Persien / Arabien (Morgenland)
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| Es ist aus zwei Gründen besonders schwierig, diese
magische Kultur zu strukturieren: einerseits entstand sie mitten in einem Raum
zwischen den älteren großen Kulturen, andererseits entstand sie zu
einer Zeit, in der diese älteren großen Kulturen in ihrer Entwicklung
viel weiter waren, also entweder schon alte und starre, aber erfahrene Zivilisationen
(Sumer und Ägypten) oder noch junge, aber aufblühende Kulturen (Indien
und Antike). Iranier und Inder waren zunächst eine Einheit ( ),
denn diese beiden indogermanischen Völker waren ursprünglich ein Volk:
Indoiranier. Iran bedeutet Land der Arier. Es ist die Hochebene zwischen
dem heutigen Irak (damals das Kerngebiet der mesopotamischen Kultur: Sumer, Assyrien,
Babylon), und dem Pandschab (damals ein westliches Gebiet der indischen Kultur).
Die Einwanderung der Iranier vollzog sich, was für unsere Belange von Wichtigkeit
ist, in zwei großen Wellen: 1.) Baktrer und Sogder; 2.) Meder und Perser.
Anfang des 10. Jahrthunderts v. Chr. wurde Baktra (Balkh) besiedelt, und dieses
Baktrien, die erste historische Landschaft des alten Iran, ist nach meiner Meinung
der Raum, in dem die magische Kultur ihre ersten ur-/vorkulturellen Formen seit
dem 10. Jahrhundert v. Chr. erhielt. Die persisch-arabische Kultur ist nicht denkbar
ohne den Monotheismus ( )
und darf auch deshalb magische Kultur genannt werden: der Prophet Zarathustra
(seine Lebensdaten sind nicht genau bekannt: zwischen 1000 v. Chr. und 600 v.
Chr. )
begründete den Parsismus (Mazdaismus, Zoroastrismus, Zarathustrismus). Zarathustra
war ein vor allem in Baktrien wirkender prophetischer Reformator der altiranischen
Religion und verstand sich als von seinem Gott Ahura Mazda berufener Verkünder
einer monotheistischen Religion. Die magische Religion entstand also in Persien
und wurde im Awesta ( ),
der heiligen Schrift der Parsen, in altiranischer Schrift niedergeschrieben. Grundanschauung
des Parsismus ist ein doppelter Dualismus von Gut und Böse und von geistiger
und körperlicher Wirklichkeit. Dem guten Gott Ahura Mazda steht der böse
Gott Ahriman gegenüber. Die parsistische Eschatologie erwartet den Sieg des
guten Geistes über den bösen Geist, ein Endgericht und die Verklärung
der Welt. Vor dem Weltgericht erwartet man das Kommen eines Heilands (Saoschjant).
Für den Kult sind besonders die Reinigungsriten und der Feuerkult bezeichnend.
Wegen der Heiligkeit des Feuers dürfen die Parsen ihre Toten nicht verbrennen
und setzen sie deshalb auf den Türmen des Schweigens aus, wo
sie von Raubvögeln gefressen werden. ( ).
In der von Zarathustra gestifteten Glaubenslehre der alten Iranier wurde also
zunächst der weise Herr (= Ahura Mazda oder: Ormuzd, mittelpersich:
Ormazd) verehrt, dem dann später der böse Geist (Ahriman oder: Angromainyu)
gegenübergestellt wurde. Jenem stehen als sechs gute Geister (Weisheit, Wahrhaftigkeit,
Herrschaft, Gesundheit, gute Gesinnung und Langlebigkeit) zur Seite, diesem Trug
und Zorn. Die Aufgabe des Menschen ist, Ahura Mazda im Kampf gegen Ahriman bezustehen,
wobei der Einzelne für Zarathustra die Verantwortung für sein Tun, d.h.
für den richtigen Gebrauch der genannten sechs Tugenden, allein trägt,
daher jederzeit Unheil abwenden könne. - 835 v. Chr. erwähnte der Assyrerkönig
Salmanasser III. Persien (Parsua) und Medien (Mada) im Zusammenhang mit dem Urmia-See
(Nordwest-Iran) - die Meder waren schon früh ein nicht zu unterschätzender
Gegner des Neuassyrischen Reiches (883-612), das, wie gesagt, eine der vielen
zivilisierten Fortsätze der alt und starr gewordenen mesopotamisch-sumerischen
Kultur war. Bis zum 7. Jh. v. Chr. standen die Meder unter der Oberhoheit der
Assyrer, bevor sie das Großreich der Assyrer zerstörten. Kyaxares (reg.
625-585) begründete die medische Großmachtstellung, vertrieb die Skythen
und Kimmerier aus Medien und vernichtete mit babylonischer Hilfe Assyrien (614
fiel Assur, 612 Ninive). In Kleinasien bildete nun der Halys (heute: Kizilirnak)
die Grenze, an der Kyaxares - unter dem Eindruck einer von Thales von Milet (650-570)
vorhergesagten Sonnenfinsternis (28.05.585) - den unentschiedenen Kampf mit Alyattes
von Lydien abbrach. Gegen Kyaxares' Sohn Astyages erhob sich der persische Vasallenkönig
Kyros II. (reg. 559-529) von Anschan, Sohn des Kambyses, aus dem Königshaus
der Achämeniden. Kyros II. eroberte das medische Reich (550) und festigte
seine Herrschaft im Iran. 546 beseitigte er den Lyderkönig Kroisos, unterwarf
die griechischen Städte West-Kleinasiens und führte Feldzüge gegen
den Ost-Iran. 539 v. Chr. eroberte er Babylonien und sorgte 538 v. Chr. per Erlaß
für das Ende des vom babylonischen König Nebukadnezar II. 587 v. Chr.
per Deportation durchgesetzten Babylonischen Exils der Juden, die nun nach
Palästina zurückkehren durften. Da Palästina von 539 v. Chr. an
zum Perser-Reich gehörte, wurden die Israeliten immer mehr von der Lehre
des Zarathustra beeinflußt. Das Judentum, die zweite monotheistische Religion,
entwickelte sich also wesentlich aus der Überlieferung der ersten monotheistischen
Religion. Am Anfang der israelitisch (jüdischen) Religion stand also nicht
Abraham, sondern Zarathustra. - Kambyses II. (reg. 529-522) eroberte 525 Ägypten
und stieß bis nach Nubien und Lybien vor. Während seiner Abwesenhait
zettelte der Magier Gaumata einen Aufstand an. Der Schwiegersohn Kyros' II., Dareios
I. (reg. 521-486), der aus einer Nebenlinie der Achämeniden stammte, tötete
Gautama am 16. Oktober 521 v. Chr. und schlug die Aufstände nieder. Dareios
I. war der Schöpfer des Persischen Weltreiches. Er unternahm 518 v. Chr.
einen Feldzug nach Ägypten, unterwarf 513 v. Chr. das Indus-Gebiet, blieb
zwar in einem Feldzug gegen die Skythen über den Bosporus und an die untere
Donau erfolglos, erzwang aber die Abhängigkeit Thrakiens und Makedoniens.
Von 500 v. Chr. bis 494 v. Chr. konnte er den zunächst erfolgreichen Aufstand
der Griechenstädte West-Kleinasiens niederwerfen (Milet wurde z.B. 494 v.
Chr. zerstört, seine Bewohner wurden nach Mesopotamien deportiert), doch
die Strafexpedition gegen die griechischen Städte mißlang ihm (vgl.
