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Niklas Luhmann
(1927-1998)

Lob, Kritik, Skepsis.

- Seiten -
Aufsätze und Reden
Die Gesellschaft der Gesellschaft
Lebensdaten und Lebenslauf-Tabelle
Soziale Systeme
Verweise
Verweise zu den bedeutendsten Zitaten u.a.
Werke-Verzeichnis
Zitate aus verschiedenen Werken
Zitate in Aphorismusform

Der in Lüneburg geborene Niklas Luhmann hat sich nicht nur als Soziologe, sondern auch als Philosoph hervorgetan, der einzige des 20 Jahrhunderts mit einem System. Er wird auch als „Hegel des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. „Wenn Luhmann wirklich, wie manchmal behauptet wird, der Hegel des 20. Jahrhunderts gewesen ist, dann wird sich das nicht zuletzt durch das Auftreten von Jungluhmannianern bewahrheiten, die sich mit einer erneuten existentialistischen Abweichung vom Systemdenken bemerkbar machen.“ (Peter Sloterdijk, Nicht gerettet - Versuche nach Heidegger, 2001, S. 140-141 **). Wer von Luhmann selbst erfahren will, was Gesellschaft ist und wie sie beschrieben werden kann, sei hier an seine literarischen Werke verwiesen, besonders an sein letztes Hauptwerk: „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ (**). Gemäß Luhmann ist die Gesellschaft das Ergebnis von Kommunikation - Kommunktation erzeugt Gesellschaft - und beschreibt sich selbst.

Systeme

Soziale Systeme
 
D i e   G e s e l l s c h a f t   u n d   i h r e   U m w e l t e n
Die Gesellschaft und ihre Umwelten

„Die Gesellschaft der Gesellschaft“ bedeutet, weil sie linguistisch eine Hyponymie-Hyperonymie-Relation (logisch: Teil-von-Relation) ist, daß die Gesellschaft sowohl Teil als auch Ganzes ist, nämlich „die Gesellschaft“ als Teil „der Gesellschaft“ als Ganzes. Luhmann hat in diesem Zusammenhang von „Teilsystem“ (oder auch: „Subsystem“) und „Gesamtsystem“ gesprochen. Die Gesellschaft ist also sowohl ein Gesamtsystem als auch ein Teilsystem dieses Gesamtsystems. Und gemäß dem Luhmann-Schüler Dirk Baecker kann die Gesellschaft ein Konkurrent für die anderen Teilsysteme des Gesamtsystems Gesellschaft (also: ihrer selbst) nur dann sein, wenn sie ihre Rolle als Teilsystem und nicht als Gesamtsystem vertritt, obwohl sie natürlich trotzdem das Gesamtsystem bleibt (**). Die moderne Gesellschaft ist immer schwächer, immer komplexer und zuletzt so komplex und zur „Weltgesellschaft“ (**) geworden, daß außerhalb von ihr kein Standpunkt und keine privilegierte Beobachterposition mehr möglich ist und insofern die diesbezügliche Relevanz nicht mehr durch sie als Gesamtsystem, sondern durch ihre Teilsysteme repräsentiert wird. Die Reduktion der Komplexität des Gesamtsystems hat sich vollzogen durch Ausdifferenzierung von Funktionssystemen (Teilsystemen), die immer komplexer geworden sind. Die Gesellschaft als das Gesamtsystem ist seitdem eine „funktional differenzierte Gesellschaft“ (**), womit eben die „moderne Gesellschaft“ gemeint ist.

Komplexität kann im System oder in seiner Umwelt oder auch in der Welt (Einheit von System und Umwelt) beobachtet werden. Nur die Komplexität eines Systems ist organisierte Komplexität. Sie besteht in der selektiven Verknüpfbarkeit der Elemente des Systems; sie ist die selektive Organisation der Autopoiesis. Die Zahl der abstrakt möglichen Relationen zwischen den Elementen eines Systems nimmt exponentiell mit der Zunahme der Zahl der Elemente zu (2 Elemente bilden 4 Relationen, 3 Elemente bilden 9 Relationen u.s.w.). Wenn in einem System die Zahl der Elemente sehr groß wird, erreicht deshalb die Zahl der Relationen Größenordnungen, die vom System selbst nicht unmittelbar kontrolliert werden können. Das impliziert, daß im System nicht alles aktualisiert und zugleich mit allem anderen verbunden werden kann; jede Operation verweist auf einen Bereich weiterer Möglichkeiten. Komplexität bedeutet, daß es immer mehr Möglichkeiten gibt, die im sozialen System als Kommunikation aktualisiert werden können. „Nur Komplexität kann Komplexität reduzieren“ (**). Die Temporalisierung der Systemkomplexität (**|**) bedeutet die laufende Wiederherstellbarkeit und Wiederherstellung der reduzierten Systemkomplexität. Also sind Systeme basal unruhig (wegen temporaler Elemente) und strukturell ruhig (wegen relationierter Elemente) und unruhig (wegen re-relationierter Elemente) zugleich (**). Die Zunahne der Komplexität, also der Relationen zwischen den Elementen, führt Beschränkungen der Erweiterung des Systems mit sich: Kein System kann eine willkürliche und unbestimmte Zunahme seiner Komplexität aushalten. Darum werden Grenzen gezogen, die Teilsysteme erzeugen. Die heutige Gesellschaft erzeugt wegen ihrer Differenzierungsform sehr viel höhere Komplexität als die früheren Gesellschaften. Gerät ein System an einen Zufall, der stärker ist als die Kapazität der Komplexitätsreduktion, geht es im Zufall zugrunde (). Das, was in diesem Zusammenhang für Systeme gilt, gilt auch für Subsysteme und Subsubsysteme u.s.w.. Für jedes gesellschaftliche Teilsystem gehört das Gesamtsystem Gesellschaft zur Umwelt. Wenn die Komplexität in einem System wächst und Komplexität auch mit „Offenheit für Beliebiges“ übersezt werden kann, so wächst in ihm die Offenheit für Zufälliges, für Chaotisches, da das „Beliebige“ für das Zufällige, das Chaotische steht, während die „Offenheit“ semantisch auch die Bereitschaft zum Risiko enthält. Nicht umsonst gilt die moderne Gesellschaft ja auch als „Risikogesellschaft“. Also bezieht sich das Riskio auch auf die moderne Kommunikation.

Kommunikation ist die Einheit von dreierlei: Information, Mitteilung und Verstehen. Wobei Information als Inhalt, Mitteilung als Form (in der die Information vermittelt wird) und Verstehen als Identitifikation der Differenz von Information und Mitteilung zu verstehen ist. Das Verstehen hat also gar nichts mit Psychischem zu tun, sondern ist eine rekursive Operation des Kommunikationssystems.

Als Sprachwissenschaftler kann ich sagen, daß mir das innerhalb dieser Kommunikationstheorie befindliche Kommunikationsmodell sehr gut gefällt, zumal ich selbst ein ähnliches Modell entwickelt habe, in dem ebenfalls alles Psychische ausgeklammert ist und auch sein muß, weil das Sprachsystem, hier verstanden als Kommunikationssystem, gemäß meiner semiotisch-linguistischen Theorie ein autopoietisches System ist.

Die moderne Gesellschaft - die für mich bekanntlich (denn die intensiven Leser meiner Webseiten wissen das) nur die abendländisch-moderne Gesellschaft der abendländischen Kultur sein kann, ohne die es jene „Weltgesellschaft“ (**) gar nicht gäbe - gehört für ihre Teilsysteme, obwohl sie deren Gesamtsystem ist, zur Umwelt, denn: „Vom Teilsystem aus gesehen, ist der Rest des umfassenden Systems jetzt Umwelt. Die Systemdifferenzierung generiert, mit anderen Worten, systeminterne Umwelten. Es handelt sich also um ein »re-entry« (Wiedereintritt; HB) der Unterscheidung von System und Umwelt in das durch sie Unterschiedene, in das System.“ (**). Für jedes System - ob Gesamtsystem oder Teilsystem - gibt es immer nur „System und Umwelt“, also sich selbst und den Rest, und es kann wegen seiner Autopoiesis mit dem Rest nicht kommunizieren.

