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Philosophie
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-   E i n e   G e s c h i c h t e   -

Elemente
Glaube-Wissen-Glaube
Tabelle
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Die Geschichte der antiken Philosophie hat sehr viel zu tun mit der Geschichte der Alphabetschrift, ist fast sogar identisch mit ihr, wenn man von der Alphabetschrift-mit-Vokalen (!), der griechischen Schrift ausgeht. Zwar entwickelten die Phöniker (Phönizier) die erste Alphabetschrift - vollendet war sie sie gegen Ende des 14. Jahrhunderts v. Chr.-, doch diese erste Alphabetschrift bestand nur aus Konsonanten. Vielleicht noch im 14., aber wohl eher im 13. Jahrhundert v. Chr., als auch die Dorische Wanderung begann, übernahmen die Griechen die phönikische Schrift und erweiterten sie, denn die Griechen führten erstmals Vokale in das Alphabet ein, weil für sie einige der phönikischen Konsonanten überflüssig waren. Diese Redundanz war es also, die es den Griechen ermöglichte, das konsonantischeische Alphabet um Vokale zu erweitern, indem sie die überflüssigen Konsonanten nicht einfach eliminierten, sondern zu Vokalen erklärten und dadurch ein revolutionäres Alphabet einführten. Das griechische Alphabet ermöglichte durch die eingeführten Vokale erstmals eine lautgetreue Wiedergabe der Silben, Wörter, Sätze, des Textes. Das ist die griechische Schrift! Die griechische Schrift hatte enorme Auswirkungen, denn „allein durch das Ereignis der griechischen Schrift konnte sich die ... Leser-Subjektivität entwickeln, deren starkes Merkmal in der Fähigkeit zum »Umgang mit Texten«, das heißt zum situationsunabhängigen Sinnverstehen, bestand. .... Dank aufgeschriebener Texte emanzipiert sich die Intelligenz vom Zwang des In-situ-Aufhalts (In-situ-Aufhalt) in mehr oder weniger verstehbaren Umständen. Das hat zur Konsequenz: Um eine Situation kognitiv zu bewältigen, muß ich nicht länger als ihr Teilnehmer in sie eintauchen und mit ihr in gewisser Weise verschmelzen, es reicht aus, ihre Beschreibung zu lesen - dabei steht es mir frei, zu bleiben, wo ich bin, und zu assoziieren, was ich will.“ (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 395). Die Schriftgeschichte ist in etwa identisch mit der Geschichte der Historiographie (Historiographie) und kann auch als eine Geschichte der Historienkultur beschrieben werden, doch muß berücksicht werden, daß diese eine Historienkultur aus mehreren Historienkulturen (Historienkulturen) besteht, und genau mitten in dieser Geschichte finden wir die antik-apollinische Kultur sowie das erste Alphabet und das revolutionäre Alphabet, das wir die griechische Schrift nennen. Dieser Einschnitt in die Schriftgeschichte war so gewaltig, daß man sogar sagen kann, er war für die von ihm betroffenen Menschen sogar ein Einschnitt in deren „In-der-Welt-Sein“ (In-der-Welt-Sein), denn mit und nach diesem Einschnitt spaltete sich „das In-der-Welt-Sein explizit in erlebte und in vorgestellte Situationen - besser gesagt, es gelingt den vorgestellten Situationen dank ihrer Verschriftlichung, das Monopol des Verstehens-durch-in-der-Situation-Sein zu brechen. Mit der griechischen Schrift beginnt das Abenteuer der Dekontextuierung von Sinn.“ (Peter Sloterdijk, ebd., S. 395-396). Es geht hier also um den Aufstand des Texts gegen den Kontext, das bedeutet: die Losreißung des Sinns von den gelebten Situationen. Die griechische Schrift emanzipierte mit der ständigen Einübung des dekontextuierenden Denkens - üblicherweise als Lesen bezeichnet - den Intellekt vom Zwang zur Teilhabe an realen Konstellationen. Die griechische Schrift erzeugte erstmals den „rein theoretischen Menschen“, der später Philosoph heißen sollte.

Eine Bestimmung für die „Liebe zur Weisheit“ anzugeben, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten, da die Philosophie im Unterschied zu den Fachwissenschaften keinen eigenen, eingeschränkten Gegenstandsbereich hat, über dessen Definition ihre Bestimmung laufen könnte, und da sie kein Lehrbuchwissen im strengen Sinne ausgebildet hat, das allgemein als philosophisches Wissen gelten könnte. Aber man kann vielleicht ein allgemein akzeptiertes Kennzeichen der Philosophie angeben, denn die Weisheitsliebe begreift sich als voraussetzungslos hinsichtlich der methodisch vorgetragenen Absicht, auch dort nach Gründen zu fragen, wo sich das alltägliche, aber auch das wissenschaftliche Bewußtsein mit faktisch akzeptierten Überzeugungen zufrieden gibt. Es gilt in der Philosophie der Grundsatz, daß nichts, was für gemeinsame Orientierungsbemühungen relevant ist, einem begründungsorientierten und in diesem Sinne philosophischen Diskurs entzogen werden kann und soll.

- Gnwqi sauton -

Erkenne dich selbst - diese Inschrift über dem Eingang des Apollontempels in Delphi wurde Thales von Milet (650-570) zugeschrieben. Das Wort „philosophos“ benutzte wohl zuerst Heraklit (544-483) - mit Hinweis auf die Bedeutung: „ein nach der Natur Forschender“ (Heraklit) -, im Sinne der „Liebe zur Weisheit“ wohl zuerst die sokratische Schule.

Sokrates (470-399) gründete seine Tugendlehre auf die Inschrift am Apollontempel in Delphi; er sah in der Selbsterkenntnis die Vorbedingung aller Tugend.

Abendländisch denkend, aber dennoch ähnlich wie Sokrates sah Kant (1724-1804) in der Selbsterkenntnis aller menschlichen Weisheit Anfang und Lessing (1729-1781) sogar den Mittelpunkt aller Weisheit, dagegen bekannte Goethe (1749-1832), daß ihm „die so bedeutend klingende Aufgabe: Erkenne dich selbst, immer verdächtig vorkam, als eine List geheim verbündeter Priester, die den Menschen durch unerreichbare Forderungen verwirren und von der Fähigkeit gegen die Außenwelt zu einer inneren falschen Beschaulichkeit verleiten wollten. Der Mensch kennt nur sich selbst, sofern er die Welt kennt, die er nur in sich, und sich nur in ihr gewahr wird. Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf.“ (Goethe, Bedeutende Fördernis, 1823). Das Erkenne-dich-selbst ging in unendlich ironischer Reflexion nahezu verloren, und so folgte eine Re-Integration des Einzelnen, z.B. bei Hegel (1770-1831), dessen Philosophie ein System von Rückbindungen des Einzelnen in das Allgemeine darstellt.

Erkenne dich selbst!

En de tw pronaw tw en DelfoiV gegrammena estin wfelhmata anqrwpoiV eV bion egrfh de upV andrwn ouV gensqai sofouV legousin EllhneV. outoi oun oi andreV afikomenoi eV Delfous tw Apllwni ta adomena
Gnwqi sauton kai Mhden agan.

In der Vorhalle des Tempels von Delphi
stehen Sprüche an der Wand, die den
Menschen für ihr Leben von Nutzen sind.
Hingeschrieben wurden sie von Männern,
die bei den Griechen als Weise gelten.
Diese Männer also kamen nach Delphi und
weihten dem Apoll die vielgepriesenen Sprüche
'Erkenne dich selbst' und 'Nichts allzu sehr'.
(Pausanias)

* Der erste Spruch wurde Thales (650-570), der
zweite Spruch Solon (640-560) zugeschrieben.

Was ist das - die Philosophie?
Martin Heidegger (1889-1976) mit seiner „Ant-wort“:

„Das griechische Wort filosofia geht auf das Wort filosofoV zurück. Dieses Wort ist ursprünglich ein Adiectivum wie filaruros, silberliebend, wie filotimioV, ehrliebend. Das Wort filosofoV wurde vermutlich von Heraklit geprägt (Heraklit). Dies besagt: für Heraklit gibt es noch nicht die filosofia. Ein duhr filosofoV ist nicht ein »philosophischer« Mensch. Das griechische Adiectivum filosofoV sagt etwas völlig anderes als die Adiectiva philosophisch, philosophique. Ein duhr filosofoV ist derjenige, oV filei to sofon, der das sofon liebt; filein, lieben, bedeutet hier im Sinne Heraklits: omologein, so sprechen, wie der logoV spricht, d.h. dem logoV entsprechen. Dieses Entsprechen steht im Einklang mit dem sofon. Einklang ist armonia. Dies, daß ein Wesen dem anderen wechselweise sich fügt, daß sich beide ursprünglich einander fügen, weil sie zueinander verfügt sind, diese armonia ist das Auszeichnende des heraklitisch gedachten filein, des Liebens. Das duhr filosofoV liebt das sofon. Was dieses Wort für Heraklit sagt, ist schwer zu übersetzen. Aber wir können es nach Heraklits eigener Auslegung erläutern. Demnach sagt to sofon dieses: En Panta, »Eines (ist) Alles«. »Alles«, das meint hier: Panta ta onta, das ganze, das All des Seienden. En, das Eins, meint: das Eine, Einzige, alles Einigende. Einig aber ist alles Seiende im Sein. Das sofon sagt: Alles Seiende ist im Sein. Schärfer gesagt: Das Sein ist das Seiende. Hierbei spricht »ist« transitiv und besagt soviel wie »versammelt«. Das Sein versammelt das Seiende darin, daß es Seiendes ist. Das Sein ist die Versammlung - logoV (vgl. Vorträge und Aufsätze, 1954, S. 207-229). Das Seiende ist im Sein. Solches zu hören, klingt für unser Ohr trivial, wenn nicht gar beleidigend. Denn darum, daß das Seiende in das Sein gehört, braucht sich niemand zu kümmern. Alle Welt weiß: Seiendes ist solches, was ist. Was steht dem Seienden anderes frei als: zu sein? Und dennoch: gerade dies, daß das Seiende im Sein versammelt bleibt, daß im Scheinen von Sein das Seiende erscheint, dies setzte die Griechen, und sie zuerst und sie allein, in das Erstaunen. Seiendes im Sein: dies wurde für die Griechen das Erstaunliche. Indessen mußten sogar die Griechen die Erstaunlichkeit dieses Erstaunlichsten retten und schützen - gegen den Zugriff des sophistischen Verstandes, der für alles eine für jedermann verständliche Erklärung bereit hatte und sie auf den Markt brachte. Die Rettung des Erstaunlichsten - Seiendes im Sein - geschah dadurch, daß sich einige auf den Weg machten in der Richtung auf dieses Erstaunlichste, d.h. des sofon. Sie wurden dadurch zu solchen, die nach dem sofon strebten und durch ihr eigenes Streben bei anderen Menschen die Sehnsucht nach dem sofon erweckten und wachhielten. Das Filein to sofon, jener schon genannte Einklang mit dem sofon, die armonia, wurde so zu einer arexiV, zu einem Streben nach dem sofon. Das sofon - das Seiende im sein - wird jetzt eigens gesucht. Weil das Fileinn nicht mehr ein ursprünglicher Einklang mit dem sofon ist, sondern ein besonderes Streben nach dem sofon, wird das filein to sofon zur filosofia. Denn das Streben wird durch den Eros bestimmt. Dieses strebende Suchen nach dem sofon, nach dem En Panta, nach dem Seienden im Sein wird jetzt zur Frage: Was ist das Seiende, insofern es ist? Das Denken wird jetzt erst zur »Philosophie«. (Martin Heidegger, Was ist das - die Philosophie?  [Vortrag, August 1955], 1956, S. 12-15).

„Wir selber müssen dem, wohin die Philosophie unterwegs ist, entgegenkommen. Unser Sprechen muß dem, wovon die Philosophen angesprochen sind, ent-sprechen. Wenn uns dieses Ent-sprechen glückt, dann ant-worten wir im echten Sinne auf die Frage: Was ist das - die Philosophie? Das deutsche Wort „antworten“ bedeutet eigentlich soviel wie ent-sprechen. .... Die Antwort auf die Frage: Was ist das - die Philosophie? besteht darin, daß wir dem entsprechen, wohin die Philosophie unterwegs ist. Und das ist: das Sein des Seienden. In solchem Entsprechen hören wir von Anfang an auf das, was die Philosophie uns schon zugesprochen hat .... Deshalb gelangen wir nur so in die Entsprechung, d.h. zur Antwort auf unsere Frage, daß wir im Gespräch mit dem bleiben, wohin uns die Überlieferung der Philosophie ausliefert, d.h. befreit. Wir finden die Antwort auf die Frage, was die Philosophie sei, nicht durch historische Aussagen über die Definition der Philosophie, sondern durch das Gespräch mit dem, was sich uns als das Sein des Seienden überliefert hat. .... Die Entsprechung zum Sein des Seienden bleibt zwar stets unser Aufenthalt. Doch nur zuzeiten wird sie zu einem von uns eigens übernommenen und sich entfaltenden Verhalten. Erst wenn dies geschieht, entsprechen wir erst eigentlich dem, was die Philosophie angeht, die zum Sein des Seienden unterwegs ist. Das Entsprechen zum Sein des Seienden ist die Philosophie; sie ist es aber erst dann, wenn das Entsprechen sich eigens vollzieht, dadurch sich entfaltet und diese Entfaltung ausbaut. Dieses Entsprechen geschieht auf verschiedene Weise, je nachdem der Zuspruch des Seins spricht, je nachdem er gehört oder überhört wird, je nachdem das Gehörte gesagt oder geschwiegen wird. .... Das Entsprechen ist notwendig und immer, nicht nur zufällig und bisweilen, ein gestimmtes. Es ist in einer Gestimmtheit. Und erst auf dem Grunde des Gestimmtheit (dis-position) empfängt das Sagen des Entsprechens seine Präzision, seine Be-stimmtheit. Als ge-stimmtes und be-stimmtes ist das Entsprechen wesenhaft in einer Stimmung. .... Wenn wir die Philosophie als das gestimmte Entsprechen kennzeichnen, dann wollen wir keineswegs das Denken dem zufälligen Wechsel und den Schwankungen von Gefühlszuständen ausliefern. Vielmehr handelt es sich einzig darum, darauf hinzuweisen, das jede Präzision des Sagens in einer Disposition des Entsprechens gründet, des Entsprechens sage ich, ... im Achten auf den Zuspruch.“ (Martin Heidegger, Was ist das - die Philosophie?  [Vortrag, August 1955], 1956, S. 20-24).

„Wir versuchen, auf die Stimme des Seins zu hören. In welche Stimmung bringt sie das ... Denken? .... Oft und weithin sieht es so aus, als sei das Denken nach der Art des räsonnierenden Vorstellens und Rechnens von jeder Stimmung völlig frei. Aber auch die Kräfte der Berechnung, auch die prosaische Nüchternheit des Planens sind Kennzeichen einer Gestimmtheit. Nicht nur dies; sogar die Vernunft, die sich von allem Einfluß der Leidenschaften frei hält, ist als Vernunft auf die Zuversicht in die logisch-mathematische Einsichtigkeit ihrer Prinzipien und Regeln gestimmt. Das eigens übernommene und sich entfaltende Entsprechen, das dem Zuspruch des Seins des Seienden entspricht, ist die Philosophie. Was das ist - die Philosophie -, lernen wir nur kennen und wissen, wenn wir erfahren, wie, auf welche Weise die Philosophie ist. Sie ist in der Weise des Entsprechens, das sich abstimmt auf die Stimme des Seins des Seienden. Dieses Ent-sprechen ist ein Sprechen. Es steht im Dienst der Sprache. Was das heißt, ist für uns heute schwer zu verstehen; denn unsere geläufige Vorstellung von der Sprache hat seltsame Wandlungen durchgemacht. Ihnen zufolge erscheint die Sprache als ein Instrument des Ausdrucks. Demgemäß hält man es für richtiger zu sagen: die Sprache steht im Dienst des Denkens, statt: das Denken als Ent-sprechen steht im Dienst der Sprache. .... Weil wir ohne eine zureichende Besinnung auf die Sprache niemals wahrhaft wissen, was die Philosophie als das gekennzeichnete Ent-sprechen, was die Philosophie als eine ausgezeichnete Weise des Sagens ist. Weil nun aber die Dichtung, wenn wir sie mit dem Denken vergleichen, auf eine ganz andere und ausgezeichente Weise im Dienst der Sprache steht, wird unser Gespräch, das der Philosophie nachdenkt, notwendig dahin geführt, das Verhältnis von Denken und Dichten zu erörtern. Zwischen beiden, Denken und Dichten, waltete eine verborgene Verwandtschaft, weil beide sich im Dienst der Sprache für die Sprache verwenden und verschwenden. Ziwschen beiden aber besteht zugleich eine Kluft, denn sie »wohnen auf getrenntesten Bergen«.“ (Martin Heidegger, Was ist das - die Philosophie?  [Vortrag, August 1955], 1956, S. 28-30).

Hoffentlich habe ich Heidegger richtig verstanden. Ich deute seine Worte und fasse zusammen:

Philosoph ist, wer, indem er dem Logos (dem Wort, der Rede, Sprache, Vernunft, Kunde, Lehre, => Logik) entspricht, also so spricht, wie der Logos spricht, im Einklang, in Harmonie steht mit dem, was er „liebt“: Seiendes im Sein als das Erstaunlichste (die „Weisheit“ wurde es demnach also wohl erst später genannt!).

Wir selber müssen dem, wohin die Philosophie unterwegs ist, entgegenkommen. Genauer: Unser Sprechen muß dem, wovon die Philosophen angesprochen sind, ent-sprechen. Entspreche dem, wohin die Philosophie unterwegs ist! Das Entsprechen zum Sein des Seienden ist die Philosophie; sie ist es aber erst dann, wenn das Entsprechen sich eigens vollzieht, dadurch sich entfaltet und diese Entfaltung ausbaut. Als ge-stimmtes und be-stimmtes ist das Entsprechen wesenhaft in einer Stimmung. Versuche, auf die Stimme des Seins zu hören! In welche Stimmung bringt sie das Denken? Das eigens übernommene und sich entfaltende Entsprechen, das dem Zuspruch des Seins des Seienden entspricht, ist die Philosophie. Dieses Ent-sprechen ist ein Sprechen. Es steht im Dienst der  S p r a c h e!

Philosophie als das Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung.

Hermann Schmitz bestimmte in seinem zehnbändigen Werk System der Philosophie (1964-1980) die Philosophie als das Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung. Damit wäre die umfassende und zentrale Frage der Philosophie wohl: Wer bin ich? Entscheidend ist, daß ich von meiner Umgebung gar nicht scharf genug abhebbar bin. Weder komme ich, wie die anderen Menschen in meiner Umgebung, in eben meiner Umgebung objektiv vor, noch scheine ich ohne meine Umgebung etwas Selbständiges sein zu können, so daß weder die positiven Wissenschaften noch die einsame, meditative Selbstgestaltung auf die Frage Wer bin ich? eine Antwort geben können. Die positiven Wissenschaften verwandeln alles, was ich für ein Merkmal oder eine Bestimmung meiner selbst annehme, rücken es von mir ab, machen es zum Umgebungsbestandteil, zu etwas Objektivem. Die einsame Selbstgestaltung löst mich dagegen ganz von meiner Umgebung ab, so daß der Anlaß zu philosophischer Besinnung entfällt: die Irritation beim Versuch, sich in seiner Umgebung zu finden. Der Spruch „tat tvam asi“ („das bist du«), der aus dem altindischen Upanischaden stammt, kann als Schwelle zur Philosophie gelten, sofern er den Eintritt des Menschen in seine Umgebung betrifft, die ganze Welt. Wer dabei stutzt, so Hermann Schmitz, hat die Schwelle zur Philosophie schon übertreten und beginnt zu philosophieren - auf griechische oder indische Art. Die indische Weisheitslehre unterscheidet sich jedoch von der griechischen, für die das Wort Philosophie erfunden wurde und die das europäische Denken geprägt hat.

 

- Abendländische Philosophie als „Fußnote zu Platon“? -
NACH OBEN Man erwartet von der Philosophie außerordentliche Aufschlüsse oder läßt sie als gegenstandsloses Denken gleichgültig beiseite. Man sieht sie mit Scheu als das bedeutende Bemühen ungewöhnlicher Menschen oder verachtet sie als überflüssiges Grübeln der Träumer. Man hält sie für eine Sache, die jedermann angeht und daher im Grunde einfach und verstehbar sein müsse, oder man hält sie für so schwierig, daß es hoffnungslos sei, sich mit ihr zu beschäftigen. Was unter dem Namen der Philosophie auftritt, liefert in der Tat Beispiele für so entgegengesetzte Beurteilungen. Für einen wissenschaftsgläubigen Menschen ist das Schlimmste, daß die Philosophie gar keine allgemeingültigen Ergebnisse hat, etwas, das man wissen und damit besitzen kann. Während die Wissenschaften auf ihren Gebieten meist sichere und allgemein anerkannte Erkenntnisse gewonnen haben, hat die Philosophie dies trotz der Bemühungen der Jahrtausende nicht erreicht. Es ist nicht zu leugnen: in der Philosophie gibt es keine Einmütigkeit des endgültig Erkannten. „Was aus zwingenden Gründen von jedermann anerkannt wird, das ist damit eine wissenschaftliche Erkenntnis geworden, ist nicht mehr Philosophie, sondern bezieht sich auf ein besonderes Gebiet des Erkennens.“ (Karl Jaspers, Einführung in die Philosophie, 1950). Das philosophische Denken hat auch nicht, wie die Wissenschaften, den Charakter eines Fortschrittsprozesses. Wir sind gewiß weiter als Hippokrates (460-370), der griechische Arzt; wir dürfen kaum sagen, daß wir weiter seien als Platon (427-347). Nur im Material wissenschaftlicher Erkenntnisse, die er benutzt, sind wir weiter. Im Philosophieren selbst sind wir vielleicht noch kaum wieder bei ihm angelangt. (VergleichWissenschaft und Philosophie).

Eine sehr wandlungsreiche Denkentwicklung und Wirkung auf die abendländische Philosophiegeschichte ist die Geschichte eines Mannes, der Philosoph, Physiker, Mathematiker, Erfinder, Historiker, Diplomat, kurzum ein Universalgenie war: G. Wilhelm Leibniz (1646-1713). Seine Gedanken kreisten hauptsächlich um das Problem einer geschlossenen, Widersprüche ausgleichenden, jeder Einzelheit der Wirklichkeit gerecht sein wollenden sowohl anschaulichen wie gedanklichen Systematik. Die Grundgedanken:

1) Vernunftgemäßheit und Gottesverbundenheit des Alls
2) Bedeutsamkeit des Individuellen, des Personenhaften in diesem All
3) Harmonie des Alls im Ganzen und im Individuellen
4) Quantitativ und qualitativ unendliche Mannigfaltigkeit des Alls
5) Dynamische Grundbeschaffenheit des Alls

Das Ganze wird von Gott zusammengehalten. Er hat das Zusammenwirken der Monaden, die als geistige Wesensheiten
ewig und unvergänglich sind, prästabilisiert, d.h. ihre Harmonie im voraus angelegt. Und eben alles so gemacht wie es ist:

„Die beste aller Welten“.
(Hochdenker G. Wilhelm Leibniz Leibniz)

„Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“
(Hochdenker G. Wilhelm Leibniz Leibniz)


NACH OBEN Kant nannte es einen Skandal der Philosophie, daß man für die Realität der Dinge eines Beweises bedürfe. Einen Skandal der Philosophie im eigentlichen Sinne kann es aber nicht geben, denn in dem Ausdruck liegt eine Verkennung des Wesens der Philosophie. Der Sinn der Philosophie hat einen anderen Ursprung. Die Art der in ihr zu gewinnenden Gewißheit ist nicht die wissenschaftliche, nämlich die gleiche für jeden Verstand, sondern ist eine Vergewisserung, bei deren Gelingen das ganze Wesen des Menschen mitspricht. Wähend wissenschaftliche Erkenntnisse auf je einzelne Gegenstände gehen, von denen zu wissen keineswegs für jedermann notwendig ist, handelt es sich in der Philosophie um das Ganze des Seins, das den Menschen als Menschen angeht, um Wahrheit, die, wo sie aufleuchtet, tiefer ergreift als jede wissenschaftliche Erkenntnis. Es ist also keinesfalls skandalös, daß die Philosophie im Laufe ihrer Jahrtausende abgesehen von einigen ontologischen Differenzierungen, logischen Axiomen und manchen geistreichen metaphysischen Hypothesen noch keine Erkenntnis zutage gefördert hat, der eine von allen Philosophen anerkannte Evidenz zukommt. Kennzeichnend für philosophische Fragen ist oft ihre Radikalität; nicht dieser oder jener Kausalzusammenhang wird erforscht, sondern der Sinn, der dem Ganzen überhaupt beigelegt werden kann. Für den Philosophen ist die Sinngebung jeweils entscheidend.