Marathon, 490 v. Chr.). Xerxes I. (reg. 486-465) unternahm 480-479 einen Feldzug
gegen Griechenland, der allerdings scheiterte. 387 v. Chr. fiel West-Kleinasien
jedoch wieder an Persien (vgl. 387: Königsfriede zwischen Athen und Sparta
unter Vermittlung des Perserkönigs Artaxerxes II.; reg. 404-363). Seit 330
v. Chr., als Dareios III. (reg. 336-330) von dem Satrapen Bessos ermordet wurde,
kam der Iran unter die Herrschaft Alexander d. Gr. - als Teil seines Weltreiches
(vgl. Alexander-Reich). Nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) ging aus den Machtkämpfen
seiner Nachfolger (Diadochen) im vorderasiatischen Raum das Reich der Seleukiden
hervor (endgültig nach der Schlacht bei Kurupedion, 281, die Seleukos gewann).
Die Herrschaft über den Nordosten des Iran verloren die hellenistischen Seleukiden
nach 250 v. Chr. an die dort einfallenden Parther, also an einen iranischen Stamm.
(Parther, altpersich: Partawa). Warum die magische Kultur eine so schwere Geburt
erlebte ( ),
warum ihre frühkulturelle Zeit (vom 3. Jh. v. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr.)
so undurchsichtig blieb, warum sie für so lange Zeit im Schatten besonders
der apollinischen Kultur (Antike) blieb, mögen so gegensätzliche Entwicklungen
wie die der iranischen Parther und die der iranischen Baktrier, stellvertretend
für andere Beispiele, beweisen: Die Parther drangen unter Arsakes I. um 247
v. Chr. von Nordosten her in die seleukidische (also: hellenistische) Provinz
Parthien und nannten sich seitdem nach dem eroberten Land Parther. Das Parther-Reich
(Hauptstadt Nisa, später Ktesiphon) breitete sich unter der Arsakiden-Dynastie
(um 250 v. Chr. - 224 n. Chr.) rasch und bis zum Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr.
bis zum heutigen China und Indien im Osten und bis zum Euphrat-Bogen im Westen
aus, trug zum Ende der Seleukiden-Herrschaft (64 v. Chr.) bei und wurde danach
zu einem Hauptgegner Roms. Die Entwicklung der Baktrier war im Vergleich zu der
Entwicklung der Parther eher entgegengesetzt: Das von Alexander d. Gr. 329-327
eroberte und später seleukidisch gewordene Baktrien blieb dem seleukidischen
Hellenismus eng verbunden, nannte sich seit etwa 230 v. Chr. Hellenobaktrisches
Reich, das unter Demetrios Sotor um 180 v. Chr. bis nach Vorder-Indien sogar erweitert
werden konnte, 129-128 jedoch zerstört wurde und danach in die Hände
der iranischen Tocharer fiel. Während also die Parther ganz wesentlich dazu
beitrugen, den Hellenismus, insbesondere den der Seleukiden, zu beenden, halfen
die Baktrier, obwohl (wohl eher: weil) sie weiter östlich beheimatet waren
als die Parther, den Hellenismus noch zu erweitern. Dieser scheinbar nie endende
Geist-Seele-Kulturdualismus ( )
vollzog sich auf dreifache Weise: (1.) zu ungunsten der magischen Kultur vom 3.
Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. (diese Zeit entspricht
in etwa der ersten frühkulturellen Phase der magischen Kultur; aber sie entspricht
auch in etwa der gesamten spätkulturellen Zeit der antiken Kultur! ),
(2.) offen und unentschieden vom 1. Jh. n. Chr. bis zum 2. Jh. n. Chr. (diese
Zeit entspricht in etwa der zweiten frühkulturellen Phase der magischen Kultur),
(3.) zu ungunsten der antik-apollinischen Kultur vom 2. Jh. n. Chr. bis zum 4.
Jh. n. Chr. (diese Zeit entspricht der dritten frühkulturellen
Phase der magischen Kultur). (Vgl. auch: Pseudomorphose ).
Die Parther brachten in einem der zahlreichen Perserkriege den Römern bei
Carrhae (Charran) 53 v. Chr. eine schmachvolle Niederlage bei. In dynastischen
Kämpfen aufgerieben, fiel das Parther-Reich 224 n. Chr. in die Hand der Sassaniden,
einer verwandten, weil ebenfalls persichen Dynastie (224-651), benannt nach Sassan,
dem Großvater des ersten Sassaniden-Herrschers Ardaschir I. (reg. 224-241).
Im 3. Jahrhundert entwickelte sich auch der Manichäismus, die Lehre des Persers
Mani (216-273), aus iranischen (zarathustrischen), gnostischen, babylonisch-chaldäischen,
jüdischen und christlichen Vorstellungen bestehend. Zarathustrisch ist Manis
Lehre vom Kampf des Lichtes und der Finsternis, des Guten und des Bösen.
Weil aber Mani als Gesandter des wahren Gottes die bisherige Zarathustra-Religion
verdrängen wollte, fiel er deren Priesterschaft zum Opfer. Die durch die
Gnosis beeinflußte Sittenlehre des Manichäismus gebot strengste Enthaltsamkeit,
besonders hinsichtlich Ernährung, Geschlechtsleben, Handarbeit. Trotz anfänglicher
Verfolgungen gewann der Manichäismus über das Sassaniden-Reich und später
das Abbasiden-Reich hinaus östlich bis nach China, westlich bis nach Spanien
und Gallien Einfluß. Augustinus (354-430), der den Manichäismus später
heftig bekämpfte, war eine Zeitlang sein Anhänger gewesen. Auch das
Christentum ist ja ein Geschöpf der magischen Kultur. So wie das Christentum
vom Morgenland auf das Abendland auf religöse Weise wirkte, so das Sassaniden-Reich
auf kulturpolitische Weise (über Byzanz), z.B. auf das abendländische
Rittertum. Auch wenn das so manchem heute fremd klingen mag: das Byzantinische
Reich war Teil der magischen Kultur! Daß es sich hin und wieder als Nachfolger
des (West-)Römischen Reiches verstanden wissen wollte, sagt nur etwas über
die Machtpolitik aus, aber nichts über die Kulturzugehörigkeit: Griechenland
war wie überhaupt der Osten der antiken Kultur schon zur Zeit des Übergangs
vom 1. zum 2. Jh. n. Chr. der magischen Kultur anheim gefallen und selbst Rom
war seit dem 2. Jh. n. Chr. dabei, alle möglichen Religionsformen aus dem
Osten zu übernehmen oder zumindest zu integrieren, weshalb es nach den anfänglich
Christenverfolgungen (1. bis 3. Jh.) dann doch, und zwar wegen der antiken Altersschwäche,
im Jahre 391 das Christentum problemlos zu einer Staatsreligion machte, weil es
nicht anders konnte: Rom war nämlich spätestens im 3. Jh. zum letzten
senilen Organ der antiken Kultur geworden (und hätte Rom nicht immer mehr
Germanen in immer höhere römische Ämter gebracht, wäre die
antike Kultur wahrscheinlich schon im 2. Jh. gestorben). Was
aber die magische Kultur mit dem Sterben des (West-)Römischen Reiches endlich
erreichte, war ihre hochkulturelle Zeit (4. Jh. bis 8. Jh.). Was von 395 bis 750
zwischen 70° westlicher Länge und 70° östlicher Länge eine
Großmacht war, gehörte entweder zur magisch-morgenländischen Kultur
(Sassaniden-Reich, Byzantinisches Reich, Omaijaden-Reich) oder schon zur faustisch-abendländischen
Kultur (Germanen-Reiche ).
Die eben erwähnten Christenverfolgungen waren übrigens keineswegs nur
auf die Zeit vor dem 3. Jh. und keineswegs nur auf den Westen beschränkt;
im persischen Sassaniden-Reich gab es ebenfalls Christenverfolgungen, z.B. eine
der gewaltigsten unter Schapur II. (reg. 309-379). Seit dem 5. Jh. wurde für
das Sassaniden-Reich die Bedrohung durch innere Feinde und von Osten durch die
Hephthaliten (Weiße Hunnen) und dann die Turkvölker immer
stärker. Unter Chosrau I. (reg. 531-579) erlebte das Sassaniden-Reich trotz
andauernder Kämpfe eine Blüte, die unter Hormisdas (reg. 579-590) und
Chosrau II. (reg. 590-628) ihren Höhepunkt erreichte, doch Jasdgrid (reg.
