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- Kulturenvergleich -
Antike und Abendland
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Herbst / Abend
18 Uhr
24 Uhr
Spätkultur & Zivilisation
Brandenburger Tor in Potsdam, 1770Löwenburg im Bergpark Kassel, 1793-1801Friedenskirche im Park Sanssouci, 1845-48Neuschwanstein, 1868-1886
18-20 Uhr
Ehe oder Napoleonismus

Die geistige Keimlegung einer später werdenden Kultur erfolgt bereits im Herbst zweier älterer Kulturkreise, also zweier Zivilisationen. Sie sind die Erwachsenen, die Vollendeten, aber auch die werdendenEltern, die Älteren, die ihr Dasein und Sosein offenbar auf einen Nenner gebracht haben und sich deshalb vom oberen Zähler nicht mehr geprägt fühlen, weil sie sich selbst dazu rechnen, trotz der Gefahr, daß auch Zähler gelegentlich ins Unendliche wachsen. Etwas zu prägen liegt ihnen am Herzen, sich prägen zu lassen dagegen nicht. Sie sind Kulturen am Abend, wie die Spätkulturen des Herbstes: eine Weinlesekultur und Abenddämmerung zugleich. Sie sind romantisch - gar keine Frage. Eigenes zustande bringen wollen sie und vergessen dabei leicht, daß sie einmal Kinder waren, geprägt wurden. Sie sind demokratisch - gar keine Frage. Das müssen werdende Eltern sein. Als Ehepartner und Selbständige ersinnen sie Planungen für den Lebensabend, bauen Häuser, gehen einer Arbeit und einem Berufsziel nach. Sie sind Industrialisierte - gar keine Frage. Als Klassiker unter den Menschen haben sie die Reife, die nötig ist, um für alles Folgende die eigene Verantwortung und Leistung immer wieder repräsentiert zu bekommen. Sie sind die Vertreter der diplomatischen Kritik, weil sie nörgelnde Kritik nicht mögen. Ihre Liebe zur Partnerschaft ist fast grenzenlos und deshalb gefährlich. Dieser Idealismus führt oft zu Ungleichgewichten, weil die Gleichheit ständig angestrebt wird. Allen wollen sie es recht machen, weshalb für sie juristische Fragen nur demokratisch zu lösen sind. Abgesehen davon, daß ihnen das Geld immer wichtiger zu werden hat, weil die Hypothekenzinsen für ihr Eigenheim gestiegen sind, befinden sie sich in einer Phase der Konsolidierung und Routine. Wären da nur nicht immer die schlechten Nachrichten, die ihnen, wie eine andere Presse, die Gefühle der Einengung vermitteln. Aber sie lieben die Medien - gar keine Frage.

Zum Anfang der Waage In der Kulturgeschichte stellt eine Partnerschaft im frühen Erwachsenenalter einer Kultur die kaum bewußte Anziehung zu einer anderen Kultur, aber auch die sehr bewußte Gefährdung einer solchen Vermählung dar: den masochistischen oder den sadistischen Kulturtransfer. Eine Kultur kommt wegen der anderen nicht in Form, weil diese jene aushöhlt. Dieser Prozeß beginnt mit einer scheinbar allen alles versprechenden Hochzeit, in tiefer Wirklichkeit jedoch mit einer Pseudomorphose, die zunächst die eine, dann die andere Partnerkultur erfassen kann. So wie Ägypter und Sumerer für die Antike, so waren Antike und die magische Kultur die Eltern des Abendlandes. Das Abendland nennt sie Antike und Christentum, liebevoller: römisch-katholisch. Ob und wessen Eltern das Abendland und seine Partnerin - vielleicht eine Kultur, die mit sich selbst schwanger geht, also „als Kultur“ noch gar nicht geboren, noch gar nicht zur Welt gekommen ist wie Rußland, das man dann eher Nordasien nennen müßte - einmal sein werden, ist noch nicht zu erkennen, aber deren Kind könnte später wohl vom Wesen eines global-kosmischen und tiefebenen Charakters sein. Eine Ehe ist gewöhnlich zunächst einmal eine reine Partnerangelegenheit. Kulturpartner sprechen nun auf sehr eigenartige Weise über ihre Kinderwünsche; meistens sind sie reine Ideen, z.B. die Alexanders des Großen (356-323), Griechen und Perser verschmelzen zu wollen, oder die Idee Napoleons (1769-1821), die Welteinwohner mit den Revolutionsideen der Franzosen zu vermählen. (Napoleon I.). Kulturtransfer meint tiefensoziologisch immer Eroberung und Verzicht zugleich.

Über den Verlust der Freiheit oder der jugendlichen Unbekümmertheit klagen Verheiratete erst, nachdem die Heirat vollzogen worden ist. Deshalb beginnt die Ehe in der Phase des Übergangs von der Kultur zur Zivilisation. Dies ist nicht wertend gemeint, sondern der Versuch zur Beschreibung einer Ehesituation, die ja bekanntlich auch von real existierenden Erwachsenen meistens nicht wehleidig oder anklagend geäußert wird. Aber, und das ist entscheidend, sie wird zu spät bemerkt. Erst wird die Ehe fast bedingungslos angestrebt, um danach durch Krisen überstanden werden zu müssen. Genau auf diese Weise verläuft auch das dritte Quartal, das herbstliche Kulturquartal. Herbst

Zum Anfang der Waage Eine Ehe ist nur zwischen zwei verschiedenen Kulturen möglich, ansonsten heißt sie Verwandtschaft. Die Zeit der Jugendliebe ist vobei, vorbei die Zeit der ersten Welteroberer, als die abendländischen Kolonialmächte Portugal, Spanien, Holland und England den überseeischen Kolonien den ersten Kuß gaben. Auch Schwedens Liebesspiel mit Rußland, der Nordische Krieg (1700-1721), gab dem Partner einen ersten Geschmack für Gelüste nach Ostseegroßmacht (1721). Die Ehen aber sind etwas aggressiver und gelten in der Regel „ewig(ahd. „ewa“ = ewig geltendes Gesetz, Ehe). Sie äußern sich durch besonders aggressive Eroberungskriege. Der Ring des Krieges beginnt. Diesen Ehering ergriffen 334 bis 323 Makedonien und das noch nicht zur Welt gekommene Vorderasien (magisch) und 1812 bis 1814 Frankreich und das noch nicht zur Welt gekommene Rußland (nordasiatisch), ohne zu wissen, auf wen oder was sie sich da eingelassen hatten und wer sich dazu später als Krisenmanager herausstellen sollte. (20-22). War der mit der Trauung beauftragte Standesbeamte vielleicht auch der EheberaterTrauzeugen waren ja genug vorhanden. Die eine Ehe hieß fortan Hellenismus, die andere Europäismus. Der Beginn dieser Ehen ist tatsächlichder Status nascendi einer Pseudomorphose: eine Formgebung durch Dominanz und eine Formübernahme durch Anpassung. Durch Kristallisation bleibt die vorher schon vorhandene Form erhalten, während die inhaltliche Substanz verändert wird. Die Frage ist nur, wer in wessen Haut steckt. Es entstehen gefälschte Formen, z.B. Haßgeliebte und Liebgehaßte. Wenn wir die Chemie auf die Soziologie übertragen, bedeutet dieser Vorgang, daß sich in einer Partnerschaft immer ein gewisses Dominanzverhältnis herauskristallisiert und daß sich dieses Verhältnis auch umkehren kann. Das ist im Falle der Antike und dem Morgenland auch so gewesen, als sich das Verhältnis zwischen der dominaten antiken Kultur und der unterlegenen magischen Kultur (bis dahin noch nicht zu Atem, noch nicht zur Welt gekommen) sich umdrehte. (Vgl. 0-2).

Eine Ehe zeichnet sich zudem bekanntlich dadurch aus, daß Nachkommen erwartet werden. Für eine Kultur bedeutet das, daß die zu ihr gehörenden erwachsenen Menschen anfangen, immer weniger Kinder zu bekommen - zuerst Geburtenrückgang, dann Geburtendefizit, zuletzt Tod des Volkes -, während die Kultur selbst Nachkommen erwartet, nämlich aus Angst davor, selbst unterzugehen und in Zukunft einer neuen Kultur Platz machen zu müssen. Da nicht vorhersehbar ist, ob und, wenn ja, wann das wirklich eintreten wird, kommt es immer häufiger zum „Aufschub“.

Schon Ende des 18. Jahrhunderts zeigten sich die ersten Anzeichen des abendländischen Geburtenrückgangs in Frankreich. Die große Revolution von 1789, die hier den Übergang zur Zivilisation vermittelte, bedeutet gewissermaßen auch den Wendepunkt von der Fruchtbarkeit zur Unfruchtbarkeit des französischen Volkes.
Geburtenrückgang in Frankreich
1783 / 17891801 / 18101811 / 18201821 / 18301831 / 18401841 / 18501851 / 18601861 / 18701871 / 18801881 / 18901891 / 19001901 / 19101911 / 1913
38,432,231,630,829,027,426,326,325,423,922,120,718,8
Geburtenrückgang in Frankreich
 1921  1924  1925   2003 *Prozentualer Geburtenrückgang1783/1789 - 1871/18801871/1880 - 19251925 - 2003 *
20,719,219,6  13,0 *1783/1789 - 2003: 66% *34%23%34% *
Quellen: Richard Korherr, Geburtenrückgang, a.a.O., 1927, S. 164; * Fischer Weltalmanach, 2006, S. 504.

Zum Anfang der Waage Beispiele für Eheversprechen: „Bürgerliche Revolutionen“

Eroberungen führen zur Ehe, die immer wieder bestätigt werden will und muß. Vielleicht sind ja auch darum Zivilisation und Expansion nicht voneinander zu trennen. In unserem Kulturkreis haben wir eine Phase, wenn nicht sogar ein ganzes Kulturquartal mit dem Begriff Imperialismus belegt. Der Beginn solcher Imperien, wie es sie so zuvor in den Kulturen nicht gegeben hatte, ist mit eindeutigen Daten zu belegen: 358 v. Chr. begann unter Phillip II. (359-336) die Einigung Makedoniens, 1792 die Uneinigkeit in Frankreich, d.h. die Schreckensherrschaft der Revolutionäre; beide, antike Einigung und abendländische Uneinigkeit, führten jeweils zu einer Persönlichkeit, die die Herrschaft nicht ohne Gewaltanwendung an sich riß. Alexander der Große (356-323) kam nach der Ermordung Phillips II., 336 v. Chr., Napoleon (1769-1821) durch unterschätzte Popularität mit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire des Jahre VIII (09.11.1799) an die Macht. (Napoleon I.). Beide Imperien waren von kurzer Dauer, aber beide haben Kulturwerte über den eigenen geographischen Kulturkreis hinaus verbreitet und in ihm alte Systeme beseitigt, z.B. die polisartige Einzelstädterei in Griechenland oder die kirchendynastische Fürstlichkeit in Europa. Aber beide haben es nicht vermocht, den (Nord-) Westen ihres Kulturkreises zu bezwingen. Sie konnten ihn nicht überzeugen. Dabei gab es schon vor dieser Phase des 2. Tyrannis (Napoleonismus), nämlich in der Phase der 1. Tyrannis (Absolutismus), kluge Köpfe, die man jetzt hätte brauchen können: Napoleon z.B. hätte von Leibniz lernen können. (Vgl. 14-16). Napoleon

Daß z.B. die abendländische „Bürgerliche Revolution“ ausgerechnet in Frankreich und nicht etwa in einem anderen abendländischen Land stattfinden konnte, ist ausschließlich durch die Tatsache zu begründen, daß in Frankreich der Adel zu sadistisch, zu gierig und insbesondere zu dumm war. Der Sadismus und die Gier des französischen Adels führte zum Verhungern seiner Untertanen, die Dummheit des französischen Adels führte zur Wissensüberlegenheit seiner Gegner. In allen anderen abendländischen Ländern war der Adel nicht so sadistisch und nicht so gierig und - vor allem - nicht so dumm wie der Adel in Frankreich. In allen anderen abendländischen Ländern ging es den Untertanen relativ gut, weil der Adel bescheidener und - vor allem - über das Wissen seiner Gegner viel besser informiert war. Und gerade das Wissen über das Wissen der Gegner gehört ganz wesentlich zu einer »aufgekärten« Herrschaftsform. Daß eine bestimmte Nation für eine „Bürgerliche Revolution“ mehr geeignet sei als eine andere, wie immer behauptet wird, sagt nichts über „Zivilcourage“ o.ä. aus, sondern nur darüber, ob die Dummheit der Herrschenden die Hauptbedingung für eine erfolgreiche „Bürgerliche Revolution“ ist.

Kurz vor den Umwälzungen, die von Makedonien (358 v. Chr.) und Frankreich (1789) ausgingen, etablierten sich weiter westlich, aber ebenfalls über die „Bürgerliche Revolution“ zwei neue, zukünftige Mächte: die Vereinigten Stadtstaaten von Latinien (Rom) und die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort waren es die Ständekämpfe, die zu den licinisch-sextischen Gesetzen (367/366) und damit zur Etablierung des römischen Amtsadels, der Nobilität (Patrizier und Plebejer) führten, hier war es der Unabhängigkeitskrieg (1775-1783), der zur Unabhängigkeitserklärung (1776) und letztlich zur Unabhängigkeit der USA von England führte. Dort stand man noch unter den Eindrücken der Etrusker-Hegemonie und der Gallier-Gefahr, hier unter denen der England-Hegemonie und der mal französisch und mal englisch unterstützten Indianer-Gefahr. Tatsächlich waren diese Prozesse inzestuöse Vermählungen unter homoerotischem Vorzeichen. Die Partner des Einflusses waren zu verwandt. Sie konnten inzuchtartig nicht funktionieren, denn die Scheidung von England und die Scheidung vom griechisch-etruskisch beeinflußten Teil Italiens bedeuten in Wirklichkeit eine Fortsetzung der Gepflogenheiten der früheren Vormächte unter neuen Bedingungen der zukünftigen. Daß dort die alt-etrsuksischen und hier die alt-englischen Herrschaften besiegt wurden, das aber war schon „revolutionär“. Mehr

 

Zum Anfang der Waage Karte

 

Zum Anfang der Waage Nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) begannen die Kämpfe um seine Nachfolge, die Diadochenkriege. Nach dem 3. Diadochenkrieg (315-301) sollten vier und nach dem letzten Diadochenkampf (281 v. Chr.) nur noch drei große monarchische Reiche übrig bleiben: Makedonien unter den Antigonen, Vorderasien unter den Seleukiden und Ägypten unter den Ptolemaiern. In der westlichen Antike, die zuvor nur als Kolonie bedeutend gewesen war, entstand in Rom nach dem Ständekampf durch die Licinisch-sextischen Gesetze von 367/366 ein Amtsadel aus Plebejern und Patriziern. Rom steigerte seine Erfolge nach und nach im 1. Samnitenkrieg (343-341), im Latinerkrieg (340-338), im 2. Samnitenkrieg (326-304), im 3. Samnitenkrieg (298-290) und in den Kämpfen mit den Kelten (285-282), deren Gebiet Rom eroberte und sich damit die Herrschaft in Mittelitalien sicherte. Und auch im alten Griechenland kam Neues auf: es gab dort seit 367 v. Chr. z.B einen Ätolischen Bund, aber seit 357-355 keinen Seebund mehr: Chios, Kos, Rhodos, Byzanz waren vom 2. Attischen Seebund abgefallen, wogegen Athen im sogenannten Bundesgenossenkrieg (357-355) vergeblich angekämpft hatte. Die von Makedonien ausgehende Revolution drängte in Griechenland die Idee der Polis immer mehr zurück, ließ u.a. auch den Achaischen Bund (280 v. Chr.) entstehen und nahm dadurch vielen Polis die Selbständigkeit. Hatte die 1. Tyrannis mit Hilfe des Nichtadels die Polis noch vollendet (vgl. 14-16), so begann jetzt der Nichtadel mit Hilfe der 2. Tyrannis, sie zu zerstören. „Bürgerliche Revolutionen“ sind eben der Beginn der Zivilisation und demontieren mit immer expansiverem Drang nicht nur alte Ideen, sondern oftmals auch alte Formen. Herbst ist Pflückzeit. Herbst ist Ernte durch Schnitt (Schneiden). In der Antike wurde die Polis, im Abendland der dynastische Staat zum Negativ-Symbol; aber auch das ist ein Teil der gesamten Kultursymbolik. (Vgl. Ursymbol).

Auch nach Napoleons Niederlage (1814/1815) traten Nachfolgekämpfe, also Analogien zur Antike offen zutage. Die Restaurationspolitik, hinter der vor allem die englische Gleichgewichtspolitik stand, um selber freie Hand in Übersee zu haben, garantierte in Europa eine Pentarchie der Großmächte England, Preußen, Österreich, Frankreich und Rußland. (Restauration). Genau wie in der Antike, so legten sich auch im Abendland die Diadochenkämpfe, hier Revolutionen genannt, erst nach etwa 40 Jahren, bis Napoleon III. (1808-1873) durch Putschversuche (1836 und 1840) und Präsidentschaftswahlen (1848) das Parlament auflöste (1851), diktatorische Befugnisse übertragen bekam und 1852 erblicher Kaiser wurde, aber am Ende (1870/1871) scheiterte, weil Preußen ihn nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg gefangen nahm, Frankreich wieder Republik und Deutschland in Frankreich (Spiegelsaal von Versailles) wieder zum Deutschen Reich wurde (Zweites Deutsches Reich). Im fernen westlichen Abendland, das zuvor nur als Kolonie bedeutend gewesen war, wurden die USA ebenfalls nach einem Ständekampf, nach dem Unabhängigkeitskrieg durch die Unabhängigkeitserklärung von 1783 und durch die Eroberungen im Westen Herrscher in der Mitte Nordamerikas. Gleichzeitig erreichte dort die erste große Einwanderungswelle ihren Abschluß. Deutsche (38%) und Iren (33%) übertrafen dabei die zur Minderheit herabgerutschten Angelsachsen (16%), die dennoch herrschend blieben. Ein Omen! (Deutsch wäre fast National- und Amtssprache der USA gworden, doch mit den Iren zusammen konnten die Englisch-Sprechenden die Abstimmung gewinnen, wenn auch nur knapp!).

Der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein (1757-1831) wurde von Preußen zum leitenden Minister berufen und führte ab 1807 umfangreiche liberale Reformen durch, die nach seiner Entlassung 1808 von Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) in einem etwas anderen Geist fortgesetzt wurden. Und dieses gesamte Reformwerk, die Stein-Hardenberg-Reformen also, wirkte mehr oder weniger auf das gesamte Deutschland und bedeutet mehr als in den meisten Geschichtsbüchern steht. Stein war ein Gegenspieler Napoleons, hat ihm getrotzt, aber auch dem preußischen König Friedrich-Wilhelm III., der ihn mehrmals entlassen wollte und einmal auch ließ. „Der Freiherr vom Stein ... war einer von denen, die zwischen dem Gestern und dem Morgen standen, er hatte gleichzeitig die große Vergangenheit und die große Zukunft in Blick. Er hat die französischen mit den englischen Reformideen vereint, die Bauern befreit, die städtische Selbstverwaltung vorangetrieben, Napoleon wie auch seinem König die Stirn geboten. Er war Praktiker und Visionär - was für eine Gestalt!“ (Hagen Schulze auf die Frage, welche geschichtliche Figur für ihn exemplarisch verkörpere, was deutsch sei, in: Matthias Matussek, Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können, 2006, S. 163). Derartige moderne Reformen für Bauern, Städte und Verwaltung sind eine Voraussetzung für einen (oft „fortschrittlich“ genannten) modernen Staat mit rasch wachsendem Wohlstand. Und am unblutigsten erreicht man sie über Verträge und Reformen, wie die Beispiele England und Deutschland zeigen. In Frankreich, wo die Leibeigenschaft auf den königlichen Domänen 1779 beseitigt worden war, wurden die persönlichen Lasten im Zuge der Bürgerlichen Revolution von 1789 ohne Ablösung aufgehoben. In Frankreich wurde eben nicht unblutig reformiert, sonder blutig revolutioniert.

„Das ganze Deutschland soll es sein!
// O Gott vom Himmel, sieh darein!
// Und gib uns rechten deutschen Mut,
// Daß wir es lieben treu und gut.
// Das soll es sein!
// Das ganze Deutschland soll es sein!“
(Ernst Moritz Arndt).

„Jahrelang hatte Arndt, den Jahn den »Deutschen Lehrer, Schreiber, Sänger und Spieler« nannte, die Deustchen beschworen, die staatliche Einheit der Nation herzustellen: »Das ganze Deutschland soll es sein!« schrieb er . .... »Wir ringen«, erklärte er im April 1813, »um die Wiedererschaffung eines deutschen Volkes aus den Völkchen. Unsere Fürsten und Herren (aber) bekehren sich nicht wieder zur Treue - der Teufel hole sie.« (Ernst Moritz Arndt). Trotz der Warnung des Königs blieb der Bonner Professor bei seiner scharfen Kritik an den Fürsten, was ihm 1819 nach der Ermordung Kotzebues schließlich die Verhaftung und zahlreiche Verhöre eintrug. Seinen Fall ließen die Behörden 1821 ohne Urteil, ohne Begründung und ohne Freispruch einschlafen. Nachdem Napoleon, den er schonungslos bekämpft hatte, endgültig geschlagen war, warf Arndt den Deutschen, die sich zur Restauration bekannten, ungeduldig und bissig vor, Kosmopoliten, philosophierende Kritikaster und weltfremde (»den stinkenden Mist der Politik« verachtende) Schwärmer geworden zu sein, die »die elende Eitelkeit, ein Volk zu sein«, verachteten. In der Paulskirchen-Versammlung stand er neben den großen Geistern der Nation, neben Jacob Grimm, Ludwig Uhland und Friedrich Theodor Vischer.“ (Werner Maser, Deutschland, 1984, S. 22- 23). Mehr

Der Wiener Kongreß, die von Ende September 1814 bis Juni 1815 erfolgte Zusammenkunft der europäischen Monarchen und Staatsmänner zum Zweck der politischen Neuordnung Europas nach dem Sturz Napoleons I., erarbeitete - ein verhandlungstechnisches Novum - seine Ergebnisse in Kommissionen und trat formell erst durch seinen Schlußakt ins Leben. Eine herausragende Rolle spielte vor allem der österreichsiche Staatskanzler Klemens W. von Metternich (1773-1859), aber auch der britische Außenminister R. S. Viscount Castlereagh (1769-1822), der preußische Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822), der russische Zar Alexander I. (1777-1825) und (wie erstaunlich!) der französische Vertreter C. M. de Talleyrand (1754-1838), dessen diplomatisches Geschick seinem Land eine nahezu gleichberechtigte Position zurückgewann (!). Der Wiener Kongreß war besonders gekennzeichnet durch das Spannungsverhältnis zwischen der grundlegenden Zielvorstellung des Gleichgewichts europäischer Mächte, das auf einer Restauration vorrevolutionärer Zustände und dem Grundsatz dynastischer Legitimität beruhen sollte, und den Großmachtrivalitäten sowie den faktischen Beharrungskräften der politischen Veränderungen im Gefolge der Napoleon(ist)ischen Herrschaft. Im 1. Pariser Frieden (1814) wirkte Metternich im Sinne der europäischen Gleichgewichtspolitik (also im Interesse der Engländer !) auf die Schonung Frankreichs hin. Auf dem unter Metternichs Vorsitz tagenden Wiener Kongreß betrieb er erfolgreich die Wiederherstellung der politischen und sozialen Ordnung in Europa nach den Grundsätzen der Legitimität. Die „Heilige Allianz“ (Österreich-Preußen-Rußland) formte Metternich zu einem Bund der Fürsten gegen die nationalen und liberalen Regungen der Völker. Als führender europäischer Staatsmann trat Metternich auch auf den Kongressen der Jahre 1820-22 auf, die er zum Instrument legitimistischer Interventionspolitik machte. Im Deutschen Bund (1815-1866) setzte er in Zusammenarbeit mit Preußen die rücksichtslose Unterdrückung der freiheitlichen und nationalen Bewegung - vor allem durch die Karlsbader Beschlüsse (1819) - sowie die Festschreibung des monarchischen Prinzips (1820) durch. Als Verfechter dieses Prinzips war Metternich zu keinem Zugeständnis bereit. Das „System Metternich“ war ausgerichtet auf die Erhaltung der politischen und sozialen Ordnung, die auf dem Wiener Kongreß im vorrevolutionären Sinne restauriert worden war. Die Stabilität dieser auf monarchischer Legitimität gegründeten Friedensordnung sah Metternich am besten im Gleichgewicht der 5 Großmächte gesichert, wobei er der Zusammenarbeit der 3 konservativen Großmächte (Österreich, Preußen, Rußland) einen besonderen Wert beimaß. Metternichs politisches Denken war geprägt von kompromißloser Ablehnung der „französischen Revolution“. Die Mittel seiner Politik waren vor allem Kongreßdiplomatie und militärische Interventionen, Polizeimaßnahmen und Zensur! Zensur

„Auf dem Wiener Kongreß siegte noch einmal das 18. Jahrhundert über die neue Zeit. Das hieß seitdem »konservativ«. Es war nur ein scheinbarer Sieg, dessen Erfolge das ganze Jahrhundert hindurch beständig in Frage gestellt war. Metternich, dessen politischer Blick - was man auch gegen seine Person sagen mag - tiefer in die Zukunft drang als der irgendeines Staatsmannes nach Bismarck, sah das mit unerbitterlicher Klarheit:
»Mein geheimster Gedanke ist, daß das alte Europa am Anfang seines Endes ist.
Ich werde, entschlossen mit ihm unterzugehen, meine Pflicht zu tun wissen.
Das neue Europa ist andererseits noch im Werden;
zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben.«
Nur um dieses Chaos zu verhindern, entstand das System des Gleichgewichts der großen Mächte, beginnend mit der Heiligen Allianz zwischen Österreich, Preußen und Rußland. Verträge wurden geschlossen, Bündnisse gesucht, Kongresse abgehalten, um nach Möglichkeit jede Erschütterung des politischen »Europa« zu verhindern ...

Klemens Wenzelaus Nepomuk Lothar von Metternich-Winneburg zu Beilstein
Was Metternich unter dem Chaos verstand, das er durch seine entsagungsvolle, unschöpferische, nur auf die Erhaltung des Bestehenden gerichtete Tätigkeit solange als möglich von Europa fernhalten wollte, war aber weniger der Verfall dieses Staatensystems mit seinem Gleichgewicht der Mächte als der daneben hergehende Verfall der Staatshoheit selbst in den einzelnen Ländern, die uns seitdem selbst als Begriff so gut wie verlorengegangen ist. Was wir heute als »Ordnung« anerkennen und in »liberalen« Verfassungen festlegen, ist nichts als eine zur Gewohnheit gewordene Anarchie. Wir nennen das Demokratie, Parlamentarismus, Selbstregierung des Volkes, aber es ist tatsächlich das bloße Nichtvorhandensein einer ihrer Verantwortung bewußten Autorität, einer Regierung und damit eines wirklichen Staates.

Am verhängnisvollsten ist das Ideal der Regierung des Volkes »durch sich selbst«. Aber ein Volk kann sich nicht selbst regieren, so wenig eine Armee sich selber führen kann. Es muß regiert werden und es will das auch, solange es gesunde Instinkte besitzt. Aber es ist etwas ganz anderes gemeint: der Begriff der Volksvertretung spielt in jeder solchen Bewegung sofort die erste Rolle. Da kommen die Leute, die sich selbst zu »Vertretern« des Volkes ernennen und als solche empfehlen. Sie wollen gar nicht »dem Volke dienen«; sich des Volkes bedienen wollen sie, zu eigenen, mehr oder weniger schmutzigen Zwecken, unter denen die Befriedigung der Eitelkeit der harmloseste ist. Sie bekämpfen die Mächte der Tradition, um sich an ihre Stelle zu setzen. Sie bekämpfen die Staatsordnung, weil sie ihre Art von Tätigkeit hindert. Sie bekämpfen jede Art von Autorität, weil sie niemandem verantwortlich sein wollen und selbst jeder Verantwortung aus dem Wege gehen. Keine Verfassung enthält eine Instanz, vor welcher die Parteien sich zu rechtfertigen hätten. Sie bekämpfen vor allem die langsam herangewachsene und gereifte Kulturform des Staates, weil sie sie nicht in sich haben wie die gute Gesellschaft, die society des 18. Jahrhunderts, und sie deshalb als Zwang empfinden, was sie für Kulturmenschen nicht ist. So entsteht die »Demokratie« des Jahrhunderts, keine Form, sondern die Formlosigkeit in jedem Sinne als Prinzip, der Parlamentarismus als verfassungsmäßige Anarchie, die Republik als Verneinung jeder Art von Autorität.

So gerieten die europäischen Staaten außer Form, je »fortschrittlicher« sie regiert wurden. Das war das Chaos, das Metternich bewog, die Demokratie ohne Unterschied der Richtung zu bekämpfen - die romantische der Befreiungskriege wie die rationalistische der Bastillestürmer, die sich dann 1848 vereinigten - und allen Reformen gegenüber gleich konservativ zu sein. In allen Ländern bildeten sich seitdem Parteien, das heißt neben einzelnen Idealisten Gruppen von Geschäftspolitikern zweifelhafter Herkunft und mehr als zweifelhafter Moral: Journalisten, Advokaten, Börsianer, Literaten, Parteifunktionäre. Sie regierten, indem sie ihre Interessen vertraten. Monarchen und Minister waren stets irgendwem verantwortlich gewesen, zum mindesten der öffentlichen Meinung. Nur diese Gruppen waren niemand Rechenschaft schuldig. Die Presse, entstanden als Organ der öffentlichen Meinung, diente längst dem, der sie bezahlte; die Wahlen, einst Ausdruck dieser Meinung, führten die Partei zum Siege, hinter der die stärksten Geldgeber standen. Wenn es trotzdem noch eine Art von staatlicher Ordnung, von gewissenhaftem Regieren, von Autorität gab, so waren es die Reste der Form des 18. Jahrhunderts, die sich in Gestalt der wenn auch noch so konstitutionellen Monarchie, des Offizierkorps, der diplomatischen Tradition, in England in den uralten Bräuchen des Parlaments, vor allem des Oberhauses, und seiner zwei Parteien erhalten hatten. Ihnen verdankt man alles, was an staatlichen Leistungen trotz der Parlamente zustande kam. Hätte Bismarck sich nicht auf seinen König stützen können, so wäre er sofort der Demokratie erlegen. Der politische Dilettantismus, dessen Tummelplatz die Parlamente waren, betrachtete diese Mächte der Tradition denn auch mit Mißtrauen und Haß. Er bekämpfte sie grundsätzlich und hemmungslos ohne Rücksicht auf die äußeren Folgen. So wird die Innenpolitik überall ein Gebiet, das weit über seine eigentliche Bedeutung hinaus die Tätigkeit aller erfahrenen Staatsmänner notgedrungen an sich zog, ihre Zeit und Kraft vergeudete, und über dem man den ursprünglichen Sinn der Staatsleitung, die Führung der Außenpolitik, vergaß und vergessen wollte. Das ist der anarchische Zwischenzustand, der heute als Demokratie bezeichnet wird und der von der Zerstörung der monarchischen Staatshoheit durch den politischen, plebejischen Rationalismus zum Cäsarismus der Zukunft hinüberführt, der heute mit diktatorischen Tendenzen sich leise zu melden beginnt und bestimmt ist, das Trümmerfeld geschichtlicher Traditionen unumschränkt zu beherrschen.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 19, 23-24, 26-28).

Über den „notwendigen Verfall“, den Untergang, die Vollendung der abendländischen Kultur wurde schon geschrieben, als dieser Prozeß noch in seinen Anfängen steckte. So schrieb z.B. Karl Friedrich Vollgraff (1792-1863), den man zu den Vorläufern Spenglers zählen kann, ein immerhin zweitausend Seiten umfassendes Werk - Die Systeme der praktischen Politik im Abendland -, das 1828 erschien, nie abgeschlossen wurde und die Zeitgenossen dennoch stark beeindruckte, wozu vor allem eine vier Jahre später erschienene Kampfschrift gegen die liberalen Ideen beitrug: Die Täuschungen des Repräsentativsystems (1832). Diese Schrift fand so viel Aufmerksamkeit, daß sie von den aufgebrachten Marburger Burschenschaften auf dem Marktplatz der Stadt verbrannt wurde. Viele spätere Autoren übernahmen Vollgraffs Gedanken, waren zumindst von ihnen wesentlich beeinflußt. (Schoeps). Zu diesen Gedanken gehörte vor allem ein „Organismus“-Begriff im Sinne der Spätromantik, der es ermöglichte, den natürlichen Prozessen analoge Vorgänge in der Geschichte zu beobachten. Auf entsprechende Vorstellungen waren zwar auch schon frühere Autoren gekommen, doch keiner hatte versucht, diese Idee so konsequent anzuwenden wie Vollgraff. Nach dessen Ansicht war sogar die Menschheit insgesamt in einem seit 6000 Jahren andauernden Prozeß der Kultivierung begriffen und stand am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten; auch die erst neu hinzugetretenen Völker hätten längst den Höhepunkt überschritten und gingen in Verfall über. (Kulturen). Vollgraff hat sich vor allem dieser Dekadenz mit großer Akribie und unbestechlichem Blick zugewandt und auf diese Weise viel vorweggenommen, was heute noch am Werk Spenglers fasziniert. (Spengler). Vollgraffs Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allgemeinen Ethnologie durch die Anthropologie wie auch der Staats- und Rechtsphilosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker in drei Teilen - ein dreibändiges Werk, daß erst ab 1851 erschien - wirkte schon auf die Zeitgenossen wie eine Spätgeburt des Vormärz. Der Vormärz bezeichntet, wie bereits angedeutet, die Zeit zwischen Wiener Kongreß (1814/15) und Märzrevolution (1848), also die nationalen und liberalen Kräfte, die schließlich die Märzrevolution herbeiführten, und ist gekennzeichnet durch äußeren Frieden und gewaltsam erzwungene innere Ruhe, durch Zersplitterung des Deutschen Reiches in 38 (39 Deutscher Bund) Einzelstaaten - im Deutschen Bund zwar de jure einheitlich, aber de facto nur locker verbunden -, durch eine reaktionäre Knebelung aller nationalen und liberalen Bewegungen im „System Metternich“ mit Hilfe von Bundesbeschlüssen und durch ein primär von der Industrialisierung ausgelöstes Massenelend (Pauperismus).

