WWW.HUBERT-BRUNE.DE
Biologie und Sprache Zur Geschichte der Sprache Sprachlicher Code
Die Sprache, die aus der Distanzierung zur Natur hervorgegangen ist und die Kunst bis hin zur Technokratie ermöglicht hat, bietet wiederum die Schwelle an, die von der Kultur zur Natur führt; sie kann also auch als Bremse fungieren, wenn offene Rahmenbedingungen ungeheuerlich werden und Geschlossenheit erzwingen, denn ein offenes System (außerhalb des thermodynamischen Gleichgewichts) gebiert aus Chaos Ordnung. Einzelne Strukturen - wie etwa Lebewesen - bleiben in Raum und Zeit nur so lange stabil, wie sie durch Aufnahme von Energie ihr Fließgleichgewicht aufrechterhalten können. Offene Rahmenbedingungen üben einen starken selektiven Druck auf Lebewesen aus und wirken damit kreativ, während gleichzeitig das Angebot der Vielfalt im Gang ist. So sind Vielfalt und Zufall die 2 Seiten des Universums. Möglichkeit und Zwang sind 2 Varianten eines Phänomens. Sie sind wie das Ei, aus dem Klone oder Zwillinge hervorgehen. Anpassung und Distanz

Abbildung

NACH OBEN Feuer NACH OBEN

- Primäre Sprachkultur des Menschen -

Feuer besitzt ambivalenten Charakter: es ist eine zerstörende und reinigende Größe zugleich und damit evolutionär wie revolutionär enorm entwicklungsfördernd. Der Kult des Feuers - der wärmenden, erhellenden und erhaltenden Kraft (bzw. Energie) - wurde auch später, z.B. mit dem häuslichen Herd-Feuer oder mit dem Stammes- und Staats-Feuer gepflegt. Feuerkulte haben auch den Zweck, den Lauf der Sonne magisch zu beeinflussen; die Sonnenwend-Feuer gehören in diesen Zusammenhang. Ohne den Feuergebrauch wäre der Mensch dem Affendasein verhaftet geblieben. Nicht zufällig entwickelte der Mensch diese Fähigkeit während der Eiszeit. Das Feuer ist - auf progressive und konservativ-traditionelle Weise - ein Übertragungsmittel, d.h. der Projektor oder Motor für Kommunikation und deshalb die erste wirkliche Sprachkultur des Menschen. Erst seit der Mensch das Feuer gebrauchte, gebrauchte er auch eine menschliche Sprache. Feuer ist die rein natürliche (kosmische) Sprache, die menschliche Sprache das rein kulturelle Feuer. Menschliche Sprache gehört natürlich-kulturell zur Sprache aller Lebewesen, rein kulturell jedoch ist sie nat(ion)al erworbene Sprache eines Volkes, und kulturell-natürlich ist sie Metasprache: „Sprache-über-Sprache“ (Sprache höherer Ebene), mit der die Sprache (Objektsprache als Sprache niederer Ebene) beschrieben wird, z.B. auch als Sprachtheorie, im weiteren Sinne aber sogar überhaupt als Theorie (ursprüngliche Bedeutung: Gottesanschauung) oder Theologie, Philosophie, Mathematik, Weltanschauung u.ä..

Altpaläolithikum bedeutet vornehmlich eine Geröllsteinkultur (pebble tools sowie chopper, chopping tool, Faustkeile) mit ersten Nebenprodukten (Kern-Abschläge bzw. faustkeilige Kerngeräte); weiterhin bedeutet es die Entwicklung primären Sprachkulturgutes, d.h. einer Grundausstattung alljeder menschlichen Kultur, die sich in dem ersten Feuergebrauch und damit der rein kulturellen (früh-) menschlichen Sprache, manifestierte. In weiterer Konsequenz mußte eine solche Primärsprachkultur zur Religion (Tafel (Hominisierung)) führen. Religiöse Weltanschauungen setzen aber nicht nur eine rein kulturelle Sprache und eine typisch menschliche Sprachentwicklung voraus, sondern auch eine kulturell-natürliche Sprache als Metasprache. Deshalb erreichte die Sprachentwicklung die Stufe der Metasprache sehr wahrscheinlich mit dem Höhepunkt der Hominisierung, also noch im Altpaläolithikum:

Der Frühmensch Homo erectus (der Aufgerichtete) lernte, das Feuer und die Sprache zu benutzen und wurde so zum Kultursymbolträger der Hominisierung. Auch das geschah nicht ohne die verschiedenen Arten der Distanzierung. (Tafel (Hominisierung)). Homo erectus war wohl der erste aus Afrika auswandernde Mensch und nutzte bereits das Feuer. Auch der sogenannte Pekingmensch zählt zur Art Homo erectus (Homo erectus pekinensis). Das steinzeitliche Kultur-Ursymbol () konnte erst durch den erfolgreichen und „weltoffenen“ Homo erectus zu einem ersten Kultursymbol () erweitert werden. Durch den Feuergebrauch, der mit Sicherheit zum Sprachgebrauch führte, war Homo erectus der entscheidende Faktor in der sprachlichen Menschwerdung (Hominisierung). Dieser „aufrechte Mensch“ war die bisher letzte, vielleicht sogar die einzige Menschenart, die 1,86 Mio. Jahre überlebte, denn Homo erectus lebte bis vor 40 000 Jahren. ().

Perioden-Systematik (rechts) bedeutet, daß die jeweils ältere Periode jede jüngere einschließt und daß alle Perioden dennoch auch als eine chronologisch abgegrenzte Folge zu verstehen sind. So ergibt sich eine Evolutionsspirale. Das Periodensystem macht deutlich, daß Menschen ein durch und durch quartäres Wesen sind.

Ohne Eiszeit wären wir wohl auf den Bäumen geblieben. Und ohne Feuer? Ohne Wärme? Ohne Sprache? Schützend?

Die „Enkulturation“ erweiterte das Betätigungsfeld des Menschen über das bloße Überleben hinaus: mittels Sprache, Weltanschauung, Kunst und Wissenschaft schuf sich der Mensch eine geistige Welt, welche seine faktische überlagert. Durch Sprache, die eine 1. Entwicklungsstufe während der Hominisierungsperiode im Altpaläolithikum, dann eine (metasprachliche) 2. Entwicklungsstufe während der Sapientisierungsperiode im Mittel- und Jungpaläolithikum durchlief, und durch Schrift (seit ca. 6000 Jahren) wurde die erworbene Erfahrung unabhängig vom Individuum und der erfahrungserhaltenden Sippe. Der einzelne Mensch kann sich die technisch-kulturellen Errungenschaften der rund 500000 Generationen, von den subhumanen Waldbewohnern zu den aufrechtgehenden Steppenläufern aneignen. Viele dieser Erfahrungen wurden allerdings vergessen:

Der Jetzt-Mensch hat nicht nur einen großen Wissensschatz gewonnen, er ist auch partiell an Naturerfahrung verarmt!

 

Biologie-Linguistik-Vergleich gemäß Systematik
BiologieLinguistikBeispiel
IndividuumIdiolekt Sprechweise des Herrn X aus Osnabrück
GruppeSoziolektPolitische Korrektheit
UnterrasseMikrodialekt (Mikromundart) Nordwestfälisch
RasseDialekt (Mundart)Westfälisch
ÜberrasseMakrodialekt (Makromundart)Niederdeutsch
Unterart  
ArtHochspracheDeutsch (Hochdeutsch)
Überart  
UntergattungMikrosprachzweigWestgermanisch
GattungSprachzweigGermanisch
ÜbergattungMakrosprachzweigKentum
UnterfamilieMikrosprachfamilie
FamilieSprachfamilieIndogermanisch
ÜberfamilieMakrosprachfamilieNostratisch (bzw. Eurasiatisch)
UnterordnungMikrosprachordnung
Ordnung  
Überordnung  
Unterklasse  
Klasse  
Überklasse  
Unterstamm  
Stamm  
Überstamm  
Unterreich  
Reich  

 

 

Biologie und Sprache Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft Sprachlicher Code
NACH OBEN Indogermanen und Indogermanistik
Die Indogermanen standen im Zusammenhang mit der Streitaxt-Kultur der Schnurkeramiker, waren aber nicht deren alleiniger Träger. Aus linguistischer, aber auch aus archäologischer und anthropologischer Sicht dürften Trichterbecherkultur () mit ihren Nachfolgekulturen, darunter die Schnurkeramiker (), ferner die Bandkeramiker () und die Ockergrabkultur () als Indogermanen-Kulturen angesehen werden. Damit ist aber für Europa nur eine Zeitspanne von etwa 4500 bis etwa 1800 erfaßt. Ungeklärt bleibt auch die Herkunft der Glockenbecherkultur (). Um 4500 v. Chr. siedelten die Indogermanen wahrscheinlich zwischen Südskandinavien, Schelde, Rhone, Alpen, Schwarzem Meer und Don, nach Abschluß ihrer Wanderungen um 1800 v. Chr. in ganz Europa, in Anatolien und anderen Teilen Vorderasiens, im Iran und in Indien. (Vgl. Karte). Die entscheidende Aussage über die Herkunft der Indogermanen wird wohl die Linguistik zu geben haben, denn ein Volkstum bestimmt sich in erster Linie nach der Sprache.

Viele Befunde sprechen für ein in Europa gelegenes Ursprungsland der indogermanischen Völker, und es gibt nicht zu unterschätzende Anzeichen dafür, daß Indogermanen kontinuierlich vom späten Jungpaläolithikum über das Mesolithikum bis ins Neolithikum in Europa gesiedelt haben. Danach begannen ihre Wanderungen und mit ihnen die Aufsplitterung des Indogermanischen in Einzeldialekte. Die Indogermanen, deren Sprache rekonstruiert werden kann (Indogermanisch (Bopp)), besaßen offenbar kein Wort für „Heimat“, weshalb sie schon vor der Neolithischen Revolution existiert haben müssen - wahrscheinlich seit dem Jungpaläolithikum als nicht-seßhafte Hirten, die den Ort je nach Zustand der Weide wechselten. Im Indogermanischen findet man auch keine Wörter für „Kupfer“, „Bronze“ und „Eisen“, weshalb sich die Indogermanen bereits vor dem Metallikum in Einzelvölker aufgelöst haben dürften - möglicherweise aber auch erst im nicht überall verbreiteten Kupfermetallikum.


Biologie und Sprache Indogermanen und ihr ausgeprägtes Interesse an Grammatik Sprachlicher Code

In Indien bestand schon sehr früh eine grammatische Tradition. Auf sie konnte der indische Grammatiker Panini (6. Jh. - 5. Jh.) zurückgreifen, bevor er die Erkenntnisse seiner im einzelnen nicht genau bekannten Vorgänger zusammenfaßte und die Bildung des korrekten Sanskrit lehrte. Im antiken Griechenland, wo erstmalig Vokale in ein Alphabet eingeführt worden waren, entwickelte sich die Sprachforschung mehr im Kontext philosophischer Fragen nach dem Sprachursprung und dem Verhältnis zwischen Form und Bedeutung von Wörtern. Erste grammatische Kategorisierungen wurden von Aristoteles (383-322) im Rahmen von Poetik und Logik vorgenommen. In Alexandria entstanden die ersten griechischen Grammatiken von Apollonios Dyskolos (3. Jh. - 2. Jh.) und Dionysios Thrax (170-90), nach deren Vorbild z.B. Aelius Donatus (3. Jh. - 4. Jh.) und Priscianus (5. Jh. - 6. Jh.) ihre lateinischen Grammatiken gestalteten. Eine besondere Leistung in der Sprachforschung erbrachte die Scholastik mit ihrer Darstellung des Zusammenhangs von Sprache, Logik und Metaphysik in sogenannten „spekulativen“ Grammatiken. Seit der Reformation wuchs die Bedeutung der Volkssprachen und durch die „Entdeckungen“ auch das Interesse an amerikanischen, afrikanischen und asiatischen Sprachen. Die vermehrte Kenntnis von Einzelsprachen führte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bzw. seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer weiteren typisch faustischen Leistung: zur vergleichenden und historischen Sprachwissenschaft:

Sir William Jones (1746-1794), renommierter Orientalist und Richter am Obertribunal zu Kalkutta, hatte eine Sprache erschlossen, „vollendeter als die griechische, reicher als die lateinische, feiner gebildet als beide“ und älter als alle bekannten Sprachen, das Hebräische eingeschlossen, das bis dahin dafür gegolten hatte. Es war das Sanskrit, das kultische und gelehrte Idiom der Brahmanen, in der bis zum heutigen Tage alles geschrieben wird, was Kunst und Wissenschaft betrifft, eine Sprache, die Meisterwerke hervorgebracht hat wie die beiden großen Epen Mahabharata und Ramajana und ein Kleinod wie das Drama Sakuntala. Jones übersetzte nicht nur, ihm fiel auch als erstem eine gewisse Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Griechischen, Lateinischen, Germanischen und Keltischen auf. So wurde Jones, der Richter aus dem indischen Kalkutta, zum Mitbegründer der abendländischen Sanskrit-Forschung durch seine Übersetzungen und durch die Ausgabe des „Ritusamhara“ (1792). Indogermanen

Seit 1816, als Franz Bopp (1791-1867) sein Lebenswerk veröffentlichte () und dadurch die vergleichende Sprachwissenschaft begründete, ist klar, daß die indogermanischen Sprachen nur unter Annahme einer gemeinsame Ursprache erklärbar sind. Das Indogermanisch, der Name wurde 1823 von H. J. Klaproth für die 1812 bis 1816 von Franz Bopp entdeckte Sprachfamilie geprägt, umfaßt die äußersten Glieder der Gruppe im Südosten (Ceylon) und Nordwesten (Island). Bezogen auf das Wort „Hundert“ wurden die indogermanische Sprachen unterschieden in eine westliche (Kentum-Sprachen; phonetisch: [k]) und eine östliche Gruppe (Satem-Sprachen; phonetisch [sch]). Weltweite Untersuchungen an Menschen aus den 1970er und 1980er Jahren haben ergeben, daß sprachliche und genetische Merkmale der Indogermanen weitgehend übereinstimmen. Obwohl man andere Möglichkeiten einer indogermanischen Herkunft nicht ganz ausschließen kann, darf als gesichert angenommen werden, daß die Indogermanen zum größten Teil der nordischen Rasse entstammen und deshalb nur ein europäischer Ursprung dieses Volkstums in Betracht kommt:

Biologie und Sprache Wie man eine Sprache ausgräbt Sprachlicher Code
(Spracharchäologie/Archäolinguistik)
Im Herbst des Jahres 1812 verließ ein junger Mann namens Franz Bopp (1791-1867) die Stadt Aschaffenburg, um sich, teils mit der Postkutsche, teils zu Fuß, nach Paris zu begeben. Exoriente lux, die Ansicht, daß alles Licht, daß alle Weisheit aus dem Osten komme, lag im Zuge seiner Zeit, die in der Geistesgeschichte die Bezeichnung „Romantik“ trägt. Den göttlichen Ursprung und die wahre Bestimmung der Menschheit suchte man in der Frühzeit der Völker. Man entdeckte das Urphänomen, die Urpflanze, uralte Mythen, Märchen, sprach von Urweisheit und stellte sich ein Urvolk vor, das, in den Weiten des Ostens, die Ursprache gesprochen habe. Aus dem fernen Indien waren Berichte gekommen, die das Feuer fernöstlicher Begeisterung noch stärker aufflammen ließen. Heute weiß man zwar, daß die Indogermanen nicht im fernen Osten ihre Anfänge nahmen, sondern in Europa. (Indogermanen). Jede große Errungenschaft muß ja bekannlich erst einmal den Bogen spannen und weit ausholen, um dann zum Ziel zu gelangen.

1808 erschien in Deutschland die Schrift „Über die Sprache und Weisheit der Inder“ von Friedrich Schlegel (1772-1829). Ihm war es durch einen glücklichen Zufall gelungen, an Originalhandschriften und Übersetzungen der Sanskritliteratur heranzukommen. Was für einen Europäer unendlich schwierig war, es sei denn, man verfügte über gute Beziehungen zu den großen Sammlungen in Paris und London. Auch Schlegel schwärmte vom Sanskrit als von einer Sprache, in der Philosophie und Poesie unzertrennlich verschmolzen, die reich war an Blumenschmuck und Bilderfülle, die Frucht eines „einfachen und seligen Wandels im Lichte der Besonnenheit“. Er sah im Sanskrit ein Sesam-öffne-dich zur Weisheit und zum Wissen des Ostens und prophezeite eine Wirkung auf Europas Geistesgeschichte, wie sie nachhaltiger und befruchtender nur in der Renaissance bei der Wiederentdeckung antiker Autoren geschehen sei. Der Romantiker Schlegel erkannte also ebenfalls die geheimnisvolle Verwandtschaft zwischen Indien und Europa und entwickelte eine Methode, die Sprachen miteinander zu vergleichen. Doch blieb das alles im Unbestimmbaren, im Nebulösen, die Anregung aber war gegeben, die große Aufgabe gestellt, die Sprache zur Erkenntnisquelle historischer Vorgänge zu machen. Aber wer würde sie erfüllen, wer sich ihr gewachsen zeigen?

Als Franz Bopp auszog, um in Paris das Fürchten zu lernen, denn nichts anderes war das Gefühl des jungen Mannes bei der Übersiedelung aus der Kleinstadt eines Duodezfürsten in die Hauptstadt der Grande Nation, da hatte er im Sinn, seine Kenntnisse in den orientalischen Sprachen zu vertiefen und Sanskrit zu lernen. Die Voraussetzungen waren genauso ungünstig wie die Chancen, daß diese Kenntnisse einmal ihren Mann ernähren würden. Bopp war das 6. Kind eines schlechtbesoldeten Beamten des kurmainzischen Hofes, eines Futter- und Wagenschreibers, was immer das gewesen sein mag, und nur auf das Dürftigste für sein Studium ausgerüstet. Was ihn da drängte und trieb, das trieb und drängte ihn zur Arbeit. Franz Bopp bot in dieser Zeit das Bild des Gelehrten, um den die Welt herum versinken kann, ohne daß er deshalb mit seinem Studien aufhören würde. Paris wurde während seines Aufenthaltes zweimal von deutschen, englischen und russischen Truppen erobert, aber der Studiosus notierte lediglich: „... all dieser wichtigen Vorkommnisse ungeachtet, habe ich diesen Winter für mein Studium nicht verloren. Es lag mir zu sehr am Herzen, als daß ich mich durch die äußeren Vorfälle davon hätte abhalten lassen können“. Eine solche Herkulesarbeit, wie Bopp sie leistete, war auch anders kaum zu bewältigen. So steht er für den oft geschmähten Stubengelehrten, ohne dessen Fleiß aber letztlich alles Geniale sinn- und fruchtlos bleiben muß. Und in diesem besonderen Fall: auch das Geniale eines Friedrich Schlegel.

Am 16. Mai 1816, nach dreieinhalb Jahren währendem Aufenthalt in Paris, erschien von Franz Bopp ein Büchlein, das nicht nur eine Wissenschaft begründete, sondern eine der ganz großen Leistungen ds 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Geisteswissenschaft darstellt. Es trägt den Titel „Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“ () und erregte in Europas Gelehrtenwelt riesiges Aufregen. Was bei Herder Gefühl war, Phantasie, was bei Schlegel von mystischem Dunkel verhüllt, wenn auch genialisch erahnt, das wurde von Bopp durch kühle Analyse zur Erkenntnis verdichtet: aus Schein wurde Wahrheit, aus Glaube Wissenschaft. Bopp hatte durch seine methodische Arbeit Beweis für eine wissenschaftliche Sensation erbracht: daß fast alle wichtigen Kultursprachen Europas nah verwandt sind mit dem Indischen und Persischen in Asien und daß die Verwandtschaft zwischen diesen Sprachen, zu denen noch einige mehr gehören, sich nicht nur im gemeinsamen Wortschatz zeigt, sondern auch in der Grammatik. Und das ist für die Wissenschaft noch viel wichtiger. Was man beim Wortschatz noch einwenden könnte, daß nämlich die eine Sprache sich von der anderen, mangels eigener Begriffe, einige Wörter geliehen habe, kann hier nicht zutreffen. Für Bopp ergab sich diese Verwandtschaft, als er darangegangen war, sie miteinander zu vergleichen. Er hatte den Weg zur Rekonstruierbarkeit des Indogermanischen vorbereitet und auch bereits damit begonnen, diese „tote Muttersprache“ vieler eurasischer „Geschwistersprachen“ spracharchäologisch auszugraben. Bopp verbrachte seine letzten Lebensjahre in Berlin und hatte es zum Professor an der Universität gebracht, war ein Freund des Neuhumanismus-Hauptvertreters im Deutschen Idealismus - Wilhelm von Humboldt (1767-1835) -, wurde von Jacob Grimm (1785-1863) verehrt, von den beiden Schlegel-Brüdern beneidet, von der wissenschaftlichen Welt gefeiert. Als er 1867 seine Feder für immer aus der Hand legte, fand man auf seinem Schreibtisch eine angefangene Arbeit, auf deren letzter Seite unter einigen Beispielen über den Schwund des auslautenden s im Gotischen gegenüber althochdeutschen Formen die Bemerkung stand „Man vergleiche ...“. Es waren seine letzten geschriebenen Worte und eine Botschaft an seine Schüler:
VERGLEICH ALS ANFANG ALLEN ERKENNENS
Das Lebenswerk, das Bopp hinterlassen hat, trägt den Titel
„Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Deutschen“
(6 Bände, 1816 bzw. 1833-55).
Trotz einiger Korrekturen ist es noch heute vorbildlich. Erst später zeigten sich die Auswirkungen diese neuen Wissenschaft auf andere Disziplinen
wie z.B. Paläontologie, Anthropologie, Archäologie, Vor-/Urgeschichte und Frühgeschichte, Religionsgeschichte, Rechtsgeschichte.
PaläontologieArchäologieKult-Uhr

 

Biologie und Sprache Indogermanistik Sprachlicher Code


Die Entwicklung Indogermanisch-›Germanisch-›Deutsch


-
1. (Germanische) Lautverschiebung -

Innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie differenzierte sich das Germanische durch eine Veränderung in den grammatischen Formen aus, z.B. durch die Festlegung der zuvor freien Wortbetonung auf die Anfangssilbe und durch die phonetischen Veränderungen im Konsonantensystem. Diese „Germanische Lautverschiebung“ (auch: „1. Lautverschiebung“) wird auch „Grimmsches Gesetz“ genannt: Sie betrifft im wesentlichen die indogermanischen Verschlußlaute und 3 unabhängig voneinander ablaufende Vorgänge. Die stimmlosen Verschlußlaute p, t, k werden zu den stimmlosen Reibelauten f, th, ch und die stimmhaften Verschlußlaute b, d, g zu den stimmlosen Verschlußlauten p, t, k verschoben. Die aspirierten Verschlußlaute bh, dh, gh werden zu stimmhaften Reibelauten und bald darauf weiter zu den stimmhaften Verschlußlauten b, d, g verschoben. Die 1. Lautverschiebung muß beim intensiveren Sprachaustausch zwischen Germanen und Römern bereits abgeschlossen gewesen sein, weil kein lateinisches Lehnwort im Germanischen von ihr betroffen wurde: aus „camera“ (lat.) wurde „Kammer“ (dt.) und nicht *„chamer“. Vermutlich vollzog sich die 1. Lautverschiebung von Süden nach Norden vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 5. / 6. Jh. n. Chr.; und mit dem Ende der „Germanischen Wanderungen“ ging die germanische Sprachentwicklung in den entsprechenden Gebieten in Richtung „Deutsch“.


- 2.
(Hochdeutsche) Lautverschiebung -

Aus dem Germanischen differenzierte sich das Althochdeutsche durch die „Hochdeutsche Lautverschiebung“ bzw. „2. Lautverschiebung“ genannt wird, heraus; im Unterschied zu den bedingungslosen Vorgängen der 1. Lautverschiebung geschah dies jedoch positionsabhängig: die stimmlosen Verschlußlaute p, t, k werden im gesamten hochdeutschen Gebiet nach Vokalen zu stimmlosen Doppelaspiranten zz, ff, hh verschoben, die aber überwiegend wieder vereinfacht werden, z.B. wird aus (altsächs.) „latan“, „skip“, „makon“ > (ahd.) „lazzan“,“ shif“ „mahhon“. Im Anlaut, im In und Auslaut nach Konsonant sowie in der Gemination (Konsonanten-Verdoppelung) werden p, t, k mit unterschiedkicher regionaler Ausbreitung nur bis zur Affrikata tz, pf, kh (=ch) verschoben: (altsächs.) „herta“, „penning“, „korn“ > (ahd.) „herza“, „pfenning“, „khorn“. Die aus der 1. Lautverschiebung hervorgegengen stimmhaften Verschlußlaute b, d, g werden mit unterschiedlicher Reichweite oberdeutsch, insbesondere bairisch, zu p, t, k: (altsächs) „beran“, „bindan“, „giban“ > (oberdt.) „peran“, „pintan“, „këpan“. Verschobene Formen sind auch in Namensüberlieferungen seit dem 5. bzw. 6. Jh. bezeugt (z.B. „Attila“ > „Etzel“). Da sich die 2. Lautverschiebung bei Baiern, Langobarden und Alemannen am konsequentesten durchgesetzt hat und sich aber nach Norden bis zur „Benrather Linie“, der hochdeutsch-niederdeutschen Grenze, immer mehr abschwächte, kann der Süden als Ursprungszentrum gelten. (Vgl. AHD).

Franz Bopp selbst wurde leider darüber allmählich vergessen. Auch gehört er zu jenen Männern, die weder zu Lebzeiten noch später einen Propagandisten fanden.
Franz Bopp ist zu verdanken, daß man der Erforschung unserer Urahnen näher kam und viele Forscher nach ihm vielleicht gar nicht oder später erst zu Ruhm gekommen wären. Bopp fand die „tote Muttersprache“ über den Weg des historischen Vergleichens ihrer „Tochtersprachen“, denn wenn Sprachen miteinander verwandt sind wie Geschwister, dann haben sie auch eine Mutter: wenn aber die Grundsprache der Tochtersprachen Griechisch, Germanisch, Keltisch, Italisch (u.a. Lateinisch, später: Romanisch), Hethitisch, Illyrisch, Indisch (u.a Sanskrit, Vedisch, Hindi, Urdu, Bengali, Maratki, Assamisch), Iranisch (u.a. Awestisch, Persisch, Kurdisch, Afghanisch), Armenisch, Albanisch, Baltisch, Tocharisch, Slawisch u.a. nicht mehr existierte und sich auf keinem Pergament, keiner noch so alten Urkunde, auf keinem Grabstein, keiner Gedenktafel und anderen Relikten finden ließ, mußte die Linguistik die „tote Muttersprache“, gleichsam künstlich wie in einer Retorte, neu schaffen. Seit Bopps Zeiten, d.h. seit der Romantik sind die Linguisten dabei, das Indogermanische über diesen Weg zu rekonstruieren. So wie die Archäologen seit Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), d.h. seit Begründung der klassischen Archäologie und dem frühesten Beginn des Klassizismus, sich Schicht für Schicht in die Vergangenheit hinabgraben, so „graben“ sich auch die Sprachwissenschaftler zurück zu den Ursprüngen bzw. zu den ältesten Wortformen und den kleinsten bedeutungsunterscheidenden Lautformen, den Phonemen. Über die Lautgesetze fanden sie ihr Troja, ihr Mykenae, ihr Knossos.


Biologie und Sprache Germanistik
Sprachlicher Code

Die Wissenschaft von der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Sprache und Literatur nennt man Germanistik - meist im gleichen Sinne wie deutsche Philologie, gelegentlich auch wie germanistische Philologie gebraucht, oft auch die germanistische Altertumskunde selbst umfassend. Die Germanistik hat natürlich selbst auch eine Geschichte:

Ansätze zu einer Germanistik brachte schon der Humanismus hervor - aus Interesse an frühmittelalterlichen Textzeugnissen und Sprachformen, auch für die Grammatik der deutschen Sprache -, aber es waren insbesondere die deutschen Sprachgesellschaften, die die Sprachkunde und Textforschung förderten. (Althochdeutsche Textausgaben). Bedeutend hierfür war v.a. der Grammatiker und Schriftsteleller J. Georg Schottel (1612-1676) aus Einbeck mit seiner „Ausführlichen Arbeit von der Teutschen Haubtsprache“ (1663). Er untersuchte die Etymologie der deutschen Wörter, bekämpfte das Fremdwörterunwesen und plante zur Festigung und Reinerhaltung der deutschen Sprache eine normative Grammatik und ein allgemeines Wörterbuch.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts richtete sich das Augenmerk von der Frühzeit auf die Literatur des Hochmittelalters, deren Geschichte ebenfalls zu interessieren begann (J. G. Herder). Um Grammatik und Wortschatz bemühten sich F. G. Fulda und J. C. Adelung (1732-1806). Die Romantik griff v.a. die Ansätze Herders auf, aber auch andere Grundlagen, z.B. die W. von Humboldts. Die literarischen Zeugnisse des Mittelalters wurden als Zeugnisse des Wirkens eines Volksgeistes gesammelt (A. von Arnim und C. Brentano), übersetzt (Tieck), aufbereitet (A. W. und F. Schlegel, F. Bouterwek, L. Uhland). editiert (F. H. von der Hagen). Ihr geistiges und methodisches Fundament erhielten diese Versuche jedoch erst durch die Forscherpersönlichkeiten J. und W. Grimm und K. Lachmann, an deren Ruhm Franz Bopp nicht ganz unschuldig war. Ein Markstein in der germanischen Sprachwissenschaft ist die „Deutsche Grammatik“ (1819) von Jacob Grimm, in der er durch die Entdeckung der Ablautgesetze die deutsche Sprache in gesetzesmäßige Verbindung mit der germanischen und indogermanischen Sprachentwicklung brachte, ebenso die Konzeption für die „Geschichte der deutschen Sprache“ (1847 ff.) bzw. das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Grimm (1854 ff.). Als Wilhelm Grimm 1847 seinen Plan zu einem deutschen Wörterbuch vortrug, war das also nicht die Geburtsstunde der Germanistik, aber einer ihrer Höhepunkte. Wilhelm und Jacob Grimm hatten 1847 - ein Jahr vor der Revolution - eine Arbeit aufgenommen, die erst 1960 abgeschlossen werden sollte. (Vgl. Spät-NHD). Denn in dem Maße, in dem die gründliche und geduldige Bestandsaufnahme der deutschen Wörter geleistet wurde, wuchs die Masse der Sprache selbst. Die erbrachten Grundlagen wichen immer präziseren Methoden.


Zu verstehen ist die Beschäftigung mit der Historie der deutschen Sprache, mit den „alten Teutschen“, den Germanen nur aus einer allgemeinen Geschichtsgläubigkeit, die dem heutigen Menschen nahezu völlig verlorengegangen ist; aber was heute als bizarre Ansammlung von Relikten ewig langer Zeiten erscheint, bot besonders in der Romantik eine Fülle von Material für das Selbstverständnis, und es erschien unerläßlich für das Verständnis der Gegenwart, ein Bild der Vorfahren, ihres Denkens und Fühlens, zu bekommen. Geschichte gilt heute als eine unter vielen Möglichkeiten, den Menschen zu verstehen, damals offenbarte sie einen Hauch des Weltgeistes und schien zu zeigen, wie der Geist allmählich „zum Bewußtseyn und zum Wollen der Wahrheit kommt ....“ (Hegel).

Also erforschte man die Vorfahren, und daß die Vorfahren der Deutschen eben jene Germanen gewesen seien, von denen die antiken Autoren berichtet hatten, blieb bis weit ins 19. Jh. eine von niemandem angezweifelte Tatsache. Diese Entwicklung setzte sich im Historismus fort und erfuhr erst ab 1917/18 eine Krise, in der Bewegungen veschiedener Neuorientierungen entstanden, aber eben auch sie bekämpfende Gegenbewegungen. (). Diese Krise wurde eigentlich erst seit etwa 1960 beigelegt, als die Arbeit am „Deutschen Wörterbuch“, die die Brüder Grimm 113 Jahre vorher begonnen hatten, abgeschlossen werden konnte. Selbst wenn wir etwas anderes anstrebten, sind wir durch den heutigen Globalismus mehr denn je dazu veranlaßt, neben den historischen auch viele andere Methoden zu berücksichtigen, um den „wahren“ Aussagen oder den Aussagen als „Waren“ näher kommen zu können. (Vgl. Cäsaren-Mediokratie; ).

Die Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bzw. seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts Disziplin oder Forschungsrichtung innerhalb der Sprachwissenschaft, beschäftigt sich seitdem mit der Rekonstruktion von Einzelsprachen, indem sie Ursprung, Entwicklungsgeschichte und Verwandtschaftsbeziehungen von Einzelsprachen mit der Methode des Vergleichs untersucht. Komparative Methode bedeutet, daß durch den Vergleich bestimmter Phänomene in mehreren verwandten (oder als verwandt vermuteten) Sprachen Formen früherer Sprachzustände aufgedeckt oder auch ausgeschlossen werden können und eine gemeinsame Ursprache rekonstruiert oder auch ausgeschlossen werden kann. Neben der materialbezogenen Historisch-Vergleichenden Sprachwissenschaft, die besonders durch die Entdeckung der Verwandtschaft des Sanskrit mit den indogermanischen Sprachen ausgelöst und begründet wurde und Methoden zum Nachweis „sprachgenetischer“ Verwandtschaft ausarbeitete, erzielte auch die allgemeine Sprachwissenschaft, besonders seit Wilhelm von Humboldt (1767-1835), größte Wirkung. Gerade Humboldts Unterscheidung von „Energeia“ (Sprache als „Tätigkeit“ oder „wirkende Kraft“) und „Ergon“ (Sprache als Produkt einer abgeschlossenen Tätigkeit oder „statisches Werk“) sowie von äußereren und innereren Sprachformen überhaupt und seine These von der Verknüpfung der Sprache mit Kultur, Mentalität und Weltsicht eines Volkes (Hypothese von der sprachlich vermittelten Welt[an]sicht), wurden später von vielen Sprachwissenschaftlern übernommen, wirkten sich in unterschiedliche Weise auf spätere Sprachtheorien aus.


Biologie und Sprache Die Junggrammatiker  (Leipziger Schule) Sprachlicher Code
Durch die sogenannten „Junggrammatiker“ (auch: „Leipziger Schule“) wurde die historische Betrachtung von Sprache zum primären, fast ausschließlichen Untersuchungsziel sprachwissenschaftlicher Forschung. Die Junggrammatiker waren eine in den 1870er Jahren in Leipzig entstandene Gruppe von Sprachwissenschaftlern, deren positivistische Sprachauffassung sich gegen die metaphysischen und biologistischen Sprachauffassungen der vorausgehenden Phase (Indogermanen) richtete. Vertreter dieser Richtung waren vielen z.B. Berthold Delbrück (1842-1922), Karl Verner (1846-1896), Karl Brugmann (1849-1919) und viele andere. Als Beginn der junggrammatischen Schulke gelten die Erscheinungsdaten von Verners Erklärungen scheinbarer Ausnahmen der ersten Lautverschiebung (1877: „Vernersches Gesetz“). Die Arbeiten der Junggrammatiker lassen sich (soweit sie die allgemeine Sprachwissenschaft betreffen) durch folgende Aspekte charakterisieren: (1) Untersuchungsgegenstand des Sprachwissenschaftlers ist nicht das Sprachsystem, sondern die im einzelnen Individuum lokalisierte und somit unmittelbar beobachtbare Sprache (vgl. „Idiolekt“), die als eine sowohl psychische als auch physische Tätigkeit angesehen wird. (2) Autonomie der Lautebene: Gemäß dem Postulat der Beobachtbarkeit des Materials (anstelle von Abstraktionen) gilt die Lautebene als wichtigste Beschreibungsebene, wobei zugleich eine absolute Autonomie der Lautebene gegenüber Semantik und Syntax angenommen wird. (3) Historismus; Hauptziel sprachwissenschaftlicher Untersuchung ist die Beschreibung des geschichtlichen Wandels der Sprache. Dieses fast ausschließliche Interesse an der diachronischen Entwicklung von Sprache dokumentiert sich in der großen Zahl von historisch vergleichenden Kompendien, die sich durch Faktenfülle ebenso auszeichnen wie durch die Exaktheit ihrer Rekonstruktionsmethoden. (4) Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze: Dieses am Vorbild der Naturwissenschaften orientierte, vielfach umstrittene Postulat gründet sich nicht auf empirische Befunde, sondern ist ein wissenschaftstheoretisches Apriori, das die Gleichartigkeit geisteswissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden sichern soll. (5) Analogie: Wo diese Prämisse der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze scheinbar versagt, wird Analogie als Erklärungshilfe angesetzt; d.h. Ausnahmen werden als (reguläre) Anpassung an verwandte Formen verstanden.

Methoden und Ziele der junggrammatischen Sprachbetrachtung sind - trotz ihres starken Nachwirkens - kritisiert worden; diese Kritik richtete sich vor allem gegen folgende Punkte: die Reduktion des Untersuchungsgegenstandes auf Idiolekte; die Beschränkung auf Beschreibung von Oberflächenphänomenen (Lautebene); die Vernachlässigung der gegenwärtigen Sprache bzw. die Überbewertung der historischen Sprache (vgl. auch: Historismus-Kritik); die Beschreibung atomistischer Einzelvorgänge statt systemhafter Zusammenhänge.

 


Biologie und Sprache Der Strukturalismus (Genfer Schule) Sprachlicher Code
Der Strukturalismus entstand als Reaktion gegen die von den Junggrammatikern vertretene positivistisch-atomistische sprachwissenschaftliche Betrachtung in Bezug auf Ferdinand de Saussure (1857-1913) und seinem postum veröffentlichten „Cours de linquistique générale“ (1916). Saussure war ab 1896 in Genf Professor für vergleichende und historische indogermanische Sprachwissenschaft (inklusive Sanskrit). Seine Genfer Vorlesungen führten die neue Ära der Sprachwissenschaft ein, und zwar an dem Tag, als er zeigte, daß sich die Vorgänge der Sprache nicht nur auf deren Geschichte - auf die Diachronie - zurückführen lassen, daß also z.B. die Geschichte eines Wortes nicht immer auch etwas über seine heutige Bedeutung aussagt. Der Grund dafür sei, daß es über die Geschichte hinaus das „System“ (Saussure nannte es nicht Struktur) gebe und daß ein solches System im wesentlichen aus Gleichgewichtsgesetzem bestehe, die auf seine Elemente zurückwirken und zu jeder Zeit der Geschichte von der Synchronie abhängen. Weil nämlich die Grundbeziehung in der Sprache eine Entsprechung zwischen dem Zeichen und dem Sinn sei, bilde die Gesamtheit der Bedeutungen ganz natürlich ein System auf der Grundlage von Unterscheidungen und Gegensätzen (denn diese Bedeutungen bedingen einander) und ein synchrones System (denn diese Beziehungen sind interdependent). Saussure definierte den Gegenstandsbereich der Linguistik also mittels Gegensatzpaaren (Dichotomien): Sprache soll nicht mehr als Ergebnis historischer (diachroner) Entwicklung gesehen werden, sondern als Zusammenwirken gleichzeitiger (synchroner) Einheiten. Daß dieser der Historismus-Kritik entsprungenene Strukturalismus grundsätzlich synchronisch ist, also im Gegensatz zum diachronischen Standpunkt (vgl. Historisch-Vergleichende Grammatik: Bopp und Anhänger, vor allem aber die Junggrammatiker und Anhänger) und auch zur später dominant werdenden Transformationsgrammatik der „Nativisten“ (Chomsky und Anhänger) steht, hängt mit drei Gründen zusammen, u.a. mit der eben erwähnten relativen Unabhängigkeit der Gleichgewichtsgesetze bezüglich der Entwicklungsgesetze, dem Willen zur Befreiung von „linguistik-feindlichen“ Elementen, mit der Willkürlichkeit (Arbitrarität) des sprachlichen Zeichens. Saussure bezog die Arbitrarität auf das Verhältnis von sprachlichen Lautbild („image acoustique“) und seiner Vorstellung („concept“) und belegte die Beliebigkeit dieser Verbindung durch die Tatsache, das dasselbe Objekt der Realität von Sprache zu Sprache verschieden benannt wird. Arbitrarität bedeutet jedoch nicht, daß der einzelen Sprecher nach freier Wahl bei der Konstruktion sprachlicher Ausdrücke verfahren kann, denn: unter dem Aspekt von Spracherwerb und Kommunikation erfährt der Sprecher den Zusammenhang zwischen Zeichen und Bedeutung als eine gewohnheitsmäßige, obligate Verbindung.