633-651) unterlag den eindringenden Arabern 636-637 bei Kadesia am unteren Euphrat
und 642 bei Nahawand (südlich von Hamadan). Während dieser arabischen
Eroberung wurde die zarathustrische Bevölkerung Persiens muslimisch; die
arabischen Omaijaden unterstellten das Land arabischen Statthaltern. Die
arabische Omaijaden-Dynastie (661-750) war über die Wahlkalifen (632-661)
an die Macht gekommen. Und die Geschichte der Wahlkalifen hat mit der Geschichte
Mohammeds zu tun: Mohammed (um 570 - 632) gehörte zum Stamm der Koreischiten.
Diese gaben schon in präislamischen Zeiten den Ton an in dem Umschlags- und
Handelsplatz Mekka, wo die verschiedensten Karawanenrouten Arabiens zusammenliefen
und die diversen Stammesgottheiten der Halbinsel über ihre Altäre verfügten.
Die von Mohammed gestiftete Religion (vgl. Islam ),
die sich als Vollendung der jüdischen und christlichen Religion versteht,
ist der vierte Monotheismus der magischen Kultur und kennt nur unbedingte Ergebung
(Kismet) in den Willen Allahs, der als absoluter Herrscher gilt. (Islam
= Ergebung [in Gottes Willen]). Die religiösen Glaubenssätze
und Pflichten sind genau festgelegt; zu ihnen gehören beispielsweise die
5 Pfeiler: 1.) Glaubensbekenntnis: Es gibt keinen Gott außer
Allah, und Mohammed ist sein Prophet; 2.) Gebet: 5mal am Tag, kniend auf öffentlichen
Anruf hin, in ritueller Reinheit; 3.) Almosen geben - fast bis zur geregelten
Steuer ausgebildet; 4.) Fasten: 30 Tage im Monat Ramadan (der 9. Monat des islamischen
Mondjahres), von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang; 5.) Wallfahrt (Hadsch) nach
Mekka: mindestens einmal im Leben. Im heiligen Buch des Islam (Koran) ist Mohammeds
Lehre, die von den Anhängern des Islam als geoffenbarte Wahrheit betrachtet
wird, in Suren (d.h. in Abschnitten) niedergelegt. Neben dem Koran bildete sich
aus mündlichen Überlieferungen über Mohammeds Entscheidungen und
Verhaltensweisen in konkreten Fragen und Situationen die Sunna (überkommene
Handlungsweise, Gewohnheit). Die Einschätzung der Wichtigkeit der Sunna neben
dem Koran ist das unterscheidende Kennzeichen für die Sunniten (ca. 90% der
Moslems) und die Schiiten (ca. 10% der Moslems). (Heute gibt es ca. 1,2 Mrd. Moslems ).
Seinen Ausgang nahm der Islam in Mekka, wo die Kaaba, das arabische Nationalheiligtum,
unter dem Schutz der Koreischiten stand. Dem Stamm also, dem auch Mohammed angehörte.
Dem Zugriff der Koreischiten mußte sich Mohammed im September 622 (Beginn
islamischer Zeitrechnung) durch die Auswanderung (Hidschra) aus Mekka nach
Medina entziehen. ( ).
Von hier aus verbreitete er seine Lehre, und bald konnte er mit kriegerischen
Mitteln Mekka zurückgewinnen und die Kaaba zum äußeren Mittelpunkt
des Islam machen. Nach dem Tod Mohammeds breiteten seine Nachfolger (Kalifen)
in langen Kämpfen den Islam aus. ( ).
Der Kalif Abu Bekr (reg. 632-634) warf die abgefallenen arabischen Stämme
nieder und stieß nach Syrien und Persien vor. Omar (reg. 634-644), der
Beherrscher der Gläubigen, wandelte den nationalen arabischen Staat
in ein theokratisches Weltreich um und baute eine Militärverwaltung auf:
der Befehlshaber der arabischen Besatzungstruppen wurde zugleich ziviler Statthalter
des Kalifen, religiöses Oberhaupt und weltlicher Richter. Omar eroberte Syrien
(635), Palästina (638) und Persien (636-642), sein Feldherr Amr bin Al-As
Ägypten (642). Der zum Kalifen gewählte Omaijade Othman (reg. 644-656)
setzte die Eroberungspolitik fort: die Araber drangen nach Barka vor (642-645).
Der Statthalter von Damskus, Muawija, kämpfte gegen Byzanz; nach der Bedrohung
durch eine byzantinische Flotte wurde eine arabische Flotte geschaffen: die Araber
wurden Seemacht. Othman begünstigte die Omaijaden und wurde von Widersachern
ermordet. Ali (reg. 656-661), der Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed,
verlegte die Residenz nach dem Kampf (Bürgerkrieg) gegen Mohammeds Witwe
Aischa I. und dem Sieg in der Kamel-Schlacht bei Basra (656) nach Kufa: Medina
wurde dadurch politisch bedeutungslos. Muawija, der Statthalter von Syrien, wollte
den Tod seines Vetters Otman rächen, und nach der Schlacht bei Siffin (657)
und dem Schiedsgericht von Adhruch (658), dessen Ergebnis unbefriedigend war (ein
Teil der Anhänger verließ Ali: Charidschiten), wurde Ali ermordet (661).
Nun begann die Zeit der Omaijaden-Dynastie (661-750). Muawija (reg. 661-680) ließ
Alis unfähigen Söhne abfinden. Unter Muawija wurde Damaskus Residenz.
Die Angriffe gegen Byzanz scheiterten zwar, doch im Osten wurden Kabul, Buchara
und Samarkand erobert. Jazid I. (reg. 680-683) schlug Alis Sohn Hussein und dessen
Anhänger bei Kerbela (10.10.680 = Passionstag der Schiiten), das dadurch
schiitischer Wallfahrtsort wurde. Abd Al-Malik (reg. 685-705) stellte nach der
Niederwerfung der schiitischen und charidschitischen Aufstände und der Beseitigung
des Gegenkalifats in Mekka die Reichseinheit wieder her, sicherte die Herrschaft
in Nordafrika und eroberte Karthago (698). Er führte auch eine arabische
Währung ein. Unter Walid (reg. 705-715) wurde der Höhepunkt der omaijadischen
Macht erreicht: Eroberung Transoxaniens, des Indus-Gebietes (711) und Spaniens
(711-712). Tarik überschritt die Meerenge von Gibraltar und vernichtete das
Heer der Westgoten unter Roderich (711). Die Belagerung Konstantionopels (718)
blieb erfolglos. Das weitere Vordringen der Araber
im Westen wurde 732 von den Franken unter Karl Martell in der Schlacht zwischen
Tours und Poitiers verhindert. ( ).
Während für die abendländische Kultur die
frühkulturelle Zeit gerade beginnen konnte ( ),
war für die magische Kultur die hochkulturelle Zeit nun zu Ende. ( ).
Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisensituation, die durch die steuerliche
Gleichstellung bekehrter Nichtaraber mit Arabern entstand ( ),
die Aufstände der Schiiten und Charidschiten sowie Zwistigkeiten zwischen
Omaijaden und Abbasiden führten zum Ende der Omaijaden-Dynastie. Der letzte
Omaijade, Merwan II. (reg. 744-750), wurde vernichtend geschlagen in der Schlacht
am Zab (Nebenfluß des Tigris). Dem unter den überlebenden Omaijaden
angerichteten Blutbad entkam nur Abd Ar-Rahman, der in Spanien das Emirat der
Omaijaden von Córdoba begründete (756). Die spätkulturelle Zeit
der magischen Kultur begann mit der Abbasiden-Dynastie (750-1258). Auf den 1.