Das System ist sozusagen jene Identität, die sich in einer komplexen und veränderlichen Umwelt druch Stabilisierung einer Innen/Außen-Differenz erhält. Es entsteht durch Grenzziehung und Konstituierung einer Differenz von Außen und Innen, durch die Schaffung von Bereichen unterschiedlicher Komplexität, durch Reduktion von Komplexität. Durch Selektion von Möglichkeiten der äußeren Weltkomplexität wird diejenige Innen/Außen-Differenz geschaffen. Diese Reduktion der äußeren Weltkomplexität auf ein Format, das Erleben, Entscheiden, Sichentscheiden und Handeln überhaupt erst gewährleistet, wird bei allen sozialen Systembildungen durch Sinn gesteuert. Systembildung heißt darum, eine einmal getroffene Sinnentscheidung gegenüber einer komplexen und sich weiterhin verändernden Umwelt durchzuhalten, eine Ordnung des Systems gegenüber der Umwelt relativ einfach und konstant zu halten. Die Systemtheorie untersucht die (Selektions- und Entscheidungs-)Prozesse sowie die Zweckprogramme, die ein System innerhalb der Grenzen seiner Autonomie in die Lage versetzen, Umweltkomplexität zu reduzieren, um sich zu erhalten, um sich (systemsinngemäß) in der realen Welt „rational“ zu verhalten.

„Erst wenn man die Theorie der Systeme mit einer Sinntheorie verbindet und zugleich klärt, daß Sinn immer Differenzen erfordert, immer Unterschiede erfordert, erst dann kann man eine Theorie sozialer Phänomene als Systemtheorie entwickeln, die auf die Differenz von System und Umwelt achtet. .... Das heißt, daß man eigentlich die Untersuchungseinheit nicht als ein Objekt oder eine Gestalt oder ein Wesen sieht, sondern als eine Differenz, die sich als Differenz reproduziert. Und das heißt für die Gesellschaftstheorie, daß man die Gesellschaft begreifen muß als eine Differenz zwischen System und Umwelt, die als Differenz erhalten bleibt und reproduziert wird, aber dies natürlich nicht durch die Umwelt, sondern durch das System selber. Und von dort aus kommt man dann zur Theorie über Selbstreferenz und Selbstorganisation und Autopoiesis, also Selbstreproduktion, was sich immer bezieht auf das Erhalten einer Differenz.“ **

Ein System ist die eine Seite einer Differenz (nämlich der zwischen System und Umwelt) und gleichzeitig auch diese Differenz selbst: das ist paradox! Die Systemtheorie beginnt mit der Differenz (zu den Vorläufern der Systemtheorie gehört der Strukturalismus, denn der geht auch von der Differenz aus). Mit der Differenz zugleich beginnt auch die Selbtreferenz, denn:
„Es gibt ... keinen Unterschied zwischen Selbtstreferenz und Differenz, ... keinen Unterschied zwischen Selbstreferenz und Beobachtung, ... derjenige, der etwas beobachtet, muß sich selbst von dem, was er beobachtet, unterscheiden, muß also zu sich selbst schon ein Verhältnis haben, um sich unterscheiden zu können“ **
Eine Unterscheidung wird immer nur gebraucht, um eine Seite und nicht die andere zu bezeichnen.

„Wozu soll man sonst unterscheiden, wenn man nicht das eine statt des anderen bezeichnen will? Die Unterscheidung ist eigentlich eine Grenze, das Markieren eine Differenz, und dann hat man zwei Seiten - aber mit der Maßgabe, daß man nicht beide zugleich brauchen kann, denn dann wäre die Unterscheidung sinnlos. .... Im Prinzip enthält die Unterscheidung zwei Komponenten, nämlich die Unterscheidung selbst (den vertikalen Strich: |) und die Bezeichnung (den horizontalen Strich: –). Und nun kommt das Merkwürdige: daß die Unterscheidung eine Unterscheidung und eine Bezeichnung enthält, also Unterscheidung und Bezeichnung unterscheidet.“ **

Gemeint ist damit u.a., daß schon am Anfang eine verborgene Paradoxie vorhanden war, nämlich die Unterscheidung in der Unterscheidung! Der Beobachter kann diese Paradoxie auflösen, denn er kann sich auf die interne oder auf die externe Unterscheidung beziehen, so daß deutlich wird, daß er z.B. ein und dasselbe System entweder intern oder extern beobachtet (unterscheidet und bezeichnet), also dies entweder selbstreferentiell oder fremdreferentiell tut (auch wenn er dies in Wirklichkeit niemals als Fremdbeobachter tun kann: der Wiedereintritt [„re-entry“] der Unterscheidung ermöglicht den Fremdbeobachter im Sinne des „Als-ob“). Von demselben System ist also zweimal die Rede. Das gilt für den Wiedereintritt („re-entry“) der Form in die Form, der Unterscheidung in die Unterscheidung, des Systems (als der Differenz von System und Umwelt) in das System. In allen Fällen ist von demselben zweimal die Rede.
„Die Konsequenz für die Systemtheorie ist, daß »System« als eine Form bezeichnet werden kann - mit der Maßgabe, daß mit dem Formbegriff immer die »Differenz von System und Umwelt« bezeichnet wird. .... System ist eine Form, eine Form mit zwei Seiten.“ **
Man könnte diese Form auch als „Synthese“ (**) deuten. Jedenfalls ist es eine Dreier-Figur, die sowohl in der Semiotik als auch in der Linguistik sehr bedeutsam ist, denn Semiotikern und Linguisten zufolge ist ein Zeichen ebenfalls eine Form mit zwei Seiten: Bezeichnendes und Bezeichnetes (**).
„Das Zeichen ist ... die Differenz zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem.“ **
Wenn man die Form namens Zeichen gebraucht, dann wird auf der inneren Seite dieser Form - also auf der Seite des Bezeichnenden - operiert. Systemtheoretisch gesagt: Wenn man die Form namens System (Differenz von System und Umwelt) gebraucht, dann wird auf der inneren Seite dieser Form - also auf der Seite des Systems - operiert. Die Form (das Zeichen [als Differenz zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem] bzw. System [als Differenz zwischen System und Umwelt]) wird benutzt, indem die innere Seite (Bezeichnendes bzw. System) operiert.
„Psychische und soziale Systeme ... unterscheiden ... Selbstreferenz und Fremdreferenz. Für sie sind Grenzen daher keine materiellen Artefakte, sondern Formen mit zwei Seiten. - Abstrakt gesehen handelt es sich dabei um ein »re-entry« einer Unterscheidung in das durch sie selbst Unterschiedene. Die Differenz System/Umwelt kommt zweimal vor: als durch das System produzierter Unterschied und als im System beobachteter Unterschied. Mit dem Begriff des »re-entry« zitieren wir zugleich angebbare Konsequenzen .... - Das für das System selbst sichtbare Resultat dieser Konsequenzen des re-entry soll ... mit dem Begriff »Sinn« bezeichnet werden.“ **

Alter \ Ego
Erleben Handeln
Erleben Ae => Ee
Wahrheit
Werte
Ae => Eh
Liebe
Handeln Ah => Ee
Eigentum/Geld
Kunst
Ah => Eh
Macht/Recht
Vgl. Niklas Luhmann, ebd, 1997, S. 336. **
Autopoiesis der Gesellschaft
/ | \
Kommunikation Evolution Differenzierung
| | |
SOZIAL ZETLICH SACHLICH
\ | /
Selbstbeschreibung der Gesellschaft
Vgl. Niklas Luhmann, ebd, 1997, S. 1138. **