Alles ist Zahl - das war die Devise des Pythagoras (um 580 - um 500), der im unteritalienischen Kroton einen Bund für sittlich-religiöse Lebensform gründete und wegen seiner exklusiv aristokratisch-konservativen Einstellung verfolgt wurde. Er suchte das Geheimnis der Welt nicht in einem Urstoff, wie alle seine Vorgänger, sondern in einem Urgesetz, dem Urgesetz der zahlenmäßigen Beziehungen der Weltbestandteile. Die Welt war für Pythagoras ein harmonisches Ganzes, ein ewiges, lebendiges göttliches Wesen: der Kosmos. Die Weltharmonie war für ihn musikalisch. Pythagoras hatte erkannt, daß Zahlenverhältnisse für den harmonischen Zusammenhang der Töne sorgen. Bei dem Monochord, einem altgriechischen Instrument mit einer Saite über einem Resonanzkörper mit beweglichem Steg, ergibt sich bei der Halbierung der Saitenlänge ein um eine Oktave höherer Ton. Für die Oktave ist also das Verhältnis der Saitenlängen 1:2, für die Quinte 3:2 und die Quarte 4:3. Pythagoras ging so weit, auch die soziale Harmonie auf Zahlenverhältnisse zu gründen und Tugenden mit bestimmten Zahlen zu identifizieren. Er stellte sich die Zahlen als geometrische Figuren vor, die die Welt erst zur Welt, zu einer Ordnung machten. Pythagoras erforschte die Geometrie der vollkommenen festen Körper, der fünf Urkörper, die wir heute als die fünf platonischen Urkörper kennen. Es handelt sich hierbei um konvexe Polyeder, die von regelmäßigen, untereinander kongruenten Vielecken begrenzt werden und in deren Ecken jeweils gleich viele Kanten zusammenstoßen. Pythagoras und nach ihm Platon meinten, die mathematisch-geometrischen Körperformen entsprächen der Form der Seele, so daß Wahrnehmung und Erkenntnis durch Passung zustande kämen. Die Mathematik würde dann zugleich die Prinzipein im Aufbau der Seele und der Objektwelt erfassen. Erkennen hieße dann, wie der für seine „Unschärferelation“ und seinen Versuch einer „Weltformel“ berühmte Physiker Werner Heisenberg (05.12.1901 - 01.02.1976) erklärte: das sinnlich Wahrnehmbare außen mit den Urbildern innen vergleichen und es damit als übereinstimmend zu beurteilen. Heisenberg stellte 1925-1927 fest, daß sich die Elementarteilchen durch weitere Teilungen nicht mehr in weitere (z.B. kleinere) Teilchen, also Körperformen zerlegen lassen, sondern lediglich und für kurze Zeit in mathematisch-geometrische Formen, die nicht lokalisierbar sind und dann wieder in ihre ursprüngliche Teilchenform übergehen. Sein Fazit war, daß man keine exakten Vorhersagen mehr machen könne und statt dessen auf Wahrscheinlichkeiten der Wahrscheinlichkeit angewiesen sei. Heisenberg beeinflußte mit seinen fundamentalen Beiträgen zur Atom- und Kernphysik die Entwicklung der modernen Physik nachhaltig. (Heisenberg). Pythagoras steht auch bei der heute angesagten String-Theorie Pate. Diese Theorie behauptet, die Bauelemente des Kosmos seien winzige Fädchen aus Energie - wie Saiten (strings) unaufhörlich vibrierend. Aus ihren Schwingungen bestünden dann alle Elementarteilchen und physikalischen Kräfte. Die Strings brächten das Universum wie eine riesige Äolsharfe zum Klingen. Auch Pythagoras meinte, die bewegten Himmelskörper tönten in Intervallen (Sphärenharmonie); diese Harmonie sei aber nicht wahrnehmbar, weil sie unaufhörlich auf uns einwirke.

NACH OBEN Die String-Theoretiker sind ja vielleicht, falls sie typisch abendländische Esoteriker sein sollten, verkappte Nachzügler eines politisch-religiösen Empirismus, d.h. eines politischen Rationalismus, der leider spekulativ bleiben muß, weil die vibrierenden Strings empirisch wohl kaum nachweisbar sein dürften. Ihre kosmischen Bauelemente, diese mit Energie beladenen Samenstränge oder Fädchen, sind ähnlich spekulativ wie die pythagoräisch-rationalistischen Zahlen-Atome oder die barocken absolutistisch-rationalistischen Gottesideen, Gottesbeweise und Gottesrechtfertigungen. Aber: Spekulationen sind außerordentlich wichtig! Gerade die faustischen Abendländer sollten bedenken, daß ihre Wissenschaft früher auch durch diejenigen Theorien befruchtet wurde, die heute aus plutokratischen Gründen abgelehnt würden. Unsere faustische Wissenschaft, unsere unendliche Forschung braucht heute mehr unabhängige Spekulationen und weniger unfruchtbare Geldgeber. (Plutokratie). Grundsätzlich sollten in Zukunft also auch andere, nicht vom Geld abhängige Theorien eine Chance haben, vielleicht sogar die String-Theorie, die ja mit Pythagoras' Sphärenharmonie oder Leibniz' prästabilisierter Harmonie verwandt ist. Pythagoras wirkte nicht nur auf den antiken Idealismus, sondern mit ihm und über ihn hinaus, und Leibniz wirkte nicht nur auf den abendländischen Idealismus, sondern mit ihm und über ihn hinaus. (Computer). Könnte es möglich sein, daß der String-Theorie eine ähnliche historische Ausstrahlung gelingt?  Im Anschluß an die Orphiker begannen die Pythagoräer vor etwas mehr als 2500 Jahren, die Seelenwanderung und die Wiederkunft des Gleichen zu lehren. Diese Tatsache ist uns heute, nach so langer Zeit, bekannt, obwohl immer noch nicht bewiesen ist, ob es die Seelenwanderung und die Wiederkunft des Gleichen wirklich gibt. Und die Zahlen-Atome des Pythagoras?  Sind die bewiesen?  Muß alle Theorie bewiesen werden?  Sogar Philosophie oder Religion?  Ist die String-Theorie, nur weil sie spekulativ ist, schon von vornherein gescheitert ?  Hat es in der Vergangenheit nicht schon etliche Theorien gegeben, die für tot erklärt wurden und dennoch lange lebten?  Totgesagte leben eben manchmal doch länger. Trotzdem: Strings sind experimentell kaum nachzuweisen. Sie sind so winzig, daß zu ihrem Nachweis ein Teilchenbeschleuniger von der Größe der Milchstraße nötig wäre. (MilchstraßeStern-Ära). „Kosmische Schnüre“, wie die Große Vereinheitlichte Theorie die Strings auch nennt, sollen als zufällige Störungsmuster im Raum während eines Phasenübergangs im frühen Universum entstanden sein. Es sind extrem dünne Gebilde als geschlossene Schleifen oder ins Unendliche reichende gekrümmte Strukturen. Einige Forscher nehmen an, daß kosmische Strings als eine Art Samen für die Entstehung der Galaxien wirkten und die eigentümliche räumliche Verteilung der Sternsysteme erklären könnten. (Vgl. Superhaufen, Blasenstruktur des Universums, Hubble-Bubbles) - (Vor- und Früh-PhilosophieHoch- und Spät-PhilosophieInnere Analogien).

Nach Platon ist Philosophie die Erkenntnis des Seienden oder des Ewigen und Unvergänglichen, nach Aristoteles (383-322) die Untersuchung der Ursache und Prinzipien der Dinge. Die Stoiker definierten die Philosophie als das Streben nach theoretischer und praktischer Tüchtigkeit, die Epikuräer als das Vermögen, durch Vernunft glücklich zu werden. Bis auf wenige Ausnahmen, gleichen sich alle antiken Philosophen und alle philosophischen Schulen in der Idealisierung einer Unerschütterlichkeit (ataraxia) und der Forderung nach Urteilsenthaltung (epoch), besonders ausgeprägt bei Skeptikern, Stoikern und Epikuräern. Sie lassen sich nur mit dem Ursymbol und dem Seelenbild der antiken Kultur erklären. Die Antike fand kulturell, also auch philosophisch, auch da Form, wo sie Inhalt suchte, z.B. in allem Urgrund einen Urstoff (arce) oder aber, wie eben beschrieben, eine mathematisch-geometrisch Urform. Das Abendland hingegen machte aus dieser Form einen Inhalt, indem es die antike Form suchte und sie als Inhalt immer wieder neu vorfand. Wenn man die antike und die abendländische Philosophie miteinander konfrontiert - die nicht weniger interessanten Phlosophien der Inder, Chinesen und Araber beiseite lassend -, dann fällt auf, daß die Philosophie primär als eine Angelegenheit der Antike, die Wissenschaft primär als eine Angelegenheit des Abendlandes anzusehen ist. Es fällt auf, daß, wie die beiden Kulturen selbst, auch Philosophie und Wissenschaft je zwei Oppositionspaare sind:

Philosophie und Wissenschaft Antike Philosophie Philosophie und Wissenschaft
ist „Wissenschaft“ im Sinne einer eher statischen Liebe zur Weisheit oder Epistemologie (antike Wissenschaftslehre). Eine Wissenschaft, wie sie das Abendland kennt, spielte in der Antike kaum eine Rolle. Antike Philosophie bedeutet untätige, auf das Sterben hin ausgerichtete Lebensführung, ob mit oder ohne Wissenschaft. Kennzeichend ist die Idealisierung eines statischen Lebens, also: epoch und ataraxia. Der Antike fehlte nicht die Moderne an sich, sondern eine „abendländische Moderne“. (Analogien).

In der Antike bedeutete die Tendenz, Wissenschaft als strenge Philosophie zu betreiben, den Raum der Philosophie zu betreten. Dagegen bedeutete die Tendenz, Philosophie als strenge Wissenschaft zu betreiben, den Weg in die Pseudomorphose zu gehen, wenn nicht sogar in den Tod der Kultur.

Wissenschaft und Philosophie Abendländische Wissenschaft Wissenschaft und Philosophie
ist „Philosophie“ im Sinne einer eher dynamischen Empiriologie oder Historiotechnik (abendländische Wissenskunst). Eine Philosophie, wie sie die Antike kannte, spielt im Abendland kaum eine Rolle. Abendländische Wissenschaft bedeutet tätige, auf das Leben hin ausgerichtete Technikführung, ob mit oder ohne Philosophie. Kennzeichend ist die Idealisierung einer dynamischen Technik, also: Mobilisierung als Moderne. Dem Abendland fehlt nicht das Philosophie-Ideal an sich, sonderm ein „antikes Philosophie-Ideal“. (Moderne).

Im Abendland bedeutet die Tendenz, Philosophie als strenge Wissenschaft zu betreiben, den Raum der Philosophie zu verlassen. Dagegen bedeutet die Tendenz, Wissenschaft als strenge Philosophie zu betreiben, den Weg in die Pseudomorphose zu gehen, wenn nicht sogar in den Tod der Kultur.

(Ausnahmen bestätigen diese Regeln!)

Was in der Antike Philosophie war, das sollte im Abendland Wissenschaft werden. Der in der Antike als Wissenschaft übrig gebliebene Rest entspricht dem im Abendland als Philosophie übrig gebliebenen Rest. Die Stellenwerte sind also vertauscht. Philosophie und Wissenschaft in der Antike sind etwas völlig anderes als im Abendland. Es geht hier also nicht darum, die antike Wissenschaft und die abendländische Philosophie unter Wert verkaufen zu wollen, sondern sie im interkulturellen Vergleich beschreiben zu können, und dabei (nicht weltweit!) schneidet nun mal die Antike hinsichlich der Wissenschaft schlechter ab als das Abendland, während das Abendland hinsichtlich der Philosophie schlechter abschneidet als die Antike. So gesehen ist die These richtig, die abendländische Philosophie sei eine Fußnote zu Platon, zum Platonismus, zur attischen Philosophie, d.h. zu Griechenland, also: zur Antike. (Platon). Aber aus dem eben Gesagten geht ebenso die These hervor, jede weltweit verwendete moderne, alle Mobilität beschleunigende Technologie sei ein Quellenverweis zur Wattschen Dampfmaschine, zur Industriellen Revolution, d.h. zur Moderne, also: zum Abendland. (Watt). Wenn die Antike heute noch existierte, würde sie, auf ähnliche Weise wie Indien, auch weiterhin ihre Kultur auf ganz fromme Art pflegen, aber trotzdem auch vom Abendland die automobile, moderne Technologie übernommen haben. In dem Fall hätte allerdings die abendländische Kultur auch das antike Philosophie-Ideal im stärkerem Ausmaß übernommen, dann aber wahrscheinlich auch seine mobilisierende, ständig modernisierende Technologie erst viel später oder vielleicht gar nicht entwickelt, denn neben aller Kulturgenetik spielt die kulturfamiliäre Umwelt, später die Kulturumwelt überhaupt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Doch die Antike verstarb so früh, daß das Abendland gerade durch die Reaktion darauf, ob positiv (idealisierend) oder negativ (antiheidnisch), und durch die narzißtische Übermut-Beziehung zur christlichen Mutterkultur, in die Lage kam, seine in frühester Zeit kulturgenetisch festgelegte und über die germanischen Kontrollgene gesteuerte Anlage auch nach außen hin zur Entfaltung zu bringen. Nur so konnte das Abendland zu der Kulturpersönlichkeit werden, als die es heute angesehen wird, ob positiv (wohlständisch), negativ (willenskrank, herrisch u.s.w.) oder neutral (unendlich faustisch).

Im geistigen Sinne bedeutet Antike eine Kultur der Philosophie, dagegen Abendland eine Kultur der Wissenschaft. Die apollinischen Ästheten der statischen Körper und die faustischen Forscher der dynamischen Unendlichkeitsräume sind so gegensätzlich, daß sie äußerst günstige Lernformen und Lerninhalte anbieten für diejenigen, die durch die Ergänzung liebend und forschend lernen wollen. Die Chance des auf Gegenseitigkeit beruhenden Lernens, des Gegenlernens, ist immer gegeben, solange zumindest eine der beiden Kulturen noch lebendig ist. Die Philosophie galt - wegen der Erbschaft (!) - im Abendland lange Zeit als die Königin der Wissenschaften. Wenn aber beide tiefenkulturell als parallel laufende Phänomene anzusehen sind und die Philosophie aus der Theologie hervorging, die Theologie aus der Religion und diese aus dem Glauben, in den am Ende alle Neu-Kulturen wieder münden, dann sind Philosophie und Wissenschaft auch historisch austauschbar:


Glaube wird Religion (URDENKEND), Religion wird Theologie (VORDENKEND), Theologie wird Philosophie (FRÜHDENKEND),
Philosophie wird Neu-Theologie (HOCHDENKEND), Neu-Theologie wird Neu-Religion (SPÄTDENKEND), Neu-Religion wird Neu-Glaube.
NACH OBEN Nachdem aus dem Glauben christliche Religion und aus dieser christliche Theologie geworden war, wurde im Gegensatz zur Theologie („Gottesweisheit“) die Philosophie zur „Weltweisheit“, deren Organ das natürliche Licht der Vernunft ist, während jenes der Theologie das übernatürliche Licht der Offenbarung ist. Am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit hatte die Philosophie bzw. die (Natur-) Wissenschaft sich endgültig emanzipiert. Die neuzeitlichen Empiristen und Rationalisten wie z.B. Francis Bacon (1561-1626), René Descartes (1596-1650) und G. Wilhelm Leibniz verstanden unter Philosophie die Gesamtwissenschaft in begrifflicher Form, wobei auch die rationalistische Lösung des Problems Theodizee, die Leibniz theoretisch allumfassend anging, eine große Rolle spielte. Leibniz' Kausalprinzip und Finalprinzip, sein Satz vom Grund und die von ihm begründete Differentialrechnung führten in der Anwendung auf physikalische Prozesse zur Interpretation der Naturgesetze als Extremalprinzipien (Differential-, Integral- oder Variationsprinzipien), das von ihm entwickelte binäre Zahlensystem mit den Ziffern 0 und 1 (Dualsystem) zur Computertechnik, die er mit seiner konstruierten Rechenmaschine bereits einleitete. Mehr noch: Leibniz wirkte in allen Wissensbereichen und auf alle Wissenschaftsbereiche ein. In dieser barock-absolutistischen Zeit war die Hochzeit der Hochdenker, die Hochzeit der abendländischen Philosophie erreicht, wurde die Wissenschaft enorm befördert. Hier waren Philosophen höchst angenehme Förderer der Wissenschaft. Sie beschäftigten sich vielleicht auch schon mit der Frage, ob und wie man mit diesem Wissen leben könnte, aber eigentlich lebten sie selbst noch so stark in dieser „besten aller Welten“ der Wissenschaft, daß diese Frage auch für die Philosophie nur eine marginale Rolle spielen konnte. (14-16). Christian Wolff (1679-1754) nannte die Philosophie vielleicht auch deshalb die Wissenschaft aller möglichen Dinge. Kant unterschied die Philosophie nach ihrem Schulbegriff, dem System aller philosophischen Erkenntnisse, von der Philosophie nach ihrem Weltbegriff, der Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft. Goethe bekannte sich zur Philosophie, „wenn sie unsere ursprüngliche Empfindung, als seien wir mit der Natur eins, erhöht, sichert und in ein tiefes, ruhiges Anschauen verwandelt.“ Fichte (1762-1814) lehrte: „Was unsern Geist ergriffen und umgeschaffen und in eine höhere Ordnung der Dinge eingeführt hat, ist Philosophie in uns; in uns muß der Philosoph sein, unser gesamtes Wesen, unsere ganze Geistes- und Herzensbildung muß selbst Philosophie sein.“ Hegel nannte die Philosophie denkende Betrachtung der Gegenstände, die Wissenschaft der sich selbst begreifenden Vernunft. Schelling (1775-1854) stellte als Bedingung: „Der zur Philosophie Berufene ist nicht der, dessen Seele noch vollkommen einer tabula rasa gleicht, sondern derjenige, der die ganze Weite und Tiefe des zu Begreifenden durch Erfahrung kennengelernt hat.“ Schopenhauer (1788-1860) sah in der Philosophie die Aufgabe, das ganze Wesen der Welt abstrakt, allgemein und deutlich in Begriffen zu wiederholen. Nietzsche (1844-1900) meinte, daß die einzig mögliche und auch dann etwas beweisende Kritik einer Philosophie sei, wirklich zu versuchen, ob man nach ihr leben könne. Doch eine solche Kritik sei nie auf Universitäten gelehrt worden, klagte er. Die Philossophie wurde also zunehmend Angriffen, besonders aus den eigenen Reihen, also der Selbstkritik, ausgesetzt. Man wollte herausfinden, ob denn die Philosophie die Aufgabe erfüllen könne, zwischen Wissenschaft und Religion eine Lebensorientirerung zu bieten, oder ob sie sich nicht besser gleich auf die eine oder andere Seite stellen solle. Sigmund Freud (1856-1939), der ein Schüler Schopenhauers bzw. Nietzsches war, auch wenn er sein Schüler-Sein durch einen ausgeklügelten Abwehrmechanismus ständig verdrängen mußte, meinte, die Philosophie sei eine der anständigsten Formen der Sublimierung verdrängter Sexualität, nichts weiter. Die Tatsache, daß er damit auch die Psychoanalyse, die Lebensphilosophie und nichts weiter ist, ins Niemandsland stellte, kam dem Meister der Verdrängung wohl nicht mehr ins Bewußtsein. Offenbar war ausgerechnet sein Ich dem Über-Ich so vollends ausgeliefert, daß Es nichts mehr zu melden hatte. Als Niemandsland zwischen Wissenschaft und Theologie, wie Bertrand Russel (1872-1970) die Philosophie nannte, ist die Philosophie Angriffen von beiden Seiten ausgesetzt, weil sie ja tatsächlich weder das positive Wissen der objektiven Wissenschaften, noch die subjektive Gewißheit des Gläubigen anbieten kann und will. Seitdem sich die Wissenschaft immer mehr von dem religiösen und dem sittlichen Bewußtsein gelöst hatte, ging es der Philosophie zunehmend auch um das Leben des Wissenden und darum, wie man mit dem Wissen leben kann. Philosophie ist immer ein Meta-Wissen oder ein Orientierungswissen durch Meta-Sprache. (Vgl. Feuer als 1. Kultursymbol und Sprache Urdenker). Nic. Hartmann (1882-1950) erkannte die Philosophie als „das Weltbewußtsein, in welchem der Mensch als in der Welt stehender sich dieser und seiner selbst bewußt zu werden versucht“. Von Nietzsches „nicht festgestelltem Tier“ und den „Existenzialien“ des Existenzphilosophen Heidegger (1889-1976) ausgehend, fand Clément Rosset (*1939) die spezifische Aufgabe der Philosophie darin, Fragestellungen für die am stärksten mit Angst besessenen Fragen zu entwickeln, wie die nach dem Sinn des Lebens oder die, wie man überhaupt als ein mit besonders hohem Bewußtsein begabtes Tier leben könne. Philosophie berührt demnach die Fragen, auf die auch die Religionen, allerdings durch Glauben statt durch Nachdenken, Antworten geben. Bewußtsein bedeutet ja tatsächlich immer auch Todeswissen, d.h. die Vorstellung möglichen eigenen Nichtseins, ja sogar einer Annullierung des Universums. Und tatsächlich bedeutet Philosophie den immer neuen und wiederholten Versuch, mit dem Wissen oder der Erkenntnis dessen, das man eigentlich nicht kennen sollte und wohl auch gar nicht zu kennen braucht, zu leben. Leben und Vernunft vertragen sich nicht unbedingt, so lehrt es die Bibel, jedenfalls nicht ohne kompensierenden Gottesglauben. Glaubens-, Religions- und Theologieersatz findet sich denn auch immer irgendwie in jeder Philosophie, die einen Versuch darstellt, mit dem Wissen zu leben. Vgl. Glaube (Religion, Theologie) - (Vor- und Früh-PhilosophieHoch- und Spät-PhilosophieInnere Analogien).