Kalifen Abu L'Abbas, der 754 starb, folgte al-Mansur (der Siegreiche),
der eigentliche Begründer der Abbasiden-Dynastie, der die Machtgrundlage
des neuen Staates mit Hilfe persischer Hilfstruppen schuf (762 Gründung der
Residenz Bagdad). Die Vorrangstellung der Araber wurde beendet, die Führung
ging an die Perser über. Eingeführt wurde auch das persische Hofzeremoniell,
die Leitung des Staates durch Wesire und die Neuorganisation der Verwaltung nach
persischem und byzantinischem Vorbild. Der von seinem Hofstaat umschlossene Kalif
wurde für die Öffentlichkeit unerreichbar. Unter Harun al Raschid (reg.
786-809), auch bekannt geworden durch Tausend und eine Nacht, kam
es noch einmal zu einer Hochblüte des Kalifats. Trotz siegreicher Kämpfe
gegen Byzanz begann die politische Auflösung des Reiches: Selbständigkeit
erreichten z.B. die Dynastie der Idrisiden in Marokko (788), die der Aghlabiden
im tunesischen Kairuan (801), die der Tahiriden im nordostiranischen Chorasan
(821 bzw. 872), die der Saffariden und die der Samaniden im heutigen iranisch-turkmenisch-usbekischen
Gebiet (866 bzw. 874; endgültig um 900 bzw. 999 und 1005). Im 9. Jh. führten
die inneren Zwistigkeiten, schiitische Aufstände, das Emporkommen selbständiger
Dynastien zur politischen Entmachtung des Kalifen, der auf die Würde eines
geistlichen Oberhauptes aller Gläubigen herabsank, während die Staatsleitung
in den Händen des Amir al-Umara (Ober-Emir, Oberbefehlshaber) lag - jedenfalls
ab 936. Die Fürsten der unabhängigen Dynastien rissen bald den Titel
an sich. Von 940 bis 1258 war das Kalifat der Abbasiden ohne politische Bedeutung.
Trotz großer außenpolitischer Erfolge - z.B. der Eroberung des gesamten
Mittelmeerraumes und Indiens - setzte seit dem 9. Jh. die Sonderentwicklung auf
religiösem (sektiererischem), politischem und völkischem Gebiet ein.
Ein wesentlicher Faktor für all diese Reiche mit eigenen Dynastien und despotischer
Herrschaftsform war das seit dem 8. Jh. andauernde Einsickern der Turkvölker,
die im 9. Jh. Palastgarden an allen islamischen Höfen bildeten, deren Führer
oft Statthalter wurden und Macht ausübten. Die Ghasnawiden in Afghanistan
z.B. bildeten die erste türkische Dynastie (962-1186). In Spanien, Sizilien
und den anderen Mittelmeerländern mußte der Islam immer mehr Verluste
hinnehmen. (Vgl. Reconquista, Normannen). Die
von den Arabern aus orientalischem und hellenistischem Wissensgut zur Grundlage
gemachte islamische Wissenschaft, die im 9. und 10. Jh. ihren Höhepunkt erreichte,
beeinflußte vor allem über Spanien das Abendland. Doch die Führung
in der islamischen Welt ünernahm bald die türkische Seldschuken-Dynastie
(1040-1157). Der Name der Seldschuken geht zurück auf Seldschuk (um 1000),
einem Häuptling der Ogusen (Turkvolk). Die Seldschuken konnten bis 1092 ihr
Reich bis an den Amu-Darja und über Syrien (mit Palästina) ausdehnen
und damit zum mächtigsten Staat im Vorderorient werden. Alp Arslan (reg.
1063-1073), Sultan aus der Seldschuken-Dynastie, dehnte seine Herrschaft von Persien
nach Syrien aus, siegte über Byzanz (1071) und brachte den größten
Teil Kleinasiens in seine Gewalt. Im 12. Jh. wurden die Seldschuken von Lokalfürsten
abgelöst, aber ein Teil der Seldschuken gründete das Reich der Rum-Seldschuken
(1134-1308).
Zweite Runde:
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| Die türkischen Rum-Seldschuken gründeten im 12.
Jahrhundert ein Fürstentum und gewannen Konya als Residenz. 1243 eroberten
die Mongolen das Land der Rum-Seldschuken und duldeten sie als Vasallen bis 1308.
Um 1300 trat in dem nominell noch zum Byzantinischen Reich gehörenden Bithynien
Osman I. Ghasi, der die Osmanen-Dynastie (1300-1922) begründete, als Führer
einer Gruppe turkmenischer Glaubenskämpfer auf. Aber einen Staat ähnlich
den anderen turkmenischen Fürstentümern schuf erst Orchan (reg. 1326-1359),
dessen Truppen 1354 nahe Gallipoli (Gelibolu) den ersten Stützpunkt auf dem
europäischen Kontinent errichten konnten. 1361 wurde Adrianopel (Edirne)
genommen und wenig später Hauptstadt des Reiches. Das Byzantinische Reich
mußte den Status eines tributpflichtigen Vasallen hinnehmen. Als die vereinigten
Heere der Balkan-Staaten Serbien, Ungarn, Bulgarien, Bosnien an der Maritza 1371
geschlagen worden waren, kamen auch Thrakien und Makedonien in den Besitz der
Osmanen. Nach dem Sieg Murads I. (reg. 1359-1389), der mit Bajasid I. (reg. 1389-1402)
als eigentlicher Begründer des Osmanischen Reiches gilt, auf dem Amselfeld
1389 über Serbien und dessen Verbündete wurde Serbien den Osmanen tributpflichtig.
Bis 1393 eroberten die Osmanen den größten Teil Bulgariens und Thessaliens.
1394-1397 setzten sie sich auch in Attika und auf der Peloponnes fest. Die Walachei
wurde erstmals um 1395 (erneut 1415 unter Mircea dem Alten) tributpflichtig, und
1396 sicherte der Sieg von Widin die neueroberten Gebiete auf dem Balkan. Den
Versuch eines Kreuzfahrerheeres, das Byzantinische Reich aus der osmanischen Umklammerung
zu befreien, wehrten die Osmanen 1396 bei Nikopolis erfolgreich ab. Bajasid I.
stieß 1402 bei Ankara mit Timur-Lenk (Tamerlan) zusammen, der die osmanische
Armee vernichtend schlug und den Sultan gefangennahm; doch blieb das Osmanische
Reich in seinem Grundbestand erhalten. Murad II. (reg. 1421-1451) gelang die völlige
Wiederherstellung der osmanischen Macht; zudem eroberte er den größten
Teil Griechenlands. Weitere Expansionen scheiterten an dem von dem ungarischen
Reichsverweser J. Hunyadi organisierten Widerstand. Ein letzter Kreuzzug zur Rettung
des Byzantinischen Reiches brach 1444 in der Niederlage bei Warna zusammen. Nachdem
1448 auch Hunyadi geschlagen worden war, konnte Mehmet II. (reg. 1451-81) das
restliche Byzantinische Reich annektieren; er eroberte Konstantinopel am 29. Mai
1453 und machte es zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches. In den folgenden 100
Jahren erlangte das Osmanische Reich seine größte Macht und Ausdehnung.
Die Voraussetzungen hatte noch Mehmet II. gelegt, als er 1454/55 Serbien, 1461
Trapezunt, 1463 Bosnien annektierte und 1466/67 den Aufstand des Skanderbeg in
Albanien niederwarf. Der Krieg mit Venedig (1463-1479) brachte den Osmanen vor
allem die Peloponnes und Athen ein und sicherte ihre Herrschaft über Albanien.