Gemäß Luhmanns Systemtheorie gibt es „drei Sinndimensionen, die durch jeweils eine dimensionsspezifische Unterscheidung konstituiert werden. In der Sachdimension (traditionell repräsentiert in der Kategorienlehre) gibt es das »Innen« im Unterschied zum »Außen« der Form. Die systemtheoretische Fassung spricht von System und Umwelt. In der Zeitdimension (traditionell repräsentiert durch den Begriff der Bewegung) geht es um die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft. In der Sozialdimension (traditionell repräsentiert durch die Lehre vom »animal sociale«) geht es um die Unterscheidung von Ego und Alter, wobei wir als Ego den bezeichnen, der eine Kommunikation versteht, und als Alter den, dem die Mitteilung zugerechnet wird.“ (**). „Die Kommunikation läuft von Alter zu Ego. (Wir kehren die übliche Reihenfolge Ego-Alter um, um daran zu erinnern, daß wir den Kommunikationsprozeß vom Beobachter, also vom Verstehen her konstruieren, und nicht handlungstheoretisch.) Erst muß Alter etwas mitteilen, nur dann kan Ego verstehen und annehmen oder ablehnen. Dies basale Einheit wird heraussubstrahiert, obwohl doppelte Kontingenz immer als Zirkel gebaut ist (»wenn Du tust, was ich will, tue ich, was Du willst«) und Kommunikation als Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen in rekursiver Vernetzung mit anderen Kommunikationen erzeugt wird.“ (**). „Nur dort, wo Zurechnungen Kausalität platzieren, können Konditionierungen angebracht werden. Insofern dirigiert (nicht determiniert!) das Zurechnungsschema die Konditionierungen der Selektion und über diese die erwartbare Motivation. Es macht mithin einen Unterschied aus, ob Alter und Ego als handelnd oder erlebend (sie sind beide natürlich immer beides) konditioniert werden. Im Prinzip muß man deshalb, wie unsere Tabelle zeigt, mit vier verschieden Konstellationen rechnen, nämlich (1) Alter löst durch Kommunikation seines Erlebens ein entsprechendes Erleben von Ego aus; (2) Alters Erleben führt zu einem entsprechenden Handeln Egos; (3) Alters Handeln wird von Ego nur erlebt; und (4) Alters Handeln veranlaßt ein entsprechendes Handeln von Ego.“ (**). Ich fasse zusammen: (1) Ae => Ee (Erleben Alters => Erleben Egos), symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien: Wahrheit, Werte; (2) Ae => Eh (Erleben Alters => Handeln Egos), symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium: Liebe; (3) Ah => Ee (Handeln Alters => Erleben Egos), symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien: Eigentum/Geld, Kunst; (4) Ah => Eh (Handeln Alters => Handeln Egos), symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium: Macht/Recht. In diesen Beispielen ist Erleben wie Information, das Handeln wie Mitteilung zu verstehen; „und dies gilt für beide Seiten: für die, die eine Kommunikation initiiert, und für die, die darufhin über (Kommunikation von) Annahme und Ablehnung zu entscheiden hat. Wenn eine Selektion (von wem immer) dem System selbst zugerechnet wird, wollen wir von Handlung sprechen, wird sie der Umwelt zugerechnet, von Erleben. Entsprechend unterscheiden sich die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien danach, ob sie die beiden sozialen Positionen Ego und Alter als erlebend oder als handelnd voraussetzen.“ (**). Jedes symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium ist „ein Medium der Weltkonstruktion und nicht ein nur für bestimmte Zwecke geeignetes Mittel.“ (**). „Im Falle von Werten mag man zweifeln, ob überhaupt ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium vorliegt, oder ob wir hier, wenn überhaupt, ein Medium im Prozeß des Entstehens beobachten können; denn eine entsprechende Semantik gibt es erst seit etwa zweihundert Jahren.“ (**). „Die Funktion der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien ist es, Selektionen so zu konditionieren, daß Kommunikationen angenommen werden, obwohl dies von der Zumutung her unwahrscheinlich ist. In bezug auf auf den tatsächlichen Motivationserfolg kann ein symbolisches Medium aber zu viel oder zu wenig gebraucht werden. Den erstgenannten Fall bezeichnen wir als Inflation, den anderen als Deflation.“ (**).

Da hier gerade auch „Selektionen“ erwähnt worden sind, sei erwähnt, was bezüglich der Autopiesis des Gesellschaftssystems „Variation, Selektion und Restabilisierung“ bedeuten:

„Wir schlagen vor, die unterschiedlichen Komponenten der Evolution auf unterschiedliche Komponenten der Autopoiesis des Gesellschaftssystems zu beziehen, und zwar in folgender Weise:
(1)  Durch Variation werden die Elemente des Systems variiert, hier also die Kommunikationen. Variation besteht in einer abweichenden Reproduktion der Elemente durch die Elemente des Systems, mit anderen Worten: in unerwarteter, überraschender Kommunikation.
(2) Die Selektion betrifft die Strukturen des Systems, hier also Kommunikation steuernde Erwartungen. Sie wählt anhand abweichender Kommunikation solche Sinnbezüge aus, die Strukturaufbauwert versprechen, die sich für wiederholte Verwendung eigenen, die erwartungsbildend und -kondensierend wirken können; und sie verwirft, indem sie die Abweichung der Situation zurechnet, sie dem Vergessen überläßt oder sie sogar explizit ablehnt, diejenigen Neuerungen, die sich nicht als Struktur, also nicht als Richtlinie für die weitere Kommunikation zu eignen scheinen.
(3) Die Restabilisierung betrifft den Zustand des evoluierenden Systems nach einer erfolgten, sei es positiven, sei es negativen Selektion. Dabei wird es zunächst um das Gesellschaftssystem selbst im Verhältnis zu seiner Umwelt gehen. Man denke etwa an die Erstentwicklung von Landwirtschaft mit Konsequenzen, die im Sozialsystem der Gesellschaft »systemfähig« sein müssen. Oder an die Vermeidung einer Agrarisierung (aus ökologischen oder anderen Gründen), die dann zur Entstehung von »Nomadenvölkern« am Rande von bereits politisch entwickelten Bauerngesellschaften führt. Im weiteren Verlauf der gesellschaftlichen Evolution verlagert die Restabilisierungsfunktion sich dann mehr und mehr auf Teilsysteme der Gesellschaft, die sich in der inflergesellschaftlichen Umwelt zu bewähren haben. Dann geht es letztlich um das Problem der Haltbarkeit gesellschaftlicher Systemdifferenzierung.“ (**).

Aspekte der Evolution von Gesellschaft

Besondere Aufmerksamkeit gebührt unter den sozialen Systemen auch den Organisationssystemen (**):
„Während Interaktionssysteme ihre Umwelt nur über eine Aktivierung von Anwesenden und nur über eine Internalisierung der Differenz von anwesend/abwesend berücksichtigen können, haben Organisationen zusätzlich die Möglichkeit, mit Systemen in ihrer Umwelt zu kommunizieren. Sie sind der einzige Typ sozialer Systeme, der diese Möglichkeit hat, und wenn man dies erreichen will, muß man organisieren. Dies Nach-außen-Kommunizieren setzt Autopoiesis auf der Basis von Entscheidungen voraus. Denn die Kommunikation kann intern nur im rekursiven Netzwerk der eigenen Entscheidungstätigkeit, also nur als Entscheidung angefertigt werden; sie wäre anderenfalls nicht als eigene Kommunikation erkennbar.“ **
Organisationssysteme sind also die einzigen unter den sozialen Systemen, die mit Systemen in ihrer Umwelt kommunizieren können.

Werden Sie so schnell wie möglich Mitglied einer Organisation!

Mein Lob gehört Luhmann vor allem deswegen, weil es sein Verdienst ist, sich in all seinen Äußerungen möglichst wertneutral, sehr gelassen und auch sehr humorvoll (ganz im Sinne der Tradition der deutschen Romantik) zu geben. Wenn ich dabei bedenke, daß er einer Fakultät verpflichtet gewesen ist, die - gemessen an allen anderen Fakultäten - genau das Gegenteil repräsentiert, so muß mein Lob noch höher ausfallen, obwohl das kaum möglich ist, weil sein Verdienst nicht nur auf diese Fakultät, sondern auch auf die Philosophie und die Wissenschaft allgemein bezogen ist, und zwar jeweils die theoretische Seite betreffend. Luhmann war Theoretiker durch und durch. Offenbar trieb ihn seine hohe Intelligenz in eine regelrechte Liebe zum Abstrakten, mit dessen Hilfe er das seinen Ausgangspunkt bildende und weit verbreitete „Defizit in der gegenwärtigen intellektuellen Landschaft“ (**) abbauen wollte und zumindest teilweise auch tatsächlich abbaute.

