zivilisationsmenschen zwangsläufig mit sich bringen wird - so wird auch die von ihnen aufrecht erhaltene Technik irgendwann verschwunden sein.

Für das Abendland, so Spengler, haben die Riesenkämpfe mit Napoleon begonnen und im 1. Weltkrieg, der gerade zu Ende ging, als Der Untergang des Abendlandes erschien, ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden. Die Tatsache, daß das 19. Jahrhundert verglichen mit Spenglers Beschreibungen relativ wenige solcher vernichtenden Kriege hervorgebracht hat, erklärt der Autor, indem er auf die angestrengte Diplomatie und die stehenden, jederzeit bereiten Heere jenes Jahrhunderts verweist. Dies beweise, daß man ständig zum Krieg bereit gewesen sei und nur die Angst vor den Folgen ihn immer noch im letzten Moment verhindert habe. Noch im 20. Jahrhundert, so Spengler, werde diese Entwicklung ihren endgültigen Höhepunkt finden und der Zeitpunkt kommen, an dem die Diplomatie irgendwann nicht mehr greifen wird. (Den 2. Weltkrieg hat der 1936 verstorbene Spengler nicht mehr erlebt! Eine Wiederbelebung erhielten seine Ideen erst in den 1990er Jahren durch HuntingtonSpengler und Huntington).

Kennzeichnend für den Untergang einer jeden Kultur ist laut Spengler weiterhin die Erscheinung der zweiten Religiosität, die mit der schrittweisen Abkehr von der rationalen Wissenschaft einhergeht. Je mehr also die Wissenschaft ihren Sinn für die Menschen verliert, desto mehr verfällt jene Kulturseele wieder einem ursprünglichen Glauben, wie sie ihn ganz zu Beginn hatte. Die zweite Religiosität ist der ersten sehr ähnlich, nur daß sie diesmal nicht zur Geburt führt, sondern in ihrem zügellosen Drang zur Wiedergeburt in den Synkretismus (Synkretismus), in die von da an von der fremden Seite dominierten Pseudomorphose (Pseudomorphose) und nicht selten zum Tod der betreffenden Kultur. Das Besondere an dieser zweiten Religiosität ist ihre Massenwirkung bzw. die Tatsache, daß sie von unten kommt. Die Massen beginnen wieder zu glauben, zu beten. Die zweite Religiosität manifestiert sich in der Form von zahlreichen Sekten und Kulten, die immer mehr Zulauf finden, und der Verbreitung von esoterischen Moden. Laut Spengler geht mit der zweiten Religiosität der Cäsarismus einher. Es ist die Vollendnung, der Ausgang und das Ende der Demokratie. Demokratie ist für Spengler eine bloße Theorie, die darüber hinwegtäuscht, daß es in ihr ein anderes Mittel gibt, das darüber entscheidet, wer wirklich die Macht hat - denn das Volk hat sie sicher nicht. Dieses Mittel ist das Geld. Geld als ein von Gütern völlig abgelöster Begriff ist ein weiteres Symptom einer niedergehenden Kulturseele. Jede Zivilisation ist eine Diktatur des Geldes, jenem Wert, dem sich jetzt alles unterwirft. Geld bedeutet für Spengler den entscheidenden und einzigen echten Machtfaktor in jeder Demokratie.

Cäsarismus bedeutet auch, daß hinter den Parteien, welche die Fassade der Selbstbestimmung des Volkes aufrecht erhalten, die wahre Macht in immer privatere Kreise verlagert wird. Die Parteien selbst lösen sich langsam und zunächst unbemerkt in persönliche Gefolgschaften auf. Sie sind nur noch scheinbar Mittelpunkt der entscheidenden Aktionen, die nach unten die Illusion einer Selbstbestimmung des Volkes aufrecht erhalten. Cäsarismus ist jene Regierungsart, die trotz aller staatsrechtlichen Formen in ihrem inneren Wesen wieder die Herrschaft eines Einzelnen oder einer Gruppe ist - die Macht in Händen haltend, während der Bevölkerung weiterhin Demokratie suggeriert wird. Alle gesellschaftlichen Institutionen sind - trotz ihrer außenwirksamen Beibehaltung - letztendlich ohne Sinn und Gewicht. Bedeutung hat nur die ganz persönliche Gewalt, welche der Cäsar oder an seiner Stelle irgend jemand durch seine Fähigkeiten ausübt. Der Cäsarismus beendet die Diktatur des Geldes und gleichzeitig die Demokratie.

Was uns bevorsteht, ist die typische Geschichte einer ausgereiften Zivilisation, in welcher einzelne Völker (und nicht selten auch immer mehr aus unterschiedlichen KulturenGlobalkriege zwischen Kulturen) um die militärische Vorherrschaft ringen werden. Daß ausgerechnet in dieser Zeit die Vorstellungen von Weltfrieden und Völkerversöhnung aufkeimen, ist laut Spengler kein Widerspruch. Die Abkehr der großen Mehrheit vom Krieg impliziert ja auch die uneingestandene Bereitschaft, die Beute der anderen zu werden, die nicht auf das Mittel des Krieges verzichten wollen. So erklärt es sich, daß die großen Kulturen in ihrem Endstadium nicht selten zum Opfer von immer wechselnden Fremdherrschaften wurden.