Im Abendland begann die moderne Philosophie (das „Spät-Denken“) mit dem „Vater der Moderne“: Kant, mit dessen Kritik der reinen Vernunft (1781) das moderne Denken aufbrach, oder auch Hegel, der dem Projekt der Moderne seinen Inhalt und sein Ziel gab. Nach ihnen entdeckte man doch noch Philosophisch-Metaphysisches, z.B. Schopenhauer den Willen hinter der Vernunft, Darwin die Biologie hinter der Bibel-Geschichte, Kierkegaard die sterbliche Existenz hinter der Spekulation, Marx die Ökonomie hinter dem Geist, Nietzsche (und Freud) den Trieb hinter der Kultur, Planck (und Einstein * sowie Heisenberg) das Nichtwissen (d.h. die Wahrscheinlichkeit bzw. den Zufall) hinter dem Wissen, und Heidegger die konkrete Welt hinter der abstrakten. Wenn man Schopenhauer als Begründer der (abendländisch-[skeptisch-]modernen) Lebensphilosophie bezeichnen darf, so Kierkegaard als Nachfolger Schopenhauers und Begründer einer ersten Nebenlinie dieser Schopenhauerschen Schule. Denn die Existenzphilosophie begann also eigentlich schon mit Kierkegaard, und alle Existenzphilosophen des 20. Jahrhunderts waren von ihm beeinflußt oder erkannten sich zumindest in ihm wieder, soweit sie bereits ohne ihn ihr Konzept entwickelt hatten. Kierkegard hatte sich gegen Hegel gewandt, weil in dessen vom Weltgeist regierten System für den Einzelnen kein Platz und kein Sinn war. Diese Wendung hatte aber auch schon der späte Schelling gemacht, dessen Vorlesungen Kierkegaard in Berlin gehört hatte. Schelling sprach auch erstmals von „Existenz“ und dem „reinen Daß“, von dem seine positive Philosophie ausgeht. Darauf hat Hannah Arendt (1906-1975) in ihrer Schrift von 1946 (Was ist Existenzphilosophie?) hingewiesen und auch darauf, daß Karl Jaspers mit seiner Psychologie der Weltanschauungen (1919) das erste Buch der neuen Schule (vgl. „Mittlere Schule“ der Lebensphilosophie bzw. Existenzphilosophie ) vorgelegt hat. In den 1920er Jahren war Hannah Arendt Heideggers Geliebte. (). Heidegger elektrifizierte das Denken. Und: als Zauberer von Meßkirch denkt er das Alltägliche. Am Anfang, so Heidegger, ist immer schon Bedeutung. Was wir wahrnehmen, wenn wir wahrnehmen, ist das Dazwischen - zwischen Subjekt und Objekt. Zwischen beiden fließt die Bedeutung unentwegt hin und her - wie Strom, wie Übertragung an sich. Die Philosophie ist also noch immer nicht tot.

 

- Tod und Wille zur Berührung durch Begriffsdenken. Wer bin ich? -

NACH OBEN Wer sich fragt und überlegt, ob er denn das Philosophieren überhaupt nötig habe oder ob er es nicht lieber sein lassen sollte, der findet sich von der Philosophie bereits befallen. Er philosophiert! Jedenfalls sah Aristoteles das so. Über die Philosophie spotten heißt in Wahrheit philosophieren, meinte Blaise Pascal (1623-1662). Der Philosophie kann man nicht entkommen, wenn man wissen will, ob und wie ein bewußtes Leben möglich ist, d.h. wie es glücklich sein kann. Die Gleichung Wissen = Tugend = Glückseligkeit scheint der von der Philosophie selbst suggerierte und verkündete Erfolg der Philosophie zu sein. Hermann Schmitz (1928-2021), Begründer einer neuen Phänomenologie, definierte in seinem System der Philosophie die Philosophie als ein Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung. »Wer bin ich?«, diese Frage wäre damit die umfassendste und zentrale Frage der Philosophie. Weil der Mensch aber gar nicht scharf von der Umgebung abhebbar ist, kann die Frage »Wer bin ich?«  weder von den positiven Wissenschaften noch von den einsamen, meditativen Selbstgestaltungen beantwortet werden. Die positiven Wissenschaften verwandeln nämlich alles, was ich für ein Merkaml oder eine Bestimmung meiner selbst annehme, rücken es von mir ab, machen es zum Umgebungsbestandteil, zu etwas Objektivem. Die einsame Selbstgestaltung, z.B. durch Yoga oder Zen-Meditation, löst mich dagegen ganz von meiner Umgebeung ab, so daß der Anlaß zu philosophischer Besinnung entfällt: die Irritation beim Versuch, sich in seiner Umgebung zu finden. Ich überschreite sie nämlich. Motiv der Philosophie oder Anlaß zu ihr, wäre also eine Irritation, womöglich ein Erschrecken: »Wie, wenn der Tod mich meiner Umgebung entreißt?«  »Warum überhaupt weiterleben, wenn der Tod alles zunichte macht?«  »Wozu ist überhaupt etwas und nicht vielmehr Nichts?«  »Warum nicht jenseits von Gut und Böse leben, wozu ein Gewissen haben, wozu moralisch sein?«  - alles Beispiele für die Versuche der Philosophen, Philosophie zu definieren. Für Schopenhauer war der Tod der Musaget der Philosophie. Schon Platon bestimmte die Philosophie als Einüben ins Sterben. Albert Camus (1913-1960) kannte nur ein einziges philosophisches Problem: den Selbstmord. Martin Heidegger wiederholte die Frage von Leibniz: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“  und nannte sie die Grundfrage der Metaphysik. Kant, sofern er Moralphilosophie betrieb, sah im Gewissen den Garant ewigen Lebens. Rosset meinte, an ihrem Todes-Motiv bzw. an jenen Grundfragen sei die Philosophie auch gescheitert, denn bis dahin sei es keinem Denker gelungen, einen Gedanken hervorzubringen, der die Vorstellung des Todes und die sich aus ihr ergebende allgemeine Abwertung jeglichen Daseins hätte aufwiegen können. Durchweg haben die Philosophen sich vor dem Tod in die Vernunft, in die Rationalität gerettet, d.h. sie haben ihr eigenes Medium, das Nachdenken, womit sie ihr Leben verbrachten, zum ewigen Leben stilisiert, indem sie ihr Denken als Anschluß ans Ewige verstanden: an die Wahrheit. Platon definierte: Philosophen sind die, welche mit dem, was sich für ewig als dasselbe unwandelbar verhält, in Berührung kommen wollen. Es gelingt ihnen durch das Denken, das soll heißen: durch die Begriffe. (Vgl. Ideenlehre und Meta-Sprache) - (Vor- und Früh-PhilosophieHoch- und Spät-PhilosophieInnere Analogien).

Wäre ich meine eigene Vorstellung, so wäre ich das, was sich vorstellt als das, was sich vorstellt als das, was .... Ich wäre eine rekursive Funktion f(x), eine Funktion f mit sich selbst als Argument x, also f(f(f(...))), Hülle ohne Fülle (?).

Was ist der Mensch?  Nach Kant lassen sich in dieser Frage alle Fragen der Philosophie zusammenfassen. Nach seiner Meinung braucht man für die Antwort auf die Frage nach der Reichweite des menschlichen Geistes keine Erforschung der „paranormalen“ Phänomene, bei denen der Geist des Menschen ohne Vermittlung des Körpers auf außerkörperliche Dinge wirkt (z.B. Telekinese) und auch ohne Vermittlung der Sinnesorgane wahrnimmt (z.B. Hellsehen). Kant bestritt diese Phänomene in seiner Schrift „Träume eines Geistersehers (1766). Er hielt sie für Scharlatanerie und gab damit dem berühmten Wissenschaftler und Ingenieur Emanuel Swedenborg (1688-1772), der damals durch seine okkultem Fähigkeiten, besonders den Kontakt mit Geistern, von sich reden machte, der Lächerlichkeit preis. Als Kant dann etwas später dahinter kam, daß Raum, Zeit und physikalische Kausalität nur subjektive Formen für die Erscheinung der „Dinge-an-sich“ sein könnten, hätte er allerdings sein Urteil revidieren und zumindest die Möglichkeit (Möglichkeit) solcher von Raum und Zeit unabhängiger Wirksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit des Geistes zugestehen müssen. Er tat es nicht. (Kant). Aber Schopenhauer hat dann in seiner Schrift Versuch über das Geistersehen (1851) an seiner Stelle nachgeholt. Für ihn ist die Natur an sich das, was wir in uns selbst unmittelbar als Willen finden. Dieser Wille ist allmächtig, allsehend und allwissend. Die okkulten Phänomene der actio et visio in distans (Fernwirken und Fernsehen) geschehen durch Teilhabe des einzelnen Individuums am metaphysischen Willen. Der von Haeckel (1834-1919) beeinflußte Biologe und Philosoph Hans Driesch (1867-1941) gelangte nicht nur zur Aufstellung des Systems eines kritischen antimaterialistischen Vitalismus, d.h. zu einem Neu-Vitalismus, sondern erklärte in seinem Buch „Alltagsrätsel des Seelenlebens“ (1938) auch ganz im Sinne Schopenhauers die normale Wirksamkeit des Geistes (mittels des Leibes) als Aufhebung einer Einschränkung und als Kanalisierung der Allwirksamkeit und Allwissenheit des Geistes durch den Leib. Allwirksamkeit und Allwissenheit sind in den leiblichen Individuen als gänzlich maskiert oder eingeschränkt anzunehmen. Diese Maskierung und Einschränkung werden bei gewissen Hirnreizungen partiell aufgehoben. Was man das Paranormale nennt, ist also eigentlich das „Normale“: das universelle Allwissen und Allwirken (vgl. Leibniz' Ideal der Monade als wahrer Spiegel der Welt), das gelegentlich, meistens durch „emotionale Verbundenheit“ von seiner Verdeckung durch die leibliche Individuation befreit wird. Neben Schopenhauer waren auch Fichte und Hegel Kants Idealismus gefolgt, d.h. sie übernahmen Kants spätere Lehre der Idealität (Imaginiertheit) von Raum und Zeit. Entsprechend war ihre Einstellung zu parapsychologischen Phänomenen positiv. Parapsychologie war damals, Ende des 18. Jahrhunderts, durch die Wirksamkeit des Franz Anton Mesmer (1734-1815) im Gespräch. Man nannte sein Erforschen und seinen Umgang mit okkulten Kräften deshalb Mesmerismus. Mesmer selbst sprach vom tierischen oder animalischen Magnetismus, weil er die dabei hauptsächlichen Hypnosephänomene durch Magnetismus erklärte. Hegel stellte 1830 in der Enzyklopädie III fest, daß die „endlichen Auffassungen des Geistes“ von empirischer Seite „mit aller Brutalität einer ausgemachten Tatsache“ vom animalischen Magnetismus verdrängt worden seien und daß nun auch von theoretischer Seite diese Phänomene eines von den Schranken des Raums und der Zeit befreiten unendlichen Geistes begriffen werden müßten. Seine spekulative Philosophie sei die einzige, für welche der animalische Magnetismus kein unbegreifliches Wunder ist. Seitdem sich auch die Naturwissenschaft, d.h. die naturwissenschaftlichen Disziplinen, mit diesen Äußerungen seelischer Kräfte beschäftigt, die ihrer Art nach naturwissenschaftlich sein müßten, es aber nicht sind (!), spricht man von Psi-Phänomenen und unterscheidet hierbei Psi-Gamma-Phänomene (Wahrnehmungserscheinungen: Hellsehen, Präkognition, Vorwegnahme künftiger Ereignisse u.s.w.) und Psi-Kappa-Phänomene (Bewegungserscheinungen: Psychokinese, seelische Fernbeeinflussung eines Objekts u.s.w.). Eine „Gesellschaft für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie“ wurde z.B. 1950 in Freiburg (Breisgau) gegründet.

Auch scheint man immer mehr darauf aufmerksam zu werden, daß an jeder „rein“ wissenschaftlichen Erkenntnis der Glaube einen großen Anteil hat, z.B. der Glaube an die - wenn auch nicht vollkommene - Übereinstimmung der Erkenntnis- und der Seinskategorien. Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt im Erkenntnisprozeß besteht aus einer psychophysischen Grundrelation (a posteriori) und einer kategorialen Grundrelation (a priori) als Verhältnis zwischen Erkenntnis- und Seinskategorien. Im Wahrnehmungsakt sind beide Grundrelationen im Spiel: die kategoriale bringt die Allgemiencharaktere des Gegenstandes zum Bewußtsein, die psychophysische die individuellen Sondercharaktere. „Durch die kategoriale Grundrelation begreifen wir, wissen wir aber nicht um das Dasein; durch die psychophysische Grundrelation wissen wir um das Dasein, begreifen es aber nicht.“ (N. Hartmann, Metaphysik der Erkenntnis, 1921). Schon Philosophen wie Leibniz („Prästabilisierte Harmonie“), Spinoza, Schelling, Schopenhauer und Fechner hatten z.B. für das Verhältnis zwischen Denken und Sein oder Psychischen und Physischen einen psychophysischen Parallelismus angenommen, wonach die beiderseitigen Verläufe einander sachlich und zeitlich streng entsprechen, ohne im mindesten in Wechselwirkung zu stehen. Fechner (1801-1887), der Begründer der Psychophysik, wollte die gesamte Leib-Seele-Frage über den psychophysischen Parallelismus lösen. (Aporie). Er gelangte durch Verallgemeinerung, Erweiterung und Steigerung der Gesichtspunkte über das Erfahrbare hinaus zu einer panentheistischen und panpsychistischen Naturphilosophie. Nach dem Panpsychismus sind alle Dinge beseelt, haben Leben und Bewußtsein, als ob nichts wirklich Totes existiere. Der Panentheismus ist die Vereinigung von Theismus, der das All, die Natur, von Gott machen läßt, und Pantheismus, der das All, die Natur zu Gott macht. Der Panentheismus aber ist keine All-Gott-Lehre, sondern behauptet nur das Enthaltensein des Weltganzen in Gott. Von der romantischen Naturphilosophie beeinflußt, bemühte sich der Physiker, Psychologe und Philosoph Fechner, für das Psychische ein physikalisches Maß zu finden und die Beziehung von Leib und Seele mathematisch zu formulieren und begründete nebenbei die experimentelle Psychologie und damit die Psychophysik, die von Wilhelm Wundt (1832-1920) und seinem psychologischen Institut in Leipzig weiter ausgebaut und zu einer der wichtigsten Grundlagen der Psychotechnik wurde. Wundt sagte über den psychophysischen Parallelismus, „daß alle diejenigen Erfahrungsinahlte, die gleichzeitig der mittelbaren, naturwissenschaftlichen und der unmittelbaren, psychologischen Betrachtungsweise angehören, zueinander in Beziehung stehen, indem innerhalb jedes Gebiets jedem elementaren Vorgang auf psychischer Seite ein solcher auf physischer entspricht“. Die Gesamtheit der im Großhirn liegenden Endabschnitte der von den Sinnesorganen ausgehenden chemisch-physikalischen Wirkungsreihen (vgl. Reize) wird häufig auch als psychophysisches Niveau bezeichnet. Nur diejenigen Prozese in den Nervenbahnen und überhaupt im nervösen System des körperlichen Organismus sind bewußtseinsfähig und können eine Empfindung oder Wahrnehmung konstituieren, die sich im psychophysischen Niveau abspielen. Weil Näheres unbekannt ist, bleibt die Angelegenhiet eine Leib-Seele-Frage, und die Beziehungen zwischen Leib und Seele, die besonders in der heutigen Medizin, Psychotherapie und Psychopathologie eine zentrale Rolle unter der Bezeichnung Psychosomatik spielen, sind überhaupt nicht geklärt. Die Vorgänge im psychophysischen Niveau müssen als metaphysisch und metapsychisch zugleich aufgefaßt werden ; nur gewisse Glieder dieser Vorgänge treten als physiologische Erscheinungen auf.

Heidegger fand bei Husserl eine energische Verteidigung der Logik gegen ihre psychologische Relativierung. Worum es dabei geht, steht in Heideggers Aufsatz von 1912: „Grundlegend für die Erkenntnis der Widersinnigkeit und theoretischen Unfruchtbarkeit des Psychologismus bleibt die Unterscheidung von psychischem Akt und logischem Inhalt, von realem in der Zeit verlaufendem Denkgeschehen und dem idealen außerzeitlichen identischen Sinn, kurz die Unterscheidung dessen, was ›ist‹, von dem, was ›gilt‹.“ (Martin Heidegger, Gesamtausgabe, I, S. 22; vgl. auch Heideggers Dissertation: Die Lehre vom Urteil im Psychologismus, 1913). „Mit dieser Unterscheidung zwischen psychischem Akt und logischem Inhalt hatte Husserl zu Beginn des Jahrhunderts den gordischen Knoten des Psychologismusstreites durchhauen, allerdings sehr subtil, weshalb nur wenige, unter ihnen der junge Heidegger, bemerkten, was da geschehen war. Vordergründig handelte es sich um ein fachphilosophisches Problem, und doch kamen in diesen Kontroversen die gegensätzlichen Tendenzen und Spannungen der Epoche zum Austrag. Die Philosophie um 1900 befindet sich in schwerer Bedrängnis. Die Naturwissenschaften im Bunde mit Positivismus, Empirismus und Sensualismus nehmen ihr die Luft zum Atmen. .... Nun ist der Verstand, mit dem wir diesen ganzen Prozeß in Gang setzen, selbst ein Teil der Natur. Man müßte ihn also, so das ehrgeizige Vorhaben, mit derselben Methodik erforschen können wie die ›äußere‹ Natur. Und deshalb entsteht gegen Ende des Jahrhunderts, verbunden mit den Wissenschaften der Physiologie und Chemie des Gehirns, eine Art ›Naturwissenschaft‹ des Psychischen: die experimentelle Psychologie. .... Aus dieser Perspektive erscheint die ›Logik‹ als ein Naturgeschehen in der Psyche. Und das genau ist das ›Problem des Psychologismus‹. Denn die Naturalisten des Psychischen machen aus der ›Logik‹, diesem Regelwerk des Denkens, ein Naturgesetz des Denkens, und sie übersehen dabei, daß die Logik durchaus nicht empirisch beschreibt, wie wir denken, sondern wie wir denken sollen, vorausgesetzt, wir wollen zu Urteilen mit Wahrheitsanspruch kommen, was die Wissenschaft ja beansprucht. Indem die Wissenschaft das Denken als psychisches Naturgeschehen analysiert, verwickelt sie sich in einen heiklen Widerspruch: Sie untersucht das Denken wie ein Vorkommnis, das gesetzmäßig abläuft, würde aber, wenn sie auf sich selbst aufmerksam wäre, bemerken müssen, daß ihr Denken kein sich gesetzmäßig vollziehender Vorgang ist. Das Denken ist nicht von Gesetzen bestimmt, sondern es bindet sich an bestimmte Regeln. Im weiten Feld des Denkbaren tritt die Logik nicht als Naturgesetz auf, sondern als etwas, das gilt, wenn wir es gelten lassen. Der Begriff des Gesetzes hat bekanntlich einen Doppelsinn: Er bezeichnet das, was regelmäßig und notwendig so geschieht, wie es geschieht; und er bezeichnet ein Regelwerk, das dem Geschehen einen bestimmten Ablauf vorschreiben will. Im ersten Fall sind es Gesetze des Seins, im zweiten Gesetze des Sollens; das eine Mal beschreiben sie, was ist, das andere Mal schreiben sie vor. Husserls Untersuchungen zielen darauf ab, die Logik vom Naturalismus zu befreien und ihren normativen, und das heißt: geistigen Charakter wieder ans Licht zu bringen. .... Der Rechenvorgang »zwei mal zwei ist vier« ist ein psychischer Akt, aber das »zwei mal zwei ist vier« gilt auch dann noch, wenn dieser psychische Akt nicht vollzogen wird. Das Rechenergebnis beansprucht Geltung unabhängig davon, ob der eine oder andere Kopf diese Rechnung gerade vornimmt. Wer rechnet oder sonst irgendwelche logische Operationen durchführt, kommt - und das klingt schon sehr platonisch - zu einer Teilhabe an einem transsubjektiven Reich des Geistes. Die dort versammelten Bedeutungs- und Geltungssphären werden aktualisiert und in Anspruch genommen, wenn die als psychisches Geschehen beschreibbaren Akte des Denkens vollzogen werden. .... Die Logik der syllogistischen Schlußweise z.B. haben wir nicht untereinander verabredet und zur ›richtigen‹ erklärt - sie ist richtig. Alle Menschen sind sterblich - Sokrates ist ein Mensch - Also ist Sokrates sterblich: diese Schlußweise ist evidenterweise richtig; sie gilt. Ob die so gebildeten Urteile empirisch zutreffen, ist damit keinesfalls entschieden; das hängt davon ab, ob die Prämissen (»Alle Menschen sind sterblich ...« ) richtig sind. Wir können mit der richtigen Schlußweise jede Menge falscher Urteile fällen (wenn alle Menschen Beamte wären, dann wäre Sokrates auch einer). Deshalb kann man auch nicht sagen, wir hätten uns die logischen Schlußweisen angewöhnt, weil sie uns zu Erkenntniserfolgen verholfen haben. Zu Erkenntniserfolgen im empirischen Sinne brauchen sie uns überhaupt nicht zu verhelfen, viel häufiger führen sie uns in die Irre. Diese Schlüsse sind also nicht erfahrungsbewährt, sondern, wie jede logische Operation, einfach nur selbstevident. Je mehr man sich in diese Evidenz der Logik vertieft, um so rätselhafter wird sie. Von einer einfachen Analyse des Syllogismus gelangt man jäh in das Zauberreich eines Geistes, der triumphiert über alle Versuche, ihn pragmatisch, biologistisch, naturalistisch, soziologistisch zu reduzieren.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 40-43). Mehr