Das Osmanische Reich stieg zur beherrschenden Seemacht im östlichen Mittelmeer
auf und war im Seekrieg gegen Venedig (1499-1503) erfolgreich. Der Khan der Krimtataren
mußte die Oberhoheit der Osmanen anerkennen. In Anatolien wurde 1468 Karaman,
1474 Kleinarmenien besetzt. Versuche, in Unteritalien (1480 Fall Otrantos) Fuß
zu fassen, mußten 1481 aufgegeben werden. 1482 wurde die Herzegowina, 1484
Bessarabien besetzt, 1504 die Moldau tributptlichtig. Ost-Anatolien wurde bis
zum Wan-See osmanisch; 1516/17 wurden Syrien und Ägypten besetzt. Der Sultan,
der seit 1517 auch den Kalifentitel trug, wurde auch zum Schutzherrn der heiligen
Stätten des Islams in Mekka und Medina. Sulaiman I. (reg. 1520-66), der
Prächtige, vertrieb 1522 die Johanniter aus Rhodos, 1521 überschritt
er die Donau, besetzte Belgrad und nach der Schlacht von Mohacs (1526) große
Teile Ungarns. 1529 drang er bis Wien vor. Chair Ad Din, der Herr von Algier,
stellte sich 1519 in den Dienst des Sultans und wurde Großadmiral der osmanischen
Flotte. 1551 kam Tripolitanien, 1570 Zypern, 1574 Tunesien unter osmanische Herrschaft.
Die Periode äußerer Ausdehnung brachte auch den inneren Ausbau des
Staates. Die Verwaltung wurde zentralisiert. Die neue Oberschicht, die sich aus
den verschiedensten Völkern des Reiches zusammensetzte, löste die zum
Zivildienst ausgebildeten Sklaven der Pforte ab und verdrängte
schließlich auch die alte türkische Stammesaristokratie. Die nichtmuslimischen
Religionsgemeinschaften (Millet) erhielten zwar eine gewisse Autonomie zugebilligt,
blieben aber von der Mitwirkung an politischen Entscheidungen ausgeschlossen.
Als der Unterhalt der Armee nicht mehr durch die bei den Eroberungen gemachte
Beute gesichert war, wurden den Untertanen (Rajah) harte Steuerlasten auferlegt.
Im 6. Türkisch-Venezianischen Krieg (1645-1669) wurde bis 1669 Kreta erobert,
im Krieg mit Polen (1672-1676) Podolien und die polnische Ukraine. Mit dem Vorstoß
bis Wien 1683 und dessen vergebliche Belagerung war die Kraft der osmanischen
Armee jedoch erschöpft. Der folgende Große (2.) Türkenkrieg (1683-1699)
mit der Heiligen Liga von 1684 endete mit den Friedensverträgen von Karlowitz
und Konstantinopel (1699 bzw. 1700), in denen vor allem die Peloponnes und Athen,
das westliche Dalmatien, Ungarn, der größte Teil von Kroatien mit Slawonien,
Siebenbürgen, Podolien, die polnische Ukraine und Asow abgetreten werden
mußten. Im 3. Türkenkrieg (1716-1718) gingen dem Osmanischen Reich
im Frieden von Passarowitz (1718) weitere Gebiete verloren. Dann wurde Rußland,
das aus den Kriegen mit Schweden (vgl. Nordischer Krieg, 1700-1721) erstarkt hervorgegangen
war, zum Hauptgegner der Osmanen, die es in den Friedensschlüssen von Küçük
Kaynarci (1774) und Jassy (1792) zwang, alle Gebiete im Norden des Schwarzen Meers
bis zum Dnjestr aufzugeben - weitere Gebietsverluste bis zum Pruth folgten dem
Russisch-Türkischen Krieg von 1806-1812. Salim III. (reg. 1789-1807) leitete
eine Periode von Reformen ein, die Mahmud II. (reg. 1808-1839) fortsetzte. Infolge
der 1826 erfolgten Beseitigung der traditionellen Militärmacht der Janitscharen
durch die neuen Truppen war das Reich jedoch seinen inneren und äußeren
Gegnern nahezu hilflos ausgeliefert; die an der Peripherie gelegenen Provinzen
machten sich selbständig. England, Frankreich und Rußland setzten die
Unabhängigkeit der Griechen durch, nachdem sie am 20. Oktober 1827 bei Navarino
die türkisch-ägyptische Flotte vernichtet hatten. Nach dem Russisch-Türkischen
Krieg von 1828-1829 mußte der Sultan im Frieden von Adrianopel (1829) und
im Londoner Protokol1 (1830) die Autonomie Serbiens, der Moldau und der Walachei,
die Unabhängigkeit Griechenlands anerkennen und kaukasische Gebiete an Rußland
abtreten. Auch Ägypten suchte seine Macht auf Kosten des nunmehr als Kranker
Mann am Bosporus bezeichneten Osmanischen Reiches zu vergrößern.
Erst die Quadrupel-Allianz von London (1840) zwischen England, Rußland,
Österreich und Preußen zwang Ägypten zum Rückzug aus Syrien
und zur Wiederanerkennung der Oberhoheit des osmanischen Sultans. Der Krimkrieg
(1853-1856) zwang das Osmanische Reich zu so hoher Verschuldung, daß im
Jahre 1875 die Zahlungsunfähigkeit erklärt werden mußte. Trotz
aller Reformbemühungen wurde die Schwäche des Reiches zunehmend größer.
Nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877-1878 erhielten Serbien, Montenegro
und Rumänien (Moldau und Walachei) auf dem Berliner Kongreß 1878 die
volle Unabhängigkeit, Bosnien und die Herzegowina wurden unter österreichische
Verwaltung gestellt, Zypern wurde England zugesprochen. Frankreich das 1830-1870
bereits Algerien annektiert hatte, besetzte 1881 Tunesien, England 1882 Ägypten.
Wachsende innere und äußere Schwierigkeiten führten zur Absetzung
von Abd Al-Hamid II. (reg. 1876-1909) durch die Jungtürken (1909). Sein Nachfolger
Mehmet V. (reg. 1909-1918) verlor die politische Macht endgültig an die Jungtürken,
die unter der Führung von Enwer Pascha und Talat Pascha standen. Deren Politik
war jedoch keineswegs erfolgreicher. Bereits 1908 hatte Bulgarien mit Ost-Rumelien
seine Unabhängigkeit erklärt, Österreich hatte Bosnien und die
Herzegowina annektiert, Kreta war griechisch geworden. Der Italienisch-Türkische
Krieg (1911-1912) endete mit dem Verlust von Tripolis, der Cyrenaika und des Dodekanes;
in den Balkankriegen von 1912-1913 gingen die verbliebenen europäischen Besitzungen
fast ganz verloren; der Kriegseintritt an der Seite der Mittelmächte am 1.
November 1914 verhinderte Ansätze einer inneren Erneuerung. Im 1. Weltkrieg
gingen die arabischen Teile des Reiches verloren (1917 Irak, 1918 Palästina
und Syrien). Im Vertrag von Sevres vom 10. August 1920 mußte Sultan Mehmet
VI. (reg. 1918-1922) auf alle Gebiete außerhalb Kleinasiens bis auf einen
Zipfel des europäischen Festlandes verzichten. Die Türkei kam unter
alliierte Militär- und Finanzkontrolle. Die Griechen besetzten 1919-1922
Izmir; Istanbul und die Meerengen kamen 1918-1923 unter alliierte Verwaltung.