Auf Karl Vollgraff berief sich auch Ernst von Lasaulx (1805-1861), Professor der Altertumswissenschaft in Würzburg und München, z.B. in seinem kulturmorphologisch höchst interessanten Buch: Neuer Versuch einer alten auf die Wahrheit der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte. Während Vollgraff sich zumeist darauf spezialisierte, die Symptome des Verfalls (von Kulturen, Völkern, Staaten u.ä.) zu sammeln, um herauszufindenen, wie weit die einzelnen Völker schon in die Todeszone, die das unabwendbare Ende aller Geschichte ist, hineingeraten sind, so stellte Lasaulx zwar die gleiche Verfallsdiagnose, versuchte diese aber künstlich mit der christlichen Heilslehre in Einklang zu bringen. Doch das war nicht nur inkonsequent, sondern auch fatal insofern, als er sich mit seiner eigenwilligen These zwischen alle Stühle setzte, besonders zwischen zwei, denn einerseits wurde er für die Kirche zum Häretiker wegen des Versuchs, die griechische Antike und das christliche Zeitalter in Analogie zu setzen und Sokrates mit Jesus Christus zu vergleichen (Lasaulx' Schriften standen zeitweilig sogar auf dem Index), und andererseits für die Wissenschaft wegen seines ausgeprägten Katholizismus zum Reaktionär. Tragisch daran ist nur, daß Lasaulx' Neuer Versuch nicht richtig zu Ende gedacht wurde. Interessant ist er trotzdem. Die Kulturen sterben laut Lasaulx nach Vollendung ihrer Entwicklung, nachdem sie hervorgebracht haben, wozu sie bestimmt waren. (Vgl. ebd., S. 24). Ihre „innere productive Zeugungskraft“ (ebd., S. 147) nehme ab, „Erschlaffung, Verweichlichung, Luxus“ trete ein, und danach „ein Zurücksinken in Barbarei“ (ebd., S. 28), „bis der ganze Organismus, nur auf die Befriedigung der materiellen Bedürfniss reducirt, seelenlos auseinanderfällt“ (ebd., S. 147). Man findet bei Lasaulx überwiegend biologisches (bzw. biographisches) Denken, das naturwissenschaftlich fundiert ist und auf eine Morphologie kultureller Weltgeschichte sowie eine lebensphilosophische Logik der Geschichte hinaus will. „Wenn ich es daher unternehme, mit mässigen Gaben ausgerüstet, nicht nur die Geschichte der alten Völker deren Leben vollendet ist, sondern auch jene der heutigen Völker Europas deren Schicksale noch schwebend sind, philosophisch zu beurtheilen, so kann dies nur unter mehrfachen Voraussetzungen geschehen ..., dass der Gang der grossen Schicksale der Menschheit, wie die Folge der Naturerscheinungen durch feste ewige Gesetze bestimmt ist ... und dass, nach den Gesetzen der Analogie im Leben der Völker des Alterthums, aus dem Bisherigen auf das Zukünftige ein wahrscheinlicher Schluss gezogen werden könne“ (ebd., S. 5-10). Per Analogie zur Prognose.

Das Lehrbuch der Weltgeschichte in organischer Darstellung vom Sprach- und Geschichtswissenschaftler Heinrich Rückert (1823-1875), dem Sohn des berühmten Dichters Friedrich Rückert (1788-1866), ist für die Kulturmorphologie ebenfalls sehr bedeutsam, stellt es doch den Versuch dar, eine „Weltgeschichte“ eben auch von Anfang an zu schreiben. In Rückerts Lehrbuch wird die Kulturmenschheit in drei (statt vier) Entwicklungsstufen eingeteilt, wobei zehn „Culturwelten“ bzw. „Culturkreise“ (= „Kulturkreise“) unterschieden werden (babylonisch, ägyptisch, chinesisch, indisch griechisch, römisch, phönizisch, semitisch, kaukasisch, islamisch), von denen eine einzige Kultur, nämlich die westeuropäische, sich wirklich lebendig erhalten hat. (Vgl. ebd., Bd. II, S. 911). Kultur bzw. ihre erste Stufe beginne, so Rückert, sobald der Mensch sich „außerhalb oder im Gegensatz zu der Natur gestellt“ (ebd., S. 20) wähne und erstmals „zum geschichtllichen Selbstbewußtsein“ (ebd., S. 78) gekommen sei. In der zweiten Stufe erkenne der Mensch die Vorteile, die der Zusammenschluß in Verbände mit sich bringe, weshalb sie bei Rückert „die sociale“ (ebd., S. 80) heißt. In der dritten Stufe schließlich entwickle sich aus dem Bedürfnis, die Welt und ihre Phänomene verstehen zu wollen, „das übersinnliche oder geistige Moment“ (ebd., S. 84), das bald zum religiösen werde. Es folge die zwangsläufige Auflösung der Kultur durch Säkularisation und Wissenschaft; sie wird aber nicht als eine eigene Stufe (oder doch als eine heimliche 4. Stufe?) gesehen, sondern nur als allmählicher Verfall. Nachdem die westeuropäische Kultur als die einzige sich wirklich lebendig erhaltene Kultur alle anderen Kulturen, ohnehin bereits abgesunken, durch Eroberung und Ausbeutung endgültig zerstört habe, komme ihr die Rolle (oder gar die Pflicht?) zu, durch Rückbesinnung auf ihr christliches Ideal der Menschheit das Heil zu bringen - doch Skepsis sei angebracht, so Rückert, ob ihr das gelinge. „Die Gegenwart und die Zukunft der europäischen Cultur, die selbst nichts weiter vermögen als das negative Werk, die Zerstörung gegen sich selbst als Vorbereitung für eine bessere Zukunft weiter fortzuführen, sind nicht dazu geschaffen, um die Regeneration jener noch mehr zerstörten eigenthümlichen Culturgebilde zu vollziehen“ (ebd., S. 919). Als leidenschaftlicher Patriot und später Romantiker glaubte Rückert zwar an eine „germanische Mission“ (vor allem der Deutschen), verurteilte aber, wie sehr viele deutsche Denker zu dieser Zeit, die Kolonialpolitik der Europäer, insbesondere der Engländer. Und als Idealist, der Rückert sicherlich auch war, schien er zu hoffen, das sich in Zukunft für die Menschheit eine „wahre Humanität“ durchsetzen werde, ganz in der Tradition des Neuhumanismus.

Der Deutsche Bund (1815-1866), ein Zusammenschluß der souveränen deutschen Fürsten und freien Städte zu einem Staatenbund, wurde 1815 auf dem Wiener Kongreß (1814-15) gegründet und bestand anfangs aus 38, seit 1817 aus 39 und zuletzt aus 33 Mitgliedern, die nach innen souverän, jedoch (logischerweise) an die Mehrheitsbeschlüsse des Deutschen Bundes gebunden waren. Organ des Bundes war die in Frankfurt (Main) unter österreichischem Vorsitz tagende Bundesversammlung aller Gesandten, deren Arbeitsfähigkeit in der Praxis von der österreichisch-preußischen Zusammenarbeit abhängig war. Unter dem Einfluß Metternichs und mit preußischer Zustimmung wurde der Deutsche Bund seit 1819 (z.B. durch die Karlsbader Beschlüsse) und verstärkt nach 1830, ein Instrument zur Unterdrückung der Einheits- und Verfassungsbewegung. Als Institution von der Revolution 1848 überrollt, wurde der Deutsche Bund 1850 wiederhergestellt. Nach Ausbruch der „Revolution“ mußte z.B. Metternich als verhaßter Exponent der Reaktion am 13.03.1848 zurücktreten und ins Ausland fliehen, bevor er im September 1851 nach Wien zurückkehrte. Doch der sich seit 1850 verschärfende österreichisch-preußische Gegensatz (Deutscher Dualismus) führte zum Ende des Deutschen Bundes. Nach dem Deutschen Krieg (1866) wurde er aufgelöst. Mit dem Sieg über Österreich im Deutschen Krieg erreichte Otto von Bismarck (1815-1898) die Gründung des Norddeutschen Bundes (1866), eines Bundestaates von 22 Mittel- und Kleinstaaten sowie freien Städten, der eine Zwischenstufe im Prozeß der Entstehung des 2. Deutschen Reiches bildete. Wirtschaftlich und militärisch stand der Norddeutsche Bund unter preußischer Vorherrschaft. Über Zollparlament und Zollbundesrat (Deutscher Zollverein) waren auch die süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund verbunden. Er war als Provisorium gedacht, da französischer Widerstand 1866 den Weg zu einer formellen nationalstaatlichen Lösung der deutschen Frage versperrte. Die liberalen und föderalistischen Elemente des Norddeutschen Bundes waren ein Entgegenkommen an die süddeutschen Staaten, seine dahinter sichtbare Tendenz zur Absicherung der preußischen Vorherrschaft Ausdruck der Reichsgründung von oben. Zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges (1870-71) schlossen sich die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund an, der im Dezember 1870 den Namen Deutsches Reich annahm. Der Sieg über Frankreich vollendete die kleindeutsche Reichsbildung (weil ohne Österreich) als das 2. Deutsche Reich - mit der Kaiserproklamation am 18.01.1871 in Versailles.

Der „Romantiker auf dem Thron“ war Preußens König Friedrich Wilhelm IV., geboren am 15.10.1795, regierend von 1840 bis 1861, gestorben am 02.01.1861. Er war von der deutschen Romantik so stark geprägt wie kein anderer Monarch, war einem christlich-germanischen Staatsideal verhaftet, wollte die Erneuerung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Seine Vorstellungen vom Gottesgnadentum und vom „mittelalterlichen“ Ständestaat verhinderten einen preußischen Übergang zum Konstitutionalismus. Durch den Ausbruch der Märzrevolution 1848 wurde er zwar zum Nachgeben gezwungen, lehnte aber 1849 die von der Nationalversammlung in Frankfurt (Paulskirche) angebotene Erbkaiserwürde ab. Er strebte die nationale Einigung durch eine Union auf der Basis des Dreikönigsbündnisses und mit Hilfe des Erfurter Unionsparlaments an, scheiterte aber am Widerstand aus dem Ausland. Wegen einer durch eine körperliche Krankheit hervorgerufene schweren geistigen Behinderung übertrug Friedrich Wilhelm IV. 1858 die Stellvertretung an seinen Bruder Wilhelm I., geboren am 22.03.1797, regierend von 1861 bis 1888 (als Kaiser von 1871 bis 1888), gestorben am 09.03.1888. In Friedrich Wilhelm IV. einen Träumer zu sehen, wäre völlig abwegig; er wußte, was er wollte und was nicht, was möglich war und was nicht; er entschied und handelte klug; wäre er wirklich nur ein Träumer gewesen, hätte sein Bruder die Regentschaft 1858 nicht überommen.

„Friedrich Wilhelm IV., ein am Beginn seiner Regierungszeit mit besonderen Erwartungen begrüßter, hochbegabter christlich-deutscher Romantiker, erschein vielen als der Monarch, der möglichst bald auch eine deutsche Kaiserkrone tragen sollte. Hatte er doch 1843 prunkhaft-feierlich des 1000jährigen Bestehens des Deutschen Reiches gedenken lassen und unter anderem auch Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn, den in Mißkredit geratenen liberalen Dichter der Lieder für Deutsche und den als Demagogen vorübergehend inhaftierten nationalen »Turnvater« rehabilitieren lassen. (Arndt). So sprach für viele nicht nur, daß er Hohenzoller und Nachfolger des Großen Kurfürsten und Friedrich des Großen war. Doch als ihm im November 1848 von Heinrich von Gagern, dem Präsidenten der seit dem 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche tagenden Nationalversammlung, die Kaiserkrone und das erbliche Kaisertum angetragen wurde, lehnte er ab. Einen »aus Dreck und Letten (Lehm) gebackenen Reif«, wie er die ihm ohne Zustimmung der Fürsten angebotene Krone verächtlich nannte, meinte er von sich weisen zu müssen. Die von sechshundert vornehmlich bürgerlichen Abgeordneten ausgearbeitete demokratische Verfassung, an deren Schöpfung der in dieser Zeit ganz besonders undurchschaubare und zwiespältig handelnde König keinen Anteil gehabt hatte, trat trotz nationalbetonter Euphorie, Revolution und revolutionärem Druck von unten nicht in Kraft, der deutsche Nationalstaat blieb weiterhin ein Traum. Der designierte Kaiser, Friedrich Wilhelm IV., der trotz aller »huldvollen« Freundlichkeit stets darauf bedacht war, als einer der »Fürsten in Deutschland« respektiert zu werden, wollte von einem »Handelsvertreter«, wie Heinrich von Gagern ihm - nach einer späteren Äußerung - 1848 erschienen war, ebensowenig eine Krone annehmen wie von der Nationalversammlung, die keine Krone zu verschenken hätte. Preußens König, der die nach seiner Auffassung vom Ausland her in Berlin vorbereitete »infamste Revolte, die jemals eine Stadt entehrt hat«, mehr fürchtete als die Macht Österreichs, die er keineswegs als Hindernis bei der Begründung eines Deutschen Reiches ohne Habsburg ansah, war nicht bereit, dem Wunsch jenes Parlaments zu entsprechen, das mit Ernst Moritz Arndts Parole »Das ganze Deutschland soll es sein!« (Arndt) zur Schaffung einer Verfassung und eines deutschen Nationalstaates angetreten war. Die von rechten und linken Verfechtern des Nationalismus (der 1848 noch ebenso ein linkes Phänomen war wie nach dem Wiener Kongreß und zur Zeit Kurt Schumachers) gleichermaßen getragene Nationalversammlung wollte - trotz mancher rhetorischer »Bekundungen« - kein Imperium, sondern einen realistisch programmierten deutschen Nationalstaat. Zwar wollte die Versammlung nicht einmal alte Reichs- und Bundesgebiete preisgeben, die nicht deutsch waren, und es fehlte in ihr auch an Träumen von einem von der Nord- und Ostseeküste bis zur Adria und zum Schwarzen Meer reichenden deutschen Nationalstaat nicht (wie ihn rund sechs Jahrzehnte später etwa der Alldeutsche Heinrich Claß forderte); aber das eigentliche Ziel war dies nicht. Nicht einmal auf die Deutschen im Elsaß, in Lothringen und im Baltikum wurde ernsthaft Anspruch erhoben.“ (Werner Maser, Deutschland, 1984, S. 22-24). Mehr

Bismarck meinte während der Paulskirche (1848 bis 1849), wenn es den Linken gelingt, ein großdeutsches System, also Preußen und Österreich zusammen, zu organisieren, dann gibt es einen großen europäischen Krieg. Also war er dagegen. Und das war ja schon 1815 so, nach dem deutschen Sieg über Napoleon, den die Briten zwar für sich in Anspruch nehmen, aber letztlich die Deutschen erfochten hatten. Auch damals wurde alles getan, um ein geeintes starkes Deutsches Reich eben nicht zuzulassen.“ (Klaus von Dohnanyi, in: Matthias Matussek, Wir Deutschen, 2006, S. 124). Vielleicht hätte Bismarck mit Gewalt viel mehr erreichen können, doch er war eben ein rechter, kluger Politiker: ein Taktierer, ein Pragmatiker, ein Realpolitiker.

Papst Pius IX., der vom 6. Juni 1846 bis zum 7. Februar 1878 herrschte - diese Regierungszeit (46,67 Jahre) ist bis heute der längste Pontifikat der Geschichte -, sah das rapid sich entfaltende Risorgimento in Italien nur durch eine offenbar von dem Erzreaktionär Antonelli ausgeliehene Brille, wodurch er gezwungen zu sein schien, „alle seiner konzilianten Natur entsprechenden liberalen Neigungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Anachronistisch und hartnäckig kehrte er zu den verfehlten Mitteln Leos XII. und Gregors XVI. zurück, anstatt auf seiner anfänglichen Linie fortzuschreiten, als er seine große Amnestie für politische Vergehen erließ, so daß Österreich aus Furcht vor den Auswirkungen dieses Liberalismus Ferrara besetzte, - eines Liberalismus, dessentwegen die Häupter des Risorgimento, Giuseppe Mazzani und Vincenzo Gioberti, ihm begeistert geschrieben hatten, Grillparzer ihn ein Gedicht gewidmet hatte. Der Papst zerstörte bald alle Hoffnungen, er werde sich an die Spitze der Strömungen stellen, die Italien von den Österreichern befreien würden. .... Es kam sogar zu Attentatsversuchen gegen den Papst und Antonelli, die letzterer mit Todesurteilen und Galeerenstrafen beantwortete. Der zum Ministerpräsidenten von Sardinien-Piemont berufene Staatsmann des Risorgimento, Graf Camillo Benso di Cavour, erklärte die Guerra Santa der Einigung Italiens. Die Papstherrschaft stagnierte mehr und mehr, keine einzige der dringend notwendig gewordenen Reformen im Kirchenstaat, nach der Türkei dem rückständigsten, korruptesten Staatsgebilde der Welt, wurde durchgeführt. Nachdem Napoleon III. Kaiser geworden war (02.12.1852), verbündete er sich mit Cavour. Der Krieg gegen Österreich im Sinne der italienischen Einigung war beschlossen (21.07.1858, Geheimbündnis), die Österreicher unterlagen bei Magenta (04.06.1859) und Solferino (24.06.1859). Die Fürstentümer Toskana, Modena und Parma endeten, Nationalversammlungen dieser Bereiche beschlossen - zusammen mit dem kirchenstaatlichen Bologna - die Vereinigung mit Sardinien-Piemont (11.09.1859). Bald darauf ließ Viktor Emanuel II. den nördlichen Kirchenstaat besetzen (11.12.1860), worauf der Papst ihn exkommunizierte. Und als nach der Kapitulation Franz' II. Beider Sizilien und dem Ende der Bourbonen-Herrschaft - gleichfalls einer der rückständigsten der Welt - der König den Titel König von Italien annahm (26.02.1861), protestierte der Papst erneut. Der Papst, der inzwischen die Welt mit einem neuen Dogma, dem der Unbefleckten Empfängnis, überrascht hatte (08.12.1854), unternahm über Jahre hin monatelange Reisen durch seinen sich auflösenden Staat und ließ sich bejubeln. Antonelli verbot die Überreichung von Petitionen und Reformvorschlägen, und aus Angst vor Diskussionen wurden sogar Gemeindesitzungen streng untersagt. So rollte die Zeit über den Papst hinweg. Ohne sein Wissen wurde die September-Konvention abgeschlossen (15.09.1864), in der Napoleon III. sich verpflichtete, seine Truppen aus Rom zurückzuziehen. Während der Papst seinen verhängnisvollen Syllabus erließ (08.12.1864), folgten die kriegerischen und politischen Ereignisse in rascher Folge. Österreich siegte noch einmal über Viktor Emanuel II. bei Custozza/Verona (24.06.1866), päpstliche und französische Truppen schlugen Giuseppe Garibaldi bei Mentana nicht weit von Rom (03.11.1867). Der Papst hielt das zwanzigste allgemeine Konzil im Vatikan ab (seit 08.12.1869) und verkündete das Unfehlbarkeitsdogma (18.07.1870), Frankreich erklärte Deutschland den Krieg (19.07.1870), der Papst kapitulierte vor den Truppen Viktor Emanuels II. (20.09.1870), die weltliche Herrschaft der Päpste war zu Ende, der Kirchenstaat hatte aufgehört zu existieren (vgl. „Vatikanstadt“), Wilhelm I. wurde in Versailles zum Kaiser proklamiert (18.01.1871), der Papst lehnte das sogenannte Garantiegesetz der neuen italienischen Regierung ab (13.05.1871), Bismarck leitete mit dem Kanzelparagraphen den Kulturkampf ein (10.12.1871), und der Papst verweigerte wie dem Vater, so dem Sohn und neuen König Umberto I. den Titel König von Italien (09.01.1878). So ging der dramatischste Pontifikat der Neuzeit zu Ende.“ (Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 363-365). Mit dem Papsthistoriker Kühner bleibt festzuhalten, daß die Verkündigung des Dogmas von der Unfehlbarkeit der Päpste - einen Tag vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges - für den gefühlsseligen Papst Pius IX. offenbar der Höhepunkt seines Pontifikates war.

 

Zum Anfang der Waage Dem abendländischen Klassizismus in Baustil, Kunst, Malerei und Musik entspricht in der Antike die „Attika-Klassik“ bzw. der Früh-Hellenismus. Zu nennen sind die Bildhauer Praxiteles (4. Jh. v. Chr.), Skopas (4. Jh. v. Chr.) und Lysippos (ca. 380-310; Schöpfer des hellenistischen Menschentyps) sowie die Musiktheoretiker, z.B. Platon (427-347), Aristoteles (383-322), Aristoxenos (um 354/350) und Euklid (ca. 370-300).

Kompositkapitell (Römische Ordnung) Die römische Kunst war von Beginn an von der etruskischen und griechischen Kunst beeinflußt. Die Griechen nahmen insbesondere durch die unteritalienischen und sizilianischen Kolonien Einfluß auf die Römer. (Vgl. 10-12, 12-14 und 14-16). Infolge der späteren Siege über die östlichen Mittelmeerländer sollten auch hellenistische Formelemente in die römische Kunst eindringen. Die Säulenordnung wurde der griechischen immer ähnlicher. (Vgl. 20-22 und 22-24). Die römische Ordnung, eine Mischung oder Zusammenstellung aus ionischen und korinthischen Elementen, entwickelte auch das Kompositkapitell, das sich später als Erbe im Abendland großer Beliebtheit erfreuen sollte. Beispielsweise übernahm die spätere karolingisch-ottonische Kunst die römischen Kapitelle in stark vereinfachter Form, während Romanik und Gotik eigenwilligere abendländische Formen fanden und erst die Renaissance, der Barock und das Rokoko die antiken Formen wieder reintegrierten, bevor sie in der jetzigen Phase in aller Klarheit veredelt werden konnten: im Klassizismus und in der Romantik.

Klassisch heißt vollkommener, idealer Ausgleich von Inhalt und Form, den der deutsche Archäologe und Kunstgelehrte Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), Begründer der klassischen Archäologie und der neueren Kunstwissenschaft, in erster Linie der antiken Kunst zuschrieb. Daraus entstand der Begriff der Wiener Klassik (Haydn, Mozart, Beethoven) und der Weimarer Klassik (Goethe, Schiller). Goethe und Beethoven waren diejenigen, die die Klassik zu einer unübertreffbaren Reife führten. Nicht zufällig war die Klassik die Zeit des erwachsenen Goethe und endete mit seinem Tod (1832); nicht zufällig kann man an Beethovens Lebensdaten die Zeit der Klassik ablesen: 1770-1827. Er war der Vollender der deutschen musikalischen Klassik und Kronzeuge der europäischen Musikromantiker. Fast gleichzeitig mit der Klassik begann die (Früh-) Romantik in Instrumentalmusik, Oper und Lied, z.B. durch Franz Schubert (1797-1828). Bloße Nachahmung des klassischen Stils ohne dessen Geist nennt man dagegen klassizistisch, doch ist dieser Ausdruck nicht immer als Tadel zu verstehen. Das ist jedoch der Fall, wenn er für einen leeren Formalismus steht. Der nicht zu tadelnde Klassizismus umfaßt in etwa die Zeit von 1770 bis 1830 und trat damals in allen künstlerischen Erscheinungsformen auf. Er war auch eine Gegenbewegung zu Barock und Rokoko: ein Umschlagen ins Gegenteil von solcher Schroffheit, wie sie in der abendländischen Kunst noch nicht vorgekommen war. Die Neuentdeckung der Größe der antiken Kunst war nicht so sehr Ausgangspunkt als vielmehr Folge der schon seit der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts da und dort spürbaren klassizistischen Neigungen, zu edler und klarer Form zurückzukehren. (Vgl. 16-18). Man fand dieses Ideal verwirklicht in der antiken Kunst, wandte sich dieser mit neuer Liebe zu und suchte im eigenen künstlerischen Schaffen auf gleichen und ähnlichen Wegen das Ziel zu erreichen, das in der antiken Kunst erreicht worden war. Die gelehrten Vertreter der klassizistischen Bewegung waren in Deutschland vor allem der bereits erwähnte J. J. Winckelmann und G. E. Lessing (1729-1781) sowie die zu Beginn dieser Zeit noch jungen J. W. Goethe (1749-1832) und F. Schiller (1759-1805). Die Baukunst zeigt deutlich, daß nicht bloße Nachahmung einer als vergangen empfundenen Kunst gewollt wurde - wie z.B. in den späteren Neo-Stilen des Hoch-Historismus als Eklektizismus (vgl. 20-22) -, sondern eine Erneuerung im Sinne der Antike, die in dieser Zeit ein lebendiges Gegenwartserlebnis darstellte. In Deutschland waren die ersten Vertreter Erdmannsdorf (Schloß Wörlitz, 1769-1773), Langhans (Brandenburger Tor in Berlin, 1788-1791), F. Gilly (Entwürfe zu Nationaldenkmal für Friedrich d. Gr., 1796, und Nationaltheater, 1800), Weinbrenner (Bauplan für Karlruhe, 1807-1825), Klenze (Glyptothek, Pinakothek, Propyläen u. a. in München; Walhalla in Donaustauf bei Regensburg, 1830-1847) und vor allem K. Fr. Schinkel (in Berlin und anderen Orten Deutschlands, seit 1803).


Pariser Triumphbogen, 1808


Die Hauptleistungen des Klassizismus fallen in die Zeit der Romantik. Eine der Formen des Früh-Historismus ist die Neugotik, die aus der Liebe der Romantik zum Mittelalter (Höhepunkt: Gotik) entstand und vom Eklektizismus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und teilweise darüber hinaus beibehalten sowie auf andere Stile ausgeweitet wurde. (Vgl. 20-22 und 22-24). Doch trägt auch sie klassizistische Merkmale. Aus der romantischen Empathie des Menschen mit der Natur, aus dem romantischen Sinn für gleitende Übergänge, für Kontinuität, für Verbindung aller Erscheinungen untereinander ergab sich auch eine innige Einordnung des Bauwerks in die Landschaft. Neben dieser bauwerklichen Natureinschmiegung gelten die Malerei und die Dichtkunst als eigentliche Domäne der Romantik als bildende Kunst, weil sie es ermöglichten, die neuen Inhalte romantischen Erlebens zu gestalten. Dieses Zusammengehen von Dichtkunst und Malerei war in der Geschichte der abendländischen Kunst bis dahin noch nie vorgekommen. Mit besonderer Stärke trat romantische Haltung und Stimmung in der Landschaftsmalerei hervor. Menschen und Natur wurden zu einander in innige Beziehung gesetzt, Schwebungen landschaftlicher Stimmungen erfaßt, wie sie Maler zuvor nie beachtet hatten. Nicht die klare statische Ordnung alles Seienden, sondern das beziehungsreiche Ineinanderweben der Erscheinungen wurde darstellungswert. Gelehrte und Dichter bemühten sich, den vergessenen Schatz deutscher Sagen, Märchen und Volkslieder wieder zu heben und zugänglich zu machen. Zu lebenden Symbolen auf diesem Gebiet wurden die Gebrüder Grimm (1785-1863 bzw. 1786-1863). Die Hauptmeister der romantischen Illustration, die übrigens zugleich den Unterschied zwischen der ernsten norddeutschen und der heiteren süddeutschen Romantik verkörpern, waren C. D. Friedrich (1774-1840) und Ph. O. Runge (1777-1810) einerseits und M. von Schwind (1804-1871) andererseits. Weil die Romantik ihren schöpferischsten Ausdruck in Deutschland fand, darf man sie als eine Deutsche Bewegung bezeichnen. Sturm und Drang , Klassik, Romantik heißen die stilistischen Merkmale dieser ersten Phase der Zivilisation. Die Romantik war der Erfinder der modernen Tiefenpsychologie. Sie stellte die Seele und das Ich in den Zusammenhang mit der Natur. Der eben erwähnten Fühlweise entspricht eine Denkweise idealistisch-pantheistischer Art. (Vgl. Geist der Romantik).

Zum Anfang der Waage Die führenden abendländischen Bauherrn, Bildhauer und Maler des Klassizismus sollen hier noch einmal erwähnt werden, um anzudeuten, wie umfangreich die Regungen dieser Zeit waren: Winckelman (1717-1768) als theoretischer Wegbereiter, von Erdmannsdorff (1736-1800), Langhans (1732-1808), J. L. David (1748-1825), J. H. W. Tischbein (1751-1829), Carstens (1754-1798), Dannecker (1758-1841), Gilly (1772-1800), Weinbrenner (1766-1826), von Klenze (1784-1864), K. Fr. Schinkel (1781-1841), Schadow (1764-1850), Rauch (1777-1857), J. A. Koch (1768-1839); bekannt sind als Romantiker C. D. Friedrich (1774-1840), Runge (1777-1810), von Schwind (1804-1871), der Nazarener Overbeck (1789-1869) sowie Garten- und Landschaftsbaumeister wie z.B. Sckell (1750-1823), Lenné (1789-1866) u.v.a.. In der Dichtung glänzten Wegbereiter wie Gottsched (1700-1766) und der pietistische Klopstock (1724-1803), der sich vom Pietismus lösende und dem Klassizismus sich nähernde Wieland (1733-1813), J. G. Herder (1744-1803), J. W. Goethe (1749-1832), F. Schiller (1759-1805), romantisch dann: Hölderlin (1770-1843), Wackenroder (1773-1798), Tieck (1773-1853), Novalis (1772-1801), F. Schlegel (1772-1829), A. W. Schlegel (1767-1845), Schleiermacher (1768-1834), H. von Kleist (1777-1811), C. Brentano (1778-1842), A. von Arnim (1782-1831), B. von Arnim (1785-1859), von Eichendorff (1788-1857), Görres (1776-1848), Creuzer (1771-1858), die Naturwissenschaftler J. W. Ritter (1776-1810) und C. Ritter (1779-1859), weiterhin J. Grimm (1785-1863), W. Grimm (1786-1859), Uhland (1787-1862), K. Lachmann (1793-1851), Heine, (1797-1856), Mörike (1804-1875) und außerdem z.B. die in der Übersicht angegebenen Denker.


- Musik -

Viele der Söhne des Barock-Meisters Johann Sebastian Bach (1685-1750), z.B. Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795) Johann Christian Bach (1735-1795), gelten neben Christoph Willibald Ritter von Gluck (1714-1784), Johann Stamitz (1717-1757), Johann A. Hiller (1728-1804) und anderen bedeutenden Musikern des Rokoko, auch z.B. noch dem jungen Franz Joseph Haydn (1732-1809), dem jungen Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und dem noch sehr jungen Ludwig van Beethoven (1770-1827) zu den Hauptpersonen, die die Phase der Wiener Klassik (bzw. Klassizismus) vorbereiteten, und als sie ihre Hochform erreicht hatten, wurden Haydn, Mozart und vor allem Beethoven zu den Hauptvertretern dieser Phase. Sie bedürfen hier wohl keiner näheren Erläuterung. Sie waren das für die Musik, was andere Künstler dieser Phase für Bau, Kunst und Dichtung waren: Klassizisten, Idealisten, Romantiker. Das galt und gilt insbesondere für den grandiosen Beethoven, der Unterricht nahm bei C. G. Neefe (1748-1798), einem „Vorläufer“ von Mozart. Auch Haydn, J. Schenk (1753-1836) und J. G. Albrechtsberger (1736-1809) waren Beethovens Lehrer. Beethoven war der erste frei schaffende Musiker, der in keinem Abhängigkeitsverhältnis - wie noch Mozart - stand. Zur Frühromantik zählen Carl Maria Weber (1786-1826), G. Meyerbeer (1791-1864), Gioacchino Rossini (1792-1868), Heinrich Marschner (1795-1861), Karl Loewe (1796-1869), Franz Peter Schubert (1797-1828), Vincenzo Bellini (1801-1835), Albert Lortzing (1801-1851), Felix Mendelssohn (1809-1847), Otto Nicolai (1810-1849), Robert Schumann (1810-1856), Frédéric Chopin (1810-1849) und Hector Berlioz (1803-1869), während Franz Liszt (1811-1886), Richard Wagner (1813-1883), Giuseppe Verdi (1813-1901), Jacques Offenbach (1819-1880), Clara Schumann (1819-1896), César Franck (1822-1890), Friedrich Smetana (1824-1884), Anton Bruckner (1824-1896), Johann Strauß (1825-1899), Joseph Strauß (1827-1870), Johannes Brahms (1833-1897), Georges Bizet (1838-1875) zur Spätromantik zählen. (Vgl. 20-22).


Vgl. Anmerkungen Ludwig van Beethoven - der erste frei schaffende Musiker ! Spengler

Der am 17.12.1770 in Bonn geborenen Ludwig van Beethoven, Sohn des Tenoristen Johann van Beethoven und Enkel des aus Mechelen zugewanderten Hofkapellmeisters Ludwig van Beethoven, wurde zum Vollender der deutschen musikalischen Klassik und „Kronzeuge“ der europäischen Musik-Romantiker. 1786 war er an der neu errichteten Universität Bonn immatrikuliert und 1787 auf Studienurlaub in Wien, den er wegen des Todes seiner Mutter abbrach. Als kurfürstlicher Musikstipendiat war er 1792 erneut nach Wien beurlabt, nahm hier ungeregelten Kompositionsunterricht bei Haydn, Salieri, Schenk, Albechtberger und wurde als Klaviervirtuose und Kammerkomponist rasch berühmt.

Ludwig v. Beethoven
Ludwig v. Beethoven
Seit 1800 litt Beethoven an Gehörstörungen, die 1819 zu völliger Taubheit führten. 1812 begegneten sich Beethoven und Goethe in Teplitz (sudet. Erzgebirge) und in Karlsbad, es sollte nicht die letzten Treffen bleiben: Beethoven war noch mehrfach Abendgast bei Goethe, der insbesondere von seinem Klavierspiel stark beeindruckt war. „Ich begreife recht gut, wie er gegen die Welt wunderlich stehen muß“, schrieb Goethe am 19.07.1812 an Christiane von Goethe. Beethovens Grundlage des Schaffens war ein ausgeprägter Individualismus und entsprang allein dem seelischen Erlebnis und (faustischen) Gestaltungswillen. Sind so seine Werke zutiefst Bekenntnisse, sind sie deshalb noch nicht Einzelfall; vielmehr spiegelt sich in ihnen Erlebnis und Schicksal des Menschen schlechthin. Was Beethoven in Tönen sagt, ist Menschheitsausdruck. So tritt zur ästhetischen die ethische Wirkung im weitesten Sinne der Katharsis (vgl. Aristoteles) und des Kantschen Pflichtgefühls (vgl. Kant). Von Beethovens unermüdlicher Arbeit am Werk zeugen die Skizzenbücher. Die Wandlung seines Stils vom Rokoko der Bonner Zeit über die Ausprägung der Eigensprache bis zur letzten Vergeistigung und Transzendenz der Spätwerke ist einzigartig in der Musikgeschichte. Beethovens Größe offenbart sich in der ungeheuren Fülle der Formen, in der Meisterschaft der thematischen Arbeit, in der lebendigen Ausdruckskraft seiner Rhythmik und Dynamik in der polyphonen Auflockerung der Mittelstimmen und nicht zuletzt in dem unerschöpflichen Reichtum seiner alle Ausdruckssphären umfassenden Melodik. Die Werke sind ebensosehr ein Sieg der Logik wie der seelischen Verkündigung, in der Synthese der rationalen und psychischen Kräfte liegt ihre Einmaligkeit.