Auf bezeichnende Weise ist es aber gerade jene Phase (die ich Kampf ums Ei oder Krise nenne Kampf ums Ei) „seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, die unter dem Eindruck der praktischen Erfolge der empirischen Wissenschaften eine wahre Leidenschaft entwickelt fürs Reduzieren, für die Austreibung des Geistes aus dem Felde des Wissens. Nietzsche hatte diesem Jahrhundert die Diagnose gestellt, es sei »redlich« und »ehrlich«, aber auf pöbelhafte Weise. Es sei »vor der Wirklichkeit jeder Art unterwürfiger, wahrer«. Es habe sich von der »Domination der Ideale« losgerissen und überall instinktiv nach Theorien gesucht, die geeignet seien, eine »Unterwerfung unter das Tatsächliche« zu rechtfertigen. Nietzsche hatte den biedermeierlichen, auch kleinmütigen Aspekt dieses Realismus vor Augen. Tatsächlich aber triumphierte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Realismus, der sich dem Tatsächlichen nur unterwarf, um es um so vollkommener beherrschen und in seinem Sinne umgestalten zu können. Der »Wille zur Macht«, den Nietzsche dem »freien Geist« zugedacht hatte, triumphiert nicht auf der Gipfelhöhe von »Übermenschen«, sondern im ameisenhaft fleißigen Betrieb einer Zivilisation, die ihre praktische Vernunft ›verwissenschaftlicht‹. Das galt für die bürgerliche Welt, aber auch für die Arbeiterbewegung, deren schlagkräftige Losung lautete: »Wissen ist Macht«. Bildung sollte gesellschaftlichen Aufstieg bringen und gegen Täuschungen jeder Art resistent machen: Wer etwas weiß, dem kann man so leicht nichts mehr vormachen; das Beeindruckende am Wissen ist, daß man sich nicht mehr beeindrucken zu lassen braucht. Ein Souveränitätsgewinn wird versprochen, und es wird dem Bedürfnis entsprochen, das die Dinge herunterziehen und aufs eigene, womöglich kümmerliche Format bringen will. Es ist schon erstaunlich, wie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, nach den idealistischen Höhenflügen des absoluten Geistes, plötzlich überall die Lust aufkommt, den Menschen ›klein‹ zu machen. Damals begann die Karriere der Denkfigur: Der Mensch ist nichts anderes als .... Für die Romantik hob die Welt zu singen an, wenn man nur das Zauberwort traf. Die Poesie und Philosophie der ersten Jahrhunderthälfte war das hinreißende Projekt, immer neue Zauberworte zu finden und zu erfinden. Die Zeit verlangte überschwengliche Bedeutungen. Die Matadore auf dieser Zauberbühne des Geistes waren Reflexionsathleten, und doch erschienen sie in dem Augenblick, als die Realisten mit ihrem Tatsachensinn und bewaffnet mit der Formel des ›nichts anderes als‹ in der Tür standen, wie naive Kinder, die herumgetollt und alles durcheinandergeworfen hatten; doch jetzt geht es ans Aufräumen, jetzt beginnt der Ernst des Lebens, dafür werden die Realisten schon sorgen. Dieser Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird das Kunststück fertigbringen, klein vom Menschen zu denken und Großes mit ihm anzustellen, wenn wir denn die moderne verwissenschaftlichte Zivilisation, von der wir alle profitieren, ›groß‹ nennen wollen. .... Die Trockenlegung des Deutschen Idealismus hatte um die Mitte des Jahrhunderts ein Materialismus von robuster Gestalt besorgt. Breviere der Ernüchterung wurden damals plötzlich bestsellerfähig. Da war Karl Vogt mit seinen »Physiologischen Briefen« (1845) und seiner Streitschrift »Köhlerglaube und Wissenschaft«  (1854); Jakob Moleschotts »Kreislauf des Lebens« (1852), Ludwig Büchners »Kraft und Stoff« (1855) und Heinrich Czolbes »Neue Darstellung des Sensualismus« (1855). Czolbe hatte das Ethos dieses Materialismus aus Kraft und Stoß und Drüsenfunktion mit den Worten charakterisiert: »Es ist eben ein Beweis von ... Anmaßung und Eitelkeit, die erkennbare Welt durch Erfindung einer übersinnlichen verbessern und den Menschen durch Beilegung eines übersinnlichen Teiles zu einem über die Natur erhabenen Wesen machen zu wollen. Ja gewiß - die Unzufriedenheitmit der Welt der Erscheinungen, der tiefste Grund der übersinnlichen Auffassung ist ... eine moralische Schwäche.« Czolbe schließt mit der Aufforderung: »Begnüge dich mit der gegebenen Welt.« Aber was war einer solchen Sinnesart nicht alles ›gegeben‹! Die Welt des Werdens und Seins - nichts anderes als das Gestöber von Molekülen und die Umwandlungen von Energien. Es galt die Welt des Atomisten Demokrit. Man braucht nicht mehr den »Nous« des Anaxagoras und die Ideen des Platon und man braucht nicht den Gott der Christen, nicht die Substanz des Spinoza, nicht das »cogito« des Descartes, nicht das »Ich« Fichtes und nicht den »Geist« Hegels. Der Geist, der im Menschen lebt, ist nichts anderes als Gehirnfunktion. Die Gedanken verhalten sich zum Gehirn wie die Galle zur Leber und der Urin zur Niere. »Etwas unfiltriert« seien diese Gedanken, bemerkte damals Hermann Lotze, einer der wenigen Überlebenden aus dem vormals starken Geschlecht der Metaphysiker. Lotze war es auch, der - erfolglos - die Materialisten auf ihren Salto mortale in die Dummheit hinwies. Er erinnerte an Leibniz, der die ganze Materialismusfrage, besonders das Verhältnis von Bewußtsein und Körper, in der Auseinandersetzung mit Hobbes schon erledigt hatte: Wenn etwas auf etwas beruht, dann heißt das gerade nicht, daß es mit diesem identisch ist, denn wäre es das, wäre es nicht unterschieden; wäre es aber nicht unterschieden, könnte das eine nicht auf dem anderen beruhen. Das Leben des Menschen, sagt Leibniz, beruht auf der Atmung, ist darum aber noch lange nicht bloß Luft. Der Siegeszug des Materialismus war durch kluge Einwände nicht aufzuhalten, vor allem deshalb nicht, weil ihm ein besonderes Metaphysikum beigemischt war: der Glaube an den Fortschritt. Wenn wir die Dinge und das Leben herunteranalysieren bis auf seine elementarsten Bestandteile, dann werden wir, so lehrt dieser Glaube, das Betriebsgeheimnis der Natur entdecken. Wenn wir herausbringen, wie alles gemacht ist, sind wir imstande, es nachzumachen. Hier arbeitet ein Bewußtsein, das allem auf die Schliche kommen will, auch der Natur, die man - im Experiment - auf frischer Tat ertappen muß, und der man, wenn man weiß, wie sie läuft, zeigt, wo es langgeht. Diese Geisteshaltung gibt auch dem Marxismus in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts Auftrieb. In mühevoller Kleinarbeit hatte Marx den Gesellschaftskörper seziert und dessen Seele herauspräpariert: das Kapital. Am Ende war dann nicht mehr ganz klar, ob denn die messianische Mission des Proletariats - Marx' Beitrag zum Deutschen Idealismus vor 1850 - gegen die eherne Gesetzmäßigkelt des Kapitals - Marx' Beitrag zum deterministischen Geist nach 1850 - überhaupt noch eine Chance haben würde. Auch Marx will allem auf die Schliche kommen, die Ideologiekritik macht es möglich. Für den Ideologiekritiker werden die Gedanken nicht vom Gehirn, wie bei der großen Schar der philosophierenden Physiologen und Zoologen, sondern von der Gesellschaft ausgeschwitzt. Auch der ideologiekritische Gesellschaftswissenschaftler will die absonderlichen Absonderungen des Geistes entzaubern. Die Feldzüge des Materialismus gelten dem Gelten. 1866 erschien eine schlagende Kritik dieser Geisteshaltungen, F. A. Langes klassisches Werk »Geschichte des Materialismus«. Man kann nicht sagen, daß es wirkungslos blieb. Nietzsche ist davon stark beeinflußt worden .... Auch der Neukantianismus ... ist von Lange auf den Weg gebracht worden. Der Grundgedanke Langes ist die Wiederherstellung jener säuberlichen kantianischen Scheidung zwischen einer erscheinenden Welt, die wir nach Gesetzen analysieren können; einer Welt, zu der wir als Ding unter Dingen mit einem Teil unseres Wesens auch gehören - und einer Welt, die auch in uns hineinreicht, die früher »Geist« genannt wurde und bei Kant dann »Freiheit« in Ansehung des inneren Menschen und »Ding an sich« in Ansehung der äußeren Welt heißt. Lange erinnert an Kants Definition der Natur: sie sei nicht dasjenige, worin die Gesetze, die wir Naturgesetze nennen, gelten - sondern umgekehrt. Sofern wir etwas unter dem Gesichtspunkt solcher »Gesetze« ansehen, konstituieren wir es als erscheinende »Natur«, sofern wir es aber unter dem Gesichtspunkt von Spontaneität und Freiheit ansehen, handelt es sich um »Geist«. Beide Sichtweisen sind möglich und notwendig und vor allem: sie sind nicht konvertibel. Wir können uns selbst als Ding unter Dingen analysieren, wir können uns, wie Hobbes das ausdrücklich getan hat, als eine Maschine ansehen, aber wir wählen diese Perspektive - wir sind so frei, uns zu Maschinen zu machen. Wir sind ein Bestandteil der erscheinenden Welt, also Natur nach dem Gesetz, Ding unter Dingen, und zugleich erfährt jeder in sich die Spontaneität der Freiheit. Freiheit ist das sich in uns offenbarende Geheimnis der Welt, die Rückseite des Spiegels der Erscheinungen. Das »Ding an sich« - das sind wir selbst in unserer Freiheit, das Herz aller Bestimmungen ist die Dimension, wo wir uns selbst bestimmen können. Diese Kantsche Doppelperspektive - der Mensch ist Ding unter Dingen und Freiheit - bringt F. A. Lange wieder ins Spiel. Der Materialismus als naturwissenschaftliche Forschungsmethode, sagt er, ist durchaus zu bejahen. Die naturwissenschaftliche Erfahrung muß so vorgehen, als ob es nur materielle Realität gäbe. Sie dürfe nicht, wenn sie an irgendeiner Stelle mit ihren Erklärungen nicht weiterkomme, den ›Geist« als Lückenbüßer einsetzen. »Geist« ist nicht ein Glied in einer Kausalkette, er ist vielmehr die andere Seite der ganzen Kette. Man kann naturwissenschaftlich Physiologie des Psychischen betreiben, darf dabei allerdings nicht vergessen, daß man damit nicht das Seelische selbst, sondern nur seine materiellen Äquivalente erfaßt. Lange kritisiert nicht die naturwissenschaftlichen Verfahrensweisen, sondern nur das falsche Bewußtsein und die schlechte Philosophie, die sie begleiten - die Vorstellung nämlich, daß mit der Analyse der »res extensa« das Menschliche erschöpft sei. Wenn man schon in Raum-Kategorien denkt, liegt die Suggestion tatsächlich nahe, daß alles, was ist, an irgendeiner Raumstelle oder an einer räumlich darstellbaren Struktur aufgwiesen werden müsse. F. A. Langes großes Verdienst war es, gezeigt zu haben: Wie es einen Siedepunkt des Idealismus gibt, wo aller Geist verdampft, so gibt es auch einen Gefrierpunkt des Materialismus, wo sich nichts mehr bewegt, es sei denn man schmuggelt Geist inkognito ein, beispielsweise in der Gestalt der ›Vitalkraft‹, von der keiner so genau weiß, was sie ist. Gegen die idealistische Verdampfung und den materialistischen Gefrierpunkt plädiert Lange für das Sowohl-Als-auch von Geist und Materie. Lange verteidigt eine Metaphysik zu herabgesetztem Preis. Sie gilt ihm als Begriffsdichtung, eine erhebende Mischung aus Poesie und Wissen. Ebenso steht es mit der Religion. Wenn sie behauptet, ein Wissen von Gott, Seele, Unsterblichkeit zu besitzen, dann setzt sie sich der wissenschaftlichen Kritik aus und kann sich nicht mehr halten. Eine Frontbegradigung ist notwendig. Der »Standpunkt des Ideals« darf seinen Stolz nicht darauf gründen, daß er die Wahrheit erkennt, sondern daß er Werte bildet und dadurch Wirklichkeit umbildet. Für die Empirie gibt es Wahrheit, für den Geist gibt es Werte. Nietzsche wird dann dieser von Lange konzipierten friedlichen Koexistenz zwischen Wahrheit und Wert ein Ende bereiten, indem er einfach einen Schritt weitergeht und den Wert der Wahrheit zur Disposition stellt. Lange wollte die Werte vor dem Ansturm der Wahrheiten retten, bei Nietzsche werden dann umgekehrt die Wahrheiten vom Vitalismus der Wertungen verschlungen. Dann ist Wahrheit nur noch die Illusion, bei der wir uns gut befinden und die uns nützt. Andere werden umgekehrt die Werte als bloße Sachverhalte, die eben in Kulturen vorkommen, definieren: »Wertverhalte« heißen sie bei Rickert. Man kann sie in kulturwissenschaftlicher Perspektive beschreiben und von ihnen in historischer Perspektive erzählen. Das Gelten gilt nur, wenn es ein Faktum geworden ist. Es gilt nur, was gegolten hat ... (vgl. Pointe des Historismus). F. A. Lange sucht den Ausgleich - der Materialismus soll seine Macht teilen mit der Welt des Geistes .... Dieser Idealismus soll die von Wissenschaft und Technik vorangetriebene Zivilisation ins Gleichgewicht bringen. Es ist ein Idealismus des »Als-ob«; denn die Werte, die empfohlen werden, haben ihre alte Würde und Seinsmächtigkeit verloren, da man in ihnen das Selbstgemachte erkennt. Das Ideal ist eigentlich nur ein Idol, es schimmert im Talmiglanz des Künstlichen. Die Idealisten können am Guten und Schönen offenbar nur noch festhalten in der Gesinnung unfreiwilliger Frivolität. .... Ein philosophischer Bestseller am Ende des Jahrhunderts, der dieser bildungsbürgerlichen Frivolität beredten Ausdruck gibt, ist Hans Vaihingers »Philosophie des Als Ob«. Hier werden die Werte als nützliche Fiktionen bezeichnet. Es handelt sich um bloße Erfindungen, aber wenn sie bei der theoretischen und praktischen Bewältigung unserer Lebensaufgaben helfen, dann bekommen sie eine Bedeutung, die wir gewöhnlich ›objektiv‹ nennen. .... Das Als-ob verlangt die Inszenierung, es lebt von ihr. Keiner wußte das so gut wie Richard Wagner, der alle Register des Theaterzaubers zog, um seine Zeit zu erlösen, die befristete Erlösung, die Erlösung als ob. Das alles vertrug sich mit einer realitätssüchtigen Gesinnung. Gerade weil dieser Sinn so überaus tüchtig war, mußte er ein wenig geschönt, drapiert, ziseliert und so weiter werden, damit das Ganze nach etwas aussah und etwas galt.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 43-49).

Diese Mischung aus Realitätstüchtigkeit und Als-ob-Gesinnung, so Rüdiger Safranski, hätte dem Pragmatismus mehr Auftrieb gegeben, und der „Pragmatismus plädiert bekanntlich für eine Abrüstung in den Angelegenheiten der Wahrheit. Wahrheit wird aus ihrer Verankerung im Ideenreich gerissen und heruntergestuft zu einem sozialen Prinzip der Selbstregulation von Handlungsabläufen. Das Kriterium der Wahrheit liegt im praktischen Erfolg, und das gilt auch für die sogenannten Werte. Ihre Wirklichkeit bewährt sich nicht in der ominösen und nie zureichend ausweisbaren Übereinstimmung mit einem idealen Sein, sondern sie bewährt sich im Wirken. Der Geist ist, was er bewirkt. Der Pragmatismus ersetzt die Korrespondenztheorie der Wahrheit durch die Theorie der Effizienz. .... Der blinde Zufall bringt eine Natur hervor, deren Resultate so aussehen, als verfolge sie ein Ziel. Gott würfelt nicht (oder doch) - das mag sein, die Natur aber glaubt man bei ihrem Würfelspiel ertappt zu haben. .... Zu den Voraussetzungen des Erfolges gehören die spirituelle Enthaltsamkeit und die Neugier für Näherliegendes, für das Unsichtbare nicht jenseits, sondern in der Welt - für die Mikrologie der Zellen und die Makrologie der elektromagnetischen Wellen. Beide Male dringt die Forschung ins Unsichtbare ein und bringt sichtbare Ergebnisse hervor, zum Beispiel im Kampf gegen die mikrobischen Krankheitserregeroder in Gestalt der weltumspannenden drahtlosen Telegraphie. Manche Träume der Metaphysik - Souveränitätsgewinn gegenüber dem Körper, Überwindung von Raum und Zeit - sind technische Wirklichkeit geworden.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 49-51).

„Wenn die Physik das Fliegen lernt, dann stürzen die Überflieger der Metaphysik ab und müssen sich fortan auf platter Erde entwickeln. Was sie dort tun können, ist, wie das Beispiel der Neukantianer lehrt, bescheiden genug. Einer von ihnen, Paul Natorp, definierte 1909 die Aufgabe der Philosophie so: Sie sei nichts anderes als das methodische Bemühen der Wissenschaft um Selbstdurchsichtigkeit. In der Philosophie bringt die Wissenschaft sich ihre eigenen Prinzipien, Verfahrensweisen und Wertorientierungen zu Bewußtsein. Das nennt Natorp die »Wegweisung der Wissenschaft ... nicht von außen her, sondern durch Aufklärung über das innere Gesetz der Bahn, die die Wissenschaft schon immer beschrieben hat und unermüdlich weiter beschreibt«. Das verpflichtet die Philosophie auf ein Ziel, das die genaue Umkehrung ihres Anfangs darstellt: »Erst barg die Philosophie in ihrem Schoße die Keime aller Wissenschaft; nachdem sie sie aber geboren und ihre Kindheit mütterlich gehegt hat und sie unter ihrem Schirm reif und groß geworden sind, sieht sie sie nicht ungern in die weite Welt hinausziehn, sie sich zu erobern. Noch schaut sie eine Weile mit treuer Sorge ihnen nach, läßt auch wohl bisweilen ihr leise warnendes Wort an sie ergehen, das ihre nun errungene Selbständigkeit doch nicht einschränken will oder kann; endlich aber zieht sie sich still auf ihr Altenteil zurück, um eines Tages, kaum vermerkt und kaum vermißt, aus der Welt verschwunden zu sein.« Die Windelband, Natorp, Rickert, Cohen nannte man »Neukantianer«, weil sie den modernen Naturwissenschaften die methodische Reflexion Kants anempfahlen und in der Frage der Begründung von ethischen Normen ebenfalls auf Kant zurückgingen. In dieser noch bis zum Ersten Weltkrieg mächtigen philosophischen Strömung gab es viel Scharfsinn und Streitlust im einzelnen, insgesamt aber war man in der Defensive gegenüber der Übermacht des wissenschaftlichen Geistes der Zeit. Es war dies eine Philosophie, die hoffte, nach dem Ende der Philosophie in ihren »Kindern«, den Wissenschaften also, fortleben zu können. Allerdings, so räumt Natorp ein, sieht es mit der »Philosophie in den Wissenschaften« noch nicht sehr »hoffnungsvoll« aus. Tatsächlich gab es noch große Mengen unreflektierten weltanschaulichen Ballastes, spekulative Schmuggelware im Gepäck empirischer und exakter Wissenschaftler, die für ihren Kinder- und Köhlerglauben, den sie sich bewahrt hatten, das Prestige der Wissenschaftlichkeit in Anspruch nahmen. Der Zoologe Ernst Haeckel beispielsweise war ein Wissenschaftler von dieser Sorte. Er destillierte aus der Darwinschen Entwicklungsbiologie eine monistische Welt- und Weltall-Lehre, die vorgab, alle »Welträtsel«, so auch der Titel von Haeckels Bestseller von 1899, gelöst zu haben. Die Neukantianer wollten im doppelten Sinn das Gewissen der Wissenschaft sein: als methodisches Gewissen und als ethisches Gewissen, denn das war ihre zweite Spezialität - das Problem des Wertes. Wie, so lautete die Frage, läßt sich wissenschaftlich jener Vorgang analysieren, bei dem nicht etwa - wie in den Naturwissenschaften - etwas zu etwas wird, sondern bei dem etwas als etwas gilt. Für die Neukantianer war Kultur der Inbegriff für die Sphäre der Werte. Die materielle Substanz einer Plastik etwa läßt sich physikalisch, chemisch u.s.w. analysieren, man wird dann aber nicht begriffen haben, was diese Plastik ist, denn sie ist das, was sie bedeutet. Diese Bedeutung gilt und wird von jedem realisiert, der diese Plastik nicht als einen Haufen Steine, sondern eben als Kunst auffaßt. In allen Kulturvorgängen, so Rickert, sei »irgendein vom Menschen anerkannter Wert verkörpert«. Natur und Kultur seien keine getrennten Sphären, sondern Natur werde zu einem Kulturgegenstand in dem Maße, wie sie mit Werten verknüpft werde. Sexualität beispielsweise ist ein wertfreies biologisches Vorkommnis, als kulturell angeeignete wird sie zu einem sehr werthaltigen Ereignis: zur Liebe. Die menschliche Realität ist durchwirkt von Wertbildungsvorgängen. Darin liegt nichts Mysteriöses, die Wertewelt schwebt nicht über unseren Häupten, sondern alles, womit der Mensch umgeht, erhält eben dadurch einen Wertakzent. Aus einem Sachverhalt wird so zugleich ein »Wertverhalt«. Sachverhalte können wir erklären, Wertverhalte aber können wir nur verstehen. Die menschliche Gesellschaft insgesamt gleicht dem König Midas: Was sie berührt, was sie in ihren Bannkreis zieht, wird zwar nicht Gold, doch es erhält - Wert. Die Wertphilosophie war eine Obsession des Neukantianismus. Vertieft in die Geheimnisse des Geltens, hatten diese akademischen Philosophen übersehen, was vor allem gilt: das Geld. So war es denn ein Außenseiter, Georg Simmel, der am Anfang des Jahrhunderts das geniale Meisterstück der ganzen Wertphilosophie vorlegte: die »Philosophie des Geldes«. Simmel beschreibt den Übergang vom Raub zum Tausch als das entscheidende Ereignis der Zivilisation schlechthin. Deshalb nennt er den zivilisierten Menschen »das tauschende Tier«. Der Tausch absorbiert die Gewalt und das Geld universalisiert den Tausch. Das Geld, ursprünglich ein materielles Ding, wird zum Realsymbol aller Güter, für die es in den Tausch gegeben werden kann. Gibt es erst einmal das Geld, dann wird alles, womit es in Berührung kommt, verhext: Es läßt sich nun nach seinem Wert taxieren, ob das nun eine Perlenkette, eine Grabrede oder der wechselseitige Gebrauch der Geschlechtswerkzeuge ist. Das Geld ist die real existierende Transzendentalkategorie der Vergesellschaftung. Die Äquivalenzbeziehungen, die das Geld stiftet, verbürgen den inneren Zusammenhang der modernen Gesellschaft. Das Geld ist jenes Zaubermittel, das die Welt insgesamt in ein ›Gut‹ verwandelt, das nach seinem Wert taxiert und darum auch verwertet werden kann. Wie aber wird etwas zum Geld?  Die einfache, aber in ihren Konsequenzen unabsehbare Antwort: indem es zu etwas wird, das gilt. Dieses Etwas, das gilt, läßt sich dann dafür einsetzen, jemand anderem, von dem man etwas will, dieses Begehrte zu entgelten. Das Austauschmaß ist jeweils genau berechenbar, doch dunkel bleibt, wo dieses Maß eigentlich entspringt. Die einen sagen: in der Arbeit; die anderen: auf dem Markt; wieder andere: im Begehren; noch einmal andere: in der Knappheit. Auf jeden Fall aber haftet das Gelten des Geldes nicht an seiner materiellen Natur, eher noch ist es gesellschaftlicher Geist, der zur materiellen Gewalt geworden ist. Die Zirkulationsmacht des Geldes hat den Geist überflügelt, dem man einst nachsagte, er wehe, wo er will ... Simmels Geist aber dringt, wie eben auch das Geld, in jeden noch so verborgenen Winkel des gesellschaftlichen Lebens. Simmel kann alles mit allem verbinden. Wenn das Geld für solche disparaten Dinge wie eine Bibel und eine Flasche Branntwein einen gemeinsamen Wertausdruck schafft, dann entdeckt Simmel darin eine Verbindung zum Gottesbegriff des Nikolaus von Kues, für den Gott die »coincidentia oppositorum«, den Einheitspunkt aller Gegensätze bedeutete. »Indem das Geld immer mehr zum absolut zureichenden Ausdruck und Äquivalent aller Werte wird, erhebt es sich in abstrakter Höhe über die ganze weite Mannigfaltigkeit der Objekte, es wird zum Zentrum, in dem die entgegengesetztesten, fremdesten, fernsten Dinge ihr Gemeinsames finden und sich berühren; damit gewährt tatsächlich auch das Geld jene Erhebung über das Einzelne, jenes Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips.« Die Analyse der Macht des Geltens kommt auch im Falle des Geldes - wie das Beispiel Simmel zeigt - offenbar nicht ohne Rückgriff auf den metaphysischen Begriffsbestand aus. In der metaphysikfeindlichen Epoche vor 1914 war also die Sphäre des Geltens, und sei es die des Geldes, ein Asyl für die metaphysischen Reste. Und so verhält es sich - um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren - auch bei Husserl, der das psychologiefreie Gelten der Logik wie ein platonisches Ideenreich gegen die Maulwürfe der naturalistischen Psychologie verteidigt. In einer ähnlichen Verteidigungsstellung befindet sich der junge Martin Heidegger. Auch er findet seine metaphysischen Reste, mit Husserl (und mit Emil Lask), im Mysterium des Geltens, in der Sphäre der reinen Logizität, die allen Versuchungen zur Relativierung durch Biologie oder Psychologie widersteht. .... Mit der Logik glaubt Heidegger einen Zipfel überindividueller Geltung erhaschen zu können, und das bedeutet ihm viel, denn er will an die objektive Realität des Geistes glauben. Geist darf nicht bloß ein Erzeugnis unseres Kopfes sein. Aber selbständige Realität will er auch der Außenwelt zugestehen. Sie darf nicht zur Chimäre des subjektiven Geistes verdampfen. Das wäre dann ja die erkenntnistheoretische Version des von ihm gescholtenen schrankenlosen Autonomismus des Ichs. Heidegger will beides vermeiden: den Absturz in den Materialismus und die falsche Himmelfahrt des subjektiven Idealismus. Seine ersten philosophischen Gehversuche orientieren sich an einem kritischen Realismus, für den gilt: nur wer an die Bestimmbarkeit einer realen Natur glaubt, wird seine Kräfte an deren Erkenntnis setzen. Und er orientiert sich an der Möglichkeit eines objektiven Geistes.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 51-55). Aber von Dilthey, so berichtet Rüdiger Safranski, habe Heidegger gelernt, daß „auch Wahrheiten ihre Geschichte haben. Gegen Ende seiner Habilitationsarbeit (1915) vollzog er den entscheidenden Perspektivenwechsel .... Die Einsicht Diltheys, »daß Sinn und Bedeutung erst im Menschen und seiner Geschichte entstehen«, wurde für ihn maßgeblich. Die radikal gefaßte Idee der Geschichtlichkeit zerstört jeden universalistischen Geltungsanspruch. .... In SEIN UND ZEIT (1927) lautet die Formel für die Fähigkeit, sich einsetzen zu können: Mut zur Angst. .... Das Werk, effektsicher in seiner Dramaturgie, beginnt mit einer Art Prolog im Himmel. Plato tritt auf. Ein Anspruch aus dem Dialog »Sophistes« wird zitiert: »Denn offenbar seid ihr doch schon lange mit dem vertraut, was ihr eigentlich meint, wenn ihr den Ausdruck  › s e i e n d ‹  gebraucht, wir jedoch glaubten es einst zwar zu verstehen, jetzt aber sind wir in Verlegenheit gekommen.« Diese Verlegenheit, so Heidegger, gibt es immer noch, aber wir gestehen sie uns nicht ein. Immer noch wissen wir nicht, was wir meinen, wenn wir sagen, etwas sei  seiend.  Der Prolog führt Klage gegen eine doppelte Seinsvergessenheit. Wir haben vergessen, was das Sein ist, und haben auch noch dieses Vergessen vergessen. Und so gilt es denn, die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen, aber weil wir das Vergessen vergessen haben, gilt es vordem, allererst wieder ein Verständnis für den Sinn dieser Frage zu wecken. Wie es sich für einen Prolog geziemt, wird auch schon zu Anfang angedeutet, worauf alles hinausläuft: Die Interpretation der Zeit als des möglichen Horizontes eines jeden Seinsverständnisses. Der Sinn von Sein ist - die Zeit (Nichts). Die Pointe wird verraten, aber um sie verständlich zu machen, braucht Heidegger nicht nur dieses ganze Buch, sondern auch den Rest seines Lebens.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 169, 171-172). Und Heideggers Leben dauerte bekanntlich bis zum 26. Mai 1976 !