Luhmanns „Systemtheorie war und ist konkurrenzlos, weil niemand sonst den Mut zur Gesellschaftstheorie hat.“ (Norbert Bolz, Niklas Luhmann: Das Genie der Gesellschaftstheorie, in: Neue Zürcher Zeitung, 08.12.2017, 05:30 **). Dieser Aussage ist unbedingt zuzustimmen.

Soziale Systeme
Da die Gesellschaft gemäß Luhmann ein operativ geschlossenes System, d.h. ein kommunikativ geschlossenes System (denn in der Gesellschaft ist Operation gleich Kommunikation) ist, kann z.B. die Selbstreferenz nur ein „Einwirken von Kommunikation auf Kommunikation“ (Dirk Baecker) bedeuten. Die Realität dieses kommunikativ geschlossenen Systems ergibt sich sich eben nur aus diesen Rekursionen von Sprache auf Sprache (Kommunikation auf Kommunikation) und nicht durch ein „Sichaufdrängen der irgendwie geordnet vorhandenen Außenwelt“, so Dirk Baecker, der weiß, daß nichts uns die Selbstverantwortung für unsere Sicht der Welt abnimmt. Unsere Weltgesellschaft kann nicht von außen beobachtet werden, und „beobachten“ bedeutet gemäß Luhmann „unterscheiden und bezeichnen“. Die Gesellschaft kann sich nur selbst beschreiben. Eine andere Autorität als sie selbst gibt es für sie nicht. Das müssen endlich auch diejenigen Soziologen begreifen, die immer noch innnerhalb der Soziologie eine Mehrheit bilden. Bis heute hat man zu Luhmanns These, daß sich die Gesellschaft allein über selbstbezügliche Kommunikationen bildet, kein funktionales Äquivalent gefunden und auch nichts gefunden, was sie als funktional überflüssig machen würde.

Die hohe Spezialisierung und Autonomisierung der Funktionssysteme werden gemäß Luhmann „zu wechselseitigen Belastungen führen, von denen man nicht voraussehen kann, wie sie in Einzelfällen zu bewältigen wären“ - oder gar in ihrer Summe. Aktuelle Beispiele für diese Konsequenzen der Differenzierung sind u.a. (1) eine Politik, die unter Brechung europäischen Rechts den Nationalstaat aufgibt, weil sie dessen Grenzen unter dem Einwanderungsdruck nicht mehr verteidigen zu können glaubt und dann dem Rechtssystem die Abarbeitung der Folgen des eigenen Rechtsbruches überläßt; (2) ein Rechtssystem, das aus Rücksicht auf außerrechtliche Empfindlichkeiten auf seine eigene Durchsetzung verzichtet (siehe rechtsfreie Zonen in westeuropäischen Großstädten); (3) ein Wissenschaftssystem, das sich selbst Ethikregeln verschreibt, um den moralischen Erwartungen aus der Gesellschaft (Kommunikation) zu genügen; (4) ein Erziehungs-/Schulsystem, das lieber alte Bildungsstandards aufgibt, als deren Aufrechterhaltung in der Notenvergabe transparent zu machen, um dann dem Wirtschaftssystem die undankbare Aufgabe zu überlassen, die Qualifikationen selbst zu bewerten; ... u.s.w. - es gibt noch viel mehr Beispiele für die Konsequenzen der Differenzierung, insgesamt mindestens so viele, wie es Funktiosnsysteme gibt.

Beobachtung der Beobachtung
B e o b a c h t u n g   „ n - t e r “   O r d n u n g .

„Es ist, wie es ist; aber es könnte auch alles ganz anders kommen: das könnte das Motto von Luhmanns Gesellschaftstheorie sein. Und das ist auch ganz explizit der Gestus, mit dem er an solche Fragen herangeht. Was passiert, passiert; und der Soziologe hat die Aufgabe, einen Schritt zurückzutreten und als Beobachter zweiter Ordnung zu beobachten, wie andere beobachten.“ (Peter Zudeick **). Auch findet man in Luhmanns spätem Hauptwerk einen „Ansatz, wie man Protestbewegungen auch systematisch einnordet, indem man ihnen die gesellschaftliche Funktion zuweist, die Negation der Gesellschaft in der Gesellschaft in Operationen umzusetzen - ein fast Hegelscher Ansatz.“ (Peter Zudeick **). Die Gesellschaft beobachtet sich nicht nur selbst, also nicht nur in sich selbst, sondern auch gegen sich selbst. „Wir haben hier das Musterbeispiel einer Methode, die ausschließlich an der Funktion eines Systems orientiert ist, also an dem, was sich gleichsam hinter dem Rücken der Subjekte abspielt. Ähnlichkeiten mit Hegel, Adam Smith und Karl Marx sind nicht zufällig.“ (Peter Zudeick **). Luhmann hat mit seinem großen Theoriegebäude eine „Große Erzählung“ geliefert - also genau das, was gemäß der „Postmoderne“ (**) gar nicht mehr möglich sein soll. Der Luhmann-Schüler Peter Fuchs meint, daß Luhmanns großer Wurf des 20. Jahrhunderts zu den Versuchen gehört, die schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder aktualisiert worden sind, vor allem auch z.B. der Versuch, Antworten zu finden auf die folgenden zwei Fragen:
1.)  Was geschieht mit dem Sein, wenn das Sein aus der Welt herausgenommen wird, weil wir nichts mehr dazu sagen können?
Hier geht es also um das, was ein halbes Jahrhundert vor Luhmann schon Heidegger auf dem Punkt gebracht hatte: Die Durchkreuzung des Seins.
2.) Was geschieht, wenn das Subjekt verlorengeht und mit ihm auch das Objekt?
Auch hiermit hatte sich ein halbes Jahrhundert vor Luhmann schon Heidegger beschäftigt: Die Durchkreuzung des Subjekts - und damit auch des Objekts.
Peter Fuchs meint: „Die Größe Luhmanns liegt in seinem antikartesischen Affekt; also was er im Grunde verwirft, das ist Descartes, die Subjekt/Objekt-Unterscheidung. Aber er macht es auf eine Weise, die, wie ich finde, handfester oder stärker mit empirischen Befunden aufgeladen ist, als man das typischerweise findet.“ (Peter Fuchs **). Auch und gerade Kybernetiker, Biologen und Anthropogen stimmen Luhmann zu. Luhmann „ist der Realität ziemlich nahe“, sagte sogar der marxistische Sozialphilosoph Oskar Negt (**) von der Frankfurter Schule, also der Gegnerschaft Luhmanns. Dem Luhmann-Schüler Peter Fuchs zufolge besteht die Philosophie fast nur noch aus einer „Klassiker-Exegese .... Wobei das jetzt aber keine Abwertung der Philosophie darstellt. Luhmann hat den Hegel-Preis bekommen, - also, es hat wenigstens irgendwelche Philosophen gegeben, die gemerkt haben, daß dort etwas passiert.“ (Peter Fuchs **). Der zur Ritter-Schule (**) gehörende Philosoph Robert Spaemann nannte 1988 seine Laudatio anläßlich der Verleihung des Hegel-Preises explizit „Niklas Luhmanns Herausforderungen der Philosophie“. Diese Herausforderung beschreibt der Kölner Philosoph, Mathematiker, Physiker und Künstler Günter Schulte wie folgt: „Er will zum Beispiel die Erkenntnistheorie mitbetreuen, oder er sagt, er will die Firma Vernunft unter einer neuen Bezeichnung, nämlich Selbstreferenz, übernehmen. Vernunft war sicherlich ein Thema der Philosophie, wenn nicht das Thema. Das würde der Philosophie jetzt aus der Hand genommen. Da fragt man sich natürlich: Woher dieser Anspruch? Wir hatten in der Philosophie natürlich schon mal Leute, die rigoros aufgeräumt haben, was die Philosophie der Vernunft betraf: das war Hegel, der meinte, man müßte die subjektive Vernunft, also die Vernunft der individuellen Subjekte, die frei handeln und entscheiden, umstellen auf eine göttliche, absolute Systemvernunft. Und dieses System Hegels ist das, was Luhmann zunächst mal am allermeisten beeindruckt, weshalb er auch zu recht den Hegel-Preis bekommen hat. Dann kam nach Hegel Marx und stellte dieses System des absoluten Geistes um auf Materie. Prima, sagt Luhmann, das können wir auch benutzen, indem wir jetzt eine naturalisierte Erkenntnistheorie machen ..., indem man nämlich meint: dieses Geistsystem (das er jetzt Sinnsystem nennt) Hegels kann empirisch beobachtet werden. Damit hat er also diese Marxsche Wendung mit drin.“ (Günter Schulte **). Schulte sieht in Luhmanns Theorie eine umgestülpte Subjekttheorie, eine schlichte Umstellung von Subjekt auf System (vgl. Günter Schulte, Der blinde Fleck in Luhmanns Systemtheorie, 1993, S. 12 und 22) und vermutet dabei auch einen neuen Gottesbeweis: Luhmanns „Gottesbeweis ist der Beweis eigener Göttlichkeit. Diese Systemtheorie ist das Re-entry Gottes selbst in seine Schöpfung“ (ebd., S. 161). Schulte muß gegen sich selbst gelten lassen, was er Luhmann unterstellt: „Wer meint, er hätte die Einheit gesehen, der irrt sich; denn hätte er recht, könnte er das nicht mehr mitteilen“ ([] ebd. S. 151). Luhmann hält philosophischerseits den Blick auf das Ganze aufrecht (man nennt diese Vorgehensweise auch „Holismus“) und soziologischerseits die Aufklärung für das angemessene Mittel, Soziologie zu betreiben. Die Verleihung des Hegel-Preises an Luhmann war absolut berechtigt. Der Unterschied zwischen Luhmann und z.B. den „Vertretern“ der Frankfurter Schule ist der zwischen auf Vernunft basierender Gelassenheit oder Unschuldsunterstellung auf der einen Seite (Luhmann) und Kritik oder Moral im Sinne von Schuldzuweisungen auf der anderen Seite (Frankfurter Schüler mit ihrer angeblichen „Kritischen Theorie“). Jedenfalls befinde ich mich in guter Gesellschaft (!) auf der Seite der auf Vernunft basierenden Gelassenheit oder Unschuldsunterstellung.