Imperialismus ist nach Spengler reine Zivilisation. Der kultivierte Mensch richtet seine Energie nach innen, der zivilisierte nach außen. Doch es sind erstarrte Imperien, deren innere Kraft längst erloschen ist und die ihre Macht höchstens aus einer rein militärischen Überlegenheit ableiten. Im Inneren zerfallen sie langsam aber sicher, was sich am Verfall der Wissenschaften, der Rückkehr der Bevölkerung zu alten Mythen und Religionen, der Kinderlosigkeit und ähnlichen Symptomen offenbart. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kultur Opfer von anderen wird, Barbaren etwa oder jungen Völkern einer gerade erwachenden Kulturseele.

Und so schließt sich der Kreis. Eine aus dem Fast-Geschichtslosen urplötzlich geborene Kultur erfüllt sich, indem sie ihre eigenen Künste, Stile, Wissenschaften, Kriege, Persönlichkeiten u.s.w. hervorbringt, bis sich ihre Gestaltungskraft langsam erschöpft und schließlich erlöscht. Die Kultur erstarrt, ihre Formen hören auf, sich zu entwickeln und sie kehrt in den nahezu geschichtslosen Zustand zurück, aus dem sie einst erwachsen ist. Diesem Schicksal wird, so Spengler, auch die abendländische Kultur nicht entgehen können.


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Anmerkungen:

 

Phase ist für mich der Inbegriff einer wohltemperierten Abrundung durch geistig-politische Tätigkeiten in einer bestimmten Zeitspanne, oft ausgedrückt durch technische und künstlerische Richtungen, aber auch durch ökonomisch-politische und geistig-metaphysische Richtungen. Sie kann nur 60-80 Jahre andauern, wie im Falle des Rokoko, oder 200-300 Jahre, die etwa jeweils Karolingik, Romanik und Gotik ausmachten. Eine Phase umfaßt im Mittel etwa 180 Jahre. Ein Kulturquartal (eine „Platonische Woche“, „Weltwoche“ , Kulturwoche, KulturjahreszeitKulturquartal im Kulturkreis) umfaßt 3 Phasen und damit durchschnittlich 500-600 Jahre, manchmal auch nur 300-350 Jahre, wie im Falle der abendländischen Jugend (Renaissance, Barock und Rokoko). Ein Kulturquartal ist eine Jahreszeit in dem Sinne, daß an ihr erkennbar wird, was sie ist, wenn sie gewissermaßen innehält. Winter, Frühling, Sommer und Herbst sind wie unterirdisches Wachstum, zarte Blüten, Hochblüte und Verfall, wie die pflanzliche Welt immer wieder bezeugt, aber nicht nur sie: die 4 Jahreszeiten (Jahreszeiten) sind wie uterines, kindliches, jugendliches und erwachsenes Leben, z.B. auch vergleichbar mit dem der Säugetiere. Das erwachsene Leben kann mehrere Quartale umfassen; in dem Falle teilen die Älteren (Elter[e]n) ihr Leben mit den Kindern, Enkelkindern oder gar Urenkelkindern. In Kulturen war und ist dies auch möglich: China, Indien und die magische Kultur existieren als Zivilisationen („Erwachsene“) schon länger als das Abendland.

„Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 784). Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz „Antike“ genannt, und der (jungen) magischen Kultur, auch „Persien/Arabien“ genannt, macht es deutlich: „Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. .... Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 800-801). Spengler

Heute ist der 1880 geborene und 1936 verstorbene Oswald Spengler in der Öffentlichkeit kaum noch bekannt. In den 1990er Jahren erlebte Spenglers Gedankengut eine Renaissance, als Samuel P. Huntington (1927-2008) in seinem Werk - Der Kampf der Kulturen (1996Huntington) - Spenglers Vorstellung weitgehend autonomer Kulturkreise wieder aufgriff und in seinem Modell einer neuen Weltordnung verwendete.

Was immer auch unser „Zentrum“ sei - z.B. Gott, sein Gegenspieler (Teufel) oder das Zentrum unserer Galaxie (Galaktisches Zentrum), in dem sich ein gigantisches „Schwarzes Loch“ (Schwarzes Loch) befindet (es ist ein riesiges „Monster“ mit ungefähr 4 000 000 Sonnenmassen) -, immer sehen wir in ihm entweder einen Mittelpunkt des Glaubens (der Religion, der Theologie) und der Philosophie oder einen Mittelpunkt des Wissens (der Technik, der Wissenschaft) und des Glaubens. Letztendlich ist es also doch wieder der Glaube - auch wenn er mit mehr Denken und Wissen verbunden ist als anfangs. Ob wir Menschen unserse Sprache mehr auf das Seelische oder mehr auf das Geistige lenken und ob z.B. wir Abendländer unsere Kultursprache mehr auf das Seelenbild (das Faustische) oder mehr auf das Ursymbol (den Unendlichen Raum) lenken: (be-) greifbar werden beide natürlich immer nur am Körperlichen. Die Formen, die die Menschheit während ihrer Geschichte (auf ihrer Bahn „M“Abbildung) und auch jede gesonderte Einzelkultur während ihrer Geschichte (auf ihrer Bahn „H“Abbildung) in die Welt setzen, sind die Formen, die wir während unserer Umkreisung um das „Zentrum“ bei unserer gleichzeitigen „Eigendrehung“ und „Neigung“ (Neigung) als Spuren hinterlassen (wollen). 5 + X

 

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