Ludwig v. Beethoven

Beethoven war nie musikalischer Angestellter an Höfen, bei Musikinstitutionen oder kirchlichen Einrichtungen. Die Zeit war damals reif geworden, den schaffenden und ausübenden Musiker aus eigener Kraft frei wirken zu lassen. Dazu kam Beethovens stark betonte Eigenpersönlichkeit und sein Sinn für Unabhängigkeit. Er sah in seiner Kunst eine Sendung und war nicht gewillt, sie hinter andere Dinge zurücktreten zu lassen. Wenn er auf einem Kurspaziergang mit Goethe hochgestellten Persönlichkeiten keine Reverenz erwies, wenn er auf dem Wiener Kongreß der Hocharistokratie selbstbewußt gegenübertrat, wenn er die dem Revolutiosnhelden Napoleon Bonaparte zugedachte Widmung einer Sinfonie zerriß, als dieser sich zum Kaiser krönte, wenn er sich durch den fürstlichen Jahressold in keiner Weise beinflussen ließ, wenn er seine Forderungen an Verleger stellte, so geschah dies alles im stolzen Bewußtsein seines Künstlertums. Diese Eigentümlichkeit seines Charakters spiegelt sich auch in seinem Werk. In Beethovens großen Kompositionen tritt zudem eine besondere Art der Subjektivität zutage. In ihnen WILL Beethoven etwas, will Erlebtes, Erfahrenes, Erfühltes, Gedachtes in Tönen und Klängen ausdrücken - ja, er will davon künden, anderen mitteilen, sie aufrütteln, trösten, beflügeln. Dieses bewußte Kündenwollen einer einzelnen Komponistenpersönlichkeit steht in deutlichem Gegensatz zu der gesellschaftsgebundenen Musik des 18. Jahrhunderts und bahnt den Weg zu der das Ich als Ausgangspunkt wählenden Romantik des 19. Jahrhunderts. Das Rüstzeug, solch subjektives Wollen musikalisch zu gestalten, lag um 1800 ausgebildet vor. Alle künstlerischen Möglichkeiten hatten sich dank Beethovens Vorgänger bereits einander genähert, sich durchdrungen auf dem Boden einer geistigen Aufklärung. Beethoven brauchte daher nicht wie Haydn lange Jahrzehnte der künstlerischen Entwicklung, er konnte vielmehr sogleich zugreifen, die sich ihm anbietenden kompositorischen Möglichkeiten unmittelbar umsetzen. Bei Beethoven mußten jedoch Pläne oft lange liegen bleiben, bevor er sie für gestaltungswürdig hielt - ein Vorteil des frei schaffenden gegenüber dem Amtspflichten unterliegenden Komponisten!

Ludwig v. Beethoven
 

Für Beethoven hatten die Teile nur eine beschränkte Eigenbedeutung und sollten vom Ganzen her begreifbar werden. Durch Beethovens Kompositionen gewann die Gesamtkonzeption bestimmenden Einfluß auf die Gestaltung jedes Details. Anders als seine Vorgänger arbeitete Beethoven nicht mehr nach verbindlichen Gattungsvorstellungen. Seine Werke sind ausgeprägte Individualitäten von unverwechselbarerer Charakteristik. Von den Zeitgenossen wurden schon die bedeutenden Werke aus den ersten Wiener Jahren als kühn, neuartig, oft auch als bizarr empfunden. Die unverwechselbare Künstlerpersönlichkeit ist von den Ideen des Deutschen Idealismus bestimmt. (Vgl auch: Idealismus). Seine Musik strebt über das Individuelle hinaus zur Allgemeingültigkeit. In dieser Bedeutung verwendete Beethoven in seinen letzten Werken einen kontrapunktischen Stil, der in seiner für die Zeit unerhörten Ausprägung die Überwindung der früheren dualistischen Gestaltungsformen darstellt. Dieser „objektive“ Stil bleibt letztlich persönliche Aussage des von der sinnlichen Erscheinungsform seiner Kunst und von der Welt isolierten Musikers.

Das kompositorische Lebenswerk des einzigartigen Beethoven spiegelt den Wandel von zeitstilistisch bestimmter Gebrauchsmusik (Bläser-Divertimenti u.a.) zu personalistisch geprägter Bekenntnismusik („Ideensinfonik“). Sein Schaffensprozeß entwickelte sich zunehmnend mikrostrukturell („Skizzenbücher“). Klassische und romantische, statische und dynamische Prinzipien durchdringen einander idealistisch zu „Beethovenscher Universalität“. (Vgl. Klassizismus, Idealismus, Romantik). Themendualismus oder Themenpluralismus, rhythmische Kontrapunktik, Flächenharmonik, Finalschichtungen, Klangfarbmixturen, Klangraumaufrisse und vieles mehr sind durch alle Werk- und Werdestufen Beethovens erkennbar. Seine Fernwirkungen reichen über die „Opernsinfonik“ von Richard Wagner (1813-1883; Wagner) bis zu der „Variationsatomisierung“ von Arnold Schönberg (1874-1971; Schönberg) und darüber hinaus den „elektronischen Raumkompositionen“ von Karlheinz Stockhausen (1928-2007; Stockhausen), ja bis in alle Richtungen der eigentlich nun erst mit dem Wort „Moderne“ belegten Musik.

 

Zum Anfang der Waage Auf geistiger Ebene der Kulturkreise tummeln sich in dieser frühen Erwachsenenphase viele Denkrichtungen, als wären sie die frühen Kurse einer Abendschule auf dem zweiten Bildungsweg. Waren es in der Antike in der vorletzten Phase (14-16) 8 und in der letztenPhase(16-18) 10, so waren es jetzt 17 Schulen, die als aktuell galten, wobei 6 davon in der vorletzten und 3 davon in der letzten Phase entstanden waren. In der jetzigen Phase entstanden also nach Platon 8 weitere neue Schulen. Diese 9 Schulen überdauerten fast alle, mehr oder weniger erfolgreich, mindestens das nächste halbes Jahrtausend. Das ist eine ganze Jahreszeit, ein ganzes Quartal. Den Auslöser für den erneuten Prestigegewinn der antiken Philosophie gaben die Attiker.

Philosophie Analoge Philosophien
(18-20): 390-280 und 1760-1870
(12-14, 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24)

3) Pythagoräer Rel.-pol.-arist. Rationalismus seit -550
4) Subjektivisten Elemenekinetik; Heraklit u.a. seit -520
5) Atomisten Naturph.; Leukipp/Demokrit, .. seit -490/-460
6) Sophisten Anthropologie/Aufklärung seit -475/-450
7) Sokratiker Sokrates, Maieutiker seit -440
8) Megariker Eristiker (Streiter) Euklid v. Megara seit -430
9) Kyrenäiker Aristippos von Kyrene, Hedoniker seit -400
10) Kyniker (Autarkisten) Antisthenes, Diogenes seit -400
11) Platoniker Platon, Alte Akademiker seit -385
12) Aristoteliker Aristoteles, Peripatetiker seit -335
13) 2. Kyniker Älterer Diogenes seit -330
14) Skeptizisten Pyrrhon, Zweifler/Pyrrhonisten seit -315
15) Stoizisten Stoizismus (Stoa poikile) Zenon seit -300
16) Epikuräer Epikur seit -300
17) 3. Kyniker seit -300
18) 2. Aristoteliker Jüngere Peripatetiker seit -287
19) 2. Platoniker Mittlere Akademie seit -270
3) Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
4) Subjektivismus Rationalismus; Descartes u.a. seit 1630
5) Atomismus Monaden/Infinitesimal., Leibniz seit 1660-90
6) Aufklärung seit 1685 (1700)
7) Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
8) Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720
9) Sensualismus Positivisten/Materialisten seit 1750
10) Früh-Romantik Sturm-und-Drang seit 1760
11) Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770
12) Hegelianer Idealismus, Hegel, Alt-Hegelianer seit 1800
13) Hoch-Romantik „Klassische“ Romantik seit 1800
14) Lebensphilosophen Existentialisten seit 1820
15) Soziologisten seit 1820
16) Psychologisten seit 1820
17) Spät-Romantik seit 1840
18) Jung-Hegelianer Jüngerer Idealismus seit 1850
19) Neu-Kantianer Neu-Idealismus seit 1860/1870
Theologie Analoge Theologien Philosophie
26) Dionysos-Kult zu: Rationalismus; seit Pythagoräer
27) Theogonie geht auf in Platonismus/Aristotelismus **
28) Gegenreformation (6) Zeus-Götterwelt seit - 7. / - 6. Jh.
26) Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; seit Leibniz - Wolff
27) Neumystik (4) geht auf in Idealismus/Romantik **

28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

Nur die Zeus-Welt (Rom: Jupiter-Welt) bleibt: Gegenreformation und deren Neuscholastik.

 

Platon, Aristoteles, Kant, Hegel

Zwei philosophische Schulen sollten sogar den kulturellenWinter überdauern und in der neuen Kultur des christlichen Abendlandes auf Linie gebracht werden: Platon (427-347) und Aristoteles (383-322) waren deren Begründer. Sie verhalten sich zueinander wie Kant und Hegel (oder Goethe). Aber man muß zwei zeitlich gegeneinander austauschen, um auch die inhaltliche Übereinstimmung zu bekommen. Der Grund dafür liegt in der Tiefe der Seelen beider Kulturen, im Seelenbild. Wer einzelkörperlich und punktuell denkt, der bringt auch die großen politischen Visionen in eine entsprechende Körperordnung (Platon) und erst danach bezüglich der Einzelheiten in eine Epistemologie (Aristoteles). Wer hingegen vom unendlichen Raum ausgeht, agnostizierend und indem er jedem wahrnehmungslosen, bloß spekulativ-konstruktiven Denken die Fähigkeit zu irgendeiner Wirklichkeitserkenntnis abspricht (Kant), der läßt das Göttliche als Transzendenz außen vor und konzentriert sich zunächst auf das Wesentliche und die Erfahrungen, die ihm eine faustische Kultur bereits als Grundlage liefert; erst danach widmet sich der Nachfolger den Ideen (Ideen) und dem All-Einen, abendländisch ausgedrückt: der Phänomenologie des Geistes und dem Panlogismus (Hegel). Deshalb folgten in der Antike die Einzelwissenschaften den Ideen und im Abendland die Ideen den Einzelwissenschaften. Auch hierdurch wird der Gegensatz Antike-Abendland deutlich erkennbar: die Antike ging in ihrer Kindheit und Jugend durch die familiäre und schulische Lehre der Kosmos-Idee und verpaßte die eigene experimentelle Erfahrungswissenschaft, das Abendland ging in seiner Kindheit und Jugend durch die familiäre und schulische Lehre der experimentellen Erfahrungswissenschaft und verpaßte die eigene Kosmos-Idee. Jetzt versuchten beide deshalb über den zweiten Bildungsweg das nachzuholen, was sie zuvor verpaßt hatten. Das Schicksal hatte ihnen zuvor via Seelenbild andere Wege vorgezeichnet. Man kann sich das auch klar machen, wenn man sich die Begriffe Kosmos und Universum auf der Zunge zergehen läßt: in der Antike bedeutete kosmos Ordnung, während wir unter Universum eher Chaos als Ordnung verstehen, jedenfalls assoziativ. (Vgl. Kosmos). Den Kosmos experimentell- wissenschaftlich zu untersuchen, kam den antiken Menschen gar nicht in den Sinn, und wenn doch, dann nur über eben diesen zweiten Bildungsweg. Der fällt aber, wie erwähnt, in den meisten Fällen so aus, daß er das Seelenbild einer Kultur eher bestätigt als verändert. Der faustische Abendländer weiß schon aus Erfahrung der klösterlichen und wissenschaftlichen Vergangenheit heraus, was ihm zu tun übrig bleibt. Die Dinge, die wahrnehmbar sind, werden verändert, und erst in Reaktion darauf wird über den Rest der Dinge spekuliert. Wenn also die Antike wie das Abendland gewesen wäre, dann wäre aus Platon ein Kant und aus Aristoteles ein Hegel geworden. Weil sie aber kulturell sozialisiert waren - die Enkulturation und primäre Sozialisation (6-12) lagen längst hinter ihnen -, verliefen die Dinge auf umgekehrte Weise. Ein Antike-Abendland-Tausch sähe dann Kant, der platonisch erschienen wäre, und Hegel, der aristotelisch um die Säulen gewandert wäre. Analog gesehen kommt Platon natürlich eher Hegel und Aristoteles eher Kant gleich. Elterliches Erbgut sowie primäre und sekundäre Sozialisation sind also nicht nur für sogenannte Individuen das alles Entscheidende, sondern auch für Kulturen.

Der transzendentale Idealismus Kants besagt, daß nicht die Dinge an sich, sondern die Dinge nur als Erscheinungen erfaßbar sind. Transzendent bedeutet demzufolge, daß Erfahrungen bzw. Erkenntnisse überstiegen werden, wenn sie jenseits des Bewußtseins liegen, dieses also überschreiten. Transzendental dagegen bedeutet nicht etwas, was über alle Erfahrung hinübersteigt (= transzendent), sondern was vor ihr (a priori) zwar hervorgeht, aber doch zu nichts weiterem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen. Der Begriff des Transzendentalen bezeichnet somit offenbar das Problem der Erkenntnislehre, aber auch die Erkenntnislehre selbst und ihrer Methoden. Die transzendentale Idee ist nach Kant ein Vernunftbegriff, ein Begriff, der nur in der Sehnsucht des Verstandes, das ihm Gegebene zu überschreiten, seinen Ursprung hat und die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, aber für die formale Anordnung der Begriffe und Erkenntnisse in einer vollständigen Wissenschaft unentbehrlich ist. Die 3 Ideen der Metaphysik sind nach Kant: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. Platons Begriff der Ideen ist dagegen ein urtypischer (vorgeburtlicher), weil er methodisch in genau die andere Richtung zeigt: Ideen sind aufgrund vorgeburtlicher Erinnerung erfaßbare, Realität besitzende Urbilder der Dinge. Nach Platon sind sie nicht sinnlich, sondern nur geistig erfaßbar, und zwar mit eben jener Anamnese: der vorgeburtlichen Erinnerung. Anamnese sei, so Platon, eine Wiedererinnerung als Erkenntnis, weil jede Erkenntnis ein Sicherinnern der Seele an die Ideen sei, in deren Nähe sie vor ihrer Verbindung mit dem Körper weilte. Ideen sind nach Platon ewige und unveränderliche Urbilder. Das Ding bildet die Ideen ab und hat an der Idee teil. Somit ist die Idee in ihm gegenwärtig und demzufolge das Eigentlich-Seiende. Das Abendland hatte sich mit der platonischen Ideenlehre seit ihrem Bekanntwerden immer schon auseinandergesetzt, und mit Fichte, Schelling und Hegel erhielt sie jetzt erneut Bedeutung, aber an die eigentliche platonisch-antike Bedeutung kamen selbst diese 3 Hauptvertreter des Deutschen Idealismus und auch Goethes Urphänomene nicht heran. Keinem Menschen ist es möglich, kulturell gegensätzliche Seelenbilder und Ursymbole zu überwinden. Auch eine Synthese muß aufheben, wenn auch auf erhöhter Ebene. (Vgl. Aufheben und Dialektik). Ideen (Vergleich)

Immanuel Kant (1724-1804)
4 Entwicklungsstufen
Platon (427-347)
4 Entwicklungsstufen

Natur-
wissen-
schaft-
liche Stufe

1747
-
1758

Meta-
physi-
sche
Stufe

1758
-
1781

Kritisch-
philoso-
phische Stufe

1781
-
1793

Nach-
kritische Stufe

1793
-
1804

Sokrates-
Schüler

407
-
399

Studien
bei den Eleaten-Megarikern
(Synthese aus eleat. und sokrat. Lehren)

Reisen
nach
Sizilien
und
Unteritalien:

Pythagoräer -Studien

Akademie

Gründung:

385
v. Chr.

Kritik der
Sophistik
Systematik
Erkenntnis-
theorie
Metaphysik
Ethik & Politik
Ideenlehre

Spätzeit

Weiter-
führung
der
Ideen-
lehre
&
Natur-
philosophie
Gesetz gebung

Idealismus
Transzendal:
z.B.
Kant
 Subjektiv: 
z.B.
Fichte
Objektiv:
z.B.
Platon
Hegel
Schelling
Magisch:
z.B.
Schlegel
Schelling
(Romantik)
Abslout:
Hegel
Platon (eigentlich: Aristokles), Sohn des Ariston und der Periktione, stammte mütterlicherseits aus reicher und vornehmer Familie Athens. Nach dem Tod des Sokrates (399), dessen Schüler Platon 8 Jahre lang war und dessen Prozeß er erlebte, hielt er sich eine Zeitlang bei dem Eleaten Eukleides von Megara auf, der ebenfalls ehemaliger Schüler des Sokrates war. Eukleides' megarische Schule war eine der an Sokrates orientierten Philosophenschulen, die eine Synthese zwischen dem sokratischen Begriff des Guten und dem unbeweglichen, unveränderlichen Sein der eleatischen Philosophie zum Ziel hatte. Auf Reisen nach Unteritalien und Sizilien lernte Platon auch die Denkweise der Pythagoräer kennen. 385 v. Chr. gründete er die Platonische Akademie. Hier wurde der Platonismus geprägt, die Lehre Platons durch mittelbare und unmittelbare Schüler augebaut und die platonische Philosophie, insbesondere die Ideenlehre, auf andere philosophische Systeme übertragen. (Vgl. auch: Platonisches Denken Platonisches Denken). Platon (427-347)

Aristoteles
(383-322)
Trichotomie

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
(1770-1831)
Dialektik

Begriff (e)
(Außen- & Mittel-)

Urteil (e)
(Prämisse (n))

Schluß
(Konklusion)

These
(Gesetztes)

Antithese
(Negation)

Synthese
(Negat. Negation)

Metaphysik
(1. Theoretische Philosophie)

Mathematik
(2. Theoretische Philosophie)

Physik
(3. Theoretische Philosophie)

Natur-Seele
(Anthropologie)

Bewußtsein
(Phänomenologie)

Identität
(Subjektiver Geist)

Politik
(1. Praktische Philosophie)

Ökonomik
(2. Praktische Philosophie)

Ethik
(3. Praktische Philosophie)

Familie
 

Gesellschaft
 

Staat
(Objektiver Geist)

Technik
(1. Poietische Philosophie)

Ästhetik
(2. Poietische Philosophie)

Rhetorik
(3. Poietische Philosophie)

Subjekt
(Objekt)

Objekt
(Subjekt)

Gott
(Subj. -Obj.-Einheit)

Pflanzenhafter
Mensch

Tierhafter
Mensch

Intellektueller
Mensch

Anschauen
(Kunst)

Vorstellen
(Religion)

Wissen
(Unendliche Einheit)

Monarchie
(Tyrannis)

Aristokratie
(Oligarchie)

Demokratie
(Ochlokratie)

These
(wird gesetzt)

Antithese
(hebt auf)

Synthese
(hebt erhöht auf )


Zum Anfang der Waage Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) ging von Kants ethischem Rigorismus und Aktivismus aus. Fichtes Philosophie ist die wissentliche Selbstbeobachtung der schöpferisch-ethischen Aktivität der Persönlichkeit, des Ich. Seine Philosophie heißt darum Wissenschaftslehre (1794). Fichte stellte in diesem Sinne 3 Tathandlungen des Ich fest: 1.) Das Ich setzt sich selbst; 2.) Das Ich setzt sich einem Nicht-Ich entgegen; 3.) Das Ich setzt sich im Ich einem Nicht-Ich entgegen. Das Ich war für Fichte der Inbegriff des gegen die Trägheit ringenden Willens der Menschen. Demnach gäbe es ursprünglich nur eine absolute Tätigkeit: das Ich. So betrachtet stellen wir uns Dinge außer uns dadurch vor, daß das Ich eine Realität in sich aufhebt (außer sich setzt) und diese aufgehobene Realität in ein Nicht-Ich setzt, das ja auch eine Tathandlung des Ich ist.
Ich-Idealismus
1.)
Ich
setzt Ich
2.)
Ich
setzt Nicht-Ich
3.) Ich setzt im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen
Fichte, für die meisten Romantiker der bedeutendste Philosoph, hatte zunächst die französische Revolution gefeiert (später aber nicht mehr!), galt als „Philosoph der Freiheit“, ja er wurde selbst zum „Napoleon der Philosophie“. Die 1788 erschienene Kritik der praktischen Vernunft von Kant hatte Fichte aus seinem „dogmatischen Schlummer“ erweckt. Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) war zunächst als ein Werk Kants angesehen worden war, nämlich als die lange erwartete, jedoch erst 1793 tatsächlich erschienene Religionsschrift Kants (Spinozismus); nachdem aber Kant Fichte für den doch 1792 erschienen Versuch einer Kritik aller Offenbarung als Verfasser genannt hatte, wurde Fichte schlagartig berühmt. Fichte bekam auf Betreiben Goethes in Jena eine Professur und verkündete dort 1794 sein „System der Freiheit“, seine Wissenschaftslehre; er erklärte: „Mein System ist das erste System der Freiheit; wie jene Nation von den äußeren Ketten den Menschen losreißt, reißt mein System ihn von den Fesseln der Dinge an sich, des äußeren Einflusses los, ... und stellt ihn in seinem ersten Grundsatz als selbständiges Wesen hin.“ Der Grundsatz lautet: „Das Ich setzt sich selbst.“ In diesem Grundsatz hängen alle Sätze des Systems zusammen. Sie bilden die systematische Form allen möglichen Wissens. Daher das Wort Wissenschaftslehre für dieses System. Fundament und Prinzip des Wissens ist demnach nicht etwas Vorgefundenes, keine Tatsache, auch nicht das Ich als Tatsache, sondern eine Tathandlung, schöpferische Tätigkeit, nämlich die, in der das Ich zu sich kommt und sich, wie sonst nur Gott, selbst erzeugt. Also gehört dazu, daß sich das Ich unterscheidet, von allem unterscheidet, was es nicht ist. Der zweite Grundsatz der Wissenschaftslehre lautet also: „Das Ich setzt sich einem Nicht-Ich entgegen.“ Da nun die entgegengesetzten Gegenstände im Bewußtsein sind, lautet der dritte Grundsatz, der die beiden anderen verbindet und umfaßt: „Das Ich setzt sich im Ich einem Nicht-Ich entgegen.“ Die drei Grundsätze bilden als These, Antithese und Synthese die Grundfigur der Dialektik. Alles, was im menschlichen Geiste vorkommen kann, muß sich, so Fichtes Forderung, aus den aufgestellten Grundsätzen ableiten lassen.

Die Überzeugung, daß das Bewußtsein einer dinglichen Welt außer uns absolut nichts weiter sein soll als das Produkt unseres eigenen Vorstellungsvermögens, soll uns zugleich die Gewißheit unserer Freiheit geben. Nicht als bestimmt durch die Dinge, sondern als die Dinge bestimmend ist das Ich zu denken. Für Fichte war die Welt nichts anderes als das Material unserer Tätigkeit, das versinnlichte Material unserer Pflicht. Alles, was zur Tätigkeit gefordert ist, ist auch sittlich gefordert. Dahin gehört vor allem die Ausbildung des Körpers und des Geistes und die Eingliederung in die menschliche Gemeinschaft, denn die Arbeit an der Sinnenwelt, die Kulturarbeit, kann nur eine gemeinsame sein. Andererseits haben alle Staatsbürger das Recht sowohl auf formale Freiheit und Schutz vor Vergewaltigung als auch auf Eigentum, Arbeitsgelegenheit und Teilnahme an den Erträgen der Staatswirtschaft, wie Fichte in seinem Geschlossenen Handelsstaat (1800) dargelegt hat.

Weil seit Fichtes Wissenschaftslehre (1794) von Gott nicht mehr die Rede war, kam es zum Atheismusstreit - Fichte verlor dadurch auf ungeschickte Weise seine Professur in Jena und wurde 1810 Rektor der Berliner Universität -, obwohl Fichte sich schon in der 1800 erschienen Bestimmung des Menschen auf Gott besonnen hatte, als ein durch ihn hindurch fließendes und wirkendes und nur mystisch erfahrbares All-Leben. Das Ich war also hier schon wieder durch das Absolute oder Gott ersetzt, das im Ich erscheint. Gott war nämlich für Fichte in den blinden Fleck des Bewußtseins, in eine Art schwarzes Loch, geraten; seine geistige Erweckung hatte Fichte laut eigener Auskunft dem Berliner Domprobst Spalding zu verdanken, und seitdem sah Fichte vieles wieder anders: Die Bestimmung des Menschen besteht aus den drei Teilen Zweifel, Wissen, Glaube. Wie, wenn ich selbst nur geträumt bin?  - „Es erscheint der Gedanke, daß ich empfinde, anschaue, denke; keineswegs aber: ich empfinde, schaue an, denke, Nur das erstere ist Factum; das zweite ist hinzu erdichtet. ... Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder. .... Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird ..., das Denken ... ist der Traum von jenem Traum.“ Fichte schaute also in den Abgrund der negativen Selbstreferenz, stieß ans unvorstellbare Nichtsein, an den Tod. Etwas „außer der bloßen Vorstellung Liegendes“ heißt das, nach dem Fichte von da an verlangte und fand, daß zumindest sittliches Tun Bestimmung des Menschen sei, denn: „unser Bürgerrecht ist im Himmel“, und die ganze Bestimmung kenne nur er, der „Vater der Geister“. Der Welt absterben, sich von der Welt lösen, um wiedergeboren zu werden in einem anderen Leben - das war von da an die die religiös-platonistische Devise des Idealisten Fichte. Er wurde weiterhin bekannt durch seine Reden an die deutsche Nation (1807-1808).

Zum Anfang der Waage Der Unterschied zwischen Form und Inhalt zeigt ebenfalls den Gegensatz zwischen apollinischer und faustischer Kultur an. Für derartige Gegenpole gilt, daß hier Inhalt ist, wenn dort Form war und daß hier Form ist, wenn dort Inhalt war. Wahrscheinlich ist diese Polarität der Grund dafür, daß wir uns jede antike Form zum Inhalt und jeden antiken Inhalt zur Form machen. Da aber in der Antike auch der Inhalt förmlich gedacht wurde, als Substanz oder Urstoff (arch), so kann man zu der Vermutung gelangen, daß es im Abendland eigentlich kein Formdenken geben könne. Und in der Tat wird hier jede Form so lange analysiert oder ins Grenzenlose idealisiert, bis man auf jene mathematischen Formen trifft, die Gauß (1777-1855) geometrisch begründet hat und später auf andere Weise durch Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation in der Physik wieder auftauchen sollten. (20-22). Über lange wissenschaftliche Wege ist man also zu einem Gedanken gelangt, den Platon auf ähnliche Weise schon vertreten hatte, ohne naturwissenschaftlich zu experimentieren. Er experimentierte nur mit seinen Gedanken und denen seiner Akademieschüler. Als Platon seine Akademie betrieb, d.h. sich und seine Schüler aus der athenischen Grausamkeit nahm, sollte eine Philosophieschule in Gang gesetzt werden, die die Antike bis dahin nicht gekannt hatte. Als Kant im fernen Königsberg, das er nie verließ, wirkte, geschah durch die idealistisch-romantischen Bewegungen Ähnliches auf abendländische Weise.

Nach Platons Gründung der Akademie (385 v. Chr.) entstanden Aristoteles' Peripatetiker-Schule (335 v. Chr.), Pyrrhons Skeptiker-Schule (312 v. Chr.), Zenons Stoiker-Schule (um 300 v. Chr.), Epikurs Schule (um 300 v. Chr.) und die bereits erwähnten 13-bändigen Elemente des Mathematikers Euklid (um 312/300), dessen Parallelenaxiom genau einen Weltmonat lang Gültigkeit haben sollte, bis Gauß (um 1800) die erste nicht-euklidische Geometrie entwickelte. (Gauß). Ebenfalls einen Weltmonat nach den antiken sehen wir neue abendländische Denkschulen, wobei man hier immer wieder auf den apollinisch-austischen Gegensatz zurückkommen muß, um zu verstehen, weshalb Form und Inhalt dieser Schulen Oppositionen darstellen, in der Genetik einer Kultur aber immer wieder analoge Kriterien der Evolution am Werk sind. Im Vergleich zu Platon, der seinen Idealismus auch politisch zu verwirklichen suchte (im Reich des Tyrannen Dionysios I. in Sizilien), blieb Kant praktisch ziemlich apolitisch und entwickelte statt dessen seinen kategorischen Imperativ. Auch Aristoteles kann in praktischer Hinsicht als apolitisch gelten, auch und gerade wegen der Tatsache, daß er Alexander den Großen erzogen hatte, denn seine Beweggründe waren nicht das, was man ihm nach Alexanders Tod zu unterstellen versucht hat: Gottlosigkeit. Für Hegel und (sein eigentliches Analogon) Platon bedeutete erkennen sich erinnern und begreifen rekonstruieren; diese beiden großen Idealisten hatten auch ähnliche Staatsideen. Hegel sah im Staat den erscheinenden Gott, weil die Einheit rechtlichen Verhaltens und moderner Gesinnung das Entscheidende und im Staat höchste Form Erreichende sei - das Ideal schlechthin, weil es allgemeiner Natur sei. Diese allgemeine Form sollte Inhalt werden. Ob sie es dann wurde, war eine andere Frage. Man hatte die Idee, und das war entscheidend. In einer antiken körperlichen Polis war die Idee anderer Natur. Man ertrug hier keinen Inhalt, weil er nur Chaos zu bedeuten schien, und ging gleich zur Form über. Die Antike war stets populär, was wir populistisch nennen würden, weil wir die Antike nicht wirklich verstehen können und wollen. Das Abendland war stets unpopulär, was die Antike unfertig oder nicht vorhanden genannt hätte, weil sie uns nicht wirklich hätte verstehen können und wollen. Das liegt an der antiken arch.

Fragen-Dreieck
Hegels System besteht aus 3 Teilen (Hegel): der Logik (Ontologie), die das Sein Gottes vor Erschaffung der Welt nachvollzieht, der Naturphilosophie, die Gottes Entäußerung in die materielle Welt zum Inhalt hat, und der Philosophie des Geistes, die die Rückkehr Gottes aus seiner Schöpfung zu sich selbst (zu seinem Selbstdenken) im menschlichen Geiste schildert (mit anderen Worten: die Philosophie des Geistes als Idee, die aus ihrem „Anderssein“ in sich zurückkehrt). Am Ende steht wiederum die Logik - diesmal jedoch die von Gott im Menschen vollzogene, die sich aber inhaltlich von der ersten nicht unterscheidet. Das Prinzip der dialekischen Entwicklung (Dialektik) ist die aus dem Widerspruch resultierende Bewegung. Schon in der Natur findet ein allmähliches „Insichgehen“ der Äußerlichkeit statt, aber die eigentliche „Rückkehr“ des Geistes aus seinem „Anderssein“ (= Natur) vollzieht sich erst im Menschen. Der Mensch, der zunächst naturhaft seelenhaft (Anthropologie) existiert, trennt sich auf der Stufe des „erscheinenden Bewußtseins“  (Phänomenologie) von seinem unmittelbaren Dasein und tritt in Gegensatz zu ihm, bis er als Geistwesen (subjektiver Geist) seine eigene geistige Substanz als identisch mit seinem bewußten Verhalten erkennt. Die gleiche Entwicklung machen die von der menschlichen Gemeinschaft geschaffenen Formen wie Recht, Moralität, Sittlichkeit durch, bis hin zum Staat (objektiver Geist). Auch hier ist die 3. Stufe wiederum die Synthese der beiden ersten, die sich antithetisch zueinander verhalten. In der konkreten Sittlichlkeit (von Familie, Gesellschaft und Staat) ist eine Einheit von rechtlichen Verhalten und moralischer Gesinnung das Entscheidende. Diese Einheit erreicht im Staat ihre höchste, weil allgemeinste Form. Daher ist der Staat für Hegel der erscheinende Gott, denn Gott ist die Einheit von Subjektivität und Objektivität absolut (Ähnlichkeit von Hegel und Platon). Über den Gebilden des objektiven Geistes stehen die 3 Gestalten des Anschauens, Vorstellens und Wissens (diese 3 als absoluter Geist) der absoluten Identität von Substanz und Subjekt. In der Kunst wird diese Einheit nur erst „angeschaut“, das Gedankenhafte (Ideelle) scheint durch die Materie hindurch, in der Religion wird sie in einer jenseitigen Person „vorgestellt“, die zugleich Gott (Denken des Denkens) und Mensch (im sittlichen Dasein) ist, und erst im absoluten Wissen wird diese Einheit als vollkommene Identität von subjektivem (menschlichem) und absolutem (göttlichem) Geist gewußt, erst hier erreicht die Erhebung des endlichen Wesens Mensch zum Unendlichen ihr Ziel.

Laut Hegel steht über den Staaten nur noch der Weltgeist,
der sich durch den dialektischen Kampf der Volksgeister hindurch entwickelt.
Die gesamte Weltgeschichte wird als Prozeß der Selbstbewußtwerdung des Weltgeistes
aufgefaßt und zugleich damit als „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“.