„Die methodische Unschuldsunterstellung in bezug auf Systeme in ihren Umwelten läßt sich nur durchhalten, wenn auf der Seite des Analytikers eine spezifische Abstinenz gewahrt wird - ich möchte sie als eine systemtheoretische Gelassenheit bezeichnen, auf die Gefahr hin, daß eine Versuchung aufkommen könnte, den Namen Luhmanns mit dem von Meister Eckhart und Heidegger in einem Atemzug zu nennen.“ (Peter Sloterdijk, Nicht gerettet - Versuche nach Heidegger, 2001, S. 108 **).

In Baeckers 2007 veröffentlichtem Buch „Studien zur nächsten Gesellschaft“ ist zu lesen, daß die „nächste Gesellschaft eine Gesellschaft sein wird, die die funktionale Differenzierung hinter sich gelassen haben wird“. Luhmann habe uns, so Baecker, mit seinem Werk nicht den Abschluß seiner Theorie, sondern den nächsten Schritt zu ihrer Weiterentwicklung hinterlassen. Das Buch sei durchzogen von der Annahme, daß eine Epochenzäsur durch die Reaktion der Gesellschaft auf die Durchsetzung elektronischer Medien möglich sei. Damit komme die moderne Buchdruckgesellschaft zu ihrem Ende, und es begänne eine neue, eben die nächste Gesellschaft, die eine andere Differenzierungsform aufweise und die sich in einer neuen Kulturform andeute. Baecker zufolge ist Luhmann jedenfalls von der Bedeutung der Digitalisierung schon so überzeugt gewesen, daß er sich in der „Gesellschaft der Gesellschaft“ an einer zentralen Stelle zum Offenhalten einer überraschenden „Unbestimmtheitsstelle“ genötigt sah, die die weitere Ausdifferenzierung und Reproduktion der Gesellschaft als auch ihre Theorie betreffe. Luhmann habe an dieser Stelle zugegeben, die Konsequenzen der Digitalisierung in der weiteren Evolution des Gesellschaftssystems einfach nicht überblicken zu können. Und das liege nicht daran, daß man die internen Operationen des Computers bereits als Kommunikation betrachten müsse, die menschliche Kommunikation ersetzen oder gar überbieten könne. Das war für Luhmann eher eine Verharmlosung des Problems. Was also war das nicht lösbare Problem der „Gesellschaft der Gesellschaft“? Vielleicht äußerte sich darin die Skepsis eines Gelehrten aus dem späten 20. Jahrhundert, aber Luhmann war wohl davon überzeugt, daß der Computer die Gesellschaft unsichtbar macht. Oder jedenfalls einen wachsenden Teil von ihr. Diese Teilmenge, also die Leistungen der unsichtbaren Maschine Computer, ist und bleibt dem Bewußtsein und der Kommunikation unzugänglich, also auch die von ihnen konstruierte Realität. Und doch wirkten sie über strukturelle Kopplungen auf Menschen und die Gesellschaft ein.

„Der Mensch ist eigentlich nicht Subjekt, sondern Adjekt der Gesellschaft.“ **

Wie schon erwähnt: Nicht Menschen kommunizieren, sondern die Kommunikation kommuniziert. Die Gesellschaft (Kommunikation) operiert (kommuniziert). Dies bedeutet nicht, daß ein Mensch überhaupt nichts mit der Kommunikation (Gesellschaft) zu tun hat. Er steht mit seinem Bewußtseinssystem mit dem Kommunikationssystem (Gesellschaftssystem) in einem Verhältnis der „Interpenetration“. „Interpenetration ... bedeutet, daß ... Systeme sich wechselseitig dadurch ermöglichen, daß sie in das jeweils andere ihre eigene Komplexität einbringen - sie bleiben dabei füreinander Umwelt“ (Peter Zudeick **). Aber ansonsten hat der Mensch mit der Kommunikation (Gesellschaft) nichts zu tun. Er ist also nicht Subjekt, sondern lediglich Adjekt dieser Operationen. Jede dieser Operationen (im Falle der Gesellschaft also: jede ihrer Kommunikationen) vollzieht sich aufgrund vorhergegengener Operation oder Operationen in dem durch sie entstandenen System, dem Kommunikationssystem (Gesellschaftssystem) - und sonst nirgendwo.

Systemkomplexität.
Ein System ist komplex, wenn die Menge der in ihm möglichen die Menge der in ihm aktualisierten Ereignisse übersteigt.
  Weltkomplexität.
Als Korrelat von Systemkomplexität ist die Weltkomplexität die jeweilge Einheit der durch ein System ermöglichten und potentialisierten Möglichkeiten.
  Selbstreferentialität von Komplexität.
Komplexität ist ein selbstreferentieller evolutionärer Zusammenhang der gleichzeitigen Verminderung und Steigerung.
 
System-Umwelt-Komplexität.
Im System ist die Menge möglicher Ereignisse geringer als in seiner Umwelt.
  Informationsmangel.
Komplexität ist die Information, die dem System fehlt, um sich selbst bzw. seine Umwelt vollständig beobachten zu können.