Folgende Grundannahmen Saussures gelten als konstitutiv für strukturalistische Sprachanalysen: (1) Sprache kann unter drei verschiedenen Aspekten betrachtet werden; (a) als „Langue“ (= im Gehirn aller Sprecher einer bestimmten Sprache gespeichertes System), (b) als „Parole“ (= aktuelle Sprechtätigkeit in konkreten Situationen) und (c) als „Faculté de langage“ (= generelle Fähigkeit zum Erwerb und Gebrauch der Sprache), wobei „Langue“ und „Parole“ sich bedingen. Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft ist die „Langue“, die aber ihrerseits nur über eine Analyse der Äußerungen der „Parole“ beschrieben werden kann. (2) Sprache im Sinne von „Langue“ wird als ein System von Zeichen aufgefaßt. Jedes Zeichen besteht aus der Zuordnung von zwei (sich gegenseitig bedingenden) Aspekten, dem konkret materiellen Zeichenkörper (z.B. seine akustische Lautgestalt), sowie einem begrifflichen Konzept. (Vgl. hierzu: „Bezeichnendes vs. Bezeichnetes“). Die Zuordnung dieser beiden Aspekte zueinander ist „willkürlich“ (arbiträr), d.h. sie ist sprachspezifisch verschieden und beruht auf Konvention. (3) Diese sprachlichen Zeichen bilden ein System von Werten, die zueinander in Opposition stehen. Jedes Zeichen ist definiert durch seine Beziehung zu allen anderen Zeichen desselben Systems. Durch dieses Prinzip des „Kontrasts“ ist das grundlegende strukturalistische Konzept des „distinktiven Prinzips“ charakterisiert. (4) Diese Element-Relationen lassen sich auf zwei Ebenen analysieren; einmal auf der syntagmatischen, d.h. linearen Ebene des Miteinandervorkommens, zum anderen auf der paradigmatischen Ebene der Austauschbarkeit von Elementen in bestimmter Position. (Vgl. hierzu: „paradigmatische vs. syntagmatische“ Beziehung). (5) Da Sprache als Zeichensystem aufgefaßt wird, muß ihre Analyse unter streng synchronem Aspekt, d.h. als Beschreibung eines zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Zustandes betrieben werden. (Vgl. hierzu „Synchronie vs. Diachronie“). (6) Sprachanalyse beruht auf einem repräsentativen Corpus, dessen Regularitäten durch die beiden Analyseschritte der Segmentierung und Klassifizierung bestimmt werden, wobei die Segmentierung der syntagmatischen, die Klassifizierung der paradigmatischen Ebene zuzuordnen ist. Hier geht es also um die „Distribution“ (die Gesamtheit der Umgebungen, in denen ein sprachliches Element im Verhältnis zu den Umgebungen aller anderen Elemente in einem übergeordneten Sprachbaustein vorkommen kann) und das Ziel, möglichst „Minimalpaare“ (zwei Ausdrücke einer Sprache mit verschiedener Bedeutung, die sich nur durch eine Form unterscheiden, z.B. deutsch: Kopf vs. Topf durch nur ein Phonem) zu haben.

Während der Strukturalismus im engeren Sinne sich auf die von Sausures System-Gedanken ausgehenden sprachwissenschaftlichen Richtungen bezieht, verwendet man Strukturalismus im weiteren Sinne als Gesamtbezeichnung für anthropologische, ethnologische, sozialwissenschaftliche, geisteswissenschaftliche literatur-theoretische und psychologische Forschungen, die - in Analogie zum Strukturalismus der Sprachwissenschaft - anstatt genetisch von historischen Voraussetzungen auszugehen, sich auf synchrone Zustandsanalysen konzentrieren, um den Nachweis universeller, unter der Oberfläche sozialer Beziehungen wirksamer Strukturen zu führen. (Vgl. „Linguistische Wende“).

 

Biologie und Sprache Der Nativismus (Chomsky-Schule) Sprachlicher Code
Die Ära des linguistischen Strukturalismus wechselte allmählich, ausgelöst durch die 1957 erschienenen „Syntactic Structures“ des US-Amerikaners Noam Chomsky (*07.12.1928), in eine Ära des linguistischen Nativismus (Generative Transformationsgrammatik, GTG). Wissenschaftsgeschichtlich steht Chomsky in der Tradition des Rationalismus - besonders in der Tradition der Rationalisten Gottfried Wilhem Leibniz (1646-1716) und René Descartes (1596-1650) - und des Neuhumanismus-Hauptvertreters im Deutschen Idealismus und Sprachforschers Wilhelm von Humboldt (1767-1835). Chomsky war zunächst Schüler des Strukturalisten Z. S. Harris und stellte 1957 seine „Generative Grammatik“ in seinen „Syntactic Structures“ dar, die er 1965 erweiterte und revidierte mit dem Werk „Aspects of the Theory of Syntax“ (= „ST). Generative Transformationsgrammatik bedeutet die Verfolgung des Ziels, eine formalisierte Beschreibung der Sprache zu geben, in die auch Einsichten der mathematischen Logik und überhaupt des Rationalismus einfließen. Chomsky und seine Anhänger wollen erklären, auf welche Weise es dem Menschen möglich ist, mit einer endlichen Menge von Regeln eine unendliche Menge von Sätzen zu produzieren und zu verstehen. Generativ leitet sich hier also aus dem zentralen Anliegen dieser Grammatiktheorie ab, die Fähigkeit zum Erzeugen von Sätzen zu erklären. (Spracherwerb und Sprachentwicklung). Mit dem Ausbau des Konzepts der „angeborenen Ideen“ wendet sich Chomsky gegen die behavioristische Sprachauffassung (wie z.B. bei Skinner). Chomsky erweiterte seine Grammatiktheorie zu einer Theorie des Spracherwerbs, indem er die Entwicklung der Kompetenz durch einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus auf der Basis von grammatischen Universalien erklärte. Eine endliche Menge von Kernsätzen, die durch kontextfreie Phrasenstrukturregeln erzeugt werden, bilden die Basis für die Anwendung von Transformationsregeln, die einen prinzipiell unendlichen Gebrauch von endlichen Mitteln gewährleisten. (Spracherwerb und Sprachentwicklung). Nach Chomsky ist die Sprachkompetenz ein dynamisches Konzept - ein Erzeugungsmechanismus - zur unendlichen Produktion von Sprache. Im Anknüpfung an die Sprachauffassung des Rationalisten Leibniz und des neuhumanistisch-idealistischen Sprachforschers Humboldt postulierte Chomsky einen spezifisch menschlichen Spracherwerbsmechanismus zur Erklärung des Phänomens, daß Kinder, obwohl die sprachlichen Äußerungen ihrer Umwelt nur einen defizitären und unvollständigen Input darstellen, die syntaktischen Regeln ihrer Muttersprache in relativ kurzer Zeit beherrschen und eine fast unbegrenzte Menge grammatischer Ausdrücke verstehen und erzeugen können. Nach der rationalistisch-idealistischen Theorie ist jedes Kind mit einem angeborenen Schema für zulässige Grammatiken ausgestattet (vgl. „Universalien“) und mit einem System an kognitiven Prozeduren zur Entwicklung und Überprüfung von Hypothesen über den Input. So formuliert das Kind Hypothesen über die grammatische Struktur der gehörten Sprache, leitet Voraussagen über sie ab und überprüft die Voraussagen an neuen Sprachbausteinen. Es elimiert diejenigen, die der Evidenz widersprechen und validiert diejenigen, die nicht durch Einfachheitskriterium eliminiert würden. Dieser Mechanismus wird mit dem ersten Input in Gang gesetzt. (Vgl. Tabelle). Das Kind leistet somit eine Theoriebildung, die derjenigen eines Linguisten vergleichbar ist, der eine deskriptiv und explanativ adäquate Theorie einer Sprache konstruiert. Der Nativismus ist also eine philosophisch-psychologische Position, die die kognitive Entwicklung des Menschen primär aus der Existenz von „angeborenen Ideen“ ableitet. Es ist tatsächlich auffallend, mit welcher Schnelligkeit ein Kind die Grammatik der Elternsprache, trotz ihrer Komplexität, beherrschen lernt. Das Mißverhältnis zwischen Input und Output und die Gleichförmigkeit der Ergebnisse in allen Sprachen lassen ebenfalls vermuten, daß hier nicht der „Drill“ (vgl. Konditionierung) am Werk war. Außerdem verläuft der Prozeß des Spracherwerbs relativ unabhängig von der individuellen Intelligenz. Grammatische Universalien sind Eigenschaften (bzw. Hypothesen über solche Eigenschaften), die allen menschlichen Sprachen gemeinsam sind. Sie existieren aus biologischer Notwendigkeit und sind das Ergebnis empirischer Generalisierungen von Beobachtungen der sogenannten „Oberflächenstruktur“ von möglichst vielen und verschiedenen Sprachen. Beispielsweise besitzt jede Sprache Vokale oder universell geltende Implikationen, die sich auf die Relation zwischen zwei Eigenschaften beziehen: wenn z.B. eine Sprache in ihrem Numerussystem über einen Dualis verfügt, dann verfügt sie mit Sicherheit auch über einen Plural (diese Regel gilt aber nicht umgekehrt!). In Chomskys Modell einer Generativen Transformationsgrammatik sind Universalien die Basis des angeborenen Spracherwerbsmechanismus, aufgrund dessen ein Kind in der Lage ist, in relativ kurzer Zeit eine komplexe Grammatik zu erlernen. (Spracherwerb und Sprachentwicklung). Chomsky unterscheidet (Aspekte der Syntaxtheorie, 1965), zwischen substantiellen Universalien, z.B. in der Phonologie das Inventar der phonetisch definierten distinktiven Merkmale, aus dem jede Sprache eine charakteristische Auswahl trifft, und formalen Universalien, d.h. Aussagen über Form und Beschränkungen von Regeln. So postuliert er für jede Grammatik Phrasenstrukturregeln und eine Transformationskomponente. Die substantiellen und formalen Universalien - beide werden auch universale Beschränkungen genannt - sind wiederum von den Universalien der Funktion zu unterscheiden, worunter Anwendungsbeschränkungen von grammatischen Regeln verstanden werden, z.B. das A-über-A-Prinzip: Wenn sich eine Transformation auf einem Knoten A bezieht, der einen Knoten A' dominiert, dann darf die Transformation nur über dem dominierenden Knoten A operieren; sie muß sich auf die maximale Phrase beziehen. Beispielsweise kann in der Phrase „Der Wunsch der Prinzessin“ keine Transformation allein über dem eingebetteten Genitivattribut („der Prinzessin“) operieren. (Vgl. auch: Strukturbaum). Die (Generative) Transformationsgrammatik ist die von Chomsky am Englischen entwickelte Theorie, deren Ziel es ist, durch ein axiomatisches System von expliziten Regeln das implizite Wissen von Sprache, das dem aktuellen Sprachgebrauch zugrunde liegt, abzubilden. Chomskys Modell bezieht sich auf vom kompetenten Sprecher bewertete Daten, auf die sprachlichen Intuitionen, die ein kompetenter Sprecher bezüglich seiner Sprache explizieren kann. Das Konzept der angeborenen Ideen steht im Gegensatz zu den behavioristischen Sprachauffassungen. Chomskys Theorie zum Spracherwerb besagt, daß die Entwicklung der Kompetenz durch einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus auf der Basis von grammatischen Universalien erfolgt. Dabei hat die Theorie Vorrang vor der Datenanalyse; die Transformationsgrammatik geht also deduktiv vor: sie stellt nämlich Hypothesen über den sprachlichen Erzeugungsmechanismus auf, und zwar unter besonderer Berücksichtigung des „kreativen“ Aspekts des Sprachvermögens. Eine endliche Menge von Kernsätzen, die durch Phrasenstrukturregeln erzeugt werden, bilden die Basis für die Anwendung von Transformationsregeln, die einen prinzipiell unendlichen Gebrauch von endlichen Mengen gewährleisten. Die Grammatik - im Sinne einer umfassenden Sprachtheorie - besteht aus einer generativen syntaktischen Komponente sowie den interpretativen semantischen und phonologischen Komponenten. Basis der Syntax ist die durch kontextfreie Phrasenstrukturregeln und Lexikonregeln erzeugte Tiefenstruktur, die als abstrakte, zu Grunde liegende Strukturebene alle semantisch relevanten Informationen enthält und die Ausgangsebene für die semantische Interpretation von Sätzen und anderen Sprachbausteinen ist. (Vgl. Tafel). Durch bedeutungsneutrale Transformationen wie Tilgung, Umstellung u.a. werden die entsprechenden Oberflächenstrukturen erzeugt, die die Basis für die phonologisch-phonetische Repräsentation bilden.

 

 

Biologie und Sprache Textlinguistik Sprachlicher Code
  Text vs. Textem: Unklassifizierte vs. klassifizierte (systembezogene) linguistische Einheit.
  Textkohärenz: Zusammenhang von aufeinander folgenden Äußerungen (zumeist Sätzen), die klassifiziert (systematisiert) werden.
  Textkonstituenten: Durch Analyse isolierbare und durch Rekurrenz (Wiederholung) ausgezeichnete Struktureinheiten von Texten, durch deren regelhafte Verknüpfung Textstrukturen entstehen. Textbildende Phänomene auf grammatischer Ebene wie z.B. Pronominalisierung, Artikelwahl, Kongruenzbeziehungen u.a..
  Textsorten: Siehe Texttypologie. Beispiele: Berichte, Nachrichten, Wetterberichte, Predigten, Kochrezepte, Gebrauchsanweisungen, Heiratsanzeigen, Sporterportagen, Literaturtext, Wissenschaftstext, politische Reden, „Ideologiekritik“, „kritische Theorie“, „politische Korrektheiten“ u.v.m..
  Textverarbeitung: Verstehensprozesse, die sich auf satzübergreifende Strukturen beziehen. Verarbeitung des Lesers/Hörers oder einer Maschine (z.B. dem Computer).
  Textverweise: Situationsunabhängige Form des Verweisens bzw. Relation zwischen einem Bezugselement und einer Verweisform, zwischen denen Referenzidentität besteht. Zu unterscheiden ist - je nach Richtung des Verweisens - zwischen (a) anaphorischen (= rückwärtsverweisenden [das Bezugselement befindet sich im vergangenen Kontext {z.B. Rückwärtspronominalisierung}]) Textverweisen und (b) kataphorischen (vorausweisenden [das Bezugselement befindet sich im kommenden Kontext {z.B. Vorwärtspronominalisierung}]) Textverweisen.
Die Textlinguistik wird auch Textematik oder Textolgie genannt; zu ihr gehören vor allem die Texttheorie, Textgrammatik, Textsyntax, Texttypologie, Textverarbeitung, Textanalyse oder transphrastische Analyse. Sie hat zwar Vorläufer aus den 1940er und 1950er Jahren, ist aber im wesentlichen in den 1960er Jahren entstanden und also die jüngste Teildisziplin der Linguistik. Ihr Gegenstand ist das Textverstehen und die Textbildung, d.h. die Bildung von Einheiten einer hierarchischen Stufe in der Dimension des sprachlichen Nacheinanders, die oberhalb der Stufe des Satzes liegt. Sie reicht bis in die Semiotik hinein, die sich mit der nonverbalen Sprache beschäftigt. Das Textem ist die Bezeichnung des strukturellen, systematisierten, auf dem Langue-Bereich als dem System-Bereich (also: nicht auf dem Parole-Bereich als dem Sprech-Bereich) beruhenden Aspekts von Text und unterscheidet sich von Text als konkreter, aktuell realisierter Sprachäußerung wie ein unklassifizierter Sprachlaut (= Phon) von der entsprechenden systembezogenen, funktionalen Einheit des Phonems. Der Text ist der Untersuchungsgegenstand der Textlinguistik, der je nach theoretischem Ansatz unterschiedlich definiert wird, aber wichtige, gemeinsame Defintionskriterien aufweist, z.B. relative Selbständigkeit, inhaltliche Kohärenz, formale Strukturiertheit, außerdem pragmatuische Aspekte wie situationelle Umstände (Raum, Zeit) sowie Sprecherintention bzw. kommunikative Funktion. Auch nonverbale Zeichen wie Mimik, Gestik, Bilder, Verkehrszeichen, Ikone, Indexe (Indizes), Symbole, also im Grunde alle Zeichen (semiotische, linguistische, logische, mathematische) gehören zur Sprache und werden unter Text subsumiert (vgl. z.B. W. A. Koch, Strukturelle Textanalyse, 1972). Unabhängig von der unterschiedlichen Kombination und Gewichtung der der Definitionskriterien verläuft die Unterscheidung zwischen einem emischen und einem etischen Textbegriff, d.h. zwischen Text als Einheit des Sprachsystems und also als Textem und Text als Ergebnis eines aktuellen Performanzaktes. Während textlinguistische Untersuchungen auf die Langue-Regularien abzielen, die für alle Texte gelten, beschäftigen sich Rhetorik, Stilistik und Literaturwissenschaft vornehmlich mit individuellen Texten und ihren spezifischen Merkmalen. Ziele der Textlinguistik sind vor allem der Entwurf einer Textgrammatik, die die formalen, semantischen und pragmatischen Bedingungen für die Konstitution von Text beschreibt, sowie Aufstellung und Rechtfertigung einer Typologie der verschiedenen Textsorten.

Satzübergreifende, d.h. textbildende Regularitäten auf allen Beschreibungsebenen sind also das, womit sich die Textlinguistik beschäftigt. Die Ergänzung oder gar Überwindung einer satzbezogenen Linguistik hat ihre Vorläufer in Louis Hjelmslev (vgl. Omkring sprogteoriens grundlaeggelse, 1943), Kenneth Pike (vgl. Taxemes and Immediate Constituents, 1943), Zellig Harris (vgl. Discourse Analysis, 1952), Hennig Brinkmann (Der Satz und die Rede, 1956) u.a.. Voraussetzungen und Ergebnisse berühren sich auf vielfältige Weise mit Interpretationsansätzen in Rhetorik, Stilistik und Literaturwissenschaft - mit dem Unterschied, daß dort die Interpretation individueller Einzeltexte, in der Textlinguistik aber die Beschreibung allgemeiner textbildender Gesetzesmäßigkeiten im Vordergrund steht. Die Textlinguistik als eine Übertragung und Erweiterung der methodischen Grundlagen der Satzlinguistik bezieht sich also auf satzübergreifende Strukturen (vgl. auch: Transphrastische Analyse), ist ein auf die Langue bezogener systemtheoretischer Ansatz, der die grammatische Analyse „von unten nach oben“ fortsetzt. indem satzübergreifende Phänomene wie z.B. Pronominalisierung, Textverweis, lexikalische Bezüge u.a. in die Satzgrammatik integriert und diese damit zu einer Textgrammatik erweitert wird.

  Tagmem: Kleinstes funktionelles grammatisches Formelement der Langue, das im Unterschied zum bedeutungslosen Taxem bedeutungstragend ist.
  Tax: Oberbegriff für kleinste konkret realisierte grammatische Sprachelemente auf allen Beschreibungsebenen. Vgl. Phon, Graph, Prosod, Morph usw..
  Taxem: Bei Bloomfield kleinstes grammatisches Formelement ohne Bedeutung - im Unterschied zum bedeutungstragenden Tagmem.
  Taxonomischer Strukturlaismus: Distributionalismus. Deskriptivbe Schule. Ziel des Distributionalismus ist eine alle subjektiven und semantischen Faktoren ausschließende, experimentell überprüfbare, objetive Beschreibung der einzelsprachlichen, systemimmanenten Beziehungen.

Die Tagmemik untersucht und beschreibt Regularitäten im Zusammenhang mit kulturellem Verhalten (also wiederum: Zeichen). Sie ist stark von Bloomfield und dem Konzept der deskriptiven Linguistik beeinflußt. Als Hauptvertreter gilt Pike, dessen dreiteiliges Buch (mit dem pragmatischen Titel: Language in Relation to an Unified Theory of the Structure of Human Behavior) 1954-1960 zum erstenmal erschien. Gemäß seinem Ansatz, eine Art universelle Taxonomie menschlichen Verhaltens (= menschlicher Zeichen [verbal und nonverbal]) zu entwerfen, ist von einer engen systematischen Verflechtung der verschiedenen Beschreibungsebenen auszugehen. Die kleinsten funktionalen Formelemente aller Ebenen heißen (in Anlehnung an Bloomfield) Tagmeme und werden definiert als Korrelate syntagmatischer Funktionen (z.B. Subjekt, Objekt) und paradigmatischen Füllungen (z.B. Nomen, Personalpronomen, Eigennamen als mögliche Einsetzungen für die Subjektposition). Mehrere Tagmeme fügen sich zusammen zu Syntagmemen (= „Konstruktionen“) Die Verflechtung der hierarchischen Ebenen (z.B. der Syntax in: Wort, Phrase, Satz, Satzkomplex, Absatz, Diskurs) ergibt sich dadurch, daß die Formelemente eines Tagmems höherer Ebene (z.B. Satz) als Syntagmeme der nächst tieferen Ebene (also: Phrase) analysiert werden. Dies geschieht in Form mehrgliedriger Ketten mittels der sog. Kettenanalyse (jedes Syntagmem besteht ja aus einer Verkettung von grammnatischen Formelementen, den Tagmemen). Prinzipiell werden alle sprachlichen Einheiten unter drei verschiedenen theoretischen Perspektiven untersucht: (a) unter dem Aspekt des Merkmalmodus verfügt jede Einheit über eine spezifische „emische“ Struktur, z.B. die distinktiven Merkmale der Phonologie; (b) unter dem Aspekt des Manifestationsmodus zählt jedes Element zu einer paradigmatischen Klasse von „etischen“ Erscheinungsformen; (c) unter dem Aspekt des Distributionsmodus wird jede Einheit hinsichtlich ihres Vorkommens einer bestimmten Distributionsklasse zugeordnet.

 

Biologie und Sprache Systemtheoretische Ansätze Sprachlicher Code

Ich möchte hier nur zwei Vertreter ansprechen: Niklas Luhmann - ein Systemtheoretiker mit beruflichen Wurzeln in den Bereichen Jura und Soziologie und besonderen Interessen im Bereich Sprache und Geschichte - und Walter A. Koch - ein Systemtheoretiker mit beruflichen Wurzeln in den Bereichen Linguistik und Semiotik, bei denen Interessen im Bereich Sprache und Geschichte normal sind. Es gibt für Systemtheoretiker drei Möglichkeiten, um die Sprache wissenschaftlich für sich zu gewinnen:
1. Möglichkeit: Sie befinden sich bereits in den für die Sprache zuständigen Wissenschaftsdisziplinen.
2. Möglichkeit: Sie kommen von außen und begeben sich in die für die Sprache zuständigen Wissenschaftsdisziplinen.
3. Möglichkeit: Sie bleiben, wo sie sind und machen sich dennoch für die für die Sprache zuständigen Wissenschaftsdisziplinen interessant.
Die Sprache ist in allen Wissenschaftsdisziplinen vertreten. Das kann auch gar nicht anders sein. Ich meine hier aber die Wissenschaftsdisziplinen, in denen es ausschließlich um Sprache geht. Was Luhmann angeht, so weise ich darauf hin, daß er die 2. Möglichkeit genutzt hat und von der Disziplin Soziologie aus, die sich nicht ausschließlich mit Sprache beschäftigt, in die für die Sprache zuständigen Wissenschaftsdisziplinen eingedrungen ist, die Sprache „Kommunikation“ genannt hat, obwohl bzw. weil er wußte, daß Sprache mehr als Kommunikation ist und Kommunikation allein schon sehr umfangreich ist. Weil die Zahl meiner Webseiten über Luhmann und von Luhmann (Zitate) nicht gering ist, verweise ich auf ein besonderes Personenverzeichnis, von dem aus Sie zu den entsprechenden Luhmann-Seiten gelangen. Was Koch angeht, so weise ich darauf hin, daß er die 1. Möglichkeit genutzt hat, und darum verweise ich auf den folgenden Text:

Biologie und Sprache Integralismus und Kybernetismus Sprachlicher Code

Walter A. Koch (*1934) gibt die Einleitung zu dem zweibändigen Buch „Perspektiven der Linguistik“ (1973-1974). Ich habe Zitate aus dieser Einleitung einerseits dem folgenden Text vorausgeschickt und sie andereseits an bestimmten Stellen dieses anderen Textes eingestreut. Es folgen die Verweise dazu:
S. XIII
S. XIV, XVI, XVII-XVIII, XVIII
S. XVIII-XXII
S. XXXIV-XXXV
S. XLVIII-XLIX
S. L-LI
In dem zweiten Band des genannten Buches hat Koch zweiundzwanzig Thesen aufgestellt:
1. Kreislaufthese der Metalinguistik (ML). **
2. Offenheitsthese für Kreisläufe. **
3. Multivariabiltätsthese für die Linguistik (L). **
4. These vom Ungenügen der ungebundenen Meta-Operationalität.
5. These vom Genügen der gebundenen Operationalität.
6. These vom Ungenügen des Individualitätsprinzips.
7. Partikelthese (L-Modell). **
8. Feldthese (Si-Modell). **
9. Äquivalenzthese (H-Modell). **
10. Überführbarkeitsthese.
11. These der Zyklizität. **
12. These des Wendepunkts, des Sammelpunkts und der Revolution. **
13. These der Evolution. **
14. These des Empirie-Theorie-Zyklus.
15. These von den Saussureschen Dichotomien als rekurrenten Erscheinungen der Zyklyizität.
16. Sammelpunkt-These der Saussureschen Konzeption vom „System“.
17. These von der unnötigen Spaltung des Strukturalismus (Chomsky gegen Strukturalismus).
18. These von der unnötigen Erweiterung des Strukturalismus (metagenetisch motivierter Interdisziplinarismus).
19. These des Strebens von der Geschlossenheit zur Offenheit der Strukturen als eines Moments der Logik der Heuristik. **
20. These des Strebens der Offenheit zur Geschlossenheit der Strukturen als eines Moments der Evolution: Genese als UMKEHRUNG der Metagenese. **
21. These vom physiko-bio-kybernetischen System (Thesen 1 bis 3) als Ansatz für den genetischen Interdisziplinarismus (Integralismus). **
22. These von der unendlichen Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit (mit Impuls zur Geschlossenheit) als Motor der Evolution. **
Diese 22 Thesen sind, wie gesagt, in dem zweiten Band des Buches „Persepktiven der Linguistik“ (1973-1974) zu finden, nämlich in dem Kapitel 19 mit dem Titel „Tendenzen der Linguistik“, das aus folgenden Unterkapiteln, die ich im folgenden Text „Abschnitte“ genannt habe, besteht:
1. Voraussetzung für die Feststellbarkeit von Tendenzen der Linguistik: Dynamisierte Metalinguistik (dynamisiertes ML) ** ** ** ** **
2. Bisherige Ansätze zur Metalinguistik (ML)
3. Bisherige Ansätze zur dynamischen Linguistik (DL)
4. Neuer Ansatz zur Metalinguistik: Taxologisches Modell (ML) **
5. Neuer Ansatz zur dynamisierten Metalinguistik: Strukturen der Evolution (dynamisiertes ML) **
6. Tendenzen der Linguistik in der weiteren Vergangenheit (Anfänge bis zum 19. Jahrhundert)
7. Tendenzen der Linguistik in der unmittelbaren Vergangenheit (Saussure und embryonales Paradigma des Strukturalismus)
8. Tendenzen der Linguistik in der Gegenwart (hypertropher Strukturalismus)
9. Tendenzen der unmittelbaren Zukunft (gezielte Ausweitung des strukturalistischen Paradigmas bis zu den „offensten“ Stellen) **
10. Tendenzen der weiteren Zukunft (Wendepunkt in der strukturalistischen Haltung zu dem Verhältnis zwischen Genese und Metagenese: Evolutionistischer Integralismus ** **
„Da Ihr Interesse an dieser Webseite sehr strapaziert werden würde, wenn ich Kochs gesamten Text aus dem besagten Buch hier wiedergeben würde, werde ich es bei den von mir für diese Webseite ausgesuchten belassen.

 

Biologie und Sprache Die Sprachgeschichte muß wieder die Grundlage der Linguistik werden Sprachlicher Code

Die Sprachwissenschaft - und in ihr besonders die Linguistik - muß wieder dynamischer werden. Sie muß wieder „ein echtes Ferment für das allgemeinwissenschaftliche Denken ... werden“, wie Walter A. Koch in der Einleitung zu den zweibändigen Perspektiven der Linguistik (erschienen 1973 [1. Band] und 1974 [2. Band]) gefordert hat (**). Diese Gelegenheit verspielt sie - denn der „Überlebens“-Kampf im Wissenschaftsbetrieb ist sehr hart und ungerecht - dann, „wenn bestimmte Teilperspektiven der eigenen Wissenschaft (z.B. die Syntax o.ä.) verabsolutiert oder wenn sie überhaupt die Rolle der Sprache erkenntnistheoretisch an den Anfang setzt (»Metagenetischer Fehlschluß«: vgl. Kapitel 19), was heute vielfach - besonders im »Strukturalismus« (**) und der generativen Grammatik (**) - geschieht. Ein »Wendepunkt« im terminologischen, d.h. wissenschaftshistorischen, Sinn wird letztlich erst dann erreicht sein, wenn das heute noch vorherrschende metagenetische Denken bezüglich der gesamtwissenschaftlichen Rolle der Sprache in ein genetisches Denken transformiert wird. Dabei wird das statische struktuale Modell der Sprache als ein »zufälliger« Ableger eines primär genetischen Prozesses erkannt werden müssen und nicht umgekehrt.
MC-Modell
Modell nach Walter A. Koch
L-Modell
Modell nach Walter A. Koch

Re = Referem
SE = Semem
Mo = Morphem
Lo = Logem
S = Syntaktem
T = Textem
BT = Bitextem
NT = N-Textem
Si = Situationem
Ph = Phonem
Gr = Graphem
Rep = Repräsentem
Vgl. Walter A. Koch, ebd., 1973, S. XIII-XIV:
PH: Physiko-chemische Strukturen, atomare, molekulare, galaktische usw. Vorgänge.
PX: Bestimmte molekulare Systeme (Proteine), biologische Vorgänge.
SZ: Intra-phyletische Organisationen, soziologischer Energiefluß, Ökologie, Ökonomie, Biotop des Lebendigen im Sinne einer interindividuellen Ordnung.
SEM:  Ansätze zu Gedächtnis, bedingtem Reflex, Kognition, Lernen, Symbolverhalten, prälinguistischen Kodierungen, Tiersprachen usw..
L: Menschliche Sprache (realisiert durch Texte [T]).
M: Verschiedene Formen von Metasprachen, expliziten (auf L aufbauenden) Modellen von L, SEM, SZ; PX und PH. Die Suche nach dem umfassendsten Modell ist gleich dem virtuellen »rechten« Ende des MC-Modells.
H: Historie, Evolution, Zeit. Die gegenseitige relative Stellung der betreffenden Systeme läßt Hilfsgrößen wie „Zeit“ und „Raum“ entstehen. Hier liegt die letztlich gleichbleibende Grundenergie, die je nach Kollision der Systeme abgerufen und in höhere Energieformen, d.h. Stufungen umgeformt wird. Jede Stufe hat ihr eigenes H-Modell.
Im Wissensbereich deckt Sprache fast alles ab. Auch überall sonst ist sie stets zugegen. Jedes Verhalten ist Sprache. ** ** ** ** ** **
Die Sprachgeschichte müßte somit wieder die Basis der Linguistik werden, allerdings unter einem neuen Vorzeichen (vgl. wiederum Kapitel 19 sowie Koch, Das Textem, 1973): die Genese beschreibt die tatsächliche entstehungsmäßige Einbettung der Sprache innerhalb der von den anderen Wissenschaften erfaßten Bereiche der Welt, während die Metagenese von der dem artikulierbaren Bewußtsein des Menschen zugänglichsten Struktur der Welt ausgeht, nämlich von bestimmten Größen der Sprache, und darauf genetisch-erkenntnistheoretisch die Welt aufzubauen trachtet. Letzterer Fehlschluß eignet auch fast allen Schulen der Philosophie und natürlich der Theologie: »Am Anfang war das Wort ...«.“ (Ebd., 1973, S. XLVIII-XLIX). Koch „vermutet, daß es von einer höheren Warte aus eines Tages gelingen wird, das periodische Wiederkehren der Sprache als Paradigma bzw. Schlüsselproblem für die Erschließung aller anderen oder zumindest vieler anderer Teile der gesamtwissenschaftlichen und »gesellschaftlichen« Panoramas vorherzusagen. Wenn sich andere Wissenschaften in ihrer Schlüsselfunktion erschöpfen, tritt irgendwann die Sprache auf.“ (Ebd., 1973, S. XIII). Im letzten Abschnitt des Kapitels Tendenzen der Linguistik (Kapitel 19 der Perspektiven der Linguistik) ist folglich auch das „Verhältnis zwischen Genese und Metagenese: Evolutionistischer Integralismus“ die Tendenz, die Koch zufolge den Wendepunkt bringen wird (vgl. ebd., 1974, S. 190 [**] und 280-294 [**]).
Sprache hat einen natur- und kulturwissenschaftlichen Anteil,
wobei der kulturwissenschaftliche bei weitem überwiegt.
„Die Feststellbarkeit von Tendenzen in der Linguistik soll den größtmöglichen Grad der Vorhersagbarkeit, Motivation, Manipulierbarkeit der sprachwissenschaftlichen Aktivitäten garantieren. Der Wunsch nach einer solchen Feststellbarkeit deckt sich mit dem Verlangen nach einer operationellen, relativ durchschaubaren Wissenschaft: Anamnese (Vergangenheit), Diagnose (Gegenwart) und Prognose bzw. Therapie (Zukunft) sollen der Idee eines homogenen Felds von zyklischem bzw. evolutivem Verhalten von Wissenschaft zugeführt werden. Der Versuch, »Tendenzen der Linguistik« so zu verstehen, ist neu und schon allein darum voller Schwierigkeiten. Die möglichen umrißhaften Ergebnisse, z.B. die Prognose einer »kopernikanischen Wende« in der Linguistik, scheinen mir indes den Versuch wert zu sein. Die Abschnitte 19.1 bis 19.5 beschäftigen sich mit den Voraussetzungen für die Feststellbarkeit von Tendenzen, 19.6 bis 19.9 versucht daraufhin eine Interpretation linguistischer Aktivität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 19.10 schließlich skizziert eine mögliche Wende der Linguistik ... zum Integralismus.“ (Ebd., 1974, S. 190-191).  –  Kochs Tendenzen der Linguistik, a.a.O. Dynamisierte Metalinguistik. ....  –  These 1: Kreislaufthese der Metalinguistik.  –  Man könnte diese These auch auch die »Interdisziplinaritäts- und Metawissenschaftsthese« nennen. Die These enthält eine Reihe von Unterthesen, welche die Struktur des erwähnten Ordnungsfaktors erstellen und die letztlich den Hintergrund für die Erklärbarkeit von Theoriewandel abgeben sollen. Theoriewandel soll also mit ähnlicher Aufmerksamkeit bedacht werden wie - auf anderem Niveau - Sprachwandel. ....  –  Zu L: Hierher gehören alle Theorien über die Sprache, auch solche, die nach einem umfassenderen Verständnis von der langue (Verwendung von Sprache, konkrete Sprache; HB) nur Teile, Perspektiven von L behandeln ....
Bei Koch (in: Perspektiven der Linguistik., Band II, 1974, S. 193 ff.):
Konkrete Sprache = . Systematisierte Sprache = L.
Metalinguistik = ML. Dynamische Linguistik = DL. Dynamische ML = DML.
Metawissenschaft = MW. Dynamische Wissenschaft = DW. Dynamische MW = DMW
.
Konkrete Geschichte = . Systematisierte Geschichte = H.
W. A. Koch
Aus: Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in:
Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 194.
 –  Zu ML: Zur Metalinguistik gehören alle Theorien, welche sich selbst wiederum auf L-Modelle beziehen, welche diese abbilden (zur Abbildung vgl. Band I, S. XXV). Eine Metalinguistik müßte in der Lage sein, alle vorhandenen Formen von Linguistik zu relativieren und in diesem Sinne verständlich zu machen. ....  –   Zu DL: Die dynamische Linguistik bezieht sich bewußt auf die Tatsache, daß Sprachtheorien zueinander im Verhältnis des Konflikts stehen. Die dynamische Linguistik besteht aus dem zeitlich-räumlichen Kontakt bzw. der Veränderung innerhalb der »Geschichte der Linguistik«, präziser: Sie gibt das Material für eine mit ML unmittelbar integrierte Theorie über das H-Modell vom L-Modell ab (vgl. zum H-Modell: Einleitung, Band I, S. XXVIII und die These 9 [**]). So wie z.B. die Geschichte () einer / der Sprache () in dem unmittelbar mit L verbundenen H (vgl. die Tiefendimension »H« im MC-Modell: Einleitung, Band I, S. XXI) erklärt wird, gelangt die Geschichte (»Dynamik«) einer / der Linguistik (DL) in ML zur Erklärung. .... »H« als Matrix von L entspricht also der mit L unmittelbar integrierten H-Theorie über das von , mit anderen Worten: H1 von L erklärt Sprachwandel. H2 als Matrix von L entspricht unserem DL ....
„Grobskizze eines denkbaren M-Modells .... Sie enthält folgende Teile:
Orte: L, ML, DML, MW usw.. Relationen: (kybernetische) Kreisläufe
sowie Impulse (offene Pfeile).“ (Walter A. Koch, ebd., 1974, S. 192).
W. A. Koch
Diese „Grobskizze“ ist allerdings nicht von Koch, sondern von mir.
Doch auch sie „impliziert letztlich die These, daß der entscheidende
Impuls für alle Kreislaufmotorik von »unten« + »rechts«, d.h. von den
offenen und dynamischeren (»historischen«) Dimensionen ausgeht.
Danach ist die Erstellung einer angemessenen Metalinguistik (ML)
zwar das unmittelbare Ziel unserer Überlegungen, die
Wissenschaftsgeschichte generell (DW) jedoch der Motor und letzte
Stimulus der zu berücksichtigenden Grundlagen. Ein notwendiges
Nebenprodukt unserer vordergründigen Zielsetzung ist die
Postulierung einer einheitlichen Gesamtwissenschaft.“
(Walter A. Koch, ebd, 1974, S. 202).
DL ist ähnlich wie eine uninterpretierte Beschreibung, Aufzählung von Daten. DL registriert verschiedene Theorien über , also verschiedene L, nach Orten und Zeiten grob vorgeordnet, mit einem gewissen Bemühen um einen roten Faden, um den Aufweis struktureller Gemeinsamkeiten, aber eigentlich ohne die explizite Absicht, die Dynamik selbst zu erklären. Wie DL sind fast alle vorhandenen »Geschichten der Linguistik« aufgebaut (...). Eine Erklärung von DL und somit eine mehr als enumerative Behandlung von Tendenzen kann erst in ML stattfinden (genauer: in H1 als Matrix von ML). ....  –  Zu DML: Die dynamische Metalinguistik würde ihrerseits den im jeweiligen Augenblick, im synchronen Querschnitt als angemessenste Form anerkannten Typus von Metalinguistik selbst zu relativieren trachten, indem sie vorhergehende, überholte und zukünftig denkbare Arten von Metalinguistik entwickelt. Allein das Momento der DML gegenüber ML garantiert jene geistige Beweglichkeit, die zu einer nicht starr-dogmatischen, sondern flexibel-dogmatischen Re-Generierbarkeit von ML benötigt wird. ....  –  Zu W: Nach Wilhelm von Humboldt gab es die sprachwissenschaftlichen Richtungen des biologischen Naturalismus .... Hier wird explizit, fast programmatisch sichtbar, was in allen linguistischen Theoriebildungen (L) mehr oder weniger nachhaltig geschieht: die Hereinnahme unverzichtbarer Konzeptionen anderer Wissenschaften (W). Es wäre eine Ilusion, wollte man glauben, L konstituiere sich allein aus dem Abbildungsprozeß (per »Abstraktion« oder »Theoretisierung«) über der Sprache (). Nehmen wir nur folgende unvollständige, willkürliche DL-Reihe: Humboldt, Schleicher, Saussure, Bloomfield; Humboldts Ideen waren kaum erzeugbar ohne die Philosophie des Deutschen Idealismus, Schleichers naturwissenschaftliche Vorstellungen von Sprache sind nicht denkbar ohne Gedanken seiner Zeitgenossen, der Evolutionstheoretiker Darwin und Haeckel, Saussures berühmte Dichotomien (...) wären ohne teilweise nicht ohne die Soziologie Durkheims zustandegekommen, Bloomfields Reduktion der Linguistik auf »Beobachtung« (Vorliebe für »Distribution«, Feindschaft gegenüber der Semantik usw.) ist durch den Behaviorismus eines George Watson geprägt. Es ist eine Binsenweisheit, daß die Wissenschaften einander durchdringen, und das Bewußtsein, welches heute eine neue Interdisziplinarität fordert, gründet sich oftmals auf nichts mehr als eben diese Binsenweisheit. ....  –  Zu MW: Diente W u.a. zur Auffindung von theoretischen Isomorphien zwischen den Wissenschaften, so benötigen wir MW, um die jeweiligen Wissenschaften zu erklären, in ihrer (Weiter-)Entwicklung zu verstehen. Die Metawissenschaft hat somit eine ähnliche Funktion wie die Metalinguistik. ....  –  Zu DW: Die dynamische Wissenschaft behandelt die Wissenschaftsgeschichte mit traditionellen Mitteln , d.h. der geschichtliche Anteil wird mit Ansätzen behandelt, der die traditionelle, wenig strukturelle und wenig explikataive Geschichtswissenschaft (vgl. Karl-Georg Faber, Theorie der Geschichtswissenschaft, 1971) nicht transzendiert. Richtungen, die DW auf höherem Niveau (in MW) zu erklären trachten, sind einerseits die modellspezifischer arbeitende Wissenschaft der Wissenschaft, andererseits die modellneutraler arbeitende historisch-erklärende Dimension der Wissenschaftstheorie. Zu dieser Dimension gehört z.B. Kuhns Idee von den wissenschaftlichen Revolutionen (vgl. Abschnitt 19.5). Eine strukturelle Grundlage für eine H1-Komponente von MW (vgl. dazu parallel H1 von ML in der Abbildung auf S. 194) finden wir bei Kahn .... Hier werden Strukturen der Zyklizität und Rekurrenz in der Geschichte (ähnlich wie bei Spengler und Toynbee, nur ein wenig faßlicher) bemüht (vgl. die Abbildung auf S. 253).  –  Zu DMW: Ähnlich wie bei DML wird man sich vorerst mit einer einfachen (geschichtlichen) Ordnung der MWs begnügen. DMW macht ein spezifisches Dogma in MW relativ flexibel.“ (Ebd., 1974, S. 191-198). „Mein Bemühen, die Linguistik integral und kybernetisch zu sehen, beeinflußte zwei verschiedene Ebenen: meinen metalinguistischen Hintergrund (von Abschnitt 19.1 an) und die Prognose für die Entwicklung der Linguistik selbst (Abschnitt 19.10). Das MC-Modell ist nicht reduktionistisch zu verstehen, andererseits kann nicht jede Stufe (SZ gegenüber PH oder Syntax gegenüber Textematik) eine eigene, »monoadologische« Betrachtungsweise verlangen. Stufenneutrale Wissenschaften wie die Mathematik helfen bei unseren Neuüberlegungen kaum, die Physik wäre da schon von größerem Nutzen; unsere gesuchte Form von Metawissenschaft muß eher einer lingua characteristica als einem calculus ratiocinator gleichen; sie muß damit rechnen, daß die Welt und die Sprache mehrfach offene, kreative Systeme sind und nicht etwa eine machina docilis in den Händen eines deterministischen Technologen.“ (Ebd., 1974, S. 294).  –  Der Raum, den die Sprache innerhalb der Welt einnimmt, ist für all diejenigen, die Zeichen deuten können, also zeichendeutungsfähig sind, ein unvorstellbar großer, nämlich der größte aller von Wissenschaftsbereichen einzunehmenden Räume. Für alle Lebewesen besteht die Welt aus Sprache - auch für die Lebewesen, die davon nichts wissen. Nichtlebewesen aber „sind“ nur, können also Sprache weder verstehen noch herstellen - es sei denn, sie sind von Menschen hergestellte Nichtlebewesen, Maschinen (denn diese können Sprache auf die ihnen künstlich/technisch von Menschen zugewiesene Weise „verstehen“ und „herstellen“) -, sind aber dennoch Teil der Sprache, aber eben nur passiv. ** ** ** ** ** **