Türkisch-Armenien wurde vorübergehend selbständig. Die von den
Siegern geforderte vollständige Demobilisierung wurde von Mustafa Kemal Pascha
(Kemal Atatürk) verhindert, der sich 1919 in Anatolien an die Spitze der
nationalen Widerstandsbewegung stellte. Als die Griechen versuchten, weitere Teile
West-Anatoliens zu besetzen, stellte er neue Armee-Einheiten auf und vertrieb
die Griechen aus den von ihnen besetzten Gebieten (Griechisch-Türkischer
Krieg, 1919-22). In dem am 24. Juli 1923 in Lausanne unterzeichneten neuen Friedensvertrag
gewann die Türkei Teile Ost-Thrakiens sowie die uneingeschränkte Kontrolle
über Anatolien zurück. Am 29. Oktober 1923 wurde die Republik ausgerufen;
Mustafa Kemal Pascha, ihr erster Präsident, erhielt 1934 den Beinamen Atatürk
(Vater der Türken). Mehmet VI. war 1922 als Sultan abgesetzt
worden, das Amt des Kalifen bestand bis zu seiner Aufhebung am 3. März 1924
weiter. Kemal Atatürk bemühte sich, die Türkei zu einem europäisch-orientierten,
säkularen Nationalstaat zu formen (vgl. auch: Kemalismus). Außenpolitisch
suchte er die Türkei durch den Ausgleich mit den Siegermächten sowie
durch Verträge mit den Nachbarstaaten abzusichern. Nach Atatürks Tod
am 10. November 1938 wurde I. Inönü zum Staatspräsidenten gewählt.
Er hielt das Land im 2. Weltkrieg neutral. Die Kriegserklärung an Deutschland
und Japan im Februar 1945 war Voraussetzung für die Aufnahme in die UN. 1952
wurde die Türkei Mitglied der NATO, 1955 schloß sie mit dem Irak den
bald erweiterten Bagdadpakt, der 1959 zur Central Treaty Organization (CENTO)
umgewandelt wurde. Nach 1945 waren neben der regierenden Republikanischen Volkspartei
weitere politische Parteien zugelassen worden; die von M. C. Bayar, M. F. Köprülü
und A. Menderes gegründete Demokratische Partei gewann 1950 die Wahlen. Bayar
wurde Staatspräsident, Menderes Ministerpräsident. Als Menderes infolge
wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Unterstützung des Parlaments verlor,
hielt er sich durch Unterdrückung der Opposition an der Macht, was zu seinem
Sturz am 27. Mai 1960 durch Militärputsch führte. Nach Verabschiedung
der Verfassung durch Volksabstimmung wurde General C. Gürsel zum Staatspräsidenten
gewählt. Die Wahlen von 1965 brachten die konservative, in der Nachfolge
der Demokratischen Partei gegründeten Gerechtigkeitspartei an die Macht;
ihr Führer S. Demirel verfolgte als Ministerpräsident eine Politik enger
Anlehnung an den Westen. Die ungelöste Zypernfrage und die seit dem Beginn
der 1970er Jahre wachsenden innenpolitischen Spannungen, die sich in blutigen
Studentenunruhen und einer Vielzahl von Terrorakten entluden, gaben dem Militär
erneut Anlaß, in die Politik einzugreifen. Demirel wurde 1971 zum Rücktritt
gezwungen. Die folgenden rechtsgerichteten Koalitionsregierungen unter militärischer
Vormundschaft konnten die politische Lage nicht stabilisieren. Mehrmals wurde
der Ausnahmezustand verkündet. Unter dem sozialdemokratisch orientierten
B. Ecevit kam 1974 wieder die Republikanische Volkspartei an die Macht. Ecevit
mußte aber eine Koalition mit der islamisch-fundamentalistisch ausgerichteten
Nationalen Wohlfahrtspartei eingehen, deren Ziele den seinen vielfach entgegengesetzt
waren. Trotz der Verschärfung der Spannungen mit Griechenland wegen des Streits
um Ölbohrrechte in der Ägäis wie auch der Landung türkischer
Truppen am 20. Juli 1974 nach einem Staatsstreich in Zypern und der Besetzung
des Nord-Teils der Insel konnte sich Ecevit nicht halten und wurde im März/April
1975 wieder von Demirel abgelöst. Politisch und religiös-ethnische Kämpfe,
Zustände eines Bürgerkriegs, ständige Verletzungen der Menschenrechte
- trotz und wegen des mehrfachen verhängten Kriegsrechts - prägen seit
den 1970er Jahren das Bild der Türkei. Wird die Türkei auch in der Zukunft
ein zerissenen Land ( )
bleiben? 

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| Die magische Kultur ist geographisch und historisch
die mittelste in der Gruppe hoher Kulturen, die einzige, welche sich räumlich
und zeitlich fast mit allen andern berührt. ( ).
... Die Pseudomorphose ( )
beginnt mit Actium - hier hätte Antonius siegen müssen. Es war
nicht der Entscheidungskampf zwischen Römertum und Hellenismus, der
zum Austrag kam; der ist bei Cannäund Zama ausgefochten worden, von Hannibal,
der das tragische Geschick hatte, in Wirklichkeit nicht für sein Land, sondern
für das Hellenentum zu kämpfen. Bei Actium stand die ungeborene arabische
Kultur gegen die greisenhafte antike Zivilisation. .... Von der magischen Gottheit
gilt das Wort Jesu: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen,
da bin ich mitten unter ihnen.« Es versteht sich, daß für jeden
Gläubigen nur ein Gott der wahre und gute sein kann, die Götter der
andern aber falsch und böse sind. Und nicht etwa »nicht vorhanden«.
Es heißt das magische Weltgefühl mißverstehen, wenn man in die
Bezeichnung »der wahre Gott« eine faustisch-dynamische Bedeutung legt.
Der Götzendienst, den man bekämpft, setzt die volle Wirklichkeit der
Götzen und Dämonen voraus. Die israelitischen Propheten haben nicht
daran gedacht, die Baale zu leugnen und ebenso sind Mithras und Isis für
die frühen Christen, Jehovah für den Christen Marcion, Jesus für
die Manichäer teuflische, aber höchst reale Mächte. Daß man
»an sie nicht glauben« soll, ist ein Ausdruck ohne Sinn für das
magische Empfinden; man soll sich nicht an sie wenden. Das ist, nach einer längst
geläufigen Bezeichnung, Henotheismus, nicht Monotheismus ( ).
Die Beziehungen zwischen diesem Gott und dem Menschen ruht nicht im Ausdruck,
sondern in der geheimen Kraft, in der Magie gewisser symbolischer Handlungen:
damit sie wirksam sind, muß man ihre Form und Bedeutung genau kennen und
sie danach ausüben. Die Kenntnis dieser Bedeutung ist ein Besitz der Kirche
- sie ist die Kirche selbst als die Gemeinschaft der Kenner - und damit liegt
der Schwerpunkt jeder magischen Religion nicht im Kult, sondern in einer Lehre,
im Bekenntnis. - Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand
die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen
Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus ( ).
Die persische Religion dringt als Mithraskult ein, die chaldäisch-syrische
in den Kulten der Gestirngötter und Baale (Jupiter, Dolichenus, Sabazios,
Sol Invictus, Atargatis), das Judentum in Gestalt des Jahwekultes, denn die ägyptischen
Gemeinden der Ptolemäerzeit lassen sich nicht anders bezeichnen, und auch
das früheste Christentum, wie die Paulinischen Briefe und die römischen
Katakomben deutlich erkennen lassen, als Jesuskult. Mögen alle diese Kulte,
die etwa seit Hadrian (also seit etwa 117-138) die
der echt antiken Stadtgötter völlig in den Hintergrund drängen,
noch so laut den Anspruch erheben, eine Offenbarung des einzig wahren Glaubens
zu sein - Isis nennt sich deorum dearumque facies uniformis -, so tragen
sie doch sämtliche Merkmale des antiken Einzelkultes: sie vermehren deren
Zahl ins Unendliche; jede Gemeinde steht für sich und ist örtlich begrenzt,
alle diese Tempel, Katakomben, Mithräen, Hauskapellen sind Kultorte, an welche
die Gottheit nicht ausdrücklich, aber gefühlsmäßig gebunden
ist; aber trotzdem liegt magisches Empfinden in dieser Frömmigkeit. Antike
Kulte übt man aus, und zwar in beliebiger Zahl, von diesen gehört
man einem einzigen an. Die Mission ist dort undenkbar, hier ist sie selbstverständlich,
und der Sinn religiöser Übungen verschiebt sich deutlich nach der lehrhaften
Seite. Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen
Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis
der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer
neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt
sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben,
und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum
als magische Nation. Aus der sorgfältig festgelegten Form der Einzelhandlung
bei Opfern und Mysterien wird eine Art Dogma über den Gesamtsinn dieser Akte.