Die Erkenntnistheorie (Vgl. Erkenntnislehre, in die Wissenschaftslehre, Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie eingebunden sind) wurde zwar durch die im 1. Drittel des 20. Jahrhunderts entstandene (sogenannte !) „wissenschaftstheoretische Wende“ ein wenig bereichert, doch das Verhältnis der Wissenschaftstheorie zur Wissenschaft blieb ambivalent. Jede Wende (Beispiele: „Linguistische Wende“, scheinbar neue „anlytische Philosophie“, „kritischer Rationalismus“ u.s.w.) konnte dieses Verhältnis nur leicht verbessern. Da vor allem die Entwicklung der formalen Logik (bzw. Logistik) und der Sprachphilosophie sowie die im Rahmen der damaligen Denkgewohnheiten nicht erfaßbaren Vorstellungen der Quantentheorie (Max Planck) und Relativitätstheorie (Albert Einstein) zur Entstehung einer neueren Wissenschaftstheorie geführt hatten, blieb sie zunächst auch wesentlich bestimmt vom Neopositivismus und logischen Empirismus; dagegen begründete z.B. Karl Popper die zweite Grundrichtung dieser neueren Wissenschaftstheorie, den sogenannten kritischen Rationalismus, nach dem sich Wissenschaftstheorie auf die Untersuchungen der Bedingungen für eine Falsifikation der als Hypothesen aufgefaßten wissenschaftlichen Theorien beschränken muß. (Anti-Test). Der begründungstheoretische Ansatz wird, gefördert z.B. durch die analytische Philosophie, zum einen von der analytischen Wissenschaftstheorie, zum anderen in der operationalistisch orientierten und von Paul Lorenzen (1915-1994) begründeten konstruktiven Wissenschaftstheorie fortgeführt. Aber trotzdem: das Verhältnis der Wissenschaftstheorie zur Wissenschaft ist ambivalent. Faktische wissenschaftliche Forschung steht eben oft unter anderen Bedingungen als ihre in der Wissenschaftstheorie analysierten Strukturen und Normen. Die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis wird wissenschaftstheoretisch immer noch als Abgrenzungsproblem zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Aussagen oder - wie bei Kant - als Kritik der „reinen Vernunft“ behandelt. Als theoretische Fundamentaldisziplin hat die Erkenntnistheorie damit die Stelle der Metaphysik, d.h. ihren ersten Platz übernommen, denn in der transzendentalen Erkenntnistheorie Kants erfuhr die Erkenntnistheorie ihre (wirklich) entscheidende Wende. (Kant als „Vater der Moderne“). Das scheinbar ewige Subjekt-Objekt-Problem führte, indem unter Erkenntnistheorie nicht mehr nur primär Methodologie naturwissenschaftlichen Wissens verstanden wurde, zu der auch heute noch fundamentalen Unterscheidung zwischen Realismus und Idealismus. (Übrigens muß wohl fraglich bleiben, ob Heideggers „In-der-Welt-Sein“ trotz enormen Willens und grandioser Versuche das Subjekt-Objekt-Problem tilgen konnte ). Zugleich wurde die Erkenntnistheorie aus der Einsicht in die historische Bedingtheit des Erkennens (vgl. Historismus) durch die Hermeneutik ergänzt, d.h. wissenschaftstheoretisch um die Unterscheidung von Verstehen und Erklärung. Die erkannte Bedeutung der Sprachphilosophie gilt angesichts der sprachlichen Verfaßtheit aller Erkenntnis auch für die Begründung des sogenannten exakten Wissens (Mathematik, Naturwissenschaft). Erkenntnis


NACH OBEN Das System der Philosophie wird üblicherweise gegliedert in:

Erkenntnistheorie
(Wissenschaftslehre mit Wissenschaftstheorie und Wissenschaftspraxis)
(auch genannt: Epistemologie, Erkenntnislehre, Erkenntniswissenschaft)
Metaphysik
(Ontologie, Kosmologie, Anthropologie, Existenzphilosophie, Theologie)
Logik
(Logistik, Mathematik)
Ethik und Rechtsphilosophie
Ästhetik und Kunstphilosophie
Naturphilosophie
Geschichts- und Kulturphilosophie
Sprachphilosophie
Sozialphilosophie
Wirtschaftsphilosophie
Religionsphilosophie
Anthropologie
Psychologie
...

In der modernen Philosophie wurde mehr und mehr, in Nachahmung der Naturwissenschaften, zwischen Lehre und Forschung in der akademischen Arbeit unterschieden, die ihrerseits unter den Aspekten von Theorie und Praxis untersucht werden müßten. Dies äußert sich darin, daß die Beschäftigung mit Grundfragen der Humandisziplinen wie Soziologie, Politologie, Ideologiekritik u.a. in zunehmendem Maße auch Probleme der konkreten Wissenschaftspraxis einzubeziehen sucht. (Vgl. Erkenntnistheorie Erkenntnistheorie).

Die Logik ist bekanntlich die Fähigkeit richtig, d.h. eben logisch zu denken und die Lehre von der Identität und ihrer Verneinung bzw. von der Folgerichtigkeit und von den Methoden des Erkennens (). Als elementare formale Logik befaßt sie sich mit den allen Begriffen eigenen allgemeinen Eigenschaften. Die grundlegenden Eigenschaften der Begriffe werden ausgesprochen in den logischen Axiomen. Es folgt die Lehre vom Begriff, dann die vom Urteil, zuletzt die vom Schluß - diese drei bilden zusammen die reine Logik. Die angewandte Logik umfaßt gemäß der traditionellen Logik die Lehre von der Definition, vom Beweis, von der Methode; neuerdings werden ihr oft vorausgesandt die noch nicht logikwissenschaftlichen, sondern erkenntnistheoretischen () Lehren vom Erleben, vom Beschreiben und Formulieren, besonders mit Hilfe einer Fachsprache, einer Terminologie, und von der Begriffsbildung. Bisweilen wird ihr angeschlossen die Lehre vom System.

Die Philosophie, der Denk-Körper der Antike, ist das Komplement zum Denk-Raum des Abendlandes.
Die Wissenschaft, der Denk-Raum des Abendlandes, ist das Komplement zum Denk-Körper der Antike.

Denken ist das innerliche, aktive Schalten und Walten mit den eigenen Vorstellungen, Begriffen, Gefühls- und Willensregungen, Erinnerungen, Erwartungen u.s.w. mit dem Ziele, eine zur Meisterung der Situation brauchbare Direktive zu gewinnen. Das Denken, das seiner Struktur nach erkennendes oder emotionales Denken sein kann, besteht also in einem stetigen Umgruppieren aller möglichen Bewußtseinsinhalte und einem Herstellen bzw. Unterbrechen von Verknüfungen zwischen diesen (auch „Denkraum“ genannt), wobei sich eine Folge von Inhalten ausgliedern kann, die eine vergleichsweise feste Form annimmt und „Gedanke“ genannt werden kann. Die Form eines solchen Gedankens ist normalerweise die des sprachlich formulierten Gedankens: Denken ist dann stummes, innerliches Sprechen, Sprechen ist lautes Denken. (Auch dann, wenn die Sprache selber spricht?). Die Art des Denkens ist davon abhängig, was für ein Mensch (im weitesten Sinne) einer ist, sie macht seine Persönlichkeit aus. Ob, was und wie einer im gegebenen Augenblick denkt, ist von seiner Stimmung abhängig (vgl. „Denkgesetze“). Oft hebt das Denken mit einem Einfall an und ist zunächst eineinfallmäßiges Denken. Richtet sich das auf reale Gegenstände, so heißt es konkretes Denken, richtet es sich auf ideale Gegenstände oder auf Vergegenwärtigtes, so handelt es sich um abstraktes Denken. Beide Denkweisen gehen in der Regel ineinander über. Im philosophisch-wissenschaftlichen Sinne ist Denken immer mehr oder weniger Begriffsdenken, wenn mehr, heißt es Denken a priori, wenn weniger, heißt es Denken a postriori. Ob aber mehr das Denken die Sprache oder mehr die Sprache das Denken beeinflußt, bleibt weiterhin unklar; sicher ist nur, daß sie sich beeinflussen, daß sie dies über verschiedene Wege tun und letztendlich, das heißt im letzten Wahrheits- oder Weisheitsentschluß (als Weisheits-end-schluß!), doch dem Dritten zum Opfer fallen bzw. von ihm synthetisiert werden: dem Glauben !

Zum Be-Denken

Heidegger hatte sogar versucht, und zwar besonders mit seiner Spätphilosophie (seit 1945 ), das Denken von der bis dahin traditionellen Philosophie zu trennen. Als der 2. Weltkriegs in Europa zu Ende ging, war besonders in Frankreich und Deutschland der Humanismus in aller Munde. Heidegger wollte mit seinem Brief Über den Humanismus () deutlich machen, daß er über das Denken des Denkens - also: über das Be-Denken, das Bedenken des Denkens oder das Denken über das Denken, nämlich das Denken selbst (man könnte auch sagen: das Denken an sich) - kommt, um von hier aus erst dann zur Frage des Humanismus zu kommen. In diesem Antwortschreiben auf die Fragen des französischen Heidegger-Schülers Jean Beaufret, das später als „Brief über den Humanismus“ bekannt wurde, antwortete Heidegger nämlich indirekt auf Jean-Paul Sartre (), also auf die zu dem Zeitpunkt bereits akute existentialistische Mode und auf die ebenfalls bereits akute Humanismus-Renaissance. „Zur Erinnerung: Beaufret hatte gefragt, »auf welche Weise läßt sich dem Wort Humanismus ein Sinn geben?«. Sartre hatte seinen Existentialismus als einen neuen Humanismus der Eigenverantwortlichkeit und des Engagements in der Situation der metaphysischen Obdachlosigkeit deklariert. Und Heidegger versucht nun darzutun, warum der Humanismus selbst das Problem ist, für dessen Lösung er sich hält, warum das Denken über den Humanismus hinausgehen muß, und weshalb das Denken genug damit zu tun hat, sich für sich selbst, für die Sache des Denkens, zu engagieren. Heidegger beginnt seine Überlegungen bei dem zuletzt genannten Punkt, bei der Sache des Denkens, beim Engagement, um von dort aus zur Frage des Humanismus zu kommen. Was also ist - das Denken?  Naheliegend ist die Vorstellung einer Verschiedenheit und eines Nacheinanders von Theorie und Praxis. Erst die Überlegung, das Modell, die Hypothese, der theoretische Entwurf, dann die,Umsetzung in die Praxis. Die so verstandene Praxis ist das eigentliche Handeln, Theorie ist demgegenüber allenfalls eine Art von Probehandeln. In diesem Schema verliert ein Denken, das nicht auf das Handeln als etwas ihm Äußeres bezogen ist, seine Würde und seinen Wert, es wird nichtig. Eine solche Anbindung des Denkens an das Handeln ist gleichbedeutend mit der Herrschaft des Nützlichen. Wenn gefordert wird, daß das Denken sich zu engagieren habe, dann ist damit solche Nützlichkeit für die Durchsetzung bestimmter praktischer Anliegen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeint. Der Aufweis des praktischen Nutzens und des löblichen Engagements dient dann auch dem Nachweis der öffentlichen Daseinsberechtigung des Denkens. Diese Vorstellung fegt Heidegger beiseite. Er nennt sie eine »technische Interpretation des Denkens« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 6). Sie ist uralt und schon seit den Tagen Platons die große Versuchung für das Denken. Sie ist die kleinlaute, von den praktischen Zumutungen des Lebens eingeschüchterte Art, den Glauben an sich selbst zu verlieren, indem sie sich als »Verfahren des Überlegens im Dienste des Tuns und des Machens« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 6) versteht. Auf die Philosophie hat sich diese Einschüchterung durch das Praxisgebot katastrophal ausgewirkt. In Konkurrenz zu den praktisch erfolgreichen Wissenschaften gerät die Philosophie in die Verlegenheit, ihre Nützlichkeit erweisen zu müssen. Die Philosophie wollte es den Wissenschaften, die sich von ihr emanzipiert hatten, gleichtun. Sie wollte sich zum »Range einer Wissenschaft erheben« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 6) und bemerkte nicht, daß sie sich in den Wissenschaften nur verlieren oder in sie abstürzen kann. (). Und dies nicht, weil sie etwas ›Höheres‹, Erhabenes ist, sondern deshalb, weil sie eigentlich beim Näherliegenden anzusetzen hätte, an einer Erfahrung, die jeder wissenschaftlichen Einstellung vorausliegt. Indem das Denken sich davon entfernt, ergeht es ihm wie dem Fisch auf dem Trockenen. »Schon lange, allzu lange sitzt das Denken auf dem Trockenen« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 7) sagt Heidegger. Wo aber ist nun dieser eigentliche Ort des Denkens, was ist dieses Naheliegende des Denkens? Es liegt für Heidegger nahe, die Frage nach der Nähe zunächst einmal mit einem Rückblick auf SEIN UND ZEIT zu beantworten. Dort hatte er herauszufinden versucht, was für das Dasein, das sich in derWelt vorfindet, das Nächste, das Anfängliche ist. Die Pointe dieser Untersuchung war gewesen: Uns selbst und unsere Welt erfahren wir zunächst nicht in quasiwissenschaftlicher Einstellung. Die Welt ist nicht in diesem Sinne unsere ›Vorstellung‹, sondern zunächst erfahren wir unser In-der-Welt-Sein. Das In-Sein ist das Maßgebliche und Primäre. Das gestimmte In-Sein, geängstigt, gelangweilt, besorgt, geschäftig, benommen, hingebungsvoll, ekstatisch. Nur auf diesem Hintergrund des anfänglichen In-Seins kann so etwas geschehen, wie daß wir uns herausreflektieren, uns bestimmte Vorstellungen machen, ›Gegenstände‹ aus dem Kontinuum unseres Besorgens und Beziehens herausschneiden. Daß es da ein ›Subjekt‹ gibt, dem ›Objekte‹ gegenüberstehen, ist keine basale Erfahrung, sondern verdankt sich einer sekundären, abstraktiven Leistung. Wenn das ursprüngliche In-Sein das nächste ist, wenn in dieser Nähe die Dinge des Lebens noch in ihrem ganzen Reichtum aufgehen können, und wenn das Denken die Aufgabe hat, diese Nähe zu bedenken, so ergibt sich eine paradoxe Konstellation. Da wir nicht zuletzt durch das Denken die Unmittelbarkeit verlieren, so wird einem Denken, das in die Nähe kommen will, die Aufgabe zugemutet, gegen seine eigene entfernende, distanzierende Tendenz anzudenken. Das Denken, das in den Vermittlungen zu Hause ist, soll in die Nähe des Unmittelbaren kommen. Aber gerät es dabei nicht erst recht ›aufs Trockene‹?  Läuft das nicht darauf hinaus, mit dem Denken die Effekte des Denkens rückgängig zu machen ?  Eine Wiederbelebung der Hegelschen ›vermittelten Unmittelbarkeit‹?  Geht das überhaupt - in diese Nähe zurückzudenken?  Darauf antwortet Heidegger lakonisch: Das Denken ist erst dann bei seiner Sache, wenn es an ihr »zerbricht«. Die »Philosophie über das Scheitern«, die gegenwärtig Konjunktur habe, sei durch einen Abgrund getrennt von dem, was not tut, »von einem scheiternden Denken« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 34). Das scheiternde Denken ist kein Unglück, man bemerkt darin, daß man auf dem richtigen Weg ist. Doch wohin führt dieser Weg?  In die Nähe. Aber was sucht es in dieser Nähe, von der wir inzwischen wissen, daß sie das elementare und primäre In-Sein bedeutet?  Ist dieser Ort nur deshalb so attraktiv, weil ihn die Wissenschaft »übereilt«?  So wichtig ist die Wissenschaft doch auch nicht, daß das von ihr Ignorierte ebendarum geadelt werden müßte. Hat sich Heidegger, der das Leben eines Akademikers führt, nicht doch in eine Idealkonkurrenz mit der Wissenschaft verbissen?  Ist die ontologische Differenz, von der er so großes Aufhebens machte, vielleicht doch nichts weiter als ein Pochen auf der narzißtischen Differenz zum verwissenschaftlichten Philosophiebetrieb?   Wir wissen natürlich schon längst, daß in dieser ›Nähe‹ ein großes Versprechen, eine Verheißung steckt, die tatsächlich weit über das hinausgeht, was im wissenschaftlichen Bereich zu bekommen ist. Es ist die Erfahrung des Seins. Er sei mit SEIN UND ZEIT auf dem Weg zu dieser Erfahrung und ihrer Formulierung gewesen, aber er sei nicht »durchgekommen«. Die »Absicht auf ›Wissenschaft‹ und ›Forschung‹« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 47) habe ihn gehemmt und in die »Irre« geführt. Es sei zwar schon damals nicht seine Absicht gewesen, zur wissenschaftlichen Anthropologie beizutragen, sondern es war ihm um das Bedenken des Bedenklichsten zu tun, um das Dasein des Menschen als offene Stelle, die sich im Seienden aufgetan hat. Dasein verstanden als Ort, wo das Seiende zur Sprache kommt () und eben dadurch zum Sein wird, und das heißt: es wird hell, begegnend, eröffnend auch in seiner Undurchdringlichkeit und in seinem »Entzug«. Tatsächlich hatte Heidegger seine Daseinsanalyse im Blick auf das Sein vorgenommen; Dasein war für ihn jenes Seiende, dem es um sein eigenes Sein(können) geht. Aber er hatte sich dann doch, gegen seine ursprüngliche Intention, in das Dasein zu weit hineinziehen lassen. Vor lauter Dasein war schließlich doch das Sein aus dem Blick gekommen. Das läßt sich am Begriff der »Existenz« zeigen. Wenn Heidegger in SEIN UND ZEIT schreibt, »das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält, nennen wir ›Existenz‹« (Martin Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 12), dann hatte der Begriff des ›Seins‹ hier die bestimmte Bedeutung des zu verwirklichenden eigenen Seins. Deshalb spricht Heidegger auch vom »Zu-Sein« im Sinne des Vorhabens und des Entwerfens. In diesem Sinne ist auch der Satz gemeint vom »Vorrang der ›existentia‹ vor der ›essentia‹« (Martin Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 58), auf den sich dann Sartre mit einigem Recht bei der Betonung des Entwurfscharakters des Daseins berufen kann: Die »Existenz« kommt vor der »Essenz«. Aber nun, da Heidegger seine ursprüngliche Intention aus der Gefangenschaft der wissenschaftlichen Philosophie herausführen will, gibt er dem Begriff der Existenz eine andere Bedeutung. Er bezeichnet nicht mehr nur die Seinsart eines Wesens, dem es um sein eigenes Sein-(können) geht - sondern Existenz, die er jetzt Ek-sistenz schreibt, bedeutet: »Das Stehen in der Lichtung des Seins nenne ich die Ek-sistenz des Menschen. Nur dem Menschen eignet diese Art zu sein.« Die Ek-sistenz bedeutet Ausstehen, aber auch Ekstase. Wir wissen inzwischen, wie gerne und häufig Heidegger seit den dreißiger Jahren den Brief Hölderlins zitiert, worin dieser seinem Freund Böhlendorff anvertraut, wie ihn der Blitz des Apoll getroffen habe. Die ›Existenz‹ brachte es im besten Falle zur Entschlossenheit, Ek-sistenz aber bedeutet offen zu sein für Pfingsterlebnisse der verschiedensten Art. Die berühmte Heideggersche »Kehre«, die bekanntlich eine Lawine von Interpretationen losgetreten hat, sollte man so »einfach« sehen, wie sie von Heidegger gemeint ist. Im ersten Anlauf (bis SEIN UND ZEIT) blieb er im Dasein stecken, bei jenem Sein, das die Existenz verwirklichen will; im zweiten Anlauf - oder eben im »gekehrten« Zugang - will er auf ein Sein ›hinaus‹ (im wörtlichen Sinne), von dem das Dasein angesprochen, in Anspruch genommen wird. Das zieht eine ganze Reihe von Uminterpretationen nach sich, worin die aktivistischen, vom einzelnen Dasein her entworfenen Bezugsmöglichkeiten umgepolt werden auf ein Register von eher passivischen, gewährenlassenden, hinnehmenden Verhaltensweisen. Aus der »Geworfenheit« des Daseins wird sein »Geschick«, aus dem »Besorgen« der eigenen Angelegenheiten wird ein »Hüten« dessen, was einem aufgegeben und anvertraut ist. Aus dem »Verfallen« an die Welt wird ihr »Andrang«. Und in den »Entwürfen« ist es das Sein selbst, das sich durch sie hindurch »wirft«. Das Seinsdenken, das die Nähe sucht, findet dort etwas, das bei Nietzsche noch recht unbefangen und ungeschützt genannt wurde: »der Augenblick der wahren Empfindung«. Ist nun damit die Frage beantwortet, was die Sache des Denkens sei, wenn sie nicht nur eine Dienlichkeit fürs Handeln sein soll?  Sie ist beantwortet. Denken ist ein inneres Handeln, es ist ein anderer Zustand, der im Dasein eröffnet wird - durch und während des Denkens. Das Denken ist eine gewandelte Art, in der Welt zu sein, in den Worten Heideggers: »dieses Denken ist weder theoretisch noch praktisch. Es ereignet sich vor dieser Unterscheidung. Dieses Denken ist, insofern es ist, das Andenken an das Sein und nichts außerdem. .... Solches Denken hat kein Ergebnis. Es hat keine Wirkung. Es genügt seinem Wesen, indem es ist« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 48). Und dann kommt jener Satz, den wir uns merken müssen, weil er die ganze Heideggersche Spätphilosophie () enthält: Diese Art des Denkens - was tut sie?  »Sie läßt das Sein - sein« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 48). Und wie verhält es sich mit dem Humanismus?  Souverän dem Faktum gegenüber, daß der Nationalsozialismus soeben den Humanismus auf katastrophale Weise ›unterboten‹ hat, schickt sich Heidegger an, den Humanismus nun zu ›überbieten‹. In der humanistischen Bestimmung des Menschen, ob als theonomer oder als autonomer Humanismus, sei »die eigentiche Würde des Menschen noch nicht erfahren« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 21). Er denke ›gegen‹ den Humanismus, nicht weil er für die »Bestialität« plädiere, sondern weil der Humanismus »die Humanitas des Menschen nicht hoch genug ansetzt« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 22). Wie hoch soll man sie ansetzen?  So hoch, wie einst von Gott gesprochen wurde. Der Mensch als »Hirt des Seins« ist ein Wesen, von dem wir uns kein Bildnis machen sollen. Als das nicht »festgestellte Tier« (Nietzsche), als ein nicht gegenständlich fixierbares, sondern im Reichtum seiner Bezüge lebendes Wesen bedarf der Mensch zwar sittlicher Bindungen, auch wenn sie »noch so notdürftig und im bloß Heutigen zusammenhalten« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 43), aber das sind wirklich nur Notbehelfe, sie sind etwas Vorletztes, von dem wir nicht glauben dürfen, daß bei ihnen das Denken aufhört. Das Denken dringt weiter vor, bis es in seinem beseelten Schwung die eigentliche »Erfahrung des Haltbaren« macht. »Den Halt für alles Verhalten verschenkt die Wahrheit des Seins« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 51). An diesem Punkt ist Heidegger nun wirklich himmelweit von Sartre entfernt. Sartre: »Der Mensch muß sich selber wieder finden und sich überzeugen, daß ihn nichts vor ihm selber retten kann, wäre es auch ein gültiger Beweis der Existenz Gottes.« Zwar erklärt auch Heidegger, »das ›Sein‹ - das ist nicht Gott und nicht ein Weltgrund« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 22), aber das ändert nichts daran, daß die Erfahrung des Seins auf ein Seinsverhältnis einstimmt, das - fromm ist; andachtsvoll, meditativ, dankbar, ehrfürchtig, gelassen. Der ganze Kreis von Wirkungen, den ein Gott um sich schlägt, ist da - nur verhängt Heidegger über diesen Gott ein so rigoroses Bilderverbot, wie es die etablierten Religionen nicht kennen. Dem Heideggerschen ›Gott‹ gehört die »Lichtung«. Man erfährt ihn noch nicht im Seienden, das in der »Lichtung« begegnet. Man begegnet ihm erst, wenn man diese »Lichtung« als die Ermöglichung der Sichtbarkeit eigens erfährt und dankbar empfängt. Man kann es drehen und wenden wie man will, es bleibt zuletzt doch die Wiederholung jenes wunderbaren Gedankens von Schelling, wonach die Natur im Menschen die Augen aufschlägt und bemerkt, daß es sie gibt. (Mehr). Der Mensch als der Ort der Selbstsichtbarkeit des Seins. »Ohne den Menschen wäre das Sein stumm: es wäre da, aber es wäre nicht das Wahre« (Kojève). Was folgt daraus?  Wir haben es schon gehört. Nichts. »In all dem ist es, so, als sei durch das denkende Sagen gar nichts geschehen« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 52). Und doch: Das ganze Verhältnis zur Welt hat sich geändert. Es gibt eine andere Befindlichkeit, ein anderer Blick wird auf die Welt geworfen. Heidegger wird die Jahre, die ihm noch bleiben, damit zubringen, diesen Blick zu erproben, an der Technik, am Bauen und Wohnen, an der Sprache und, wie heikel auch immer, an Gott. Sein Denken, das er nun nicht mehr ›Philosophie‹ nennt, wird sich darum mühen, das sein zu, lassen, was einen - sein läßt. »Weil in diesem Denken etwas Einfaches zu denken ist, deshalb fällt es dem als Philosophie überlieferten Vorstellen so schwer. Allein das Schwierige besteht nicht darin, einem besonderen Tiefsinn nachzuhängen und verwickelte Begriffe zu bilden, sondern es verbirgt sich in dem Schritt-zurück ....« (Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1946, S. 33).“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 405).