 

Hegels Freiheit besteht aber darin, daß der Mensch seine Wesensidentität mit dem Absoluten erkennt und sich mit den letztlich auch vom Absoluten geschaffenen Gebilden des objektiven Geistes und ihrem Wollen - Staat und Recht - identifiziert. Kein deutscher Denker, selbst Kant nicht, hat so nachhaltig auch auf fremde Nationen gewirkt wie Hegel. So wie Alexander von Humboldt (1769-1859) als „wissenschaftlicher Entdecker Amerikas“ gilt, so gilt Hegel als der „universalierende Weltgeist der Weltgeschichte“. Sein bekanntestes und genialstes erstes größeres Werk, die „Phänomenologie des Geistes“, ging um die ganze Welt. Der Hegelianismus (Gegenteil: Aristotelismus?), der sich in eine Rechte (theistische), eine Mitte (Gans, Michelet u.a.) und eine radikale Linke aufspaltete, also Althegelianer (Gegenteil: 1. Aristoteliker?) und Junghegelianer (Gegenteil: 2. Aristoteliker?) und damit die folgenreichsten Hegel-Nachfolger - auch Marx und Engels waren Hegelianer - hervorbrachte, verbreitete sich weltweit und mündete in den Neu-Hegelianismus (Gegenteil: Aristarchos' Neu-Aristotelismus ?). Könnte es deshalb in Zukunft nicht auch einen Hegelianischen Soziologismus (Gegenteil: Aristotelische Stoa?) geben?  Auch der Kantianismus (Gegenteil: Platonismus), der Altkantianer (Gegenteil: Alte Akademie?), Neu-Kantianer (Gegenteil: Mittlere Akademie?) und Neu-Neu-Kantianer (Gegenteil: Neuere Akademie?) hervorbrachte, könnte in Zukunft weitere Kantianismen entwickeln und auch Mittlerer Kant(?)ismus (Gegenteil: Mittlerer Platonismus?) und Neuerer Kant(?)ismus heißen, wobei letzterer dann tatsächlich ein Neukantianismus (Gegenteil: Neuplatonismus?) wäre. Überhaupt entwickelte sich ja der gesamte Idealismus über bestimmte Neoismen zum Neu-Idealismus (vgl. 20-22) und über weitere neue Ismen (Neo-Neoismen) zum Neu-Neu-Idealismus. (Vgl. 22-24). Die über die eigene Kultur hinausreichende Wirkung, die Platon und Aristoteles erreichten, könnte auf abendländische Weise auch für Kant und Hegel gelten. Eine Wirkung bis ins Unendliche ? ().

Idealismus
IDEALISMUS

Kantianismus
Altkantianer

Hegelianismus
Althegelianer (Rechte)
Hegelsches Zentrum (Mitte)
Junghegelianer (Linke
)

Neu-Idealismus
Neu-Idealismus
Neu-Idealismus

Neu-Kantianer
(Lange, Mach, Cohen u.a.)
(Kant-Gesellschaft)

Neu-Hegelianer
(Dilthey, Fischer u.a.)
(Hegel-Bund)
(Hegel-Gesellschaft)

Neu-Neu-Idealsimus
Neu-Neu-Idealismus
Neu-Neu-Idealsimus

Neu-Neu-Kantianer



„Nach Hegel heißt philosophisch denken
die Ernte des Seienden nach Hause bringen; ...
der Wein der Wahrheit wird aus Spätlesen gewonnen.
Hegels typische Zeiten sind darum Herbst und Abend;
seine bevorzugte Denkfigur ist der Schluß,
seine innerste Farbe das nachtnahe Grau. ...
Bedeutet das Werden eine Schule,
muß diese doch zu einem Abschluß führen;
ist es Prozeß, so kann in ihm
der Moment des Urteils nicht ausbleiben.
In diesem Sinne ist Hegel der Denker der Reife ...
Hegel hätte, im Traum wie in Wirklichkeit,
Napoleon gegenübertreten können mit dem Satz:
Ich bin der Gedanke zu deiner Tat.
...
Durchbruch zum vollbrachten Verfassungsstaat.“
(Peter Sloterdijk; Verbindung zu Sloterdijk?)


Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) war theologischer Mitstudent von Hegel und Hölderlin, schloß sich der Philosophie von Kant und Fichte an, erweiterte sie naturphilosophisch und gelangte schließlich zu einer Philosophie der Offenbarung. Mit Fichte und Hegel zusammen gilt Schelling als Hauptvertreter des Deutschen Idealismus bzw. des Übergangs zur Romantik. Wegen seiner steten Wandlung wurde Schelling auch der „Proteus der Philosophie“ genannt. Nach Schelling ist das Absolute (Ideal-Real-Identität) direkt erfaßbar durch die intellektuelle Anschauung und in der Kunst, die gleichberechtigt neben, grundsätzlich sogar über der Philosophie steht und alles Trennende vereinigt. In den Gegenständen der empirischen Wirklichkeit ist je nach der Stufe die Natur oder der Geist stärker vertreten. Infolgedessen bildet das Reich der Natur wie das Reich des Geistes (die Geschichte) eine (Entwicklungs-) Reihe, deren einzelne Stufen Schelling als „Potenzen“ bezeichnete. Verwandt sind diese Potenzen nur durch ihren gemeinschaftlichen Urgrund, das Absolute; insofern entsteht nicht eine Stufe aus der anderen, sondern das Absolute läßt sie direkt aus sich hervorgehen, um so zu seiner völligen Entfaltung zu gelangen. (Identitätsphilosophie). Die Entwicklungslehre Schellings ist idealistisch wie diejenige Hegels. Seit 1807 wandte sich Schelling dem Problem der Freiheit des Menschen und seines in seinem Willen begründeten Verhältnisses zu Gott zu. Anschließend entwickelte Schelling in seiner Metaphysik der Religionsgeschichte Grundlagen zur späteren Religionswissenschaft. Das letzte Stadium seiner Philosophie ist besonders tiefsinnig, aber schwer zugänglich - vielleicht ein Versuch, die Neumystik wieder zum Leben zu erwecken (?!).

Zum Anfang der Waage Wenn wir also Parallelen zwischen Platon und Hegel (oder Goethe) einerseits und zwischen Aristoteles und Kant andererseits feststellen, dann können wir auch welche zwischen den antiken und abendländischen Richtungen annehmen, die auf die Klassiker folgten, auf sie reagierten. Für die Antike (rot gefärbt) und für das Abendland, insbesondere für Deutschland, das hier absolut führend war, sind das:
Musik und andere Kunst sind hier aus
Platzgründen nicht berücksichtigt
(Vgl. 16-18)   - 390/380) Demokrit (Atomismus) erklärt alles Geschehen
aus dem Atomaufbau (Atomismus-Lehre)
(Vgl. 16-18)    Einzelgänger-Philosophen (u.a. Hippokrates)
(Vgl. 16-18)   -390/370) Späte Sophisten (Gorgias, Hippias)
(Vgl. 16-18)   -390/350) Späte Pythagoräer (Archytas von Tarent)
bis 1760/78) Rousseauismus (Alter Rousseau und Anhänger). (Vgl. 16-18) -390/350) Sokratiker (Xenophon)
1760/80) Rousseau-pietist. bew. Sturm & Drang. (Vgl. 16-18)     -390/350) Kyniker (Antisthenes, Diogenes)
             (Herder, jungerGoethe, junger Schiller). (Vgl. 16-18)  -390/350) Kyrenäiker (Hedon.: Aristippos)
             
Sensualismus (Condillac) und Früh-Positivismus (Hume, d' Alembert)
-387) GallierKatastrophe: Kelten unter Brennus, zerstören Rom
1761) Musik: Joseph Haydn wird Kapellmeister in Eisenstadt
1762) Philosophie: Contrat social (Gesellschaftsvertrag; Rousseau)
          Musik: Der 6jährige Wolfgang Amadeus Mozart spielt auf einer
          Konzertreise vor der Kaiserin Maria Theresia
         Archäologie, neuere Kunstwissenschaft und Wegbereitung des Klassizismus (Winckelmann))

1763) Ende des 3. Schlesischen Krieges und des Britisch-Französischen Kolonialkrieges
           
Friede zu Hubertusburg (Preußen gewinnt gegenüber Österreich und Sachsen)
           Friede zu Paris (England gewinnt gegenüber Frankreich und Spanien)
1764) Musik: Der 8jährige Wolfgang Amadeus Mozart schreibt seine 1. Symphonie

           Ende der Aufklärung bis Kritizismus (wolffscher bis kritischer Kant)
-385) Gründung der Akademie (Platon)
1764/65) Spinnmaschine (Hargreaves) / Wattsche Dampfmaschine (Watt)
              Beginn der Industriellen Revolution in England
1765) Bergakademie Freiberg - älteste Technische Universität der Welt
1765) Deutsche Siedler gründen in Rußland die Wolga-Kolonie
1766) Lothringen kommt durch Erbfall an Frankreich
1766) Entdeckung: Wasserstoff (Cavendish)
1767) Spanien weist alle Jesuiten wegen Hochverrats aus
1766) Entdeckung: Wasserstoff (Cavendish)
1768) Frankreich kauft von Genua die Insel Korsika:
           Napoleon wird dadurch als Franzose geboren (*15.08.1769)
           Physiokratische Volkswirtschaftslehre (Turgot und Quesnay)
1770) Philosophie: Immanuel Kant wird als Professor an die Universität Königsberg berufen
           James Cook nimmt für England Australien in Besitz
           Entdeckung: Sauerstoff (Carl Wilhelm Scheele)
-379) Platon lehrt in seinem Phaidon die Unsterblichkeit der
Seele und die Kugelgestalt der Erde
1772) Entdeckung: Stickstoff (Rutherford)
           1. Teilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Rußland
           (2. Teilung Polens zwischen Preußen und Rußland, 1793,
            3. Teilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Rußland, 1795)
           Dichterbund (Hainbund) in Göttingen
           1. ausgebaute Alpenstraße: die Brennerstraße
1772-1775) Auf seiner 2. Reise beweist J. Cook die Nichtexistenz der Terra australis und überquert
1773) Teaparty of Boston: Kolonisten in Nordamerika verlangen Vertretung im englischen Parlament
1773/1774) zweimal den südlichen Polarkreis: Entdeckung der Antarktis
-377) 2. Attischer Seebund (Kampfinstrument Athens gegen Sparta)
1775) Nordamerikanischer Unabhängigkeitskrieg (bis 1783)
           Beginn der Weimarer Zeit für Goethe (frühe Weimarer Klassik)
um -375) Athen beherbergt 10mal soviel Sklaven wie Bürger (Vergleich)
1776)Unabhängikeitserklärung der 13 nordamerikanischen Kolonien Englands:
           Sie proklamieren die unveräußerlichen Menschenrechte
           Liberale Nationalökonomie (Adam Smith)

1778/80) Taucherglocke (zum Bau unter Wasser) / Verbrennungstheorie (Smeaton / Lavoisier)
1780/92) Neuhumanismus (Lessing, Herder, Goethe, Schiller, W. Humboldt)
1781/83) Entdeckung: Uranus (Herschel) / Eigenbewegung des Sonnensystems (Herschel)
1781-1793) Kants kritische Entwicklung (kritische Philosophie)
                      Kritizismus (Transzendental-Idealismus, -Erkenntnistheorie: Kant)
1782) „Letzte Hexe Europas“ wird in Glarus (Schweiz) geköpft
1783/85) Heißluftballon / Mechanischer Webstuhl (Mongolfier / Cartwright)
1788) Nach Goethes Italien-Reise: Beginn der Weimarer Klassik
1789) Beginn der „französischen Revolution“
1790) Berührungselektrizität (Galvani)
1790) Morphologie (Ganzheitliche Gestaltlehre, Struktur-Idealismus: Goethe)
1792) Änesidemus, Skeptizismus-Verteidigung gegen Vernunftkritik-Anmaßung (G. E. Schulze)
1793-1804) Kants nachkritische Phase (Bindeglied zwischen Kants Kritizismus und Deutschem Idealismus)
1794) Ethik-Idealismus (Fichte)
1795) Menschenbildungs-Idealismus (Schiller)
1795/99) Individuell-ästhetischer Idealismus (Schlegel)
1799) Ästhetisch-religiöser Idealismus (Kant)
1799/1801) Absoluter Idealismus (Identitätsphilosophie: Schelling)
1799) Alexander von Humboldt beginnt mit seinen weltweiten Expeditionen und Entdeckungen (bis 1859),
           bereichert u.a. die botanische Systematik um 5000 neue Arten zu den bisher 8000 bekannten Arten,
           begründet u.a. die Pflanzengeographie (Geobotanik); er ist also der wahre, der wissenschaftliche
           
Entdecker Amerikas
um 1800) 83% der Erde (60% ihrer Landfläche) sind bekannt (vgl. 10-12, 14-16, 22-24)
um 1800) Hochklassisches Neuhochdeutsch (Höhepunkt der deutschen Sprache):
                Deutsch als Wissenschaftssprache der Welt, die Weltsprache der Wissenden.
                (Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassik-MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassik-NHD, Spät-NHD)
1800) Logischer Idealismus (Panlogismus: Hegel)                                    -335) Peripatetiker (Aristoteles)
-325) Pytheas (aus Massilia), griechischer Seefahrer und Geograph,
befährt die Nordsee (1. Nachricht über Germanen)
1800) Nicht-euklidische Geometrie (Gauß)
um -315) Euklidische Geometrie (Euklid)
1800) Papiermaschine (Robert)
1800) 1. Dampflokomotive (Trewithick)
1802) Erste erfolgreiche Keilschrift-Entzifferung: Georg Friedrich Grotefend
1800/04/07) Drehbank / Netzstrickmaschine / Dampfschiff (Maudsley / Jayquard / Fulton)
1804) Weltbevölkerung (**|**|**): 1 000 000 000
1806) Franz II. legt die Kaiserkrone nieder (06.08.): Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
1807) Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein führt als Minister liberale Formen durch
1807/11) Neue Nomenklatur und Symbole in der Chemie (Berzelius)
1808) Vergleichende Sprachwissenschaft (Wegbereiter: Schlegel, Begr.: Bopp, Gebr. Grimm)
um 1810) Vitalismus (u.a. Louis Dumas)
1812) Germanische Altertumswissenschaft, Germanische Sprachwissenschaft, Deutsche Philologie (Grimm)
ab 1812) Begründung der „Vergleichenden Sprachwissenschaft“: Franz Bopp
                (Beweis für die Verwandtschaft indogermanischer Sprachen); Hauptwerk: „Vergleichende
                Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und
                Deutschen“
(6 Bände, 1816 bzw. 1833-55).
1812) Schnelldruckpresse (König, Bauer)
1813) 16. Oktober: Völkerschlacht bei Leipzig (Niederlage Napoleons)
1814) 31. März: Einzug der Verbündeten in Paris und Absetzung Napoleons
1814) Spektroskop (Fraunhofer)
1814) Fraunhofer-Linien, Absorptions- und Emissionslinien im Sonnenspektrum (Fraunhofer)
1814/15) Wiener Kongreß (Beginn der „Restauration“), Deutscher Bund
1815) Der dem schon so gut wie besiegten englischen Feldmarschall Wellington zur Hilfe kommende
          Generalfeldmarschall Blücher besiegt Napoleon am 18. Juni bei Waterloo
1815) Polarisation des Lichts / Wellentheorie des Lichts (Malus / Fresnell)
1818) Atom-Gewichte (Berzelius)
1819) Lebensphilosophie (Willensmetaphysik: Schopenhauer)                          um -315) Skeptiker (Pyrrhon)
          Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde (Karl v. u. z. Stein)
          „Deutsche Grammatik“ (Ablautgesetze: Deutsch, Germanisch, Indogermanisch): J. Grimm
1822) Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen: Jean-François Champollion
1824) Realismus-Philosophie (Psychologie: Herbart)
1827) Ohmsches Gesetz (Ohm)
1827) Eizelle (Karl Ernst von Baer)
1827) Schiffsschraube (Ressel)
1828) Organische Chemie (Organische Substanzen auch ohne Lebenskraft: Wöhler, Liebig)
1828) Positivismus (Atheismus: Feuerbach; Comte, St. Mill). Vgl. auch (16-18)
1829) Expedition ins asiatische Rußland (A. von Humboldt). Eines der wichtigsten Resultate:
          Globales Netz magnetischer Beobachtungsstationen (Zusammenarbeit: A. von Humboldt und Gauß)
1830) Darstellung des gesamten Wissens über die Erde (A. von Humboldt)
1830) Erste (brauchbare) Nähmaschine (Madersperger)
1831/33) Elektrisches Induktionsgesetz, Elektrolyse (Faraday)
1833) Elektromagnetischer Telegraf (Gauß und Weber)
1833) Periodische Eifurchung (Bischoff)
1834) Elektromotor (Jacobi)
1836) Amerikanischer Transzendentalismus als Neu-Idealismus (Emerson)
1837) Telegraph (Morse)
1838) Photographie (mit lichtempfindlichen Silbersalzen; Daguerre)
1838) Hallische Jahrbücher von Ruge und Echtermeyer (Hegelianer)
1839) Energetik (Energetismus), Gesetz von der Erhaltung der Energie:
          1. Hauptsatz der Wärmelehre (Thermodynamik) / (J. Robert Mayer / Helmholtz)
1839-1841) A. von Humboldt und Gauß fördern Erforschung der Antarktis (d'Ueville, Wilkes, Ross)
1840) Mineraldünger (Liebig)
1841/42) Samenfäden / Periodische Eireifung (Kölliker / Bischoff)
1842) Doppler-Effekt, Veränderung von Frequenz und Länge einer Lichtwelle oder Schallwelle (Doppler)
1843) Absoluter Existenz-Subjektivismus (Kierkegaard)
1845) Radikal-Individualismus bzw. Anarchismus (Stirner)
1845) Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung (1. Ausgabe) von A. von Humboldt
1845/46) Anarchismus (Proudhon)
1846) Entdeckung des Neptun (Galle)
1846/48) Äther-Narkose / Blinddarm-Operation (Morton / Haucook)
1847) Algebraische Logik (Boole)
1847) Guttapercha-Isolierung für Kabel (Werner Siemens)
1847/54) „Geschichte der deutschen Sprache“ / Germanisch-deutsches Wörterbuch (Gebr. Grimm)
1848) Kommunismus/Marxismus (Marx, Engels)
1850) 2. Hauptsatz der Wärmelehre (Thermodynamik), Entropie (Rudolf Clausius)
1851/54) Soziologie (Comte)                                                                               um -300) Stoiker (Zenon der Stoiker)
1852) Zellteilung (Remak)
1853/55) Rassen-Ideologie (Gobineau)
1854) 1. elektrische Glühlampe - mit Batterie-Stromzufuhr (Heinrich Goebel)
1854) Vierdimensionales Kontinuum von Raum und Zeit (Riemann)
1855) Bunsenbrenner (Robert Wilhelm Bunsen)
1855) Sinnespsychologie (Helmholtz)
1855) Materialismus (Materialismus-Bibel „Kraft und Stoff“: Büchner). Vgl. auch (16-18)
1855/64) Vereinigung Mechanik-Theorie mit Idealismus (Lotze)
1856) Erdöl-Bohrungen in der Lüneburger Heide: Beginn der systematische Erschließung von Erdöl
1856) Regenerativ-Flammofen (Friedrich Siemens)
1857) 4. Januar („Schwarzer Sonntag“): Beginn der 1. „Weltwirtschaftskrise
1857) Erstes Tiefseekabel (Werner Siemens)
1859) Spektral-Analyse (Kirchhoff / Bunsen) / Kirchhoff'sches Gesetz, - Strahlungsgesetz (Kirchhoff)
1859) 1. Juli: Erste erfolgreich niedergebrachte Erdölbohrung weltweit in Wietze bei Hannover
1859) Darwinismus (Entstehung der Arten: Darwin)
1859) Historischer Materialismus (Marx)
1860) Vereinigung Mechanik-Theorie mit Idealismus (Lotze)
1860) Psychophysik (Fechner)                                                                                       um -300) Epikuräer (Epikur)
1860) Kindbettfieber (Semmelweis)
1861) 1. Telefon bzw. Fernsprecher (Reis)                            -287) Gründung der Bibliothek in Alexandria
1861-64) Vollendete Theorie des Elektromagnetismus (Maxwell und Boltzmann)
1861-96) Evolutionismus (Spencer)                            -287) Neu-Peripatos (Jüngere Aristoteliker: Straton)
1862) Viertakt-Motor, auch „Ottomotor“ genannt (N. Otto) / Tuberkelbazillus (Robert Koch)
1863) Ferdinand Lassalle gründet in Leipzig den ADAV (1869: SDAP, 1875: SAP, 1890: SPD)
1864) 1. Internationale (internationale Arbeiterassozisation) aus 13 europäischen Ländern und USA
1864 bis 1873) Moderne Zukunftsromane. Beginn der Science-fiction (Reise zum Mittelpunkt der Erde,
                        Von der Erde zum Mond, Reise zum Mond, In 80 Tagen um die Welt: Jules Verne)
1865) Vererbungslehre (Mendelsche Gesetze: Mendel) / Milieutheorie (Taine)
1865/66) Keimplasmatheorie (Erbsubstanz in Form von Determinanten im Keimplasma; Weismann)
1866/67) Torpedo (Whitehead) / Dynamit, Eisenbeton (Nobel, Monier)
1866) Dynamo-Maschine (Werner Siemens)
1868) „Schliemannsche“ Archäologie-Methode: Troja wird entdeckt (Heinrich Schliemann)
1869) Periodensystem der Elemente (J. L. Meyer, D. Mendelejew) / Lichtdruck (Albert)
1869) DNS (DNA): Desoxyribonukleinsäure (Miescher, Hoppe-Seyler)
1869) A. Bebel und W. Liebknecht günden in Eisenach die SDAP (1863-69: ADAV, 1875: SAP, 1890: SPD)
1869-1870) (08.12.1869-20.10.1870) Konzil (20) von Rom (Vatikan I) :
                  Definition des Primats und der Unfehlbarkeit des Papstes
- (!) Vor 306 Jahren endete das letzte Ökumenische Konzil (!) - (Vgl. 12-14)
seit -270 ) Neu-Akademie: 2. oder Mittlere Akademie (akademische Skepsis); Arkesilaos
1870) Neu-Kantianismus (Mach, Riehl, Helmholtz; Marburger Schule: Cohen, Nartorp; Rickert, u.a.)
1870/71) Deutsch-Französischer Krieg (Frankreich kapituliert im Januar 1871): 2. Deutsches Reich
1871) Versailler (Vor-) Friede (26.02.) und Frankfurter Friede (10.05.)
1873) Ammoniak-Kältemaschine (Carl von Linde)
1875) Befruchtung durch Verschmelzung von Ei- und Samenzelle (Hertwig)
1875) Die SDAP, die aus dem ADAV (1863-69) hervorging, heißt jetzt SAP (1890: SPD)
1876) 1. Nachweis eines lebenden Mikroorganismus als Erreger einer Infektionskrankheit (Robert Koch)
1876/77) 2. Version des Telefons / Sprech-Maschine (Bell, Gray / Edison)
1877) 1. Kontaktlinse (Adolf Fick)
1878) Elektrischer Schmelzofen, Elektrometallurgie (Werner Siemens)
1878) Berliner Kongreß (Bismarck schlichtet den „Balkan-Konflikt“)
1879) 1. brauchbare elektrische Glühlampe (Edison)
1879) 1. Elektrolokomotive (Werner Siemens)
1879) Panpsychismus (Fechner)
1879) Logistik, moderne mathematische Logik und moderne philosophische Logik (Gottlob Frege)
1879/80) Kulturkritik der Zeit und Charakterologie deutschen Wesens (Bötticher)
1880) Elektrischer Aufzug (Werner Siemens)
1883-86) Neue Variante der Lebensphilosophie (Nietzsche)
1883) Mengentheorie (Georg Cantor) / Gruppentheorie (Dedekind, Klein)
1884) Dem Deutschen Volke: Berliner Reichstagsgebäude (Paul Wallot)
1884) Nahtlose Rohre per Mannesmann-Verfahren: Schrägwalzung, Pilgerschrittwalzung (Mannesmann)
1884/85) Benzin-Motor / Motor-Kraftwagen (Daimler,Maybach / Daimler, Benz)
1885) Goethe-Gesellschaft (Weimar): Jahrbücher und internationale Tagungen
1886) Elektromagnetische Wellen (Beweis des Elektromagnetismus: Hertz)
1889) 2. Internationale: 1. Mai '90 als Kampftag der Arbeit; Ausschluß der anarchistischen Arbeiterbewegung
1889) Französische Lebensphilosophie (Bergson)
1890) Antikörper gegen Infektionserreger, Begr. der Serumheilkunde / Immunitätslehre (E. A. Behring)
1890) Die SAP, die aus dem ADAV (1863-69) und der SDAP (1869-75) hervorging, heißt jetzt SPD
1890) Neu-Hegelianismus (Dilthey, Fischer, Croce, Wigersma, Glockner, Hearing, Bosanquet, Litt u.a.)
1890) Anfänge der Gestaltpsychologie (von Ehrenfels) / Reduktionsteilung (Samenzellen: Hertwig)
1891) 1. erfolgreicher Gleitflug (Otto Lilienthal)
1892) Gründung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands (Dachverband)
1893) Photozelle (J. Elster, H. Geitel)
1893) 1. intensive Erforschung der Arktis (Nansen)
1894) Geisteswissenschaft und Verstehensmethodik (Dilthey)
1895) Kinematograph (Lumière)
1895) Herstellung von flüssiger Luft, Linde-Verfahren (Carl von Linde)
1895) Röntgen-Strahlen (Wilhelm Conrad Röntgen)
1896) Elektronen-Theorie / Uran-Strahlen (Lorentz / Becquerel)
1897) Diesel-Motor (Diesel)
1897) Vorläufer der Kant-Gesellschaft: Kant-Studien (- Kreis)
1898) Überfall der USA auf Kuba: Beginn des USA-Spanien-Krieges
1899) Monismus (Biologische Philosophie: Haeckel)
1900) Lenkbares Starr-Luftschiff (Zeppelin)
1900) Plancksches Strahlungsgesez Quantentheorie (Planck)
-272) Heliozentrisches Weltbild (Aristarch)
1900) Psychonalytische Traumdeutung (Freud)
1900) Neu-Phänomenologismus (Phänomenologie: Husserl) - zur Überwindung des Psychologismus
um 1900) Braunsche Röhre (Karl Ferdinand Braun) / Atommodell, Dynamidentheorie (P. Lenard)
1901) Herstellung von flüssigem Sauerstoff und Stickstoff (Carl von Linde)
1901) Bild-Telegraphie (A. Korn)
1901) 14. August: 1. Motor-Flug (Gustav Weißkopf)
1901-1903) 1. deutsche Expedition mit dem Polarschiff Gauß in die Antarktis (Erich Drygalski)
1902) Bosch-Zünder (Hochspannung-Magnetzündung) für Kraftfahrzeuge (R. Bosch)
1902) Konventionalismus (Poincaré, Dingler)
1903) Radioaktivität (Zerfallsgesetz: Rutherford)     -260) Archimedisches Prinzip: Hydrostatik (Archimedes)
1903) Seismometrie, Seismograph (Wiechert)
1903) Neu-Realismus (Moore u.a.)
1903) Motor-Flug (Karl Jatho am 18. August; Gebr. Wright am 17. Dezember)
1904) Chromosomen (Theodor Boveri)
1904) In Deutschland wird das weltweit erste Radargerät gebaut (Christian Hülsmeyer)
1904) Kant-Gesellschaft (Vaihinger) anläßlich Kants 100. Todestages (Zeitschrift: Kant-Studien)
1905) Spezielle Relativitätstheorie (Einstein)                      -260) Spezifisches Gewicht der Körper (Archimedes)
1905-1910/13) Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Ammoniak (Theorie: F. Haber, Praxis: C. Bosch)
1907) Pragmatismus (James / Dewey)
1908) Ehrlich-Seitenkettentheorie (Ehrlich)
1909) Neu-Vitalismus (Driesch)
-3. Jh.) Nerven, Gehirn, Nervensystem, Blutkreislauf (Herophilos, Erasistratos)
1900/20) Völkerpsychologie (Wundt) / Charakterkunde (Klages)
1910) Blutgruppen (Moß) / Salvarsan zur Syphilisbehandlung, moderne Chemotherapie (Ehrlich)
1911) Schopenhauer-Gesellschaft (international): Begr. Deussen, Gwinner, Kohler; Jahrbücher
1911) Atom-Modell (Rutherford, Bohr)
1911) Mathematische Logik (Frege, Russel, Whitehead)      -260/240) Antike Integralrechnung (Archimedes)
1911) Fiktionalismus (Vaihinger) / Vitamin B1-Wirkstoff gegen Beri-Beri (Funk)
1912) Theorie der Plattentektonik bzw. Kontinentalverschiebung (A. Wegener)
1912) Humangenetik (Lenz)
1912/23) Denkpsychologie (Würzburger Schule, Külpe)
1913) Goetheanum (Gesellschaft für Anthroposohie): Freie Hochschule für Geisteswissenschaft (Steiner)
1913) Röhrensender (A. Meißner) / Echolot (A. Behm) / Stark-Effekt (J. Stark)
1913) Ausdruckswissenschaft (Klages)
1913) Geisteswissenschaftliche Psychologie (Spranger)
1914) Graphologie (Klages) / Begründung der Verhaltensforschung (Watson)


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Zum Anfang der Waage In der obigen Übersicht fehlen einige Einzelwissenschaftler, insbesondere die antiken, die häufig auch Aristoteles-Anhänger waren wie der Botaniker und Charakerologe Theophrast (372-287), der Musiktheoretiker Aristoxenos (um -350) und der Historiker und Politiker Dikaiarchos (um -320), um einige Beispiele zu nennen. Sie gehörten dem älteren Peripatos (Peripatetiker seit -335; siehe oben) an, der für diese Phase sehr entscheidend werden sollte. Der Philosophie-Einzelgänger Demokrit (460-371), erklärte um 372 v. Chr. alles Geschehen aus dem Atomaufbau der Materie. Das ist typisch antik. Aus der Übersicht wird aber auch ersichtlich, daß die Akademie Platons, wenn man von einer Totalanalogie ausgehen wollte, den gesamten abendländischen Idealismus umfaßt. Die Platon-Anhänger laufen unter der Bezeichnung alte (348-270) und mittlere Akademie (270-241), während die neue Akademie und auch die Fortsetzung der mittleren Akademie bereits in spätere Zeiten bzw. Phasen fällt. (20-22) und (22-24). Die neue Akademie wird dann mittlerer Platonismus, der dritte und folgenreichste Platonismus Neuplatonismus genannt werden. Platons Neffe Speusippos (405-334) war auch Platons Nachfolger, also Leiter der Akademie (348/347-339/338). Er entwarf, unabhängig von Aristoteles, eine eigene Systematik der Pflanzen und Tiere. Xenokrates (396-314), seit 339/338 Vorsteher der Akademie, begründete die Dreiteilung der Philosophie in Dialektik (Logik), Physik (Naturphilosophie) und Ethik. Über diesen Dreien throntedie höchste Gottheit, zugleich als Zeus und als Nous (Geist). Arkesilaos (315-241) war von 270 bis 241 Scholarch der zweiten (mittleren) Akademie, der der Schule durch Einführung der Urteilsenthaltung (epoch) eine skeptische Richtung gab. Er meinte, daß nur Wahrscheinlichkeit erreichbar sei und diese zum Leben genüge. In der Zeit von 287 bis 270 war der Physiker Straton (um 340-270) Vorsteher der peripatetischen Schule, der zweiten, die auch jüngerer Peripatos heißt. Er bildete Aristoteles' Weltanschauung zu einem naturalistischen Pantheismus um - antik-positivistisch. (Vgl. 20-22)


Seit Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) sich von dem Geschmackskanon des Rokoko losgelöst hatte, beherrschte ein starkes Naturgefühl, das aus dem unmittelbaren Erleben der Natur hervorging, seine sämtlichen Dichtungen. Dieses Naturgefühl umfaßte den religiösen Charakter von Goethes Naturerlebnis (vgl. Pantheismus) sowie das ganzheitliche Erkennen in den Naturwissenschaften; es berührte auch das denkerische Ergebnis von Goethes Naturanschauung, seine Naturphilosophie. Das Problem Natur und Kunst ist spezieller Gegenstand von Goethes philosophischer Ästhetik. Bei wechselnder Kritik an den positiven Formen geoffenbarter Religionen und einer nur vorübergehenden Annäherung an den Pietismus entwickelte Goethe zum Verhältnis von Gott und Welt eine Vorstellung, die ihn das „Dasein“ und die „Göttlichkeit“  (vgl. „leitendes Wesen“, „Vollkommenheit“) als Einheit begreifen ließ. Im Zusammenhang mit der von Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) verfaßten Schrift Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811) spricht Goethe von seiner „reinen, tiefen, angeborenen und geübten Anschauungsweise, die mich Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen unverbrüchlich gelehrt hatte, so daß diese Vorstellungsart den Grund meiner ganzen Existenz machte“ (Annalen, 1811). Schon in seiner ersten Naturforscher-Zeit sah sich Goethe als Pantheisten. „Man sieht die Neigung zu einer Art von Pantheismus, indem den Welterscheinungen ein unerforschliches, unbedingtes, humoristisches, sich selbst widersprechendes Wesen zum Grunde gedacht ist, und mag als Spiel, dem es bitterer Ernst ist, gar wohl gelten.“ (Erläuterung zu dem aphoristischen Aufsatz: Die Natur, 1828). Goethe betrachtete Religion als eine den Verkehr der Menschen untereinander ordnende Macht. „Die allgemeine, die natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens; denn die Überzeugung, daß ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns faßlich zu machen, eine solche Überzeugung drängt sich einem jeden auf.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, 4. Buch, 1811-1822). Nur einmal in seinem Leben näherte sich Goethe vorübergehend dem der Amtskirche fernstehenden Pietismus, mit dessen Theologie er sich jedoch nicht befreunden konnte. Er bildete seine natürliche Religion mehr und mehr in Richtung auf einen Pantheismus hin aus, wobei ihn sein Naturgefühl und seine naturkundlichen Interessen anleiteten.

Johann Wolfgang Goethe
(1749-1832)
- 10 Entwicklungsstufen -

1) Frankfurter Zeit
(bis 1765)

Kindheit und Jugend
Frühwerke

2) Leipziger Zeit
(1765-1768)

Jura-Studium
Lyrik im Stil des Rokoko

3) Frankfurter Zeit
(1768-1770)

Pietistischer
und mystischer Einfluß

4) Straßburger Zeit
(1770-1771)

Jura-Studium
Freundschhaft mit Herder
führt zum
Sturm und Drang

5) Frankfurter Zeit
(1771-1772)

Advokat
Rezensent der kritischen Zeitschrift „Frankfurter gelehrte Anzeigen“
Hymnische Dichtung

6) Wetzlarer Zeit
(1772-1775)

Praktikant am Reichskammergericht
Weitere Lyrik im Stil des
Sturm und Drang
und Vollendung des „Urfaust

7) Weimarer Zeit
(1775-1786)

Erzieher und Minister
Werke der Reifezeit
Naturwissenschaft, Autobiographie

Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens

8) Italien-Reise
(1786-1788)

Umorientierung der früheren Elementen zum Klassischen
Vertiefungen in Dichtung, Naturwissenschaft, Ästhetik; Idee der „Urpflanze“, Spiraltendenz

9) Weimar-Klassik
(1788-1805)

Leiter des Hoftheaters Weimar. Beziehungen zur Universität Jena Freundschaft mit Schiller: Hochklassik und Morphologie bzw. Metamorphose

10) Romantik
(1805-1832)

Nach dem Tod Herders, Schillers und Wielands
Beziehungen zum Kreis der Romantik in Jena
Freundschaft mit Schelling

Was im Abendland mit dem Sturm und Drang, dem freien Gefühl gegenüber der Vernunft begann (16-18), das begann in der Antike mit Platons periagoge. Beide Bewegungen sind Umdrehungen, d.h. Revolutionen der Seele, was ich Erwachsenwerden nenne. Platons Höhlengleichnis und seine Abwendung von der immer schrecklicher werdenden griechischen Tragödie, die ihn die Akademie zu gründen veranlaßte (385 v. Chr.), ist zu vergleichen mit dem räumlichen Pendant der Deutschen Bewegung, die durch die Vergangenheit in das Innerste schaut. Fast gleichzeitig mit ihr begann die Industrialisierung; die „Industrielle Revolution“, die zuerst um 1760/1770 in England eingesetzt hatte, griff nämlich rasch auf die bedeutenden Staaten in Europa und Nordamerika über und hatte kaum vergleichbare Auswirkungen. (Vergleich). Eine dieser vielen Auswirkungen der Industrialisierung war z.B. die Bevölkerungsexplosion:

Ruhrpott und Romantik gehören doch irgendwie zusammen.

