Der
Kosmos ist eine aus dem Altgriechischen stammende Bezeichnung für das Weltall,
die aber nebenbei auch noch die Bedeutung Schmuck, Ordnung
hatte. Was sich bei den Altgriechen von Ordnung und Schmuck
herleitete, war eine gedachte geordnete Einheit. Im Gegensatz zum Chaos war sie
eine geordnete Welt: das Weltall. Pythagoras (ca. 580 - 500 v. Chr.) soll zuerst
die Welt wegen der Ordnung und Harmonie in ihr einen Kosmos genannt haben. Plutarch
(ca. 45 - 120 n. Chr) leitete seine Naturalis historia mit Worten
ein, die den Kosmos preisen. Erfülltsein vom Gefühl innerer Verbundenheit
mit dem Kosmos heißt kosmisches Gefühl bzw. Fühlen. Unter dem
Titel Kosmos gab Alexander von Humboldt (14.09.1769 - 06.05.1859)
seinen 5-bändigen Entwurf einer physikalischen Weltbeschreibung
heraus. II)
Welt, Weltall, Kosmos, Universum |
In der westlichen Welt
werden Weltall und Universum, in der östlichen Welt
Weltall und Kosmos synonym gebraucht. Aus dem Lateinischen
ist für Universum die Bedeutung des einheitlichen Alls, die Welt
als der astronomische Kosmos erhalten. Nach antiker und auch nach
christlich-mittelalterlicher Vorstellung war das, was wir Universum, Kosmos oder
Weltall nennen, endlich und begrenzt. Die Fixsternsphäre sollte dieses Ganze
nach außen hin abschließen. Im christlichen Mittelalter stellte man
sich hinter ihm das Empyreum vor, das Reich Gottes. Erst zum Ende
des Mittelalters kam der Gedanke an ein unendliches Universum auf. Für das
Abendland war das die Zeit des kultursymbolischen Spracherwerbs ().
Da die Naturwissenschaften des Abendlandes die Begriffe Weltall und
Universum für sich patentiert zu haben scheinen, werde ich hier,
weil ich ebenfalls Abendländer (Westler) bin und auch nicht mißverstanden
werden möchte, die Begriffe Weltall und Universum
im abendländisch verstandenen wissenschaftlichen, die Begriffe Welt
und Kosmos im metaphysischen Sinne benutzen.
Der
Kosmos im Kopf
Theoretiker wie Mathematiker und Logiker
sowie Rationalisten sagen:
1
+ 1 = 2
Praktiker wie Techniker, aber auch Physiker
und Chemiker sagen:
1 + 1 = 1,99...~
Energie
und Masse sind äquivalent. Nach Einstein gilt:E
= mc² Wenn
es zu einer Bindung zwischen zwei Atomkernen kommt, wird dabei Energie (Strahlung,
Wärme) frei, und die Kerne haben nach der Verbindung weniger Masse
(Gewicht) als vor der Verbindung. Beispiel: Sterne verschmelzen Kerne, wenn
sie Wasserstoff in Helium umwandeln und Energie (Licht, Wärme) liefern;
und dabei entsteht der Massendefekt. |
|
| Unser
Gehirn wartet schon vor der Geburt auf die Welt und deren Aufgaben. Es wartet
auf das, was in der Welt passiert, um es sich auf eine selbstorganisierende Weise
anzueignen. Der Neurobiologe und Philosoph Gerhard Roth ()
sucht nach den Wurzeln der Iche, aus denen mein Selbst besteht,
und kommt unter anderem zu folgendem Schluß: Die Welt, die wir erfahren,
wird vom Gehirn erzeugt, von einem Gehirn, das gar nicht da ist. Der Produzent
unserer Welt verbirgt sich hinter seinen Produkten. (Gerhard Roth, in: Philosophisches
Quartett - Wie frei ist das Gehirn?, ZDF, 2004). Es ist offenbar schwer
zu verstehen, daß Ordnung entstehen kann, wenn Menschen interagieren,
indem sie ihre eigenen Zwecke verfolgen, aber doch etwas Wunderbares entsteht:
Ordnung. Für Roth gibt es zwei Strategien, von denen wir vom Gehirn
nur lernen könnten: | Selbstorganisation und Ausprobieren.