„So spielt die Linguistik fraglos eine gewisse Pilotenrolle für andere Wissenschaften ....“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 199).

Das Bewußtwerden der Strukturen (ob nun perzeptorisch beim Pantoffeltierchen [PX-Stufe] oder etwa metasprachlich beim Menschen [M-Stufe]) ist nun m.E. derart angelegt, daß das in der Gesamtgenese immer komplizierterer Größen zuletzt Entstandene zuerst auffällt bzw. dem »Kurzzeitgedächtnis« verfügbar ist. Das Bewußtwerden (Metagenese) ist eine Umkehrung der Genese. So begann die strukturalistische Metagenese (des L-Modells) beim Phonem - und sie wird u.U. beim N-Textem enden -; es wäre nun ein Fehlschluß, wollte man daraus folgern, daß die Genese der Sprache am Anfang Phoneme und z.B. keine Morpheme oder gar Texteme aufwies. Das Umgekehrte war sicher der Fall; weniger auffällige metagenetische Fehlschlüsse findet man m.E. in der modernen Linguistik tatsächlich sehr häufig.  –  Man kann in diesem Zusammenhang auch zwischen stufenspeziellen und stufenneutralen wissenschaftlichen Konzepten unterscheiden. Die Mathematik oder Teile der Logik scheinen mir z.B. keine stufenspeziellen Beiträge für einzelne genetisch geordnete Matrizen (z.B. für Sprache [Koch meint hier nicht die Sprache im weiteren Sinne, sondern nur die Sprache im engeren Sinne, also: die linguistische Sprache; HB]) abzugeben. Die stufenneutral erarbeiteten Begriffe sind metagenetisch fruchtbar, genetisch jedoch ungeprüft; sie lassen sich daher auch auf Strukturen aller möglichen Entwicklungen anwenden (man denke z.B. an die Rolle der Statik in der Physik [PH], in der Biologie [PX] bis hin zur Linguistik [L]. Eine »zufällig mathematisierte« Matrix-Wissenschaft erreicht darum m.E. ihren Wissenschaftscharakter nicht erst oder gar nicht durch Mathematik. Stufenspezielle Strukturen werden erst allmählich »empirisch« erarbeitet (bewußt), wobei die bloße Fähigkeit, auf schmaler Basis zu abstrahieren, nicht ausreicht.“ (Walter A. Koch, Einleitung, in: Perspektiven der Linguistik, Band I, 1973, S. XXXIV-XXXV).
Metagenese
Modell nach Walter A. Koch
Genese
Modell nach Walter A. Koch
Die Metagenese geht von der höheren, geschlosseneren, weniger operationalen, höherbewußten Struktur aus und projiziert ihre Erkenntnis auf niedrigere, etwa von ML auf L (**|**). Die höhere Struktur schafft auf der niedrigeren größere Ordnung, aber nur vorläufig. Die niedrigere Struktur, »Herd der Unordnung«, gibt immer neuen Anlaß zu weiteren höheren Ordnungsversuchen. Mit diesen Worten möchte ich deutlich machen, daß der Kreislauf z.B. zwischen ML und L in L, nicht in ML seinen entscheidenden Kontrollfaktor, seinen Impuls sehen muß. Die Metagenese läuft also notwendigerweise der Genese entgegen. Diese Kontrakurrenz ist der Motor u.a. für das Wachsen von Information und Struktur im menschlichen Gehirn. Die Metagenese geht stets von durch das höchste Bewußtsein vereinfachten, geschlossenen Strukturen aus; man denke etwa an die Denkformen der Logik, der simplen Axiomatisierungen usw. in Bereichen von einfachen, künstlichen Sprachen. Die gewonnenen Strukturen werden nunmehr auf kompliziertere Strukturen, z.B. die natürliche menschliche oder tierliche Sprache übertragen, oder man versucht zumindest mit großer Mühe eine solche Übertragung. In Wirklichkeit (in der Genese) läuft der Prozeß natürlich umgekehrt ab: Zuerst gibt es die Tiersprache (SEM-Modell), dann die menschliche Sprache (L-Modell), dann erst die Logik als bewußt konstruierte Sprache (M-Modell). Die Kontrakurrenz ist eigentlich erst dann ohne Gefahr für die Erkenntnis nützlich, wenn sie als solche erkannt wird. Dies ist m.E. bisher nicht in sichtbarer Weise der Fall. Daher fallen in weiten Bereichen der Gesamtwissenschaft Metagenese und Genese unbewußt in der Argumentation (bei Lévi-Strauss [**] - um nur ein Beispiel zu nennen [**]) zusammen. Die Kontrakurrenz wird zur Konkurrenz. Der unmittelbare Bereich unserer Überlegungen, die Metalinguistik, wie auch der Kern unserer weiteren Überlegungen, der Erkenntnisprozeß der Linguistik (die »Tendenzen«), sind von metagenetischen Fehlschlüssen bedroht.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 199-200).

Telfiguren
„Extremer Realismus“ (a). „Extremer Nominalismus“ (b). „Platonismus“ (c).
„Die Eigenschaften, die meiner Meinung nach eine neue Konzeption von Metalinguistik auszeichnen sollten, nämlich Dynamisierung, Kybernetisierung, Kontrakurrenz, Integrierung usw., werden m.E. auch dem strukturellen Verständnis der Tendenzen der Sprache () und der Linguistik (L) von großem Nutzen sein. ....  –  These 2: Offenheitsthese für Kreisläufe.  –  Nach These 1 (**) besteht die Welt aus Kreisläufen, die an den unteren Stellen offen sind. Die Offenheit eines Kreislaufs erlaubt den Anschluß an andere Kreisläufe. Sie garantiert die feinere Stufung oder Differenzierung des Gesamtsystems. In den Abbildungen mit den Teilfiguren a, b, c, d, e, f wird der Gesichtspunkt des Kreislaufs auf den Gegenstand der Linguistik (L), nämlich auf die Sprache (), übertragen; dabei besteht zwischen und der Welt (W) ein ähnliches Verhältnis wie zwischen ML und L in der Abbildung weiter unten rechts (»Multivariabilität der Linguistik«). In den Abbildungen mit den Teilfiguren a, b, c, d, e, f sind einige vereinfachte Formen des strukturellen Fehlverhaltens gegenüber dem universell zu erwartenden Kreislauf skizziert: Auf der Teilfigur a gibt es wesentlich nur eine Strukturoperation von der Welt auf die Sprache. Man könnte diese Annahme als extremen Realismus (dieses und folgende Etikette decken sich nicht immer mit dem etwa in der Analytischen Philosophie gegebenen Verständnis ähnlicher Termini ...) bezeichnen. Hiernach ist es die wesentliche Eigenschaft von , W abzubilden. spiegelt als Überbau W wider (Marxistische Position); eine zusätzliche Kontrolle der Hypothesen über W, die in enthalten sein können, ist nicht brisant, da eine gewisse fast automatische Duplizierung von W gegeben, keine extremen »Abarten« in der Eigensteuerung von möglich scheinen. Die meisten Sprachursprungstheorien gingen seit Jahrhunderten eher von »a« als von »b« aus: »b« notiert einen extremen Nominalismus. W ist danach wesentlich erkennbar oder gar »vorhanden« nach der Maßgabe der in verfügbaren Strukturen. Der Aristotelische Hylemorphismus (Substanz-Form-Dichotomie), der sich bis in die jüngeren Sprachtheorien hinein (...) gehalten hat, ist von dieser groben Kennzeichnung getragen (vgl. auch die Kantsche Vorstellungen von Sprache und vom Denken); unter dem zusätzlichen Gesichtspunkt der Relativität einzelner untereinander hat diese Richtung in der Sapir-Whorf-Hypothese (vereinfacht: es gibt »so viele W wie «) eine prägnante Formulierung erfahren: »a« und »b« erlauben u.a. keine wesentliche Fremdkontrolle der jeweils als dominierend angesehenen Strukturrichtung, sie gestatten auch kaum die Idee der Veränderbarkeit augneblicher Strukturverhältnisse. - »c« bedient sich im Gegensatz zu »a« und »b« eines Kreislaufs. Die Strukturen einer bestimmten Sprache (...) werden idealisiert, d.h. es wird ein den Konzepten »Tiefenstruktur« oder »Kompetenz« ähnlicher, »vermutlich« invarianter Kern einer bestimmten konstruiert bzw. angenommen; die so gewonnene Idealnorm von , nennen wir sie »«, soll universelle Geltung haben; es wird also angenommen, daß Einzelsprachen keine Chance haben, an diesem Kern etwas zu ändern. Lediglich »abweichende«Realisierungen des überall gleichen können in einzelnen L gefunden werden (auf »c« angedeutet durch »•« = Parameter zwischen W und ). Die Weltstrukturen ihrerseits sind determiniert durch »«.
Telfiguren
„Muster für »e«“ (d). „Heraklitismus“ (e). „Chomskyismus“ (f).
Eine solche Position könnte man mit Platonismus bezeichnen. Hier liegt eigentlich kein Zirkel vor, der Strukturgewinn und Strukturkontrolle garantiert, sondern eher ein solcher, der die in relativ undifferenziert ermittelten und voreilig auf den Status des Universellen erhobenen Strukturen in »« festschreibt. W ist dabei nicht das Argument einer Kontrollfunktion für das Strukturieren in , sondern autologisiert noch einmal die Beinahe-Tautologie => »«. Vom circulus vitiosus zum Kreislauf, der eine realistische Interpretation erlaubt, glangen wir erst in »d«. Hier strebt man von einer Stufe X, die relativ viele Strukturierungen zuläßt, zu einer Strukturstufe Y, die relativ wenige Strukturierungen zuläßt, wobei Y selbst X strukturiert, ordnet (durch Rückkoppelung). X wird dann neu strukturiert, gibt darauf wieder neuen, modifizierten Anlaß für eine neue Version einer Hyperstruktur Y, die ihrerseits wiederum auf X projiziert wird. Es beginnt im Kreislauf zu »fließen«, wobei die Strukturen von X und Y wechselseitig kontrolliert werden. Es gibt nichts »Absolutes«, keinen invariablen Ausgangs- oder Endpunkt. Allerdings liegt der »Impuls« des Kreislaufs, d.h. die offenere, strukturbedürftigere, aber auch weniger erschöpfbare Quelle, an der niedrigeren Stelle. »e« ist eine Realisierung von »d«. Eme-solche Sichtweite lenkt das Augenmerk auf die stete Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Haltung, nach welcher die Strukturen nirgendwo für sich selbst bestehen (etwa in jeweiliger Isolation: sprachliche Universalien, eine bestimmte dogmatisierte Form von Sprachtheorie, die physikalistische Metasprache als Weltanschauung oder auch nur die Strukturen eines bestimmten Wirklichkeitsausschnitts bzw. einer bestimmten Segmentierungsgewohnheit einer bestimmten Sprache hinsichtlich der Welt). Eine derartige Position, für die die Offenheit des Strukturkreislaufs die radikalste Strukturierungsannahme darstellt, könnte man Kybernetismus oder auch Heraklitismus nennen. Sie widerspricht einer wissenschaftlichen, speziell einer linguistischen Gewohnheit, allenfalls implizit Teilzirkel zu benutzen; bei letzterer Gewohnheit spielen die Kriterien des stetigen Kreislaufs, der wechselseitigen Kontrolle (somit der Relativität der Universalien selbst) und des Moments des genetischen Impules keine spürbare Rolle. Auf der Basis eben dieser Gewohnheit kann »f« gewisse Tendenzen in der modernen Linguistik wiedergeben. Die Position ist gegenüber dem Platonismus (»c«) um die Linguistik (L) und Metalinguistik (ML) bereichert. Die Rückkoppelung der linguistischen Hypothesen (L) zum tatsächlichen sprachlichen Verhalten () ist kaum existent. Die Welt (»Ontologie«) verschwindet überhaupt; dafür wird den verschiedenen Interpretationen der Welt, den verschiedenen , die aus ML herauskristallisierte Ideal-Konstanz (Univeralien der Kompetenz), nämlich »«, als leicht kaschierter Metaphysik-Ersatz vorgehalten. Die relativ regste Fluß- bzw. Kontrollaktivität findet auf »hohem« Niveauu, zwischen L und ML statt. Die Welt wird hiernach (implizit) wesentlich von der Metalinguistik bestimmt und nicht umgekehrt. Der Impuls, zu strukturieren, ist metagenetisch gesteuert (dicker schwarzer Pfeil). »f« scheint mir daher besonders charakteristisch für Tendenzen in der transformationell-generativen Grammatik (GTG).  –  These 3: Multivariabilitätsthese für die Linguistik.  – 
Multivaribialität der Linguistik
und W = Phase 2 (Regelstecke); PrL = Phase 3 (Regelgröße);
L und ML = Phase 4 (Regler); PoL = Phase 1 (Stellgröße).
Phase 2 => Phase 3

=>

Phase 4 => => Phase 1
W, => PrL

=>
=>

L, ML => PoL
Probematiserung => Theoretisierung => Anwendung
Zyklizität
Der Kybernetismus in »d« läßt sich weiter differenzieren, so daß wir den in der Abbildung rechts (»Multivariabilität der Linguistik«) dargestellten Kreislauf erhalten. Zu den bereits besprochenen Orten kommen »PrL« und »PoL«, ferner erscheinen hier die Parameter »Tr« und »S«. Die Prälinguistik (PrL) benutzt gegenüber der normalen Sprachverwendung () so etwas wie Metasprache. Es handelt sich um eine Linguistik in status nascendi, um eine Art protoscience (Urwissenschaft). Die kritischen, die neuralgischen Eigenschaften des alltäglichen Sprachgebrauchs () werden hier mit den verschiedensten Mitteln, etwa mit denen des Kulturjournalismus, des Feuilletons, der »aufgeklärten« Diskussion, der verschiedenen vorwissenschaftlichen Kritikformen: Sprachkritik, Literaturkritik, »philosophische« Sprachkritik, Sprachpathologie, Reflexionen über Spracherwerb usw. aus dem Dickicht mehr oder weniger »dunkler« operationaler Vorgänge ins Bewußtsein gehoben.
Regelkreis
Dies ist NICHT Kochs, sondern meine Abbildung, auf die ich Kochs
Abbildung NUR übertragen habe, um sie noch verständlicher zu machen.
Regler: Phase 4 (L, ML); Stellgröße: Phase 1 (PoL);
Regelstrecke: Phase 2 (, W); Regelgröße; Phase 3 (PrL).
Für die spezifische Form, die bestimmte Sprachprobleme aus nunmehr in PrL annehmen (ob sie z.B. in der Art der gewöhnlichen Sprachphilosophie oder in Form nur indirekter Sprachkritik durch Sprachzerstörung [wie etwa in weiten Bereichen moderner Literatur] erscheinen), mache ich vorläufig den Transduktor »Tr2« verantwortlich. Ob eine bestimmte Kulturinstanz wie die breite Skala von »Sprachbewußtmachern« in PrL die tatsächlichen bzw. wichtigeren Probleme in erfaßt, ist eine Frage der Selektion (hier: S2). Die Selektion wird oft von einem bestimmten Wissenschaftsklima, von »Ideologien« gesteuert (siehe »Si = Situation« in der Abbildung rechts), so daß trotz eines bestimmten starken Impulses von her (verschiedene Formen des in zwar gespürten, doch hier kaum lösbaren Mißverständnisses bzw. der ständigen Fehl-Kommunikation auf Text- und Semantikebene) die Notwendigkeit einer neuen Richtung in PrL der Aufmerksamkeit (S2) entgehen kann. Die komplementäre Postlinguistik (PoL) transzendiert (durch Tr5) die linguistischen Erkenntnisse (L) in einen sowohl kritischen wie auch stark rezeptiven Kulturbereich: Die Bildungsstätten (Schulen, Universitäten usw.), die Massenmedien (Zeitung, Fernsehen usw.), die Rehabilitierungsstätten (neurologische Kliniken, Taubstummenschulen usw.), die Literaturproduktion usf.. Es gibt hier auch noch andere Anschlüsse, die ich nicht eigens verzeichnet habe: Es sind solche auf gleicher Höhe mit L: die Übertragung von L-Erkenntnissen auf Nachbarwissenschaften: auf die Anthropologie, die Pädiatrie, die Ethnologie, die Psychologie, die Sprachlehrforschung usw.. L wird naturgemäß mehr oder weniger starke theoretische Überschüsse haben; d.h. die relative Nützlichkeit der Linguistik kann durch die Tatsache bestimmt werden, daß PoL nur gewisse Teile von L auswählt, seligiert (S5). Allerdings unterliegt PoL selbst wiederum bestimmten eigenen Ideologien, d.h. Regelkreisen, die nur hier (in PoL) und nicht an den übrigen Stellen des L-Kreises angeschlossen sein können. Das kann bedeuten, daß z.B. eine bestimmte Kulturpolitik eine bestimmte Form von Linguistik (etwa: Soziolinguistik) zu einem bestimmten Zeitpunkt favorisiert, ohne daß aus dem Gesamtkreislauf die Zuträglichkeit einer derartigen einseitigen Abnahme ersichtlich würde. Jeder der zwölf Parameter kann allein schon für Dysregulation des Regelkreises sorgen. Der stärkste Impuls für die Regelung geht - wie immer - »von unten« aus. Die Welt (W) ist das größte Reservoir an Geheimnissen, an Ungelöstheiten; der Sprache () können hier schon bei ihrer Erfassung von W die ersten Fehler bzw. Unachtsamkeiten (S1) unterlaufen. W ist träger als , ist träger als PrL usw.. Umgekehrt ist PrL schneller manipulierbar als , schneller veränderbar bzw. anpassungsfähiger als W .... Die Abbildung rechts (»Multivariabilität der Linguistik«) kann auch in Form von Phasen und Stufen dargestellt werden. Eine phasale Ordnung (vgl. Bd. I, S. XXX) würde folgendes ergeben:
Phase 2 => Phase 3

=>

Phase 4 => => Phase 1
W, => PrL

=>
=>

L, ML => PoL
Probematiserung => Theoretisierung => Anwendung
Die Stufenordnung (vgl. Bd. I, S. XXIV):
Modellbereiche Modelle Dependenz bzw. Offenheit
ML
L
PrL, PoL
M-Modell

 

 

L-Modell
W (= Welt) ...
...
...
SZ-Modell
PX-Modell
PH-Modell
Die Abbildung rechts (»Multivariabilität der Linguistik«) soll die Tatsache, daß die Linguistik in einen Kreislauf mit vielen Variablen eingebettet ist, prägnant werden lassen. Die Verbindungen garantieren einen steten Zu- und Abfluß an Problematik, an Konflikten. Ob hier tatsächlich ein stabiler Gesamtzustand (Homöostase ...), ein evolvierender, instabiler »Flußzustand« (Homöorhese ...) bzw. ein Prozeß der Chreode (...) erreicht wird, kann erst eine feinere Analyse mit konkreten Daten feststellen. Überall ergeben sich für Ungleichgewichtigkeiten verlockende Möglichkeiten: So kann von der Linguistik W (Welt) völlig abgeschaltet werden (was tatsächlich häufig geschieht), so kann eine kopflastige Überproblematik zwischen L und ML (ohne wesentliche Beteiligung der anderen Variablen) entstehen usw..  –  Die Problematisierung der Linguistik (vgl. Phase 2 [W, ] und Phase 3 [PrL]) speiste sich im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts zwar wesenlich aus . Vordergründig ging es also bei den Junggrammatikern um den Vergleich verschiedener Sprachen und den anschließenden Versuch der Rekonstruktion einer gemeinsamen sprachlichen Vorstufe. Doch die Problematik war vergleichsweise niedrig: Es ging vorwiegend um Äquivalenzen von Phonemen .... Die tatsächlichen Facetten der Problematisierung waren und wurden natürlich im Laufe der Zeit viel komplizierter, als ich es hier andeuten kann. Auffallend scheint mir indes, daß erst spät die Sinne der Linguisten für zentralere Probleme, Phänomene des Mißverstehens innerhalb einer Sprache, geschärft wurden. So machte Chomsky (**|**) zum ersten Male heuristischen Gebrauch von strukturell mehrdeutigen Sätzen wie: I dislike visiting relatives.
Mir scheint nun auf die Dauer der Ehrgeiz der Linguisten, strukturelle Ambiguitäten mit Hilfe eines höchst komplizierten Regelapparates zu lösen, im Mittel zu aufwendig, im Ziel zu bescheiden. Die nächste Etappe in der Schärfung der Selektionsfähigkeit des Linguisten (S3) wäre wohl das Fokalisieren auf Zerstörung von Sprache, auf gestörte Semiose, auf Sprachpathologie in großem Maßstab. Allein auf dem älteren Problematisierungssektor der generativen Grammatik (vgl. auch unter: Nativismus [**]) hat sich bereits ein Wust von weiteren prälinguistischen Stimuli angesammelt, der die ursprüngliche Paradigmatik von Ambiguität überlagert. Dazu bemerkt Bar-Hillel:
„The jungle of phenomena around degress of grammaticality, semigrammaticality, semantc anomaly, oddness, bizarreness, category mistakes, type violations, and a host of other related concepts is now in a state of almost utter confusion after a decade of intense and well-meant discussion ....“
Wichtig scheint mir hier, daß überhaupt das Irreguläre, das Abnorme innerhalb einer Sprache Stimulus für die Linguistik geworden ist. Wird die Prälinguistik im Zusammenhang mit noch radikaleren Formen von Sprachstörung einerseits und mit der Sprachplanung für die Zukunft andererseits immer wichtiger, so gilt Vergleichbares auch für die Postlinguistik. Ich möchte annehmen, daß das Maß, in dem eine vulgariserte, nach-wissenschaftliche Version einer bestimmten Disziplin ein breites Publikum zu fesseln vermag, gleichzeitig ein Gradmesser für die Vernünftigkeit und Angemessenheit der betreffenden Wissenschaft ist.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 201-212).

Ich meine, es ist davon auszugehen, daß bei genauer Analyse jedes System (nicht nur ein schwer zu durchschauender gesellschaftlicher Komplex) hoch-konditionierte Generalisierungen aufweisen muß, da jedes System mehrfach offen ist und eine Analyse nicht in jedem Fall die Regelmäßigkeit des gesamten Universums mitformulieren kann. ....Der gängige Einwand, Zyklik und Evolution seien mechanistisch und fatalistisch (...), scheint mir eher von Vorurteilen als durch den Blick für Realitäten geprägt. Der gewichtigere Einwand Poppers (wieder gegen den »Historizismus« des Marxismus gerichtet), Zyklizität sei nicht universell anzutreffen, nicht einmal im Bereich der Naturwissenschaft, geht etwas zu kleinmütig von einem augenblicklichen Wissensstand, weniger von einer wissenschaftlich nützlichen und plausiblen Universalhypothese aus. Es gibt sicher Zyklizitäten, die uns vorläufig noch verborgen sind. (Was nicht ausschließt, daß Popper mit seiner Kritik an der spezifischen und konkreten Vorhersagegläubigkeit der Marxistischen Doktrin recht hat.) Erscheint irgendwo etwas als unzyklisch, so kann das sehr wohl bedeuten, daß das betreffende Untersystem nicht breit genug strukturiert worden ist. .... Verfechter der Stufen 7 bis 9 (7: Endliches homogenes Modell für alle Strukturen; 8: Zyklische Phasen; 9: Richtung, Progress, Regress usw.; HB) gelten als Metahistoriker. Diese »sind für den strengen Historiker das rote Tuch« (Dawson, a.a.O., S. 323). M.E. sind die vorgegebenen Gründe für die Ablehnung weniger entscheidend als die unreflektierten. Letztere beziehen sich darauf, daß - wie schon erwähnt - die ersten Versuche der Tiefenstrukturierung naiv, »schematisch« sein müssen, daß die Beobachtungsdauer für GW (gegenüber NW) weitaus länger sein wird und daß letztlich die zugemessenen Wahrscheinlichkeiten für die konditionierten Systemzyklizitäten im Bereiche »GW« sich auf niedrigerem Niveau abspielen werden als im Bereiche »NW«. Das kann jedoch nicht bedeuten, daß schon ein Versuch der genannten Richtung nutzlos oder unmöglich ist. Es bedeutet allerdings in jedem Fall eine größere Anstrengung und eine größere Zahl von Fehlversuchen.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 232-233).

Kochs Tendenzen der Linguistik, a.a.O. „Taxologisches Modell für Sprache.  –  .... Erinnern wir uns an einige Punkte, die bei der optimalen Erstellung einer Metalinguistik (ML) beachtet werden sollten: (1) die Interdisziplinarität, (2) die Kybernetisierung und die Kontrakurrenz, (3) die Offenheit bzw. der Impuls der kybernetischen Kreisläufe, in die u.a. ML gebettet ist, (4) die Multivariabilität, an die ML angeschlossen ist, (5) das Vermeiden einer ungebundenen Operationalität (z.B. Vermeidung der Überschätzung des Kriteriums »methodische Einfachheit« vor den objektmäßigen Problemen), (6) die Berücksichtigung einer Stufigkeit (»Sprache« [] - »Metasprache« [L] - Metalinguistik [ML]), die nicht in sich selbst kollabiert, sondern einen sich selbst kontrollierenden Kreislauf aufrechterhält.
L-Modell
Modell nach Walter A. Koch