Deutsche Klassik bzw. Idealismus-Romantik und Athenische Klassik bzw. Attische Philosophie ähneln sich sehr. Dem Sturm-und-Drang bzw. der Frühromantik vergleichbar sind die frühen Kyniker, während die „transzendentalen“, „subjektiven“ und „objektiven“ Idealisten eher Platon und seinen Akademikern bzw. Aristoteles und seinen Peripatetikern ähneln, wobei die Reihenfolge jedoch ein Problem zu sein scheint, denn für die abendländische Klassik könnte nämlich gelten, daß einerseits („inhaltlich“) Hegel und Hegelianer zu Platon und Platoniker passen wie Kant und Kantianer zu Aristoteles und Aristoteliker (oder auch wie wissenschaftliche Einzelgänger des Abendlandes zu denen der Antike), daß andererseits („kulturspezifisch“) dieses Verhältnis aber genau umgekehrt sein muß, damit die zeitliche Reihenfolge zwischen beiden Kulturen doch übereinstimmt:

Vergleich Durch Platon wurde die antike Philosophie, durch Kant die abendländische Philosophie erwachsen. Vergleich
Aus dieser zivil-modernen Reife machte Aristoteles antik, Hegel abendländisch eine Spätlese (1. Herbsternte).

Die Romantik kann man auch als idealistischen Universalismus und Enzyklopädismus bezeichnen, vor allem den Jenaer Romantik-Kreis um die Brüder Schlegel. In Friedrich Schlegel (1772-1829) hat sich das Schicksal der Romantik philiosophisch am deutlichsten ausgedrückt. Der gebürtige Hannoveraner begann nach seiner Kaufmannslehre in Leipzig ein geisteswissenschaftliches Studium in Göttingen und Leipzig und war mit Schleiermacher (1768-1834) befreundet. Er arbeitete mit Fichte (1762-1814), Schelling (1775-1854), Novalis (1772-1801) und Tieck (1773-1853) zusammen. Von 1820 bis 1823 gab Schlegel die konservative Zeitschrift Concordia heraus. Als Ästhetiker, Literaturtheoretiker, Literaturhistoriker, Dichter und Kritiker war er geistiger Mittelpunkt der Frühromantik.

Friedrich Schlegel (1772-1829)
- Schicksal der Romantik -

1788-1798
Dunkles Sehnen und Suchen

1798-1808
Künstlerischer und philosophischer Gestaltungstrieb
Philosophie des allumfassenden Ich

1808-1818
Übertritt zum Katholizismus
Gehorsam und Unterwerfung der Vernunft unter die kirchlichen Wahrheiten

1818-1828
Mystisches Eigenleben
bei kirchlichem Gehorsam

Schlegel begründete mit seinen Schriften die Theorie der romantischen Dichtkunst (1825) und verstand die Romantik als progressive Universalpoesie, d.h. als Erschließung der transzendental-poetischen Struktur der Schöpfungswirklichkeit. Goethe und Schlegel lernten sich 1797 in Jena kennen und trafen sich auch später des öfteren. Goethe las Schlegels Aufsätze (z.B. Die Griechen und die Römer), seine Geschichte der Poesie und seinen Roman Lucinde; Schlegel stellte in seinen Fragmenten, vornehmlich in der Zeitschrift Athenäum veröffentlicht, die Goethesche Dichtung als musterhaft hin. Vor allem erschien ihm Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795) und nicht mehr die Tragödie als Höhepunkt der Dichtung überhaupt. Er nannte ihn neben der französischen Revolutuion und Fichtes Wissenschaftslehre eine der 3 größten Tendenzen des Zeitalters. Mit der Charakteristik des Wilhelm Meister (1798) und dem Gespräch über die Poesie (1800) setzte Schlegel den Beginn einer wissenschaftlichen Literaturgeschichtsschreibung. 1802 brachte Goethe Schlegels Tragödie Alarcos (1802) in Weimar zur Aufführung und las ohne Zustimmung Schlegels Schrift Über die Sprache und Weisheit der Inder (1808). Schlegel war der Begründer des Sanskrit-Studiums und Wegbereiter der vergleichenden Sprachwissenschaft. (Vgl. Schlegel/Grimm und ).

Zum Anfang der Waage Die abendländische Romantik kann als Versuch einer Nationalisierung des humanistisch-idealistischen Universalismus und als eine Verknüpfung des schon erwähnten Neuplatonismus mit dem Germanischen bezeichnet werden, in der eine idealistisch-pantheistische Denkweise vorherrschend ist. Sie war eine Deutsche Bewegung. Die Vertreter ihrer Entwicklungsstufen - aus Sturm und Drang, Klassik und Romantik - kennt wohl jeder. Eine Romantisierung des von der humanistischen Generation geschaffenen Werkes (10-12 und 12-14) sowie die Erfahrung des Ich und der Tiefen der menschlichen Seele ist ihr Wesenszug. In Goethe und Schelling trat der stoffgläubig-mechanistischen Naturwissenschaft des Westens eine schöpferische Naturlehre gegenüber. Auf diesen Wesensgegensätzen beruht auch die starrdogmatische Ablehnung der Newton'schen Farbenlehre durch Goethe. Im Mittelpunkt der Naturauffassung Goethes stehen die Begriffe Urphänomen, Typus, Metamorphose und Polarität. Nüchtern und realistisch dachte Goethe über die Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis: „Man suche nur nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre“. Zusammengefaßt ist dies das erste erwachsene, frühherbstliche oder frühabendliche Projekt zum Selbstverständnis und zur Feststellung der eigenen (Kultur-) Geschichte. Nicht umsonst hat die historische Methodik durch Leopold von Ranke (1795-1886) und hat die sprachwissenschaftliche Methodik durch Franz Bopp (1791-1867) und die Märchen sammelnden Gebrüder Grimm (1785-1863 und 1786-1859) gerade in dieser Zeit ganz entscheidende Impulse erhalten. Und während sich Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Verkehrstechnik, Nachrichtentechnik, Drucktechnik, Kriegstechnik und die Photographie rasant weiterentwickelten und das Licht angeknipst wurde, ging den Menschen jenes Licht noch nicht auf, welches die mit Geld und Geist gerüstete Technik benutzt, wenn sie Massenmeinungen unter Kontrolle bringen will. Und sie wollte schon damals.Analog dazu kann man für die Antike die Errungenschaften nennen, die seit der Gründung der Bibliothek in Alexandria (287 v. Chr.) zu deren Geistesblitze führten. Der Geist denkt und Gott lenkt, hatte es früher geheißen. Jetzt hieß es: der Geist denkt und das Geld lenkt. Die Menschen mußten jetzt immer mehr das denken, was die freie Meinungsäußerung ihnen vorgab. Sie ahnten, aber wußten noch nicht so recht, wer der Lenker sein sollte. Die klassisch-romantische Eisenbahn fuhr noch eingleisig.


Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) war der Philosophielehrer der Romantiker und der Verkünder des modernen Individualismus. Er leitete die Philosophie der Menschen aus ihren Handlungen ab. Nicht nur alle Personen, sondern auch alle Dinge sind „im Leben“, das „Gott“ ist, behauptete er. Bei Jacobi finden sich sowohl lebens- als auch existenzphilosophische Ansätze. (Beispiele). Großes Aufsehen erregte seine Schrift „Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Moses Mendelssohn“ (1785), in der ein Bekenntnis Lessings zum Spinozismus (Spinozismus) mitteilte, den Atheismus für eine Folge des Spinozismus wie aller Verstandesphilosophie erklärte, während die wahre Philosophie auf Gefühl und Glauben beruhe und erst anfange, wo der Spinozismus aufhöre. In diesem Sinne bezeichnete sich Jacobi als „Heiden mit dem Verstande, Christen mit dem Gemüte.“ In seiner Jugend war Jacobi mit Lessing und Goethe befreundet, von 1807 bis 1813 war er Präsident der bayrischen Akademie der Wissenschaften in München. Jacobi führte den Nihilismus als Terminus bereits 1799 in seinem „Sendschreiben an Fichte“ ein.

Ein Verteidiger des Skeptizismus war Schopenhauers Lehrer Gottlob Ernst Schulze (1761-1833), der sich selbst nach Ainesidemos (Änesidemus) benannte und den skeptizistischen Standpunkt besonders in seinem Hauptwerk Änesidemus oder ... Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßung der Vernunftkritik (1792) begründete. Schulze wandte sich in seiner Erkenntnislehre mit grundlegenden Argumenten gegen die alte Verwechslung des Wahrnehmens mit dem Vorstellen. Schopenhauers Lehrer Schulze wurde auch als Änesidemus-Schulze bekannt.

Aus der Übersicht geht klar hervor, daß, analog zu Pyrrhon (360-270) und seiner Skeptiker-Schule, ein abendländischer Skeptizist ein dem Abendland gegenüber eher pessimistisch eingestellter Lebensphilosoph wie der Willensmetaphysiker Schopenhauer (1788-1860) wäre und einer seiner Schüler, der es mit dem Pessimismus besonders ernst nimmt, beispielsweise der Existenzsubjektivist namens Kierkegaard (1813-1855). In einer abendländischen Stoa dieser erwähnten Zeit hätte man dann die zum ersten Mal von Comte (1798-1857) so bezeichnete Soziologie zu sehen. Abendländische Kyrenäiker wären dann aber die das allgemeine Wohl fördernden sensumotorischen Material-Positivisten, zu denen ich, neben Sensualismus (Condillac, 1715-1780) und Positivismus (d' Alembert, 1717-1783) - beide als eine ältere Richtung (16-18) -, auch Materialismus, Anarchismus, Sozialismus (nicht soziologisch!) und Kommunismus rechne. „Über Vergangenes soll man nicht klagen, vor Zukünftigem nicht bangen“ - das ist z.B. ein Satz, den Aristippos von Kyrene (435-355) prägte und den seine hedonistischen Schüler, die Kyrenäiker, aber auch jene abendländischen doppelt unterstrichen hätten und vielleicht auch haben, insbesondere die letzteren (jüngeren). Epikuräisch auf abendländisch wäre z.B. die Philosophie von Johann Friedrich Herbart (1776-1841); er hat die Psychologie als Wissenschaft begründet, weil er sie auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik zurück- und an die Naturwissenschaft so nah wie möglich heranführte, während Comte, der stoische Positivist, sie auf Soziologie und Biologie verteilte. Fechner (1801-1887) gehört jedoch sicherlich in die Reihe der epikuräischen Abendländer. Zwecks Naturerkenntnis und zur Glückseligkeit und zum zurückgezogenen Leben (ataraxia) von Staat und Kultur zu kommen, riet Epikur (342/341-271/270); und so hat sich auch die abendländische Psychologie entwickelt. In Übereinstimmung mit der Natur leben, das allgemeine Wohl fördern und Gentleman bleiben, lautete in etwa die Devise der Stoiker. Ihr Begründer Zenon (354-264) war zunächst Schüler der Kyniker. (Vgl. 16-18). Der heute wohl bekannteste Kyniker ist Diogenes von Sinope (412-323), obwohl nicht er, sondern Antisthenes (444-368) der Gründer der Kyniker-Schule war. (Kyniker). Antisthenes predigte Bedürfnislosigkeit (autarkie) und Charakterstärke; er forderte Rückkehr zur Einfachheit des Naturzustandes, während Diogenes den Begriff der sokratischen Selbstgenügsamkeit zur inneren Askese, die äußerste Bedürfnislosigkeizt zur Pflicht machte, jeder verfeinerten Lebensart abhold. Er erkannte die geltenden Sittengesetze nicht an und wurde zum Urbild der kynischen Schamlosigkeit, der unser Ausdruck für Zynismus geworden ist. Diogenes ließ sich gehen. Anfänglich aber zählen die ersten Sokratiker, Kyniker und Kyrenäiker noch zu der letzten Phase der Sophistik bzw. Aufklärung. (Vgl. 16-18). Abendländisch gilt das für Rousseau (1712-1778), den Sturm und Drang und die Sensualisten (um Condillac bzw. Protopositivisten um Hume). Der auf Gefühle statt Vernunft setzende Sturm und Drang war allerdings für den Übergang zur (Weimarer) Klassik, damit zu Idealismus und Romantik eine fast unentbehrliche Voraussetzung, die ansonsten Kant allein hätte meistern müssen. (Vgl. „Übersicht“ und „Schulen“).

Zum Anfang der Waage Die Schule des Skeptizismus, der sachlich auch viele Akademiker angehörten, vertrat in praktischer Hinsicht eine relativistische Ethik, die auch Pyrrhonismus genannt wird. Pyrrhon war der Ansicht, daß nichts in Wirklichkeit schön oder häßlich, gerecht oder ungerecht sei, denn an sich sei alles gleichgültig (ununterschieden), weil es ebensosehr und ebensowenig das eine wie das andere sei. Alles Nichtgleichgültige, Unterschiedliche nämlich sei willkürliche menschliche Satzung und Sitte. Die Dinge seien unserer Erkenntnis unzugänglich, darum gezieme dem Weisen Urteilsenthaltung (epoch). Als praktisch-sittliches Ideal des Weisen aber folge daraus die Unerschütterlichkeit (ataraxia). Der Skeptizismus erhebt den Zweifel zum Prinzip des Denkens, besonders den Zweifel an einer sicheren Wahrheit. Der gemäßigte Skeptizismus beschränkt sich auf die Erkenntnis der Tatsachen, während er sich gegenüber allen Hypothesen und Theorien Zurückhaltung auferlegt. Dieser antike Skeptizismus enstand als Rückschlag auf den metaphysischen Dogmatismus der vorhergehenden philosophischen Schulen. Man sieht also leicht ein, daß der Skeptizismus, wie die anderen neuen Schulen, als Reaktion auf die beiden großen von Platon und Aristoteles, einen Mittelweg darstellte, der als Ausweg gedacht war. Demzufolge müßte es im Abendland auch eine oder mehrere Alternativen zu Transzendental-Idealimus und Romantik-Idealismus gegeben haben, die sich als überlebensfähig herausstellen sollten. Tatsächlich wurde die von Arthur Schopenhauer begründete Lebensphilosophie und seine Willensmetaphysik nicht nur zur Modephilosophie des 19. Jahrhunderts, sondern auch ein Wegbereiter für Nachfolger und Nachahmer. (20-22 und 22-24). Solch einer war wohl tendenziell bereits Kierkegaard mit seinem Existenz-Subjektivismus. Noch später sollten Nietzsche und Spengler, die Existenzphilosophen Heidegger, Jaspers und Sartre, tendenziell auch Sloterdijk, um nur einige Beispiele zu nennen, dieser ersten abendländischen Lebensphilosophie, dem Skeptizismus treu bleiben. Schopenhauers „Gesellschaft“ sollte also eine Schule von langer Dauer sein, wird es wohl auch in Zukunft bleiben, denn ebenso verlief in der Antike die Weiterentwicklung des Pyrrhonismus (Pyrrhons Skeptizismus). Doch auch die Schulen der Stoa und der Epikuräer hielten sich lange, was man aus Sicht der Zukunft für die abendländischen Soziologie- und Psychologie-Schulen sicherkich auch annehmen darf. Auch nicht zu vergessen sind die Schulen aus längst vergangenen Phasen, die reanimiert worden sind. Die klassische (attische) Philosophie jedenfalls, die schon durch Sokrates berühmt, aber durch Platon und Aristoteles berühmter denn je wurde, wirkte erfolgreich, wie ihre abendländische Entsprechung, auf ihre Anhänger, auf ihre Skeptiker und auf ihre Gegner.

 

„Sokrates ist so gut der Erbe der Sophisten wie der Ahnherr
der kynischen Wanderprediger und der pyrrhonischen Skepsis.“
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 939).

„Der antike Skeptizismus ist ahistorisch: er zweifelt, indem er einfach nein sagt.
Der des Abendlandes muß, wenn er innere Notwendigkeit besitzen ... soll, durch und durch historisch sein.“
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 63f.).

„Es besteht die Möglichkeit einer dritten und letzten Stufe
westeuropäischer Philosophie: die eines physiognomischen Skeptizismus.“
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 481f. Spengler).


„Skepsis ist der Habitus, das Überzogene am Gewöhnlichen auflaufen zu lassen und
endgültige Ergebnisse stets als vorläufige hinzustellen. .... Anders als der Kritizismus,
der an Herabsetzungen interessiert bleibt, hegt die Skepsis Sympathien für
Übertreibungen aller Art, im Bewußtsein, ihnen nicht erliegen zu müssen.“
(Peter Sloterdijk, Nicht gerettet - Versuche nach Heidegger, 2001, S. 263, 273).

„In der Beängstigung und Verwirrung die plötzliche Ruhe im Gedanken an den Fötus, der man war.“
(Emile Cioran, De l'inconvénient d'être né, „Vom Nachteil geboren zu sein“, 1973, S. 20).

„In der Nachbarschaft dieser Sätze, die ausreichen würden, um Ciorans Stellung als
zweiter Patriarch des Eurobuddhismus zu festigen - der erste war Schopenhauer -,
schreibt der Autor eine Bemerkung nieder, von der es mir undenkbar erscheint,
daß sie nicht eines Tages als Axiom einer philosophischen Psychologie anerkannt würde.“
(Peter Sloterdijk, Zur Welt kommen - Zur Sprache kommen, 1988, S. 107).


Werke
Für Schopenhauer war der Tod der Musaget der Philosophie,
ein Musenanführer, Freund, Förderer, d.h. rettende Verneinung des
Willens zum Leben
, die zur Aufhebung des Individuationsprinzips führt,
also zum Übergang ins Nichtsein (Nirwana). Diese radikale Skepsis - ein
Nihilismus - ist eine Reaktion auf die Ideale bzw. auf den Idealismus. Idee
Seelenbild und Ursymbol Der faustische Nihilist flüchtet vor den (alten) Idealen bis ins Unendliche,
der apollinische Nihilist enthält sich ihnen bis zur Unerschütterlichkeit:
auch der Philosophie als das Einüben ins Sterben, wie Platon sie bestimmte.Platon
(Vgl. Schopenhauers „Nichtsein“ und Pyrrhons „epoch“ und „ataraxia“).

Notwendigkeit Alle Kulturen folgen der Notwendigkeit eines Skeptizismus (radikal: Nihilismus).
Die Richtungen des „Entgegengesetzten“ in Antike und Abendland sind jedoch
ebenfalls gegensätzlich, weil auch diese beiden Kulturen gegensätzlich sind:
Faustisch versus apollinisch und Unendlichkeitsraum versus Einzelkörper
kommen auch in der „Selbstverneinung“ deutlich zum Ausdruck. Seelenbild und Ursymbol


Schopenhauer bestand darauf, die gegenwärtige erfahrbare Welt mit einem einzigen Satz erklären zu können: Die Welt ist Wille und Vorstellung. Schopenhauer begann mit der Vorstellung und einer Negation. Kant hatte gelehrt, daß die von unseren Sinnen aufgenommene Welt nur Erscheinung ist, und daß die Erscheinung nichts aussagen kann von dem eigentlichen Seienden, dem Ding an sich; daß dies also unerkennbar bleibt. Schopenhauer gibt dies zu: die ganze Körperwelt ist ideal, d.h. unsere Wahrnehmung ist dem Denkgesetz unseres Intellekts unterworfen, ist nur innerlich dieses Gesetzes möglich. Subjekt und Objekt bedingen einander. Ohne das Subjekt kann das Objekt nicht gedacht werden. Mit dem Subjekt muß es fallen. Der Intellekt vermag nur aufzunehmen unter der Vorstellung von Zeit und Raum, und in kausalen Verbindungen, undurchbrechlichen Relationen. Zeit und Raum bedingen Nacheinander und Nebeneinander, also die Vielfalt der Erscheinungen; sie sind darum das principium individuationis, Grund des Einzelnen. Schopenhauer schrieb 1813 „Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“. Unberührt von den Stürmen dieses Befreiungsjahres schrieb er im Hotel „Ritter“ in Rudolstadt diese Abhandlung als Grundlegung seiner Erkenntniskritik, ja seiner ganzen Philosophie. Der Satz vom Grunde (principium rationis sufficientis, Satz vom zureichenden Grunde) besagt: „Nichts ist ohne Grund warum es sei“. Für alles Bestehende stellt der Satz des Grundes einen Grund fest, aus dem es rechtmäßigerweise abgeleitet oder gefolgert werden kann. In allen seinen Gestalten ist der Satz vom Grunde das alleinige Prinzip und der alleinige Träger aller und jeder Notwendigkeit. „Die Notwendigkeit kommt also nicht dem Dinge an sich zu, sondern der Vorstellung. Nur Notwendiges kann vorgestellt werden.“ Der Satz, daß nichts ist ohne zureichenden Grund seines Seins, wurzelt in folgenden 4 Bereichen: 1) den anschaulichen empirischen Vorstellungen; 2) den Begriffen, also abstrakten Vorstellungen; 3) der a priori gegebenen Anschauung von Raum und Zeit (die also für Schopenhauer nicht absolut sind); 4) im menschlichen Willen, der, innerhalb der Erscheinungswelt, streng kausal unter der Wirkung der Motive handelt. Eine jede Handlung ist die unausbleibliche Folge des Zusammentreffens eines Motivs mit einem bestimmten Willen. Der Intellekt also baut die ganze Vorstellungswelt auf. Sie ist an die Vergänglichkeit des Subjekts gebunden. Über das eigentlich Seiende, das Unveränderliche, Ungeteilte, Unbedingte, Freie sagt sie nichts. Bis dahin glaubte Schopenhauer mit Kant einig zu sein. Nun aber machte er die Entdeckung des Dinges an sich, und zwar in seinem eigenen Wollen. Ein jeder hat die Erfahrung, die Erkenntnis seines eigenen Wollens. Sie ist unmittelbare Realität, nicht Anschauung, nicht leere Form, nicht als Gesetz der Vorstellung a priori gegeben. Der Wille ist das unmittelbar Bekannte; und von ihm ausgehend - nicht umgekehrt - ist der Weg zu suchen zum mittelbar Bekannten, der in der Vorstellung erscheinenden Körperwelt. Der Wille ist der „Schlüssel zu allem Andern“, die „enge Pforte zur Wahrheit“. Die ganze vom Intellekt aufgebaute Welt ist Objektivierung des Willens in ihm. Das ist die kühne Verknotung höchst verschiedener Erfahrungen, Schopenhauers einziger Gedanke, absurd für die Einen, genial für die Anderen, vielleicht eine geniale Absurdität. Diese Verknotung ist nicht zu erklären: er verzichtet darauf. Sie ist eben der „Weltknoten“, die Tatsache, die angenommen werden muß. Nach Schopenhauer ist der Wille das Seiende, unabhängig von Raum, Zeit, Kausalität, jeglicher Relation. Er ist das Wesen des Subjekts und der Welt, in der und mit der wir sind. Der Wille hat den Intellekt als sein Instrument geschaffen, aufnehmendes, vergängliches, dem principium individuationis (als dem Grund des Einzelnen) unterworfenes Bewußtsein - während der Wille unsterblich ist und, als Absolutum, unteilbar, das unauslöschliche Feuer, in das alle Erscheinungen zurückstürzen; aus dem neue in Ewigkeit aufsteigen werden. Die Individuen sind für den Willen nichts. Innerhalb der Erscheinungswelt zerteilt er sich in sie ohne Unterlaß, opfert er sie rücksichtslos. Tod ist ja nicht Tod, ist nur eine Phase sich fortgebärenden, unersättlichen Lebens. Lebensphilosophie


Unglücklich war das Leben des Philosophen Sören Kierkegaard (1813-1855), und wohl auch deshalb darf man gerade ihn einen Existenzphilosophen nennen. Wie später Nietzsche, vermochte er es nicht, „ein Mädchen glücklich zu machen“. Das schrieb er 1841 an seine Braut Regine Olsen und löste damit die Verlobung. Kierkegaards einziger Gegenstand war sein Leben, seine Existenz. Seine Philosophie ist Autobiographie - wie bei Nietzsche auch. Kierkegaard war der Meinung, daß man auch durch eine lebenslange Beschäftigung mit Logik nicht selbst zur Logik wird, sondern man „existiert selbst in anderen Kategorien“. Kierkegaard unterschied drei Existenzweisen: die ästhetische, die ethische und die religiöse, je nachdem man nach Genuß strebe, oder unabhängig vom Äußeren nach moralischen Maßstäben lebe, oder im Glauben. - Später sollte Heidegger in seiner Existenzphilosophie solche Kategorien des Existierens „Existenzialien“ nennen und sein Denken dann bereits „Hermeneutik“ des Daseins heißen. (Existenzphilosophie). Kiergegaard schrieb, daß der Denker, der vergißt, ein Existierender zu sein, den Versuch mache, mit dem Menschsein aufzuhören und selbst zu einem Buch oder einem objektiven Etwas zu werden. Das Dasein spottet dessen, der im Begriff ist, rein objektiv werden zu wollen. Die einzige Wirklichkeit, um die ein Existierender nicht bloß weiß, ist seine eigene Wirklichkeit, daß er da ist.

Typische Züge des Skeptizismus sind das Mißtrauen gegen die Sinneswahrnehmnug, die überlieferten Denkgewohnheiten sowie gegen ethische und politische Wertvorstellungen und Vorurteile. Die völlige „Enthaltung“ (epoch) des Urteils, für die Pyrrhon sich so stark gemacht hatte, ließ natürlich nur noch aporetische Argumente zu, aber genauso ausweglos oder ratlos (aporetisch) stand man mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit da, den die mittlere, vor allem aber die neuere Akademie favorisierte. Da die Unerschütterlichkeit und Unverwirrtheit (ataraxia), die Pyrrhon als das praktisch-sittliche Ideal ansah, für die praktische Orientierung des Handelns gelten sollten, resultierte daraus, zusammen mit der theoretischen Orientierung des Denkens - der epoch - eine nur noch von den Indern zu übertreffende Gelassenheit. Während die abendländische Kultur die energischste Art einer Inhaltsdynamik ist, forderte die antike Kultur genau gegenüber dieser Art die Zurückhaltung. epoch geisterte durch alle Schriften der Antike und deshalb wahrscheinlich auch durch die gesamte Lebensart dieser statischen Kultur. Aber gerade diese Gegensätze erlauben es uns, unsere eigenen Fehler im Spiegel der Antike zu erkennen und von dieser verstorbenen Kultur zu lernen, denn ihre Geschichte ist uns ziemlich gut bekannt. Die Möglichkeit, von uns auf diese Weise zu lernen, hatte die Antike nicht. Die Analogien von Akademie und Idealismus einerseits sowie Skeptizismus und Lebensphilosophie andererseits lehren uns z.B., daß der Skeptizismus (radikal auch: der Nihilismus) in jeder zivilisierten Kultur einer Notwendigkeit folgt.

Zum Anfang der Waage Seit Ende des 18. Jahrhunderts, spätestens aber seit Beginn des 19. Jahrhunderts ist „Dekadenz“ bei den Kulturhistorikern „ein ›geschichtlicher Perspektivbegriff‹, der zur Bezeichnung eines Gesamtprozesses des sozialen oder kulturellen ›Niedergangs‹ einer Kultur dient. ... Im Unterschied zur ›optimistischen‹ Fortschrittsgeschichtsschreibung wird die Dekadenzhistorie z.T. als die ›pessimistische‹ Schule der Historiographie bezeichnet. Wo es für die einen immerzu ›vorwärts‹ und gleichzeitig ›aufwärts‹ geht, geht es für die anderen ›abwärts‹, allerdings nicht unbedingt ›rückwärts‹, im Gegenteil: der ›Niedergang‹ wird als Abfall von einem Zustand höherer Kultur interpretiert, der meist in die Vergangenheit verlegt wird. Die meisten Dekadenzhistoriker treffen sich mit den Fortschrittshistorikern in der Vorstellung eines ›gesetzmäßigen‹ und irreversiblen Ablaufs der Geschichte, den sie freilich unterschiedlich ›bewerten‹. Es ist trotzdem zweifelhaft, ob man den Begriff der Dekadenz generell als ›Gegenbegriff‹ zu ›Fortschritt‹ bezeichnen kann. Im Unterschied zum Fortschrittsparadigma wird nämlich im Dekadenzbegriff die ›Altersmetaphorik‹ nicht ›denaturalisiert‹. Auch die Dekadenztheoretiker der Nachaufklärung knüpfen bewußt an die lebensweltlichen Erfahrungen des ›Alterns‹ und der ›Vergänglichkeit‹ alles Irdischen an. Die Folge ist, daß sie das ›Ende‹ der ›Welt‹ oder einer ›Kultur‹, im Unterschied zu den klassischen Fortschrittshistorikern, nicht in eine unendliche, offene Zukunft verschieben. Das Ende bleibt endllich. Wie im Kosmos oder in der ›Natur‹ dieselben Ereignisse nach einem festen Gesetz stets in derselben ›Reihenfolge‹ ablaufen, so auch in der ›Geschichte‹. ... Da die ›komparatistischen‹ Dekadenzhistoriker die ›bessere Zeit‹ (›Goldenes Zeitalter‹, ›Zeit der Götter‹, ›Klassik‹ u.s.w.) immer in der Vergangenheit suchen, gerät aus ihrer Sicht eher ›der Fortschritt‹ in den Verdacht der Dekadenz als der ›Rückschritt‹. Bei den Zyklentheoretikern unter ihnen fällt die ›fortschrittliche‹ Entwicklung allerdings insofern mit einem ›Rückschritt‹ zusammen, als sie die einmal erreichte ›Bestform‹ hinter sich läßt; dieser ›Rückschritt‹ kann jedoch auch als ›Fortschritt‹ verstanden werden, weil er im Zyklus der Wiederkehr die Voraussetzung für einen neuen Anfang ist.“ (Robert Hepp, Der Aufstieg in die Dekadenz, in: Armin Mohler, Wirklichkeit als Tabu, 1986, S. 229-230). So schreiten also die Menschheit aus der Barbarei der ›Wilden‹ durch die an sich verschiedenen, aber miteinander vergleichbaren, weil analogen Phasen der Kultur und Zivilisation vorwärts in die „Barbarei der Reflexion“, die zugleich der Höhepunkt des „Fortschritts“ und der Tiefpunkt seiner „Dekadenz“ ist. Hier wird die ewige Wiederkehr der Barbarei zur Garantie.

„Die Vorstellung eines linearen Prozesses, der endlos in dieselbe Richtung läuft, ist selbst denjenigen Dekadenztheoretikern fremd, die die Geschichte als ›Entwicklung‹ begreifen.. Irgendwann kommt immer ein Punkt, wo die ›Entwicklung‹ abbricht oder eine Wende vollzieht. Wo die ›Dekadenz‹ als progressive Paralyse verstanden wird, steht am Ende der Tod ... Niemand dat je im Ernst die Ansicht von einer unendlichen Steigerung der Dekadenz vertreten. Im Unterschied zu den Fortschrittsphilosophen der Aufklärung setzen ihre ›Gegner‹ immer stillschweigend voraus, daß der Verfall seine Grenzen hat. Einmal ist Schluß. Was man bei den Dekadenztheoretikern der Vergangenheit vergeblich sucht, ist die Einsicht in die Partikularität und Relativität des Niedergangs. Es ist immer gleich die ganze Kultur, die ihrem Ende entgegentreibt.“ (Robert Hepp, Der Aufstieg in die Dekadenz, in: Armin Mohler, Wirklichkeit als Tabu, 1986, S. 230). In einigen Bereichen geht es während des Untergangs tatsächlich eher aufwärts, jedenfalls sehr blühend zu, weshalb dennoch (oder: gerade deswegen) die ganze Kultur untergehen kann. Deshalb gibt es für Kultur ja auch zwei Begriffe: Kultur und Zivilisation. Beide haben „Aufs“ und „Abs“. Beide sind Teil einer Gemeinsamkeit (Gemeinschaft), die - „oberbegrifflich“ - Kultur genannt wird.

Zum Anfang der Waage Was Alexander der Große und Napoleon auf politischer Seite personifiziert symbolisieren, das sind das Parallelenaxiom von Euklid und die nicht-euklidische Geometrie von Gauß auf geistiger Seite, denn sie vertreten das jeweilige Ursymbol auf zivilgeistiger Ebene. Sie repräsentieren das jeweilige erwachsene, zivile Ursymbol am ehesten, weil sie es aus der rein kulturellen in die Ebene der Zivilisation brachten und durch die Ehe mit einer anderen Kultur transferierten. Sie haben die antike begrenzte Körperlichkeit bzw. den abendländischen unbegrenzten Endlosraum der geistigen Nachwelt erst verdeutlicht, Euklid auf typisch antik-populäre Weise, Gauß auf typisch abendländisch-esoterische Weise, denn er veröffentlichte seine nicht-euklidischen Erkenntnisse nicht; seine Ergebnisse waren offenbar für ihn selbst bestimmt. Er hat dreißig Jahre lang seine Entdeckung der nicht-euklidischen Geometrie verschwiegen, weil er das Geschrei der Böoter fürchtete (Gauß). Die Antike nannte sich schließlich seit ihrer Ehe mit dem Osten hellenistisch, das Abendland seit seiner europäisch. Neben der politischen gab es also auch eine geistige Heirat - durch Euklid mit antik-hellenistischem Geist um 312 v. Chr. und mit Gauß und abendländisch-europäischem Geist um 1800. Vielleicht ist ein geistiger Napoleonismus (Alexandrinismus) immer auch die ideale, idealistisch-romantische Version einer Heirat mit gutem Geschmack.