Die 2. Stufe, so Roth, bedeute Erfahrungen machen und bewerten; neue Erfahrungen
machen und bewerten - sich auf Neues einlassen und das Wagnis eingehen: Ich probier'
was und sehe, was 'raus kommt, und merke mir die Konsequenzen. (Gerhard
Roth, in: Philosophisches Quartett - Wie frei ist das Gehirn?, ZDF,
2004). Es ist scheinbar die neokortikale Dimension, die, als ein unendlicher
Speicher, auf Aufgaben wartet, die noch gar nicht gestellt worden sind.
(Peter Sloterdijk, in: Philosophisches Quartett - Wie frei ist das Gehirn?,
ZDF, 2004). Roths Formulierung hält der Philosoph Peter Sloterdijk
()
für prophetisch; sie habe ihn sehr optomistisch
gestimmt, weil das Gehirn, soweit es Neokortex ist, auf Aufgaben
wartet. (Peter Sloterdijk, in: Philosophisches Quartett - Wie
frei ist das Gehirn?, ZDF, 2004).
Ethisches Ich - eine Funktion des orbitofrontalen Kortex?Es
gibt einen Teil des Gehirns, der über den Augenhöhlen (lat. Orbita)
liegt. Er ist besonders interessant, weil er der Teil des Gehirns
ist, der am spätesten ausreift, ... nänmlich in einem Zeitraum zwischen
13 und 18 Jahren - manchmal 20 Jahren; bei denen, wo es später kommt -, und
zwar zu einem Zeitpunkt, wo diejenigen Menschen hoffentlich zur Vernunft kommen.
Es ist der Teil, der inkorporiert, wie ich mich zu verhalten habe, damit ich nicht
nur zu meinem eigenen Vorteil, sondern auch zum Vorteil der Gesellschaft agieren
muß; das heißt: es ist eine Art Gewissen, eine Art Benimm-Regel-Zentrum.
Und das wissen wir, weil wir Patienten untersucht haben seit 20 Jahren, zum Teil
schon viel länger, was mit den Patienten passiert, die dort Schlaganfall
haben oder Verletzungen haben, und die werden in der Tat von Stund an, über
Nacht, zu absoluten Egoisten gegen andere und gegen sich. Hier sitzt sozusagen
das Regulativ, der Impulshemmer, derjenige, der mir sagt: »tu das nicht,
daß dein egoistisches Es alles will - das limbische System ()
-, sondern guck drauf, was die anderen von dir verlangen, damit sie dich weiter
lieben«. Das ist ja der Sinn der Sache. Wir können ohne die anderen
nicht existieren, in der kleinen Gruppe der Affen. Und ich muß unbedingt
'rauskriegen, wie ich mich zu verhalten habe, damit die weiter zu mir halten.
.... Ich alleine hab' keine Chance. .... Da gibt es diesen Bereich, der sozial
lernt und mir dann sagt: »das sollst du tun, das ist moralisch; das darfst
du auf keinen Fall tun, und das nennt man unmoralisch.« Dieser Teil reift
eben erst so mit der Pubertät und nach der Pubertät aus: ein wunderbarer
Fall, der zeigt, wie unser Gehirn auf die Gesellschaft wartet. (Gerhard
Roth, in: Philosophisches Quartett - Wie frei ist das Gehirn?,
ZDF, 2004). Eigentlich ist es ein wunderbares Plädoyer,
das Sie eben gehalten haben, dafür, den Begriff des Gehirns nicht mehr im
Singular zu benutzen, so Sloterdijk zu Roth (ebd., 2004). Unser Gehirn
wartet ()
also auch auf die Gesellschaft (Gemeinschaft). Roth: Bestimmte
Teile unseres Gehirns sind Gemeinschaftsgehirne, weil wir immer ... darauf achten:
was will der Andere von mir, was erwartet er .... Außerdem scheint
das Gehirn vor einer ständigen Zerreißprobe zu stehen: Das Gehirn
ist zerrissen! Es will alles immer billiger (einfacher, bequemer, ökonomischer)
machen; gleichzeitig ist der Hunger nach Neuigkeit, so Roth, unsäglich
hoch (anspruchsvoll, anstrengend, leistungsorientiert, technisch). Doch
all diese wissenschaftlichen Befunde haben auch Folgen für die Rechtsprechung:
Es ist bekanntlich auch zwischen den Strafrechtlern seit langem und insbesondere
im Augenblick ganz heftig umstritten, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine
moralische Schuldfähigkeit anzunehmen, und ob man nicht das Ganze auf eine
bloße Normen-Verletzung reduziert. Demnach gäbe es Schuld
nur im Sinne der Normen-Verletzung. Selbst wenn es so ist, daß Willensfreiheit
im starken Sinne - im starken metaphysischen Sinne - eine Illusion wäre oder
ist, macht es keinen Unterschied, ob wir die Illusion haben oder nicht.