Die Komplexität ist zu verstehen als die systemselektive Gesamtheit möglicher Ereignisse als Elementen; denn eine solche systemselektive Menge von Elementen ist dann komplex, wenn nicht mehr jedes Element mit jedem anderen Element verknüpfbar ist. Jede Ermöglichung von selektiven Ereignissen beruht auf kontingenter Systembildung, wobei Systembildung als evolutive Antwort auf eine sonst nicht übersehbare und beherrschbare Fülle unbestimmter Möglichkeiten zu verstehen ist. Systembildung heißt ja (wie schon gesagt), eine einmal getroffene Sinnentscheidung gegenüber einer komplexen und sich weiterhin verändernden Umwelt durchzuhalten, eine Ordnung des Systems gegenüber der Umwelt relativ einfach und konstant zu halten. Kein System kann in sich alle ihm möglichen Ereignisse gleichzeitig aktualisieren. Aus der Sicht des Systems enthält die Umwelt des Systems immer mehr Ereignismöglichkeiten, als jemals im System aktualisiert werden könnten. Jede Ausdifferenzierung eines Systems bedeutet Erzeugung von geringerer systemeigener Komplexität und größerer systembezogener Umweltkomplexität. Die Komplexität wird in diesem Sinne zugleich reduziert und gesteigert. Werden die in einem System selektiv zugelassenen und selektiv relationierten Ereignisse, z.B. legitime Rechte, ihrerseits im System selektiv relationiert, d.h. abstrahiert, z.B. positive Rechte, werden wieder mehr Ereignisse, etwa rechtliche Entscheidungen, als zuvor möglich, da sie ja unbestimmter und deshalb bestimmbarer geworden sind. Gleichzeitig wird Systemkomplexität reduziert und Umweltkomplexität gesteigert. Logisch zwingend ist nur die Gleichzeitigkeit von Reduktion und Steigerung, nicht aber in der Zeit ein Steigerungsverhältnis bezüglich der Gesamtkomplexität. Evolutorisch-historisch ist dennoch eine Steigerung von Gesamtkomplexität wahrscheinlich.

Der Abgrenzung der sozialen Systeme gegen lebende Systeme dient das psychische System. Der Begriff des psychischen Systems ist ausdrücklich nicht an den klassischen Begriff des Subjekts gebunden, für den ja Differenzen wie z.B. Subjekt/Objekt und empirisch/transzendental noch konstitutiv sind. Das psychische System ist ein entsubjektiviertes beobachtbares beobachtendes System. Er ist vor allem nicht vorstellbar als ein Ort, von dem her sich eine Erkenntnistheorie gewinnen ließe, denn das ist eine Veranstaltung des sozialen Systems. Erkenntnis als System kann sich wie jedes System nur auf sich selbst beziehen, d.h. Umweltkontakt als Realitätskontakt nur durch Selbstkontakt herstellen, real eine systemeigene Unterscheidung von Realität leisten. Insgesamt ist so Erkenntnis als System rekursiv in erkannter Realität als System abgesichert. Erkenntnis als Konstruktion ist eine Konstruktion. Da Erkenntnis auf der Beobachtung von Beobachtungen, aber nicht auf Gründen gründet, operiert sie blind (vgl. blinder Fleck). Wenn jede Beobachtung blind operiert, aber eben doch stattfindet (vgl. Paradoxie), dann muß das, was beobachtet wird, ein Konstrukt sein: Konstrukttheorie der Erkenntnis. Der systemtheoretische Konstruktivismus weiß, daß er konstruiert und selbst konstruiert ist. Das ist Realität, und das erzeugt Realität. Entscheidend ist die Frage, ob das als Realität Erkannte dem Erkennenden durch die Realität als so und nicht anders zu erkennen vorgegeben ist, ob einer Instrukt- oder Konstrukttheorie der Erkenntnis der Vorzug zu geben ist. Realität kann auch vom Instrukt zum Konstrukt und zum Dekonstrukt werden. Realität ist dann einfach das, was unterschieden wird, einschließlich der Realität des Unterscheidens. Das als instruiert bezeichnete Beobachten leugnet jedoch die eigene Beobachtung als instruiert, während das als konstruiert bezeichnete Beobachten sich selbst als konstruiert zu beobachten vermag. Der Konstruktvariante oder dem systemtheorerischen Konstruktivismus zufolge ist Realität ein beobachtungs- oder beobachterabhängiger, weil als solcher unterschiedener Sachverhalt. Realität ist wie Sinn und Welt ein differenzloser Begriff (differenzlos bezüglich ihrer Begründbarkeit). Der systemtheoretische Konstruktivismus unterscheidet sich vom radikalen Konstruktivismus durch Vermeidung einer Radikalisierung der Subjektivität des Beobachtens. Denn würde der Subjektstandpunkt radikalisiert, seiner Gegenseite, des Objekts, entledigt, dann wäre keine Erkenntnis mehr möglich, da diese auf einer Unterscheidung beruhen müßte. Der systemtheoretische Konstruktivismus hat weniger den Abschluß oder die Vollendung klassischer Erkenntnistheorie als mehr deren emergente Ersetzung zum Ziel. An die Stelle des sich seiner selbst in Differenz zu seinem Objekt gewissen Subjekts tritt der quasi-objektivierte Beobachter als ein beobachtendes System. An die Stelle des Objekts an sich außerhalb des Subjekts tritt die Operation des Beobachtens des Beobachters, wobei man sich diese Operation als einen quasi-objektlosen Vollzug vorzustellen hat. Erkenntnis wird so zur Operation des Beobachters, und der Gegenstand der Erkenntnis wird in und mit der Operation des Beobachters gesetzt. In einem Satz: Erkenntnis wird als eine paradoxe selbstreferentielle Operation (re)konstruiert. So könnte der systemtheoretische Konstruktivismus auch „operativer Konstruktivismus“ heißen.

Eine der Hauptleistungen Luhmanns ist, Bewußtseinstheorie in Systemtheorie überführt zu haben. Theorien müsen sich bewähren (um nicht zu sagen: „bewahrheiten“), indem sie durch die Empirie bestätigt (um nicht zu sagen: „verifiziert“) werden. Luhmanns starker Hang für Abstraktes ist allein schon Grund genug für die Annahme, daß seine Systemtheorie weiterhin von der Empirie bestätigt werden wird. Luhmann hatte zunächst Jura studiert, also seiner eigenen späteren Terminologie zufolge in dem Subsystem (Teilsystem) Recht, einem Funktionssystem des Gesellschaftssystems (Kommunkationssystems). Zwei Jahre nach seinem Studium hatte er schon mit dem Aufbau seiner Zettelkästen begonnen, drei Jahre danach seine Berufstätigkeit als Jurist im Bereich der Verwaltung an verschiedenen Orten (Lüneburg, Hannover, Speyer). Aber erst viel später begann seine berufliche Universitätskarriere im Bereich der Soziologie, einem Subsubsystem des Subsystems Wissenschaft, das wiederum ein Funktionssystem des Gesellschaftssystems (Kommunkationssystems) darstellt. Wir halten fest: Jura, Verwaltung, Soziologie. Dazu kommt Luhmanns „Ader“ für Philosophie - nicht zuletzt aufgrund seines starken Hangs für Abstraktes, für Theorien und eben für Philosophie. Auch diese Fakten aus Luhmanns Biographie sprechen für seine Systemtheorie.

Das Subsubsystem Soziologie innerhalb des Subsystems Wissenschaft hat in seiner Geschichte nur wenige Erfolge errungen, einer davon ist die von der Soziologie immer noch nich so recht begrüßte Systemtheorie Luhmanns; also ist das Subsubsystem Sozologie gut beraten, Luhmanns Systemtheorie intensiver anzuwenden und darauf mehr aufzubauen. Auch nach meinem Dafürhalten kann man mit Hilfe der Systemtheorie mehr erklären und aufklären als ohne sie. Luhmann hat eine Theorie über die Gesellschaft entwickelt, doch alle anderen Soziologen vor ihm und auch nach ihm bis heute noch nicht.