Wenn ein etwa 30jähriger Mensch beginnt, sich über sein bis dahin verlaufenes Leben kritisch Rechenschaft abzulegen und ungeliebte Gewohnheiten eventuell abzuändern oder in die Lebensleitlinien positiv einzugliedern, dann ist das so, als wenn sich eine Kultur über die Vergangenheit eine im erwachsenen Sinne verstandene Rechenschaft abzulegen beginnt. Es ist wie eine durch die herabfallenden herbstlichen Blätter auftretende Erinnerung an den Frühling, als diese Blätter sich herausbildeten, oder an den Sommer, als sie mit jener oft als Normalfall angesehen grünen Blattfarbe die ersten Hitze-Proben zu bestehen hatten. Warum nur mußte dieses oder jenes gerade auf diese oder jene Art passieren?  könnte die historische Generalfrage nicht nur der einzelnen Erwachsenen, sondern auch der erwachsenen Kulturen lauten. Aus diesem Grunde gab es in dieser Phase eine sehr intensive Auseinandersetzung der Nationen mit der eigenen Geschichte. Der abendländische Nationalismus war wie der antike Hellenismus auch ein Versuch, sich und der gesamten dazugehörigen Kultur mittels einer Rückbesinnung eine zivilisierte Identität zu geben und eine Eigenbilanz zu erstellen, die nicht von der eigenen Kultur wegführen sollte, wie es die Renaissance versucht hatte, sondern zu ihr hin. Deshalb mußten solche Entwicklungsvertreter stark historisierend vorgehen. Sie leiteten und läuteten damit den Historismus ein. Um 1800 entstand eine Historische Schule, die zunächst eher als Kritik an der Rechtswissenschaft durch sie selbst zu verstehen war und die Lehrmeinung vertrat, das Recht könne nicht nur aus allgemein gültigen abstrakten Prinzipien (Naturrecht) deduziert werden, sondern entstehe als Produkt des kollektiven Unbewußten in einem historischen Prozeß (Volksgeist) und könne daher nur historisch verstanden werden. Einer der Wegbereiter dieser Schule war Johann Gottfried Herder (1744-1803), ihr Begründer jedoch Friedrich Karl von Savigny (1779-1861). Wilhelm von Humboldt (1767-1835), Reformator des preußischen Bildungswesen, u.a. Gründer der Berliner Universität (1811) und seit 1810 Gesandter in Wien (Teilnahme am Wiener Kongreß), meinte, die Erforschung der Geschichte ebenso wie die der Sprache sei nicht eine Sache des bloßen Intellekts, sondern habe die Mitwirkung der Gesamtheit der menschlichen Seelenkräfte zur Voraussetzung; der Historiker müsse sich in das Innere der Personen und Epochen hineinversetzen, wenn er mehr als eine zusammenhanglose Aufzählung äußerer Ereignisse bieten wolle. Humboldts sprachtheoretischen Untersuchungen dienten ihm zur Grundlegung einer philosophischen Anthropologie. Drei Grundideen beherrschten Humboldts Weltanschauung: Universalität, Individualität, Totalität (= Formung des Lebens zu einem Kunstwerk). Leopold von Ranke (1795-1886) begründete die mit hohen Objektivitätsansprüchen zu Werke gehende moderne Geschichtswissenschaft, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dem von ihm geprägten Historismus stark verpflichtet blieb. brachte die methodischen Grundsätze der Quellenforschung und -kritik im akademsichen Lehrbetrieb zu allgemeiner Geltung über Deutschland hinaus, besonders groß war der Einfluß auf Großbritannien und die USA. Eine andere Folge war die allmähliche Politisierung der Historiker. 1851 wurde z.B. Theodor Mommsen (1817-1903) wegen seines Engagements für die 1848er Märzrevolution amtsenthoben. Er machte dennoch eine grandiose Karriere und saß von 1863 bis 1866 im Preußischen Abgeordnetenhaus für die Deutsche Fortschrittspartei, von 1873 bis 1879 für die Nationalliberalen und im Deutschen Reichstag als Sezessionist. (Vgl. 20-22).

 

HERBST
(ahd. herbist, engl. harvest, german. harbista, indogerman. *(s)ker „schneiden“)

Herbst

„Herbst“ hat sich etymologisch vom „Schneiden“, vom „Schnitter“ zum „Ertrag“, zur „Pflückzeit“, zur „Ernte“ entwickelt. In der Tat, bis hin zur „Ernte“ (ar(a)n; ahd. arnoti, engl. autumn). Mit Beginn dieser Jahreszeit, mit der Wendung von der Hoch- zur Spätkultur, wird der „Schnitt“ gemacht, den wir Zivilisation nennen. Der Herbst zeigt uns 3 Gesichter: der Frühherbst wird als ertragreich, mit seinen schönen Farben als romantisch, oft als Spät- und Schönsommer erlebt (Indian Summer u.s.w.), in der Herbstmitte verblassen die Farben allmählich, doch gerade gegenüber Sturm, Regen und Nebel zeigt das spätromantisch-impressionistische Braun, Gelbbraun oder Gelb seinen Liebreiz, während der Spätherbst sowohl von jenem Liebreiz als auch von der zu erwartenden, der nächsten Jahreszeit kündet. „Optimistisch“ ist man im Spätherbst, weil eine bevorstehende „Ankunft“ (Advent) bejaht wird, im Frühherbst, weil sie entweder mit „Zukunft“ verwechselt oder als „Vollendete Vergangenheit“ (Perfekt), als angekommen gilt, so daß die Gegenwart wie eine Art ewige Vergangenheits-Zukunft, wie eine Ehe (ahd. „ewa“ = ewig geltendes Gesetz, Ehe) verteidigt oder bekämpft wird, aber oft unentschieden und ungeschieden bleibt, weshalb in der „pessimistischen“ Herbstmitte durch die alles entscheidende Schlacht die Blätter, die Gefallenen, die Geschiedenen zur Mehrheit werden. Das amerikanische Wort für Herbst, „fall“, deutet auf die gefallenen Blätter ebenso wie auf das Fallen, auf die fallenden Soldaten. Blätterfall bedeutet Scheidung. In der Sturmzeit des Herbstes wird geschieden, und nur wenige bleiben davon unberührt. So arbeitet nun mal die Demokratie, mögen manche sagen. Aber leider arbeitet so das Geld. Hier handelt es sich um die Macht der Plutokratie, nicht um die Macht des Volkes ....“ (Scholl-Latour). Wenn der Herbst beginnt und die Sonne noch langsam sinkt, die frühherbstliche Ernte noch genauso ertragreich zu sein scheint wie die letzte, die im Gedächtnis verhaftete Sommerernte, dann will man noch nicht daran denken, daß dieser Erntedank-Optimismus gebremst wird durch eine Entscheidung, die aus der Not(wendigkeit) heraus fallen muß und spätestens im letzten Herbstdrittel auch als solche reflektierbar, die Bilanz sichtbar, der Herbst vollendet wird und Optimismus wieder siegt - ganz „adventisch“ (die Ankunft erwartend). Kulturhistorisch richtig verstanden ist der Herbst also durchaus ein Weg von der Täuschung bis zur Endtäuschung (Enttäuschung). Das Ende einer Täuschung wirkt reinigend und befreiend. Deshalb ist auch eine Enttäuschung eine reine Angelegenheit, eine Katharsis. Täuschung, Konflikt und Katharsis bilden wie Ehe (Napoleonismus), Krise (Kampf ums Ei), Befruchtung (Cäsarismus) eine Einheit: den „Herbst“ als schneidende Menge, als bürgerliche Schnittmenge der demokratisch getarnten, plutokratisch regierten und mediokratisch privatisierten Zivilisation. Dies alles geschieht „epochal“, nach der inneren Logik eines Zeitalters, nach der Notwendigkeit der Tiefe. Während ein Ereignis sich als jeweilige Oberfläche nach der äußeren Logik eines Zeitalters, nach dem Zufall richtet, zeigt die Epoche (vgl. Phase) periodisch wiederkehrende Natur- und Kulturphänomene an, die universal und kosmischen Ursprungs sind. Sie treten notwendigerweise auf und können als Tatsachen deutlich (gemacht) werden, wie z.B. die Erscheinungen der „Jahreszeiten“. Das Klima ist eine Tatsache, das Wetter ein Ereignis. Das Ereignis verhält sich zur Notwendigkeit wie der Zufall zum Schicksal. Zufall und Schicksal

Zum Anfang der Waage Notwendigkeit und Ereignis arbeiten zusammen und werden dadurch zur Geschichte, nämlich so, als wollten sie den Wert einer Münze bestimmen. Es gehört zum Wesen aller Kulturen, daß in jedem Stadium zunächst die gleiche Möglichkeit vorhanden ist. Die „Idee“, z.B. der Übergang von der Kultur zur Zivilisation, ist notwendig, aber ob sie in Deutschland, in Frankreich oder sonstwo entsteht und zur Tatsache wird, ist eine Frage der Ereignisse, denn die (Französische) Revolution hätte auch durch ein Ereignis anderer Gestalt und an anderer Stelle des Abendlandes vertreten werden können. Auch hätte Napoleon mit seiner Absicht, an die Stelle eines englischen ein französisches Kolonialreich zu setzen, erfolgreich sein können. Daß er es nicht wurde, hing einerseits mit den Ereignissen im Britisch-Französischen Kolonialkrieg (1754/55-1763) zusammen, andererseits wurde im Pariser Frieden (1763) zugunsten Englands eine Notwendigkeit deutlich, die sich nur mit dem intuitiven Wissen oder dem Unterbewußten, jedenfalls mit der Tiefe einer inneren Logik erklären läßt: dem Willen zur Macht, gepaart mit dem Glauben an das Schicksal. (Nietzsche). Jede Phase will und soll vollendet werden. Unter welchen Umständen hätte England oder ein anderes Land, wenn es in der englischen Lage gewesen wäre, auf sein Kolonialreich verzichten sollen?  So etwas hat es in der Geschichte noch nie gegeben, und wenn es doch einmal passieren sollte, dann wären dennoch dieselben energetischen Kräfte am Werk. Wenn Menschen über geschichtliche Phänome urteilen, finden sie nur Daten.

„Geschichte ist die Verwirklichung einer Seele.“
(Oswald Spengler, Zufall und Stil des Daseins, in: Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 188ff, bes. S. 192ff).

„Der bedeutendste Historiker seit Ranke, Eduard Meyer, sagt: »Historisch ist, was wirksam ist oder gewesen ist ... Erst durch die historische Betrachtung wird der Einzelvorgang, den sie aus der unendlichen Masse gleichzeitiger Vorgänge heraushebt, zu einem historischen Ereignis«. Das ist ganz im Geschmack und Geiste Hegels gesagt. Es kommt erstens auf die Tatsachen an und nicht auf unser zufälliges Wissen davon.“
(Oswald Spengler, Welthistorische Perspektiven, in: Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 557ff, bes. S. 611).

Der Historiker muß alt werden, da man große Veränderungen nur verstehen kann,
wenn man persönlich welche erlebt hat, urteilte Leopold von Ranke.
Er wurde sehr alt und starb 5 Tage vor Spenglers 8. Geburtstag.
Erst 29 Jahre später durfte Spengler als einen
„Meister der kunstvollen Analogie“ loben.
(Vgl. Oswald Spengler, a.a.O. S. 5).


Und die Weltgeschichte?

Die Geschichtsforscher hatten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, also bis zum Beginn dieser Phase (18-20), überwiegend Geschichtswerke hervorgebracht, die sich entweder auf die europäischen (antiken und abendländischen) und westasiatischen (magischen) Kulturvölker beschränken oder die Geschichte der übrigen Länder vom abendländischen (europäischen) Standpunkt aus behandeln. Das galt vor allem für den Standpunkt der europäischen Machtausbreitung. Diese aber wuchs ab jetzt noch viel mehr! Der Europäismus (heute sagt man: Eurozentrismus) nahm also nicht ab, sondern zu. Der Europäismus ist ein Inbegriff der abendländischen Moderne: je mehr er sich durchsetzt, desto mehr abendländische Moderne gibt es. Das Wort „Europa“ ist ein gutes Beispiel dafür. Je häufiger dieses Wort desto europäistischer (eurozentrischer) die Weltgeschichte. Spengler: „Vor allem läßt sich der Umstand nicht länger verhehlen, daß diese angebliche Geschichte der Welt sich anfangs tatsächlich auf die Region des östlichen Mittelmeeres und später, seit der Völkerwanderung (), einem nur für uns wichtigen und deshalb stark überschätzten Ereignis, das eine rein abendländische Bedeutung besitzt und schon die arabische Kultur nichts angeht, mit einem plötzlichen Wechsel des Schauplatzes auf das mittlere Westeuropa beschränkt. Hegel hatte in aller Naivität erklärt, daß er die Völker, die in sein System der Geschichte nicht paßten, ignorieren werde. Aber das war nur ein ehrliches Eingeständnis von methodischen Voraussetzungen, ohne die kein Historiker zum Ziele kam. Man kann die Disposition sämtlicher Geschichtswerke daraufhin prüfen. Es ist heute in der Tat eine Frage des wissenschaftlichen Taktes, welche der historischen Entwicklungen man ernsthaft mitzählt und welche nicht. ist ein gutes Beispiel dafür.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 30). Spenglers „Meister der kunstvollen Analogie“ zur Weltgeschichte: „Eine Sammlung der Völkergeschichten in engerem oder weiterem Rahmen würde den Zusammenhang der Dinge aus den Augen verlieren. Eben darin aber besteht die Aufgabe der welthistorischen Wissenschaft, diesen Zusammenhang zu erkennen, den Gang der großen Begebenheiten, welcher alle Völker verbindet und beherrscht, nachzuweisen (* und erst dann daraus den Begriff einer auf Einheit hin tendierende Menschheit abzuleiten). „Daß eine solche Gemeinschaft stattfindet, lehrt der Augenschein.“ (Leopold von Ranke, Vorrede zu seiner Weltgeschichte, 1881).


Und die Geschichtswissenschaft?

Diese Phase - Klassizismus und Romantik - bedeutet für das Abendland auch die Etablierung der Geschichte als „Wissenschaft“. Zur fachspezifischen Methode gehören u.a die überprüfbaren Belege („Quellen“), die „kritische Quellenanalyse“, die „verfeinerte hermeneutische Textauslegung“, das „forschende Verstehen“, die Berücksichtigung der „historischen Hilfswissenschaften“. „Damit wird zwar keine Exaktheit im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne möglich, wohl aber sind jetzt, in Verbindung mit dem unbedingten Willen zur wahrheitsgetreuen Darstellung und der ständig fortschreitenden wissenschaftlichen Diskussion - die Voraussetzungen für eine allmähliche asymptotische Annäherung an die objektive Realität gegeben, die zwar nie erreicht wird, der man im Laufe der Zeit aber immer näherkommt.“ (Ulrich March, Dauer und Wiederkehr - Historisch-politische Konstanten, 2005, S. 123). Wir wissen ja: Der abendländische Historismus begann am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. „Anfang des 19. Jahrhunderts forderten Barthold Georg Niebuhr (1776-1831) und Leopold von Ranke (1795-1886) nachprüfbare Belege für die zu schildernden Begebenheiten. Es hat sich eingebürgert, diese Belege als Quellen zu bezeichnen. Seitdem gehört zu den Grundforderungen einer seriösen Historiographie die persönliche Distanz des Historikers zu seinem Stoff.“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 41). „Damals setzt sich auch in der Geschichte das Bestreben zur sachgerechten Analyse durch, wie es für alle Wissenschaft kennzeichnend ist. Ranke wollte sein »Selbst gleichsam auslöschen« und »nur die Dinge reden lassen«. Niebuhr forderte, »daß wir auch nicht das allergeringste als gewiß schreiben, wovon wir nicht völlig überzeugt sind«, und möchte gar dereinst »vor Gottes Angesicht« sagen können: »Ich habe wissentlich und nach strenger Prüfung nichts geschrieben, was nicht wahr ist.« Man treibt Geschichte nicht im Hinblick auf außerhistorische Ziele, sondern als zweckfreie Wissenschaft; man möchte wissen, »wie es eigentlich gewesen ist« (Ranke). Die aufblühende Geschichtswissenschaft hat die Tatsache der Standortgebundenheit des Historikers zwar nicht beseitigt, aber doch deutlich entschärft. Dies gilt freilich nur unter entsprechenden Rahmenbedingungen. Wenn freier wissenschaftlicher Austausch nicht möglich ist, wenn politisch-gesellschaftliche Vorgaben den fortgesetzten Diskurs einschränken, wenn laufend politisch motivierte Paradigmenwechsel die wissenschaftlich-didaktische Entwicklung der Disziplin stören, behindern oder unmöglich machen, tritt trotz aller Verfeinerung der fachlichen Methodik sofort wieder der alte Zustand ein: Die Geschichte wird zur Magd der Politik.“ (Ulrich March, ebd., 2005, S. 123-124). March

„Geschichte wissenschaftlich behandeln wollen ist im letzten Grunde immer etwas Widerspruchsvolles. Die echte Wissenschaft reicht so weit, als die Begriffe richtig und falsch Geltung haben. Das gilt von der Mathematik, das gilt also auch von der historischen Vorwissenschaft der Sammlung, Ordnung und Sichtung des Stoffes. Der eigentlich geschichtliche Blick aber, der von hier erst ausgeht, gehört ins Reich der Bedeutungen, wo nicht richtig und falsch, sondern flach und tief die maßgebenden Worte sind. Der echte Physiker ist nicht tief, sondern »scharfsinnig«. Erst wenn er das Gebiet der Arbeitshypothesen verläßt und an die letzten Dinge streift, kann er tief sein - dann aber ist er auch schon Metaphysiker geworden. Natur soll man wissenschaftlich behandeln, über Geschichte soll man dichten. Der alte Leopold von Ranke soll einmal gesagt haben, daß der »Quentin Durward« von Scott doch eigentlich die wahre Geschichtsschreibung darstelle. So ist es auch; ein gutes Geschichtswerk hat seinen Vorzug darin, daß der Leser sein eigner Walter Scott zu sein vermag.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 129). Für alle und jede Kulturgeschichte gilt, auch nach dem Übergang der Kultur in ihre Zivilisation (zivile Kultur), daß der Zufall „wählt“, also ein zufälliges Ereignis starten läßt, und daß trotzdem das Schicksal „(zu)trifft“, ähnlich wie ein Gesetz (Gesetztes, nur ohne erkennbare Kausalität) - zielsicher und: regelmäßig, notwendig, zwanghaft oder gar nach dem Willen Gottes (Schicksal). Ein Beispiel:„Die französische Revolution konnte durch ein Ereignis von anderer Gestalt und an anderer Stelle, in England oder Deutschland etwa, vertreten werden. Ihre »Idee«, der Übergang der Kultur in die Zivilisation, der Sieg der anorganischen Weltstadt über das organische Land, das nun »Provinz« in geistigem Sinne wird, war notwendig, und zwar in diesem Augenblick. ... Ein Ereignis macht Epoche, das heißt: es bezeichnet im Ablauf einer Kultur eine notwendige, schicksalshafte Wendung. Das zufällige Ereignis selbst, ein Kristallisationsgebilde der historischen Oberfläche, konnte durch entsprechende andre Zufälle vertreten werden; die Epoche ist notwendig und vorbestimmt. Ob ein Ereignis den Rang einer Epoche oder einer Episode in bezug auf eine Kultur und deren Gang einnimmt, das hängt ... mit den Ideen vom Schicksal und Zufall (Zufall und Schicksal) ... zusammen“ (Oswald Spengler, ebd., 1918, S. 193-194). „Es gibt also keine Wissenschaft der Geschichte, aber eine Vorwissenschaft für sie, welche das Dagewesene ermittelt.“ (Oswald Spengler, ebd., 1918, S. 201). „»Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«. Hier liegen Lösungen und Fernblicke verborgen, welche noch nicht einmal geahnt worden sind. Dunkle Fragen, die den tiefsten aller menschlichen Urgefühle, aller Angst und Sehnsucht zugrunde liegen und vom Verstehenwollen in die Probleme der Zeit, der Notwendigkeit, des Raumes, der Liebe, des Todes, der ersten Ursachen verkleidet worden sind, werden aufgehellt. Es gibt eine ungeheure Musik der Sphären, die gehört sein will, die einige unsrer tiefsten Geister hören werden. Die Physiognomik des Weltgeschehens wird zur letzten faustischen Philosophie.“ (Oswald Spengler, ebd., 1918, S. 209). So wie Zeit und Raum sich scheinbar einander einordnen wollen - wie Schicksal und Wunder oder (andersherum) Gesetz und Zufall sich einander erzwingen, kurz: wie Ordnung und Chaos sich einander erzwingen -, so wollen auch Adel und Priesterschaft sich scheinbar einander einordnen, weil sie sich seit ihren Ursprüngen einander erzwingen. Ob aber der Adel (bzw. der Kenner, der Täter, die Tatsache, die Geschichte, das Dasein, das Wann u.s.w.) über die Priesterschaft (bzw. den Erkenner, den Denker, die Wahrheit, die Natur das Wachsein, das Wo u.s.w.) herrscht oder aber die priesterlichen Wahrheiten (also auch alle [Natur-]Wissenschaft) über die adeligen Tatsachen (also auch alle Geschichte), das hängt stark vom Alter bzw. vom Entwicklungsstand der betreffenden Menschen bzw. der betreffenden Kultur ab. (Spengler).
Stände
Solange nur zwei Stände, die Urstände Adel und Priestertum, herrschen, gibt es auch nur zwei bedeutende Konfliktparteien, nämlich die des Daseins und die des Wachseins, wie Spengler sich ausdrückt; sobald aber durch die Bürgerliche Revolution der 3. Stand seine Macht bekommen hat, gibt es drei und sogleich vier bedeutende Konfliktparteien, weil der 3. Stand einen ihm angemesseneren Gegenspieler braucht, den 4. Stand: dieser Nicht-Stand wird im wahrsten Sinne des Wortes „in den Stand gehoben“ (befördert). Schon allein rechnerisch läßt sich zeigen, daß hier aus Ordnung Chaos entstehen muß und es lange dauern wird, bis aus Chaos wieder Ordnung entsteht: aus dem ungünstigstenfalls einen möglichen bedeutsamen Konflikt bzw. dem günstigstenfalls einen möglichen bedeutsamen Bündnis zwischen den zwei Urständen sind seit der Bürgerlichen Revolution 15 mögliche Konflikte bzw. Bündnisse geworden! Die beiden Urstände - Adel und Priestertum - werden nicht gestürzt, wie geglaubt wird, sondern ersetzt durch die Geldritter, die den Aufstieg in den medialen Geldadel und in das geldmediale Priestertum schaffen und sich von nun an mit dem so genannten Proletariat sowie mit den Resten des alten Adels und den Resten des alten Priestertums herumschlagen müssen, alle möglichen Bündnisse und Koalitionen ausnutzend. Wegen dieser Konstellationen ist die Bürgerliche Revolution sogleich auch eine „Weltrevolution“, das heißt: dazu verurteilt, internationale Bündnisse mit Gleichgesinnten aus den unterschiedlichsten Ländern zu schließen oder mit ihnen Konflikte und Kriege auszutragen.

„Die radikal gefaßte Idee der Geschichtlichkeit zerstört jeden universalistischen Geltungsanspruch. Sie stellt in der Selbstauffassung des Menschen vielleicht den größten Bruch in der abendländischen Geschichte dar.“  (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland, 1994, S. 169-170). Beispielsweise sieht seit seinem Beginn der Deutsche Idealismus die (metaphysischen) Kräfte und Ideen der Geschichte in dieser selbst walten und den Menschen in das empirische wie transzendente Geschehen der Geschichte verflochten - mit Hegel sieht man sogar die ganze Wirklichkeit als stets weltvernunftbeherrschte Geschichte. Wenn die Idee oder Einsicht, daß Sinn und Bedeutung für den Menschen erst durch die Geschichte entstehen, stärker ist als alle anderen Ideen oder Einsichten, dann herrscht der Historismus.

Und auch die Frage, „was nun in der Geschichte das eigentlich Geschichtliche in seiner Erfüllung aus dem Ewigen sei, treibt uns zwar an, seiner ansichtig zu werden, aber es bleibt doch unmöglich, daß wir über eine geschichtliche Erscheinung im Ganzen und endgültig urteilen. Denn wir sind nicht die Gottheit, die richtet, sondern Menschen, die ihren Sinn öffnen, um Anteil zu gewinnen am Geschichtlichen, das wir daher, je mehr wir es begreifen, um so betroffener immer noch suchen.“ (Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949). Wenn laut Jaspers Geschichtlichkeit die Einheit der bloßen Vorhandenheit des Menschen und der in seinem Dasein enthaltenen Entwicklungsmöglichkeiten zu eigener Existenz (d.h. zum Seienden, das sich zu sich selbst und seiner Transzendenz verhält) sein sollte, dann kann man die Geschichtlichkeit der Existenz als Einheit von Zeit und Ewigkeit auffassen und sie (gleichzeitig) auch Augenblick nennen. Dann würde die Geschichtlichkeit verwirklicht in der Treue des Selbst zu seinem Grunde. Man würde die Geschichtlichkeit (z.B. einer Sache u.s.w.) betonen, wenn daran erinnert werden soll, daß sie eine Geschichte hat, die man kennen muß, um das Wesen der Sache zu erfassen. Das Unvollendetsein des Menschen und das Geschichtliche wären demnach dasselbe!

Wenn also unter Historismus verstanden werden darf, daß er die kulturellen Erscheinungen unter dem leitenden Gesichtspunkt ihrer Gewordenheit (Geschichtlichkeit) betrachtet und die Einmaligkeit und Besonderheit betont, dann gilt für ihn wie für seine Opposition, den Antihistorismus (2. Seite dieser Münze) die Formel:

5. Moderne Die Geschichtlichkeit scheint aus sich selbst heraus nicht abschließbar zu sein. Ende
Sie kann nur zu Ende gehen durch inneres Versagen oder kosmische Katastrophen.

 

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Zum Anfang der Waage Anmerkungen:


Die metaphysische Ideenlehre gewann erneut Bedeutung durch den Deutschen Idealismus. Beispiele zur „Idee“ (Definition): „Eine Idee ist nichts anderes als ein Begriff von einer Vollkommenheit, die sich in der Erfahrung noch nicht findet, z.B. die Idee eines vollkommenen, nach Regeln der Gerechtigkeit regierten Staates. Erst muß unsere Idee nur richtig sein, dann ist sie bei allen Hindernissen, die ihrer Ausführung im Wege stehen, gar nicht unmöglich“, so Kant. Er bezeichnete als die 3 Ideen der Metaphysik (transzendentale Ideen): Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. Goethe fand das Ideelle „im Geist des Wirklichen“. Und Fichte meinte: „Die Idee, wo sie zum Leben durchdringt, gibt eine unermeßliche Kraft und Stärke, und nur aus der Idee quillt Kraft“. Für Hegel war die Idee das objektiv Wahre und zugleich das wahrhafte Sein. Sie ist das im dialektischen Prozeß sich entfaltende Denken, die Wirklichkeit ist die entwickelte Idee. Hegel definitierte die Idee als Einheit von Begriff und Realität, Subjektivem und Objektivem. Die „absolute Idee“ ist das, was durch seine Selbstverwirklichung das Sein hervorbringt. Und Schelling löste in seiner Identitätsphilosophie die Gegensätze von Subjekt und Objekt, von Realem und Idealem, Natur und Geist im Absoluten auf, als Identität von Idealem und Realem. Nach Schelling ist dieses Absolute unmittelbar erfaßbar durch die intellektuelle Anschauung und in der Kunst. Auch die idealistische Geschichtsauffassung (vgl. z.B. Ranke) sucht die treibenden Kräfte des hsitorischen Geschehens in den Ideen. (Vgl. Tabelle [Idealismus]).

Urphänomen ist nach Goethe das empirische Phänomen, das jeder Mensch in der Natur erkennen kann und das durch Versuche zum wissenschaftlichen Phänomen erhoben wird, indem man es unter anderen Umständen und Bedingungen und in einer mehr oder weniger glücklichen Folge darstellt, so daß zuletzt das reine Phänomen als Resultat aller Erfahrungen und Versuche dasteht. Es ist ideal als das letzte Erkennbare, real als erkannt, symbolisch identisch mit allen Fällen, weil es alle Fälle begreift. (Vgl. Urpflanze).

Urpflanze ist ein Begriff aus der Naturbetrachtung Goethes für das Urbild (Idee, begriffliche Urgestalt), nach dem alle anderen Pflanzenarten durch Abwandlungen entstanden sein sollen. Goethe suchte die Urpflanze in der Natur als eine noch unbekannte Art, oder auch etwa in der Grundgestalt eines Blattes oder eines Stammes zu finden, während Schiller in einem Gespräch mit ihm darüber auf den platonischen Ideencharakter der Urpflanze hinwies. (Vgl. Urphänomen).

Den „Urfaust“ vollendete Goethe 1772 bis 1775, das Fragment zum „Faust“ veröffentlichte er 1790, und die Arbeit am I. Teil des Faust schloß er 1806 ab (in diesem Jahr heiratete er Christiane Vulpius). Den „Sturm und Drang“-Entwurf des „Urfaust“ erweiterte Goethe wesentlich. Als Idealfigur des genialisch strebenden Menschen mußte den „Stürmern und Drängern“ die Figur erscheinen, die zudem durch ihre Überlieferung der Suche nach volkstümlich-urwüchsigen Quellen der Kultur in der eigenen Vergangenheit sich entgegenkam (vgl. Früh-Romantik): Faust, der Held aus dem 1587 erschienenen „Volksbuch“. Die „Stürmer und Dränger“ spürten in der Faust-Geschichte das Dämonisch-Titanische auf. Goethe erwarb den Stoff durch Spätformen der Faust-Tradition: durch Jahrmarktsdrucke auf der Basis der letzten „Volksbuch“-Bearbeitung durch den Anonymus „Christlich Meynender“ und durch Puppenspiele, die die Tradition der Wandertruppen nach den einschneidenden Theaterreformen weiterführten. Erhalten ist Goethes „Urfaust“ als Abschrift des Fräuleins von Göchhausen. Die geistige Brücke zu Goethes Jugendwerk schlägt die „Zuneigung“ (Faust I: S. 9ff.), das „Vorspiel“ (Faust I: S. 11ff.) bezeichnet den gesellschaftlichen Rahmen, in dem Goethe sein Drama wirken lassen wollte, erst der „Prolog“ (Faust I: S. 17ff.) bietet die Exposition dse Werks: die Wette zwischen Mephisto und Gott um Faust. Der „Osterspaziergang“ (Faust I: S. 43ff.) markiert die Gespaltenheit Fausts, dem die naiv feiernde Bürgerwelt fremd geworden ist, die (romantische) „Walpurgisnacht“ (Faust I: S. 170ff.), in der Faust verjüngt wird, bietet die nicht zuletzt für den II. Teil bedeutsame Helena-Vision, die sich für Faust aber zunächst in der Begegnung mit Gretchen konkretisiert. In die Gretchen-Tragödie hat Goethe die „romantische Walpurgisnacht“ eingefügt, der im II. Teil die (zahlreiche Gestalten der griechischen Mythologie einbeziehende) „klassische Walpurgisnacht“ gegenübergestellt wird. Der II. Teil, dessen Bearbeitung Goethe ab 1825 intensivierte (Abschluß des „Helena-Aktes“ 1826), zeigt im 1. Akt einen von tiefer Erschütterung zu tätigem Leben aufsteigenden Faust, der gleichwohl dem Drang nach absoluter Erkenntnis und Vereinigung von Ideal und Wirklichkeit, Kunst und Leben verpflichtet geblieben ist (Beschwörung der Urbilder, aber auch Einsicht in die Unmöglichkeit, die Vollkommenheit der antiken Ideale in der Gegenwart neu zu beleben). (Vgl auch: Idealismus; Idealismus). Im 2. Akt gelingt Fausts früherem Famulus die Erschaffung des Homunculus, der Faust den Weg zur „klassischen Walpurgisnacht“ zeigt. Die Erscheinung griechischer Mythengestalten gipfelt in der Rückkehr Helenas nach Griechenland (3. Akt). In der Begegnung Fausts mit ihr vereinigen sich „romantischer Norden“ und „klassicher Süden“ dieser Vereinigung entspringt Euphorion als Genius der Poesie, dem aber nur ein kurzes Leben beschieden ist. Helena folgt ihrem Kind in den Tod. Faust kehrt, von Tatendrang erfüllt, in die reale Welt zurück, verhilft, von dämonischen Gestalten unterstützt, dem rechtmäßigen Kaiser über einen Gegenkaiser zum Sieg (die zeitgenössische politische Geschichte tritt hier in allegorischer Gestalt deutlich zutage). Das ihm zum Lohn geschenkte Land will er kolonisieren, wird aber erneut schuldig (Tötung von Philemon und Baucis), sein eigener Tod jedoch gerät ihm nicht zu ewiger Verdammnis: „Wer immer strebend sich bemüht / Den können wir erlösen“, so spricht in der Schlußszene der Chor der Engel, der Faust aus Mephistos Händen befreit.

„Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 784). Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz „Antike“ genannt, und der (jungen) magischen Kultur, auch „Persien/Arabien“ genannt, macht es deutlich: „Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. ... Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 800-801).

Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen - wie unzählige andere Beispiele auch - für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1918, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.

Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.). Magien

„Jede Kultur hat ihren ganz bestimmten Grad von Esoterik und Popularität, der ihren gesamten Leistungen innewohnt, soweit sie symbolische Bedeutung haben.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 419). Die Antike war populär, weil nicht esoterisch. Das Abendland ist esoterisch, weil nicht populär.

Vorderasien oder Morgenland: diese Begriffe sind nicht ganz zutreffend, weil zum magischen Kulturkreis (Spengler nennt ihn „arabisch“) auch der ehemalige (griechische) Osten der Antike gehört, wenn auch nur pseudomorph. Mit Vorderasien bzw. Morgenland meine ich die Kultur der späteren Religionskulturformen, z.B. des altiranisch-parsistischen (mazdaistischen) Persertums, des manichäischen Babyloniens, des Judentums, des Arabertums, des Urchristentums, des griechisch-orthodoxen Christentums, des Islam u.a. magischer Elemente.