Re = Referem
SE = Semem
Mo = Morphem
Lo = Logem
S = Syntaktem
T = Textem
BT = Bitextem
NT = N-Textem
Si = Situationem
Ph = Phonem
Gr = Graphem
Rep = Repräsentem
H-Modell
H-Modell
Die folgenden Abbildungen (L-Modell und H-Modell) stellen meinen ersten knapp skizzierten Vorschlag einer ML dar, die dem Kriterium der Operationalität genügen soll und auch die vorher genannten Punkte berücksichtigt. Das vorgeschlagene ML-Modell im engeren Sinne ... wird hier »L-Modell« genannt, da es in der abgekürzten Form von mir auch auf der Stufe »L« (nicht nur »ML«) verwendet wird. .... Zu (1): die Integrierung in ein Gesamtmodell wird u.a. mit einem physikalischen Integrierungspostulat und einem neurologischen Lokalisierungspostulat (s.u.) angezeigt; zu (2): die Vorläufigkeit der Strukturen (z.B. Taxa im L-Modell) soll stärker als üblich betont werden (»Kreislauf« ist die primäre Universalie, »Phonem«, »Nominalphrase + Verbalphrase«, »Text« usw. sind abgeleitete Universalien; gestufte oder organische Invarianz bzw. Varianz der Systeme und Metasysteme), Auffindungs- und Darstellungsverfahren sind zwei entgegengesetzte Prozeduren (»von über L zu ML« bzw. »von ML über L zu «), Kontrakurrenzblindheit tendiert allerdings dahin, sie zusammenfallen zu lassen, so daß sich hier die Motorik des Nachdenkens über Sprache durch Tautologien dem Stillstand nähert (» ist, was ML aussagt«; Tendenz bestimmter Rigorismen: Chomsky, Hjelmslev u.a.); zu (3): das Argument der Funktionen zwischen , L, ML liegt jeweils auf der tieferen Stufe - freier gesprochen: und L dienen nicht dazu, die Richtigkeit von ML zu beweisen, sondern ML dient umgekehrt dazu, die Nützlichkeit höherer Stufen über für L unter Beweis zu stellen; zu (4): der Selektor (S) zwischen Sprache () und Welt (W) soll möglichst dem Selektor zwischen Metasprache (L) und Sprache () ähneln (**), d.h. die Taxa (Orte) des L-Modells (Phonem, Morphem, Logem usw.) sollen den Sprachbetrachter (Pan) auf der Stufe L möglichst per »Auffindungsverfahren« so schnell und unmittelbar zugänglich bzw. operationabel gemacht werden wie dem Sprachbenutzer (Px) auf der Stufe . Die komplizierten rewrite-rules der generativen Grammatik (GTG) z.B. kommen einer derartigen Selektionsstrategie nicht nahe; sie sind eben spezifische Darstellungstechniken von L, die sich ausdrücklich einer naiven Abbildungsabsicht hinsichtlich entziehen - darin sehe ich indes in unserem Zusammenhang keine wissenschaftliche Stärke: zu (5): nicht »Einfachheit« der linguistischen Darstellung hat den Primat in dem Kreislaufmodell (in das ML eingebettet ist), sondern »Komplexität« der sprachlichen Daten; zu (6): die Vermeidung eines Kollapses in der linguistischen Aktivität ist nur dann gewährleistet, wenn man ML nicht ständig über das Gleiche nachdenken läßt, sondern es von her mit neuen Beobachtungsrichtungen (Foki) füttert; ML ist wie der menschliche Körper ein offenes System. .... Auf allen drei Stuten (, L, ML) finden sich 1.) Operationen, 2.) die durch (gebündelte) Operationen erstellten Taxa (wie »Laute«, »Phonem« usw.), 3.) Meta-Operationen. Die genetische Ordnung dieser Größen entspricht eben dieser Reihenfolge. Ein vollständiges ML-Modell müßte alle drei Größen in extenso darstellen. Ich beschränke mich in der ML-/L-Modell-Abbildung auf die Darstellung der vorläufigen Taxa, auf die taxologische Ordnung, und zwar auf der Stufe L, die gleichzeitig als Stufe ML gilt. Der Gefahr, andere L (L2, L3; etwa: Halliday; Chomsky) in unfruchtbarer Weise nach meinem eigenen Vorschlag L (= ML) zu bewerten (vgl. Anm. 23 [Vgl. die Wertung nicht-generativer Grammatiken nach dem ausschließlichen Maßstab des Chomskyischen Ansatzes ...]), glaube ich dadurch zu entgehen, daß ich L stets so zu verändern trachte, daß es andere, neue Modelle auf dem Niveau L mit allen ihren Annahmen zu beschreiben imstande ist. Ziel und totale Realisierung dieses Konzepts müssen - wie bei den meisten grundlegenden Konzepten dieser Richtung - nicht sofort gemeinsam auftreten. - Die Taxa im ML- bzw. L-Modell verbleiben überdies auf einem ersten groben Niveau (...). Sie sind offen für eine Reihe von Spezifizierungen; d.h. auf dieser Stufe der Taxologie ist nicht entschieden, ob es sich um eine Analyse- oder Synthese-Grammatik, um eine Erkennungs- oder Erzeugungsgrammatik, um Aufwärts- oder Abwärts-Konstitution handelt, mit anderen Worten, die über die Auffindung der dargestellten Taxa hinausgehenden Operationen (Nachfolge-Operationen: Konstitierung usw.) sind zunächst in gleichwertiger Weise einbaubar, es kann keine bestimmte Darstellungsweise (etwa: Generative Grammatik gegenüber anderen Grammatiken) eine andere ohne zusätzliche situationale oder pragmatische Begründung einer punktuellen linguistischen Strategie verdrängen (vgl. zur »Pragmatik«: Anwendungsphase der Postlinguistik [**]). Die vor den Taxa liegenden Operationen (Kommutierung, Permutierung usw.) sind charakteristisch für die unreflektierte Stufe der Sprechtätigkeit (). Sie sind somit fundierend für den gesamten Prozeß .... (Die Operationen in sind gewissermaßen die noch dynamische Vorstufe der abstrahierten Taxa.) Zu den Meta-Operationen gehören nicht nur die bekannten Kriterien der Einfachheit, Konsistenz usw., sondern auch die die Daten kontrollierenden Momente der Vollständigkeit, Angemessenheit, Wichtigkeit, Integrationsfähigkeit usw.. M-Modell-Prozeduren wie die auf dem Binarismus aufbauende Phrasenstruktur können zwar einfach, aber im Bezug auf die Abbildung der Realität irrelevant sein. Ein neurologisches Lokalisierungspostulat bezüglich sprachlicher Strukturen im menschlichen Gehirn sieht jetzt schon komplexere, flexiblere, multididimensionale Strukturen, die einem ungebundenen, von der Position einer künstlichenSprache (M-Modell, nicht L-Modell!) konstruierten Einfachheitsprinzip zu widersprechen scheinen. Allein die Ökonomie des Gehirns ist mit den gängigen Kleinausschnittproblematisierungen nicht zu messen. Die in These 1 (**) enthaltene Aufforderung zur Ganzheitsbetrachtung erheischt ein unitäres Weltmodell. Das MC-Modell stellt einen ersten Versuch zur Realisierung einer solchen Vorstellung dar. Danach muß ein Realitätsausschnitt, der erfassen will, ein dreiteiliges Gebilde berücksichtigen: L existiert in der zugänglichsten Form nur in Situationen, und diese wiederum nur im zeitlich-räumlich-srukturellen Kontinuum, kürzer: L nicht ohne Si und H. Ich möchte diesen Gedanken wieder in Form von Thesen aufgliedern:  –  These 7: Partikelthese (L-Modell)   –  Zu einer genaueren Beschreibung dieser These sei noch einmal auf andere Publikationen verwiesen: Koch, Vom Morphem zum Textem, 1969; Zur Taxologie des Englischen, 1971; »Varia Semiotica«, 1971; vgl. auch Band I, S. XXVI. Hier nur eine oberflächliche Charakterisierung ...:
1) Ph(onem): Grammatik (Satzlinguistik)
2) Mo(rphem):
3) Lo(gem):
4)  Gr(aphem):
5) S(yntaktem):
6) Se(mem):
7) T(extem): Textlinguistik Textstrukturalismus
8) Si(tuationem): Situationale Linguistik, Pragmatik, Handlungstheorie, Psycholinguistik, Soziolinguistik usw.
9) Re(ferem): Von der Sprache abgebildete Strukturen / Kybernetik, Sigmatik, Pragmatik
10) Rep(räsentem): Semiotik/Linguistik des Bildes, des Films, des Fernsehens usw.
11) B(i)-T(extem): Dialog-, Diskussions-, Argumentationsstrukturen
12) N-T(extem): Massenkommunikation, Textverarbeitungsmodelle usw.
13) Diasystematik (H-Modell):   Diachronie und Diatopie (des Sprachmodells)
Die Partikel in der Waagerechten (Planifizierung: Reihe 5) konstituieren sich von »kleiner« (Mo) zu »größer« (NT) und umgekehrt. Die Partikel in der Senkrechten (Stratifizierung: Spalten A bis G) konstituieren die simultanen Eigenschaften der jeweiligen Plana Mo bis NT. Diese Eigenschaften werden im Gegensatz zu vielen anderen Sprachtheorien als eigenständige Partikel aufgefaßt. Partikel sind »greifbare« Teilchen, die jeweils eine selbständige Materialisierung oder Manifestierung aufweisen (phonisch, graphisch oder repräsentisch). Ein Logem wie engl. chases (in: The boy chases the rabbit) kann z.B. jedwedes andere Logem zu seinem Semem (Paradigma) haben, bei einem bestimmten Parameter, der festlegt, in welchem »Kontext« (sememisch-textuell funktionierenden Syntagma) chases mit dem betreffenden Logem vorkommt (Parameter sind in der L-Modell-Abbildung durch kleine Punkte angedeutet). Man, dog, hunts, boy, runs, rabbit, animal, moves usw. können hier Semem sein. Erst eine bestimmte Standardisierung und Transformierung von solchen »Partikeln« führen zu metasprachlich formulierbaren sememischen Strukturen oder Merkmalen, welche die übliche semantische Analyse ausmachen: »Physisch«, »schnell«, »Bewegung« usw.. Einer der Vorteile meiner Partikelthese scheint mir in der Notwendigkeit zu liegen, feinere Strukturierungen (wie bestimmte Analyseprozeduren in Syntax und Semantik) operational aus einfacheren Beobachtungen ableiten zu müssen. - Partikel sind das Material, mit dem man experimentieren kann, auf Grund dessen man zu feineren Strukturierungen gelangen kann (von solchen Partikeln kennt z.B. die generative Grammatik allenfalls so etwas wie Syntakt (S) und Phon(em) (Ph). Die Satzgrammatik, welche die Linguistik bisher vorwiegend beschäftigt, ist eine bisher noch nicht ganz verstandene Abstraktion aus der Textgrammatik. Nun behaupte ich, der Text allein hat keine (emischen) Strukturen. Andrerseits erhält der Text durch die Fokalisierung von Px so viele verschiedene Strukturierungen, wie er verschiedene Situationen hat. (Ein Text erhält nicht nur eine [optimale, ideale, erschöpfende] Struktur, sondern er ist für unendlich viele Strukturen offen [»Relativitätsthese«].) Wir kommen somit zu folgender These:   –  These 8: Feldthese (Si-Modell)   –  ....
Si-Modell
Si-Modell
Die Si-Abbildung ist eine Nahaufnahme des Taxums D/5 im L-Modell. Die in T mobilisierten L-Strukturen werden durch bestimmte Parameter-Schaltungen in von Situation zu Situation verschiedener Weise erzeugt. Zu den Parametern, die wiederum selbst feinere Substrukturen enthalten (in einer Skala von »pessimalen bis optimalen« Strategien) gehören die Umsetzung intellektueller (Y1) und emotionaler (Y2) Färbung, das Playback (P), die Kongruenz (©), die Reversibilität (R), das Feedback (f), die Selektion (S) mit den Foki, die Energie (E) und soziale Gruppenzugehörigkeit (G) der Textteilnehmer (Px). Über diese Parametermöglichkeiten verfügt in jeweils eigener Weise der Sender (Pxs) und der Empfänger (Pxe). In welcher Weise der gleiche Text T1 und die gleiche Situation Si1 Anlaß geben, verschiedene oder gleiche Vorgänge innerhalb der taxologischen Modelle in den Gehirnen (s. Kästchenaggregate hinter Y) von Pxs und Pxe zu mobilisieren, ist eine Frage, die eine elaborierte Situationslinguistik eines Tages genauer beantworten kann. Die Partikel der Sprache erhalten ihre tatsächlich relativ variablen Strukturen durch die Feldwirkung der Situation. Die Beachtung der oben genannten Parameter, für deren genaues Verständnis ich den Leser hier nur auf andere Publikationen verweisen kann, führte schon in vielen Analysen zu einem notwendig relativierten Verständnis von L-Strukturen. Die Analyse des »Happenings« z.B. hätte ohne eine neue Situationslinguistik, wie ich sie ohne Berücksichtigung der heute sich entwickelnden Pragmatik zu skizzieren versucht habe, nicht sinnvoll vollzogen werden können. Aber auch viele andere Fälle von pathologischem Sprachverhalten (Paradoxien, Texte von Schizophrenen, »normale« Fälle von Mißverständnis) können durch eine sich auf verschiedenen Hintergründen aufbauende Pragma-Linguistik einer erweiterten, erklärungskräftigeren Strukturvorstellung von Sprache zugeführt werden (...). In einer noch weiter zu vertiefenden Feldauffassung von Sprache werden in jedem Fall als stabil erscheinende Sprachstrukturen (wie der Syntax, der Textgrammatik o.ä.) durch lange Ketten von »Sprechaktbedingungen« variiert, instabilisiert. »Konvention«, »Arbitrarität«. »Opposition«, »System« - um nur einige von Saussure ererbte Konzepte des L-Modells zu nennen - sollen durch das Feld der Situation als bisher nicht »hinterfragte«, fast axiomatische Größen selbst in ihrer operationalen Entstehungsmatrix beschrieben und erklärt werden.  –  »Gruppenzugehörigkeit« (G) verweist auf die Integration in ein umfassendes soziologisches Modell (SZ-Modell); die für die Mobilisierung des L-Modells (Sprechen und sprachbedingte Kognition) notwendige Energie (E) verweist letztlich auf ein Modell der Systemkonflikte. Die spezifisch benötigte neurologische Energie wird erst durch Umverteilung der in Px verfügbaren physischen Gesamtenergie stimuliert, wenn Konflikte, Probleme, Systemunverträglichkeiten dazu Anlaß geben. Dies ist jedenfalls meine Grundannahme für die reale Verbindlichkeit von Sprechtätigkeit und dem »Schicksal des Rests der Welt«. Die Physik rechnet bekanntlich mit verschiedenen Energieformen, ebenso die Chemie, die Biochemie. Die Linguistik hat wiederum ihre eigenen, die mit den »tieferen Formen« natürlich verbunden sind. Die Katalysatoren für Energietransformationen sind eben »zu behebende Systemverträglichkeiten« auf verschiedenen Niveaus der Wichtigkeit für den Organismus von Px. Sie sind Parameter des H-Modells.   –  These 9: Äquivalenzthese (H-Modell)   –  Das H-Modell bietet den Rahmen für die Tiefenstruktur einer strukturellem Geschichtswissenschaft. Die hier aufgeführten Situationen (Doppelkästchen als Abstraktionen vom Si-Modell auf das H-Modell) sind »Vertreter«, Manifestationen von allen anderen Modellen. Das H-Modell ist damit in dieser Form ein neutrales H-Modell, das für alle anderen Modelle spezifiziert werden kann: für das PX-Modell, das SZ-Modell, das SEM-Modell, das L-Modell, das M-Modell. In unserem Fall muß es für das L-Modell konkretisiert werden. Danach können zwei oder mehrere Partikel (Phoneme, Syntakteme, Texteme usw.) bzw. zwei oder mehrere Systeme (L-Systeme: Deutsch, Englisch oder Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch, Neuhochdeutsch) in diastruktureller oder diasystematischer Beziehung zueinanderstehen. Die diastrukturelle Dimension (**) ist die genetisch primäre, diachrone und diatope Dimensionen (**) sind sind nur sekundär entstehende Ordnungsgrößen; »Veränderung«, »Wandel«, »Geschichte« im strukturellen Sinne kann sich auch ohne nennenswerte Zeitveränderung vollziehen, d.h. eine Transformation eines Sprachsystems 1 in ein Sprachsystem 2 kann sich vom Kasten A/11/G zum Kasten A/11/H, also rein diatop (etwa in der »Übersetzung«), vollziehen (die Veränderung braucht aber trotzdem Zeit, ist also diachron! HB). Andrerseits brauchen diachron getrennte Systemsituationen, etwa die eines Philosophiesystems M1 (z.B. Hegels »Phänomenologie des Geistes«), nicht unbedingt verschiedene Strukturen zu ergeben. So kann es sein, daß eine diachrone Disparatheit A/11/G => B/11/G das System M1 nur wiederholt. Veränderungen auf der entscheidenden diastrukturellen Achse (z.B. A/9/G => A/11/G) deuten die Höhe der Struktur an (etwa die Transformation eines Syntakts in einen Text oder einer bloßen Perzeption [PX-Modell]) in eine Zeichnung, in eine semiotische Darstellung (SEM-Modell). Die eigentlich diasystematischen Kollisionen, die Diataxeme, müßten (bei z.B. gleichem Strukturniveau auf der diastrukturellen Achse) durch Schraffur der Kontaktstellen besonders markiert werden. Die besondere Kennzeichnung der Diataxeme habe ich hier unterlassen. Die in der H-Modell-Abbildung schraffierten Teile (links [**]) weisen andrerseits auf die durch Px überhaupt noch nicht strukturierten Weltteile (»Refere der Geschichte«) hin.  –  Die traditionelle Geschichtswissenschaft würde mit den hier skizzierten Ansätzen nicht nur eine generelle Tiefenstruktur erhalten, sie würde auch ihren bisher auf den Menschen »vereinsamten« Fokus auf die Natur, die Welt ausdehnen, welch letzteres ihr erst die Voraussetzung für die oft versuchte historische Erklärung des Menschen bereitstellt. Jedenfalls wird eine notwendige neue Konzeption der historischen Linguistik, die trotz der Saussureschen Dichotomie »Diachronie« : »Synchronie« und mancher anderer strukturalistischer Annahmen bisher mit den zahlreichen impliziten Untugenden der traditionellen Geschichtswissenschaft behaftet geblieben ist, entscheidende neue Anregungen empfangen können. Der Rahmen eines H-Modells skizziert zusammen mit dem MC-Modell (bzw. speziell dem L-Modell) die Matrix, innerhalb derer Endlichkeit (Finitisierung) und Unendlichkeit (Infinitisierung) auf den verschiedensten Strukturstufen verteilt und umverteilt werden können, eine Matrix, die Gesetzesformulierungen, Erklärung und Voraussage und deren letzte Grenzen projizierbar machen kann. Die H-Modell-Abbildung entspricht etwa der Tiefenstrukturstufe 7 (= Endliches homogenes Modell für alle Strukturen; HB) ...; die Selektion (Stufe 4 [= Selektion {Wertung usw.}; HB])» findet sich im Parameter-Punkt zwischen den Situationen, also in 2, 4, 6 ... bzw. a, b, c ... der H-Modell-Abbildung wieder (**). Der Konflikt (Stufe 5 [Opposition, Konflikt, Dialektik; HB]) ist gleich der Diasystematik selbst, die ihrerseits Stimulus für Transformationen in den Bereichen der Partikel, der Felder und der Energie ist. Diese Transformationen erscheinen uns in Form bestimmter Zyklen (vgl. etwa in der Physik das thermodynamische Gesetz von der Konstanz der Energie) bzw. bestimmter Entwicklungsrichtungen (z.B. die Evolution des Lebens auf unserem Planeten und damit auch die Evolution der Sprache; vgl. in der Physik das thermodynamische Gesetz der Nicht-Reversibilität bestimmter Energieformen bei der Entwicklung von Wärme; diese Irreversibilität wird bekanntlich mit »Entropie« umschrieben). Zyklus und Richtung ... die »tiefsten« Strukturen der Geschichte. Nach dem H-Modell muß Einsteins und Minkowskis vierdimensionales Zeit-Raum-Kontinuum zu einem mindestens fünfdimensionalen Zeit-Raum-Fokus-Kontinuum werden. Für »Fokus« könnten wir abkürzend auch »Px« oder »Strukturierung« einsetzen. Zeit und Raum diffferenzieren sich je nach Strukturierungsfähigkeit verschiedener Px. Letztere Fähigkeit ist an der Interaktion zwischen der Komplexität der Lebenserhaltungsstrategien und dem variierenden Bewußtsein für die umgebenden Weltdimensionen (Zeit usw.) abzulesen. Hans Reichenbach nennt die diastrukturelle Komponente »emotional« bzw. »subjekiv«, er glaubt sie daher als unwissensschaftlich ausschließen zu können, begibt sich indes der Möglichkeit, den selbst variierenden (»wachsenden«) Blickpunkt (Fokus) des naturwissenschaftlichen Px seinerseits erklären und verstehen zu können. Raum und Zeit sind mit ihrer jeweils spezifischen Strukturierung (wovon die heutige naturwissenschaftliche Vorstellung nur eine ist) nach dem H-Modell keine apriorisch feststehenden Strukturen (so etwa Kant), sondern Hilfskonstruktionen, metrische Orientierungsdaten, die je nach Strukturierungsbedürftigkeit »genauer«, »komplexer« ausfallen. Die Strukturierung, der Fokus von Px (ob nun Amöbe oder Mensch), wird durch biologische Stabilisierungsstrategien gelenkt.
Man gelangt danach zu der auf der Zeit-Raum-Struktur-Abbildung (siehe links) abgebildeten Reihenfolge der Dimensionen (die Zeit-Raum-Struktur-Abbildung ist eine Abstraktion der H-Modell-Abbildung): Eine einzelne Struktur (1) wird erst als Gegensatz zu einer anderen existent (»bewußt«); daraufhin entstehen für Px beide Strukturen (2). Die Diasystematik wird sich der Regelhaftigkeiten bewußt (3), die ihrerseits zwecks genauerer »Berechenbarkeit« von Regelhaftigkeiten weiterer Strukturen zu metrisierbaren Zeit- und Raumgrößen (4) absinken. Ins Zentrum des Fokus des Px geraten neue, wichtigere, komplexere Strukturen (die, wenn sie zyklisch sind, später wiederum absinken können usw.). Die weitergehenden Vorstellungen des H-Modells können leider hier nicht vertieft werden. Wichtig scheint mir hier nur, sinnfällig werden lassen, daß für Physik (PH-Modell) und z.B. Linguistik (L-Modell) nicht mehrere antagonisierende Modelle, sondern nur einheitliche Modellvorstellungen nützlich sind. Danach dient ein H-Modell letztlich dazu, die Möglichkeiten von Transformationszyklen auf den verschiedensten Niveaus (von den Elektronen bis zu den Texten) in einem endlichen Rahmen berechenbar zu machen; die Basis des Verstehens von Welt und vom Denken ist die Vorstellung von Gleichungen, von Äquivalenzen. Die folgende Darstellung zeigt die allgemeinste Form von solchen Äquivalenzen, an die auch unsere Problematik der Metalinguistik angeschlossen werden kann:
Partikel1 => Partikel2 ...
Feld1 => Feld2 ...
Energie1 => Energie2 ...
Mit »Äquivalenz« sind die Vorstellungen der »Information«, der »Entropie«, der »Homöostase«, des »Systems« verbunden. Derartige Blickweisen werden von einem physikalischen Integrierungspostulat diktiert, das u.a. besagt, daß die Welt nicht in zwei oder mehreren voneinander unabhängigen Bereichen existieren kann (»Geist«, »Materie«, »Leben«, »Nicht-Leben« usw. [dieses Diktat eines »Integrierungspostulats« ist falsch! HB]). Die Integrierung scheint mir denknotwendig, wenn auch im einzelnen sehr schwer zu realisieren (»denknotwendig« heißt aber nicht »richtig«! HB). Die folgende Gleichsetzung zwischen physikalischen und taxologischen (auf Px bezogenen) Grundgrößen kann aber zunächst nur einen suggestiven Charakter haben:
Physik
(Carl Friedrich von Weizsäcker, Physik der Gegenwart, 1958)
(Mario Bunge, Grundlagen der Physik, 1967)
Taxologie
(MC-Modell)
Partikel Proton, Neutron usw. Partikel Phonem, Text, Px-Gruppe usw.
Feld (System) Gravitation, Elektromagnetismus Feld (System) Sprachsituation, physiologische Homoöstase
System Zeit-Raum-Kontinuum, Thermodynamik. Relativitätstheorie, Gesetze usw. System Diasystematik, Entstehungs- und Vernichtungsmatrix für Struktur, Gesetze der Sprachentwicklung usw.
Das taxologische Modell versucht mit Taxa zu arbeiten, die möglichst wenig von modellneutralen, meta-operationalen Darstellungsweise verschleiert oder verfremdet werden. Die typischen Anforderungen einer wissenschaftsneutralen Darstellungsnorm (die der Mathematik, Metalogik o.ä.) können nicht die zunächst mehr heuristischen Notwendigkeiten im Modellaufbau ersetzen, ja sie können ihnen nicht einmal entscheidend assistieren, da die immanent (im innovatorischen heuristischen Denkprozeß) vorhandenen Momente einer flexiblen (nicht: normativen) Logik eigentlich der Nährboden für die Weiterentwicklung der Logik und der Meta-Wissenschaft selbst sind. Die traditionellen Vorstellungen der Logik oder der Wissenschaftstheorie, deren Schwierigkeiten und Praktiken mir oft überschätzt zu werden scheinen, können allenfalls von Nutzen sein, wenn die Hauptprozesse des Denkens und Modellierens bereits abgeschlossen sind.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 234-249).

„Die taxologische Darstellungsweise hat m.E. auch den Vorzug der größeren Abbildungsfähigkeit.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 249).

.... Die ... besprochenen Teilmodelle L, Si und H betonen gegenüber andersartigen metalinguistischen Modellen zum einen die konkrete Verzahnung der Teile zu einem Ganzen, zum anderen - innerhalb der Teilmodelle - den Primat bestimmter neuer »Paradigmen«:
L-Modell Primat der Partikel (vorläufige Richtungsneutralität für die Metaanalyse: gleichgültig ob generativ oder rekognitiv, ob T => S oder S => T usw.)
Si-Modell Primat des Kreislaufs (System, Feld)
H-Modell Primat des Flusses (Bewegung, Fluß, Konflikt lassen erst Statisches, Abstraktes, Fixes, Metrisches, Partikel usw. entstehen)
Kochs Tendenzen der Linguistik, a.a.O. Strukturen der Evolution  –  .... Heraklits »dunkle« Sätze mögen nach heutigem naturwissenschaftlichen Standard unzureichend, naiv und ambig sein, sie drücken indes heuristisch wertvolle Programme aus, die zu dem metagenetischen Denken der altgriechischen Zeitgenossen in Widerspruch stehen. Für mich sind u.a. folgende Sätze Einsichten in die genetische Priorität des Dynamischen vor dem Statischen, in die Äquivalenzbasis des Zyklischen innerhalb einer endlichen (ganzheitlichen) Matrix: »Krieg aller Vater ist ....« - »Und dasselbe ist Lebendes und Totes und Wachendes und Schlafendes ....« - »Etwas Gemeinsames ist Anfang und Ende auf der Kreislinie ....« - »In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht ....« - »Immer ist alles im Flusse ....« ....  –  Strukturen der Evolution.  –  .... Es geht im folgenden darum, für eine vorläufige Skizze der Tiefendimension einer strukturellen Geschichtswissenschaft die tiefsten Strukturen, Zyklik und Richtung, zu umreißen. Die Vorbilder zu diesen H-Strukturen liegen im M-Modell + PX Modell (»Zyklizität«), im M-Modell + H-Modell (»Revolution« usw.) und im PX-Modell (»Evolution«). Meine Generalthese lautet, daß besagte Strukturvorbilder jeweils auf alle Modelle (PH-, PX-, SZ-, SEM-, L-, M-, H-Modell) in fruchtbarer Weise übertragen werden können, wobei die Grundidee der Evolution (mit den Unterstrukturen »Zyklizität« und »Revolution«) genauer gesprochen eine Grundstruktur des neutralen H-Modells wird, welches seinerseits eine Tiefendimension der übrigen Teilmodelle des MC-Modells ist. Kahn und Wiener (»Ihr werdet es erleben - Voraussagen der Wissenschaft bis zum Jahre 2000«, 1967) bedienen sich zwecks Vorhersage von kulturellen Entwicklungen u.a. der Idee der Kulturzyklen:
Drei Standardkulturphasen
Sorokin Spengler, Toynbee u.a. Schubart Berdjajew
1. Ideationell Wachstum, Frühling, Kindheit Asketisch-messianisch Barbarisch-reilgiös
2. Integriert Reife, Sommer Harmonisch Mittelalter, Renaissance
3. Sensualistisch Herbst, Winter, Zivilisation, Zerfall Heroisch-prometheisch Humanistisch-weltlich
Die Probleme im Zusammenhang mit der Etablierung von solchen Zyklen sind bekanntlich alt. Einen neuen Vorschlag in dieser Richtung versucht u.a. Gebser (»Ursprung und Gegenwart«, 1973). Neue wie alte Vorschläge leiden unter einer nicht leicht zu überwindenden Schwierigkeit: Rhythmen niedriger Art wie »Wachen-Schlafen« sollen über Zwischenstationen mit solchen höherer Art wie »Ordnung-Unordnung« (Machiavellischer Rhythmus«) oder »Religion-Atheismus« (ich glaube, das ist keiner; HB) plausibel nach einem einheitlichen Modell verbunden werden (vgl. Sorokin, Social and Cultural Dynamics, 1937, S. 389ff.). Andrerseits ist es m.E. klar, daß die Idee, die Zyklik oder die Periodizitäten auf dem Niveau des PH-Modells (planetare Bewegungen, periodische Ordnung der chemischen Elemente usw.) und des M-Modells (Auf- und Niedergang von Kulturen usw. [betrifft andere Modelle ebenfalls oder sogar mehr: L-, SEM-, SZ-, PX-Modell; HB] usw.) hätten mehr als eine hilflose Metaphorik gemeinsam, einen stärkeren Stimulus zur Explizierung eines wissenschaftlichen Gesamtmodells liefern kann als uverbindliche Interdisziplinaritätsbekundungen eifersüchtelnder Fachautarkisten. Der zitierte Kahn beruft sich auf Sorokin, mit dem ich zu folgender These stehe:  – 
Zyklizität
 
These 11: These der Zyklizität  –  Sorokin (Social and Cultural Dynamics, 1937, S. 395) illustriert Möglichkeiten verschiedener simultaner Rhythmen durch die auf der Abbildung zur Zyklizität (siehe rechts) gebildeten Reihen A bis C. Er geht davon aus, daß die Gesamtheit menschlicher Zyklen (vom biologioschen bis zum kulturellen Bereich [bezüglich der Modelle also: vom PX-Modell über das SZ-Modell, das SEM-Modell, das L-Modell bis zum M-Modell; HB]) mit verschiedenen Typen (verschieden langen Tälern und Gipfeln, inkludierenden und inkludierten Kurven usw.) zu rechnen hat und daß eine Synopsis der Koinzidenzen o.ä. zu weiteren Erkenntnissen führt. Er konzentriert eine Beispielgebung allerdings wesentlich auf die soziologische Struktur (macht nichts, denn die ist größtenteilks sowieso eher eine semiotische und linguistische Struktur; HB), die auf der Basis ... seiner Kulturtheorie (M-Modell [wegen: Theorie! HB]) eine rhythmische Geschichtsdimension erhält. Die tatsächlichen biologischen Rhythmen z.B. (vgl. Rensch, Biophilosophie, 1968, S. 40f.) sind natürlich durch die einfachen Kurven in der Abbildung zur Zyklizität nicht erfaßt. Die von mir hinzugefügte Reihe D ist somit auch weniger als Vervollständigung denn als Überleitung zu folgender These gedacht:  –  These 12: These des Wendepunkts, des Sammelpunkts und der Revolution  –  Reihe D zeigt eine spezifische Form von Zyklizität, bei der die Phasen besonders (durch Parameterpunkte) markiert sind: Gipfel und Tal sowie ihre Übergänge. Danach fiele z.B. das Aufkommen einer neuen strukturellen Möglichkeit - etwa einer neuen wissenschftlichen Theorie - in das Tal, der erste Boom der Innovationskraft läge auf dem Übergang »Tal/Gipfel«, der Höhepunkt der wissenschaftlichen Virulenz läge auf dem Gipfel, während Epigonentum, Detailfanatismus, Akribie, pathologischer Skeptizismus bzw. theoretische Hilflosigkeit gegenüber neuen Problemen die Phase der Krise, des Übergangs »Gipfel/Tal« kennzeichnen würden. Die Abbildung zu Wendepunkt, Sammelpunkt, Revolution gibt nun die Phase »Tal« in Nahaufnahme wieder. Fig. a zeigt dabei die schwächste Konkretisierung. Nennen wir sie »Wendepunkt«. Man spricht bekanntlich im Zusammenhang von bedeutenden geistigen Innovationen zunächst metaphorisch von einer kopernikanischen Wende. Kant wird z.B. dieser Metapher für würdig erachtet. Er selbst sieht sich zu Kopernikus in einer strukturellen Analogie.:
»Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiermit ebenso, als mit dem ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterene in Ruhe ließ.«
Der wenig analytische »Wendepunkt« der Fig. a wird hier bereits implizit zur »Revolution«. Nach Fig. g wird eine (vereinfachte) hierarchische Struktur dadurch radikal verändert, daß das dominierende Element Y nach der »Revolution« selbst dominiert wird oder - auf Kopernikus spezialisiert - daß das relativ Peripherierende (X = Sonne gegenüber Y = Erde) zum relativ Ruhenden, Zentrierten wird. Wie die einzelnen aufeinander folgenden Strukturphasen in concreto kompliziert sind, kann man ungefähr ermessen, wenn man daran denkt, daß von den statischen Strukturerhebungen (etwa einer Zelle) in der Phasierung (Dynamisierung) nichts wegfallen darf. Anders gesagt, die Phasierung ist nicht einfacher als die betreffende unphasierte Struktur, sondern komplizierter. Mit »kompliziert« ist der zusätzliche Aufbau der Wirklichkeitsausschnitte charaktreisiert, nicht die Durchschaubarkeit für den Menschen; denn die soll ja gerade durch das Modell der Zyklizität »einfacher« werden. Übertragungen dieser Grundidee auf die höchste Struktur des MC-Modells, nämlich auf die Interpretation der Wissenschaftsgeschichte (H-Modell vom M-Modell) sind notgedrungen am stärksten vereinfacht und der Kritik besonders ausgesetzt. .... Die bisherigen Thesen behandeln nur einen der Teile der Evolution, nämlich den zyklischen. Die Richtung der Entwicklung möchte ich durch folgende These postulieren:  –  These 13: These der Evolution  –  Die Abbildung zur Evolution beschreibt die Evolution auf dem Niveau der Gene von Lebewesen. Danach werden durch Kombination neue Gene geschaffen (B bis E), die nach den Mendelschen Gesetzen in Maßen voraussagbar sind. Die Autogenese betont die relative Unabhängigkeit des im Gen-Bereich selbst angelegten Mechanismus. Eine gemäßigte Ektogenese betont eine bestimmte Interdependenz zwischen der Adaptation (Kongruenz = ©) des Px an eine spezifische Umgebung und der Selektion (S) der Umgebung bezüglich der verschiedenen Px. Eine Mutation (A) ist von hierher weniger kalkulierbar, sie bringt »unvorhersagbare« Strukturkombinationen, die allerdings (ohne günstige Selektionsbeschränkungen bzw. zufällig große Adaptationsleistungen) meistens für die Evolution negativ sind. Die Übertragung dieses PX-Modells auf höhere Modelle ist natürlich schon allein durch die antagonistischen Theorien auf dem Niveau der Biologie belastet (...) Manche Transfer-Versuche scheitern u.a. durch eine zu wörtliche Interpretation (vgl. den »Lebenszyklus« der Sprachen [»Geborenwerden«, »Sterben« von ]) nach dem Linguisten Schleicher im 19. Jahrhundert. Ich glaube indes, es gibt in Zukunft z.B. für ein geschichtliches Modell der Linguistik bezüglich der Evolutionstheorie keine Alternative. Es ist natürlich die Frage, wie schnell man zu einsehbaren Vorschlägen kommt. Die Mutation in der Abbildung zur Evolution ist der Revolution in der Abbildung zu Wendepunkt, Sammelpunkt, Revolution grob vergleichbar. Was eine Mutation etwa in einem M-Modell genau besagen soll, ist unklar. (Gebser spricht von »Minus-Mutationen« der Biologie gegenüber »Plus-Mutationen« des Bewußtseins, der geistigen Modelle. Danach sollen Mutationen in einem M-Modell »zu struktureller Anreicherung und Überdeterminiertheit« führen, d.h. in jedem Fall positiv sein. Der analytische Hintergrund gerade dieses Vorschlags scheint mir zu schwach zu sein.) Eine Revolution in der Linguistik wird Alfred L. Kroebers Beobachtung zufolge spätestens nach 30 Jahren für alle sichtbar. Eine Mutation kann völlig übersehen werden. .... Die Thesen 11 bis 13 ließen in zunehmendem Maße den Gesichtspunkt der Besonderheit hervortreten, der als Ersatz für die Oberflächenstruktur »Individuum« letzte Station der geschichtlichen Tiefenstruktur ist; diese Besonderheit erscheint als »Revolution«, »Mutation«, »Emergenz«:
These 11: Zyklus
These 12: (Zyklus) Revolution
These 12 (Zyklus) Mutation, Emergenz
Die Konzeption der »Emergenz« kann schließlich dazu tendieren, die Vergleichbarkeit, die evolutive Gemeinsamkeit aller Gesamtmodellteile wieder in Frage zu stellen, sie betont z.B. den unvergleichlichen (»mutationellen«?) Charakter der menschlichen Sprache gegenüber der Tiersprache. (»Emergenz« soll das »plötzliche Auftreten einer völlig neuen biologischen oder geistigen Einheit umschreiben.) Eine solche Handhabung von evolutiven Vorstellungen ist eher hinderlich. (So scheint mir eine der vielen - besonders für eine gezielte Empirie - hinderlichen Konzeptionen von Chomsky die einer wahrscheinlichen [?] Emergenz der menschlichen Sprache [gegenüber möglichen kognitiven Vorformen] zu sein.)“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 250-258).