Die Kulte können sich gegenseitig vertreten; man übt sie nicht eigentlich
aus, sondern »hängt ihnen an«. Und aus der Gottheit des Ortes
wird, ohne daß jemand sich der Schwere dieser Wendung bewußt wäre,
die am Orte gegenwärtige Gottheit. So
sorgfältig der Synkretismus seit Jahrzehnten durchforscht ist, so wenig hat
man doch den Grundzug seiner Entwicklung, zuerst die Verwandlung östlicher
Kirchen in westliche Kulte und dann mit umgekehrter Tendenz die Entstehung der
Kultkirche, erkannt. Infolgedessen erscheint er als formloser Mischmasch aller
denkbaren Religionen. Nichts ist weniger richtig. Die Formenbildung geht erst
von West nach Ost, dann von Ost nach West. .... Die Welt, wie sie sich vor dem
magischen Wachsein ausbreitet, besitzt eine Art von Ausgedehntheit, die höhlenhaft
genannt werden darf ( ),
so schwer es dem Menschen des Abendlandes auch ist, im Vorrat seiner Begriffe
auch nur ein Wort ausfindig zu machen, mit dem er den Sinn des magischen »Raumes«
wenigstens andeuten könnte. Denn »Raum« bedeutet für das
Empfinden beider Kulturen durchaus zweierlei. Die Welt als Höhle ist von
der faustischen Welt als Weite mit ihrem leidenschaftlichen Tiefendrang ebenso
verschieden wie von der antiken Welt als Inbegriff körperlicher Dinge. ....
Laut Spengler begann etwa seit 200 auch das Streben, die sichtbare
und immer strenger gegliederte Gemeinschaft der Gläubigen mit dem Organismus
des Staates gleichzusetzen. Das folgt mit Notwendigkeit aus dem Weltgefühl
der magischen Menschen und führt zur Verwandlung der Herrscher in Kalifen
- Beherrscher vor allem der Gläubigen, nicht eines Gebietes - und damit zur
Auffassung der Rechtgläubigkeit als der Voraussetzung wirklicher Staatsangehörigkeit,
zur Pflicht der Verfolgung falscher Religionen - der heilige Krieg des Islam ist
so alt wie diese Kultur selbst und hat ihre ersten Jahrhunderte vollkommen erfüllt
-, zur Stellung der im Staate nur geduldeten Ungläubigen unter eigenes Recht
und Verwaltung - denn das göttliche Recht ist Ketzern versagt - und damit
zur Wohnweise des Ghetto. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
1918-1922, S. 785, 788, 799-801, 840, 868 ).Die
arabische Weltmacht vereinigte zunächst Völker verschiedenster
Herkunft und Religion; trotz dieser Besonderheiten erwuchs schnell eine einheitliche
arabische Kultur durch Religion (Islam )
und arabische Sprache, die überall herrschend wurde, weil der Koran nicht
übersetzt werden darf. (Weil aber der magischen Kultur der persische Monotheismus
die Basis, der jüdische Monotheismus und der christliche Monotheismus weitere
Rahmenbedingungen lieferten, sollen auch sie hier nicht unerwähnt bleiben).
Die unterworfenen Völker wurden weder bekehrt noch zur Annahme des Islam
gezwungen, sondern nur einer Besteuerung unterworfen! Das ist ja auch viel effektiver!
Später entstand ein Gegensatz zwischen der Vorherrschaft der arabischen Kriegerkaste
(nur Kriegsdienst, keine Steuer) und den Untertanen, die sich zum Islam bekehrten.
Die von dem nichtarabischen Bevölkerungsteil gefordete Gleichberechtigung
mußte gewährt werden.
Die
Struktur der politischen Loyalität unter Arabern und generell unter Muslimen
scheint stets das Gegenteil derjenigen des Abendlandes gewesen zu sein, und für
das Abendland ist laut S. P. Huntington ( )
der Nationalstaat höchstes Objekt politischer Loyalität .... Engere
Loyalitäten sind dieser untergeordnet und gehen in der Loyalität zum
Nationalstaat auf. Gruppierungen, die die Grenzen des Nationalstaats überschreiten,
wie zum Beispiel Sprach- oder Religionsgemeinschaften oder Kulturen, haben weniger
unbedingte Loyalität oder Bindung gefordert. Auf einem Kontinuum von engeren
zu umfassenderen Einheiten haben daher im Westen die Loyalitäten ihren Höchstwert
tendenziell in der Mitte, wobei die Loyalitätsintensitätskurve annähernd
ein umgekehrtes U bildet. In der islamischen Welt ist die Struktur der Loyalität
fast genau umgekehrt gewesen. Der Islam hat in seiner Hierarchie der Loyalitäten
eine hohle Mitte. Die »zwei fundamentalen, ursprünglichen und dauerhaften
Strukturen sind, wie Ira Lapidus angemerkt hat, auf der einen Seite die Familie,
die Sippe, der Stamm gewesen und auf der anderen Seite »in aufsteigendem
Maßstab die Einheiten Kultur, Religion und Reich«. Ein lybischer Gelehrter
äußerte sich ähnlich: »Tribalismus und Religion (Islam)
spielten und spielen noch immer eine bedeutende und bestimmende Rolle in der sozialen,
wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklung arabischer Gesellschaften
und politischer Systeme, ja sie sind dergestalt miteinander verwoben, daß
sie als die wichtigsten Faktoren und Variablen angesehen werden, die die arabische
politische Kultur und die arabische politische Mentalität prägen und
bestimmen.« Stämme sind zentral für die Politik arabischer Staaten
gewesen, deren viele ganz einfach, wie Tahsin Bashir es ausdrückt, »Stämme
mit einer Flagge« sind. Der Gründer Saudi-Arabiens hatte weithin Erfolg
dank seiner Fähigkeit, durch Heirat und andere Mittel eine Stammeskoalition
zu bilden, und saudische Politik ist fortan zu einem wesentlichen Teil Stammespolitik
gewesen, die Sudaris gegen Shammars und andere Stämme ausspielte. .... In
Zentralasien waren historisch gesehen nationale Identitäten nicht existent.
»Die Loyalität galt dem Stamm, der Sippe und der erweiterten Familie,
nicht dem Staat.« Am entgegengesetzten Extrem hatten die Menschen »Sprache,
Religion, Kultur und Lebensstil« gemeinsam: »Die stärkste einigende
Kraft unter den Menschen, stärker als die Macht des Emir, war der Islam.«
(Y. Onaran). Im Islam sind die kleine Gruppe und der große Glaube, der Stamm
und die Umma, Grundlage von Loyalität und Bindung gewesen, während
dem Nationalstaat viel weniger Bedeutung zukommt. In der arabischen Welt haben
existierende Staaten Legitimitätsprobleme, weil sie zum größten
Teil das Produkt des europäischen Imperialismus sind und ihre Grenzen sich
oft nicht mit denen von Ethnien wie Berbern oder Kurden decken. .... Die Umsetzung
islamischen Bewußtseins in islamischen Zusammenhalt birgt ... zwei Paradoxa.
Erstens zerfällt der Islam in mehrere konkurrierende Machtzentren, deren
jedes den Versuch unternimmt, aus der muslimischen Identifikation mit der Umma
Kapital zu schlagen, um den Zusammenhalt des Islam unter seiner Führung zu
fördern. .... Zweitens: Die Idee der Umma setzt die Illegitimität
des Nationalstaates voraus, und doch ist die Umma nur durch das Handeln
eines oder mehrerer starker Kernstaaten zu einigen. Doch diese gibt es heute nicht.