Selbst wenn die Philosophie tatsächlich zukünftig in der Wissenschaft aufgehen sollte (was ich nicht glaube): das Denken geht weiter! Vielleicht erkannte z.B. Karl Jaspers auch darum in einer wohl doch „philosophisch armen Welt“ nur noch eine „einzigartige Gestalt“ (): Heidegger! Er hat Sein und Zeit geschrieben, vor allen möglichen Irrwegen gewarnt, mit Recht die rein ökonomische 11. Feuerbach-These von Marx abgelehnt und dagegen die ökologische (eigentlich: ökosophische !) These gesetzt, daß es eben nicht darauf ankommt, die Welt immer nur zu verändern, sondern daß es darauf ankommt, die Welt zu „schonen“ ! „Ich habe schon früh in Heidegger den eigentlichen Begründer der »grünen« Bewegung gesehen, denn er war ja zumindest auch ein Philosoph des Umweltschutzes oder der Umweltbewahrung.“ (Ernst Nolte, Einblick in ein Gesamtwerk: Siegfried Gerlich im Gespräch mit Ernst Nolte, 2005, S. 116). Und überhaupt: Heidegger ist deswegen der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts, weil er überhaupt, aber besonders eben mit seiner Spätphilosophie () dem Denken (der Philosophie) sehr wichtige Impulse gegeben, Wegmarken gesetzt, neue Wege bereitet hat.

Die Philosophie kann und will ja auch, wie Peter Sloterdijk 2005 behauptete, „kunstmäßig betrieben werden als eine Quasi-Wissenschaft von den Totalisierungen und ihrer Metaphern, als erzählende Theorie der Genesis des Allgemeinen und schließlich als Meditation des Seins-in-Situationen - alias In-der-Welt-Seins; ich nenne das »Theorie der Immersion« oder allgemeine Theorie des Zusammenseins und begründe von dort her die Verwandtschaft der jüngeren Philosophie mit der Kunst der Installation.“ (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 16). Sloterdijk zeichnet sich bekanntlich auch durch seine Fähigkeit aus, das Philosophische und das Erzählerische „auf eine teils neo-skeptische, teils neo-morphologische Weise miteinander zu konfigurieren“, und manchmal darf bei ihm auch die „diskrete Komik“ das Hauptmerkmal sein. (Vgl. ebd., S. 14, 16). Sloterdijk will Morphologie und Skeptizismus (= Lebensphilosophie; inklusive Existenzphilosophie) konfigurieren, wobei Heideggers „Existenzialien“ („In-Sein“, „In-der-Welt-Sein“ u.a.) für ihn eine besondere Rolle spielen. Der Versuch dieser Zusammenfügung macht - für mich auf jeden Fall - Sloterdijk so sympathisch. (Junge Schule). Skeptizismus oder Skepsis muß man von Kritizismus oder Kritik eindeutig unterscheiden (können): „Skepsis ist der Habitus, das Überzogene am Gewöhnlichen auflaufen zu lassen und endgültige Ergebnisse stets als vorläufige hinzustellen. .... Anders als der Kritizismus, der an Herabsetzungen interessiert bleibt, hegt die Skepsis Sympathien für Übertreibungen aller Art, im Bewußtsein, ihnen nicht erliegen zu müssen.“ (Peter Sloterdijk, Nicht gerettet, 2001, S. 263, 273). Spengler

Die Geschichte der Philosophie ist hauptsächlich die Geschichte des menschlichen Denkens, des Denkens nämlich, das die philosophischen Probleme entdeckt bzw. sich stellt und an ihrer Lösung arbeitet. Die Philosophen aller Zeiten, Völker und Kulturen haben sich mit den gleichen Grundproblemen beschäftigt; in allen Philosophien gibt es eine Erkenntnistheorie, eine Metaphysik, eine Logik, eine Psychologie, eine Anthropologie, eine Ethik u.s.w.. (Vgl. Philosophie-System). Die unterschiedlichen Lösungsversuche der einzelnen Kulturen resultieren aus ihren unterschiedlichen Ursymbolen und Seelenbildern. Als Versuch interkultureller Übergangslösungen, wie sie z.B. die gnostisch-neuplatonische Schule in Alexandrien in die eine und die Patristik in die andere Richtung darbot, sind sie der geistige Teil - ein Synkretismus - einer Pseudomorphose. (GnosisNeuplatonismusPatristik).

 

NACH OBEN Tabelle I

Analoge (Vor- und Früh-) Philosophien
antik von ca. 2100 v. Chr. bis ca. 650 v. Chr.
abendländisch von ca. 50 n. Chr. bis ca. 1500

(0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12)
1) .... Indogermanische ... seit ca. - 2100
2) ............. ZEUS - .........  seit ca. - 2100 / - 2050
3) ........... Religion .......... seit ca. - 2100 / - 2050
4) .............. und .............. seit ca. - 2100 / - 2050
5) ....... altmediterane ...... seit ca. - 2000
6) ........... Religion .......... seit ca. - 2000
7) ....... verschmelzen ...... seit ca. - 1990 / - 1970
8) .... (Antike Religion) ... seit ca. - 1950 / - 1900
9) .... (Zeus-Theologie) .... seit ca. - 1930 / - 1900
10) ..... Protohellenen ..... seit ca. - 20. Jh. / - 17. Jh.
11) .......... Mythen .......... seit ca. - 20. Jh. / - 17. Jh.
12) .............. der ............. seit ca. - 19. Jh. / - 17. Jh.
13) ......... Mykener ......... seit ca. - 19. Jh. / - 17. Jh.
14) . . . (Atriden, Perseus, Ödipus) . . . seit ca. - 18. Jh. / - 16. Jh.
15) (7 gegen Theben, Helena, Menelaos) . .  seit ca. - 18. Jh. / - 16. Jh.
16) . . (Vorläufer der homerischen Epen) . .  seit ca. - 15. Jh. / - 14. Jh.
17) Zeus-Götterwelt als Feudal-Religion seit ca. - 14. Jh. / - 13. Jh.
18) ................... ... .................... seit ca. - 10. Jh. / - 9. Jh.
19) Zeus-Götterwelt als Monopol-Religion seit ca. - 10. Jh. / - 9. Jh.
20) .................... ... ..................... seit ca. - 9. Jh. / - 8. Jh.
21) Zeus-Götterwelt als Adelsreligion, Homer; seit ca. - 8. Jh.
22) ....... ... ..... (u.a. Olymische Spiele; 776) seit ca. - 8. Jh.
23) ....... ... ..... (u.a. Apollon-Kult in Delphi) seit ca. - 8. Jh.
24) Orientalisierende Renaissance seit - 8. / - 7. Jh.
25) Reformation (Orphiker) Renaissance seit - 7 Jh.; Neuzeit
26) Dionysos als „letzter Gott“ im Olymp; seit - 7. Jh.; Neuzeit
27) Zeus-Götterwelt; Theogonie von Hesiod; seit - 7. Jh.; Neuzeit
28) Gegenreformation (6) Zeus-Welt seit - 7. / - 6. Jh.; Neuzeit
- PURITANISMUS seit - 7. / - 6. Jh.; Neuzeit -
1) 1. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 20 (50)
2) 1. Patristik Apostolische Kirchenväter seit 70
3) 5. Kyniker seit 70 (80)
4) Mittlerer Platonismus (Plutarch u.a.) seit 70 (80)
5) 2. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 150
6) 2. Patristik Apologetische Kirchenväter seit 150
7) Aristotelischer Stoizismus seit 160 (180)
8) 3. Skeptizismus Letzte Skeptiker seit 200 (250)
9) Neu-Platonismus (Plotinos u.a.) seit 220 (250)
10) Arianismus (Arius, Wulfila u.a.) seit 3. / 4. Jh.
11) 3. Patristik Systematisierende Kirchenväter seit 3. / 4. Jh.
12) 4. Patristik Dogmatisierende Kirchenväter seit 4. Jh.
13) 5. Patristik Kirchenpolitische Kirchenväter seit 4. / 5. Jh.
14) 6. Patristik Ur-Scholastische Kirchenväter seit 5. / 6. Jh.
15) 1. Scholastik Ur-Scholastik (z.T. 6. Patristik) seit 5. / 6. Jh.
16) 2. Scholastik Früh-Scholastik (Universalienstreit) seit 8.Jh.
17) 1. Mystik Früh-Mystik seit 9. Jh.
18) 3. Scholastik Hoch-Scholastik (Aristotelismus) seit 13. Jh.
19) 2. Mystik Hoch-Mystik seit 13. Jh.
20) 4. Scholastik Spät-Scholastik seit 14. Jh.
21) 3. Mystik Spät-Mystik seit 14. Jh.
22) Nominalismus Früh-Naturwissenschaft seit 14. Jh.
23) Ockhamismus Früh-Empirismus seit 14. Jh.
24) Humanistische Renaissance (Petrarca u.a.) seit 14. Jh.
25) Reformation (Luther) Renaissance seit 15. / 16. Jh.; Neuzeit
26) Neuscholastik (5) Reformation seit 15. / 16. Jh.; Neuzeit
27) Neumystik (4) Paracelsus, Franck u.a. seit 16. Jh.; Neuzeit
28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.; Neuzeit
- PURITANISMUS seit 16. Jh.; Neuzeit -

Kulturwende „Sommersonnenwende“ der Kulturen. Es ist „Mittag“: Kulturen stehen vor der „zweiten Hälfte“. Kulturwende

 

NACH OBEN Tabelle II
Analoge (Hoch- und Spät-) Philosophien
antik von ca. 700 v. Chr. bis ca. 80 n. Chr.
abendländisch von ca. 1450 bis ca. 2230

(12-14, 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24)
1) Ionische Naturphilosophen Urstoff seit -650/-600
2) Eleaten Seinsphilosophie/Rationalismus seit -550
3) Pythagoreer Rel.-pol.-arist. Rationalismus seit -550
4) Subjektivisten Elemenekinetik; Heraklit u.a. seit -520
5) Atomisten Naturph.; Leukipp-Demokrit, .. seit -490/-460
6) Sophisten Anthropologie/Aufklärung seit -475/-450
7) Sokratiker Sokrates, Maieutiker seit -440
8) Megariker Eristiker (Streiter) Euklid v. Megara seit -430
9) Kyrenaiker Aristippos von Kyrene, Hedonisten seit -400
10) Kyniker (Autarkisten) Antisthenes, Diogenes seit -400
11) Platoniker Platon, Alte Akademiker seit -385
12) Aristoteliker Aristoteles, Peripatetiker seit -335
13) 2. Kyniker Älterer Diogenes seit -330
14) Skeptiker Pyrrhon, Zweifler/Pyrrhonisten seit -315
15) Stoiker Stoizismus (Stoa poikile) Zenon seit -300
16) Epikureer Epikur seit -300
17) 3. Kyniker seit -300
18) 2. Aristoteliker Jüngere Peripatetiker seit -287
19) 2. Platoniker Mittlere Akademie seit -270
20) Aristarchos (Neu-Aristoteliker) seit -270
21) 4. Kyniker seit -190
22) 3. Platoniker Neuere Akademie seit -160
23) 2. Stoizismus Mittlere Stoa seit -150
24) 2. Skeptizismus Jüngere Skeptiker seit -70 (-50)
25) 2. Epikureismus Jüngere Epikureer seit -70 (-50)
26) 3. Stoizismus Neue Stoa seit 20 (50)
27) 1. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 20 (50)
28) 1. Patristik Apostolische Kirchenväter seit 70 (80)
29) 5. Kyniker Dion Chrysostomus von Prusa seit 70 (80)
30) Mittlerer Platonismus (Plutarch u.a.) seit 70 (80)
31) 2. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 150
32) 2. Patristik Apologeten seit 150
33) Aristotelischer Stoizismus seit 160 (180)
34) 3. Skeptizismus Letzte Skeptiker seit 200 (250)
35) Neu-Platonismus (Plotinos u.a.) seit 220 (250)

PSEUDO
PSEUDO
PSEUDO
PSEUDO

1) Naturwissenschaft/Heliozentrik seit 1500/1550
2) Empirismus/Rationalismus Mechanik seit 1600
3) Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
4) Subjektivismus Rationalismus; Descartes u.a. seit 1630
5) Atomismus Monaden/Infinitesimal., Leibniz seit 1660-90
6) Aufklärung seit 1685 (1700)
7) Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
8) Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720
9) Sensualismus Positivisten/Materialisten seit 1750
10) Früh-Romantik Sturm-und-Drang seit 1760
11) Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770
12) Hegelianer Idealismus, Hegel, Alt-Hegelianer seit 1800
13) Hoch-Romantik „Klassische“ Romantik seit 1800
14) Lebensphilosophen Existentialisten seit 1820
15) Soziologisten seit 1840
16) Psychologisten seit 1840
17) Spät-Romantik Historismus seit 1840
18) Jung-Hegelianer Jüngerer Idealismus seit 1840
19) Neu-Kantianer Neu-Idealismus seit 1860-70
20) Neu-Hegelianer Neu-Idealismus seit 1890-1900
21) Neu-Romantik Postmoderne Ökologisten seit 1960
22) Neu-Neu-Kantianer Neu-Neu-Idealismus seit 1990
23) 2. Soziologismus seit 2000
24) 2. Lebensphilosophie ab 2080 (2100)
25) 2. Psychologismus ab 2080 (2100)
26) 3. Soziologismus ab 2170 (2200)
27) 1. ..................... ab 2170 (2200)
28) 1. ..................... ab 2220 (2230)
29) Neu-Neu-Romantik ab 2220 (2230)
30) Mittlerer Kant..?..ismus ab 2220 (2230)
31) 2. ..................... ab 2300
32) 2. ..................... ab 2300
33) Hegelianischer Soziologismus ab 2310 (2330)
34) 2. Lebensphilosophie ab 2350 (2400)
35) Neu-Kant..?..ismus ab 2370 (2400)

Kulturwende „Wintersonnenwende“ der Kulturen. Es ist „Mitternacht“: Kulturen stehen vor dem „Wiederholungszwang“. Kulturwende

 

NACH OBEN Tabelle III
- ABENDLAND -
Theologie „Auf und Ab“ Philosophie
Theologie und Philosophie
 Nacht (Winter)      Morgen (Frühling) 
(0-2, 2-4, 4-6)      (6-8, 8-10, 10-12)
Nachmittag (Sommer)     Abend (Herbst)     
  (12-14, 14-16, 16-18)   (18-20, 20-22, 22-24

0-2 Uhr 

1. Gnostizismus Alexandrin. Schule seit 20 (50); PSEUDO
1. Patristik Apostolische Kirchenväter seit 70; PSEUDO
5. Kyniker (z.B. Dion Chrysostomus von Prusa) seit 70 (80)
Mittlerer Platonismus (Plutarch u.a.) seit 70 (80)
2. Gnostizismus Alexandrin. Schule seit 150; PSEUDO
2. Patristik Apologetische Kirchenväter seit 150; PSEUDO
Aristotelischer Stoizismus seit 160 (180)
3. Skeptizismus Letzte Skeptiker seit 200 (250)
Neu-Platonismus (Plotinos u.a.) seit 220 (250)
Arianismus (Arius, Wulfila u.a.) seit 3. / 4. Jh.
3. Patristik Systematisierende Kirchenväter seit 3. / 4. Jh.
4. Patristik Dogmatisierende Kirchenväter seit 4. / 5. Jh.
5. Patristik Kirchenpolitische Kirchenväter seit 4. / 5. Jh.

 12-14 Uhr

Naturwissenschaft/Heliozentrik seit 1500/1550

Humanistische Renaissance seit 14. / 15. Jh.; Wende
Reformation (Luther) Renaissance seit 15 ./ 16. Jh.; Wende
Neuscholastik (5) Reformation seit 15. / 16.Jh.; Wende
Neumystik (4) Paracelsus, Franck u.a. seit 16. Jh.; Wende
Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

2-4 Uhr 

Neu-Platonismus (Plotinos u.a.) seit 220 (250)
Arianismus (Arius, Wulfila u.a.) seit 3. / 4. Jh.
3. Patristik Systematisierende Kirchenväter seit 3. / 4. Jh.
4. Patristik Dogmatisierende Kirchenväter seit 4. / 5. Jh.
5. Patristik Kirchenpolitische Kirchenväter seit 4. / 5. Jh.
6. Patristik (z.T. Ur-Scholastik; neuplatonisch) seit 5. / 6. Jh.
1. Scholastik Ur-Scholastik (z.T. 6. Patristik) seit 5. / 6. Jh.

 14-16 Uhr

Naturwissenschaft/Heliozentrik seit 1500/1550
Empirismus/Rationalismus Mechanik seit 1600
Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
Subjektivisten Rationalismus; Descartes u.a. seit 1630
Atomismus Monadologismus/Infinitesimal. seit 1635-65
Aufklärung seit 1685 (1700)
Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720

Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; z.B. Leibniz - Wolff
Neumystik (4) seit 16. Jh.
Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

4-6 Uhr 

6. Patristik Ur-Scholastische Kirchenväter seit 5. / 6. Jh.
1. Scholastik Ur-Scholastik (z.T. 6. Patristik) seit 5. / 6. Jh.
2. Scholastik Früh-Scholastik (Universalienstreit) seit 8.Jh.

 16-18 Uhr

Empirismus/Rationalismus Mechanik seit 1600
Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
Atomismus Subjektivismus/Infinitesimal. seit 1635-65
Aufklärung seit 1685 (1700)
Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720
Sensualismus Positivisten/Materialisten seit 1750
Früh-Romantik Sturm-und-Drang seit 1760
Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770

Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; z.B. Leibniz - Wolff
Neumystik (4) seit 16. Jh.
Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh
.

6-8 Uhr 

2. Scholastik Früh-Scholastik (Universalienstreit) seit 8.Jh.
1. Mystik Früh-Mystik seit 9. Jh.

 18-20 Uhr

Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
Atomismus Subjektivismus/Infinitesimal. seit 1635-65
Aufklärung seit 1685 (1700)
Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720
Sensualismus Positivisten/Materialisten seit 1750
Früh-Romantik Sturm-und-Drang seit 1760
Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770
Hegelianer Idealismus, Hegel, Alt-Hegelianer seit 1800
Hoch-Romantik „Klassische“ Romantik seit 1815
Lebensphilosophen Existentialisten seit 1820
Neu-Idealismus (Neu-Hegelianismus) seit 1835
Soziologisten seit 1850
Psychologisten seit 1850
Spät-Romantik Historismus seit 1840
Jung-Hegelianer Jüngerer Idealismus seit 1840
Neu-Kantianer Neu-Idealismus seit 1860-70

Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; z.B. Leibniz - Wolff
Neumystik (4) geht auf in Idealismus und Romantik **
Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

8-10 Uhr 

2. Scholastik Früh-Scholastik (Universalienstreit) seit 8.Jh.
1. Mystik Früh-Mystik seit 9. Jh.
3. Scholastik Hoch-Scholastik (Aristotelismus) seit 13. Jh.
2. Mystik Hoch-Mystik seit 13. Jh.