Die folgende Abbildung zum Weg der Metagenese zeigt, daß wir uns heute immer noch - wie schon in den 1960er Jahren, also lange vor 1974, als das Buch „Tendenzen der Linguistik“ erschien - etwa bei den Etappen .. 7, 8, 9, 10, 11, 12, d.h. bei den Taxa „Textem“ (Textlinguistik), „Textsituation“ (z.B. Pragmalinguistik usw.), „Referematik“, „Repräsentematik“ (z.B. Bild, Film usw.), „Bitextem“, (Argumentations-, Dialoglinguistik usw.) und N-Textem (Massenkommunikation, Textverbreitungs- und -verarbeitungsmodelle usw.). Lesen wir weiter im 1974 erschienenen Text von Koch über die Tendenzen der unmittelbaren Zukunft:  –  Kochs Tendenzen der Linguistik, a.a.O.Tendenzen der unmittelbaren Zukunft  –  Befinden wir uns nach meiner Interpretation auch in der auslaufenden Phase des Strukturalismus, so wird die unmittelbare Zukunft zunächst noch die »zwangsläufige« Fortsetzung des Saussureschen Paradigmas erleben. Ich gründe diese Voraussage auf folgende These:
Metagenese
Modell nach Walter A. Koch
 –  These 19: These des Strebens von der Geschlossenheit zur Offenheit der Strukturen als eines Moments der Logik de Heuristik  –  .... Die in der Abbildung gegebenen Numerierungen sollen die tendentielle Reihenfolge der sukzessiven Erschließung sprachlicher Bereiche aufzeigen. Eine strengere Formulierung der These 19 müßte davon reden, daß das unterlegte L-Modell mit seinen spezifischen Ordnungen, die Grade der Geschlossenheit bzw. Offenheit der jeweiligen Taxa abbildet. Die angegebene Reihenfolge entspricht danach zum einen der Ordnung des Modells, zum anderen der abgebildeten Wirklichkeit: Das Phonem (1 [siehe A/6]) gehört daher zum geschlossensten Teilsystem, das N-Textem (12 [siehe G/5]) oder gar die historische Dynamisierung (mit zusätzlichen Veränderbarkeitsparametern) (13 [siehe ]) zum offensten. Die Annahme, daß die Geschichte der wissenschaftlichen Forschung schließlich ebenfalls dieser Ordnung folgt, soll im folgenden erläutert werden. Das Phonem (1 [siehe A/6]) besitzt das System, das am wenigsten Mitglieder und Relationen (Strukturen) hat. 1929 skizzierte Trubetzkoy ... das Phonemsystem als organisiertes Ganzes, d.h. als relativ geschlossenen Komplex. In der folgenden Zeit vertiefte Trubetzkoy die Phonemtheorie, in der entscheidende Saussuresche Begriffe operationabel gemacht wurden. .... - Das Morphem (2 [siehe A/5]) folgt 1933 mit Bloomfield. - Systematische Studien zu Wort, Wortart, Flexion, somit Vorläufer zur Konzeption des Logems (3 [siehe B/5]), finden sich besonders in der Kopenhangener Schule (1935, Hjelmslev, 1943 Brøndal). - Den konsequenten Übergang vom Morphem zum Syntaktem (4 [siehe C/5]) markierte besonders Z. S. Harris (1946). - Chomsky verlieh 1957 (»Syntactic Structures«) der Analyse dieses Taxums neue Dimensionen. - Hall, Mc Laughlin u.a. begannen sich 1960-1963 für die noch fehlende Größe Graphem (5 [siehe A/7]) zu interessieren (ich auch! HB). - Die Semantik (6 [siehe C/3]) war zwar schon früher häufiger Gegenstand der verschiedenen Systematisierungsversuche gewesen (Trier, 1931, Ullmann, 1951), sie wurde indes mit der intensiveren Forschung auf der Planifikationsebene (Reihe 5) wohl erst durch die Systematisierungsversuche von Katz und Fodor (1963) verbunden (oder auch nicht! HB). - Die abrupteste, weil von allgemeinen Interesse unvorbereitetste Ausdehnung fand auf das Textem (7 [siehe D/5]) hin statt. Obwohl durch die mehr oder syntagmatische »Discourse Analysis« von Z. S. Harris (1952) und durch strukturelle Versuche A. A. Hills (1953ff.) sowie die Thema-Rhema-Analyse ... der späten 1950er Jahre bereits präfiguriert, fand die programmatische Etablierung des Textes als einer dem Phonem usw. gleichwertigen Größe eher in den mittleren 1960er Jahren statt (Koch, 1965, 1966 usw., Harweg, 1968; zur Geschichte der Textematik im weiteren und engeren Sinne vgl. Dressler sowie Harweg, Kapitel 14 in diesem Buch). Die Textematik kam im Gegnsatz zur Syntax von Anfang an nicht ohne Semantik aus (vgl. Koch, Das Textem, 1973). - Die Linguistisierung der Situation (8 [siehe D/5) fand auf verschiedenen Wegen statt: über die Psycholinguistik (Hörmann, 1967), die Soziolinguistik (Fishman, 1968), die Pragmalinguistik (Wunderlich, 1972) und eine linguistisch-strukturelle Vertiefung der Kommunikationstheorie bzw. Texttheorie (Koch, 1971). - Die ... Refereme (9 [siehe D/1]) des L-Modells, speziell des Textes und seiner Situation werden durch die Sprechakttheorie (Searle, 1969), die stärkere Einbeziehung der Referenz in die generative Grammatik Fillmore, Karttunen u.a. 1972 und die Abbildung von kybernetischen Zyklen in Texten (Textgrammatik: Todorov, 1969, Bremond, 1973,) zu expliziten Größen der Linguistik. - Der mehr oder minder ausdrücklcihe Versuch einer Einbeziehung des Bildes, des Films usw. in das linguistische Modell beginnt mit Barthes, 1964, Metz, 1966, und wird innerhalb des taxologischen Modells unter Etablierung des neuen Ortes, des Repräsentems (10 [siehe D/8]) (1969, 1971) vollzogen. - Die Erschließung des Bitextems (11 [siehe E/5]) hat ... Vorgänger in Toulmin, 1958, Perelman, 1963, Naess, 1966, Rescher, 1966, Lorentzen, 1968, u.a. und erfolgt besonders über Strukturierungsversuche bezüglich des Dialogs (Wunderlich, 1969) und der Argumentation (Kummer, 1972). - Genauere Strukturierungsvorschläge bezüglich der genannten Orte sind für die nähere Zukunft zu erwarten, ebenso die stärkere Erarbeitung des N-Textems (12 [siehe G/5]), d.h. der Beziehungen beliebig vieler Texte aufeinander (Massenkommunikation, Textverbreitungsmuster usw.). Der Strukturalismus nähert sich nach meiner Interpretation einem Wendepunkt, wenn systematisch und in größerem Maßstab versucht wird, das inzwischen elaborierte Saussuresche Paradigma aus dem L-Modell zu tragen. Dazu benötigt die »Monade« des L-Modells die inzwischen geschaffenen »Fenster« über dem Referem (9 [siehe D/1]), dem Repräsentem (10 [siehe D/8]) und dem N-Textem (12 [siehe G/5]): Wir gelangen dann jeweils in das SZ-Modell u.a. (über »9« hinaus), in das Sem-Modell (über »10« hinaus), in das H-Modell (über »12« hinaus). Das H-Modell der Linguistik (13 [siehe ]) bekommt heute neue Impulse besonders auf dem Sektor der (ontogenetischen) Spracherwerbstheorie (Lenneberg, 1967, McNeill, 1970); die phylogenetische H-Theorie ist noch mit sehr beschränkten, traditionellen Problemkreisen beschäftigt. Ein H-Modell der Zukunft wird sich potenziert mit allen Größen des in der Abbildung zum Weg der Metagenese skizzierten L-Modells beschäftigen und dies eventuell mit neuen heuristischen Ansätzen. - Meine Skizze der Entwicklung ist nicht annähernd vollständig. ....  –  Kochs Tendenzen der Linguistik, a.a.O. Tendenzen der weiteren Zukunft  –  .... Das Terrain ist genügend für eine Wende vorbereitet. Saussuresche Gedanken brauchen nicht über Bord geworfen zu werden, sie müssen nur eine neue Ordnung erhalten. Ich projiziere daher die These 12 (**) auf die These 19 (**) und komme zu:  –  These 20: These des Strebens von der Offenheit zur Geschlossenheit der Strukturen als eines Moments der Evolution: Genese als UMKEHRUNG der Metagenese  –  Um der Ablesbarkeit für die Umkehrung eine topologische Matrix zu verleihen, müssen wir Hypothesen über die Ordnung der Welt aufstellen. (Auch heute schon finden wir neue Anzeichen dafür, daß die Linguistik wieder erklären will (...). Nur neigen die Erklärungsversuche z.B. Chomskys bezüglich des ontogenetischen Spracherwerbs zu Tautologien. Man kann die Präsenz der Sprache nicht durch sie selbst erklären; das Konzept der angeborenen Fähigkeit [vgl. Nativismus {**}] zur Grammatik ist in diesem Stadium nur hinderlich und wird ohnehin später in spezifisch-kybernetischer Wechselwirkung mit dem entgegengesetzten Konzept der erworbenen Portionen von Fähigkeiten zu verbinden sein [das bedeutet aber nicht, daß das Konzept der angeborenen Fähigkeit zur Grammatik zuvor hinderlich ist - ganz im Gegenteil! HB)]. Das Entscheidende für die m.E. unfruchtbare Stagnation in manchen Bereichen der Forschung zum Spracherwerb ist in der unbewußten [?] streng monadologischen Konzeption von Sprache zu suchen. ....) Ohne Topologie wird These 20 nutzlos.
Strukturhierarchien und das MC-Modell
In Fig. g ist Pan, der als Px den genetischen Weg PX–M gegangen
ist, das Subjekt, das am Ende des Weges M und also auch sich als
dieses Subjekt (Erkenntnissubjekt, „schizophrene“ M-Subjekt),
erkennt, seitdem den metagenetischen Weg (M-PH) beschreiten
kann, auch sofort zu beschreiten beginnt, aber am Ende dieses
Weges erkennen muß, daß es, um richtig erkennen zu können,
erneut den genetischen Weg (PH-M) gehen muß, daß die Genese
der Metagenese genau entgegenläuft, deren Umkehrung ist,
dieser umgekehrte Weg zuletzt der richtige Erkenntnisweg ist.
Pan geht immer von der höchsten oder geschlossensten Form
aus und bemerkt erst in seiner „schizophrenen“ M-Position,
daß er von der niedrigsten oder offensten Form ausgehen
muß, wenn er nicht mehr nur über den Weg der Metagenese
halbe Erkenntnisse, sondern endlich auch über den Weg
der Genese (Geschichte!) ganze Erkenntnisse gewinnen will.
Der Systemtheoretiker Laszlo stellt die in der Strukturhierachien-Abbildung abgebildete Ordnung auf. Sie besteht aus Strukturhierarchien (h), die auf der Erde (terrestrial = t) vorfindlich sind. Diese Hierarchiefolge des Lebens ist wiederum in eine (hier nicht gezeigte) größere physiko-chemische Hierarchie (H) eingebettet. Lazslo gibt detaillierte systemtheoretische Begründungen für diese und umfassendere Strukturen. Ich zitiere ihn hier nur als feinere, später zu integrierende Parallele zu dem vorgeschlagenen MC-Modell, das ich in dieser Abbildung noch einmal darstelle (siehe den Ausschnitt b). Die Fig. b stellt die Fig. a nur darstellungsmäßig auf den Kopf. Die Übergänge von PH zu PX, von PX zu SZ usw. stellen Erklärungsbedürftigkeiten dieser Ordnung dar. Eine besondere Stellung nimmt der Übergang von PH zu PX ein, da von hier ab eine neue Feldkonzentration (»Lebewesen« = Px), die Entwicklung gegenüber PH ein genug determiniert, ein wenig mehr arbiträr oder freiheitlich gestaltet. In der Tat schaffen die folgenden Systeme (SZ usw.) jeweils neue Komplexe von PX-Strategien, Konventionen, Arbitraritäten. Die alte Problematik »Zufall, Determination, Freiheit, Teleologie als letzte Steuerung des ›Schicksals‹ einzelner bzw. aller Systeme« kann durch geordnete Fragestellungen Anregungen für exakte Beantwortbarkeiten erhalten.
Beobachter des Beobachters des Beobachters des Beobachters ...
Luhmanns Beobachter beobachtet den Beobachter
des Beobachters des Beobachters des Beobachters
des Beobachters des Beobachters ... usw. ....
**
Man kann vielleicht grob sagen, daß das Px-Bewußtsein (Bewußtsein = Sprache i.w.S.; HB), d.h. der Verfügbarkeitsgrad von Verhaltenskomplexen (= Sprache i.w.S.; HB), von PX bis L ständig zunimmt, bis in M eine »Schizophrenie« zwischen dem (bisherigen) »Teilnehmerverhalten« (= Sprache i.w.S.; HB) (Px) und dem »Meta-Teilnehmerverhalten« (= Sprache i.w.S.; HB) oder »Beobachterverhalten« (= Sprache i.w.S.; HB) (Pan) entsteht. (Pan oder »der Beobachter« ist der »blinde Fleck«, den man nicht loswird, sondern allenfalls, wie Luhmann es vorgeschlagen hat, durch immer weitere Pan oder Beobachter analysieren bzw. beobachten läßt [Pan1–Pann bzw. Beobachter1–Beobachtern]; HB.) Px ist hier immer auch Pan und umgekehrt. Diese »Schizophrenie« erlaubt es Px erst, sich selbst zu erklären. Alle Versuche, die vor diesem Stadium lagen - und derer gab es unzählige - , mußten nach dieser Konzeption scheitern. - Die idealisierte, nie vollständig realisierbare Pan-Haltung (= Sprache i.w.S.; HB) relativiert das absolut für sich handelnde (letztlich ums eigene Überleben ringende) Px und versucht schließlich die Genese, die Geschichte (H!) als stärkste Basis für ein relativiertes Gesamtverständnis einzusetzen. Eine »embryonale« Pan-Haltung konnte sich in den Naturwissenschaften gegenüber PH (wo ja kein eigenes oder vergleichbares Px als Beschreibungsgegenstand existierte) entwickeln. Die fruchtbare »Schizophrenie« konnte indes erst dort entstehen, wo man sich entschloß, Px-Systeme ... als Teil der gleichen »Natur« zu betrachten. .... Pan, der per definitionem auf Situationen (»Felder«) primär (primär auf Zeichen [!] der Situationen [»Felder«]; HB) gerichtet ist, die Px enthalten, muß die PH-Stufe als »rekonstruiert« betrachten. Pan hypothetisiert hier Strukturen, die dem evoluierenden Px (Einzeller bis Mensch) in zunehmendem Maße verfügbar werden, bis sie im höchsten Stadium von M mit dem augenblicklichen Pan vorläufig identisch sind. Eine solche Konzeption und nur eine solche scheint es zu gestatten, Genese zu erklären und somit punktuell abgeleitete Statik zu verstehen. Für mich ist es keineswegs so lächerlich wie anscheinend für Lenin (vgl. Lenin, der sich in diesem Zusammenhang mit den Erkenntnistheorien von Avenarius und Willy auseinandersetzt), wenn mich ein derartiges Konzept zwingt, mir vorzustellen, daß die Strukturierung der Welt durch einen Wurm ein notwendiges evolutionistisches Zwischenglied in der Entwicklung von nur potentiellen, aktuell leeren Strukturen der Welt für das Strukturierfeld »Erde« bis zu den Weltvoerstellungen des Cro-Magnon-Menschen, der Bibel oder den Theorien von Einstein ... ist. Auf jeden Fall ist die erste Stufe PH nur für den Pan (nachträglich) existent, die Stufen PX (die Welt durch die Strukturierungsmöglichkeiten der evolutionistisch geordneten Lebewesen gesehen) und folgende zunächst nur für Px (erst nachträglich wieder für Pan). - Pan am zugänglichsten sind diejenigen Strukturen der Welt, mit denen er schnell und vereinfachend umgehen kann: d.h. die Theorien über die Welt und hier wieder die einfachsten Teile. Atome sind z.B. einfacher, strukturell-numerisch restringenter als Moleküle, diese wiederum sind einfacher als Kristalle usw.. Ebenso: M ist für Pan einfacher als L, L einfacher als SZ usw. (**). Die Strukturerschließung durch Pan geht, sobald ein bestimmtes Kernparadigma gefunden ist (wie etwa »der atomare Aufbau der Welt«, der Saussuresche Strukturalismus), von der höchsten oder geschlossensten (dem Bewußtsein präsentesten) Form bis zur niedrigsten oder offensten (These 19 [**]).
Genese
Modell nach Walter A. Koch
Die Abbildung zum Weg der Genese zeigt die Auswirkungen des Physiozentrismus (**) für das L-Modell. Ich nehme an, daß auch hier die Genese (dicke weiße Pfeile) die Umkehrung der Metagenese (vgl. die Abbildung zum Weg der Metagenese) darstellt. Die Genese gelangt durch die »Fenster« in die »Monade«, genauer: die eigenständige Matrix »L-Modell« entwickelt sich aus H, SZ und SEM erst allmählich. Der erste Akt (1 [siehe E/1, E/8, G/5 und ]) schafft kommunikationsähnliche Handlungen (= Sprache i.w.S.; HB) auf dem Niveau des Flüchtigen (geringes Playback, erst wachsendes Gedächtnis in usw..), das sich allmählich stabilisiert und immer leichter zu Komplexierungen und Abstraktionen, Verfeinerungen, größeren Situatiuonsunabhängigkeiten Anlaß gibt. Der mehrfache, gleichzeitige Sprechakt ganzer Gruppen einer Spezies (vgl. z.B. »Laut-Verhalten« von Anthropoiden) isoliert sich unter bestimmten SZ-Bedingungen zu Kommunikationen (= Sprache i.w.S.; HB) zwischen nur zwei Partnern (Bitext: 2 [siehe E/5]); repräsentische Zeichen (Gebärden usw.: 1 [siehe E/8) werden arbiträrer (Laute usw.: 2 [siehe E/3, E/5, E/6, E/7 {konkret: E/6}]), die Bedeutungen der Zeichen werden später ohne die Erinnerungsstütze der bezeichneten Situation (siehe E1) als stellvertretende arbiträre Assoziation zwischen Semem (siehe E3) und Manifestation (siehe E/6, E/7) als Bitext (siehe E/5) realisiert. Es entstehen allmählich Situationen, die von einem der Kommunikationspartner abstrahieren (3 [siehe D/5]: Monologe, Nachdenken, Vorformulieren bezüglich Texte, schließlich: Lesen Radiohören) bzw. nur einen der Partner aktiv werden lassen (Situation ausschließlich mit Empfang [Pxe] bzw. Sendung [Pxs] von Texten); daraus entsteht per Abstraktion (genauer: Multiplikation von Situationstypen) die isolierte Vorstellung vom Text an sich (4 [siehe D/5]), daraus in ähnlicher Weise die tieferliegenden Strukturelemente der Sprache bis zu den Ideogrammen der Ägypter und Chinesen (9 [siehe B/7]) und den Buchstaben der Phöniker und Griechen (10 [siehe A/7]). Die skizzierte Entwicklung voolzog sich wahrscheinlich über einen Zeitraum von mehr als einer Million Jahren. .... Schon die grobe Skizze verlangt hypothesenmäßig große Konsequenzen. Danach kann die Erforschung der Kindersprachengenese nicht bei Stadium »5« (siehe C/5) einsetzen, wie dies fast ausnahmslos geschieht, sondern sie muß mindestens im Stadium »2« (siehe E/3, E/5, E/6, E/7 [konkret: E/6]) beginnen: bei dem Bitexten (siehe E/5) und ihren spezifischen Situationsbedingungen. - Meine Hypothese impliziert auch folgendes: Zunächst verfügt ein Stadium in der phylogenetischen bzw. ontogenetischen Entwicklung (»Hominiden-Horde« bzw. »Kleinkind«) über relativ wenig Texte (sagen wir z.B. 20 bis 100); je mehr Texte durch Regelerweiterung erzeugt werden können (z.B. ca. 10 000), um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß die so »geöffnete Geschlossenheit« der Mittel durch Schaffung einer weiteren Struktur (hier: durch den Satz), und zwar durch eine relativ geschlossene Anzahl der Typen dieser Struktur kompensiert wird. Ähnliches würde für die Verhältnisse »Semem des Textes => Satz« oder »Morphem => Phonem« (7 => 8 [siehe A/5 => A/6]) gelten. Die Abbildung zum Weg der Genese bildet nicht nur die Genese ab, sondern auch die wachsende Resistenz der Sprachteile gegenüber dem die Sprachstabilität bedrohenden Sprachwandel. Danach ist das Phonemsystem resistenter als das Morphemsystem usw.. Am wenigsten resistent, am instabilsten oder - wenn man will - am »kreativsten« sind die Strukturkonstellationen im N-Text bzw. - hier wird es fast tautologisch - im H-System selbst. Diese Hypothese betrachte ich als erstes Axiom für die Diasystematik. - Statische (»synchrone«) Systeme und Abstraktionen aus dynamischen Folgen; ein relativiertes, integrales Verständnis eines beliebigen Systems setzt das Wissen um die spezifische »Geschichtlichkeit«, um den Ort in der Evolution voraus. Die Genezität bezieht sich auf den wesentlichen Impuls der prozessualen Strukturen, die Systeme selbst sind zusätzlich durch das Moment des stabilisiernden Kreislaufs geklennzeichnet:  –  These 21: These vom physiko-bio-kybernetischen System (Thesen 1 bis 3 [**|**|**] als Ansatz für den genetischen Interdisziplinarismus (Integralismus)  –  Die Kybernetik ist ein technischer Nachvollzug von zunächst biologischen bzw. natürlich-physikalisch-chemischen Vorgängen; die »Kybernetik« - hier und anderswo oft als Synonym zur »Systemtheorie« verwendet - ist eigentlich bestenfalls ein Zweig einer holistischen Systemtheorie.
Wechselwirkung zwischen Vitamin A und Schilddrüse
Schema der Wechselwirkung zwischen Vitamin A
und Schilddrüse. Vitamin A entsteht durch
Zerschlagung des Carotinmoleküls in der Leber.
Dazu ist die Anwesenheit von Thyroxin notwendig.
Die Leberzelle ist daher Erfolgsorgan für Thyroxin.
Andererseits wirkt Vitamin A als Spaltprodukt des
Carotins auf die Thyreoida im Sinne einer
Verminderung von deren Sekretion. Die
Schilddrüsenzelle ist also Erfolgsorgan für das
Vitamin A. Nach: Hans-Joachim Seitz.
Die ersten und paradigmatischen Darstellungen für System-Regulationen entstammen daher auch eher der Physiologie: So z.B. die Wechselwirkung zwischen Vitamin A und Schilddrüse (siehe Abbildung dazu) oder die Funktion de Nahrungsaufnahme und Ausscheidung .... Hier werden zwei der Haupteigenschaften des Systems veranschaulicht: die Stabilisierung oder Selbstregulation (Kreislaufprinzip) bzw. die Offenheit des Systems, d.h. seine Anschließbarkeit an andere Systeme, mit denen es letztlich einen immer komplizierter werdenden Gesamtkomplex von Systemen bildet. ....
MC-Modell
Die Abbildung zum MC-Modell ist eine Illustration der These 21 und verbindet die Ideen des MC-Modells und des Kreislaufs mit der »Genetizität« (weißer Pfeil zeigt in die Richtung der Wirkung des genetischen Impulses. Danach muß man sich vorstellen, daß es innerhalb von PH, PX usw. komplizierte Systeme von Systemen gibt, deren Wirkungscharakteristikum jeweils kreislaufähnliche Prozesse sind. Zwischen den Stufen des MC-Modells, also zwischen PH, PX usw. findet eine ähnliche Kreislaufregelung statt; ein entscheidendes Moment der Globalsteuerung, der Integrierung ist eben das mehrfach erwähnte Moment der Genetizität. Das systematische Gesamtverhalten der Welt kann Stadien aufweisen, in denen es jeweils eines der höheren Systeme verliert (erst M, dann L usw.), nur gewisse Grundsysteme in PH können letzlich nicht verlorengehen. Dieser Prozeß kann natürlich auch umgekehrt stattfinden, d.h. es kann sich ein komplementärer Strukturgewinn (d.h. eine Evolution) ergeben. Diese Genetizitätsregelung gilt natürlich auch für alle Untersysteme, z.B. für die Kästchen links neben L in der Abbildung zum MC-Modell, welche Taxa des L-Modells selbst andeuten sollen: von rechts: N-Textem, Bitextem, Textem bis Phonem. Ebenso gilt hier die Kreislaufregulation. Die Abbildung realisiert die in Thesen 7 bis 9 (**|**|**) geforderten Grundbeziehungen einer holistischen Taxologie: Die Kästchen sind die Partikel (**), die Kreisläufe deuten das Feld (**) an, während die breiten Pfeile eine (mögliche) partielle Strukturentfaltung innerhalb der Äquivalenz-Gegebenheiten (**) eines umfassenden H-Modells skizzieren (eine Verschiebung der Entropie-Negantropie-Verteilung von Grundstrukturen [z.B. Wasserstoffatomen] auf der Basis von Gleichungen oder »ewigen« Stabilitäten). - Eine so konzipierte Integralwissenschaft und eine hiermit geforderte integrale Linguistik können nur in unendlich mühevoller Kleinarbeit systematische Fortschritte erzielen. Ohne die skizzierte oder eine ähnliche Heuristik wäre allerdings das spezifische Bedürfnis nach Fortschritt gar nicht existent. Die grobe Heuristik geht davon aus, daß man nicht von Sprache und ihren Problemen reden kann, wenn man prinzipiell nicht über den jeweils implizierten Rest der Welt strukturelle Aussagen machen will oder kann (Partikelthese [**]) (das, wovon die »grobe Heuristik« ausgeht, gilt aber für alle Systeme, weil sie sich immer gegenüber einer Umwelt befinden (vgl. Luhmann, System und Umwelt, in: Soziale Systeme, Kapitel 5, 1984; HB), daß jede Strukturstufe (ob Syntaxstrukturen oder Verdauungssysteme von Insekten) ein offenes System und gleichzeitig ein Prozeß mit Strukturaustausch ist und die Strukturen nicht für sich selbst bestehen, sondern mehrfach abhängige Variablen sind (Feldthese [**]), daß die Verstehbarkeit bzw. Wertigkeit einer Struktur nicht nur wesentlich durch die statische Opposition zu anderen Strukturen auf gleicher Ebene garantiert wird (Saussuresche These), sondern vor allem durch den relativierenden Kontrast mit den genetisch benachbarten Strukturen auf verschiedenen Ebenen (Äquivalenzthese [**]). - Bisher sind kaum systemtheoretische Beschreibungen sprachlicher Daten unernommen worden, Die Hauptschwierigkeit für die von mir propagierte Zuwendung zum Prozeßhaften liegt weniger im gegenseitigen Abwägen und Redefinieren der strukturalistischen bzw. integralistischen Metasprachen als in der davor liegenden Notwendigkeit des heuristischen Umdenkens. Die folgenden von mir aufgeführten Sprachbereiche, in denen »Kreislaufmäßiges« vorzuliegen scheint, sollen auch nur die Art der notwedigen Heuristik andeuten, sie sind bar jeder systematischen Integrierung:
(1) Die Bidirektionalität der Analyse (»abwärts: aufwärts«).
(2) Jeder Exponent eines Planums (Morphem bis N-Textem) kann jeden anderen Exponenten des gleichen Planums bei einem bestimmten Parameter zu seinem Semem haben.
(3) Kommunikationsvorgänge können als Ausgleich (optimale Kongruenz) zwischen den unterschiedlichen taxologischen Niveaus von Pxs und Pxe dargestellt werden.
(4) Satzstrukturen (Syntax: S) bzw. Textstrukturen (T) sind die notwendige Basis für Erkennbarkeit (Auffindung, »Kolligierung«) von den jeweils über den Strukturen liegenden Semembereichen (Se). Letztere wiederum sind Anlaß für das Suchen nach einer immer klareren (abstrakteren) Anordnung für das Erzeugen von Syntax und Textstruktur.
(5) Bei konstanter Energie (E) von Px: Werden z.B. bestimmte Wörter (Logeme) häufiger gebraucht, werden sie kürzer (werden bestimmte andere Wörter weniger häufig gebraucht, bleiben sie länger).
Trotz der Kürze dieser Beispiele wird vielleicht klar, daß es sich um kreisförmige Regelvorgänge handelt, die einem bestimmten Stabilisierungssoll (Gleichgewicht) gehorchen. Keinem Sektor der genannten Felder kann ohne die übrigen Sektoren überhaupt eine »Existenz« zugeschrieben werden. Ein schon länger bekanntes Beispiel für Stabilisierungsprozesse sind die Axiome für die Erklärung von Sprachwandel. Ich habe versucht, eine vollständige Folge solcher Axiome für Lautwandel zu explizieren. Die Axiome gehen davon aus, daß kein Anlaß (keine Finalität) für das Sprachsystem dazu besteht, Phoneme zusammenfallen zu lassen. Im Gegenteil, Phonemkollisionen müssen möglichst verhindert werden. Dieses Stabilisierungssoll führt u.a. zu folgendem Axiom:
Spezielles Axiom 3": Wenn v, x distinkte Phoneme sowie v, w, x, y distinkte phonetische Einheiten, wobei w sehr ähnlich (nah, w ~ x) x sowie v => w eher als x => y, dann: WENN v => w, , DANN x => y.
Axiome dieser Art erlauben es, tatsächlichen Lautwandel zu »interpretieren«. - Das Phonemsystem ist relativ offen, weil es erstens phonetisch (»substantiell«, d.h. durch »physikalische Schallwellen«) realisiert ist und zweitens über das Morphem an die größeren Spracheinheiten bis zum Text und zur Situation hin angeschlossen ist. Diese Offenheit führt zum »Stimuluswandel«, der phonematisch schädlich sein kann; ist er schädlich, so setzt »Reaktionswandel« ein, der die Homöostase wahrt. Die Sollwerte und auch die Offenheiten, die bestimmte sprachliche Felder in Bewegung halten, bleiben im Laufe der Ontogenese (Spracherwerb) und der Phylogenese (Sprachgeschichte) nicht konstant; aber gerade die nuancierte Veränderung dieser Größen sowie zugrundeliegende Finalität stehen bis jetzt noch nicht im Zentrum der linguistischen Aufmerksamkeit. Genetisch gesehen ist das Verhältnis zwischen Offenheit und Geschlossenheit nie endgültig fixiert; ich komme damit zur letzten These:
Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit
Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit
Die weißen Pfeile symbolisieren die Richtung der Genese, die schwarzen die der Metagenese. Die Abbildung rechts ist nicht von Koch, sondern von mir.
Zyklik von Genese und Metagenese
Diese Abbildung ist nicht von Koch, sondern von mir!
 –  These 22: These von der unendlichen Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit (mit Impuls zur Geschlossenheit) als Motor der Evolution.  –  Die tatsächliche Dialektik ist in der Abbildung zur Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit grob vereinfacht: Danach wird der offene Bereich der wachsenden Strukturmöglichkeiten (weiße Felder von unten nach oben) durch die »Findung« einer Lösung in Gestalt einer ganz neuen Strukturmöglichkeit (Stufensprung!) geschlossen. Sobald das Schließungselement (z.B. soziologische Konventionen [sind Sprache; HB] gegenüber soziologisch ungeregelten Verhaltensweisen [sind Sprache; HB] von Individuengruppen oder »Sprache« gegenüber semiotischem Gebärdenverhalten [ist Sprache; HB] oder Metasprache gegenüber Sprache) »gefunden« ist, wird das vormals offene Feld allmählich einer partiellen oder völligen Schließung zugeführt (Schließungsprozeß: schraffiert). Nun entwickelt die neu gewonnene Verhaltensstufe (etwa L gegenüber SEM oder »Satz« gegenüber» Text«) einen Eigendrall, d.h. es ergeben sich auf neuer Stufe neue Offenheiten, vom ursprünglichen Schließungsprozeß her gesehen: nicht-notwendige Kreativitäten des Schließungssystems. Diese Offenheiten nehmen zu und rufen nach einer neuen Organisation, einer neuen Finitisierung: der Prozeß wiederholt sich stetig. Es ergibt sich die abschließende Frage, ob eher die Fig. a oder die Fig. b die Evolution abbildet. Die Kompliziertheit (Zahl der Stufen) ist in beiden Beispielen gleich, nur die Komplexität (Zahl der inter-strukturellen Beziehungen zwischen Taxa einer Stufe) nimmt in einem Fall zu, in einem anderen ab. Es scheint so, als ob die Ordnung der Gesamtheit der besprochenen Prozesse eher durch Fig. b gekennzeichnet wird: Die Sprache (L) zeigt eine geringere Komplexität als der Bereich der Soziologie (SZ) (das glaube ich nicht, denn die Sprache deckt alle Bereiche ab, also auch den Bereich »Soziologie«, der vergleichsweise klitzeklein ist! HB [**|**|**|**|**|**|**]), das Phonemsystem (Ph) ist weniger komplex als die Syntax (S) usw..“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 276-294).

Luhmann zufolge nimmt die Komplexität des Systems auf Kosten der Umwelt, zu der auch alle anderen Systeme gehören, zu. Also muß es auch einen Wettbewerb der Systeme geben - wie in der Evolution zwischen den Lebewesen, wobei auf der Grundlage des Machtstrebens in der Geschichte der Systeme u.a. auch diejenigen Systeme siegen können, die allein von sich aus dazu gar nicht in der Lage sind, aber von den ihnen übergeordneten oder anderen Sytemen unterstützt, in diesen Vorteil zur Machtgewinnung gebracht werden, weil bestimmte andere Konkurrenten unterdrückt werden. Ich glaube, um bei Kochs Beispielen der Bereiche zu bleiben, daß in letzter Zeit z.B. PH ein wenig geschrumpft ist, PX stark gewachsen ist, SZ stark gewachsen ist, SEM ein wenig gewachsen ist, L ein wenig gewachsen ist, M ein wenig geschrumpft ist. Die Summe der Komplexität bleibt fast nie gleich, sondern wächst oder schrumpft, und tatsächlich ist sie fast immer gewachsen. So kann die Summe der Komplexität von PH, PX, SZ, SEM, L, M beispielsweise vor einigen Jahrzehnten „100“ gewesen sein und in der Gegenwart „90“, „100“ oder „110“ sein, wobei „110“ der Wirklichkeit wahrscheinlich am nächsten käme (und meine eben genannten Beispiele sollen das auch andeuten, z.B. so: PH: 30=>29; PX: 24=>28; SZ: 14=>20; SEM: 8=>9; L: 10=>11; M: 14=>13; Summe: 100=>110). Die Gesamtkomplexität nimmt also tendenziell zu - in unseren (noch) modernen Zeiten.

Mein Bemühen, die Linguistik integral und kybernetisch zu sehen, beeinflußte zwei verschiedene Ebenen: meinen metalinguistischen Hintergrund (von Abschnitt 1 [**]) und die Prognose für die Entwicklung der Linguistik selbst (Abschnitt 10 [**]). Das MC-Modell ist nicht reduktionistisch zu verstehen, andererseits kann nicht jede Stufe (SZ gegenüber PH oder Syntax gegenüber Textematik) eine eigene, »monoadologische« Betrachtungsweise verlangen. Stufenneutrale Wissenschaften wie die Mathematik helfen bei unseren Neuüberlegungen kaum, die Physik wäre da schon von größerem Nutzen; unsere gesuchte Form von Metawissenschaft muß eher einer lingua characteristica als einem calculus ratiocinator gleichen; sie muß damit rechnen, daß die Welt und die Sprache mehrfach offene, kreative Systeme sind und nicht etwa eine machina docilis in den Händen eines deterministischen Technologen.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 294).

„Alle Strukturen der Welt (nicht nur der Sprache oder der Wissenschaft) sind Bestandteile, »Ausfluß«, Abstraktion aus einem stetig pulsierenden, fließenden Amalgam von Systemen und Untersystemen. Dies ist für die Naturwissenschaftler und Systemtheoretiker schon längst eine selbstverständliche Annahme. Die Kybernetik nimmt in der Konstruktion des »Regelkreises« die ältere und universellere Vorstellung einer physikalisch-chemischen Selbstregelung aller Vorgänge für die Zwecke der maschinellen Simulation nur wieder auf. Die Regelkreis-Abbildung zeigt nun eine einfache Anwendung dieses »kybernetischen« Gedankens.
Regelkreise
Regelkreis nach Walter A. Koch
Danach lassen sich die Figurteile A bis D miteinander vergleichen.. »B« beschreibt dabei biologische Vorgänge als das Streben nach dem Normalzustand, dem Gleichgewicht oder der »Homöostase«. (Die Übergänge vom Äquilibrium [Gleichgewicht] über Disäquilibria [Ungleichgewicht] wieder zur Äquilibria sind auch als Basis für das Verständnis gewisser die Welt abbildender Textstrukturen zu verstehhen. Das gleiche Modell [Teilfigur B] kann somit zur Beschreibung von Biologie, Soziologie einerseits sowie von Textologie andrerseits dienen, vgl. hierzu Koch, Das Textem, 1973, S. 170f.). A ist z.B. realisiert durch einen Wasserstandsregler. Die Ziffern 1 bis 4 beschreiben jeweils Phasen eines Prozesses zur Wiederherstellung eines Gleichgewichts. Die Phase 4 ist demnach in A durch den »Regler« besetzt, in B z.B. »durch die Suche nach Nahrung«, in C »durch die Suche nach optimaler Instruktion: durch die Wissenschaft«; wichtig in unserem Zusammenhang ist vor allem der Moment, daß jedwede Struktur nicht isoliert besteht, sondern ihre Existenz aus einem kreisförmig angelegten Energie- und Impulsaustausch ableitet. Dysregulationen, biologisch auch: »Krankheiten«, lassen sich in den genannten und anderen Bereichen nur unter Berücksichtigung solcher Größen wie »das Ganze«, »Energie«, »Dynamik« (gegenüber »Statik«), »Strukturbedingung« (gegenüber bloßer »Struktur«) diagnostizieren bzw. beheben.  –  Die Phasierung wird bei näherer Analyse sicherlich viel komplizierter sein als in der Regelkreis-Abbildung angedeutet. In diesem Kontext genügt vielleicht eine grobe Vereinfachung. Danach hätte eine »Meta-Wissenschaft«, z.B. eine »Meta-Linguistik«, eine Problematisierungsphase (Phase 3) zu berücksichtigen. Die Entdeckung bzw. angemessene Gewichtung von Problemen wird selbst Gegenstand neuer Wissenschaftsbereiche sein müssen, dies ist bisher nicht geschehen. Ich gehe davon aus, daß die »Kultur« (Massenmedien, Feuilleton, »Meinungsbefragung« usw.) vorläufig ersatzweise ein Hochspielen, Seligieren, Diagnostizieren von Problemen der niedrigeren Phase (Phase 2) darstellt. In welchem Maße derartige Selektionen (wer z.B. wann wo wie »glücklich«, »unterdrückt« ist oder »ungehemmt« bzw. »erfolgreich« kommuniziert) sich einem zunächst unparteiischen, deskriptiven Status nähern oder nicht, scheint wissenschaftlich noch nicht überzeugend dargestellt werden zu können. Immerhin wird das Maß der »gesellschaftlichen Relevanz« der Linguistik von dem Grad der Akzeptabilität eines alle Bereiche des Lebens (nicht nur die zeitbedingt, politikbedingt hochgespielten) umfassenden Zusammenhangsrasters abhängen. Ob die letzte Reduktion bei »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« ein Ende findet, bei den sog. biologischen Grundgrößen »Arterhaltung: Fortpflanzung, Nahrungsaufnahme, Verteidigung des nackten Lebens« oder subtileren Strukturen, ist gerade die Aufgabe einer neuen gesamtwissenschaftlichen Orientierung. Daß die Bewußtmachung der Notwendigkeit der Einbettung der (Meta-)Linguistik in Regelkreise der skizzierten Art für die Zukunft von eminenter Bedeutung sein wird, scheint indes offenbar.  –  Immerhin erlauben es unsere simplen systemtheoretischen Überlegungen einzusehen, daß es schon in diesem Stadium der Vorüberlegungen möglich ist zu überblicken, daß manche Wissenschaften (Phase 4) gegenüber ihren Flußbedingungen dysreguliert sind. Mir scheint z.B. die Biologie mit ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Phase 2 (vgl. großes Quadrat in der Teifigur D) in der Wissenschaft und vor allem in der Schule (Phase 5 bzw. Phase 1) unzuträglich atrophiert, während z.B. die quantitativ ansehnlichen Philologien (vgl. die schwarzen Quadrate in der Teilfigur D) in der Wissenschaft und auch teilweise in der Schule hypertroph erscheinen, bei vergleichsweise geringer problematischer Bedeutung für die Gesamtregulation des Lebens. Inwieweit die Linguistik angemessen reguliert wird, muß eine neue, noch zu etablierende systemtheoretische Kontrollinstanz mitentscheiden.“ (Walter A. Koch, Einleitung, in: Perspektiven der Linguistik, Band I, 1973, S. XVIII-XXII).

„Ich persönlich und - ich glaube - viele meiner Kollegen sind von einer gewissen missionarischen Funktion und allgemein-wissenschaftlichen Relevanz der Linguistik überzeugt. .... Die Ersterfassung aller Sprachen und Dialekte schien nun vor einigen Jahrzehnten im großen und ganzen abgeschlossen, sie hatte ihre Attraktion verloren. Die Linguistik, die sich nicht selbst aufgibt, beginnt nach einer Ersatzbeschäftigung zu suchen. Die methodische Vertiefung des Analysevorgangs selbst ist eine natürliche Folge. Am Beispiel der kleinsten Einheit des Sprachmodells, dem Phonem, beginnt in den dreißiger Jahren ein Prozeß der Rigorisierung der Methode, ein Prozeß, der später als Beispiel für weitere Rigorisierungen gelten sollte. Es stellt sich heraus, daß die vermeintlich unendliche Vielfalt von phonetischen Einheiten auf ein endliches Inventar don Phonemen reduziert werden kann. Heute noch bleibt die Suche nach der Finitisierung (dem endlichen Anfang einer genetischen [quasi-historischen] oder einer nur generativen [also wiederholbaren] Erzeugungskette) das entscheidende Mobile linguistischer Forschung. So wie z.B. die Mathematik nach endlichen Mechanismen (Axiomatiken usw.) sucht, um die unendlichen Möglichkeiten der Mengenregulationen zu ordnen und zu erklären, sucht die strukturale Linguistik in Absetzung von den Junggrammatikern vorerst die Invarianz und nicht die Vielfalt der sprachlichen Erscheinungen zu erfassen. .... Die wissenschaftliche Bedeutung der Linguistik liegt in den in der Sprache enthaltenen einfachen Bedingungen für Simulationen, für Paradetests grundsätzlicher Bedeutung. Tests für Willen, Fokus, Freiheit, Arbitrarität, für das Verhältnis von Infinität und Finitisierung usw. können grundsätzlichere Bedeutung erlangen. »Grammatik« als Finitisierungsprozeß wird so mehr als eine Metapher für andere Bereiche; man spricht von Grammatik des Films, des Gesichtsausdrucks, der biologischen Vorgänge. Die Gefahren eines linguistischen Paradigmas liegen in einer nicht subtilen Unterstellung der Sprachbedingtheit z.B. rein-physikalischer Vorgänge, in der Annahme, sich die Welt nicht ohne das spezifisch menschliche Gehirn vorstellen zu können. (Die These der radikalen Sprachbedingtheit aller vorstellbaren Strukturen der Welt [»da alles, was de facto gedacht, vorgestellt wird, vom sprachbegabten Menschen geschaffen wird«] ist - mit vielen Modifizierungen und Abschattierungen - eigentlich uralt. Gerade in jüngster Zeit wird sie vor allem von der positivistischen Philosophie vertreten. Was nicht [nach bestimmten metasprachlichen Rigorismen] formuliert werden kann, ist nicht existent. Auch der aufgeklärte Naturwissenschaftler betont die Meta-Sprachrelativität der von ihm entdeckten physikalischen Strukturen. Inwieweit die Relativität der Strukturannahmen von einer spezifischen Sprache bzw. Metasprache [= Wissenschaft] abhängig gemacht werden muß, ist hier nicht schnell abzuhandeln. Eines soll an dieser Stelle nur betont werden: Strukturen und ihre Relativität können nur erklärt und in diesem Sinne verstanden werden, wenn man versucht, sie genetisch zu ordnen [was tendenziell im Strukturalismus und in der Wissenschaftstheorie kaum geschieht]. Das bedeutet für die Sprache: Das Argument einer Sprachrelativität ist nicht in ihr selbst zu suchen. Es müssen Annahmen über Zustände gemacht werden, wo es sie noch gibt.)  –  Die gesellschaftliche Relevanz der Sprache wird von manchen Anhängern spezifischer Ideologien für mein Verständnis zu simplistisch reklamiert. Sicher sollte es möglich sein, Ideologien, d.h. Textstrukturen, die ein spezifisch seligiertes Gesamtverhaltensmuster empfehlen, als Ideologien (normative Strukturen) gegenüber rein wissenschaftlichen Beschreibungen zu dekuvrieren. Die heutige Ideologiekritik verwendet indes nicht strukturelle Analysemittel, sie gibt dies nur »terminologisch« vor. .... Im übrigen ist der Anstoß für die bisherige Ideologiekritik eigentlich immer eine Überzeugung auf dem Niveau eben einer Ideologie. Um uns einer Beschreibung gesellschaftlicher Relevanz deskriptiv (und nicht mit einer »verschleierten« Präskription) zu nähern, müssen wir bescheidener ansetzen, als dies gemeinhin geschieht.“ (Walter A. Koch, Einleitung, in: Perspektiven der Linguistik, Band I, 1973, S. XIV, XVI, XVII-XVIII, XVIII).

„Die besonders in halb-wissenschaftlichen Journalen (wie im »Kursbuch«) veröffentlichten und auch in Schulkurrikula praktizierten Attacken auf »Ideologie« gehen ausschließlich selbst von einer nicht »hinterfragten« Ideologie aus. Die »Kritik« gibt sich in Diktion und Ton streng und unnachsichtig, ist indes m.E. intellektuell und von der propagierten Ausgangsstellung (»universelle Kritikfähigkeit«) juvenil und voller Selbstüberschätzung. Die bekannte Auseinandersetzung zwischen Adornos u.a. »Kritischer Theorie« und Popper ist symptomatisch für das noch rudimentäre Stadium on der Entwicklung der Wissenschaft von der »gesellschaftlichen Relevanz«.“ (Walter A. Koch, Einleitung, in: Perspektiven der Linguistik, Band I, 1973, S. L-LI).