Das Konzept des Islam als einer einheitlichen religiös-politischen Gemeinschaft
hat in der Vergangenheit Kernstaaten nur in Erscheinung treten lassen, wenn religiöse
und politische Führung, Kalifat und Sultanat, in einer einzigen Herrschaftseinrichtung
verbunden waren. (Vgl. Omaijaden, Abbasiden, Osmanen, Moguln).
... Der Aufstieg des Westens unterminierte sowohl das Osmanische als auch das
Mogulreich, und das Ende des Osmanischen Reiches ließ den Islam ohne Kernstaat
zurück. .... Das Fehlen eines islamischen Kernstaates ist ein ausschlaggebender
Faktor in den durchgängigen inneren und äußeren Konflikten, die
den Islam kennzeichnen. Islamisches Bewußtsein ohne islamischen Zusammenhalt
ist eine Quelle der Schwäche für den Islam und eine Quelle der Bedrohung
für andere Kulturen. Wird dieser Zustand andauern? (S. P. Huntington,
Kampf der Kulturen, 1996, S. 279-285 ).Gegenwärtig
erfüllt keiner der sechs Staaten, die immer wieder als mögliche Führungsmächte
des Islam im Gespräch sind, die für einen effizienten Kernstaat notwendigen
Voraussetzungen. Indonesien
ist das größte muslimische Land und erlebt ein rapides wirtschaftliches
Wachstum. Es liegt jedoch an der Peripherie des Islam, weit ab von dessen arabischem
Zentrum; sein Islam ist ein gelassener, südostasiatischer Islam; seine Menschen
... sind eine Mischung aus einheimischen, muslimischen, hinduistischen, chinesischen
und christlichen Einflüssen. Ägypten
ist ein arabisches Land mit einer großen Bevölkerung, einer zentralen,
strategisch wichtigen Lage im Nahen Osten und der führenden Institution islamischer
Gelehrsamkeit, der Al-Azhar-Universität. Es ist jedoch auch ein armes Land,
wirtschaftlich abhängig von den USA, von westlich kontrollierten internationalen
Organisationen und den erdölreichen arabischen Staaten. Iran, Pakistan und
Saudi-Arabien haben sich alle ausdrücklich als muslimische Länder definiert
und massive Versuche unternommen, Einfluß auf die Umma auszuüben
und in ihr die Führung zu übernehmen. Hierbei rivalisierten sie miteinander
in der Förderung von Organisationen, der Finanzierung von islamischen Gruppen,
der Unterstützung der Kämpfer in Afghanistan und dem Umwerben der muslimischen
Völker Zentralasiens. Iran wäre,
was seine Größe, zentrale Lage, Bevölkerung, historischen Traditionen,
Ölressourcen und wirtschaftliche Entwicklung auf mittlerem Niveau betrifft,
für einen islamischen Kernstaat qualifiziert. Jedoch sind neunzig Prozent
der Muslime Sunniten, während der Iran schiitisch ist; Persisch liegt weit
hinter dem Arabischen als Sprache des Islam; und die Beziehungen zwischen Persien
und Arabien waren in der Geschichte stets von Gegensätzen geprägt. Pakistan
hat die notwendige Größe, Bevölkerung und militärische Fähigkeit,
und seine Führer haben ziemlich konsequent versucht, eine Rolle als Wegbereiter
der Kooperation unter den islamischen Staaten und als Sprecher des Islam in der
übrigen Welt zu beanspruchen. Pakistan
ist jedoch relativ arm und krankt an schweren inneren ethnischen und regionalen
Zwistigkeiten, an seiner notorischen politischen Instabilität und an der
Fixierung auf sein Sicherheitsproblem gegenüber Indien. Dies erklärt
zu einem wesentlichen Teil sein Interesse an der Entwicklung enger Beziehungen
zu anderen islamischen Ländern sowie zu nichtmuslimischen Mächten wie
China und den USA. Saudi-Arabien
war die ursprüngliche Heimat des Islam; dort liegen die größten
Heiligtümer des Islam; seine Sprache ist die Sprache des Islam; es hat die
größten Ölreserven der Welt und den entsprechenden finanziellen
Einfluß; und seine Regierung hat die saudische Gesellschaft streng im Sinne
des Islam geformt. Während der 1970er und 1980er Jahre war Saudi-Arabien
der einflußreichste Einzelfaktor in der muslimischen Welt. Das Land gab
Milliarden von Dollar für die Unterstützung muslimischer Anliegen in
der ganzen Welt aus, von Moscheen und Lehrbüchern bis zu Parteien, islamistischen
Organisationen und terroristischen Bewegungen. Auf der anderen Seite machen die
relativ kleine Bevölkerung und seine geographische Verwundbarkeit das Land
in Sicherheitsfragen vom Westen abhängig. Schließlich
hat die Türkei die notwendige Geschichte, Bevölkerung, mittlere Wirtschaftsentwicklung,
nationale Geschlossenheit und militärische Tradition und Kompetenz, um als
Kernstaat des Islam zu gelten. Doch Atatürk, der die Türkei ausdrücklich
als laizistische Gesellschaft definierte, hinderte die Türkische Republik
daran, in dieser Rolle dem Osmanischen Reich nachzufolgen. Die Türkei konnte
aufgrund ihres in der Verfassung verankerten Laizismus nicht einmal Gründungsmitglied
der Organisation der Islamischen Konferenz werden. Solange die Türkei sich
weiterhin als säkularer Staat definiert, bleibt ihr die Führung des
Islam versagt. Wie aber, wenn die Türkei sich neu definierte? An einem
bestimmten Punkt könnte die Türkei es leid sein, die frustrierende und
demütigende Rolle des Bittstellers zu spielen, der um Aufnahme in den Westen
bettelt, und sich auf ihre viel eindrucksvollere und herausragende historische
Rolle als wichtigster islamischer Gesprächspartner und Antagonist des Westens
besinnen. Der Fundamentalismus ist in der Türkei auf dem Vormarsch; unter
Özal unternahm die Türkei umfangreiche Bemühungen, sich mit der
arabischen Welt zu identifizieren; sie hat aus ethnischen und sprachlichen Bindungen
Kapital geschlagen, um eine bescheidene Rolle in Zentralasien zu spielen. Sie
hat den bosnischen Muslimen Ermutigung und Unterstützung zuteil werden lassen.
Von allen anderen muslimischen Ländern unterscheidet sich die Türkei
durch ihre tiefgreifenden historischen Beziehungen zu Muslimen auf dem Balkan,
im Nahen Osten, in Nordafrika und Zentralasien. So könnte die Türkei
denkbarerweise »Südafrika spielen«: den Laizismus als ebenso
wesensfremd verwerfen, wie Südafrika die Apartheit verwarf, und sich damit
vom Pariastaat ihres Kulturkreises zum führenden Staat dieses Kulturkreises
mausern. Nachdem es in Form von Christentum und Apartheit das Beste und das Schlechteste
des Westens kennengelernt hat, ist Südafrika besonders qualifiziert, in Afrika
eine führende Rolle zu übernehmen. Nachdem sie in Laizismus und Demokratie
das Schlechteste und das Beste des Westens kennengelernt hat, mag die Türkei
ebenso qualifiziert sein, den Islam zu führen. Dazu müßte sie
aber das Erbe Atatürks noch gründlicher verwerfen, als Rußland
das Erbe Lenins verworfen hat. Auch bedürfte es eines Führers vom Kaliber
Atatürks, eines Führers, der religiöse und politische Legitimität
in sich vereinigte, um aus dem zerissenen Land ( )
Türkei einen Kernstaat des Islam zu machen. (S. P. Huntington, Kampf
der Kulturen, 1996, S. 285-288 ). |