 20-22 Uhr

Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770
Hegelianer Idealismus, Hegel, Alt-Hegelianer seit 1800
Hoch-Romantik „Klassische“ Romantik seit 1815
Lebensphilosophen Existentialisten seit 1820
Neu-Idealismus (Neu-Hegelianismus) seit 1835
Soziologisten seit 1850
Psychologisten seit 1850
Spät-Romantik Historismus seit 1840
Jung-Hegelianer Jüngerer Idealismus seit 1840
Neu-Kantianer Neu-Idealismus seit 1860-70
Neu-Hegelianer Neu-Idealismus seit 1890-1900

Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; z.B. Leibniz - Wolff
Neumystik (4) zu: Idealismus/Romantik; seit Kant - Hegel
Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

10-12 Uhr 

3. Scholastik Hoch-Scholastik (Aristotelismus) seit 13. Jh.
2. Mystik Hoch-Mystik seit 13. Jh.
4. Scholastik Spät-Scholastik seit 14. Jh.
3. Mystik Spät-Mystik seit 14. Jh.
Nominalismus Früh-Naturwissenschaft seit 14. Jh.
Ockhamismus Früh-Empirismus seit 14. Jh.
Humanistische Renaissance (Petrarca u.a.) seit 14. Jh.
Reformation (Luther) Renaissance seit 15. / 16. Jh.; Neuzeit
Neuscholastik (5) Reformation seit 15 ./ 16. Jh.; Neuzeit
Neumystik (4) Paracelsus, Franck u.a. seit 16. Jh.; Neuzeit
Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.; Neuzeit

- PURITANISMUSseit 16. Jh.; Neuzeit -

 22-24 Uhr

Lebensphilosophen Existentialisten seit 1820
Neu-Idealismus (Neu-Hegelianismus) seit 1835
Soziologisten seit 1850
Psychologisten seit 1850
Spät-Romantik Historismus seit 1840
Jung-Hegelianer Jüngerer Idealismus seit 1840
Neu-Kantianer Neu-Idealismus seit 1860-70
Neu-Hegelianer Neu-Idealismus seit 1890-1900
Neu-Romantik Postmoderne Ökologisten seit 1960
Neu-Neu-Kantianer Neu-Neu-Idealismus seit 1990
Neu-Soziologismus seit 2000
Neu-Lebensphilosophie ab 2080 (2100)
Neu-Psychologismus ab 2080 (2100)
Neu-Neu-Soziologismus ab 2170 (2200)
1. ..................... ab 2170 (2200); PSEUDO
1. ..................... ab 2220 (2230); PSEUDO
Neu-Neu-Romantik ab 2220 (2230)
Mittlerer Kant..?..ismus ab 2220 (2230)
2. ..................... ab 2300; PSEUDO
2. ..................... ab 2300; PSEUDO
Hegelianischer Soziologismus ab 2310 (2330)
Neu-Neu-Lebensphilosophie ab 2350 (2400)
Neu-Kant..?..ismus ab 2370 (2400)

Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; z.B. Leibniz - Wolff
Neumystik (4) zu: Idealismus/Romantik; seit Kant - Hegel
Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

Kulturwende „Sommersonnenwende“ oder „Mittag“   Kulturwende

Kulturwende „Wintersonnenwende“ oder „Mitternacht“ Kulturwende

 

 

Kult-Uhr
Geschichte hat tiefenkulturell - wie jede Entwicklung - Ähnlichkeit mit Kreisläufen oder Periodizitäten.
Die Jahreszeiten und die Wiederkehr von Tag und Nacht sind kosmologisch bedingte Ereignisse.
Der „Faust“ des Abendlandes erfand kreisrunde Uhren, die nicht zufallällig die halbierte Tageszeit anzeigen.
Von 0 bis 12 Uhr leben wir im winterlichen und frühjährlichen Auf, von 12 bis 24 Uhr im sommerlichen und herbstlichen Ab.

 

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Philosophie
Spät-Denker
Hoch-Denker
Früh-Denker
Vor-Denker
Ur-Denker
Glaube (Religion, Theologie)

Der wahre Denker kommt über das Urdenken zum Nachdenken.

Und nur die Denker, die vom Urdenken aus über das
Vordenken, Frühdenken, Hochdenken, Spätdenken
zu einem neu-religiösen Nachdenken kommen,
haben das Glück, das Urdenken neu denken
und selbst Vordenker der Neukultur
werden zu können.
Religiös ! (*)

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Anmerkungen:


In-situ meint die natürliche, die richtige Lage in einem Raum (vgl. Situs: Lage oder Stellung der Organe im Körper; Lage des Fötus in der Gebärmutter). Wohnen ! „Hölderlins Intuition hat das In-situ-Prinzip wohl am klarsten ausgesprochen: »Voll Verdienst, doch dichterisch wohnet der Mensch auf dieser Erde«; der Phänomenologe Merleau-Ponty deutet die Verankerung des Daseins in seiner eigenen welthaltigen Voluminosität mit dem Satz: »Der Leib ist nicht im Raum, er wohnt ihm ein«; Heidegger hat hierfür in seiner Analytik des In-der-Welt-Seins die allgemeinste aller möglichen Formulierungen geliefert: »Im Dasein liegt eine wesenhafte Tendenz auf Nähe.« (Martin Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 105.). Diese Thesen konvergieren in einer raumtheoretischen Perspektive: Sie sagen aus, daß Dasein, als Setzung eines symbolischen und physischen Volumens, den Aufenthalt im Unkomprimierbaren bedeutet. Man könnte sogar sagen, daß Dasein und Sich-Ausdehnen konvergieren. Das Wohnen impliziert das Prinzip »Gelegenheitsdichtung«. Das heißt: Auch wer häufig umzieht, kommt nicht umhin, einen Habitus des Wohnens unterwegs auszubilden. .... Mit dem Lokalismus, könnte man sagen, wird der Existentialismus raumanalytisch reformuliert. Nun ist er imstande, mit ausreichender Explizitheit zu artikulieren, daß und warum Bestimmtsein durch Eingebettetsein de facto seit je eine unsuspendierbare Größe darstellt. Hierbei entsteht eine allgemeine Logik der Partizipation, der Situiertheit und der Einwohnung - wir weisen noch einmal auf die Tatsache hin, daß die zeitgenössische Kunst mit ihrer Wendung zur Installation sich diesbezüglich einen weiten Vorsprung vor der philosophischen Analyse erarbeitet hat. (Vgl. Sphären III, Schäume, 2004, S. 523ff.). Auf diese Weise wird offengelegt, daß es kein Dasein gibt ohne Teilnahme an ungekürztem Ausgedehntsein, Verbundensein, Besessensein - es sei denn, die Fähigkeit zur Einbettung wäre durch eine Psychose unterhöhlt oder durch ständige Flucht zerrüttet - aber ist nicht gerade die Psychose ein wildes Bauen, und ist nicht auch die Flucht in gewisser Hinsicht raumbildend?  Mit dem einwohnenden Weltverhältnis ist - die maßgeblichen Raumdenker des 20. Jahrhunderts haben es gezeigt - stets eine interieurbildende Aktivität, eine entfernende Praxis (im Sinne Heideggers) und eine befriedende Kultivierung (im Sinne von Schmitz) verbunden. (Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 105f.; Hermann Schmitz, System der Philosophie, Der Raum - 4. Teil, § 218, 1964-1980, S. 258-308). Wo gewohnt wird, sind Sachen, Symbionten und Personen zu lokalen Solidarsystemen zusammengefaßt. Das Wohnen entwirft eine Praxis der Ortstreue über längere Zeit .... Wohnen schafft ein Immunsystem aus wiederholbaren Gesten; es verbindet das Entlastet-Sein dank erfolgreicher Habitualisierungen mit dem Belastet-Sein durch deutliche Aufgaben.“ (Peter Sloterdijk, Das Unkomprimierbare oder: Die Wiederentdeckung des Ausgedehnten, in: Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 391-405, hier zitiert: S. 401-402, 404-405). Sloterdijk will dem Raum wieder zu seinem früheren Ansehen verhelfen und das Ausgedehnte wiederentdecken. Der Raum ist nicht komprimierbar, so Sloterdijk.

Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen - wie unzählige andere Beispiele auch - für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.

Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele; ihr Ursymbol: Welthöhle. (Vgl. Oswald Spengler, 1918-1922, S. 847f.). Magien

„Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 784). Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz „Antike“ genannt, und der (jungen) magischen Kultur, auch „Persien/Arabien“ genannt, macht es deutlich: „Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. .... Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 800-801).

Der Synkretismus kristallisierte sich als eine der vielen Arten der Pseudomorphose heraus, als die Kirchen des Ostens in Kulte des Westens verwandelt wurden und in umgekehrter Richtung die Kultkirche entstand. Die Formenbildung ging also erst von West nach Ost und dann von Ost nach West. Das 2. Jahrhundert war die Zeit der Umkehrung: die Kulte des Westens wurden zu einer neuen Kirche des Ostens. Es entstand ein neues Griechentum als magische Nation.

Zeus (lat. Jupiter),der höchste Gott der Griechen (der Antike), Sohn des Kronos und der Rhea, Bruder und Gemahl der Hera, stürzte mit seinen Brüdern Poseidon (Neptun) und Hades (Pluto) die Herrschaft der Titanen ( 6 Söhne und 6 Töchter des Uranos und seiner Frau Gäa), zu denen sein Vater Kronos (Saturn) zählte. Er teilte nach dem Sturz der Titanen die Welt mit seinen Brüdern. Wie bei keinem olympischen Gott sonst sind bei Zeus die indogermanische Etymologie und Bedeutung und damit bereits vormediterane, aus der indogermanischen Religion stammende Ursprungs- und Wesensmerkmale zweifelsfrei. Zeus, mit diphtongischem Wurzelnomen, geht etymologisch zurück auf das indogermanische Nomen agentis * dieu-s mit der Grundbedeutung „hell Aufleuchtender“, „Glänzer“, „Wetterleuchtender“. Zeus wurde zwischen 2300-1900 v. Chr. von den einwandernden Indogermanen bzw. Protogriechen (Achäer, Ionier) importiert. Er kann aber sogar noch früher von diesen indogermanischen Gruppen in den Nordwesten Griechenlands importiert worden sein (vielleicht als * Teus). Erst im Verlauf des 2. Jt. v.Chr. trat zu dieser indogermanischen Komponente die mediterane, und erst in der Mittelmeerwelt wurde Zeus zum Kroniden. (Vgl. Tabelle und Zeus' Sohn Apollon).

Kroniden (Hades, Neptun, Zeus sowie Hestia, Demeter, Hera) sind die 3 Söhne und die 3 Töchter des Kronos und der Rhea. Kronos entmannte seinen Vater Uranos (Himmel) und bemächtigte sich der Weltherrschaft. Um nicht von seinen Nachkommen ein ähnliches Schicksal zu erfahren, verschlang er alle Kinder, die ihm seine Gemahlin und Schwester Rhea gebar. Nur im Falle des jüngsten Sohnes Zeus gelang es Rhea, Kronos zu täuschen. An Stelle des Kindes verschluckte Kronos einen Stein. Später besiegte Zeus Kronos, zwang ihn, die Geschwister wieder auszuspeien, und verbannte ihn und die anderen Titanen in den Tartaros (Unterwelt, v.a. für den Aufenthalt von Dämonem und Büßern).

Apollon, Sohn des Zeus und der Leo und Zwillingsbruder der Artemis, war der griechische Gott, v.a. der Mantik (Seher- bzw. Wahrsagerkunst) und Musik, dessen umfassende Kompetenz sich jedoch auf alle Bereiche göttlichen Waltens erstreckte. Die apotropäischen (nach Art des abwehrenden Zaubers), schützenden und heilenden Eigenschaften gehörten hingegen wohl noch vor den daraus ableitbaren mantischen und karthartischen zur älteren Wesensschicht des Apollon. Der schreckliche Bogenschütze, mit den lautlosen Pfeilen „nach Belieben treffend“, schickte zwar Tod und Verderben über Menschen und Vieh, doch wurde der Pestbringer ganz folgerichtig auch um Abwehr des Übels angegangen. Es bleibt festzuhalten, daß an der vielschichtigen Gestalt des Gottes offenbar prähellenische bzw. indogermanisch-protohellenische und (kleinasiatisch-) mediterane Komponeneten beteiligt waren. Apollon war die Verkörperung des griechischen bzw. antiken Ideals der strahlenden „apollinischen Schönheit“. (Vgl. antikes Seelenbild und Apollonkult).

Orakel (zu lat. oraculum, eigtl. „Sprechstätte“) ist Weissagung, Aussage über Zukünftiges (z.B. als Handlungsanweisung), räumlich Entferntes, über den gebotenen Vollzug bestimmter Handlungen und herrscherliche Ansprüche, ferner auch Bezeichnung des Ortes, an dem diese „Wahrsagungen“ erteilt werden. In fast allen Kulturen und Religionen haben Orakel eine beträchtliche Rolle gespielt. Man unterscheidet zwischen einer kultischen Orakelgebung, die durch Medien und Priester erfolgt, und einer direkten Orakelerteilung durch charismatisch veranlagte Personen. Berühmte Orakelstätten waren das kanaanäische Kadesch und vor allem Delphi mit der Pythia, deren Äußerungen von Priestern gedeutet wurden. Das antike Orakel war ursprünglich ein Losorakel und beruhte erst später auf der Inspirationsmantik der Pythia. (Vgl. die mit Runen versehenen Buchenstäbe (Buchstaben) als „Lose“ bzw. Orakelform bei den Germanen).

Delphi war schon seit Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. Siedlung und Kultstätte (urspr. Verehrung der Erdmutter Gäa, seit dem8. Jh. Apollonkult). Das Apollonheiligtum, die „Pythischen Spiele“, besonders aber das Orakel machten Delphi zu einer der bedeutendsten Kultstätten der Antike. Nach der griechischen Mythologie erschlug hier Apollon den Drachen Python. Im Apollontempel befanden sich der Omphalos (Nabel der Erde), ein Marmorblock, der als Mittelpunkt der Erde galt, und der Erdspalt, dem ein Luftstrom entstieg, der die Orakelpriesterin Pythia, auf ehernen Dreifuß über dem Erdspalt sitzend, zur Prophetie anregte. Das Orakel war ursprünglich ein Losorakel und beruhte erst später auf der Inspirationsmantik der Pythia, deren von Apollon eingegebene Äußerungen von der Priesterschaft in Form metrischer, meist mehrdeutiger Sprüche verkündet wurden.

Python (puqon) war nach der griechischen Mythologie ein erdgeborener Drache, der das Orakel seiner Mutter Gäa in Delphi behütete und von Apollon getötet wurde. Nach Python war die Apollonpriesterin Pythia am Orakel in Delphi benannt, führte der Gott den Beinamen Pythios und wurden die Spiele in Delphi „Pythischen Spiele“ (Pythien) genannt, die alle vier Jahre zu Ehren des Apollon gefeiert wurden.

Pythia (von puqon, Python) war Apollonpriesterin in Delphi, benannt nach dem erdgeborenen, das Orakel seiner Mutter Gäa behütenden, schließlich von Apollon getöteten Drachen Python.

Theodizee - den Ausdruck prägte Leibniz 1697. Im engeren Sinne bedeutet er den Versuch einer Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm trotz seiner Allmacht zugelassenen (phys.) Übels, (moral.) Bösen und Leidens in der Welt; im weiteren Sinne die Bezeichnung für die Gesamtheit der Probleme der philosophischen Gotteserkenntnis: entweder will Gott eine vollkommene Welt schaffen, kann es aber nicht, oder er kann es, will es aber nicht, oder er will es weder, noch kann er es, er will und kann es, wogegen aber der faktische Zustand der Welt spricht. Leibniz unternahm den umfassenden Versuch, das Problem theoretisch zu lösen, indem er zwischen einem metaphysischen, physischen und moralischen Begriff des Bösen unterschied und die Welt als die „beste aller möglichen Welten“ verstand. (Die beste aller WeltenSätze). Im Deutschen Idealismus wollte Schelling das Böse als eine Stufe im Prozeß der Selbstwerdung Gottes, die Geschichte als Prozeß der Überwindung des Bösen verstehen. Für Hegel stellte der Gang der Weltgeschichte die „wahrhafte Theodizee, die Rechtfertigung Gottes in der Geschichte“ dar.

„Sätze“ (Beispiele) u.a.:
1) „Satz vom Grund“: Denkgesetz der theoretischen Philosophie von Leibniz; „nichts ist ohne Grund“ (physikalísch), „nichts geschieht ohne Grund“ (Logik; Grund-Folge-Beziehung).
2) „Satz vom Widerspruch“: Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch (z.B. A und nicht-A; können nicht zusammen wahr sein).
3) „Satz von der Ununterscheidbarkeit“: Denkgesetz der theoretischen Philosophie von Leibniz; Satz von der Identität des Ununterscheidbaren. Er definiert die Identität zweier Gegenstände durch die gegenseitige Ersetzbarkeit ihrer vollständigen Begriffe in beliebigen Aussagen, ohne daß sich dadurch etwas an deren Wahrheitswert ändert.
Christian Wolff versuchte, den „Satz vom Grund“ mit ontologischen Mitteln zu beweisen. Kant reduzierte ihn i.d.R. auf den Grundsatz der Kausalität; Schopenhauer nahm ihn zum Anlaß einer Unterscheidung in 4 verschiedene Fundierungsverhältnisse („Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“, 1813).

James Watt (1736-1819), englischer Ingenieur und Erfinder, verbesserte 1765 die (atmosphärische) Dampfmaschine T. Newcomens durch Einführung des vom Zylinder getrennten Kondensators (erste direkt wirkende Niederdruck-Dampfmaschine). 1782-84 konstruierte er eine doppelt wirkende Dampfmaschine. Die von der Firma Boulton & Watt gebauten Dampfmaschinen trugen wesentlich zur Industriellen Revolution bei. Watt betätigte sich auch als Chemiker; er erkannte, daß Wasser kein chemisches Element ist. Das Einheitenzeichen Watt, eine SI-Einheit der Leistung, ist nach James Watt benannt („W“): 1 W ist gleich der Leistung, bei der während der Zeit 1 Sekunde die Energie 1 Joule umgesetzt wird: 1 W = 1 Joule / s = 1 N m / s. Häufig verwendete dezimale Vielfache sind das Kilowatt (kW), das Megawatt (mW) und das Gigawatt (gW). 1 kW = 1000 W, 1 mW =1000 kW, 1 gW = 1000 mW.

Zum Historismus vgl. Früh-Historismus (18-20 Uhr), Hoch-Historismus (20-22 Uhr), Spät-Historismus (22-24 Uhr).

Deutscher Idealismus meint - fußend auf Leibniz und vorbereitet u.a. durch Lessing und Herder - die Entwicklung der deutschen Philosophie von Kant (um 1780) bis Hegel (um 1830), aber auch die philosophische Grundhaltung der deutschen Romantik (Jenaer Frühromantik-Kreis um die Brüder Schlegel und Heidelberger Romantik um Brentano, Görres, Grimm u.a.). Bei Schiller strahlte z.B. der Menschenbildungs-Idealismus ganz besonders - wie ein Stern. Schelling z.B. stand auf dem Boden des Deutschen Idealismus, war mit Fichte und Hegel zusammen dessen Hauptvertreter und bildete den Übergang des Idealismus zur Romantik. Er wurde wegen seiner steten Wandlung auch der Proteus der Philosophie genannt. Im Anschluß an Kant und Fichte entwarf Schelling eine spekulative Naturphilosophie der Hierarchie der Naturkräfte (Potenzen), die schließlich in eine Identitätsphilosophie mündete: Die Gegensätze von Subjekt und Objekt, von Realem und Idealem, Natur und Geist lösen sich für ihn im Absoluten auf als Identität von Idealem und Realem. Nach Schelling ist dieses Absolute unmittelbar erfaßbar durch die intellektuelle Anschauung und in der Kunst. (Vgl. Tabelle).

Immanuel Kant (1724-1804), Werke ():
1) 1747-1758: Dominanz der Naturwissenschaften:
- Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1747)
- Untersuchung der Frage, ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse einige
Veränderungen seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe
(1754)
- Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels
(1755)
- Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens (1756)
- Von den Ursachen der Erderschütterungen (1756)
- Entwurf und Ankündigung eines Collegii über die physische Geographie
nebst ... Betrachtung über die Frage, ob die Westwinde in unseren Gegenden
darum feucht sind, weil sie über ein großes Meer streichen
(1757)
- Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe (1758)
2) 1758-1781: Von der Wollfschen zur kritischen Metaphysik:
- Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (1759)
- Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren (1762)
- Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes
(1763)
- Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen
(1763)
- Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen
(1764)
- Versuch über die Krankheiten des Kopfes
(1764)
- Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral
(1764)
- Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
(1766)
- Von dem ersten Grunde des Unterschieds der Gegenden im Raume
(1768)
- Über Form und Grundlagen der Wahrnehmungs- und der Vernunftwelt
(1770)
- De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770)
- Rezension der Schrift von Moscati über den Unterschied der Struktur der Tiere und Menschen (1771)
- Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775)
3) 1781-1793: Kants kritische Philosophie:
- Kritik der reinen Vernunft (1781)
- Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (1783)
- Über Schulz' Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre (1783)
- Ideen zur einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784)
- Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784)
- Rezension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
(1785)
- Über die Bestimmung des Begriffes einer Menschenrasse (1785)
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785)
- Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786)
- Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786)
- Über Hufelands Grundsatz des Naturrechts (1786)
- Was heißt: sich im Denken orientieren ?  (1786)
- Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788)
- Kritik der praktischen Vernunft (1788)
- Kritik der Urteilskraft
(1790)
- Über Schwärmerei und die Mittel dagegen
(1790)
- Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche der Theodizee (1791)
- Über die von der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisaufgabe:
Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibniz' und Wolffs Zeiten gemacht hat?
(1791)
- Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
(1793)
- Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793)
4) 1793-1804: Kants nachkritische Phase (Bindeglied zwischen vollendetem Kritizismus [] und Deutschem Idealismus)
- Über Philosophie überhaupt (1794)
- Etwas über den Einfluß des Mondes auf die Witterung
(1794)
- Das Ende aller Dinge
(1794)
- Zum ewigen Frieden
(1795)
- Zu Sömmering über das Organ der Seele (1796)
- Ausgleichung eines auf Mißverstand beruhenden mathematischen Streits (1796)
- Metaphysik der Sitten
(1797):
I) Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre
II) Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre
- Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen
(1797)
- Der Streit der Fakultäten (1798)
- Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
(1798)
- Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre (1799)
u.a.

Ding an sich ist das Ding, wie es unabhängig von einem erkennenden Subjekt für sich selbst besteht, das wahre Sein, dessen Erscheinungen die empirischen Dinge sind, auf welches eben die Erscheinungen hinweisen. Wir erkennen ein Ding als Gegenstand unserer Wahrnehmung nur so, wie es uns - eingekleidet in den Ausbauungsformen von Raum und Zeit, in den Kategorien und Verstandesgesetzen - so erscheint. Wie es an sich beschaffen ist, werden wir niemals erfahren. (Frei nach: Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781).

Mesmerismus, nach dem deutschen Arzt Franz A. Mesmer (1734-1815), ist eine Bezeichnung für die Lehre von der Heilkraft des „animalischen Magnetismus“; überhöhte Anschauung von den Erscheinungen der Hypnose und Suggestion. (Vgl. hierzu auch: Peter Sloterdijk, „Der Zauberbaum“, 1985).

Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Hauptwerke:
- Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792)
- Über den Begriff der Wissenschaftslehre (1794)
- Grundlagen der gesamten Wissenschaftslehre (1794)
- Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre (1795)
- Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796)
- Sittenlehre (1798)
- Die Bestimmung des Menschen (1800)
- Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1800 und 1804-05)
- Anweisungen zum seligen Leben (1806)
- Reden an die deutsche Nation (1807-08)
- Rechtslehre (1812)

Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831). Hauptwerke (neben vielen anderen Werken):
- Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1797)
- Phänomenologie des Geistes (1807)
- Wissenschaft der Logik (1812)
- Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817; Zusätze: 1827-1830)
- Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821)
- Philosophie der Geschichte (1822-1828)
- Sämtliche Werke (postum)

Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854). Hauptwerke:
- Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797)
- Von der Weltseele (1798)
- Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1798/99)
- System des transzendentalen Idealismus (1800)
- Darstellung meines Systems (1801)
- Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803)
- Philosophie und Religion (1804)
- Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur (1807)
- Philosophie der Mythologie und Offenbarung (1808)
- Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809)
- Die Weltalter (1811 / 1813)
- Denkmal der Schrift Jacobis von den Göttlichen Dingen (1812)
- Die Gottheiten von Samothrake (1815)
- Clara oder über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt

Arthur Schopenhauer (22.02.1788 - 21.09.1860). Werke u.a.:
- Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813)
- Die Welt als Wille und Vorstellung* (1818) [* Hauptwerk]
- Über den Willen in der Natur (1835)
- D (1841)
- Parerga und Paralipomena. Darin: Aphorismen zur Lebensweisheit (1851)
- Briefwechsel mit Goethe (postum)
- Werke (postum)

Die abendländische Philosophie sei eine Reihe von Fußnoten zu Platon, behauptete der Philosoph und Mathematiker Alfred North Whitehead (1861-1947), einer der wichtigsten Vertreter des Neurealismus, auf den er eine kritische Naturphilosophie gründete, die er später durch eine konstruktive Metaphysik ergänzte.