Sprache deckt den Wissensbereich zu fast 100% ab. Auch im Rest der Welt ist die Sprache stets da. Sprache beruht auf biologischen und zuletzt physikalischen Grundlagen - das muß jedem klar sein -, aber mit meiner These und Argumentation meine ich noch etwas anderes, nämlich: Alle Verhaltensweisen, zu denen ich also auch die phyikalisch-chemischen Verhaltensweisen zähle, sind Zeichen, also: Sprache. Zur Sprache gehören also nicht nur die konkret realisierten Formen - das Sprechen und Schreiben () - linguistischer Sprache sowie die Linguistik (L) selbst und die Metasprache (ML), sondern alle Zeichen und Zeichenbereiche, oft auch „Zeichensysteme“ genannt. Alles, was Objekt ist - ob ein wissenschaftliches oder ein nichtwissenschaftliches - ist nur deshalb Objekt, weil es Zeichen von sich gibt, ohne die jede wissenschaftliche, aber auch jede nichtwissenschaftliche Erkenntnis nicht möglich wäre. Und wer ein Subjekt „verobjektiviert“, gibt dadurch immer auch zu - ob bewußt oder nicht -, selbst auch ein „verobjektiertes“ Subjekt zu sein. (Auch derjenige Literat, der einen Ich-Roman schreibt, also Zeichen und damit Sprache benutzt, und darin beschreibt, was er „so alles so tut“, beschreibt sich als ein verobjektiviertes Subjekt, auch dann, wenn er beschreibt, was er „so alles erlebt“.) Schon allein die Syntax schreibt dies vor: S.-P., S.-P.-O. Es geht immer nur über die Zeichen. Die Welt besteht aus Zeichen; und sie selbst ist auch ein Zeichen. Sprache ist ein Zeichenystem. Zu ihr gehören alle Zeichen, z.B. mathematische, logische, philosophische, linguistische, semiotische Zeichen genauso wie alle anderen Zeichen, ob sie aus der restlichen Wissenschaft, dem alltäglichen Leben, der Natur, der Kultur, dem Universum oder dem Atom kommen: alles, was Zeichen ist und sein kann, und das ist eben alles, gehört zur Sprache. Linguistik ist nicht gleichbedeutend mit Sprachwissenschaft, denn die Linguistik beschäftigt sich wissenschaftlich mit Sprache i.e.S. (im engeren Sinne und im engsten Sinne), d.h. mit der linguistischen Sprache, während die Sprachwissenschaft sich wissenschaftlich mit Sprache i.w.S. (im weiteren Sinne und im weitesten Sinne) beschäftigt. Dieser fast tautologische Satz muß sein - aus pädagogisch-didaktischen Gründen -, weil es hier darum geht, etwas klar und verständlich zu machen. Jedes Zeichen ist Sprache! Alle Zeichen sind Sprache! ** ** ** ** ** **

Wenn in Kochs Text (jeder Text gehört - wie gesagt - zu L) von den Bereichen „PH“ „PX“, „SZ“, „SEM“, „L“ und „M“ die Rede (gehört - wie gesagt - zu L) ist, dann ist immer zugegeben - ob bewußt oder nicht -, daß alles Zeichenhafte (alle und jedes Zeichen) Sprache ist - in jedem Bereich, also auch sogar im Bereich „PH“.

Zeichen sind immer gegeben, jedenfalls für die, die zeichenkompetent und also sprachkompetent sind, auch wenn in Kochs Kapitel „Semiotik und Sprachgenese“ im 2. Band des Buches „Perspektiven der Linguistk“ zu lesen ist, daß „die Minimalbedingung dafür, daß man bei einem bestimmten Segment von »Zeichen« reden kann,“ dann gegeben ist, „wenn man in sinnvoller Weise folgende semiotischen Teile entdecken kann:
I II III
(A) Signifiant Signifié Chose (Saussure)
(B) Zeichen Interpretans Objekt (Peirce)
(C) Signium Significatum Denotatum (Morrin)
(D) Manifestum
(z.B. Phonem)
Semem Referem
(vgl. TDL, 4: Taxologisches Modell für Sprache [ML] **)
Bei vielen der oben gegebenen Beispiele (in der Tabelle) wird es schwer fallen, Semem und Referem auseinanderzuhalten. Die Möglichkeit, diese beiden Orte zu differenzieren, hängt u.a. von dem Vorhandensein einer Zwischen-Ebene (»Lügenkönnen«, Gebrauch der Bedeutung [Sememe] ohne direkten Welt- oder Situationsbezug [Referem] oder von der Existenz einer umfassenden Synonymie ab. Die semiotischen Modelle (A bis D in der Tabelle) sind einander nur in grober Weise äquivalent. Der genauere Status der Begriffe hängt von der jeweiligen Theorie ab, der sie entnommen sind. Die erwähnte Minimalbedingung für die Bestimmung des Vorhandenseins eines Zeichenprozesse, einer Semiose, wird andererseits nicht ausreichen, um die konkreten Beispiele sinnfällig zu differenzieren. Es wird sich zeigen, daß hierzu zusätzliche Kriterien der Situation (vgl. im Kapitel „Tendenzem der Linguistik“ den Abschnitt 4 [**] und dort die Abbildung zum Si-Modell [**]), wie Zeichensender (Pxs), Zeichenempfänger (Pxe), Reversibilität usw. vonnöten sind. Die Semiotik geht geschichtlich auf Versuche zu einer Minimalbestimmung für Zeichen zurück. .... Wie Saussure als Vater der strukturellen Linguistik gilt, so kann Peirce (1839-1914) als Begründer der systematischen Semiotik angesehen werden (obwohl die von Peirce begründete Richtung der Semiotik an Thomas von Erfurt anschließt [vgl. Thomas von Erfurt, Grammatica Speculativa, 13. Jh. {**}]; HB). Wie Saussure seine Theorie auf einer großen Zahl von Dichotomien aufbaut, so gründet Peirce seine Ideen auf eine abgestufte Reihe von Trichotomien. Ein Beispiel für diese Trichotomisierung gibt Eco (in: Einführung in die Semiotik, 1968, S. 198):
Trichonomisierung
Die Glieder der primären Trichoromie »Zeichen-Objekt-Interpretans« enthalten ihrerseits jeweils sekundäre Trichotomien. Die spezifische Ordnung der trichotomischen Glieder ist nicht zufällig. Sie bildet (in Ecos Darstellung von unten nach oben) die Degenerierung (vgl. Peirce, Collected Papers of Charles Sanders Peirce, S. 150ff.) oder Degradation (vgl. Max Bense, Wörterbuch der Semiotik, 1973, S. 39ff.), d.h. so etwas wie »abnehmenden Abstraktheitsgrad« oder »abnehmende Anwendungspotenz« ab. Demnach wäre ein Index weniger abstrakt (ich würde sagen: »weniger arbiträr«) als ein Symbol. Wenn auch die allgemeine Absicht der Peirceschen Gedanken aus der bisher skizzierten Basis sichtbar, ja eventuell plausibel werden könnte, so regt sich andrerseits auf diesem wenig verfeinerten Niveau Zweifel und Widerspruch. Ist nicht z.B. der Index im allgemeinen und »nasser Fleck auf dem Boden« im besonderen weniger konventionalisiert, arbiträr oder gradiert« als das Ikon bzw. ein Diagramm«? Vieles an der Peirceschen Beispielgebung würde weniger widersprüchlich, weniger unklar sein, wenn wirklich konsequenter Gebrauch von den erwähnten Situationsgrößen (Px usw.) gemacht würde. Selbst Peirce-Nachfolger der jüngeren Zeit wie Carnap, Morris, Klaus gehen eher von voreilig generalisierten Konzepten als von echten semiotischen Analyse-Problemen aus. Immerhin spielt die Semiotik in der positivistischen Wissenschaftstheorie seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts eine große Rolle. Die Disziplin »Semiotik« erstarkt indes erst zu der Zeit, in der sie sich von der Logik emanzipiert und induktiv verschiedene Sprachformen in toto zu erfassen sucht (besonders seit den sechziger Jahren). Dieser neuen empirischen Semiotik erwachsen Impulse nicht nur von Peirce her, sondern auch durch die latent stets vorhandene linguistische Semiotik oder »Semiologie«.“ (Walter A. Koch, Einleitung, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 313-316).

Spinnennetz
„Das Sammeln von semiotischen Merkmalen zur Verfeinerung eines Netzes für die Bestimmung semiotischer Grade und somit des H-Modells über SEM wird die Zoosemiotik in nächster Zukunft besonders beschäftigen. Es scheint festzustehen, daß die schon angesprochenen Merkmale der intraspeziellen Zeichengebung, der Reversibilität und des Kodecharakters des Zeichens notwendige Bedingung für prägnantes Zeichenverhalten (SEM) sein müssen; umstrittener ist vielleicht das Merkmal des bedingten Reflexes, wonach Zeichen gelernt, d.h. nicht-angeboren sein müssen. (Sie sind auch angeboren; es gibt eine angeborene Fähigkeit zur Grammatik der Zeichen überhaupt, wozu auch deren Beziehungen untereinander, Funktionen und Relationen, alos auch die Fähigkeit zur Grammatik der Syntax gehört [vgl. Nativismus {**}]; HB.) Die als »Mimikry« bekannten raffinierten Anpassungsmechanismen z.B. einer bestimmten asiatischen Spinne (vgl. Abbildung nach Wolfgang Wickler, Mimikry, 1968, S. 51), die Spinnenjäger irre führt, indem sie außer der normalen Warte in der Mitte des kaum sichtbaren Netzes noch mehrere Pseudowarten spinnt, die so aussehen, als säßen auch dort Spinnen, machen - obwohl sie dem Merkmal der Metaierung des Lügenkönnens gleichkommen - das besagte Verhalten (= Sprache; HB) noch nicht zum Zeichen (doch; denn Verhalten = Zeichen = Sprache; HB [**|**|**|**|**|**|**]). Diese und viele andere Fälle von Mimikry sind zwar ein notwendiges Merkmal des nächst-höheren Modells, des L-Modells, sie sind für die Bestimmung von –SEM– (die Minuszeichen vor und hinter SEM bedeuten, daß SEM geschlossen ist für andere Bereiche; HB) weder hinreichende noch notwendige Bedingung. Mimikry scheint oft »intelligenter« als manches zoosemiotische Zeichen zu sein; es ist jedoch eine etwas frühreife Raffinesse, die noch nicht semiotisch eingebettet ist (doch; denn auch Verhalten [und erst recht raffiniertes Verhalten] = Zeichen [auch semiotische Zeichen] = Sprache; HB [**|**|**|**|**|**|**]). Das zitierte Verhalten einer Spinne richtet sich nicht an Mitglieder der eigenen Art (muß es ja auch nicht; HB), es ist auch nicht reversibel, da der Adressat, der Spinnenjäger, z.B. ein größeres Tier einer anderen Art, dieses Tarnverhalten nicht seinerseits produzieren kann (aber wir, die Menschen als die intelligentesten Lebewesen, können das; HB). Es tut vielmehr so, als sei ein Tarnmanöver ein potentielles Zeichen, also eigentlich eben kein Zeichen, allso eigentlich hier in Umkehrung zur Semiotisierung desemiotisiert (ja, aber das ändert nichts daran, daß es ein Zeichen und also Sprache ist; HB).“ (Walter A. Koch, Einleitung, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 328-330).

„Die Frühgeschichte der Sprache beschäftigt sich mit den ersten direkten und indirekten Zeugnissen für die menschliche Sprache (5000, 35000 bzw. ca. 2 Millionen Jahre zurück [die direkten Zeugnisse der Schrift liegen ca. 5000 Jahre zurück {Hieroglyphen usw.}, die der ersten Überreste graphischer Symbolik überhaupt liegen ca. 35000 Jahre zurück: Ende des Zeitalters des Moustérien]). Die Zeugnisse können die allmählich dichter werdenden Fragen der Protoglottologie immer weniger unmittelbar beantworten. .... Wenn sich auch noch keine der »strengeren«, problemmäßig engherzigen, neueren Sprachtheorien der genetischen Fragestellung zugewendet hat, so wird die Forschungsrichtung durch immer zahlreicher erscheinende Abstöße aus verschiedenen Gebieten auch dem normalen Linguisten immer bewußter. .... Die der Phylogenese verwandten Probleme der Ontogenese, d.h. der Kindersprache und der heute, »synchron« zu beobachtenden Sprachpathologie, sind offenbar leichter und systematischer anzugehen, da das Moment der Rekonstuktion, Spekulation und Hypothese hier stärker zurückgedrängt werden kann. Die Beobachtung der Ontogenese der Sprache kann durch ähnliche, experimentell und theoretisch entwickeltere Methoden zur Ontogenese kognitiver Fähigkeiten gestützt werden. Die allgemeinste und fundamentalste Relation zwischen Onto- und Phylogenese ist bekanntlich von dem Evolutionstheoretiker Ernst Haeckel (vgl. ders., Natürliche Schöpfungs-Geschichte, 1868, S. 309) in dem sog. biogenetischen Grundgesetz formuliert worden: »... ist die Ontogenesis, oder die Entwicklung des Individuums, seine kurze und schnelle, durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bedingte Wiederholung (Rekapitulation) der Phylogenesis oder der Entwicklung des zugehörigen Stammes, d.h. der Vorfahren, welche die Ahnenkette des betreffenden Individuums bilden.« .... Innerhalb der Linguistik hat Roman Jakobson (vgl. ders., Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze, 1914) der Haeckelschen These zu einer empirischen und theoretischen Bestätigung verholfen. Zumindestens im Bereich der genetischen Phonologie. Danach gibt es in der Ontogenese (im primären Spracherwerb) eine unumkehrbare Folge der erlernbaren Phoneme, etwa: p, b, m, t, k bei den Konsonanten. Beim Aufbau der Sprache, in der langen Geschichte der Phylogenese also, scheint sich Ähnliches vollzogen zu haben, was Jakobson gluabt aus der Beobachtung schließen zu können, daß Sprachen, die jeweils weniger Mitglieder des oben zitierten Ausschnitts aus einem potentiellen Konsonantenparadigma haben, nur das jeweils spätere Glied der genetsichen Kette nicht besitzen der genetischen Kette nicht besitzen; danach wären eher »p, b, m, t« bzw. »p, b, m« usw. heute in den verschiedenen Sprachen der Welt belegt als »p, m, k« oder »m, t, k« usw.. Anhand umfangreichen empirischen Materials beobachtet nun Jakobson zusätzlich die umgekehrte Reihenfolge im Abbau der Sprachkompetenz, wie er bei bestimmten Erscheinungen der Aphasie vorliegt. Abbau und Aufbau der Sprache stehen also im genau umgekehrten Verhältnis zueinander; beide bestätigen andrerseits die Fundierung bzw. Ordnung der genetisch nacheinander integrierten Zustände. Die Thesen Jakobsons stützen sich vornehmlich auf Beobachtungen des Vokal- und Konsonantensystems. Es wird allerdings eine Übertragbarkeit auf z.B. Morphologie oder die Syntax postuliert (vgl. Jakobson, ebd., S. 131). Da es sich hier um eine wahrscheinliche Einsicht in integrierte Grundverhältnisse handelt, meine ich, daß man zunächst gezwungen ist, das genannte »Gesetz« in Form von Hypothesen für alle biologischen und somit auch für alle linguistischen Strukturen anzusetzen. Ich generalisiere daher in Anlehnung an Haeckel Jakobsons Aufbauthese zu
(1) der ersten linguo-genetischen Grundhypothese - Aufbau von Stufen -
und Jakobsons Abbauthese:
(2) der zweiten linguo-genetischen Grundhypothese - Abbau von Stufen -
Diese beiden Hypothesen beziehen sich auf den Aufbau von Information und umgekehrt von Entropie innerhalb biolinguistischer Systeme. Solcher Aufbau vollzieht sich danach in nichtvertauschbaren spezifischen Schritten. Die Suche nach diesen exakten Schritten auf allen Niveaus der Bio-Linguose ist der Suche nach dem Arbiträren äquivalent. Aus den beiden Grundhypothesen sind die zuerst erwähnten, spezifischen Thesen Jakobsons sowie z.B. meine folgenden textgenetischen Annahmen ableitbar:
(1a) die erste textgenetische Grundhypothese,
(2a) die zweite textgenetische Grundhypothese.
1a besagt z.B., daß bestimmte Texttypen (u.U. »Reime«, »Rätsel«, »Märchen«, »Legenden«, »Mythen« usw.) in einer nichtvertauschbaren Reihung zueinander stehen, und zwar zunächst in der Phylogenese und dann in ontogenetischer Rekapitulation (so wie gemäß Haeckels »biogenetischem Grundgesetz«; HB). Die Phylogenese bezieht sich auf Entstehung von Texttypen innerhalb der Weltgeschichte der »Literatur«, die Ontogenese bezieht sich auf die wachsende Textkompetenz der Kinder aller Kulturbereiche. 2a besagt, daß umgekehrt der pathogene Abbau der Textkompetenz der genetisch aufgebauten Reihung (nach 1a) in umgekehrter Reihenfolge entspricht, und zwar wiederum im »Individual«- als auch im »Stammbereich«. .... Meine vorläufige grobe Unterthese zu 1a ist es, daß die Textsemantik bezüglich der Abbildung außerlinguistischer Modelle bestimmt ist durch ein »Bewußtwerden« der Welt vom sprachlichen Modell aus, d.h. daß der genetische Aufbau der Textkompetenz - phylo- wie ontogenetisch - etwa der metagenetischen Ordnung folgt: »L-Modell ( [Reime, Rätsel usw.: Abbildungen, Übungen von linguistischer Struktur]) - SEM-Modell (im L-Modell: [Fabeln: Abbildungen, Übungen von Semiotisierungsmerkmalen]) - SZ-Modell (im L-Modell: [Märchen: Abbildungen, Übungen von soziologischen Regeln]) - PX-Modell (im L-Modell: [Legenden o.ä.: Abbildungen, Übungen von Strukturen des Lebendigen und seiner Enstehung]) - PH-Modell (im L-Modell: [Mythen: Abbildungen, Übungen von Theorien über die materielle Entstehungsmatrix von Strukturen überhaupt, Kosmogonien usw.]).
Spinnennetz
Ein Beispiel aus der
mathematischen Topologie:
Tasse und Volltorus sind
zueinander homöomorph.
Ein Homöomorphismus
ist eine direkte Abbildung
zwischen den Punkten der
Tasse und des Volltorus,
Die Zwischenstufen im
zeitlichen Verlauf dienen
nur der Illustration der
Stetigkeit dieser Abbildung.
Daß das durch die L-Stufe gelenkte Bewußtsein und seine Genese selbst ein Prozeß ist, der auf dieser höheren Stufe (L-Stufe) die von diesem Bewußtsein vormals unabhängige tatsächliche Genese metagenetisch umkehrt (»bewußtseinsunabhängige« Genese also: PH-Modell - PX-Modell usw. (**), wird z.B. von der kognitiv-genetischen Forschung Piagets u.a. belegt. Danach geht die tatsächliche Kognitionsgenese bezüglich der Raumerfassung von einem topologischen Modell aus und schreitet dann erst zum Euklidischen Raum vor, während bekanntlich das »wissenschaftliche« Bewußtwerden der entsprechenden Modelle - metagenetisch - von der Geometrie Euklids ausging und erst in jüngster Zeit auf die »Idee« der Topologie kam. (Vgl. Jean Piaget, Bärbel Inhelder u.a., Die Entwicklung des räumlichen Denkens beim Kinde, 1971). - Doch zurück zum allgemeinen Teil der These 1a. Die hiermit verbundenen Strukturen der Evolution sind die geordnete Strukturfolge (Dependenzen), die Zyklik und die strukturelle Komplexierung (Richtung) (vgl. Abschnitt 5 des letzten Kapitels [**]). Die organistischen bzw. evolutionistischen Theorien zur Literatur in der weiteren und jüngeren Vergangenheit werden in diesem Zusammenhang neu reflektiert werden müssen. Speziell die zyklischen und oszillatorischen Theorien der Strukturveränderung werden auf ihre heuristische Brauchbarkeit hin überprüft werden. Die dialektisch, polar verstandene Innovations-Konventionalisierungs-Matrix ..., die Pole »Zentrum« und »Peripherie« der Kreativität als Motoren der Literaturveränderung, stilistisches Foregrounding bzw. Backgrounding als evolutionssteuernder Rhythmus, ja auch weniger »strukturell« gemeinte »Dialektiken« wie »naive und sentimentalistische Dichtung« (Schiller), »Diastole und Systole« (Goethe), »Apollinisches und Dionysisches« (Nietzsche). »Abstraktion und Einfühlung« (Hubertus Paul Hans Teesing, Das Problem der Perioden in der Literaturgeschichte, 1948, S. 114ff.) werden auf ihre oszillatorisch-zyklischen Möglichkeiten für Tiefenstrukturen der Evolution hin neu überdacht werden müssen (»die Wissenschaft denkt nicht« [Martin Heidegger {**|**|**}]; HB). - Die Überprüfung der genaueren Anwendbarkeit der »Grundhypothesen« wird praktischerweise bei den ontogenetischen Strukturen beginnen. Spezifischere Ergebnisse können dann zu weiteren, verfeinerten Hypothesen auf der Seite der einstmals vorwiegend behandelten Phylogenese führen.“ (Walter A. Koch, Einleitung, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 334-339).

Weg der Genese Weg der Metagenese
Ein Beispiel für den Weg der Genese innerhalb von L (**|**). Ein Beispiel für den Weg der Metagenese innerhalb von L (**|**).
In beiden Abbildungen ist der Hintergrund für das relativ Offene heller und für das relativ Geschlossene dunkler gehalten.
  Ein Beispiel höherer Ordnung für den Weg der Genese (von der relativen Offenheit zur relativen Geschlossenheit): PH=>PX=>SZ=>SEM=>L=>M.
Ein Beispiel höherer Ordnung für den Weg der Metagenese (von der relativen Geschlossenheit zur relativen Offenheit): M=>L=>SEM=>SZ=>PX=>PH.
Wenn man mit Koch in Anlehnung an Haeckels Aussage über die Rekapitualtion der Phylogenese in der Ontogenese und an Jakobsons Aussage über den genau umgekehrt - spiegelbildlich - zum Aufbau von Sprachfromen sich vollziehenden Abbau von Sprachformen zu dem Ergebnis kommt, daß „ (1a) die erste textgenetische Grundhypothese ... besagt ..., daß bestimmte Texttypen (...) in einer nichtvertauschbaren Reihung zueinander stehen, und zwar zunächst in der Phylogenese und dann in ontogenetischer Rekapitulation“ und „die Phylogenese ... sich auf Entstehung von Texttypen innerhalb der Weltgeschichte der »Literatur«, die Ontogenese ... sich auf die wachsende Textkompetenz der Kinder aller Kulturbereiche“ bezieht, während „(2a) die zweite textgenetische Grundhypothese ... besagt, daß umgekehrt der pathogene Abbau der Textkompetenz der genetisch aufgebauten Reihung (nach 1a) in umgekehrter Reihenfolge entspricht, und zwar wiederum im »Individual«- als auch im »Stammbereich«“, so daß Kochs „vorläufige grobe Unterthese zu 1a ist ..., daß die Textsemantik bezüglich der Abbildung außerlinguistischer Modelle bestimmt ist durch ein »Bewußtwerden« der Welt vom sprachlichen Modell aus, d.h. daß der genetische Aufbau der Textkompetenz - phylo- wie ontogenetisch - etwa der metagenetischen Ordnung folgt: »L-Modell ( [Reime, Rätsel usw.: Abbildungen, Übungen von linguistischer Struktur]) - SEM-Modell (im L-Modell: [Fabeln: Abbildungen, Übungen von Semiotisierungsmerkmalen]) - SZ-Modell (im L-Modell: [Märchen: Abbildungen, Übungen von soziologischen Regeln]) - PX-Modell (im L-Modell: [Legenden o.ä.: Abbildungen, Übungen von Strukturen des Lebendigen und seiner Enstehung]) - PH-Modell (im L-Modell: [Mythen: Abbildungen, Übungen von Theorien über die materielle Entstehungsmatrix von Strukturen überhaupt, Kosmogonien usw.])“ (**), dann kann man sich auch nicht wundern über den schon im Kapitel zuvor geäußerten Satz Kochs: „Das Gesamtverhalten der Welt kann Stadien aufweisen, in denen es jeweils eines der höheren Systeme verliert (erst M, dann L usw.), nur gewisse Grundsysteme in PH können letzlich nicht verlorengehen.“ (**). Das, was zuletzt aufgebaut worden ist, wird z.B. im Falle der Aphasie, wie Jakobson herausgefunden hat, zuerst abgebaut - und vielleicht nicht nur im Falle der Aphasie, sondern auch im Falle anderer Pathologien oder der sowohl ontogentischen als auch phylogenetischen Vergreisung (Degeneration, Demenz, Dekadenz u.ä.).
  Genese/Aufbau
(metagenetischer Textkompetenz-Abbau)
|| Metagenese/Abbau
(genetischer Textkompetenz-Aufbau)
Relative
Geschlossenheit
          M          
        L L L        
          SEM SEM SEM SEM SEM      
    SZ SZ SZ SZ SZ SZ SZ    
Relative
Offenheit
  PX PX PX PX PX PX PX PX PX  
PH PH PH PH PH PH PH PH PH PH PH
==============================================================> Zeit
Bei Koch ist aber auch zu lesen, daß „(2a) die zweite textgenetische Grundhypothese ... besagt, daß umgekehrt der pathogene Abbau der Textkompetenz der genetisch aufgebauten Reihung (nach 1a) in umgekehrter Reihenfolge entspricht, und zwar wiederum im »Individual«- als auch im »Stammbereich«“ (**), so daß Kochs „vorläufige grobe Unterthese zu 1a ist ..., daß die Textsemantik bezüglich der Abbildung außerlinguistischer Modelle bestimmt ist durch ein »Bewußtwerden« der Welt vom sprachlichen Modell aus, d.h. der genetische Aufbau der Textkompetenz - phylo- wie ontogenetisch - etwa der metagenetischen Ordnung folgt“ (**), was wiederum bedeutet, daß der genetische Aufbau der Textkompetenz sich von der relativen Geschlossenheit zur relativen Offenheit vollzieht. Also muß der metagenetische Abbau der Textkompetenz - phylo- wie ontogenetisch - etwa der genetischen Ordnung folgen, d.h. sich von der relativen Offenheit zur relativen Geschlossenheit vollziehen. Dies zuletzt Gesagte auf das L-Modell bezogen bedeutet, daß dieser Abbau bei den N-Texten bzw. den N-Textemen beginnt und bei den Phonen (Lauten) bzw. den Phonemen endet (vgl. die entsprechenden Abildungen).
  L-Genese/L-Aufbau
(metagenetischer Textkompetenz-Abbau)
|| L-Metagenese/L-Abbau
(genetischer Textkompetenz-Aufbau)
Relative
Geschlossenheit
         
R., G., P.
         
       
Mo., M.-Ref., -Sem., -Rep., -G., -P.
       
         
Logem/Lexem, L./L.-Ref., -Sem., -Rep., -Gr., -Ph.
     
   
Syntaktem, S.-Referem, Semem, -Repräsentem, -Graphem, -Phonem
   
Relative
Offenheit
 
N-Textem, Bitextem, Textem, T.-Referem, Semem, -Repräsentem, -Graphem, -Phonem
 
Arbiträrste Zeichen (Texte), arbiträrste Refereme (Bezeichnete), arbiträrste Repräsenteme (Bezeichnende)
==============================================================> Zeit

Der Abbau von Textkompetenz kann auch diktiert werden. Ein Beispiel: Eine politische Opposition soll verboten werden. Der Bezug zum Bezeichneten ist durch die Geschichte gegeben (Referem: Opposition existiert, zumindest den Massenmedien zufolge), das Bezeichnende ebenfalls (Repräsentem: bestimmte Symbole oder/und Ikone der Opposition). Dann werden all diejenigen Texte (N-Texteme, Bitexteme, Texteme), deren Refereme, Sememe, Reprsäsenteme, Grapheme und Phoneme verraten, daß die Opposition unterstützt werden soll, verboten. Dies auf die Textebene bezogene Verbot dehnt sich auf die Satz- (Syntkatem usw.) und die Wortebene (Logem/Lexem usw.) aus und kann sogar noch weiter in Richtung der relativen Geschlossenheit gehen, d.h. sogar bestimmte Morpheme mit ihren Referemen, Sememen, Reprsäsentemen, Graphemen und Phonemen können von diesem Verbot betroffen werden (das geschieht auch, obwohl selten, aber dennoch schleichend und dann auch zunehmend) und folglich auch die letzten Bausteine, die Grapheme einerseits und die Phoneme andererseits, obwohl beide jeweils nur bedeutungstragend und nicht bedeutungsunterscheidend sind, doch weil sie die Bausteine aller anderen, offeneren Formen sind, ist es durchaus möglich, daß auch sie vom Verbot betroffen werden (die Geschichte hat das gezeigt). Frei vom Verbot, frei von Krankheit, Mutation, Revolution, Destruktivismus, Nihilismus ist nichts.

In einer vergreisenden Kulturgemeinschaft wird auch zuerst das abgebaut, was Koch mit „M“ meint, und erst danach auch (Teile von) „L“, „SEM“, „SZ“, „PX“; und im Falle der von Koch angesprochenen Stadien der Welt kann auch vieles, aber nicht alles von „PH“ verschwinden. Der Abbau in der abendländischen Kultur geschieht schon seit mittlerweile längerer Zeit unter Zuhilfenahme von Philosophien (v.a. Ethik), Theologien, Theorien, Ideologien (also: M), dann z.B. von Ethikerlassen oder Gesetzestexten ( ), auch von rein linguistischen Sprachregelungen (= L []), z..B. die Verkümmerung der Grammatik im Bezug auf N-Text, Bitext, Text (vgl. z.B. Orwells „Neusprech“ mit Auswirkungen auch auf die folgenden Bereiche), Syntax (vgl. z.B. die Verkümmerung von Relativsätzen), Lexikologie (Lexeme bzw. Logeme, also Wörter und Wortarten, und zwar z.B. solche, die zum Verschwinden gebracht werden [wie z.B. Präpositionen und Artikel {vgl. z.B. „ich geh’ Tankstelle“}, wobei die grammatischen Kategorien wie Kasus und Numerus ebenfalls verkümmern], oder solche, die durch Lehnwörter ersetzt werden [z.B. bestehen deutsche Werbesprüche {„Slogans“} von Unternehmen fast nur noch aus englischen Lehnwörtern, und die deutschen Vornamen sind in der Zeit von den 1960er Jahren an bis zu den 1990er Jahren, also in nur etwa einer Generation (!), sogar ganz verschwunden], Morphologie (hier sind die Zerstörer [künstlerisch bejahend „Destruktivisten“ oder völlig euphemistisch „De»kon«struktivisten“ genannt] immer noch in der Versuchsphase {Gott sei Dank}) bis hin zu Rechtschreibreformen usw., wobei tatsächlich die zuletzt aufgebauten Formen zuerst abgebaut werden, d.h.: Phoneme sind noch gar nicht betroffen, Morpheme nur versuchsweise, Wortstämme noch relativ selten, aber eher selten gebrauchte Wörter (Lexeme/Logeme), die ja lang bleiben (während oft gebrauchte Wörter kürzer werden), schon öfter, Syntakteme sehr viel öfter, Texteme, Bitexteme und N-Texteme (man denke nur z.B. an Formen der „politischen Korrektheit [natürlich aus dem Englischen kommend {„polical correctness“ oder nur kurz »pc«}], überhaupt an all die Anglizismen und an die sich euphemistisch „kritische Theorie“ nennende Text-Diktatur und Gedankenpolizei namens „Frankfurter Schule“,
„Wenn du wissen möchtest,
wer dich regiert, dann frage dich,
wen du nicht kritisieren darfst.“
(François Marie Voltaire)
die alles kritisiert, besonders diejenigen, die auch einmal kritisieren wollen [**]) sogar schon sehr häufig, nämlich am häufigsten innerhalb von L. Gesamtkulturell beginnt dieser Abbau, wie gesagt, bei M (bezogen auf die Einrichtungen: in Universitäten, Schulen, Kindergärten, Kindertagesstätten [letztere noch relativ neu - aus eben genau jenem Grunde] und andere, angeblich für die Bildung zuständige Anstalten), weil M metagenetisch vor L, genetisch hinter L liegt, also später aufgebaut worden ist und folglich früher abgebaut wird, d.h. für unseren Fall (und immer, wie gesagt, bezüglich der Regel, daß zuletzt Aufgebautes zuerst abgebaut wird): zuletzt aufgebaute Mathematiken, Philosophien (v.a. Ethiken), Theologien, Theorien, Ideologien u.ä., wobei entweder nur Teile von ihnen oder sogar sie selbst ganz verschwinden - je nach Fall (und in unserem Fall - der abendländischen (= faustischen) Kultur ist das mehr als bei allen anderen zuvor zusammengenommen, denn die Folgen ihres Abbaus betreffen auch den Rest der Welt, weil die abendländische Technik die gesamte Welt verzaubert hat). Koch berichtete 1973-1974 auch, daß die Linguistik sich immer mehr der Lingualpathologie und - umfassender - der Sprachpathologie zugewendet habe. Seit Haeckel, Jakobson kann man wissen, daß Aufbau und Abbau in Wiederholungs- und Spiegelungsbeziehungen stehen, und seit dem sich in dieser Hinsicht auf Haeckel und Jakobson stützenden Linguisten Koch kann man wissen, daß der genetische (evolutionäre, geschichtliche) Aufbau dem metagenetischen (revolutionäre, mutative) Abbau - z.B. eben der Textkompetenz - entspricht. Das Abwärts der Genese ist ein Aufwärts der Metagenese - und umgekehrt. Metagenetiker sind Revolutionäre - immer willkommener für jede Art von Umstürzlern, Nihilisten, Zerstörern, Destruktivisten, je länger der Abbau der Genese dauert. Die Hinwendung zur Pathologie ist mittlerweile in fast jeder Wissenschaftsdiziplin zu finden - kein Zufall in einer erkrankten bzw. vergreisenden „Gesellschaft“, die früher noch eine Gemeinschaft war und selbstverständlich auch so genannt wurde. Der Wille zum Zerstören, zum Nihilismus, zum Krankmachen, zum Krankreden, zum Krankerklären, zum Krankdiagnostizieren, zur sehr viel Gewinn bringenden Noch-nicht-tot-aber-doch-sehr-krank-und-alt-Ware usw. ist im Abendland und seinen Ablegern mittlerweile überall zugegen. Was wird sein, wenn diese Kultur nicht mehr da sein wird? Nur ihr haben wir das, was wir den „Fortschritt“ zu nennen gewohnt sind, haben seit Ende des 18. Jahrhunderts mehr als 90% (etwa 94-97%) der seitdem auf der Erde befindlichen Weltbevölkerung ihre Existenz zu verdanken. Was also wird sein, wenn die einzig von der abendländischen (faustischen) Kultur erfundene, entwickelte und über den gesamten Globus verbreitete Technik nicht mehr da sein wird, weil sie niemand mehr verstehen und anwenden können wird? Im Vergleich dazu sind die anderen Beispiele, die die Geschichte überliefert, sehr harmlos und dennoch auch schon bemerkenswert. So war z.B. nach dem Untergang der apollinisch-antiken Kultur von ihrer Mathematik, Philosophie, Theologie (Kosmogonie) u.ä. nichts mehr da, auch das Wissen um gewisse Techniken (z.B. den Bau von Aquädukten) nicht mehr.
Aquädukt
Die lateinische Sprache hielt sich als Verkehrssprache bis in die frühe Neuzeit und in abgewandelter Form als Sprache der „römisch“-katholischen Kirche (Kirchenlatein) sogar bis heute. Die Umstände („Situationen“ bei Koch genannt) spielen eine große Rolle bei der Entscheidung, was und wieviel den Abbau übersteht oder nicht.

Da jede Wissenschaftsdisziplin - ich wiederhole: jede (!) - primär mit Zeichen, also mit Sprache zu tun hat und ohne sie gar nicht wissenschaftlich sein könnte, müssen auch Kochs Modelle ein wenig kritisert werden.
PH => PX => SZ => SEM => L => M (Genese [vor der Metagenese]) M => L => SEM => SZ => PX => PH (Metagenese) PH => PX => SZ => SEM => L => M (Genese [nach der Meteagenese]).
Das ist die Reihenfolge, die zur richtigen Erkenntnis führt, wie Koch richtig erkannt hat. Denn der Genese vor der Metagenese fehlt noch die Metagenese, der Metagenese fehlt noch die Genese nach der Metagenese, um das tun zu können, wofür sie doch da zu sein scheint: für die Erkenntnis. Gut. Alle Wissenschaftsbereiche sind und bleiben auf Sprache bezogen, kommen an ihr nicht vorbei, und darum müßten sie alle in ihren Bezeichnungen, ihren Modellnamen, den Kürzeln, immer ein L, meistens auch ein M und ein SEM in oder bei sich tragen, denn das alleinige Sein von z.B. Sonnen, Atomen, Elementarteilchen (PH), Lebewesen (PX) und deren Gruppen (SZ) ist nur erkennbar durch Zeichen, nicht durch Statik, sondern durch Dynamik, und diese Dynamik zeigt uns eine Veränderung oder mehrere Veränderungen, und dieses Zeigen gehört zu dem, was Zeichen bedeuten. Man kann keine Atome erkennen, wenn sie sich nicht - in welcher Form auch immer - bewegen, Zeichen von sich geben. Wenn sich etwas nicht veränderte, wäre es gleich und also nicht existent, es gäbe nichts, weil man gar nichts erkennen könnte. Man braucht also für die Erkenntnis die Veränderung, d.h. einerseits (A1) Zeit und (A2) Raum und andererseits (B1) Zeichen, (B2) Objekte und (B3) Subjekte (in dieser und keiner anderen Reihenfolge), was zusammen die Geschichte (Historie, Evolution, Kosmogenese, kurz: jede Entwicklung) ergibt, wobei die Zeichen es sind, die als Bezeichnende das zu Bezeichnende bezeichnen (wodurch das zu Bezeichnende zum Bezeichneten wird), selbst dann, wenn die Rollen vertauscht würden, und das Bezeichnete (Objekt) zum Bezeichnenden (Zeichen) werden würde und der Deuter (Subjekt) zum Bezeichneten (Objekt) werden würde, um dann vielleicht seinerseits zum Zeichen zu werden. Nur dann, wenn die Zeichen die Hauptrolle spielen, ist es möglich den Subjekt-Objekt-Dualismus zu zähmen, wenn auch nicht abzuschaffen. Geht man umgekehrt vor, sind die Fehler vorprogrammiert und deren Anzahl viel größer als die, die die Zeichenwissenschaft (Sprachwissenschaft), Zeichenerkenntnis (Spracherkenntnis), Zeichenphilosophie (Sprachphilosophie) usw. herbeiführen kann und nicht selten auch herbeiführt.

So wie in der Linguistik nicht unbedingt in Sätzen das Subjekt vorne (Subjekt-Prädikat-Objekt) und damit im Vordergrund stehen muß (in Chomskys Konstituentenstrukturgrammatik [Phrasenstrukturgrammatik] besteht ein Satz aus Nominalphrase [NP] und Verbalphrase [VP] und ihnen untergeordneten Phrasen wie z.B. Präpositionalphrase [PP], wobei der Strukturbaum die Nachbarschaftsbeziehungen bzw. das hierarchisch gegliederte Miteinandervorkommen abbildet [vgl. auch Phrasenstrukturregeln der GTG] und m.E. die zwar nicht aus der Theorie, wohl aber aus den Daten gewonnenen Ergebnisse eine Deutung in Richtung auf die Bevorzugung des „klassischen“ Subjekts leider wieder zulassen), sondern auch das Prädikat, das Verb (vgl z.B. die Verbvalenz in der Valenzgrammatik, einer Art Dependenzgrammatik), im Vordergrund stehen kann oder im Hauptinteresse sein kann, ja sogar nicht unbedingt die Satzlinguistik das Hauptgebiet der Linguistik sein muß, sondern auch der Text es sein kann und mittlerweile oft auch ist (z.B. eben auch beim Linguisten Koch), so muß auch der Mensch als Subjekt in dieser Welt nicht das Zentrum der Wissenschaft sein, sondern sollte es die Sprache, sollten es die Zeichen sein - der Mensch als das Subjekt, das verobjektivierte Subjekt oder das Objekt rückt dem ja sowieso gleich hinterher. Wissenschaft ist hauptsächlich Zeichenwissenschaft, und Zeichenwissenschaft ist Sprachwissenschaft.