Nordasien wäre demnach eine durch die orthodox-islamische Opposition gekennzeichnete Mentalität, die, wenn man sie sich einen Moment lang geeint vorstellt, einen gemeinsamen Feind(Ehepartner) hätte. Sie bedeutet, obwohl „als Kultur“ noch gar nicht zur Welt gekommen, eine Mischung aus morgenländischer (magischer) und abendländischer (faustischer) Weltseele, somit eine auf ihre Geburt wartende Kultur, die sich, falls sie nicht doch eine „Fehlgeburt“ sein sollte, im Dualismus zwischen Orthodoxie und Islam ausdrücken würde. Jede Kultur trägt in sich Oppositionen, wie auch jeder menschliche Körper aus typisch männlichen und typisch weiblichen Kreisläufen (Nerven- und Blutkreislauf) und hormonellen Androgynen (Androgene und Östrogene) besteht. Durch sie wird der Mensch ein Mensch, die Kultur eine Junktur. Konflikte aus früheren und heutigen Zeiten auf dem Balkan und in Randgebieten zu Asien sind Indizien für die Existenz einer vom Vor-/Urkulturellen (Schwangeren, hier: Intrauterin-Pseudomorphen) ins Frühkulturelle strebenden halbmagischen (morgenländischen) und halbfaustischen (abendländischen) jungen Kulturform, die sich von den rein morgen- und abendländischen Kulturteilen unterscheidet. Trotzdem müßte sie erst einmal wirklich zur Welt kommen (dürfen?).

Das Abendland (Alt-Europa / West-Europa) hat seit seinem Ursprung, seit seinem von Kontrollgenen (Germanen) gesteuerten Keim, einen „Kern“, ein „Herz“ (Deutschland), aber auch Grenzen! „Die Grenze der abendländischen Kultur lag immer dort, wo die deutsche Kolonisation zum Stillstand gekommen war.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 17). Das Abendland bzw. „Europa“ muß auch heute (als „EU“ !) zu seinen Grenzen stehen, denn es kommt nicht einseitig darauf an, unsere „Nachbarn“ zu verstehen; noch mehr kommt es nämlich darauf an, daß wir wieder lernen, uns selbst zu definieren, z.B. auch um zu verhindern, daß wir uns gar nicht mehr begreifen - wie sie uns (!). „Nur ein Dummkopf kann sich heute schämen, ein »alter Europäer« zu sein.“ (Peter Scholl-Latour, Rumsfeld gegen das »Alte Europa«, in: Weltmacht im Treibsand, 2004, S. 14 Rumsfeld).

Das Wort „Europa“ war im Abendland anfangs selten zu hören, danach lediglich ein gelehrter Ausdruck der geographischen Wissenschaft, die sich seit der Entdeckung Amerikas (1492) „am Entwerfen von Landkarten entwickelt hatte“, bevor es später allmählich immer mehr und „unvermerkt auch in das praktische politische Denken und die geschichtliche Tendenz“ eindrang. (Vgl. Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 17; vgl. auch meine Definition für „Europäismus“). Abendland oder Europa

Je häufiger „Europa“ zu hören war (ist), desto moderner wurde (wird) die Moderne. Der Begriff „Europäismus“, für mich ein Synonym für die abendländische Moderne, betrifft alles, was die abendländische Kultur aus einem Selbstverständnis heraus in Verbindung mit Europa brachte, bringt und bringen wird. Eines der frühen Beispiele hierfür ist Karl der Große (747-814; 754 Königssalbung, 768 König, 800 Kaiser), der „Vater Europas“ genannt wurde. Der Begriff „Europa“ war im Abendland von Beginn an präsent, wurde aber erst später häufiger (vor allem auch im geographischen Sinne) verwendet, z.B. seit der „Neuzeit“ und besonders seit der „Industrielle Revolution“ (bzw.seit der „Bürgerlich-Napoleonischen-Revolution“ Napoleonismus). Abendland oder Europa

Europa, Europäismus oder Eurozentrismus sind komplexe Begriffe für den Versuch, aus der Welt eine europäische zu machen. Daß nicht Frankreich oder Deutschland, sondern England bzw. die USA die treibenden Kräfte dieses Prozesses sein würden, nämlich durch die Ausschaltung der Konkurrenten, war zum Zeitpunkt dieser Phase noch nicht entschieden, ändert aber nichts an der Tatsache, daß Frankreich und (später) Deutschland in Wirklichkeit mit ihrem wütenden Anstürmen für den Anglismus kämpften. Letzten Endes haben sich nämlich die Angelsachsen durchgesetzt, mit den wichtigen Kulturelementen Volk (Puritanismus) und Sprache (Anglizismus). (Vgl.. 20-22).

Die Beziehungen zwischen Platon und Aristoteles einerseits und Kant und Hegel andererseits muß man sowohl analog als auch homolog betrachten! (Vgl. den Unterschied zwischen Homologie und Analogie!). Philosophie

Phase ist, in Anlehnung an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes (Aufgang eines Gestirns) und der physikalischen Bedeutung (Zustand eines schwingenden Systems) für mich der Inbegriff einer wohltemperierten Abrundung durch geistig-politische Tätigkeiten in einer bestimmten Zeitspanne, oft ausgedrückt durch technische und künstlerische Richtungen, aber auch durch ökonomisch-politische und geistig-metaphysische Richtungen. Sie ist in etwa identisch mit dem Begriff „Epoche (Innehalten, Haltepunkt in der Zeitrechnung, bedeutsamer Zeitpunkt). Eine Phase kann nur 60-80 Jahre andauern, wie im Falle des Rokoko, oder 200-300 Jahre, die etwa jeweils Karolingik, Romanik und Gotik ausmachten. Eine Phase umfaßt im Mittel etwa 180 Jahre. Ein Kulturquartal umfaßt 3 Phasen und damit durchschnittlich 500-600 Jahre, manchmal auch nur 300-350 Jahre, wie im Falle der abendländischen Jugend (Renaissance, Barock und Rokoko). Ein Kulturquartal ist eine Jahreszeit in dem Sinne, daß an ihr erkennbar wird, was sie ist, wenn sie gewissermaßen innehält. Winter, Frühling, Sommer und Herbst sind wie unterirdisches Wachstum, zarte Blüten, Hochblüte und Verfall, wie die pflanzliche Welt immer wieder bezeugt, aber nicht nur sie: die 4 Jahreszeiten sind wie uterines, kindliches, jugendliches und erwachsenes Leben, z.B. auch vergleichbar mit dem der Säugetiere. Das erwachsene Leben kann mehrere Quartale umfassen; in dem Falle teilen die Älteren (Elter[e]n) ihr Leben mit den Kindern, Enkelkindern oder gar Urenkelkindern. In Kulturen war und ist dies auch möglich: China, Indien und die magische Kultur existieren als Zivilisationen („Erwachsene“) schon länger als das Abendland.

Quartal meint eine Jahreszeit (= 3 Phasen) oder ein Viertel der Uhrzeit (z.B. 0-6, 6-12, 12-18, 18-24 Uhr).

Im frühen Erwachsenenalter ist man von der Chance, über den zweiten Bildungsweg die Karriere auszubauen, noch überzeugter als im mittleren oder späten Erwachsenenalter. Das heißt aber nicht, daß diese Chancen tatsächlich immer zu besseren oder effektiveren Ergebnissen führen, sondern als eine Art Orientierungssinn Wahrnehmungen der sich jetzt häufenden Möglichkeiten erlauben: man weiß jetzt, daß der jugendliche Gedanke nicht in jedem Fall der richtige war und drängt zu neuen Ideen (Idealismus). Es ist die klassizistische Zeit, die Zeit der letzten Experimente, wie der frühe Herbst die Zeit der letzten Früchte und Ernte ist. Auf gewöhnliche Tageszeit übertragen ist jetzt die Zeit des Abendmahls (18-20 Uhr) und der Beginn von Trinkgelagen. Wegen zu starker Belastung der Leber und Nieren sollte von späteren Mahlzeiten abgesehen werden (Ausnahmen bestätigen natürlich diese Regel). Dagegen ist gute Lektüre oder andere Unterhaltung sowie Sex und andere Spielarten von jetzt an von größtem Interesse. Die Tiere draußen wissen das auch. Der Herbst und der Abend gleichen sich in diesen Dingen. Beide sind Ausdrücke für ein vorerst letztes Beisammensein, meistens verbunden mit Genuß und Mahlzeit, der letzten Ernte vor dem Winter, der Nacht.

Dualismus ist die historische Bezeichnung für eine Doppelherrschaft, ein koordiniertes Nebeneinander von 2 Machtfaktoren oder Institutionen in einem politischen System. Hier ist (mit dem Deutschen Dualismus) die Rivalität im Deutschen Reich zwischen Österreich und Preußen gemeint, die v.a. in der 2. Hälfte des 18 Jahrhunderts und zwischen 1850 und 1866 vorherrschend war. Allerdings gab es zwischen den beiden deutschen Großmächten von 1814/15 bis 1848/50 auch die oben angesprochene Interessensidentität, nämlich als österreichisch-preußische Zusammenwirkung im Deutschen Bund (1815-1866). Erstmals offenbarte sich der Deutsche Dualismus jedoch schon, und zwar als Ständestaat-Dualismus zwischen Kaiser und Reich (Reichsfürsten), im Interregnum (1254-1273) und durch die Goldene Bulle von 1356; fortgeführt wurde er während der Reformation und der Gegenreformation unter der Oberfläche des konfessionellen Dualismus zwischen Katholiken und Protestanten, bis er seinen Höhepunkt (für Deutschland: Tiefpunkt) im „30jährigen Krieg“ (1618-1648) erreichte und im „Westfälischen Frieden“ (1648), seinem Ergebnis, verstärkte Bestätigung fand. Insbesondere das Ausland erkannte seit dem 30jährigen Krieg Deutschlands Kleinstaaterei als riesige Chance und war seitdem natürlich stets bestrebt, eine andere Entwicklung vehement zu bekämpfen. Der Deutsche Dualismus steht also auch im Zusammenhang mit dem Ausland. Aber begrifflich steht er stets für zwei deutsche Rivalen. Man kann sich leicht vorstellen, welches Glück vor allem Frankreich und England durch den Deutschen Dualismus beschert wurde und welches Unglück sie nur empfinden konnten, als der eine Schwächung erfahren sollte. Dennoch sollte besonders Frankreich in diesem Unglück zunächst noch Glück haben (vgl. Pentarchie und Wiener Kongreß, 1814-1815).

Klemens Wenzel von Metternich (1773-1859), in Koblenz geboren, war Graf und Fürst (seit 1813) von Metternich-Winneburg sowie Herzog von Portella (seit 1818). Er studierte Rechts- und Staatswissenschaft sowie Geschichte in Straßburg und Mainz, später Naturwissenschaft und Medizin in Wien. Als Gesandter der westfälischen Grafenbank nahm er 1797-99 am Kongreß von Rastatt teil. 1801-03 war er Gesandter in Dresden, 1803-06 in Berlin, 1806-09 Botschafter in Paris. Nach der österreichischen Niederlage gegen Frankreich (1809) zum österreichischen Außenminister ernannt, verschaffte er seinem Land durch Anlehnung an Napoleon I., dessen Heirat mit der österreichischen Kaisertochter Marie Louise er unterstützte, eine Ruhepause. Nachdem Metternich mit Napoleon für dessen Überfall auf Rußland 1812 österreichische Hilfe vereinbart hatte, vollzog er, mit Rußland laufend in Kontakt geblieben, den Anschluß Österreichs an die Koalition gegen Frankreich; seitdem unterstützte er also (insgeheim) die Befreiungskriege, die bis dahin hauptsächlich von Preußen und Spanien betrieben worden war. Im Sinne der europäischen Gleichgewichtspolitik (also im Interesse der Engländer!) wirkte Metternich im 1. Pariser Frieden (1814) auf die Schonung Frankreichs hin. Auf dem unter Metternichs Vorsitz tagenden Wiener Kongreß (1814-15) betrieb er erfolgreich die Wiederherstellung der politischen und sozialen Ordnung in Europa nach den Grundsätzen der Legitimität. (Vgl. Politik der „Restauration“). Die „Heilige Allianz“ (Österreich-Preußen-Rußland) formte er zu einem Bund der Fürsten gegen die nationalen und liberalen Regungen der Völker. Als führender europäischer Staatsmann trat Metternich auf den Kongressen der Jahre 1820-22 auf, die er zum Instrument seiner legitimistischen Interventionspolitik machte. Im Deutschen Bund setzte er in Zusammenarbeit mit Preußen die rücksichtslose Unterdrückung der freiheitlichen und nationalen Bewegung (z.B. durch die Karlsbader Beschlüsse, 1819) sowie die Festschreibung des monarchischen Prinzips (1820) durch. In Österreich, wo er 1821 zum Haus-, Hof- und Staatskanzler ernannt worden war, wurde sein Einfluß ab 1826 geschwächt und später sogar weitgehend auf die Außenpolitik beschränkt. Nach Ausbruch der „Revolution“ mußte Metternich als verhaßter Exponent der Reaktion am 13. März 1848 zurücktreten und ins Ausland fliehen; im September 1851 kehrte er jedoch nach Wien zurück. Metternichs politisches Denken war geprägt von kompromißloser Ablehnung der „französischen Revolution“. Als Verfechter des monarchischen Prinzips war er zu keinem Zugeständnis bereit. Das „System Metternich“ war ausgerichtet auf die Erhaltung der politischen und sozialen Ordnung, die auf dem Wiener Kongreß im vorrevolutionären Sinne restauriert worden war. Die Stabilität dieser auf monarchischer Legitimität gegründeten Friedensordnung sah Metternich am besten im Gleichgewicht der 5 Großmächte gesichert, wobei er der Zusammenarbeit der 3 konservativen Großmächte (Österreich, Preußen, Rußland) einen besonderen Wert beimaß. Die Mittel seiner Politik waren u.a. Kongreßdiplomatie und militärische Interventionen, Polizeimaßnahmen und Zensur! Zensur

Kein Zufall, daß die „Kongreßdiplomatie“ ein von R. S. Castlereagh - also für England (!) - im Jahre 1815 (Wiener Kongreß) organisiertes Verfahren war, denn sie diente der Außenpolitik (Zusammenkünfte der Monarchen und ihrer Minister) zur sozialkonservativen europäischen Friedenssicherung - nach den Befreiungskriegen (!) -, und deshalb diente sie vor allem der englischen Außenpolitik.

Genau wie der heutige „Bund“.

Die Restauration, die von 1814/15 (Wiener Kongreß) bis etwa 1848/52 andauerte, wollte zu vorrevolutionären Verhältnissen zurückkehren, aber ohne die sozialen, rechtlichen und territorialen Veränderungen, die die französische Revolution und die Napoleonische Neuordnung Europas hinterlassen hatten, in vollem Umfang rückgängig zu machen. Hinter der Restaurationspolitik stand die Gleichgewichtspolitik - als Ablenkungspolitik eine Politik der Engländer !

„Mein geheimster Gedanke ist, daß das alte Europa am Anfang seines Endes ist. Ich werde, entschlossen mit ihm unterzugehen, meine Pflicht zu tun wissen. Das neue Europa ist andererseits noch im Werden; zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben“ (Metternich). Spengler

Platon (eigtl. Aristokles, 427-347); vgl. Platons Philosophie der Weltverabschiedung und Einübung ins Sterben (Platons Philosophie), besonders seine Lehre von der Umkehr durch Ausstieg aus der Höhle („Höhlengleichnis“). Platon war zuerst Dichter, wandte sich von der Dichtung jedoch ab, weil sie seit 387 v. Chr. (Gesetz) ziemlich grausame Theaterstücke aufführen durfte (Götter-Blasphemie u.s.w.). Er gründete wahrscheinlich deshalb 385 v. Chr. eine Schule, die (dem altattischen Heros) Akademos gewidmet war. Die Ältere Akademie war stark pythagoräisch beeinflußt: das Problem von „Idee“ und „Zahl“ spielte erkenntnistheoretisch eine große Rolle. Später folgten die Mittlere Akademie (seit 270 v. Chr.) und die Neuere Akademie (seit 160 v. Chr.); vgl. die Akademien im Altplatonismus, den Mittleren Platonismus, die Auswirkungen auf die Gnosis, den Neuplatonismus, die Patristik. Alle Philosophie nach Platon scheint aus Fußnoten zu der seinigen zu bestehen. Er schrieb Dialoge, tatsächliche und fiktive Gespräche mit Sokrates (470-399), seinem Lehrer. Platon lehrte die Scheinhaftigkeit und Abkünftigkeit der Sinnenwelt von archetypischen Urbildern oder Ideen. Mit der Ideenlehre setzte er sich von Sokrates ab, obwohl er sie in den (mittleren und späteren) Dialogen seinem Dialoghelden Sokrates in den Mund legte. Für Platon waren die unveränderlichen Ideen die Urbilder der veränderlichen Dinge, ihr Programm, ihr Ziel und Zweck. Platon nahm bei seiner Ideenlehre die Mathematik (Geometrie) zum Vorbild aller anderen Wirklichkeit, wie schon vor ihm Pythagoras (580-500) und seine Schüler. (Vgl. Tabelle). Platonisches Denken

Das „Höhlengleichnis“ ist laut Platons „Staat“ (7.Buch) ein Vergleich des menschlichen Daseins mit dem Aufenthalt in einer unterirdischen Behausung. Gefesselt, mit dem Rücken gegen den Höhleneingang, erblickt der Mensch nur die Schatten der Dinge, die er für die alleinige Wirklichkeit hält. Löste man seine Fesseln und führte ihn aus der Höhle in die lichte Welt mit ihren wirklichen Dingen, so würden ihm zuerst die Augen wehtun, und er würde seine Schattenwelt für wahr, die wahre Welt für unwirklich halten. Erst allmählich, Schritt für Schritt, würde er sich an die Wahrheit gewöhnen. Kehrte er aber in die Höhle zurück, um die anderen Menschen aus ihrer Haft zu befreien und von ihrem Wahn zu erlösen, so würden sie ihm nicht glauben, ihm heftig zürnen und ihn vielleicht sogar töten. Vgl. Platon (427-347).

Aristoteles (383-322); vgl. Ältere und Jüngere Aristoteliker (Peripatetiker) und Aristotelische Stoa. Dieser antike Universalgelehrte bestimmte mit seinen Klassifikationen und Begriffsprägungen die gesamte nachfolgende Philosophie, dominierte insbesondere die Scholastik. Die sich auf Aristoteles stützende Art des Philosophierens, der Aristotelismus, wurde später auch von den Arabern (z.B. Averroes, 1126-1198) und Juden (z.B. Maimonides, 1135-1204) gepflegt und beherrschte insbesondere seit dem 13. Jh. das philosophische Denken des Abendlandes, vermittelt vor allem durch Albert dem Deutschen (den Großen, 1193-1280) und Thomas von Aquino (1225-1274), allerdings mit wesentlichen, durch das Christentum bedingten Änderungen. Dieser auch „Thomismus“ genannte Aristotelismus wurde (als Neuthomismus) die Grundlage der katholischen Neuscholastik (bis heute!). In der Zeit der Renaissance wurde der Aristotelismus in unscholastisch-humanistischer Art von nach Italien gelangten byzantinischen Gelehrten neu belebt: in Deutschland fußten also sowohl die protestantische Neuscholastik (z.B. durch Melanchthon, 1497-1560) als auch die katholische Neuscholastik (z.B. durch Suarez, 1548-1617) auf dem Aristotelismus. Aristoteles, der für seinen Sohn Nikomachos die „Nikomachische Ethik“ geschrieben hatte, blieb für die Entwicklung der abendländischen philosophischen Ethik richtungsweisend bis Kant (!). (Aristoteles). (Vgl. Tabelle). Aristoteles

Attische Philosophie meint die Philosophie der in Athen (Zentrumspolis in Attika) lebenden und lehrenden Philosophen Sokrates (470-399), Platon (427-347) und Aristoteles (383-322) sowie ihre Schulen und Zeitgenossen im Unterschied z.B. zu der ionischen, vorsokratischen und hellenistisch-römischen Philosophie.

Euklid faßte um 312 v. Chr. in seinen „Elementen“ das damalige mathematische Wissen zusammen und sein Parallelenaxiom galt bis zu Gauß (1777-1855) als das „Vollendete“, dem man nichts mehr hinzufügen konnte. Einen „platonischen Monat“ lang (= 2150 Jahre ca. 2150 Jahre) galt dieser mathematische Satz, der unbeweisbar war und ist, als konkurrenzlos. Um 1800 entwickelte Gauß die erste nicht-euklidische Geometrie. Damit war der körperliche Sinn des Ausgedehnten, den Euklid durch seinen Grundsatz heilig gesprochen hatte, endlich durch die als antieuklidische Gruppe aufzufassenden Geometrien aufgehoben. Antik war durch einen Punkt zu einer Geraden nur eine Parallele möglich, abendländisch sind durch einen Punkt zu einer Geraden keine, zwei oder unzählige Parallelen möglich. Dem euklidischen Axiom wurde ein „Gauß'sches“, der antiken Anschauung des Körperhaften ein abendländisches der Räumlichkeit genau gegenübergestellt. Die Antike forderte Körper und verneinte Raum; das Abendland fordert Raum und verneint Körper. Wenn die Kultur Zivilisation wird, ist sie erwachsen und fängt an, sich selbst gegenüber Rechenschaft abzulegen. Euklid einerseits und Gauß andererseits sind für diesen Prozeß ein „personifizierter Beweis“. Dieser betrifft nicht nur die Mathematik - aber sie zuerst -, sondern auch die gesamte Kultur. Die antike Metaphysik konzentriete sich auf die Dinge, die in der abendländischen Metaphysik ins Gegenteil verkehrt wurden, wenn diese jene überhaupt je verstanden hat. Ursymbol und Seelenbild

Diadochen (Nachfolger) von Alexander d. Gr. waren dessen Feldherren, z.B. (in alphabetischer Reihenfolge) Antigonos, Antipater, Demetrios Poliorketes, Eumenes, Kassander, Lysimachos, Perdikkas, Ptolemaios, Seleukos. Die Absicht, nach Aufteilung der gewonnenen Territorien als Statthalter des Reiches eine mehr oder weniger selbständige Herrschaft zu errichten, führte ab 323 v. Chr. zu den Diadochenkriegen und zur Schaffung voneinander unabhängigen Monarchien (seit 306), der Didaochenreiche. Die Diadochen waren Nachfolger - im Unterschied zu den folgemden Epigonen (Nachkommen).

Polyphonie ist die Vielstimmigkeit, eine musikalische Setzweise, in der die Stimmen ein melodisches Eigenleben führen (linear), das den Zusammenklang (vertikal) übergeordnet ist. Der Gegensatz dazu ist die Homophonie (der einheitliche Klang): der Kompositionsstil, der einer Hauptstimme alle anderen Stimmen unterordnet. Die Hauptzeit der Homophonie beginnt im 17. Jahrhundert, mit Monodie und Generalbaß. Es ist irreführend, die Musik des 19. Jahrhunderts homophon zu nennen, weil ihr Schwerpunkt im Harmonischen liegt; vielmehr zeigen die Werke der großen Meister von Franz Joseph Haydn und Ludwig v. Beethoven bis zu Richard Strauss das Streben nach einem Ausgleich zwischen Homophonie und Polyphonie, wie er vorbildlich von Johann Sebastian Bach erreicht worden war. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen.

Der Kontrapunkt (lat. punctus contra punctum = Note gegen Note) stellt ein Verfahren dar, mehrere selbständige und doch aufeinander bezogene Stimmlinien zu übergeordneter künstlerischer Einheit zu binden. Er ist die Kunst, ein mehrstimmiges Tonstück aus melodisch selbständigen Stimmen aufzubauen. Dabei wird praktisch von einem c. f. ausgegangen, indem man die anderen Stimmen nach und nach hinzufügt, obwohl auch gleichzeiges Entwerfen möglich, künstlerisch wertvoller, aber auch wesentlich schwieriger ist. Man spricht bei kontrapunktischen (polyphonen) Werken auch von linearem (horizontal zu hörendem) Stil im Gegensatz zum harmonischen (vertikal zu hörendem), jedoch muß eine rigorose Linearität zur Atonalität bzw. zu einer Art Heterophonie führen. Im übrigen ist es keine Kunst, mehrere Stimmen so zu kontrapunktieren, daß es schlecht klingt. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Die Kontrapunktlehre entwickelte sich aus der ursprünglich improvisierten Erfindung einer überwiegend in Gegenbewegung verlaufenden Stimme, die seit dem beginnenden 14. Jahrhundert in Anweisungen zum Discantus in feste Regeln gefaßt wurde. Seine beherrschende Stellung gewann der Kontrapunkt in der (süd-) niederländischen Musik des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu seiner Vollendung (im 16. Jh.) bei Palestrina und Orlando di Lasso , die für mehre Jahrhunderte in Kontrapunkt- und Kompositionslehren maßgebend wurden. Seit dem Frühbarock galt er jedoch als konservative Praxis gegenüber der moderneren, an der Sprache orientierten Ausdruckskunst der Monodie. Als strenge Schreibart blieb er bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts verbindlich. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen. Die Anzahl der Stimmen im kontrapunktischen Satz ist theoretisch nicht begrenzt, praktisch sind jedoch nur wenige Ohren fähig, einen mehr als 4stimmigen Satz wirklich linear aufzunehmen. Unter doppeltem Kontrapunkt versteht man einen Satz, in dem sich die Stimmen vertauschen lassen, ohne daß dadurch schlechte Stimmführung (Parallelen) entsteht. Er ist eines der wichtigsten Mittel der thematischen Arbeit und ist in neuerer Zeit besonders genial von Johannes Brahms und Anton Bruckner angewandt worden (innerhalb eines an sich harmonisch-vertikalen Satzes). Die Hauptformen des kontrapunktischen Stils sind Fuge und Kanon, die Haupttechnik die der Nachahmung.

Fuge (lat. fuga = Flucht). Die Fuge ist die wichtigste Form der kontrapunktisch-polyphonen Setzweise. (Vgl. Kontrapunkt und Polyphonie) Erste echte Fuge mit Zwischenspielen und formgerechter Antwort sind bei A. Gabrieli (1580) vorhanden, höchste Ausbildung bei Johann Sebastian Bach im Wohltemperierten Klavier und in der Kunst der Fuge. Das Interesse an der Fuge ist nie erlahmt und ist jüngst neu belebt worden. Das Wesen der Fuge liegt in ihrer Einthemigkeit, die eine strenge ästhetische Einheit verleiht. Das Charakteristische des Fugenthemas ist seine Fortspringungstendenz, d. h. es trägt in sich den Keim zur Weiterbildung seiner melodischen Linie. Das Fugenthema ist dynamisch - im Gegensatz zum statischen Thema der Sonate. Die Eigenart der Fuge liegt darin, daß sich in ihr das Dynamische (Thema) mit dem Statischen (Gesamtaufbau) verbindet. Das Thema (auch Dux oder Führer genannt) wird in der 2. Stimme im Quintabstand beantwortet (d. h. wiederholt). Die Antwort heißt auch Comes oder Gefährte. Mit ihr zusammen erklingt die kontrapunktische Fortspinnung des Themas.

Kanon (griech. =Vorschrift) ist eine kontrapunktische Form auf der Grundlage strenger Nachahmung. Jede Folgestimme nimmt das Thema notengetreu auf, in wechselnden Abständen (Kanon im Einklang, in der Sekunde u.s.w.). Historisch geht diese Form bis ins 13. Jahrhundert (Sommerkanon) zurück, erlebt ihre erste Blüte in der Caccia(Jagd) der Ars nova und ihren Höhepunkt in der Zeit der Niederländer (z.B. bei Okeghem). Hier wurde der Gipfel kunstvoller, aber auch überkünstelter Kanonkompositionen erreicht. Es gab nicht nur Kanons in Vergrößerung und Verkleinerung, Umkehrung und Rücklauf (Krebskanon), sondern auch sogenannte Rätselkanons, bei denen zuweilen nur eine Stimme notiert wurde und eine kryptische Überschrift den Scharfsinn anspornte, die Art der Ausführung zu finden. So muß z.B. ein Kanon mit der Überschrift in more hebraeorum von hinten nach vorn gelesen und gesungen werden. Das hat natürlich kaum noch etwas mit mit wirklicher Kunst zu tun, wie überhaupt der Kanon besonders bei denen beliebt ist, die in der Musik weniger ein seelisches Erlebnis als eine mathematische Tonkonstruktion rationaler Art sehen.

Katharsis (griech. Reinigung) ist die Läuterung, besonders die mystische Reinigung der Seele von den Schlacken der Sinnlichkeit bzw. Leiblichkeit; nach Aristoteles (383-322) ist es Zweck der Tragödie, eine Katharsis der Seele, eine Läuterung der Leidenschaften bzw. eine Läuterung von den Leidenschaften (und zwar durch Erregung von Mitleid unf Furcht) herbeizuführen. Methoden der Katharsis werden in der modernen Psychotherapie angewandt, wodurch Abreaktionen und Befreiung von verdrängten traumatischen Erlebnissen bewirkt werden.

Begriff wird in der Logik verstanden als einfachster Denkakt im Gegensatz zu Urteil und Schluß. Urteil meint einen Akt der Bejahung oder Verneinung, in dem 2 Begriffe (Subjekt und Prädikat) in Beziehung zueinander gesetzt werden. Im Urteil bezieht das Denken einen Begriff auf einen Gegenstand und setzt diesen zugleich mitsamt seinen Prädikaten, und zwar durch die Kopula „ist“, die stets auf absolute Geltung des behaupteten Sachverhalts abzielt. Der Schluß (conclusio) ist das formale logische Verfahren, aus mehreren Urteilen (als Voraussetzungen oder Prämissen) ein einziges Urteil, die Schlußfolgerung, begrifflich abzuleiten. (Vgl. Syllogismus bei Aristoteles).

Spinozismus ist die Lehre und die philosophische Weiterbildung der Lehre Spinozas (1632-1677). In Deutschland entwickelten besonders im 18. Jahrhundert Lessing (1729-1781), Herder (1744-1803), Goethe (1749-1832), Jacobi (1743-1819), Schleiermacher (1768-1834) u.a. einen Spinozismus, dessen „Gott-Natur“-Symbol viel weniger rationalistisch gestaltet war, als Spinozas Deus-sive natura. Ähnliche Witerbildungen in emotional-voluntaristischer Richtung erfuhr der Spinozismus bei Fichte (1762-1814), Schelling (1775-1854), Schopenhauer (1788-1860), Fechner (1801-1887), Wundt (1879-1963) u.a.. Der Spinozismus war eine der wirkungsvollsten Strömungen in der zeit der Deutschen Bewegung. Lichtenberg (1742-1799) sagte damals: „Wenn die Welt noch eine unzählbare Zahl vonJjahren steht, so wird die Universal-Religion geläuterter Spinozismus sein“, womit er vornehmlich Spinozas Pantheismus meinte. Der Pantheismus war z.B. für Schleiermacher „die heimliche Religion der Deutschen.“

Johann Joachim Winckelmann (09.12.1717 - 08.06.1768).

Pflicht ist die (verbindliche Pflege, für etwas zu sorgen) als inneres Erlebnis auftretende Nötigung, den von den ethischen Werten ausgehenden Forderungen zu entsprechen und das eigene Dasein diesen Forderungen gemäß zu gestalten. Kant (1724-1804) kam in seiner Kritik der praktischen Vernunft (1788) zu einer autonomen Pflicht-Ethik, die als eine bedeutende philosophische Leistung gelten kann. (Vgl. Ethik). Kants Gedankengang ist in etwa folgender: Der Vernunft ist es zwar unmöglich, Gegenstände rein apriori, d.h. ohne Erfahrung theoretisch zu erkennen, wohl aber den Willen des Menschen und sein praktisches Verhalten zu bestimmen. Seinem empirischen Charakter nach, d.h. als Person, steht der Mensch unter dem Naturgesetz, folgt er den Einflüssen der Außenwelt, ist er unfrei. Seinem intelligiblen Charakter gemäß, d.h. als Persönlichkeit, ist er frei und nur nach seiner (praktischen) Vernunft ausgerichtet. Das Sittengesetz, dem er dabei folgt, ist ein kategorischer Imperativ. D.h. konkret: Nicht auf äußere Güter gerichtetes Streben nach Glück, nicht Liebe oder Neigung machen ein Tun moralisch, sondern allein die Achtung vor dem Sittengesetz und die Befolgung der Pflicht. Getragen ist diese Ethik der Pflicht von der nicht theoretischen, sondern praktischen Überzeugung von der Freiheit des sittlichen Tuns, von der Unsterblichkeit des sittlich Handelnden, da dieser in diesem Leben den Lohn seiner Sittlichkeit zu ernten nicht befugt ist, von Gott als dem Bürgen der Sittlichkeit und ihres Lohnes. Diese 3 Überzeugungen sind nach Kant die praktischen Postulate von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Nach Fichte (1762-1814), dem die ganze Welt das Material der Pflichterfüllung ist, gibt es nur einen Endzweck: die Pflicht.

Ethik meint hier die Sittenlehre als praktische Philosophie, die nach einer Antwort sucht auf die Frage: was sollen wir tun?  Beide Kulturen - Antike und Abendland - suchen die Antwort zunächst im Selbst bzw. in der Selbsterkenntnis. Aber dieser Subjektivismus hatte in der Antike wegen des Seelenbildes (und Ursymbols) eine andere, entgegengesetzte, Richtung als im Abendland. Die Antike suchte auch ethisch die Antwort am Außen des Körpers (in der begrenzten Äußerung), weil es für sie kein Geheimnis im Innen geben durfte; das Abendland suchte im Innen des faustischen Willens und kategorischen Imperativs (im Raum der unendlichen Verinnerlichung), weil es hier nur Geheimnisse gab. In beiden Fällen stelle man sich in den Dienst einer sozialanthropologischen Ethik. Ein Angebot, das man auch Hilfe zur Selbsthilfe (Selbsterkenntnis) nennen könnte. Wie kann ich dienen?  ist eine typische Frage der letzten (dienerischen) Phase. (16-18).

Der kategorische Imperativ oder Imperativ der Sittlichkeit wurde von Kant folgendermaßen formuliert: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. 1785 schrieb Kant in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: 1.) „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“ 2.) „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (Kant). Ob ein Mensch als Persönlichkeit das prinzipiell wollen kann oder nicht auch (oder vielleicht eher) etwas Eigenes in seinem Verhalten liegt, sollten später die Kritikpunkte an Kants Imperativ sein, z.B. von Nicolai Hartmann (1882-1950; vgl. 20-22): „Sofern das besagt, daß wirklich die jedesmalige »Maxime« der Handlung ihre Richtschnur daran hat, ob sie zugleich allgemeines Gesetz sein könnte oder nicht, so liegt darin offenkundig etwas, was der Mensch als Persönlichkeit nicht prinzipiell wollen kann. Er muß vielmehr zugleich wollen, daß über alle Allgemeingültigkeit hinaus noch etwas Eigenes in seinem Verhalten sei, was an seiner Stelle kein Anderer tun sollte oder dürfte. Verzichtet er hierauf, so ist er eine bloße Nummer in der Menge, durch jeden Anderen ersetzbar, seine persönliche Existenz ist vergeblich, sinnlos.“

Ding an sich ist das Ding, wie es unabhängig von einem erkennenden Subjekt für sich selbst besteht, das wahre Sein, dessen Erscheinungen die empirischen Dinge sind, auf welches eben die Erscheinungen hinweisen. Wir erkennen ein Ding als Gegenstand unserer Wahrnehmung nur so, wie es uns - eingekleidet in den Ausbauungsformen von raum und Zeit, in den Kategorien und Verstandesgesetzen - so erscheint. Wie es an sich beschaffen ist, werden wir niemals erfahren. (Frei nach: Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781).