Obwohl gerade Einstein sich hiergegen am meisten wehrte. Er wollte nicht, daß „Gott würfelt“, er hatte ein geschlossenes Weltbild und wollte deshalb auch ein geschlossenes Weltall, eine Welt ohne Zufall. Einstein irrte! Oder doch nicht?

Zu Martin Heidegger (1889-1976) vgl. Existenzphilosophie und Werke. Schon als Kind spürte Heidegger seine Vorliebe für die formale und mathematische Logik: „Als in der Obersekunda der mathematische Unterricht vom bloßen Aufgabenblösen mehr in theoretische Bahnen einbog, wurde meine bloße Vorliebe zu dieser Disziplin zu einem wirklichen sachlichen Interesse, das sich nun auch auf die Physik erstreckte. Dazu kamen Anregungen aus der Religionsstunde, die mir eine ausgedehnte Lektüre über die biologische Entwicklungslehre nahelegten. In der Oberprima waren es vor allem die Platostunden ..., die mich mehr bewußt, wenn auch noch nicht mit theoretischer Strenge in philosophische Probleme einführten.“ (Martin Heidegger, zitiert in: Hugo Ott, Martin Heidegger - Unterwegs zu seiner Biographie, S. 86). „Wenn Heidegger 1915 in seinem Lebenslauf seine formallogische Schulung erwähnt, als handle es sich um Propädeutik, dann untertreibt er. Denn für ihn war damals die formale und mathematische Logik tatsächlich eine Art Gottesdienst, von der Logik läßt er sich in die Disziplin des Ewigen nehmen, hier findet er Halt auf dem schwankenden Grund des Lebens.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 38). Mehr: Mehr

„Eine strenge, eisig kalte Logik widerstrebt der feinfühligen modernen Seele“ - auch dieser Satz kündet vom Anspruch, dem Heidegger früh folgte; daß nämlich die mathematische Wahrheit als die strengste Form der ewigen Wahrheit am siegreichsten aufleuchtet. Die himmlische Logik nennt Safranski den Untertitel, in dem er den Meister aus Deuschland als noch jungen Erwachsenen beschreibt:„Der Autorismus des Glaubens und die Objektivität der sttrengen Logik sind ihm eins. Es sind verschiedene Arten, am Ewigen teilzuhaben. Und doch geht es dabei auch um gefühle, um sehr erhabene sogar. Erst in der strengen Zucht des Glaubens und der Logik erfüllt sich das Verlangen nach »abgeschlossenen, abschließenden Antworten auf die Endfragen des Seins, die zuweilen so jäh aufblitzen, und die dann manchen Tag ungelöst wie Bleilast auf der gequälten, ziel- und wgarmen Seele liegen.« Wenn Heidegger 1915 in seinem Lebenslauf seine formallogische Schulung erwähnt, als handle es sich um Propädeutik, dann untertreibt er. Denn für ihn war damals die formale und mathematische Logik tatsächlich eine Art Gottesdienst, von der Logik läßt er sich in die Disziplin des Ewigen nehmen, hier findet er Halt auf dem schwankenden Grund des Lebens. Conrad Gröber hatte dem Schüler 1907 die Dissertation Franz Brentanos »Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles« geschenkt. Darin findet er, was er die strenge, eisig kalte Logik nennt, etwas für starke Geister, die nicht nur von ihren Meinungen und Gefühlen leben wollen. Es ist bemerkenswert, daß Gröber, ein Kirchenmann von strenger Observanz, ausgerechnet diese Schrift auswählte. Denn Franz Brentano, ein 1838 geborener Neffe des Romantikers Clemens Brentano, war ein Philosoph, der zwar als katholischer Priester zunächst das Philosophieren dem Glauben unterstellte, aber nach dem »Unfehlbarkeitskonzil« von 1870 in Konflikt mit seinen Oberen geriet. (Pius IX.). Schließlich trat er aus der Kirche aus, heiratete und mußte deshalb seine Wiener Professur niederlegen. Bis 1895 lehrte er noch als Privatdozent und zog sich dann, inzwischen fast erblindet, nach Venedig zurück. Brentano war der Lehrer Husserls, mithin einer der Gründungsväter der Phänomenologie. Die Frage, die Brentano umtrieb, war die nach der Seinsweise Gottes. Wenn es Gott gibt - was bedeutet dann dieses ›es gibt‹?  Ist er eine Vorstellung in unserem Kopf?  Ist er draußen in der Welt als ihr Inbegriff, als ihr höchstes Sein?  In subtilen Analysen findet Brentano heraus, daß es etwas Drittes gibt zwischen den subjektiven Vorstellungen und dem An-sich der Dinge: die »intentionalen Objekte«. Die Vorstellungen sind, so Brentano, nicht etwas rein Inwendiges, sondern sie sind immer Vorstellungen ›von etwas‹. Sie sind das Bewußtsein von etwas Seiendem, das es gibt, oder genauer: das sich mir gibt und darbietet. Diese inneren, »intentionalen Objekte« sind etwas, das heißt: Sie lassen sich nicht auflösen in die subjektiven Akte, durch die wir in Bezug zu ihnen treten. So präpariert Brentano eine ganze aparte Welt des Seienden heraus, die eine Zwischenstellung einnimmt im üblichen Subjekt-Objekt-Schema. In dieser Welt der »intentionalen Objekte« lokalisiert Brentano auch unseren Bezug zu Gott. Hier ›gibt‹ es Gott. Das Bewußtsein von Gott läßt sich nicht an realen Objekten unserer Erfahrung verifizieren, aber es stützt sich auch nicht auf abstrakte Allgemeinbegriffe, wie etwa das ›höchste Gut‹, das ›höchste Seiende‹ usw.. Die Untersuchung der Seinsbegriffe bei Aristoteles unternimmt Brentano, um darzutun, daß der geglaubte Gott nicht jener Gott ist, den wir auf dem Wege der Abstraktion aus der Fülle des Seienden gewinnen wollen. Mit Aristoteles zeigt Brentano, daß es dieses Ganze strenggenommen gar nicht gibt. Es gibt nur einzelne Dinge. Es gibt keine Ausdehnung an sich, sondern nur ausgedehnte Dinge. Es gibt nicht die Liebe, sondern nur die vielen einzelnen Ereignisse der Liebe. Brentano warnt davor, den Begriffsdingen fälschlich eine Substanz zuzuschreiben. Die Substanz steckt nicht in den Allgemeinbegriffen, sondern in den konkreten Einzeldingen. Sie sind von intensiver Unendlichkeit, weil sie in unendlich vielen Relationen stehen und deshalb nach unendlich vielen Hinsichten bestimmt werden können. Unerschöpflich ist die Welt, die sich nur in Einzelheiten und in der mannigfaltigen Abstufung der Seinsarten darbietet. Für das Denken des Franz Brentano steckt Gott im Detail. Die Untersuchung mißt im Anschluß an Aristoteles das Terrain des Denkbaren aus, wodurch der Glaube, der für Brentano verbindlich bleibt, vor einer trügerischen Logifizierung bewahrt wird. Er ruht auf einem anderen Grund als dem der Begründung, aber, so deutet Brentanos Dissertation an, es könnte einmal gelingen, genau zu beschreiben, was eigentlich im Akt des Glaubens, im Unterschied etwa zum Urteilen, Vorstellen oder Wahrnehmen, wirklich vor sich geht. Das sind die Umrisse des phänomenologischen Programmes der kommenden Jahre. Die Lektüre Brentanos war für Martin Heidegger ein schwieriges Exerzitium. Er erzählt, wie er sich in den Semesterferien in Meßkirch damit abplagte. »Wenn die Rätsel einander drängten und kein Ausweg sich bot, half der Feldweg.« Dort auf der Bank wurden die Dinge für ihn wieder ganz einfach. »Die Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt. Im Ungesprochenen ihrer Sprache ist ... Gott erst Gott.« Über Franz Brentano kommt Heidegger zu Edmund Husserl. Dessen »Logische Untersuchungen«, erschienen genau zur Jahrhundertwende, wurden für Heidegger zu einem persönlichen Kultbuch. Zwei Jahre lang behält er es bei sich auf der Stube, ausgeliehen von der Universitätsbibliothek, wo einstweilen noch niemand danach fragte, was in ihm das Gefühl einer einsamen und zugleich auszeichnenden Passion erweckt. Noch fünfzig Jahre später kommt er ins Schwärmen, wenn er an dieses Buch denkt: »(Ich) blieb von Husserls Werk so betroffen, daß ich in den folgenden Jahren immer wieder darin las. .... Der Zauber, der von dem Werk ausging, erstreckte sich bis auf das Äußere des Satzspiegels und des Titelblattes ...«.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 38-40). Mehr: Mehr

„Zwar braucht der Glaube nicht philosophisch begründet zu werden, aber man kann die antimetaphysichen Anmaßungen einer falsch verstandenen Wissenschaftlichkeit philosophisch zurückweisen. Denn den Wissenschaftlern ist meistens nicht bewußt, wieviel metaphysiche Anleihen sie machen, wenn sie ihren Sätzen Wahrheitswert zuerkennen.“  (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 57). Außerdem hat Martin Heidegger, und zwar nicht nur in seiner Freiburger Vorlesung, gesagt: „Die Wissenschaft denkt nicht“, und das bedeutet:„Die Wissenschaft bewegt sich nicht in der Dimension der Philosophie, sie ist aber, ohne daß sie es weiß, auf diese Dimension angewiesen. Zum Beispiel: Die Physik bewegt sich im Bereich von Raum, Zeit und Bewegung; was Bewegung, was Raum, was Zeit ist, kann die Wissenschaft als Wissenschaft nicht entscheiden. Man kann nicht mit physikalischen Methoden sagen, was die Physik ist. Das kann man nur philosophierend sagen.“ (Martin Heidegger zur Seinsvergessenheit; vgl. Martin Heidgger im Denken unterwegs, ein Film von Walter Rüdel & Richard Wisser, 1975). Der Heidegger-Übersetzer Jean Beaufret: „Unterwegs zur Sprache. Und das ist das einzige Geheimnis Heideggers. .... Übersetzen ist für Heidegger kein Transport eines Pakets aus einem Idiom zu einem anderen, sondern umgekehrt: ein Übersetzen des Denkens selber durch einen Strom an das andere Ufer, nämlich zu dem, was schon zur Sprache gekommen war.“ (Ebd.).

Die „Botschaft von SEIN UND ZEIT ...: Es steckt nichts dahinter.“ (Das) NICHTS!  Rüdiger Safranski meint, daß sich mit Heideggers emphatischer Frage nach dem Sinn von Sein auch die im Zusammenhang mit dem Unbehagen stehenden Erwartungen (Trost u.ä.) sehr wohl geweckt, aber eben nicht erfüllt wurden, denn: Daß diese Erwartung enttäuscht werden muß, gehört zur Botschaft von SEIN UND ZEIT, die da lautet: Es steckt nichts dahinter. (NICHTS !). Der Sinn von Sein ist die Zeit; die Zeit aber ist kein Füllhorn von Gaben, sie gibt uns keinen Gehalt und keine Orientierung. Der Sinn ist die Zeit, aber die Zeit ›gibt‹ keinen Sinn.“  (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 178). Gibt es also keine andere Antwort?  Der Sinn von Sein ist - die Zeit. Die Pointe wird verraten, aber um sie verständlich zu machen, braucht Heidegger nicht nur dieses ganze Buch (SEIN UND ZEIT), sondern auch den Rest seines Lebens.“ (Ebd., S. 172). Safranski meint: „Das Fragen war Heideggers Leidenschaft, nicht das Antworten. Wonach er fragte und suchte, das nannte er - das Sein. Ein philosophisches Leben lang stellte erimmer wieder diese  e i n e  Frage nach dem Sein. Der Sinn dieser Frage ist kein anderer, als dem Leben das Geheimnis, das in der Moderne zu verschwinden droht, wieder zurückzugeben.“ (Ebd., S. 13). „Eine von Heideggers Formeln für die Abwehr der Zumutung, doch nun endlich die Frage nach dem Sein zu beantworten, lautet in der Nietzsche Vorlesung (1936/37): »Mit dem Sein ist es nichts ...«. Das bedeutet: Sein ist nichts, woran man sich festhalten könnte. .... Die Frage nach dem Sein soll verhindern, daß die Welt zum Weltbild wird. Als Heidegger merkte, daß dieses ›Sein‹ selbst zu einem Weltbild werden könnte, schrieb er es mit einem Ypsilon (Seyn), und manchmal behalf er sich auch, indem er ›Sein‹ ausschrieb und dann durchstrich (Sein). .... Heidegger aber versucht den Gedanken durchzuhalten: der Sinn des Seins ist die Zeit. Nietzsche macht aus der Zeit ein Sein, Heidegger aus dem Sein die Zeit.“ (Ebd., S. 341-342). Die Zeit ist ja „nicht auf dieselbe Weise wirklich wie die vorkommenden Dinge, die auch altern und ihre Zeit haben. Nur der Mensch erlebt, wie etwas, das ist, wenig später nicht mehr ist, und etwas, das noch nicht ist, nun ins Sein tritt. Der Mensch ist die offene Stelle im Sein, der Schauplatz, wo das Sein ins Nichts und das Nichts ins Sein umschlägt.“ (Ebd.; S. 383). Wenn also für Heidegger etwas eine besonders eröffnende Kraft besitzt, dann diese „e i n e  Frage, die er sein philosophisches Leben lang gestellt hat: die Frage nach dem Sein. Der Sinn dieser Frage ist kein anderer als dieses Offenhalten, dieses Verrücken, Hinausrücken in eine Lichtung, wo dem Selbstverständlichen plötzlich das Wunder seines »Da« zurückgegeben wird; wo der Mensch sich als Ort erfährt, wo etwas aufklafft, wo die Natur die Augen aufschlägt und bemerkt, daß sie da ist, wo es also inmitten des Seenden eine offene Stelle, eine Lichtung gibt, und wo die Dankbarkeit möglich ist, daß es dies alles gibt. In der Seinsfrage verbirgt sich die Bereitschaft zum Jubel. Die Seinsfrage im Heideggerschen Sinne bedeutet, die Dinge zu lichten ....“ (Ebd., S. 473).

Heideggers Brief Über den Humanismus () kann man auch deuten als Versuch, das eigene Denken zu rekapitulieren und seinen gegenwärtigen Ort zu bestimmen, als Eröffnung eines Horizontes, worin bestimmte Probleme des Lebens in unserer Zivilisation sichtbar werden - so gesehen ist dieser Text ein großartiges und auch wirkungsmächtiges Dokument auf Heideggers Denkweg. Außerdem ist hier bereits die ganze Heideggersche Spätphilosophie () zugegen.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 405).

Karl Jaspers (1880-1969) schrieb in seiner letzten Notiz zu Martin Heidegger (1889-1976): „Hoch im Gebirge auf einem weiten felsigen Hochplateau trafen sich von jeher die Philosophen ihrer Zeit. Von da blickt man hinunter auf die Schneeberge und noch tiefer in die von Menschen bewohnten Täler und überall hin unter dem Himmel auf den fernen Horizont. Sonne und Sterne sind dort heller als irgendwo. Die Luft ist rein, daß sie alles Trübe verzehrt, so kühl, daß sie keinen Rauch aufkommen läßt, so hell,daß ein Aufschwung des Denkens in unabsehbare Räume erfolgt. Der Zugang ist nicht schwer. Der auf vielen Wegen Aufsteigende muß nur entschlossen sein, seine Behausung immer wieder auf eine Weile zu verlassen, um in dieser Höhe zu erfahren, was eigentlich ist. Dort treten die Philosophen in einen erstaunlichen, gnadenlosen Kampf. Sie sind ergriffen von Mächten, die durch ihre Gedanken, die menschlichen Gedanken, miteinander kämpfen. .... Es scheint, daß dort heute niemand mehr zu treffen ist. Mir aber schien es, als ob ich, vergeblich suchend in den ewigen Spekulationen, nach Menschen, die sie wichtig fänden, einen träfe, sonst niemand. .... So ging es mir mit Heidegger.“ (Karl Jaspers, Notizen zu Martin Heidegger, 1969, S. 264).

Hannah Arendt (1906-1975). Werke:
- Der Liebesbegriff bei Augustin (1932)
- Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (1938)
- Was ist Existenzphilosophie? (1946)
- Vita activa oder: Vom tätigen Leben (1960)
- Martin Heidegger ist 80 Jahre alt (1969)
- Über die Revolution (1974)
Martin Heidegger und Hannah Arendt sind laut Werbung für den Roman Martin und Hannah (Clément): „das prominenteste Liebespaar der Philosophiegeschichte“. Hannah Arendt ging zunächst aus von ihrem Lehrer Karl Jaspers und seiner Bestimmung der Philosophie als Existenzerhellung, die Grenzerfahrungen und Appell an die eigene Lebenskraft bedeutet und die Weltanschauungen kritisiert, die nur mythologische Gebäude seien und in die hinein der Mensch Schutz suchend vor den eigentlichen Fragen der Existenz flüchte. Die Existenzphilosophie ist ja die Philosophie des in einer völlig erklärten Welt sich verloren vorkommenden Einzelnen. In Anlehnung an Jaspers und Heidegger heißt es bei Hannah Arendt: „Zu dieser erklärten Welt befindet sich der Einzelne in dauerndem Widerspruch, weil seine »Existenz«, nämlich die reine Faktizität seines Existierens in seiner ganzen Zufälligkeit (daß ich gerade ich bin und niemand anderes, daß ich gerade bin und nicht nicht bin) weder von der Vernunft vorhergesehen noch von ihr in etwas rein Denkbares aufgelöst werden kann.“ Diese Existenz ist aber gerade das einzige, dessen ich gewiß sein kann, weshalb es die Aufgabe des Menschen ist, subjektiv zu werden, und dieses Subjektivwerden geschieht laut Jaspers im Erleben von Grenzsituationen, z.B. in der Angst oder im Gedanken an den Tod, weil der Mensch sich da aus der Welt und dem alltäglichen Leben herauslöst - mit dem Gedanken, einmal nicht mehr zu sein, verliert sich das Interesse an dem, was ist, oder, so Heidegger: das angstbesetzte Nichts nichtet das vorgegebene Sein. Die objektive Wahrheit der Wissenschaft ist nun uninteressant, ist unwesentliches Wissen. Das wesentliche Wissen betrifft das, was mich interessiert: meine Existenz. Subjektive Wahrheiten, wie die Freiheit des Menschen, die Unsterblichkeit der Seele oder die Einheit der Welt, können, wie schon Kant zeigte, nicht objektiv erkannt werden, sie können aber ergriffen werden. Solche Wahrheiten heißen bekanntlich bei Heidegger „Existenziale“. Ich muß sie ergreifen, um im emphatischen Sinne zu existieren; ich gebe mir dann selbst meine Bestimmungen. Gerade während der Abfassung von „Sein und Zeit“ war Hannah Arendt die Geliebte Heideggers. Auch philosophisch. Das Vorlaufens auf den Tod als letzte Möglichkeit und das Geborensein - die „Gebürtlichkeit“ - als oberste Bedingung menschlichen Handelns stehen wie viele andere denkerische Beispiele für das ergänzerische Element im Liebespaar Martin und Hannah.

Menschliche Sprache ist nicht nur rein natürlich (kosmisch); natürlich-kulturell ist sie eingebettet in die Sprache aller Lebewesen; rein kulturell ist sie das, was allgemein unter Sprache (Mutter- oder Nationalsprache) verstanden wird; kulturell-natürlich ist sie jedoch eine Metasprache (eine „Sprache-über-Sprache“: Theorie, Religion, Theologie, Philosophie, Mathematik usw.). Vgl. Meta-Sprache (Große Vereinheitlichte Theorie) und Sprache (Sprachtheorie) sowie Feuer () als 1. Kultursymbol. Urdenker

Möglichkeit bedeutet, daß etwas möglich ist, ist also etwas, das (1.) objektiv unter bestimmten realisierbaren Bedingungen wirrklich werden kann und (2.) subjektiv unter bestimmten Voraussetzungen als wirklich gedacht werden kann. „Wenn die Bedingungen der Möglichkeit in ihrer Totalität da sind, dann bilden sie zugleich Notwendigkeit“ (Nicolai Hartmann, Einführung in die Philosophie, postum). „Ein Ding oder ein Geschehen kann nur wirklich werden, wenn alle Faktoren beisammen sind, die dieses Ding oder Geschehen konstituieren. Fehlt nur ein Faktor, wird nicht dieses Ding/Geschehen Wirklichkeit, sondern ein anderes. Kommen aber alle Faktoren zusammen, kann es nicht ausbleiben, daß dieses Ding/Geschehen wirklich wird. Es wird notwendig wirklich. Dies hat die verwirrende Konsequenz, daß das, was einmal (d.h. von der Vergangenheit bis zum Jetzt) Wirklichkeit geworden ist, nicht hatte anders kommen können. Denn wenn es anders hätte kommen können, dann wäre es eben anders geworden und nicht so, wie es jetzt geworden ist. Das Wirkliche ist eins. Was nicht wirklich geworden ist, war auch nicht möglich (was unserem Satz aus der Alltagssprache widerspricht: »Es wäre möglich gewesen, wenn ich doch nur …«) Wirklichkeit ist durch Gründe (nicht unbedingt Ursachen) determiniert (Nicolai Hartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit, 1938, S. 44). „Handlungen können beispielsweise durch Motive determiniert werden. Ideale Möglichkeit und Wirklichkeit sind widerspruchslos. Eine (ideale) geometrische Figur ist konstruierbar und damit ideal existent.“ (Ebd., S. 295). Notwendig ist, was aus dem Bereich des Möglichen heraus durch Hinzukommen weiterer Bestimmungsstücke ins Dasein gezwungen wird. So ist das Seiende an sich nicht notwendig, enthält aber eine Fülle von Möglichkeiten; z.B. tritt aus dem Bereich des Seienden durch das Hinzukommen des Bestimmungsstücks (der Seins- oder Erkenntniskategorie) „lebendig“ der „Organismus“ ins Dasein ind ist zugleich notwendig da. Möglichkeit und Notwendigkeit bilden eine Kette dergestalt, daß die Notwendigkeit eines Dinges immer zugleich die Möglichkeit für wenigstens ein anderes Ding, in der Regel sogar für viele andere Dinge ist. Diese Kette beginnt im denkbar Allgemeinsten und endet im denkbar Individuellsten. Die Notwendigkeit, die der Möglichkeit stes vorausgeht, verhält sich zu dieser wie das Sosein zum Dasein.

„So arbeitet nun mal die Demokratie, mögen manche sagen. Aber leider arbeitet so das Geld. Hier handelt es sich um die Macht der Plutokratie, nicht um die Macht des Volkes, ....“ (Peter Scholl-Latour, 2002, S. 43f.). „Und zwar erweist sich das Geld als reine Tatsache den idealen Wahrheiten als unbedingt überlegen, die wie gesagt nur als Schlagworte, als Mittel für die Tatsachenwelt vorhanden sind. Versteht man unter Demokratie die Form, welche der dritte Stand als solcher dem gesamten öffentlichen Leben zu geben wünscht, so muß hinzugefügt werden, daß Demokratie und Plutokratie gleichbedeutend sind. Sie verhalten sich wie der Wunsch zur Wirklichkeit, wie Theorie zur Praxis, wie die Erkenntnis zum Erfolg. Es ist das Tragikomische an dem verzweifelten Kampf, den Weltverbesserer und Freiheitslehrer auch gegen die Wirkung des Geldes führen, daß sie es eben damit unterstützen.“ (Oswald Spengler, Geld und Geist, in: Der Untergang des Abendlandes, 1918/22, Bd. II, S. 1059ff; S. 1060f). (Vgl. 22-24).

Peter Scholl-Latour (1924-2014): Die Macht der Plutokratie, in: Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?, 2002, S. 41ff. bzw. S. 43f.. (Vgl. auch die Phasen: 18-20, 20-22, 22-24). Peter Scholl-Latour hat die starke Vermutung, daß Spengler mit seiner These vom Untergang „wohl nicht so unrecht hatte“. (Ebd., S. 48). (Vgl. Untergang und Ende).

Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 - 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor?  Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).

 

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© Hubert Brune, 2001 ff. (zuletzt aktualisiert: 2014).