Diese, meine Deutung ist nicht neu; sie war bereits im Mittelalter und nach Unterbrechungen auch im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, nach erneuter Unterbrechung besonders im 20. Jahrhundert angesagt, erreichte sogar eine „Linguistische Wende“ (**|**), wurde aber später, weil die Geschichte auch zyklisch und dialektisch ist, mit Schimpfwörtern wie z.B. „Symbolismus“ bekämpft und allmählich zurückgedrängt. Jede Geschichte ist ein Kampf um Anerkennung, um Macht, um die Mittel zur Macht usw., und deshalb kann es auch kein Ziel im Sinne eines „Wir-wissen-jetzt-alles-Ideals“ oder einer „Wir-leben-jetzt-im-Paradies-Ideologie“ geben. Es gibt ein Ziel, doch das ist eines, was fast niemanden völlig befriedigt, schon gar nicht für die angestrebte Anerkennung durch Angepaßtheit und also Bequemlichkeit ausreicht, weshalb fast alle lieber einem Ideal oder, was schlimmer ist, einer Ideologie folgen oder einfach tun, was alle tun bzw. was fast alle tun, wodurch sich der Kreislauf schließt, weil ja fast alle lieber einem Ideal oder, was schlimmer ist, einer Ideologie folgen. Ideologie ist Opium für’s Volk.

Das Verstehen eines fremden Subjekts gründet in der mehr oder weniger entwickelten und eingeübten Beherrschung der Konvertibilität des sprachlichen Kodes (**). .... Verstehen bedeutet soviel wie die Beherrschung der Beziehungen, in die ein Zeichen eingebettet ist.“ (Elmar Holenstein, Linguistik, Semiotik, Hermeneutik, 1976, S. 142, 147).


Wenn man Zeichen wirklich ernst nehmen will - und gerade Wissenschaftler sollten dies tun wollen und auch tun -, dann kommt man nicht umhin, viele der heutigen Wissenschaftsdisziplinen über Bord zu werfen, weil man sie dann nicht mehr ernst nehmen kann. Die Physiker haben damit keine Probleme, wohl auch die Chemiker nicht, obwohl die sich zumeist mit anderen Fragen beschäftigen, aber schon bei den Biologen ändert sich dies, und zwar aus erklärbaren Gründen. Sie fürchten den Verlust ihrer Untersuchungsgenstände („Objekte“ [die ohne Zeichen nichts sind, wie gesagt]), ihrer Zuständigkeiten und vor allem des ihnen von ihren Forderern und Förderern gegebenen (zuvor von den Steuerzahlern geraubten) Geldes für die Forschung. Denn sachlich (eben: objektiv) gibt es an meiner Deutung der Zeichen und vor allem an der darin enthaltenen Bewertung keinen Fehler.
SystemikSystematik
Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
Die Mächtigsten dieser Welt wollen keine Erkenntnis im allgemeinen bzw. erkenntnistheoretischen, wissenschaftstheoretischen bzw. philosophischen Sinne, sondern lediglich diejenige Erkenntnis, die ihnen dazu verhilft, ihre Macht zu erhalten und, da diese Erhaltung nicht ausreicht, auszudehnen. Es gibt keine vom Geld und also von den Mächtigsten dieser Welt unabhängige Wissenschaft mehr. Eine Wissenschaft, die primär Zeichen untersucht, ist freier und darum eben auch wirklich wissenschaftlicher als die, die Zeichen nur sekundär oder gar nur tertiär untersucht oder etwa gar nicht beachtet (ist letzteres überhaupt möglich? [ {}]). Eine Wissenschaft, die „verobjektivierte“ Subjekte untersucht, hilft den Mächtigsten dieser Welt kräftig dabei, völlig eingeschüchterte Untertanen (lat.: „subiecti“) zu züchten, die immer wirksamer kontrolliert werden können. Eine primär Zeichen untersuchende Wissenschaft ist weniger subjektiv, mehr objektiv (weil eben primär auf Zeichen - nämlich auf die Zeichen als Objekte und die Zeichen der Objekte und erst danach auch die der zu „verobjektivierenden“ Subjekte () - bezogen), kaum bis gar nicht der Kontrolle unterzogen, also fast absolut frei, solange sie sich nicht von außen beeinflussen läßt (wogegen sie sich aber zuletzt nicht mehr wehren kann, wie die Geschichte zeigt). Eine fast absolut freie Wissenschaft gab es nur in ihrer Hochzeit. Trotzdem bleibe ich bei meiner Forderung: Die Wissenschaftler müssen wieder mehr von den Zeichen ausgehen und sie an erster Stelle verteidigen. ** ** ** ** **

Kulturlebensformel ?

Der 1937 geborene Elmar Holenstein beabsichtigte in seinem 1976 erschienen Buch Linguistik, Semiotik, Hermeneutik (Plädoyers für eine strukturale Phänomenologie), das eine Zusammenstellung von acht Aufsätzen aus den Jahren 1973, 1974 und 1975 enthält, „zum einen .... in der Zeit eines wiedererstarkten wissenschaftsgeschichtlichen Bewußtseins, die gänzlich verschütteten historische Abhängigkeiten der Linguistik und Semiotik von der Phänomenologie Husserls und dessen philosophischen Vorfahren freizulegen; zum anderen ... über die Schlüsselposition, die der Linguistik im Konzept der Wissenschaften zukommt, der auf dem europäischen Kontinent weitgehend erstarrten phänomenologischen Philosophie wiederum Anschluß zu verschaffen an die neuen Forschungsfronten in den Humanwissenschaften.“ (Klappentext).

Alles Sprachliche (Zeichenhafte) hat ein Eigenleben. - Im 19. Jahrhundert wurden nur kausale und genetische Erklärungen als wissenschafliche Leistungen anerkannt. „Dem vorherrschenden Ideal der empirizistischen Naturwissenschaft der damilgen Zeit entsprechend versuchte man, die Psychologie gleichfalls als eine empirisch erklärende Tatsachenwissenschaft zu fassen, Den naheligendsten Weg dazu bot die Reduktion alles Psychischen auf die es fundierenden physiologischen Prozesse. In der Folge dieser Reduktion erfuhren auch sämtliche geistigen und kulturellen Phänomene eine in letzter Instanz physiologische Erklärung.“ (Ebd., S. 24). Das konnte natürlich nicht funktionieren, auch nicht auf Dauer per Dogma durchgehalten werden. Friedrich Ludwig Gottlob Frege, der Begründer der modernen mathematischen Logik, der Logistik und der modernen philosophischen Logik (**|**|**), war der erste, der gegen den Psychologismus kämpfte, besonders gegen den in der Logik, so daß er auch noch zum Begründer des Antipsychologismus wurde. Frege wirkte besonders maßgeblich auf z.B. Russel, Church, Quine u.a., ja auf die gesamte angelsächsische Philosophie bis heute, wirkte auf den Wiener Kreis (Neupositivismus), dessen Begründer Schlick war und zu dem sonst noch z.B. Wittgenstein, Carnap, Reichenbach gehörten, und wirkte auch u.a. auf Husserl und Heidegger.

Husserl
„Logische Untersuchungen“ (1900)
Prolegomena und II. Untersuchung V. und VI. Untersuchung I., III. und IV. Untersuchung

1. Strömung

2. Strömung

3. Strömung
Eidetische Phänomenologie Transzendentale Phänomenologie Strukturale Phänomenologie
München-Göttinger
Phänomenologie
Husserlsche
Phänomenologie
Heideggersche
Phänomenologie des Daseins
(Existenzphilosophie)
Prager Strukturalismus
Antipsychologismus, autonome
Phänomene, eidet. Universalien
Französische Phänomenologie als Versuch, Husserls und
Heideggers Phänomenologie wieder zusammenzubringen
Autonome Linguistik,
strukturale Universalien
Autonome Phänomene Korrelation von Subjekt und Objekt Autonome Linguistik
Eidetische Universalien Objektiver Idealismus Subjektiver Dezisionismus Strukturale Universalien
* Es sind hinzuzufügen: (1.) Freges Antipsychologismus oben, weil er eine Voraussetzung für Husserls „Logische Untersuchungen“ ist; (2.) der frz.
    Strukturalismus/Poststrukturalismus, Gadamers „Philosophische Hermeneutik“, Schmitz’ „Neue Phänomenologie“ innerhalb der 2. Strömung unten.
„Husserls Logische Untersuchungen können als Ausgangspunkt von drei ausgezeichneten phänomenologischen Strömungen angesehen werden.“ (Ebd., S. 57). Siehe Skizze rechts. 1. Strömung: München-Göttinger Phänomenologie; 2. Strömung: Transzendentale Phänomenologie; 3. Strömung: Prager Strukturalismus. Alle drei Strömungen richten sich nach dem von Frege begündeten Antipsychologismus.

„Diese kurze Skizze ist eine Vereinfachung. Sie beschränkt sich auf die Herausstellung der hauptsächlichen Quelle und der vorherrschenden Aspekte jeder der drei Strömungen. Sie soll nicht als eine erschöpfende Charakterisierung mißverstanden werden. Insbesondere ist vor der weitverbreiteten Meinung zu warnen, der Strukturalismus setze sich über das Hauptanliegen der transzendentalen Phänomenologie (siehe 2. Strömung in der Skizze; HB), die immanennte Korrelation von Subjekt und Objekt, positivistisch hinweg. Der subjektive Pol der Konstitution ist im Strukturalismus nicht abwesend. Was der Strukturalismus verwirft, ist allein der »Egozentrismus« der klassischen Transzendentalphänomenologie. Nicht anders als Husserl selber in seinen späteren Jahren befaßt sich der Strukturalismus vorab mit dem unbewußten und mit dem intersubjektiven Charakter der Subjektivität der sprachlichen Konstitution.“ (Ebd., S. 58-59)

„Abgesehen von elementaren und primitiven Erkenntnissen, die als solche freilich grundlegend sind, beruht alles Wissen auf einer Interdependenz von intuitiven und semiotisch (also: sprachlich! HB) vermittelten Erkenntnissen.“ (Ebd., S. 148).

„In der heutigen Wissenschaftsphilosophie kommt zur kognitiven Funktion der Zeichen deren planifikatorische Funktion hinzu. Zeichen dienen der Planung und Steuerung von Handlungen. Mit den kybernetischen Wissenschaften ist es einer semiotischen (also: sprachlichen! HB) Disziplin gelungen, das Verhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zum ersten Mal seit dem Beginn der Neuzeit umzukehren und mit Erfolg naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen ein humanwissenschaftliches (also: geisteswissenschaftliches; HB) Modell zu unterschieben.“ (Ebd., S. 148).

„Husserl beginnt mit einer Philosophie der Arithmetik (1891), die als die gründlichste Studie zu der von Locke und Leibniz inaugurierten semiotischen Konzeption der Zahlbegriffe angesehen werden kann. Zur Verblüffung seines Lehrers Franz Brentano und wohl auch heute noch eines jeden, der von der erkenntnispraktischen Bedeutung der Zeichensysteme eine Ahnung hat, kehrt er sich neun Jahre später in seinen Logischen Untersuchungen (1900) einer platonisch anmutenden Erkenntsnistheorie zu, deren ausschließliches Interesse in einer unvermittelten Einsicht in das Wesen von Sachen und Sachverhalten liegt. Gegen Ende seines Lebens schließlich verfaßt er einen allusionsreichen Essay, der bei der posthumen Publikation (1939) den Titel »Vom Usprung der Geometrie« erhält. In ihm sieht er den Wissensfortschritt, wie er von hochentwickelten Wissenschaften wie der Mathematik geleistet worden ist, unumgehbar gebunden an eine sukzessive Semiotisierung und damit der unmittelbaren Evidenz entzogenen Sedimentierung der vorangehenden intutiven Erkenntnisschritte. Die Position dieser Spätschrift ist eine Entfaltung und Ausweitung der Ausgangsposition.“ (Ebd., S. 158-159).
Ich bejahe Holensteins Frage größtenteils: „Ist alle Erkenntnis semiotisch vermittelt ...?“ (Ebd., S. 158). Somit verneine ich dessen zweite Frage größtenteils: „Oder gibt es Regionen, die der Wahrnehmung z.B., die uns unmittelbar zugänglich sind?“ (Ebd.). Ich würde nur für das Wort „semiotisch“ das Wort „sprachlich“ einsetzen, weil dadurch mehr zum Tragen kommt, daß die Sprache (i.w.S.!) der Oberbegriff für alles Zeichenhafte und die Semiotik nur ein Teil davon ist - so wie auch z.B. die Kommunikation oder die Mathematik oder das Denken.  –  Holenstein zufolge unternahm Husserl eine dreifache Unterteilung der Erkenntnis: (1.) Intuition, (2.) (Gestalt-)Psychologie, (3.) Semiotik. „Auch in der Philosophie der Arithmetik huldigt Husserl keinen absoluten Semiotismus. Es gibt von den Zahlen eine dreifache Weise der Erkenntnis. Die kleinsten ganzen Zahlen (nach 1891: 250, im besten Fall die Zahlen bis zwölf) sind uns in einer unmittelbaren Intuition zugänglich. Die Genesis dieser direkten Zahlvorstellung ruht freilich auf der sinnlichen Wahrnehmung von Gegenständen auf. D.h. es gibt eine Erkenntnis ohne Vermittlung von Zeichen, es gibt jedoch keine Erkenntnis ohne eine sinnliche Unterlage, auf die sie sich anfänglich beziehen kann. In dieser Hinsicht ist die Rede von einer unvermittelten Intuition von idealen Gegenständen, wie es die Zahlen sind, zu relativieren. Allerdings spielt weder die Beschaffenheit noch die räumlich-zeitliche Anordnung der sinnlichen Substrate eine konstitutive Rolle. Sind die Zahlenbegriffe einmal abstrahiert, wird die sinnliche Grundlage entbehrlich. Größere Zahlen bedürfen zu ihrer Konstitution, wie dargelegt, einer systematischen semiotischen Vermittlung. - Zwischen der intutiven und der semiotischen Erfassung der Zahlen gibt es noch eine mittlere Weise der Zahlerkenntnis. Ihr Anhalt ist ein figürliches Moment oder, wie der bekanntere gestaltpsychologische Term lautet, eine Gestaltqualität.
Baumallee (gezeichnet von Oswald Spengler)
Indischer Säulengang
Starenschwarm
Wie wir eine Vielfalt von konkreten Gegenständen, etwa eine Allee von Bäumen, eine Kolonne von Säulen, einen Schwarm Vögel, ohne einen Akt der Abzählung unmittelbar über eine spezifische Gestaltqualität als eine Vielheit erfassen, so können wir auch Zahlenmengen aufgrund eines figuralen Moments abschätzen. Eine sichere Abschätzung kommt nach Husserl jedoch in der Regel nicht über eine fünfgliedrige Menge hinaus. Nach anderen Autoren soll die erreichbare Grenze im Durchschnitt bei zwanzig liegen, ja bei besonderen Gegenständen, wie z.B. beim Würfel- oder Dominospiel, sollen von geübten Personen bis zu vierzig Einheiten mit einem Blick erfaßbar sein. Die figuralen Momente gehören zum psychologischen Gehalt der Zahlvorstellungen, während die semiotische Erfassung auf ihrem logischen Gehalt basiert (Husserl, 1891: 244 f., 287 ff.).“ (Ebd., S. 159-160). Nach meinen Dafürhalten machen die Intuition (=> 1.) und die Semiotik (=> 3.) und also die Sprache allein die Erkenntnis aus, brauchen dazu somit keine „mittlere Weise“, d.h. keine „(Gestalt-)Psychologie“ (=> 2.). Jede Gestalt ist ein Zeichen, also Teil der Sprache!

„Die Verschränkung von unmittelbar intuitiver und semiotisch (also: sprachlich! HB) vermittelter Erkenntnis gilt meiner Meinung nach nicht nur für hochentwickelte Wissenschaften, sondern bereits schon für die Gebiete der Wahrnehmung und der körperlichen Handlung .... - Ohne Projekt, ohne zeichenhafte Vorwegnahme, sind wir nur zu extrem simplen Handlungen fähig, zu solchen, die durch Reflexe oder durch Assoziation von den jeweiligen Gegenständen der Wahrnehmung ausgelöst werden. Eine experimentelle Untersuchung mit sprachbehinderten Kindern ... zeigt eindrücklich, wie sinnvolle Handlungsabläufe von einer gewissen Dauer erst möglich werden, wenn die Kinder fähig sind, ein Projekt - im untersuchten Fall sprachlich - zu formulieren. Die Handlung wird zu einer stufenweise Entfaltung eines Planes. Die einzelnen Gegenstände sind nicht mehr beliebig dieser oder jener Handlung ausgeliefert, je nach dem momentanen Zusammenhang, in dem sie im Gesichtsfeld des Kindes auftauchen. Sie behalten vielmehr eine bleibende Bedeutung die ganze Handlungsperiode hindurch. Ihre Bedeutung ergibt sich nicht aus der unmittelbaren Handlungsphase, sondern aus dem Gesamtprojekt. (Klötze werden z.B. nicht weggeräumt, weil ihr Wegwerfen an sich Spaß macht, sondern um für einen Bahnbau Platz zu schaffen.) Der Handlungsablauf wird fortwährend im Hinblick auf das Projekt geprüft und bewertet. (»Ist der Tunnel innen dunkel?« »Nein, zu wenig dunkel!« u. dgl..) - Wie weit Wahrnehmungen semiotisch vermittelt sind, ist weniger eindeutig festzustellen. Der Unterschied in einer Bildbeschreibung - das sprachlich unterentwickelte Kind begnügt sich mit der Benennung von einzelnen Gegenständen, sein sprachtrainierter Zwilling gibt Beschreibungen von Sachverhalten, die er wahrnimmt - braucht nicht einen Fortschritt in der Wahrnehmung anzuzeigen. Was er in erster Linie bezeugt, ist ein Fortschritt in der Beherrschung der Beschreibungsmittel. - Der Gewinn, den die sprachliche Prädikation und ebenso die algebraische (ebenfalls sprachliche! HB) Gleichung mit sich bringt, liegt weniger in der getreuen Bestandsaufnahme der Wahrnehmung als vielmehr in der von ihr ermöglichten Loslösung von der Wahrnehmung durch die Transformation ihrer Struktur und die Variation ihrer Elemente. Statt »Christopherus trägt das Kind« kann ich sagen »Das Kind wird von Christopherus getragen«, statt »über den Fluß« kann ich ersetzen »über die Straße«. Was die semiotische Formulierung für die Wahrnehmung leistet, so kann vermutet werden, ist passiv eine größere Aufgeschlossenheit für unvorhergesehene Variationen und aktiv eine Anregung zu einer eigenmächtigen Modifikation des Wahrnehmungsfeldes. - Wenn wir an der Einsichtigkeit unseres Zeichengebrauchs festhalten wollen, ist eine transzendentale, d.h. erkenntnisphänomenologische Transformation der Semiotik ein nicht weniger dringliches Postulat als die Möglichkeit einer semiotischen Transformation der Transzendentalphilosophie. .... Die Deamarkationslinie zwischen einer rein intuitiven und eine semiotisch-linguistisch vermittelten Konstitutionsleistung ist in all diesen Gebieten erst noch zu suchen. Vieles deutet auf eine sehr weit zurückliegende Grenzlinie.“ (Ebd., S. 162, 163-164, 165).

„Nicht jede Handlungsantizipation braucht, bevor sie automatisiert wird, die Gestalt einer Vorstellung zu haben. Bei Liepmanns Patienten (Apraxie-Patienten; HB) ist nach Merleau-Ponty eine motorische Intentionalität defekt, die er als ein »Zur-Welt-Sein« beschreibt. Nach meiner Meinung verzichtet man mit einem Gewinn an Sachlichkeit auf die existentialphilosophische Terminologie.“ (Ebd., S. 166).

„Zusammengesetzte Zeichen versteht, wer die Regeln beherrscht, nach denen sie ineinander übersetzt werden können, wer die Beziehungen beherrscht, die zwischen den einzelnen Elementen eines Zeichensystems walten. .... Intralinguale Transformationen sind nicht anders als interlinguale Übersetzungen meistens leicht bedeutungsverschiebend. Für das volle Verständnis eines Satzes genügt entsprechend nicht die bloße Beherrschung aller möglichen Transforamtionen. Das volle Verständnis weist sich durch die Kompetenz zu kommentierenden Angaben aus, inwieweit solche Transfomationen bedeutungsverschieden sind, bzw. durch den sitauationsgemäßen Gebrauch der Transformationen.“ (Ebd., S. 168).

Systeme gemäß meiner Theorie:
Systeme Systeme
„Seit dem Beginn der Neuzeit hatten die Naturwissenschaften die Führung in der Wissenschaftstheorie übernommen. Sie waren es, die ihre Modelle auch den Geisteswissenschaften aufdrängten. Mit der Planungs- und Steuerungsfunktion der Zeichen ist es einer semiotischen Disziplin als erster Geisteswissenschaft gelungen, das Fundierungsverhältnis umzukehren und einer ganzen Reihe von naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen ein geisteswissenschaftliches Modell zugrundezulegen. Der Umbruch hatte eine befreiende Rückwirkung auf die Geisteswissenschaften selber. Die Überholung des Behaviorismus durch die Kognitive Psychologie erfolgte nicht zuletzt unter dem Einfluß der Computerwissenschaften (Neisser, 1967: 8 f.). Ihre hochdifferenzierte, nichtmechanische Konzeption einer Maschine erwies sich als aufschlußreiches Modell für die Aktionsweise des menschlichen Geistes (ja, des Geistes, aber eben nicht der Psyche; HB), von dem sie in groberer Form ursprünglich übernommen worden war. Computer sind physikalische Systeme, deren Ingangsetzung nicht nur zu Prozessen führt, die als physikalische Leistungen in einer physikalischen Sprache beschrieben werden können. Sie zeitigen auch Prozesse, die als Informationsverarbeitung und als Handlungssteuerung in einer geisteswissenschaftlichen Sprache beschrieben werden können. Analog wie in der Lautlehre zwischen der Phonetik, die sich mit den physikalischen und physiologischen Eigenschaften der Laute befaßt, und der Phonem(at)ik, die es auf ihre linguistische Funktion abgesehen hat, unterschieden wird, muß man auch in den Computerwissenschaften zwischen einer etischen Disziplin, die sich mit den physikalisch-mechanischen Prozessen des Computers befaßt, und einer emischen Disziplin, die es auf seine rechnerischen Leistungen abgesehen hat, unterscheiden.“ (Ebd., S. 171-172).

„Es ist freilich im Auge zu behalten, daß die Informationsübermittlung bei sich selbst regulierenden Systemen mit durch und durch mechanischen Mitteln vorgenommen wird. Revolutionär ist allein die ganzheitliche, teleonomische Konzeption der Funktion dieses, für sich isoliert betrachtet, mechanisch-kausalen Informationsprozesses. Es kommt noch ein zweites »freilich« hinzu. Die teleonomischen Prozesse, soweit sie in der Natur selber gefunden werden können und nicht, wie die automatischen Maschinen, menschlicher Produktion entstammen, sind, wie schon erwähnt, nach der vorherrschenden Meinung unter den Biologen ganz und gar zufälligen Ursprungs. Den Geisteswissenschaftler, der an den Primat von Gestalt (Form) und Sinn (Funktion) gegenüber der mechanischen Kausalität glaubt, sollte immerhin trösten - und noch mehr zu denken geben -, daß offenbar doch auch im Reiche der Natur »Kreationen«, die sich durch vollendete Formen und durch hohe Sinnhaftigkeit auszeichnen, anderen Gebilden, die nichts zur vermehrten Ordnung des Kosmos beitragen, überlegen sind. Das Kriterium der Selektion in der vom Zufall in Gang gebrachten Evolution ist die Funktionalität.“ (Ebd., S. 172-173).

Holensteins „vier Phasen einer umfassenden, den Strukturalismus miteinschließenden hermeneutischen Bewegung“
(Einteilung der Phasen nach der jeweiligen Definition des Ganzen, in das Einzelnes als eingebettet angesehen wird)
1. Phase 2. Phase 3. Phase 4. Phase
Dogmatischer Kanon 2 Pole:
Text, geschichtlicher Kontext
3 Pole:
Text, geschichtlicher Kontext, Lebenszusammenhang des Deuters
Polymorpher Kode
Theologie, Philologie Deutungsarbeit , - situation Welthorizont des Deuters Strukturalismus
Bibel, v.a. N.T. (Theologie),
klass. Altertum (Philologie)
Geschichtliche Tatsachen Geschichtliches Verstehen ist relativ, da selbst auch geschichtlich Formale Eigenschaften
von Beziehungen
Eine geschlossene
geschichtliche Einheit
ist nicht gegeben
Hermeneutischer Zirkel bei Schleiermacher (für das Verstehen eines Textes bedarf es eines Vorverständnisses des Zusammenhangs, und für das Vorverständnis muß man schon einzelne Teile verstanden haben) Historischer Relativismus bei Dilhey, ontologischer Unterbau des geschichtlichen Verstehens bei Heidegger (der Mensch kann gemäß seiner ontologischen Struktur gar nicht anders als horizonthaft und relativ zu sein); für Heidegger - und nach ihm auch Gadamer - ist, weil alles Wissen auf Verstehen beruht, die Hermeneutik Philosophie schlechthin und darum die Lehre von der Selbstauslegung des Menschen in geschichtlicher Situation Linguistik als modellhafte Stellung und mit der Schlüsselposition im Konzept aller Wissenschaften
Vorherrschend bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Schleiermacher) Vorherrschend vom Ende des 18. Jahrhunderts (Schleiermacher) bis zum Ende des 19.Jarhunderts (Dilthey) Vorherrschend vom Ende des 19. Jahrhunderts (Dilthey)
bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts (Jakobson)
Vorherrschend von etwa der Mitte des 20 Jahrhunderts (Jakobson) bis ...
‹- - -  ( P r ä h i s t o r i s m u s )  - - -› ‹ - - - - - -  H i s t o r i s c h e   S c h u l e   ( H i s t o r i s m u s )  - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -› ‹- - - ( P o s t h i s t o r i s m u s ) - - -›
„Die gemeinsame Grundregel der Hermeneutik und des Strukturalismus besagt, daß das Einzelne aus dem Ganzen und dieses aus jenem zu verstehen ist. Nach der jeweiligen Definition des Ganzen, in das Einzelnes als eingebettet angesehen wird, lassen sich vier Phasen einer umfassenden, den Strukturalismus miteinschließenden hermeneutischen Bewegung auseinanderhalten. Das Ganze ist in der ersten, vorkritischen Phase ein dogmatischer Kanon, in der zweiten Phase (Schleiermacher) der unmittelbare historische Kontext einer Textstelle, in der dritten Phase (Dilthey, Heidegger) der jeweilge Welthorizont des Interpreten, in der vierten Phase, die im folgenden Eassay dem Strukturalismus (Jakobson, Lévi-Strauß) zugeschrieben wird, ein polymorpher Kode, dessen Basis universal und desssen Aufbau - nach gleichfalls universalen Gesetzen - variabel und zugleich konvertibel ist. Über die dezentrierte Auffassung des Ganzen hinaus unterscheidet sich die strukturalistische Phase radikal von der lebens- und existenzphilosophischen Phase der Hermeneutik durch eine weitere wesentliche Arbeitshypothese: Alle menschlichen Phänomene, auch die affektiver Natur, sind »kodiert«, d.h. kategorial strukturiert und Regeln unterworfen. Sie sind als solche nicht nur einer glückhaften Einfühlung, sondern prinzipiell auch einem rationalen Begreifen zugänglich. Intersubjektive Mißverständnisse lassen sich strukturell und funktional aus einer unterschiedlich vorangetriebenen oder divergierenden Entwicklung des universalen Kodes erklären. Ihre hauptsächlichen Formen sind die (»regelmäßige«!) Reduktion auf den eigenen (Sub-)Kode und die Hyperakkomodation an den fremden (Sub-)Kode.“ (Ebd., S. 176).

„Für die Theorie des Verstehens, die vom Strukturalismus vertreten wird, ist die Struktur des sprachlichen Kodes beispielhaft. Eine sprachliche Mitteilung (es gibt nur sprachliche Mitteilungen; HB) versteht, wer den Kode der betreffenden Sprache beherrscht, d.h. die sprachlichen Elemente und Regeln, nach denen sich die Elemente aufbauen und zu komplexeren Einheiten verbinden lassen. Das Kind erhält diesen Kode bekanntlich nicht fertig ausgebildet in die Wiege gelegt. Es muß ihn sich erst aneignen oder aufbauen. Vor allem drei Eigenschaften des Kodes sind für die Möglichkeit des Verstehens von entscheidender Bedeutung.
1. Der Aufbau des Kodes erfolgt nach strengen Regeln. Diese Regeln lassen sich als Implikationsgesetze formulieren: »B wird nur dann erworben, wenn bereits A erworben ist.« - »Wenn A erworben ist, dann sind außer B auch C und D möglich.« - »Wenn A nicht vorhanden ist, dann ist B nicht möglich.« Usw.. Diese formalen Regeln lassen sich inhaltlich, von der Beschaffenheit der sprachlichen Gegebenheiten her, die sie regeln, begründen. Der Strukturalismus geht davon aus, daß alle menschlichen Phänomene, auch die intimsten, »kodiert« sind, d.h. Regeln und Strukturen folgen. Ohne eine solche Grundannahme wären z.B. die Erfolge der Psychoanalyse nicht möglich gewesen. Das Verstehen reduziert sich bei dieser Einstellung nicht auf eine glückhafte Einfühlung, deren Lebenswert im übrigen nicht bestritten wird, wie sollte er auch! Wo einem Phänomen Regeln zugrundeliegen, da ist das Verstehen als ein »analytisches« Begreifen möglich. Die formale Verwandtschaft aller humanwissenschaftlichen Phänomene ist der Grund, weshalb eine Wissenschaft wie die Phonologie, deren Regeln und Strukturen dank der diskreten Natur ihrer Phänomene besonders augenfällig sind, zur Modellwissenschaft aller Humanwissenschaften gewählt werden könnte.
2. Die Regeln von sprachlichen Kodes sind in einem gewissen Ausmaße universaler Natur. Sie gelten für alle Sprachen.
3. Der Kode des einzelnen Sprechers ist nicht monolithischer Art. An gewissen Punkten im Aufbau des Kodes baut der Sprecher zwei oder mehrere der möglichen Wege aus. In der Folge kann er nach Belieben von einer Variante oder, wie man sich ausdrückt, von einem Subkode zum andern wechseln. Jakobson (1961: 574) bezeichnet daher den sprachlichen Kode, über den der einzelne Sprecher verfügt, als einen »konvertiblen Kode«. Der Ausdruck ist nicht der Finanzwelt entliehen, sondern der Automobilindustrie. Im Englischen nennt man ein Auto, das man zugleich mit oder ohne Dach (als »Cabriolet«) fahren kann, a convertible car. Der Mechansimus der Sprachbeherrschung ist seiner Beschaffenheit nach einem solchen Auto vergleichbar.
Ein simples Beispiel. .... Ich kann einen Bauern, der ein Feld bepflanzt, fragen »Was dönd er setze?« (hoch- oder niederalemmanisches Deutsch, andere Beispiele: »Wat döit hey seaten?« [westfälisches Niederdeutsch], *»Was tut er setzen?«, »Was setzt er?« [Hochdeutsch]; HB) und dabei eine der englischen do-you-do-Form analoge Konstruktion und die zweite Person Plural des Pronomens als Höflichkeitsausdruck gebrauchen. Ebenso leicht kommt mir aber auch die der Hochsprache nähere Form »Was setzid Sie?« über die Lippen.“ (Ebd., S. 183-184).

Im Grunde ist die Sprache schon in den vier Naturkräften (**) angelegt, die nicht zufällig auch „Wechselwirkungen“ heißen, also genausogut bereits „Sprachen“ oder „vier Dialekte der natürlichen Ursprache dieser Welt“ heißen könnten. Es geht bei ihnen um Austausch - genauso wie später bei den menschlichen Sprachen -, und die Austauschteilchen könnte man auch „Ursprecher“ oder „Ursender“ nennen.

Nichts ist in der Welt, was nicht schon in der Natur ist. Genauso wie die Kultur ist die Sprache bereits in der Natur angelegt. Und es kann auch nicht anders sein. Die natürliche, nämlich physikalische Grundlage der gesprochenen Sprache () ist die Phonetik. Mit der Sprache kommt der Widerspruch in die Welt. Auch noch da, wo die Sprache sich schon deutlicher als System zeigt - und das beginnt mit den Lebewesen -, da gehorcht sie noch den Regeln der Natur. Gehorchen, ja, denn die Sprache muß noch selber gehorchen, solange es noch keinen Hörsinn gibt. Mit den höheren Lebewesen kommt auch der Hörsinn in die Welt. Aber erst mit dem Menschen kommt die Sprache, die wir meistens meinen, die linguistische, in die Welt. Erst in dem Menschen kann die Natur ihre Augen aufschlagen und feststellen, daß sie da ist, wie es Schelling so schön formulierte (**). Nun ist ein Wesen in der Welt, daß die Natur zum Untertan machen will und es zum Teil auch schafft.

Schmitz „selber nennt einen Denker, dem er sich - wie keinem anderen - verwandt fühlt und als dessen Erbe er sich selbst
begreift, und das ist Ludwig Klages (
**).“ (Jochen Kirchhoff, Zur Leibphilosophie von Hermann Schmitz, Vorlesung, SS 2000 Kirchhoff).
Schmitz unterscheidet sich aber auch stark von Klages, besonders stark z.B. bezüglich des uns sehr interessierenden und
auch darum hier angesprochenen Themas: Psyche/Psychologismus.      —      Schmitz’ begründete sein Erbe wohl eher so:
„In unserem Jahrhundert hat der Averroismus eine unerwartbare, vermutlich dem Autor selbst nicht bewußte Wiedergeburt
in der Metaphysik von Ludwig Klages erhalten, der die Seele mit einer an die aristotelische Seelendefinition erinnernden
Wendung als den Sinn des Leibes ausgibt und den transzendenten, einzigen Geist von außen einbrechen läßt, nun aber
nicht mehr als höchste Vollendung und Beglückung, sondern als böse, katastrophale Lebensstörung. Klages verteidigt das
unwillkürlich strömende, schauend empfängliche Leben gegen die Willkür geistigen Tuns; abermals tritt in seinem Werk
also der Averroismus in Gegensatz zu der seit Jahrtausenden in der abendländischen Philosophie herrschenden Strömung,
die die Ermächtigung des Menschen gegen seine unwillkürlichen Regungen verlangt und dafür auch den psychosomatischen
Dualismus in Kauf zu nehmen bereit ist.“
(Hermann Schmitz, Leib und Seele in der abendländischen Philosophie, 1978, S. 239 [**]).
Ich meine dennoch, daß Schmitz eher Heideggers Erbe ist und beide die größten Philosophen des 20. Jahrhunderts sind.
Jedenfalls muß der Psychologismus überwunden, die Subjektivität neu, d.h. ohne Berufung auf Innenwelten bestimmt werden (**). Hermann Franz-Heinrich Schmitz, der Begründer der „Neuen Phönomenologie“ (**), geht vom leibhaftigen „In-der-Welt-Sein“ aus (**). In seinem 1964 erschienenen Buch Subjektivität heißt es: „In meiner Analyse des leiblichen Befindens setze ich mir - soviel ich sehe, zum ersten mal in der Weltliteratur - das Ziel, ein abgerundetes Begriffssystem allein auf das Zeugnis des eigenleiblichen Spürens zu gründen, also dessen, was der Mensch, wie man sagt, am eigenen Leibe spürt.“ (**). Schmitz arbeitete ein in 10 Büchern vorliegendes System der Philosophie aus, dessen Basis die Erfahrung der Leiblichkeit und des Augenblicks unmittelbarer Betroffenheit ist. Er setzte bei der ursprünglichen, unwillkürlichen Lebenserfahrung an. Seine Methode ist „Phänomenologie in neuem, empirisch ernüchterten Stil“; sein Grundgedanke ist, daß die „Innenwelthypothese“ Quell aller „Verfehlungen“ des abendländischen Geistes seit der Antike sei (vgl. ders.: Die vier Verfehlungen des abendländischen Geistes, in: ders.: Adolf Hitler in der Geschichte, 1999, S. 32–82). Schmitz „will beschreiben, wie die Welt sich zeigt, wenn ihr zurückgegeben wird, was man fälschlich in die vermeintlich private Innenwelt einzelner Subjekte (Seele, Bewußtsein, Gemüt pp.) hineingesteckt hat.“ (**). Der Sinn von Subjektivität sei neu (ohne Berufung auf Innenwelten) zu bestimmen. Mit Hilfe des „Spürens am eigenen Leib (Leiblichkeit) und des Fühlens (Gefühle)“ und der durch die Neue Phänomenologie ermöglichten kategorialen Erschließung der so wahrgenommenen Gegenstände könne erstmals der jahrtausendealte „Psychologismus“ überwunden werden. Zur falschen Innenwelthypothese gehört eben auch und besonders die Seele bzw. Psyche.
„Ich war immer davon überzeugt, daß es dem Schmitz mit diesem System gelingen könnte, mit den traditionellen Mitteln der europäischen Gelehrsamkeit das 3. Jahrtausend zu erschließen, d.h. Verkrustungen aufzubrechen, die sich so festgesetzt haben im Denken, daß eigentlich nur mit einer ganz grundsätzlichen und ganz breit angelegten Auseinandersetzung überhaupt dem beizukommen ist. .... Den letzten Band des Systems übergab mir Hermann Schmitz persönlich mit der Bemerkung: ,Ich habe es fertig und jetzt bin ich nur noch ein gewöhnlicher Gelehrter. Diese Bescheidenheit hat er nicht durchgehalten, denn anschließend ging es los mit den historischen Bänden .... Er hat ja wirklich die ganze Philosophiegeschichte durchgeackert .... Carl Friedrich Weizsäcker hatte Heidegger meine Dissertation (**) geschickt. Heidegger lud mich ein nach Todtnauberg. Ich bin dann noch ein paar Mal bei ihm gewesen .... Er hat bei verschiedenen Besuchen immer wieder gesagt: ,Nötig ist eine Rekonstruktion der Geschichte der Philosophie. Und da muß man bei den Vorsokratikern anfangen. .... Heidegger ... wollte mich noch zur Historie, zur Philosophiegeschichte bekehren, und ich wußte von vornherein: das ist nicht mein Ding. Aber ...“ es war Hermann Schmitz’ Ding: er hat später „ja wirklich die ganze Philosophiegeschichte durchgeackert“, wie Werhahn es formulierte. (Vgl. Hans Werhahn, in: Neue Phänomenologie - Über Hermann Schmitz / Gespräch mit einem Weggefährten, Film von Michael Großheim, 2010 Hans Werhahn, a.a.O.).
Durch die „Eichung von Worten an Phänomenen“ werde die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die Menschen in die Lage versetzt werden, „über Erfahrungen zu sprechen, die ihnen wichtig werden, wenn sie nach durchdringender Enttäuschung des Lebens in Projektionen und Utopien Gelegenheit und Bedürfnis haben, ihren Lebenswillen in der Gegenwart zu verankern.“ (Ders., Mein System der Philosophie, 1977 [**]). Theoretischer Kernbegriff der Philosophie von Schmitz ist der Begriff des Leibes. Sein Verständnis von Leib erläutert er so: „Wenn ich vom Leib spreche, denke ich nicht an den menschlichen oder tierischen Körper, den man besichtigen oder betasten kann, sondern an das, was man in dessen Gegend von sich spürt, ohne über ein ‚Sinnesorgan‘ wie Auge oder Hand zu verfügen ....“ (Ders., Der unerschöpfliche Gegenstand, 1990, S. 115 [**]). Damit ist der für die traditionelle Philosophie klassische Dualismus von Körper und Seele radikal in Frage gestellt. Schmitz’ Neue Phänomenologie kann daher auch treffend als Leibphilosophie bezeichnet werden. Vom Leib als zentralem Gegenstand der Analyse aus gelangt Schmitz auf nahezu allen Gebieten der Philosophie zu neuen Einsichten, die er zu seinem „System der Philosophie“ zusammengefaßt hat. Eine kritische Retraktion bestimmter Aspekte des „Systems“ hat Schmitz 1990 in seinem Werk Der unerschöpfliche Gegenstand vorgelegt. Neben seinem umfangreichen systematischen Werk hat Schmitz zahlreiche philosophiehistorische Werke erarbeitet und veröffentlicht, die seine eigenen Gedanken in den Kontext der Geschichte stellen. Dabei hat sich Schmitz mit Vertretern nahezu aller Epochen der abendländischen Kultur beschäftigt.