Wenn Luhmann ganz speziell die moderne Gesellschaft als die „funktional differenzierte Gesellschaft“ (**) und somit als die „Weltgesellschaft“ (**) thematisiert, dann muß jeder Mensch, der als Subjekt versucht, sich außerhalb dieser Gesellschaft zu stellen, um sie zu beschreiben, erfolglos bleiben, weil dies nicht möglich ist, denn er kann nicht außerhalb, sondern nur innerhalb dieser Gesellschaft sein. Man kann die Existenz einer Weltgesellschaft bezweifeln, aber nicht deren Konsequenzen, die sich aus ihr im Sinne der Systemtheorie Luhmanns ergeben. Denn wenn es eine Weltgesellschaft gibt bzw. gäbe, dann sind bzw. wären die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen nach meinem Dafürhalten gleich oder zumindestens ähnlich denjenigen, die Luhmann mit Bezug auf diese Weltgesellschaft beschrieben hat. Und wenn es keine Weltgesellschaft gibt bzw. gäbe, dann gibt bzw. gäbe es an deren Stelle eben jene Gesellschaften der Stratifikation (**) oder/und der Zentrum/Peripherie-Unterscheidung (**) oder/und der Segmente (**), die zumindest in der Lage sind bzw. wären, die jeweils andere(n) Gesellschaft(en) von außen zu beschreiben, allerdings sind bzw. wären Menschen dieser Gesellschaften ebenfalls nicht in der Lage, ihre jeweils eigene Gesellschaft von außen zu beschreiben, weil sie selbst immer schon in eben dieser jeweils eigenen Gesellschaft sind bzw. wären. Der Vorteil solcher vormodernen Gesellschaften ist aber der, daß sie als Gesamtsystem ihre Subsysteme und Subsubsysteme z.B. mittels einer Zentralinstanz steuern und also kontrollieren können. Eine solche zentrale Macht fehlt in einer modernen Gesellschaft als Weltgesellschaft, weil sie eine funktional differenzierte Gesellschaft ist, also in ihr diese Macht verteilt, nämlich auf unterschiedliche Funktionssysteme übertragen ist, obwohl (oder weil?) diese Funktionssysteme sich noch nicht einmal gegenseitig absprechen, geschweige denn unterstützen oder helfen können, denn es gilt ja gemäß der Systemtheorie, daß jedes System, also auch jedes Funktionssystem, ein autopoietisches (selbstreproduktives) und selbstbezügliches System ist - und also der Rest Umwelt -, so daß es eben auch nur selbstreproduktiv und selbstbezüglich kommunizieren kann.

Wer will denn abstreiten, daß in unserer, ausschließlich auf der Grundlage der abendländischen Kultur operierenden (kommunizierenden) „Weltgesellschaft“ (**) diejenigen ihrer Subsysteme, die gleichzeitig Funktionssysteme sind - z.B. die Wirtschaft, die Politik, das Recht, die Wissenschaft u.v.a. -, sich autopoietisch und selbstbezüglich verhalten? Gleiches gilt für deren Teilsysteme u.s.w.. Wir können doch beobachten - unterscheiden und bezeichnen -, daß die Götter und Subjekte (welche auch immer), die aus ihren mächtigen Zentralen vertrieben worden sind, in die Funktionssysteme oder andere Subsysteme und auch in die Subsubsysteme und Subsubsubsysteme u.s.w. geflüchtet sind und sich mit anderen Namen geschmückt haben: Weltbank, UNO, Menschenrechte, Ethikkommission u.v.a.. Aber ihre frühere Allmacht haben sie verloren - durch funktionale Differenzierung.

Was ist mit der Moral?

„Die Moral hat ja auch eine schlechte Seite, fordert dann aber als Moral, daß man sich gegen das Schlechte wendet ....“ **

In modernen Zeiten ist die Moral mehr schlecht (böse) als gut. Jedenfalls hat die Moral bzw. Ethik in der Wissenschaft eigentlich überhaupt nichts zu suchen. Denn die Wissenschaft soll ungehindert forschen können. Warum klappt das in den Naturwissenschaften (obwohl sich auch hier die Moral immer mehr einmischt), aber nicht in den Sozial- und Geisteswissenschaften, und zwar ganz besonders nicht in den Sozialwissenschaften? Das, was Luhmanns Kritiker aus der Frankfurter Schule an Luhmanns Systemtheorie kritisieren, ist das Fehlen von Moral bzw. Ethik; dabei zeichnet sie sich ja auch und gerade durch das Fehlen von Moral bzw. Ethik aus; denn Luhmann glänzt insbesondere mit seinen Unschuldsunterstellungen und seiner Gelassenheit. Unschuldsunterstellungen und Gelassenheit sind genau diejenigen Tugenden, die man als Wissenschaftler, insbesondere als Sozialwissenschaftler verinnerlicht haben muß. Schuldzuweisungen und Ungelassenheit haben in der Wissenschaft nichts zu suchen. Luhmann ist also auch als Wissenschaftler besser als seine Kritiker.

„Die Gründe für Berufung auf Moral sind eben nicht mehr ohne weiteres »gute« Gründe. Die Ethik selbst muß auf Gödel hören.“ **

Für die Soziologie (und auch für andere Subsubsysteme, die Subsysteme des Subsystems Wissenschaft sind) gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: (1) sie läßt sich weiterhin von der Moral bzw. Ethik irritieren und beweist damit, daß sie ihren Anspruch, eine Wissenschaftsdisziplin, also ein Subsubsystem des Subsystems Wissenschaft zu sein, bald ganz aufgeben muß und wird; (2) sie verbannt die Moral bzw. Ethik und beweist damit, daß sie eine Wissenschaftsdisziplin, also ein Subsubsystem, das ein Subsystem des Subsystems Wissenschaft sein will. Wenn gesagt wird, die Wissenschaft verstoße gegen oder nicht gegen Moral bzw. Ethik, so liegt hier entweder ein Mißverständnis oder ein Mißbrauch vor. Ich argumentiere hier also nicht gegen Moral bzw. Ethik, sondern gegen Mißverständnisse und Mißbräuche von bzw. durch Moral bzw. Ethik.

„Also Ethik müßte lernen, vor Moral zu warnen.“ **

Es gibt nichts, was der Gesellschaft die gesellschaftlichen Normen verordnet, außer der Gesellschaft selbst, also: der Kommunikation (gemäß meiner Theorie: Sprache i.w.S. [**]). Natur, Götter, „der eine“ Gott, Vernunft, das Subjekt (welches auch immer) waren und sind nicht wirklich diejenigen, die gesellschaftliche Normen vorgeben, sondern diejenigen, die dafür „hergenommen“ wurden und vielerorts heute noch werden, um so etwas wie eine Machtinstanz zu haben, die von außen die Gesellschaft beobachten und kontrollieren kann. Abgesehen von den schon erwähnten vielen Regionen, ist dies offenbar obsolet geworden in der modernen Gesellschaft als der „funktional differenzierten Gesellschaft“ (**) und somit der „Weltgesellschaft“ (**), zu der also auch die eben erwähnten vielen Regionen zu zählen sind, weil eben diese Weltgesellschaft eine auf abendländische Werte basierende und operierende (kommunizierende) ist. In ihrem Kern sind diese immer stärker relativierten, ja fast (fast!) schon zerstörten Werte zu Normen geworden, die in der Weltgesellschaft gelten, und zwar unabhängig davon, wieviele Menschen für und wieviele Menschen gegen diese Fast-nicht-mehr-existenten-Normen (eine Fast-Anarchie) sind. Ob die Weltgesellschaft eines Tages sich in viele Gesellschaften zersplittern (das würde formell bedeuten: zurückverwandeln) oder sogar die ganze Menschheit zum Verschwinden bringen wird (nach meinem Dafürhalten ist beides nicht unwahrscheinlich), ist weder in die eine noch in die andere Richtung eindeutig vorherzusagen. Jetzt müssen wir uns mit dem begnügen, was jetzt der Fall ist. Fatalismus? Nein. Der „Fatalismus“-Vorwurf kommt meistens von denen, die an der Produktion von Gründen für Fatalismus an vorderster Stelle beteiligt sind.