(Gerhard Roth, in: Philosophisches Quartett - Wie frei ist das Gehirn?,
ZDF, 2004). Ist
die Geschichte des Gehirns eine Spiegelung der Geschichte des Kosmos?Wenn
man sich das Gehrin als einen zusammengepreßten Kosmos vorstellt, drängt
sich dieser Gedanke geradezu auf. Er drängt sich in unseren Kopf, in unser
Gehirn. Die Gehirnentwicklung war zunächst und für sehr lange Zeit wie
wohl jede andere Körperentwicklung eine langsame und hauptsächlich eine
an die Natur als Umwelt angepaßte typische Evolutionsgeschichte.
Doch ab einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum glich sie einer Explosion,
war also für kurze Zeit wie wohl keine andere Körperentwicklung eine
schnelle und hauptsächlich an die Kultur als Welt angepaßte
typische Revolutionsgeschichte. (Revolution vom Wortursprung her verstanden).
Das heißt also: Jetzt und hier begann ein Umkehrprozeß. Zuvor war
ja die Entwicklung eine hauptsächlich naturhafte und nur nebensächlich
kulturhafte Geschichte gewesen, doch jetzt wurde sie eine hauptsächlich kulturhafte
und nur nebensächhlich naturhafte Geschichte. Dieser Umkehrprozeß geschah,
relativ zur All-Lebensgeschichte, sehr schnell - so wie eine Geburt, relativ zur
Einzel-Lebensgeschichte, sehr schnell passiert. Einer der bedeutsamsten Entwicklungsschritte
überhaupt!Die Zerebralisation vollzog sich nicht ganz
isoliert, auch nicht ohne Grund bzw. Ursache. ().
Jede Warumfrage bezieht sich immer auf Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen,
z.B. auf die des Kosmos, das heißt: sowohl auf die des Universums als auch
auf die des Gehirns. Doch weder Wissenschaft noch Philosophie geben hier eine
Antwort, die wahr oder richtig heißen könnte.
Ein Beobachter kann nur beobachten, wie ein anderer Beobachter
beobachtet, wie ein anderer Beobachter beobachtet u.s.w.; ein denkend-wissender
Urteiler kann nur urteilen, wie ein anderer denkend-wissender Urteiler
urteilt, wie ein anderer denkend-wissender Urteiler urteilt u.s.w.
- so weit sind wir ja mittlerweile. Wir können nur noch den blinden
Fleck eines jeden Beobachters sehen ()
und nur noch den holistischen Nihili(zi)smus eines jeden denkend-wissenden
Urteilers wahrnehmen. Das Universum war anfangs klein, heiß
und chaotisch, ist aber sehr lange schon groß, kalt und ordentlich (= kosmisch);
doch im Vergleich dazu ist das Gehirn immer noch klein, heiß und chaotisch
- nämlich komprimiert, komplex und kompliziert. Daß das Gehirn nicht
das Universum produziert hat, sondern (umgekehrt) selbst ein Produkt des Universums
ist, ist zwar für Physiker unbestritten (natürlich), aber (umgekehrt)
nicht für Metaphysiker (kultürlich), oder doch? Möglich
ist jedenfalls beides, denn: wir können es ja nicht wissen - weder
durch wissenschaftliche Beobachtung noch durch philosophische Urteile.
III) Kosmologie ist Weltlehre | Schon
die ersten Religionen erzeugten Welten, denn was sie entwickelten, waren Kosmogonien
(Welterzeugungen), bei denen auch die Herkunft der Menschen eine Rolle spielt.
().
Diese Schöpfungsmythen sind jedoch noch vorrationale, vorwissenschaftliche
mythisch-religiöse Lehren von Weltenstehung, Weltentwicklung. ().
Man kann mindestens drei Hauptarten der Kosmogonie unterscheiden: sie ist Schöpfungsgeschichte,
wenn sie die Welt in ihrer Gesamtheit als das Produkt eines göttlichen Willens
betrachtet; Bildungsgeschichte, wenn die Gottheit einen als vorhanden gedachten,
nicht erschaffenden Stoff zur Welt bildet; Entwicklungsgeschichte, wenn ein als
ewig angenommener Stoff als sich aus eigenen Kräften zur Welt in ihrer Mannigfaltigkeit
bildend gedacht wird. Kosmogonie ist also die Bezeichnung für die Entstehung
der Welt nach mythischer Auffassung sowie für den Mythos, der von ihr berichtet.