„Meine Berufsbezeichnung heißt ja »Psychiater«. Und ich habe von Hermann Schmitz gelernt: Die Psyche ist es gar nicht! Ich habe einen berufliche Identitätskrise, die mir aber viel Freude macht. Mir fehlt nur noch eine Sache in der Neuen Phänomenologie. Wenn ich die noch kriege von Hermann Schmitz ...: Was ist Gesundheit?“ (Robby Jacob, Hermann Schmitz im Gespräch, VIII, Zukunft der Neuen Phänomenologie, 06.06.2010 Robby Jacob, in :  „Hermann Schmitz im Gespräch, VIII, Zukunft der Neuen Phänomenologie“, 6. Juni 2010. [**]).

.... Es ist immer eine Labilität. Es wird immer bei einem gewissen »Wellenreiten« bleiben. Die Person kann sich nicht stabil über ihre Basis erheben, sondern es ist immer ein Hin und Her von Emanzipation und Regression nötig. Und diese Regression ist nicht abzuschätzen. Es ist also der Fehler der asiatischen Weisheitslehren, daß sie denken, die Regression in die Emanzipation einbinden zu können, so daß man zwar hinfallen kann, aber sich überhaupt nicht mehr dabei wehtut und gleich wieder aufsteht, wie das auch in den asiatischen Kampfkünsten eingeübt wird. Diese Technik ... ist dann aber keine richtige personale Regression mehr. Das Gegenbeispiel ist die attische Tragödie. Tragödie ist eigentlich nicht dafür, in eine Katastrophe zu geraten, sondern ist eine Option für eine der Mächte, und zwar im Grunde der göttlichen Mächte, in deren Bann der Mensch steht, ... und indem er sich auf diese Option nun eben festlegt, wählt er einen Weg, der - weil es nur eine von mehreren Mächten ist, eine von mehreren Perspektiven -, der ihn ins Verderben führen kann, aber nicht muß. Und er ist im Grunde optionsfähig: der tragische Mensch der Griechen. Die griechische Tragödie ist keine Katastrophendramatik, besteht nicht aus lauter Trauerspielen, sondern aus dem für den Menschen unvermeidlichen Risiko der Vereinseitigung und daß er da - im Grunde genommen - seiner eigenen glücklichen oder unglücklichen Hand überlassen ist: da gibt es personale Regression mit dem Risiko des Scheiterns. Darüber wird man nicht hinwegkommen. .... Ja, das ist natürlich auch etwas, ... aber mehr für die Menschengestaltung ..., auch da ist die Neue Phänomenologie wichtig als Besinnung - Herr Böhme hat das verstanden in Darmstadt -, das ist aber keine direkte Anwendung in den Wissenschaften.“ (Hermann Schmitz, Hermann Schmitz im Gespräch, VIII, Zukunft der Neuen Phänomenologie, 06.06.2010 Hermann Schmitz, in :  „Hermann Schmitz im Gespräch, VIII, Zukunft der Neuen Phänomenologie“, 6. Juni 2010. [**]).

Gernot Böhme bemühte sich darum, die philosophische Ästhetik thematisch zu erweitern. Er konzipierte Ästhetik als Aisthetik, also als allgemeine Wahrnehmungslehre. Hierbei bezog er sich zentral auf die Arbeiten des Philosophen Hermann Schmitz, welcher bereits in den 1970er Jahren eine ausführliche Theorie der Wahrnehmung vorgelegt hatte, dessen Werk jedoch weitgehend unbeachtet blieb. Von diesem übernahm Böhme in den 1990er Jahren den Begriff der Atmosphäre sowie zahlreiche phänomenologische Beobachtungen und übertrug dessen Neue Phänomenologie in eine Neue Ästhetik. Im Zentrum der Betrachtung sollen nun Design, Natur und Kunst stehen. Ästhetik hat nicht nur die Aufgabe, moderne Kunst zu vermitteln. Eine ausschließlich intellektualistische Interpretation von Kunstobjekten wird abgelehnt. Sie hat sich auch mit dem neuen Verhältnis zu der zunehmend vom Menschen gestalteten Natur zu befassen. Eine besondere Rolle spielen für die Ästhetik die Stimmungen und Affekte. Atmosphären sind Böhme zufolge die erste und entscheidende Wirklichkeit für die Ästhetik. Dabei handelt es sich um räumliche Träger von Stimmungen. Sie bilden die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen. Böhme verstand die Wahrnehmung als Modalität leiblicher Anwesenheit. Dabei betonte er dann die gefühlsmäßige Komponente. So wie Schmitz bereits Wahrnehmung als „eigenleibliches Spüren“ definiert hatte (in: System der Philosophie, 3. Band: Der Raum, 5. Teil: Die Wahrnehmung, 1978), ist auch gemäß Böhme die Wahrnehmung ein Spüren von Anwesenheit bzw. das Spüren einer gewissen Atmosphäre. Die Atmosphäre gehört weder zum Objekt noch zum Subjekt, sondern ist eine Kopräsenz diesseits der Subjekt-Objekt-Spaltung. Erst später differenziert sich die Atmosphäre in einem Ich- und Gegenstands-Pol der Relation aus und verfestigt sich in der dualen Subjekt-Objekt-Struktur.
„In der Wahrnehmung der Atmosphäre spüre ich, in welcher Art Umgebung ich mich befinde. Diese Wahrnehmung hat also zwei Seiten: auf der einen Seite die Umgebung, die eine Stimmungsqualität ausstrahlt, auf der anderen Seite ich, indem ich in meiner Befindlichkeit an dieser Stimmung teilhabe und darin gewahre, daß ich jetzt hier bin. .... Umgekehrt sind Atmosphären die Weise, in der sich Dinge und Umgebungen präsentieren.“ (Gernot Böhme, Atmosphäre, 1995, S. 96).
Die Atmosphäre ist auf eine unbestimmte Art in den Raum ergossen. Der Atmosphäre kann nur nachgegangen werden, indem sie erfahren wird. Man muß sich ihr aussetzen und affektiv von ihr betroffen sein. So kann beispielsweise in einem Raum eine gewisse heitere oder eine bedrückende Stimmung herrschen. Dabei handelt es sich nicht um eine subjektive Stimmung. Diese Atmosphäre wird als quasi objektiv äußerlich erlebt. Es wird ein gemeinsamer Zustand des Ichs und seiner Umwelt bezeichnet. Die Phänomene des Atmosphärischen werden als freischwebende Qualitäten, wie Kräfte im leiblich-emotionalen Sinn oder als halb personifizierte Naturmächte erlebt. Böhme unterschied verschiedene Charaktere von Atmosphären. Zu den gesellschaftlichen Charakteren zählen Böhme zufolge Reichtum, Macht oder Eleganz. Wärme, Kälte und Helligkeit gehören zu den Synästhesien. Kommunikative Charaktere sind zum Beispiel gespannt, ruhig oder friedlich. Bewegungsanmutungen können drückend, erhebend und bewegend sein. Es gibt auch noch Stimmungen im engeren Sinne wie beispielsweise die Szenen des Englischen Gartens. In der Wahrnehmung spürt das Ich nicht nur die Anwesenheit von etwas, sondern es spürt es leiblich und spürt sich dabei auch selbst. Die Dinge entstehen aus dem atmosphärischen Spüren durch Prozesse der Abwehr, Differenzierung und Verengung. Sie werden als dynamisch wahrgenommen, weil sie Atmosphären und damit unsere Befindlichkeit erzeugen. Die Dinge sind durch ihre räumlich feste Lokalität, durch Körperlichkeit, Identität und durch die Verdichtung als die in einem endlichen Raum konzentrierte Potenz des atmosphärisch gespürten Charakters gekennzeichnet. Erst die Wahrnehmung der Dinge konstituiert die duale Subjekt-Objekt-Beziehung. Dabei werden sie als etwas Faktisches und Objektives außerhalb des Subjekts erfahren. (Vgl. Gernot Böhme, Aisthetik, 2001, bes. S. 103 und S. 166 ff.).

Gernot Böhme hatte in seinem 1980 erschienenen Buch „Alternativen der Wissenschaft“ u.a. Kants Erkenntnistheorie kritisiert: „Die Wahl von Kants Erkenntnistheorie - gegenüber anderen - läßt sich aus verschiedenen Gründen rechtfertigen. Für uns sind zwei Merkmale ausschlaggebend: Kants Erkenntnistheorie begründet objektive Erkenntnis und zielt letzten Endes auf die Möglichkeit von Physik, und doch ist sie durch und durch eine Theorie des Subjekts, des Ich, der Innerlichkeit. Diese Tatsache läßt vermuten, daß sich bei ihm die Selbstdressur, die sich das Subjekt in der objektiven Erkenntnis auferlegt, besser noch identifizeiren läßt als in neueren Theorien objektiver Erkenntnis, wo nur noch von Meßverfahren, Apparaten und vielleicht noch diskursiven Strukturen die Rede ist. .... - Kant ... behauptet ..., daß wir der Natur die Gesetze vorschreiben. .... - Wir schreiben der Natur die Gesetze vor. - .... Erkenntnis ist Rekonstruktion. .... - Die systematische Beziehung von Erkenntnis und Moral wird durch Kants Auffassung des Begriffs als Regel gestiftet. Für Kant bedeutet »der Begriff vom Hunde eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann. Entsprechend ist der Begriff geometrischer Figuren die Konstruktionsanweisung, nach der Figuren in der reinen Anschauung herzustellen sind. Schließlich sind die reinen Verstandesbegriffe Regeln der Einheit, denen gemäß die Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen in der Anschauung herzustellen ist. .... - Für die Objektivität der Erkenntnis ist ... Freiheit ebenso Voraussetzung wie für moralisches Handeln. - Man soll den Regeln objektiver Erfahrung folgen - aber man tut es nicht immer. Auch das weiß Kant. ..... Die Normen und Regeln der Erfahrungskenntnis setzen sich also keineswegs von selbst durch. Vielmehr ist man verpflichtet, sich ihnen zu unterwerfen, wenn anders man als Vernunftwesen mitgezählt werden will. - Diese Unterwerfung eines durchaus widerspenstigen Subjektes unter bestimmte Verhaltensregeln nennt Kant in seiner praktischen Philosophie »Nötigung«. Vorstellungen, denen man nicht unwilllkürlich folgt, die deshalb durch Nötigung durchgesetzt werden müsse, nennt er Imperative (**). ..... - Man soll sich durch Befolgung dieser Regeln zum Vernunftwesen machen. Man soll nicht als vereinzeltes individuelles Subjekt denken, sondern als Subjekt überhaupt. In der praktischen Philosophie heißt das, daß man nur solchen Maximen, d.h. also subjektiven Motivationen folgen soll, von denen man zugleich annehmen kann, daß sie allgemeines Gesetz seien: das ist der kategorische Imperativ. (»Kant sah die Ethik als Erkenntnisgegenstand ...« [Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Band I, 1918, S. 481 {**}]; HB). In der theoretischen Philosophie heißt das, man soll seine subjektiven Auffassungsweisen so stilisieren, daß man in ihnen als allgemeines Vernunftsubjekt fungiert. Ebenso wie man als moralischer Mensch seine subjektiven Neigungen überwinden muß, so muß man sich als Erkennender zu allererst von seinen Gefühlen trennen. Denn diese bestimmen auch - das sieht Kant ganz klar - die primären unmittelbaren Auffassungsweisen, die Kant Wahrnehmungsurteile nennt: Das Zimmer ist warm, der Zucker süß, der Wermut widrig. - Was der Gegenstand für mich ist, ist für die objektive Erkenntnis uninteressant, denn die Bestimmungen, die dem Objekt zuzuschreiben sind muß dieses Objekt für jedermann haben - folglich muß ich mich als Subjekt objektiver Erkenntnis quasi zu diesem »Jedermann« machen (vergleichbar mit dem „Man“ Heideggers [**]; HB). - »Es sind ... objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeinheit (für jedermann) Wechselbegriffe«, schreibt Kant in dem Prolegomena, § 19 (**).“ (Gernot Böhme, Alternativen der Wissenschaft, 1980, S. 62-67).

„Die kantischen Kategorien sind Regeln, denen sich das empirische Subjekt unterwerfen muß, soll sein Wissen Anspruch auf Objektivität erheben können. Durch diese Regeln werden die möglichen subjektiven Auffassungsweisen des empirischen Subjektes auf solche eingeschränkt, die zur Einheit des Bewußtseins »schicklich« sind. Das empirische Subjekt, das sich in seinem Erkenntnisverhalten nur auf die Einheit von Bewußtsein überhaupt bezieht, stilisiert sich so selbst zum allgemeinen Subjekt, zum Jedermann (vergleichbar mit dem „Man“ Heideggers [**]; HB). Die dadurch erreichte Gültigkeit seines Wissens für jedermann garantiert zugleich die Objektivität dieser Erkenntnis. Denn die Zusammenstimmung der Vorstellungen in einem Bewußtsein ist zugleich der Garant der Zusammenstimmung der Vorstellungen zu einem Objekt. - Man hat in jüngeren Interpretationen das kantische transzendentale Subjekt als die unendliche Forschergemeinschaft reinterpretiert. Diese Interpretation ist durchaus angemessen, insofern auch für Kant die Einheit des Bewußtseins eine Aufgabe bleibt, die nur im unendlichen Forschungsprozeß, d.h. also auch von vielen empirischen Bewußtseinen, durchgeführt werden. - Reflexivität und Kontrolle. - .... Der Verstand bestimmt (unter der Benennung der Einbildungskraft) die Sinnlichkeit. .... Der Verstand reguliert bereist die Sinnlichkeit. .... In der Innerlichkeit des inneren Sinnes geschieht die geregelte Aneignung der eigenen Vorstellungen. Dabei wird nur zugelassen, was zur objektiven Erkenntnis taugt. d.h. was den Bedingungen der transzendentalen Apperzeption gemäß ist. Kant redet hier ganz konsequent von Selbstaffektion: Der Verstand bestimmt in dieser Beziehung den inneren Sinn; d.h. er affiziert ihn. Dadurch wird zugleich sichergestellt, daß das so innerlich angeeignete Material der Sinne der Anwendung der Kategorien gemäß ist. Diesen wird umgekehrt damit ihre Anwendbarkeit oder, wie Kant sagt, objektive Gültigkeit a priori gesichert. - .... Objektive Erkenntnis ist im strengen Sinne reflexiv. Der Verstand spiegelt sich in ihr am inneren Sinn. So gesehen ist objektive Erkenntnis Selbsterkenntnis. Der Verstand übt unter der Benennung der Einbildungskraft eine Kontrollfunktion über die Sinnlichkeit aus. Durch diese Kontrolle wird die Aneignung der Affektionen durch den äußeren Sinn im inneren Sinn so reguliert, daß die dadurch produzierten Daten einer späteren Anwendung der Kategorien gemäß sind. Die Kontrollfunktion des Verstandes setzt genau den Hiat zwischen Realität und Vernunft, der Erkenntnis zu bewußtem Wissen macht. Der von den Sinnen herkommende Einfluß auf den Menschen wird durch die Kontrolle aufgehalten, es wird Innerlichkeit erzeugt. d.h. der innere Sinn kommt ins Spiel. Die entstehenden Vorstellungen sind als kontrollierte bewußt.“ (Gernot Böhme, Alternativen der Wissenschaft, 1980, S. 68-71).

„Damit dürfte deutlich geworden sein, wie sehr Kants Erkenntnistheorie - ohne daß dies ihre Absicht wäre - Zeugnis für die Disziplinierung der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten zugunsten objektiver Erkenntnis ablegt. .... Es ist eine generelle Schwäche der kantischen Erkenntnistheorie, daß sie nicht zwischen lebensweltlicher Erfahrung und wissenschaftlicher Erfahrung unterscheidet. .... - .... Gegenstände wie Atmosphären, Halbdinge (siehe Hermann Schmitz, Die Wahrnehmung, in: System der Philosophie, Band III, Teil 5, 1978) wie ein Wind oder ein Blick, die doch so deutliche, artikulierbare Erfahrungen mit sich bringen, können nicht Thema sein. Gesetzeszusammenhänge können nur nach dem Schema der Kausalität gedacht werden. d.h. Zweckbezüge müssen entsprechend umgedeutet werden, Strukturzusammenhänge oder symbolische Zusammenhänge oder gar Analogien gehören nicht in den Bereich der Erkenntnis. Schließlich wird als objektiv nur anerkannt, was in durchgängiger Beziehung von Wechselwirkung ist, d.h. also in den Zusammenhang einer Zeit bzw. eines Erfahrungskontextes gebracht werden kann. Die Erfahrung von Ungleichzeitigkeit, die Vielfalt der »Welten«, in der wir gleichwohl leben müssen, verfällt dem kruden Bereich der Subjektivität. - .... Objektives Wissen, d.h. Wissenschaft im Sinne neuzeitlicher Naturwissenschaft ist nicht im Rahmen individuellen Bewußtseins denkbar. Bei Kant äußert sich das so, daß nach seiner Erkenntnistheorie sich das individuelle Bewußtsein zum Bewußtsein überhaupt, d.h. also zum Repräsentanten des allgemeinen Bewußtseins stilisieren muß. .... - Der Stand der Selbstaufklärung der europäischen Wissenschaft verlangt nicht nur zu verstehen, daß wissenschaftliches Wissen kontrolliertes und diszipliniertes Wissen ist, sondern gleichzeitig einen Begriff davon zu haben, welche Dunkelheiten, Verdrängungen diese Kontrolle erzeugt, welche Vorstellungen aus dem offiziellen Kanon ausgeschlossen sind und warum.“ (Gernot Böhme, Alternativen der Wissenschaft, 1980, S. 71-74).

Ich habe mich mich bestätigt gefühlt und sehr gefreut, als Hermann Schmitz ebenfalls sagte, daß die Sprache etwas ist, in dem man sich immer schon vorfindet, so wie in einer Umgebung, wie in einem Raum (hier ist Heideggers „In-Sein“ angesprochen [vgl. auch: „In-der-Welt-Sein“ {**}]). Information allein reicht als Definition für Sprache nicht aus, meint auch Schmitz (dessen Aussage ich hier jetzt mit eigenen Worten wiedergebe), denn alle Sprachteilnehmer sind mehr als nur Informationssender und Informationsempfänger, sondern eben Teilnehmer an der Sprache - die Sprache selbst ist es also -, und um an dieser teilnehmen zu können, muß die Sprache schon da sein, was auch für die gilt, die die Sprache erst noch erwerben, denn ohne eine bereits in der Umgebung und der Situation gegebene Sprache müßte man da anfangen, wo diejenigen anfangen mußten, die noch keine Sprache vorfanden (oder fanden auch die bereits eine Sprache vor?).

„Sie haben die Bedeutung der satzförmigen Rede im Zusammenhang mit der Reifung der Person betont. Könnte man nicht sagen, daß grundsätzlich unser gesamtes Erleben sprachlich vermittelt ist, daß selbst die einfachsten körperlichen Eindrücke wie Schmerzen im Grunde sprachlich vermittelt sind? Zwar ist es so, daß der Schmerz als Schmerz sich im Leben eines sprachlichen Wesens nicht so sehr unterscheidet vom Schmerz im Leben eines nicht-sprachlichen Wesens. Aber bei sprachlichen Wesen ist der Schmerz immer schon eingebettet in Befragungen: Was ist das für ein Schmerz?, Muß ich zum Arzt?, Wie schlimm ist das?. Das heißt: Unsere scheinbar unwillkürlichste Regung scheint noch in ein Netz von Sprache hineingespannt zu sein. Vorsprachliche Bedeutsamkeitsbezüge scheinen immer schon auf sprachliche Bedeutungen bezogen zu sein. Ich würde hier sogar von einem apriorischen Perfekt der Artikulation sprechen. Die Rede ist nicht nur gliedernd, wie Sie es gesagt haben, sondern sie ist artikulatorisch stiftend, während Sie auch im Fall von sprachlichen Wesen noch so einen Bereich des Vorsprachlichen eingeräumt haben.“ (Christoph Demmerling [**]). „Diese Sprachlichkeit liegt insbesondere im personalen Verhalten in der Tat vor.“ (Hermann Schmitz [**]).
Gemäß Hermann Schmitz ist Philosophie „Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung“ (**). Die Umgebung wird am Leib erfahren und ist ein Raum (vgl. Heideggers „In-Sein“, aus dem er das „In-der-Welt-Sein“ {**} abgeleitet hat). Schmitz zufolge sind „Personen“ diejenigen Menschen, die das „Präpersonale“ hinter sich haben, und „Präpersonen“ Tiere, Säuglinge, folglich auch Föten, Embryonen, Morulen. Ich unterteile Sprache in Sprache i.e.S. (im engeren und im engsten Sinne), womit der rein linguistische Bereich der Sprache gemeint ist, und Sprache i.w.S. (im weiteren und im weitesten Sinne), womit der gesamte semiotisch-linguistische und der gesamte logisch-mathematische Bereich der Sprache gemeint sind (**). Die Sprache i.e.S. (im engeren Sinne) kann aktiv nur dann werden, d.h. kann nur dann verwendet werden, wenn die Verwender „Personen“ im Schmitzschen Sinne sind, und zu diesen zählen auch die, die schon oder noch dabei sind, „Personen“ zu werden, die Sprache i.e.S. zu erwerben, um sie bald aktiv zu beherrschen: z.B. Kinder, die keine Säuglinge mehr sind. Meine Folgerung daraus ist, daß „Personen“ Sprachwesen i.e.S. sind. „Präpersonale“ Lebewesen verwenden noch keine linguistische, sondern nur und auch nur die, die dazu in der Lage sind (Säuglinge, Föten und sog. Höhere Tiere), eine semiotische Sprache, sind aber in der Lage, Teile der linguistischen Sprache zu verstehen. Vorsprachlich ist alles, was zeitlich vor dem Erscheinen der Sprache i.e.S. liegt, da es vor dem Erscheinen der Sprache i.e.S. noch kein einziges Wesen gibt, daß die Sprache i.e.S. benutzt und folglich erkennen kann, daß es Sprache überhaupt gibt. Ist die Sprache i.e.S. da, ist für die Benutzer der Sprache i.e.S. alles andere nur noch bedingt durch die Sprache i.e.S.. Es gibt also einen Sprachrelativismus, allerdings nur einen solchen, der die Frage, ob etwas auch ohne die Bedingtheit durch die Sprache i.e.S. existiert, einfach unbeantwortet läßt, ja lassen muß, denn diese Frage ist nicht beantwortbar, weil die Sprache i.e.S. ja nun schon da ist, erreicht ist. Wir Personen als die Verwender der Sprache i.e.S. müßten, um die Frage beantworten zu können, wieder zu Wesen ohne Sprache i.e.S. werden, doch wenn wir wieder Wesen ohne Sprache i.e.S. werden würden, würden wir die Frage nicht mehr beantworten können.

Ohne viel Gerede im Überblick:

Vorsprache => Vorsprache => Vorsprache => Vorsprache => Vorsprache i.e.S. (Sprache i.w.S.) => Sprache i.e.S. => Nachsprache (Sprache i.w.S.) => Nachsprache (Sprache i.w.S.) =>
(1a) Physik
==>
(1b) Chemie
==>
(2a) Biologie
==>
(2b) Ökonomie
==>
(3a) Semiotik
==>
(3b) Linguistik
==>
(4a) Philosophie
==>
(4b) Mathematik
==>
<== <== <== <== <== <== <== <==
Nachsprache <= Nachsprache <= Nachsprache <= Nachsprache <= Nachsprache i.e.S. (Sprache i.w.S.) <= Sprache i.e.S. <= Nachsprache (Sprache i.w.S.) <= Nachsprache (Sprache i.w.S.)

 

NACH OBEN

WWW.HUBERT-BRUNE.DE

Anmerkungen:

„Survival of the fittest“ ist nach Darwin (1809-1882) die Anpassung in der Natur, die aber an der Schwelle zur hominoiden Kultur in eine Distanzierungsart umschlägt, weil nicht mehr allein die körperlichen („angepaßten“) Waffen entscheidend sind, sondern die außerkörperlichen, die vorgefundenen und später modifizierten Gegenstände als Waffen und Werkzeuge dienstbar gemacht werden. Innerhalb einer solchen „Distanzgruppe“ (Menschenaffen und Menschen) ist deshalb die Anpassungsart nicht verschwunden („survival of the attractives“: attraktive Gesichter, Mode u.s.w.). Anpassung und Distanz sind immer schon - latent oder offen - 2 Seiten einer Medaille (Jäger/Gejagte). Der Unterschied liegt zwischen körperlicher und außerkörperlicher Art, zwischen Natur und Kultur, zwischen Schicksal und Technik, zwischen Müssen und Können, zwischen Indikativ und Konjunktiv, zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, zwischen Zwang und Vielfalt.

Homo sapiens hat bisher etwa 230 000 (maximal 300 000) Jahre hinter sich. Er kann den von Homo erctus aufgestellten Rekord von 1,86 Mio. Jahren nur brechen, wenn er (d.h seine Nachfolger-Unterart Homo sapiens sapiens) sich auf den Weg ins Weltall begibt. Homo erectus hatte schon die „Alte Welt“ besiedelt, Homo sapiens besiedelte auch die „Neue Welt“ (Amerika und Australien) und schließlich die ganze Erde, also auch Nord- und Südpol. Jetzt bleibt ihm nur noch die Besiedlung der Orte im Weltraum. Weltraum-Besiedlung

Panini (6. Jh. - 5. Jh.) stammte wahrscheinlich aus Nordwest-Indien; er faßte in den 3996 kurzen Regeln (Sutra) seiner „Aschthadhjaji“ (Buch in 8 Abschnitten) die Erkenntnisse seiner im einzelnen nicht genau bekannten Vorgänger zusammen und lehrte die Bildung des korrekten Sanskrit.

Dieser deutschsprachige Raum hielt sich in seinen Grenzen mehr als 1 Jahrtausend. Er umfaßt Deutschland (Deutsches Reich), Österreich, Schweiz, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Norditalien (Langobarden), Ostfrankreich (Burgund) und große Gebiete Osteuropas. (Vgl. Deutsch und die Karten).

Johann Joachim Winckelmann (09.12.1717 - 08.06.1768).

Wilhelm von Humboldt (1767-1835), Freiherr, war Philosoph, Sprachforscher und Staatsmann und wirkte nach rechtswissenschaftlichem Studium (von 1787 bis 1790) als Privatgelehrter in Jena (von 1794 bis 1797), war preußischer Ministerresident in Rom (von 1802 bis 1808) und Direktor für Kultus und Untericht im Innenministerium (von 1809 bis 1810). Humboldt reformierte das preußische Bildungswesen und gründete u. a. die Berliner Universität (1811). Seit 1810 war er Gesandter in Wien (Teilnahme am Wiener Kongreß), seit 1817 in London, 1819 wieder Minister. Im Mittelpunkt seines Denkens stand ein stets auf die Gesellschaft hin orientiertes Humanitätsideal. Als Sprachwissenschaftler befaßte sich Humboldt v. a. mit amerikanischen Sprachen, mit Sanskrit, Ägyptisch, Koptisch, Chinesisch, Japanisch. In der Einleitung zu seinem Werk „Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java“ entfaltete Humboldt die Grundthese seiner Sprachphilosophie, daß „in jeder Sprache eine eigenthümliche Weltsicht“ liege; sie sei Ausdruck der Individualität einer Sprachgemeinschaft und werde durch die „innere Sprachform“ dargestellt. Dabei wird Sprache als „Tätigkeit“ (Energeia) bestimmt, die im Sprechen und Verstehen, in der Einheit von Ich und Du im Dialog aktualisiert werde. Die späteren Bemühungen der Linguistik um eine generative Grammatik (Noam Chomsky u.a. Sprache) verstehen sich weithin als Erfüllung Humboldtscher Ideen. (Vgl. auch: „Nativismus“). Humboldt selbst dienten die sprachtheoretischen Untersuchungen zur Grundlegung einer philosophischen Anthropologie. Seine Weltanschauung zeigt drei Grundideen: Universalität, Individualität, Totalität (= Formung des Lebens zu einem Kunstwerk). Die Erforschung der Geschichte ebenso wie die der Sprache ist nach Humboldt nicht eine Sache des bloßen Intellekts, sondern hat die Mitwirkung der Gesamtheit der menschlichen Seelenkräfte zur Voraussetzung. Der Historiker muß sich in das Innere der Personen und Epochen, mit denen er zu tun hat, hineinversetzen, wenn er mehr als eine zusammenhanglose Aufzählung äußerer Ereignisse bieten will. Der Sprachforscher muß die Sprache als Äußerung und Werkzeug des Volksgeistes zur Gewährleistung der Sprachgemeinschaft begreifen. Im Sinne seines Humanitätsideals war Humboldt ideell sowie praktisch beteiligt an der Gründung der Universität Berlin (1811). Aus seiner Reform des höheren Schulwesens ging das „Humanistische Gymnasium“ in seiner heutigen Gestalt hervor. In seinen „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ bestimmte er die Aufgabe des Staates dahin, für Schutz nach außen und Rechtssicherheit nach innen zu sorgen, im übrigen aber sich möglichst zurückzuhalten und der freien individuellen und nationalen Entwicklung Raum zu lassen. Humboldts Reformen, besonders die der Bildung, wurden Vorbild für die ganze Welt!

„Nach der in der Einleitung (Bd. I, S. XXIVff.) von mir angedeuteten Begründung gibt es eine genetische Sequenz u.a. folgender Syteme: . Die Erklärung der Genese müßte sich demnach mit der Frage beschäftigen: Welches sind die Bedingungen, die dazu führen, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt der animalisch-humanen Evolution aus soziologischen (etwa familiären) Strukturen symbolische Strukturen herausprojiziert werden (»Riten«, »Kommunikation« [ist Teil der Sprache! HB] usw.). Die Metagenese innerhalb des sturkturalistischen Paradigmas kommt zu einer scheinbar ähnlichen Fragestellung, indes unter anderen Voraussetzungen. So läßt sich Lévi-Strauss von linguistischen Ideen Roman Jakobsons u.a. (Opposition, Arbitrarität, Transformation, methodischer Primat des Synchronen) usw.) inspirieren, um sich Gedanken über ein rudimentäres symbolisches Verhalten (ist Teil der Sprache! HB) (vgl. Tendenz der Semiotik in Frankreich) zu machen (SEM-System). Er geht dann einen Schritt weiter und überträgt die Erfahrungen, die man mit dem relativ geschlossenen (d.h. methodisch, wissenschaftlich einfacher zu behandelnden) L-System gemacht hat, auf das relativ offenere SEM-System und letztlich auf das ihn ursprünglich interessierende, noch offenere SZ-System (er ist bekanntlich Anthropologe bzw. Ethnologe). Dieser - metagenetisch gesehen - folgerichtige Weg ist nun eine genaue Umkehrung des eigentlich - von unseren augenblicklichen »wissenschaftlichen« Reflexionn unabhängigen - genetischen Wegs. Die Umkehrung (also die Metagenese) lautet: . Die Umkehrung äußert sich nun nicht nur in der Übertragung nützlicher modellneutraler Begriffe, die die genetischen, modellspezifischen Gegebenheiten nicht zerstören können. Die Schreibtischperspektive des linguistischen Begriffsarsenals läßt z.B. Lévi-Strauss die Wirklichkeit in frappanter Weise neu - in meinen Augen oft »falsch« - linguistisieren. So wird die Gesellschaft nur durch die Zeichen, das Unnatürlich-Arbiträre (Inzest-Tabu-Problem), das Symbolisch-Vorstellungsleere, das Kulturunspezifische (universale Strukturen herrschen panchron und perennial) usw. bestimmt. Handlungen (SZ {NEIN! Handlungen sind Sprache! Zeichen! SEM = Sprache i.w.S.; L = Sprache i.e.S.; M = Sprache i.w.S.}; HB) bestimmen nach dieser Kontrakurrenz-Blindheit nicht die Konventionen der Sprache (in ihrer primären Entstehung, ihrem Impuls, wohlgemerkt!), sondern das Umgekehrte soll der Fall sein (ich muß in diesem Fall Koch deutlich widersprechen, weil Handlungen nichts anderes als Zeichen sind, also zur Sprache gehören: wir sprechen nicht nur mit dem Mund, sondern auch z.B. mit den Händen (Handlungssprechen = Zeichen, also: Sprache], aber wir handeln nicht mit dem Mund, sondern indem wir handeln, zeigen wir etwas [=> Zeichen, also: Sprache]; HB). Die Metagenese ist demnach gleich der Genese (schwarzer Pfeil: Metagenese; weißer Pfeil: Genese; die Gegenläufigkeit wird zur unfrunchtbaren Gleichläufigkeit: * . Bei aller Teilrichtigkeit (im synchronen Prozeß gibt es diese Komponente) ist diese metagenetische Prozedur nicht in der Lage, auch nur eine stimulierende Hypothese bezüglich der Ingangsetzung einer breiteren genetischen oder empirischen Forschung zu liefern. Der von Lévi-Strauss »überholte« Durkheim war in dieser Beziehung weiter. Durkheim wollte SEM aus SZ erklären. Allerdings kannte er noch nicht die metagenetische Versuchung des strukturalistischen Rigorismus.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 296 f. [Fußnote 7]). Zur Erinnerung im folgenden Genese (mit den weißen Pfeilen) und Metagenes (mit den schwarzen Pfeilen): . Vgl. dazu auch Kochs „MC-Modell“, L-Modell mit den Beispielen von Genese und Metagenese) sowie meine Theorie zu dem Thema: ** ** ** ** .

„Ich erinnere daran, daß man stets versucht, bestimmte M-Modell-Konzepte - wie das des Strukturalismus - von M auf L, von L auf SEM (Semiotisierungswelle in den Wissenschaften: vgl. das Kaiptel 20 in diesem Buch), von SEM auf SZ (vgl. Lévi-Strauss [**|**]) , von SZ auf PX (»soziale Organisation innerhalb eines Organismus«, »Kommunikation [= Sprache! HB] der Gene« usw.) zu übertragen. Dies scheint ein entscheidender Weg für das Ausprobieren immer neuer Pradigmen zu sein; die spezifische Etappenfolge hängt mit der wachsenden Schwierigkeit in der Beobachtbarkeit, der schnellen Verfügbarkeit usw. zusammen.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 302 f. [Fußnote 93]).

„Typische Beispiele für die metagenetischen Fehlschlüsse (die »Kokurrenz«) des Anthropozentrismus sind die genetischen Folgen: »1.) Pan (= allwissender metaierender »Gott«), 2.) Px1 (Mensch wird von Pan geschaffen), 3.) Px2 (Tier wird von Pan geschaffen)« (Theologie), 1.) Syntax, 2.) Semiose, 3.) Gesellschaft« (anthropologischer Strukturalismus), »1.) Synchrones System, 2.) Historie« (strukturalistische Auffassung der Geschichte), 1.) Syntax, 2.) Textematik« (Saussure bis generative Grammatik) usw.. Diese Folgen werden als genetisch ausgegeben, daher: »Fehlschluß«. In der wirklichen Genese liegen die umgekehrten Verhältnisse vor. Die z.T. starke Konsequenz in der metagenetischen Erschließungsfolge von Strukturen bereitet die Annahmen für die typologische Matrix zur Genesebestimmung hilfreich vor: Oft scheint eine bloße Umkehrung strukturalistischer Hypothesen zu genügen. Was andrerseits die metagenetischen Folgen anbetrifft, so habe ich selbst z.B. derartiges vertreten (z.B. zur Rolles des »Synchronen«: Koch, Das Textem, 1973, S. 175, 5.5 Punkt »[d]«. Man muß - wie mehrfach betont - nur klarstellen, um was es sich jeweils handelt_ um einem methodischen Primat (Metagenese) oder eine Aussage über eine Priorität im Objekt-Bereich (Genese). In der Linguistik wird dieses Kontrakurrenz-Bewußtsein zugunsten einer metagenetischen Allgemeinherrschaftv »platt gedrückt«, in der Philologie geschieht Vergleichbares zugunsten einer allgemeinen genetischen Vorherrschaft: d.h. in der Literaturwissenschaft sind Methode (Metagenese) und Objekt (Genese) von vornherein weitgehend gleichläufig: es gibt hier nur den Px, keinen Pan: es gibt mehr Objekt denn Methode.“ (Walter A. Koch, Tendenzen der Linguistik, in: Perspektiven der Linguistik, Band II, 1974, S. 303 [Fußnote 94]).

„Der Kode des einzelnen Sprechers ist nicht monolithischer Art. An gewissen Punkten im Aufbau des Kodes baut der Sprecher zwei oder mehrere der möglichen Wege aus. In der Folge kann er nach Belieben von einer Variante oder, wie man sich ausdrückt, von einen Subkode zum anderen wechseln. Jakobson (1961: 574) bezeichnet daher den sprachlichen Kode, über den der einzelne Sprecher verfügt, als einen »konvertiblen Kode«. Der Ausdruck ist nicht der Finanzwelt entliehen, sondern der Automobilindustrie. Im Englischen nennt man ein Auto, das man zugleich mit oder ohne Dach (als »Cabriolet«) fahren kann, a convertible car. Der Mechansimus der Sprachbeherrschung ist seiner Beschaffenheit nach einem solchen Auto vergleichbar.“ (Elmar Holenstein, Linguistik, Semiotik, Hermeneutik, 1976, S. 184 [**]).

 

NACH OBEN

 

Anhang:

- „Sprachfamilien“ um 1600 -

Sprachen

 

 

- Sprachfamilien“ um 2000 -

Sprachen

 

 

- „Mikosprachordnungen“ bzw. „Makrosprachfamilien“ („Supersprachfamilien“) -

Sprachen

 

 

- Genetik und Sprache -

Sprachen und Gene

 

 

- Deutsch -

Deutsch

 

 

- Sprachen nach Anzahl an Muttersprachlern sowie deren Sprachfamilie und das Land mit der höchsten Anzahl an den jeweiligen Muttersprachlern, 2007 -

Sprachen und Sprachfamilien

 

 

- Anteile der Sprachfamilien an der Weltbevölkerung -

Sprachfamilien

 

NACH OBEN

WWW.HUBERT-BRUNE.DE

© Hubert Brune, 2001 ff. (zuletzt aktualisiert: 2023).