Mein einziger Rat an Menschen ist einer, der auch von Luhmann stammen könnte:
Gelassenheit und Ironie annehmen und immer wieder Ablehnung und Bekämpfung von Schuldzuweisungen und Zwangskonsensualismus üben!
Vielleicht geht das nur, wenn man - wie Luhmann - das Abstrakte liebt.

Einige Bemerkungen möchte ich aber auch noch an die „Weltbürger“ unter den Menschen richten.

Gemäß meiner Theorie ist die „Weltgesellschaft“ (**) ein Konstrukt der abendländischen Kultur, wie schon mehrfach erwähnt (**|**|**). Die faustischen Träger dieser Kultur befinden sich nicht nur demographisch, sondern auch ganz allgemein, also kulturell (mit Luhmann gesagt: „gesellschaftlich“) im Abbau, im Untergangsprozeß. Der Untergang einer Kultur ist deren Moderne (oder auch deren Zivilisation), kann also relativ lange dauern, ist aber nicht aufzuhalten. Also ist auch das abendländische Kulturkonstrukt „Weltgesellschaft“ dabei, unterzugehen. Dafür, daß Träger anderer Kulturen bereit sind, dieses für sie fremde Konstrukt zu übernehmen, spricht gegenwärtig nichts. Es könnte also noch in diesem oder im nächsten Jahrhundert eine Abkehr von der „Weltgesellschaft“ als der „funktional differenzierten Gesellschaft“ (**) und etwa gleichzeitig eine Rückkehr zu älteren Differenzierungsformen der Gesellschaften, also zu den Gesellschaften der „Stratifikation“ (**) oder/und der „Zentrum/Peripherie-Unterscheidung“ (**) oder/und der „Segmente“ (**) herbeigeführt werden, da sie noch nicht verschwunden, also immer noch vorhanden sind, obwohl sie aufgrund der fast allmächtigen Dominanz der Weltgesellschaft als der funktional differenzierten Gesellschaft an Bedeutung verloren haben. Es könnte aber auch zu Katastrophen globalen Ausmaßes kommen. Daß diese Weltgesellschaft eine Risikogesellschaft ist, hat ja auch Luhmann oft gesagt; ich sage, daß allein schon die abendländische Kultur eine Risikokultur, also noch mehr als „nur“ eine Risikogesellschaft ist.

Die abendländische Kultur könnte auch die letzte ihrer Art (Historienkultur) sein und ihre Moderne, ihr Untergang, ihre Weltgesellschaft, ihre funktional differenzierte Gesellschaft gleichzeitig ein Übergang zu einer neuen Art von Kultur. Welche Art von Kultur das auch immer ganz genau sein wird: sie könnte auch eine Kultur ohne Menschen und dennoch eine Kultur mit Bewußtsein und Kommunikation sein. Luhmann zufolge gibt es keine Kommunikation ohne Bewußtsein und kein Bewußtsein ohne Kommunikation, obwohl die Kommunikation ohne Menschen kommuniziert, also für die Kommunikation keine Menschen benötigt werden, folglich die Kommunikation auch dann noch kommunizieren wird, wenn es keine Menschen mehr geben wird. Darum läßt sich vermuten, daß auch das Bewußtsein ohne Menschen existiert, also für das Bewußtsein keine Menschen benötigt werden, folglich das Bewußtsein auch dann noch existieren wird, wenn es keine Menschen mehr geben wird. Luhmann zufolge ist das Bewußtsein unabhängig vom menschlichen Gehirn, so wie auch die Kommunikation unabhängig vom menschlichen Gehirn ist. Das Bewußtsein und die Komunikation sind abhängig voneinander, aber nicht abhängig von etwas anderem.

Wenn die Funktionssysteme eines Gesamtsystems - ob dieses das von Luhmann „(Welt-)Gesellschaft“ oder das von mir „Kultur“ genannte Gesamtsystem ist, ist im Zusammenhang mit diesem Thema hier irrelevant - so komplex werden und dabei die Komplexität ihrer Umwelt (zu der für sie ja auch eben dieses Gesamtsystem gehört, zu dem sie selbst gehören) so weit reduzieren, daß diese Umwelt kollabieren muß, dann wird diese Katastrophe unweigerlich zur Folge haben, daß auch die Funktionssysteme kollabieren: sie würden also wegen ihrer eigenen Komplexität kollabieren. Kein System kann ohne Umwelt existieren. Wie weit haben es die Funktionssysteme des Gesamtsystems in dieser Hinsicht bereits getrieben? Bis zu welchem Grad kann z.B. das Funktionssystem Wirtschaft unseren Planeten ausbeuten, das Funktionssystem Politik „Wohlfahrt für alle“ versprechen und also ebenfalls ausbeuten, das Funktionssystem Recht von „Menschenrechten“ sprechen und Ausbeutung meinen, das Funktionssystem Erziehung „Bildung für alle“ versprechen und also das Bildungsniveau drastisch senken, um auf Kosten der echten Leistungsträger sich selbst auch weiterhin erhalten zu können, das Funktionssystem Wissenschaft sich erlauben, Nichtwissenschaft zu treiben, um auf Kosten der echten Leistungsträger sich selbst auch weiterhin erhalten zu können, das Funktionssystem Medien sich erlauben, Lügen zu verbreiten ... u.s.w.? Anders gefragt: Bis wie weit können die Funktionssysteme die Komplexität ihrer Umwelt reduzieren, um nicht selbst aufgrund ihrer eigenen zu hohen Komplexität zu kollabieren? Moralisch gefragt: Sollten alle Funktionssysteme ihre Komplexität auf Kosten ihrer Umwelt bis zu ihrem anarchischen, chaotischen, ja entropischen Ende aufblähen dürfen?

Quadrialismus mit 8 Disziplinen („Welten“). Dynamisches Yin-Yang Prinzip. 2 Unterdisziplinen-Beispiele (rote Kreise).

Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann hat ein so umfangreiches System als Werk vorgelegt, daß alle Subsysteme des Subsystems Wissenschaft von ihm profitieren können. (In den Abbildungen ist mein „Acht-Welten-Modell“ mit dem hiefür wichtigsten acht Wissenschaftsdisziplinen zu sehen, die alle anderen Wissenschaftsdisziplinen und damit das gesamte Subsystem Wissenschaft abdecken.) In Luhmanns „drei Sinndimensionen“ (**) ist diejenige, die es Luhmann am meisten angetan hat, die Sozialdimension, in der es um Gesellschaft im Sinne von Kommunikation geht, also um Information, Mitteilung und Verstehen - Verstehen als Einheit der Differenz von Information und Mitteilung. (In meinem „Acht-Welten-Modell“ befindet sich die Kommunikation in der Hauptsache in den Disziplinen Semiotik und Linguistik, die wiederum zwischen den Disziplinen Ökonomie und Philosophie zu finden sind, während die Unterdisziplinen Soziologie und Psychologie zu vier verschiedenen Disziplinen gehören - vgl. Abbildungen). Es ging Luhmann darum, in der Soziologie endlich Ordnung zu schaffen, und zwar als Philosoph, dem die Sozialdimension half, in die Soziologie eine semiotisch-linguistische Ordnung - die Kommunikation - zu bringen. Luhmann war nicht nur Jurist, nicht nur Verwaltungsbeamter, nicht nur Soziologe, sondern auch und besonders Philosoph.

Ich erinnere an das eingangs erwähnte Zitat: „Wenn Luhmann ... der Hegel des 20. Jahrhunderts gewesen ist, dann wird sich das nicht zuletzt durch das Auftreten von Jungluhmannianern bewahrheiten, die sich mit einer erneuten existentialistischen Abweichung vom Systemdenken bemerkbar machen.“ (Peter Sloterdijk, Nicht gerettet - Versuche nach Heidegger, 2001, S. 140-141 **). Wenn diese Analogie ganz genau zutrifft, dann dürften die ersten Jungluhmannianer ab 1960 geboren worden sein.

 

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