Diese Berichte geben die religiös intendierte Versicherung einer Ordnung,
durch die die Mächte des Chaos gebannt sind. Meist liegt den Kosmogonien
die Vorstellung von einem vorzeitlichen Urstoff oder Urwesen zugrunde, aus dem
oder durch deren Umbildung die Welt entstanden sei. In der Philosophie ist Welt
der Inbegriff aller Erscheinungen, die Gesamtheit des Erlebens (Erlebniswelt)
oder der Handlungsmaximen (moralische Welt). Die (philosophisch) kosmologischen
Theorien deuten die Welt als beseeltes Wesen, als Gott, Bild oder Emanation Gottes
oder - wie im Christentum - als Schöpfung (aus dem Nichts). Kosmologie sollte
man daher als die philosophisch-wissenschaftliche Betrachtung des Kosmos, des
Weltalls, besonders hinsichtlich der Entstehung verstehen. Ihre Anfänge liegen
im Altertum, z.B. in den Beobachtungen und Aufzeichnungen der sumerisch-akkadisch-babylonischen
und ägyptischen Priesterschaft, doch der Übergang von der vorwissenschaftlichen
Kosmogonie zur philosophisch-wissenschaftlichen Kosmologie vollzog sich eigentlich
erst bei Thales von Milet (ca. 650 - 570) und den anderen ionischen Naturphilosophen
sowie den Eleaten, den Pythagoräern, den einzelgängerischen
Philosophen und den Atomisten. ().
Von ihnen ging die Entwicklung z.B. über Aristarch von Samos (ca. 310 - 230),
Hipparch (ca. 190 - 125 v. Chr.) und Ptolemäus (ca. 100 - 160 n. Chr.) -
dessen Weltbild im jungen Abendland durch das Christentum lange dominierte - zu
Nikolaus Kopernikus (19.02.1473 - 24.05.1543), Tycho Brahe (14.12.1546 - 24.10.1601),
Galileo Galilei (15.02.1564 - 08.01.1642), Johannes Kepler (27.12.1571 - 15.11.1630),
Christiaan Huygens (14.04.1629 - 08.07.1695), Isaac Newton (04.01.1643 - 31.03.1727)
und viele andere bis in die Gegenwart, wobei sich aus der Kosmologie allmählich
die modernen exakten Naturwissenschaften ausgliederten. Früher als Teil der
Metaphysik betrachtet und behandelt, ist die Kosmologie selbst zu einer Naturwissenschaft
geworden und wird - im engeren Sinne verstanden - der Astronomie gleichgesetzt.
Ich möchte Kosmologie im weiteren Sinne verstanden wissen und sie als eine
Weltlehre, als die sie auch gedacht war, behandeln und besprechen.
IV) Kosmologische Kulturgeschichte |
Zur Zeit des Perikles (5. Jh. v. Chr.) wurde in Athen ein Volksbeschluß
gefaßt, der jeden mit schwererer Klageform, eisaggelia
genannt, bedrohte, der astronomische Theorien verbreitete. Die Ferne war
nicht Sache der Antike. Ihre tiefe Symbolik verbannte geradezu solch ein
Weltbewußtsein. Das Gefühl, es mit dem Chaos zu tun zu haben,
schaffte als Gegensatz den Zustand des Kosmos, der harmonischen Ordnung.
Alle wohlbegrenzten und greifbar gegenwärtigen Einzeldinge waren
für antike Menschen die Welt schlechthin. Die Summe dieser Dinge
war alles, der Abstand zwischen ihnen nichts. Abstand als Ausdehnung und
Vorstellungen über den Weltraum, wie wir ihn kennen, heißt
im antiken Sinne lediglich Körperlichkeit, im abendländischen
Sinne Raum, als dessen Funktion die Dinge erscheinen. In den Vorstellungen
über den Kosmos verstecken sich die Ursymbole eines Seelenbildes.
Oswald Spengler (1880-1936)
nennt die Antike deshalb auch apollinisch, das Abendland dagegen
faustisch. ().