Immanuel Kant (1724-1804), Werke ():
1) 1747-1758: Dominanz der Naturwissenschaften ():
- Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1747)
- Untersuchung der Frage, ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse einige
Veränderungen seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe
(1754)
- Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels
(1755)
- Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens (1756)
- Von den Ursachen der Erderschütterungen (1756)
- Entwurf und Ankündigung eines Collegii über die physische Geographie
nebst ... Betrachtung über die Frage, ob die Westwinde in unseren Gegenden
darum feucht sind, weil sie über ein großes Meer streichen
(1757)
- Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe (1758)
2) 1758-1781: Von der Wollfschen zur kritischen Metaphysik ():
- Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (1759)
- Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren (1762)
- Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes
(1763)
- Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen
(1763)
- Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen
(1764)
- Versuch über die Krankheiten des Kopfes
(1764)
- Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral
(1764)
- Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
(1766)
- Von dem ersten Grunde des Unterschieds der Gegenden im Raume
(1768)
- Über Form und Grundlagen der Wahrnehmungs- und der Vernunftwelt
(1770)
- De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770)
- Rezension der Schrift von Moscati über den Unterschied der Struktur der Tiere und Menschen (1771)
- Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775)
3) 1781-1793: Kants kritische Philosophie (Kritizismus []):
- Kritik der reinen Vernunft (1781)
- Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (1783)
- Über Schulz' Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre (1783)
- Ideen zur einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784)
- Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784)
- Rezension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
(1785)
- Über die Bestimmung des Begriffes einer Menschenrasse (1785)
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785)
- Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786)
- Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786)
- Über Hufelands Grundsatz des Naturrechts (1786)
- Was heißt: sich im Denken orientieren?  (1786)
- Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788)
- Kritik der praktischen Vernunft (1788)
- Kritik der Urteilskraft
(1790)
- Über Schwärmerei und die Mittel dagegen
(1790)
- Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche der Theodizee (1791)
- Über die von der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisaufgabe:
Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibniz' und Wolffs Zeiten gemacht hat?
(1791)
- Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
(1793)
- Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793)
4) 1793-1804: Kants nachkritische Phase (Bindeglied zwischen vollendetem Kritizismus [] und Deutschem Idealismus)
- Über Philosophie überhaupt (1794)
- Etwas über den Einfluß des Mondes auf die Witterung
(1794)
- Das Ende aller Dinge
(1794)
- Zum ewigen Frieden
(1795)
- Zu Sömmering über das Organ der Seele (1796)
- Ausgleichung eines auf Mißverstand beruhenden mathematischen Streits (1796)
- Metaphysik der Sitten
(1797):
I) Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre
II) Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre
- Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen
(1797)
- Der Streit der Fakultäten (1798)
- Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
(1798)
- Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre (1799)
u.a.

Dialektik bezeichnete im Abendland bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die übliche (Schul-)Logik, und hier heißt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts: bis zum Deutschen Idealismus. Laut Kant ist Dialektik ein Pseudophilosophieren beziehungsweise eine „Dialektik des Scheins“, weil sie allein durch die Vernunft, ohne die notwendige Stützung auf die Erfahrung, zu Erkenntnissen (metaphysischer Art) kommen will. Kants „transzendentale Dialektik“ ist also eine „Kritik des dialektischen Scheins“, eine „Kritik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs“, sofern sie sich übernatürlicher Erkenntnisse rühmen. „Wissenschaftlich“ ist die Dialektik von Fichte und Hegel. Kants Dialektik ist transzendental, Fichtes Dialektik ist subjektiv (später auch objektiv), Hegels Dialektik ist objektiv, Schellings Dialektik ist zunächst objektiv und dann magisch bzw. romantisch (wie bei den Brüdern Schlegel, vgl. Romantik). Laut Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ist die Dialektik „die wissenschaftliche Anwendung der in der Natur des Denkens liegenden Gesetzmäßigkeit und zugleich diese Gesetzmäßigkeit selbst“, als die Bewegung, die als eigentlich geistige Wirklichkeit allem zugrunde liegt, und zugleich die des menschlichen Denkens, das als Spekulation an dieser Bewegung allumfassenden. absoluten Anteil hat.

Deutscher Idealismus (Idealismus) meint - fußend auf Leibniz und vorbereitet u.a. durch Lessing und Herder - die Entwicklung der deutschen Philosophie von Kant (um 1780) bis Hegel (um 1830), aber auch die philosophische Grundhaltung der deutschen Romantik (Jenaer Frühromantik-Kreis um die Brüder Schlegel und Heidelberger Romantik um Brentano, Görres, Grimm u.a.). Bei Schiller strahlte z.B. der Menschenbildungs-Idealismus ganz besonders - wie ein Stern. Schelling z.B. stand auf dem Boden des Deutschen Idealismus, war mit Fichte und Hegel zusammen dessen Hauptvertreter und bildete den Übergang des Idealismus zur Romantik. Er wurde wegen seiner steten Wandlung auch der Proteus der Philosophie genannt. Im Anschluß an Kant und Fichte entwarf Schelling eine spekulative Naturphilosophie der Hierarchie der Naturkräfte (Potenzen), die schließlich in eine Identitätsphilosophie mündete: Die Gegensätze von Subjekt und Objekt, von Realem und Idealem, Natur und Geist lösen sich für ihn im Absoluten auf als Identität von Idealem und Realem. Nach Schelling ist dieses Absolute unmittelbar erfaßbar durch die intellektuelle Anschauung und in der Kunst. (Vgl. Tabelle [Idealismus]).

- Hegelsche Rechte (Rechts- / Althegelianer): Carl Friedrich Göschel, G. A. Gabler, K. Daub, E. T. Echtermeyer, B. Bauer (wechselte später zu den Links-/Junghegelianer, von denen er sich aber bald trennte) u.a..
- Hegelsches Zentrum (Mittlere Hegelianer): E. Gans, K. L. Michelet, J. K. F. Rosenkranz, E. Kapp, J. E. Erdmann u.a..
- Hegelsche Linke (Links- / Junghegelianer): A. Ruge, L. Feuerbach, D. F. Strauß, M. Stirner, B. Bauer (war zuvor und später wieder Rechts-/Althegelianer), K. Marx, F. Engels u.a.. Aus dem Links- oder Junghegelianismus entwickelte sich der Radikalismus des Vormärz.

Aufheben bedeutet in der Dialektik Hegels, der Mehrdeutigkeit des Wortes entsprechend, sowohl emporheben als auch bewahren, als auch vernichten (negieren). Das in der Thesis Gesetzte wird in der Antithesis aufgehoben, d.h. negiert, und dann durch Negation der Negation von neuem gesetzt, jetzt aber auf einem erhöhten, über den Ausgangspunkt der dialektischen Bewegung emporgehobenen Niveau. Daraus ergibt sich die Synthesis, die die Thesis in erhöhter Form in sich bewahrt, d.h. aufhebt. (Vgl. Dialektik).

Zu Hegel (1770-1831) - analog zu Platon (427-347) - heißt es bei Rüdiger Safranski u.a.: „Wie schon bei Platon das Wissen der Grenze die Einsicht in die Unvermeidlichkeit des Krieges bedeutete, so führt auch bei Hegel die Lebensnotwendigkeit der Grenze zur Realdialektik der miteinander kämpfenden Gegensätze, deren abstrakte Form als These und Antithese harmlos klingt. In Wirklichkeit aber verbirgt sich dahinter der Kampf um Tod und Leben. Im Krieg der Dialektik ist die Synthese zumeist der schlecht verhüllte Triumph jeweils einer Partei, die durch Versöhnung zur Herrschaft kommt. Doch der Sieger bleibt nicht, was er vorher war, er nimmt vom Unterlegenen etwas in sich auf, er verwandelt es und wird selbst dadurch verwandelt. Weltgeschichte ist eine Geschichte von Widersprüchen, die sich nicht auflösen lassen, sondern so lange ausgefochten werden, bis es Sieger und Verlierer gibt.“ (Rüdiger Safranski, Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?,  2003, S. 40-41). Zu Platon und Hegel vgl. auch den Unterschied zwischen Homologie und Analogie!). Philosophie

Alexander von Humboldt (1769-1859) bereiste nach Beendigung vorwiegend technologischer und naturhistorischer Studien in Frankfurt (Oder), Berlin und Göttingen Westeuropa - seit 1790 mit dem Reiseschriftsteller Johann Georg Forster (1754-1794). Von 1799 bis 1804 führte Humboldt in Lateinamerika genaue Ortsbestimmungen und Höhenmessungen durch (u. a. die Bestimmung des Verlaufs des Rio Casiquare, Besteigung des Chimbarazo) und maß die Temperaturen des später nach ihm benannten Humboldtstroms - eine kalte, nordwärts gerichtete Meeresströmung vor der Westküste Südamerikas mit großem klimatischen Einfluß auf die Küstengebiete Nord-Chiles und Perus. Von 1807 bis 1827 lebte Humboldt in Paris und wertete in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus den verschiedensten Ländern der Welt seine Amerikareise aus. Das 30bändige Werk „Reise in die Äquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents: 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 und 1804“ (1805-1834) ist seine bedeutendste wissenschaftliche Leistung. 1827 kehrte Humboldt nach Berlin zurück und hielt hier seine berühmten Vorlesungen über die physische Weltbeschreibung. 1829 unternahm er eine Expedition ins asiatische Rußland, deren wichtigstes Resultat die in Zusammenarbeit mit Carl Friedrich Gauß (1777-1855) erfolgte Organisation eines weltweiten Netzes magnetischer Beobachtungstationen war. Seit 1830 wieder in Berlin, begann Humboldt mit der Darstellung des gesamten Wissens über die Erde („Kosmos - Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“, hrsg. seit 1845). Humboldt hatte auf seinen Reisen riesige Mengen botanischen (über 60 000 Pflanzen) und geologischen Materials gesammelt; er hatte die Abnahme der magnetischen Feldstärke vom Pol zum Äquator registriert und Meteoritenschwärme beobachtet; er zeichnete Isothermen und berichtete über Sprachen, Kultur und Kunst der Indianer. (Zur Sprache vgl. auch seinen Bruder Wilhelm von Humboldt). Alexander von Humboldt widmete sein Werk Ideen zu einer Geographie der Pflanzen, nebst einem Naturgemälde der Tropenländer (1807) Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), dem Autor des Versuchs, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären (1790) denn Humboldt nahm an Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten regen Anteil. Goethe, in seinen Wahlverwandtschaften (2. Teil, 8. Kapitel; 1809) ganz besonders auch Alexander von Humboldt erwähnend, urteilte über den Universalgelehrten: „Man könnte sagen, er hat an Kenntnissen und lebendigem Wissen nicht seinesgleichen. Und eine Vielseitigkeit, wie es mir gleichfalls noch nicht vorgekommen ist.“ (Goethe zu Eckermann; 11.12.1826). Alexander von Humboldt war schon in jungen Jahren die Personifikation dessen, was Goethe im doch eher provinziellen Weimar empfand, „wenn Männer wie Alexander von Humboldt hier durchkommen, und mich in dem, was ich suche und mir zu wissen nötig, in einem einzigen Tage weiter bringen, als ich sonst auf meinem einsamen Wege in Jahren nicht erreicht hätte.“ (Goethe zu Eckermann; 03.05.1829). Alexander von Humboldt leistete durch seine Reisen und Berichte, seine Forschungem und Entdeckungen unter anderem wesentliche Beiträge zur Meeres-, Wetter-, Klima- und Lanschaftskunde. Er förderte durch eigene Forschungen fast alle Naturwissenschaften der damaligen Zeit.

Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt (1769-1859) hatte sich natürlich dazu entschlossen, nicht mehr von der Erde auszugehen, um von ihr aus in den unendlichen Raum zu blicken, sondern - (ganz modern!) dem Geist seiner und unserer Zeit gemäß - einen beliebigen Standort im äußeren (!) Raum - also: die Unendlichkeit als Standort (!) - gewählt, um von dort her, wie ein Besucher von einem fremden Stern, sich der Erde zu nähern: „Wir beginnen mit den Tiefen des Weltraums und der Region der fernsten Nebelflecke, stufenweise herabsteigend durch die Sternschicht, der unser Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid, seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung, zu der Lebensfülle, welche vom Licht angeregt sich an seiner Oberfläche entfaltet ... Hier wird nicht mehr von dem subjektiven Standpunkt, von dem menschlichen Interesse ausgegangen. Das Irdische darf nur als Teil des Ganzen, als diesem untergeordnet erscheinen. Die Natursicht soll allgemein, sie soll groß und frei, nicht durch Motive der Nähe, des gemütlichen Anteils ... beengt sein. Eine physische Weltbeschreibung, ein Weltgemälde beginnt daher nicht mit dem Tellurischen, sie beginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Aber indem sich die Sphären der Anschauung räumlich verengen, vermehrt sich der individuelle Reichtum des Unterscheidbaren, die Fülle physischer Erscheinungen ... Aus den Regionen, in denen wir nur die Herrschaft der Gravitationsgesetze erkennen, steigen wir dann zu unserem Planeten ... herab.“ (Alexander von Humboldt, Kosmos - Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, 1845, in der Neubearbeitung: S. 38-40).

„In seinem »Kosmos« sah Humboldt einen universellen Bauplan, in dem das Ganze und der Mensch in steter Wechselwirkung stehen. Er hatte den Ehrgeiz, in allen Einzeldisziplinen das damals Beste aufzubieten .... Was Humboldt in seinem »Kosmos« vorgeschwebt haben muß, war das Gedicht der Welt. Und das ist, was dieser große Deutsche heute noch in uns entzünden kann, nämlich die Begeisterung über die Poesie des Wissens.“ (Matthias Matussek, Wir Deutschen, 2006, S. 287).

Carl Friedrich Gauß (1777-1855) verschwieg dreißig Jahre lang seine Entdeckungen der nichteuklidischen Geometrien, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu Recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. (Esoterik). Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones Arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 20-22). - Nach Gauß benannt sind u.a.:
- G (Gauß) = Einheitszeichen der magnetischen Flußdichte (magnetische Induktion).
- Gauß-Krüger-Abbildung (Projektion): eine konforme Abbildung eines auf dem Erdellipsoid liegenden geographischen Koordinatensystems in ein ebenes kartesisches Koordinatensystem. Wurde in Deutschland, später auch in zahlreichen anderen Ländern eingeführt.
- Gaußsche Abbildung (Projektion): die idealisierte optische Abbildung, bei der durch die Abbildungsgleichungen alle Geraden und Ebenen des Dingraumes in Geraden bzw. Ebenen des Bildraumes abgebildet werden.
- Gaußsche Gleichung: die bei einer optischen Abbildung durch eine einzelne brechende Kugelfläche (Radius r) zwischen den Schnittweiten (s, s') und Brennweiten (f, f') geltende Beziehung: n' / s' + n / s = (n' - n) / r = n' / f' = n / f, wobei n und n' die Brechungsindizes im Dingraum bzw. Bildraum sind.
- Gaußsche Glockenkurve: Graph der Wahrscheinlichkeitsdichte (siehe: Gaußsche Normalverteilung bzw. Gauß-Verteilung).
- Gaußsche Koordinaten: Koordinaten auf gekrümmten Flächen (krummlinige Flächen), z.B. geographische Länge und Breite auf einer Kugel.
- Gaußsche Krümmung: Krümmungsmaß; in der Theorie der Flächen im dreidimensionalen Raum der wichtigste Krümmungsbegriff neben der mittleren Krümmung.
- Gaußsche Normalverteilung: siehe: Gauß-Verteilung.
- Gaußsche Zahlen: eine Verallgemeinerung der ganzen Zahlen in den komplexen Zahlen. Jede Gaußsche Zahl liegt auf einem ganzzahligen Koordinatenpunkt der komplexen Ebene. Die Gaußschen Zahlen bilden den Ganzheitsring des quadratischen Zahlkörpers Q(i) und insbesondere einen ZPE-Ring und sogar einen euklidischen Ring. Eine Gaußsche Zahl g ist durch g = a + bi gegeben, wobei a und b ganze Zahlen sind.
- Gaußsche Zahlenebene: eine Ebene mit einem kartesischen Koordinatensystem zur Darstellung der komplexen Zahlen; die Abzisse (x-Achse) liefert den Realteil, die Ordinate (y-Achse) den Imaginärteil. Jedem Punkt der Gaußschen Zahlenebene ist genau eine komplexe Zahl zugeordnet und umgekehrt. Gauß
- Gauß-Typ: photographische Objektive vom Gauß-Typ, d.h. durch symmetrische Verdoppelung des von Gauß angegebenen Fernrohrobjektivs geschaffene Doppelanastigmate (Doppel-Gauß-Varianten), z.B. Gauß-Typ 1. Art (innere Linsenglieder zerstreuend, äußere sammelnd), Gauß-Typ 2. Art (innere Glieder sammelnd, äußere zersteuend).
- Gauß-Verteilung: Wahrscheinlichkeitsverteilung (bzw. Normalverteilung), die die Fehlerverteilung bei unendlich vielen Einzelmessungen einer Größe (Zufallsvariable) angibt, wenn bei diesen (abgesehen von einem stets gleichen systematischen Fehler) nur zufällige Fehler auftreten.

Die internationale „Schopenhauer-Gesellschaft“ wurde von einem der vielen Schopenhauer-Anhängern, dem Nietzsche-Freund Paul Deussen (1845-1919) und die beiden Schüler Gwinner und Kohler, am 30.11.1911 gegründet mit dem Ziel, „das Studium und das Verständnis der Schopenhauerschen Philosophie zu fördern“. Diesem Ziel dienen das Schopenhauer-Archiv, als Zentralstelle der Schopenhauer-Forschung, die seit 1912 erscheinenden Jahrbücher der Gesellschaft und ihre internationalen „wissenschaftlichen“ Tagungen. Deussen war übrigens auch Übersetzer und Darsteller der indischen Philosophie, deren Gedanken er mit der Philosophie Schopenhauers zu einer Metaphysik vereinigte. (Vgl. Schopenhauer und Übersicht).

Zum Unfehlbarkeitsdogma von Papst Pius IX. (reg. 1846-1878): „Die Unfehlbarkeits-Konstitution besteht aus vier Kapiteln, deren erstes den Jurisdiktionsprimat des Papstes als ein unmittelbar von Jesus verliehenes Privileg bezeichnet, obwohl Jesus gar nichts davon gewußt hat. Das vierte Kapitel definiert die Unfehlbarkeit im Sinne eines absolutistischen Machtanspruchs in bis dahin nicht gekannter Ausschließlichkeit. Der Papst leitete daraus das Recht ab, sich als absoluten Mittelpunkt der Kirche zu sehen. Die Proteste und Vorbehalte vor, während und nach dem Konzil; die Abspaltung der von Ignaz von Döllinger sich herleitenden altkatholischen Kirche (vgl. Altkatholiken); die heute wieder aufgeworfenen Fragen nach der Essenz dieser Unfehlbarkeit im Zusammenhang mit der kircheninternen Verabsolutierung der Machtstellung des Papstes erweisen, daß das Dogma über hundert Jahre später nicht mehr kritiklos hingenommen werden kann und sein zum Teil höchst irdisches Zustandekommen theologiekritisch untersucht werden muß. ... Der Unfehlbarkeits-Papst ging noch einmal rücksichtslos gegen die Juden vor. Es kam zu zahllosen Schikanen und, unter zweifelhaftesten Umständen, zu Kinderraub und Zwangstaufen, bis hin zu dem ganz Europa tief erregenden Raub des Knaben Edgar Mortara aus Bologna, einer Untat, gegen die, neben den größten Organisationen und Persönlichkeiten höchsten Ranges, Napoleon III. und Kaiser Franz Joseph vergebens protestiert haben. So ist dieser Papst als eine der zwiespältigsten Erscheinungen in die Geschichte der Neuzeit eingegangen.“ (Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 365-366). Wie Kühner meinen auch wir, daß die Verkündigung des Dogmas von der Unfehlbarkeit der Päpste (18.07.1870) - einen Tag vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges (19.07.1870) - für den gefühlsseligen Papst Pius IX. den Höhepunkt seines Pontifikates bedeutete.

Ignaz von Döllinger (1799-1890), deutscher katholischer Theologe und Kirchenhistoriker, war seit 1823 Professor in Aschaffenburg und seit 1826 in München - wesentlich beeinflußt von der von Frankreich nach Deutschland übergreifenden kirchlichen Erneuerung und deren Verbindung mit der katholischen Romantik. Als ultraKonservativer Publizist umstritten, als Kirchenhistoriker von Rang ausgewiesen, erreichte er den Höhepunkt seines Einflusses als Berater der deutschen Bischöfe (vgl. Bischofskonferenz in Würzburg, 1848) und als Wortführer der katholischen Rechten in der Paulskirche (1848/49). Döllinger geriet seit den 1860er Jahren in wachsenden Gegensatz zur römischen Kurie. Er erklärte nach dem 1. Vatikanischen Konzil (1869-1870), das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht akzeptieren zu können. (Vgl. das auf dem 20. Konzil verkündete Unfehlbarkeitsdogma). Damit gab Döllinger der Kirche der Altkatholiken (unter Döllingers Führung entstanden) ihre theologische Grundlage. Döllinger wurde 1871 exkommuniziert. - Werke u.a: Die Reformation (1846-1848); Christentum und Kirche (1860); Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchenstaat (1861).

Altkatholiken (Alt-Katholiken), Angehörige einer katholischen Reformkirche, gingen hervor aus der Ablehnung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes (vgl. Unfehlbarkeitsdogma) in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre auf dem 20. Konzil (1869-1870; 1. Vatikan. Konzil). Unter Führung des Kirchenhistorikers Ignaz von Döllinger (1799-1890) schlossen sich die Altkatholiken zusammen - eintretend für: Einführung der Volksprache, Aufhebung der Ablässe, der Zölibatsverpflichtung, des Verbotes der Feuerbestattung und der Verpflichtung zur jährlichen Einzelbeichte. Vor allem wurde die Stellung der Laien in der Kirche gestärkt. Als erster Bischof wurde der Breslauer Theologieprofessor Joseph Hubert Reinkens (1821-1896) 1873 geweiht (den der Papst 1872 exkommuniziert hatte). 1889 vereinigten sich die deutschen Altkatholiken mit östereichischen, schweizerischen und niederländischen Verwandten.

Vom Kirchenstaat übrig blieb nur ein Kern: „Vatikanstadt“ - 1929 durch die sogenannten „Lateranverträge“ als souveräner Staat anerkannt (Unterzeichnung des Vertrages: 11.02.1929), wodurch das italienische „Garantiegesetz“ (13.05.1871; vom Papst abgelehnt) aufgehoben und somit die „Römische Frage“ für gelöst erklärt wurde (sie war also 58 Jahre lang, von 1871 bis 1929, offen geblieben). Nach diesem Staatsgrundgesetz ist Vatikanstadt eine absolute Monarchie mit dem Papst als Staatsoberhaupt. Er hat zugleich die höchste legislative, exekutive und judikative Gewalt inne und regiert mit Hilfe von ihm abhängiger Organe (vgl. Kurie). Im internationalen Bereich bezeichnet „Heiliger Stuhl“ (Apostolischer Stuhl; lat. Sedes Apostolica oder Sancta Sedes) den Papst als die rechtliche Vertretung der gesamten römisch-katholischen Kirche. Dem „Heiliger Stuhl“ ist also die Souveranität in internationalen Beziehungen garantiert. Zwar wird von „geistlicher“ Souveränität gesprochen, doch in Wirklichkeit umhüllt dieser „Euphemismus“ die tatsächlich weiterhin existierende Macht des Papstums. Und diesen Trick beherrscht das Papsttum schon seit seiner ersten Phase (0-2) ! (Vgl. auch: Primat).

Barthold Georg Niebuhr (27.08.1776 - 02.01.1831) hielt grundlegende Vorlesungen besonders in römischer Geschichte, aus denen später auch sein Hauptwerk hervorging („Römische Geschichte“) hervorging. Niebuhrs Bedeutung beruht vor allem auf seiner quellenkritischen Methode, mit der er wesentlich zum Aufstieg der deutschen Geschichtswissenschaft beitrug.

Vgl. Oswald Spengler (29.05.1880 - 08.05.1936), Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 224, S. 880, S. 971, S. 996. Spengler

Vgl. Karl Jaspers (23.02.1883 - 26.02.1969), Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949.

Peter Scholl-Latour: Die Macht der Plutokratie, in: Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?, 2002, S. 41-44, hier besonders: S. 44.. (PlutokratiePlutokratiePlutokratie).

Diese Anmerkung stammt von mir und nicht vom „Meister“ selbst, der genau 161 Jahre vor mir geboren wurde: Leopold von Ranke !

„Aufs Ganze gesehen hat sich aber das Wissen um Geschichte seit den Zeiten Niebuhrs und Rankes beträchtlich vermehrt. In zweihundertjähriger Forschungsarbeit sind wesentliche Epochen, Fakten und Vorgänge mit immer verfeinerteren Methoden rekonstruiert worden. Diese Entwicklung blieb nicht auf die Fachwelt beschränkt. Der Geschichtsunterricht bemühte sich um die Weitergabe der gewonnenen Erkenntnisse, historische Stätten wurden restauriert, historische Gegenstände in Museen und Ausstellungen dem interessierten Publikum zugänglich gemacht, die populäre Geschichtsliteratur schwoll stetig an. »Wer Verschwundenes wieder ins Dasein zurückruft, genießt die Seligkeit des Schaffens«, heißt es bei Niebuhr. Er verweist damit auf die schöpferische, konstruktive Kraft der Geschichtswissenschaft, der es gelungen ist, längst Entschwundenes zu verlebendigen. Sie hat somit die Voraussetzungen für eine neue und eigentümliche Form historischer Konstanz geschaffen. Die sich real vollziehende Geschichte wird seit zwei Jahrhunderten nicht mehr nur von punktuellen Reminiszenzen, von mehr oder weniger schemenhaften Erinnerungen begleitet, sondern gleichsam von einem ständigen ideellen Pendant: dem wachsenden Wissen vieler Menschen um ihre Vergangenheit. Damit ist neben die eigentliche Geschichte gewissermaßen eine virtuelle historische Welt getreten: Geschichte ist nicht mehr lediglich abgelaufenes Geschehen, sondern zugleich »Wille und Vorstellung« im weitesten Sinne.“ (Ulrich March, Geschichte als »Wille und Vorstellung«, in: Dauer und Wiederkehr - Historisch-politische Konstanten, 2005, S. 124).

Zufall und Schicksal (also ohne Kausalität [?]): Was Gesetz, Regel, Ordnung, Schicksal, Notwendigkeit, Zwang oder gar der Wille Gottes genannt wird, ist nicht denkbar ohne die andere Seite: Zufall, Ausnahme, Chaos, Kontingenz, Freiheit, Glück oder der Wille Satans, also der Wille des Teufels, der Wille eines Verbrechers - und auch deshalb sagt Mephistopheles: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, // Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. // ... Ich bin der Geist, der stets verneint ! // Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, // Ist wert, daß es zugrunde geht; // Drum besser wärs, daß nichts entstünde. // So ist denn alles, was ihr Sünde, // Zerstörung, kurz das Böse nennt, // Mein eigentliches Element.“ (Johann Wolfgang Goethe, Faust, 1790 [1808], S. 64-67): Faust wundert sich, daß Mephistopheles, da er sich doch nur einen Teil nennt, trotzdem ganz vor ihm steht. Darauf antwortet Mephistopheles: „Bescheidne Wahrheit sprech ich dir. // Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, // Gewöhnlich für ein Ganzes hält - // Ich bin eine Teil des Teils, der anfangs alles war, // Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, // Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht // Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.“ (ebd., S. 67). Gewöhnlich - so halten unter den Menschen auch die Wissenschaftler sich und ihre kleine Narenwelt für ein Ganzes und suchen in ihren Phänomenen das Gesetzte, das Gesetz - aus ihnen spricht also immer noch der große Theologe, der, wenn er von Gottes Gesetz spricht, dasselbe meint wie der Theoretiker, der von den Naturgesetzen spricht. In Wahrheit ist es so, daß der Zufall das Gesetz und das Gesetz den Zufall erzwingt. Es lauert im Zufall das Gesetz und im Gesetz der Zufall. Praktisch jedoch wollen die meisten der faustischen Abendländer - ob sie Wissenschaftler oder Intellektuelle, Juristen oder Politiker, Päpste oder Kritiker heißen - dieser Einsicht nicht folgen, denn für sie gilt, was der oberste Gesetzgeber gesetzt hat: das Gesetz. Der eine Gott für die Abendland-Christen läßt das „Wunder“ zu (und das ist kein Zufall!), auf der weltlichen Bühne gehen die Päpste des Abendlandes für ihre Christen von der menschlichen „Sünde“ aus (auch das ist kein Zufall!), gehen die juristischen Richter des Abendlandes für ihre Verbrecher vom menschlichen „Fehler“ aus (auch das ist kein Zufall!), gehen die intellektuellen Richter des Abendlandes für ihre Wissenschaftler u.s.w. vom technischen „Unfall“ aus (auch das ist kein Zufall!). Zwar haben immerhin einige Intellektuelle, zuerst die Philosophen und Juristen, es aus methodischen Interessen heraus geschafft, Handlungen von Ereignissen zu unterscheiden und überhaupt die Ereignisse ganz scharf zu trennen, nämlich das scheinbar willkürliche Ereignis (vgl. Vis maior, Höhere Gewalt, Act of God u.s.w.) von der Koinzidenz als dem Zusammenfall zweier Ereignisse, doch der Zufall selbst konnte dadurch und eben wegen jener methodischen Interessen lediglich ausgegrenzt werden. Und: Unsere Gesetzgeber kennen und unterstellen zwar eine Gewaltspirale, aber keine Geschichtsspirale, zudem akzeptieren die weltlichen Gesetzgeber zwar einen Wirtschaftszyklus, aber keinen Kulturzyklus. Vgl. auch: Zyklisches Geschichtsmodell der Kulturmorphologie.

Nihilismius (lat. nihil, „nichts“), Standpunkt der absoluten Negation, ist ein von Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) in seinem „Sendschreiben an Fichte“ (1799) eingeführter Terminus. Der theoretische Nihilismus verneint die Möglichkeit einer Erkenntnis der Wahrheit (wie der Agnostizismus die Erkennbarkeit des wahren Seins), der ethische die Werte und Normen des Handelns, der politische jede irgendwie geartete Gesellschaftsordnung. Vielfach ist der Nihilismus nur ein radikaler Skeptizismus. Vgl. z.B. Schopenhauer (1788-1860), Nietzsche (1844-1900) u.a.. Man muß sich nur bestimmte Namen (z.B. Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Goethe u.s.w.) in Erinnerung rufen, um festzustellen, daß es natürlich kein Zufall ist, wenn der Nihilismus in allen Kulturen in der Phase des Idealismus entsteht. Er stellt eine Reaktion auf die klassische (auch „klassizistisch“ genannte), auf die („napoleonisch“) unumschränkt herrschende idealistische Allmacht dar. Er entwickelt sich also als unmittelbare Folge auf den Idealismus und erreicht seinen Höhepunkt - eher sollte man von „Tiefpunkt“ sprechen -, wenn die „Klassiker“ endgültig von der Bühne abgetreten sind und sich das Gefühl durchsetzt, daß die obersten Werte sich entwerten, jene Werte, die allem Tun und Leiden der Menschen erst Sinn geben, daß es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben oder zu sterben lohnt, daß das Bewußtsein aufkommt, es sei alles umsonst. Alles, was ist, auch das menschliche Erkennen, ist ab jetzt Erscheinungsform des Willens zur Macht; hier gibt es kein absolutes Sein mehr, denn Sein ist ab jetzt Werden, aber kein endloses Neuwerden, sondern „ewige Wiederkehr“ dessen, was schon unendlich oft dagewesen ist. „Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht“. (Nietzsche). So sehr Wahres in Nietzsches Aussagen steckt, so sehr sind bestimmte spätere Folgen, die sich daraus für Menschen ergeben können (nicht müssen!), als ein wohl kaum noch zu therapierendes Symptom zu bezeichnen, das sich in einer „180°-Drehung“ (Negation der Negation, Hegel) und schließlich in einer absoluten Selbst-Negation ausdrücken kann. Überwinden sollte Nietzsches „Sei du selbst“ (NietzscheNietzscheNietzsche) den „Scheinmenschen“, den Heidegger (1889-1976) später als „Man“ bezeichnete, aber nach dem alles entscheidenden Weltmachtskrieg sollte es besonders auf der Seite der Kriegsverlierer einen Seitenwechsel geben, zwar kein Aufheben des „Sei du selbst“, aber eine neo-nihilistische Uminterpretation in ein „Sei du selbst der alliierte Sieger“ (auch als Verlierer!?). Später, im „Postnihilismus“ gelang die „180°-Drehung“ mit dem Slogan „Sei du selbst der Fremde“ („Sei du selbst der Ausländer“). Also war man spätestens seit etwa 1968 Sieger statt Verlierer und später auch Ausländer(In) statt Inländer(In). Man war immer nur der gute Mensch, zwar ein selbstbewußtloser, aber gut. „Und das ist auch gut so“, wurde zu einer ernst gemeinten Rechtfertigung der völlig Verunsicherten. Die Tatsachen wurden verdreht, man machte die ältere Generation einfach zum Buhmann, die entweder abzutreibende oder abzuschreibende jüngste Generation zum Scheidungsproblem und wähnte sich dennoch als der ewig gute, stets moralisch die Grundstellung einnehmende Missionar. Ohne Geschichte wirklich (!) zu bedenken, bestand die nach dem 2. Weltkrieg erfolgte „Geschichtsverarbeitung“ also darin, sich selbst zu verleugnen. Heute ist es nicht mehr nur die elterliche Herkunft, sondern sogar die eigene Sprache, die verleugnet wird: „Wir können alles, außer Hochdeutsch“ (!). Hochdeutsch entwickelte sich primär aus dem Oberdeutschen (Alemannisch, Bairisch). (Vgl. DEUTSCH: AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD,  Früh-NHD, Klassisches NHD, Hochklassik des NHD und Spät-NHD).

 

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