Sie sind das Gegensätzlichste, was man sich überhaupt vorstellen
kann. Man kann von einem Vater-Sohn-Konflikt sprechen, besonders
dann, wenn es um ihre Metaphysiken geht. Maßloses war für Griechen
und Römer eine noch nicht aus dem Block gehauene Statue, ansonsten
war eine solche Unform nichts. Die arch,
für die Antike der stoffliche Urgrund, für uns das optisch Grenzen-
und Formlose, konnte für sie erst durch Grenzen, durch sinnliche
Vereinzelung ein Etwas, eine Welt werden, die ebenfalls nur körperlich
gedacht wurde. Die arch war das
antike Urproblem des gesamten Seins und wurde auf diese Weise zum Urgrund,
zum Urstoff gemacht. A priori zugrunde liegt dem Abendländer hingegen
ein Weltbild, das sich alle Dinge fortdenken kann, so Kant
(1724-1804). Das antike Denken sperrte das Unendliche aus (und ein). Es
war nicht zu erfahren, es gab auch kein Wort, das es in unserem Sinne
hätte ausdrücken können, und apeiron
bedeutete unbegrenzt unerfahren; man hatte keine Erfahrung
mit dem Unendlichen. Im pythagoräischen Sinne besaß es keine
Zahl, also auch kein Wesen. Euklid
faßte in seinen Elementen (um 312 v. Chr.) das gesamte
damalige mathematische Wissen zusammen; sein Parallelenaxiom galt bis
zu Gauß (1777-1855) als das Vollendete, dem man nichts
mehr hinzufügen konnte. ().
Einen platonischen Monat (rd. 2150 Jahre)
lang galt dieser mathematische Satz, der unbeweisbar war und ist, als
konkurrenzlos. Um 1800 entwickelte Gauß die erste nicht-euklidische
Geometrie. Damit war der körperliche Sinn des Ausgedehnten, den Euklid
durch seinen Grundsatz heilig gesprochen hatte, endlich durch die als
anti-euklidische Gruppe aufzufassenden Geometrien aufgehoben. Antik war
durch einen Punkt zu einer Geraden nur eine Parallele möglich, abendländisch
sind durch einen Punkt zu einer Geraden keine, zwei oder unzählige
Parallelen möglich. Dem euklidischen Axiom wurde ein Gauß'sches,
der antiken Anschauung des Körperhaften ein abendländisches
der Räumlichkeit genau gegenübergestellt. Die Antike forderte
Körper und verneinte Raum; das Abendland fordert Raum und verneint
Körper. Wenn die Kultur Zivilisation wird, ist sie erwachsen und
fängt an, sich selbst gegenüber Rechenschaft abzulegen. Euklid
einerseits und Gauß andererseits sind für diesen Prozeß
ein personifizierter Beweis. Dieser betrifft nicht nur die
Mathematik - aber sie zuerst -, sondern auch die gesamte Kultur. Das antike
Denken konzentrierte sich auf die Dinge, die durch das abendländische
Denken ins Gegenteil verkehrt wurden. Wenn das Abendland die Antike überhaupt
je richtig verstanden hat, dann nur deshalb, weil es auf dem Weg zur eigenen
Kultursymbolik erwerbstechnisch auf Elterliches angewiesen
war und es nach und nach abarbeiten können mußte.
In der Tiefe folgt jede Kultur dem Ureigenen. So lange sie
lebt, wird sie vom eigenen Seelenbild angetrieben und vom
eigenen Ursymbol angezogen.
Ein Urgefühl ist die Angst, aber wie kommt es, daß dem abendländischen
tiefsten Gefühl nach die Welt nichts anderes ist als jener
durch das Tiefenerlebnis ganz eigentlich geborene Weltraum, dessen erhabene Leere
durch die in ihm verlorenen Fixsternsysteme noch einmal bestätigt wird?
Hätte man dieses Gefühl einer Welt einem antiken Denker auch nur begreiflich
machen können? (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
1918, S. 227f. ).
Es ist das Phänomen der faustischen Seele, das von den frühesten
Anfängen an über alle Grenzen optisch gebundener Sinnlichkeit hinausstrebt.
(Ebd., S. 255 ).
Das gilt im gesamten abendländischen Kulturbereich, also auch für die
Politik.
Morphologie, Leben
und Kampf der KulturenDen Kampf der Kulturen prophezeite schon
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832).
Nach ihm rissen die Beschäftigungen mit diesem Thema nicht mehr ab, auch
wenn es im Schatten anderer Leitthemen stand. Vollends ins Zentrum des öffentlichen
Interesses gerückt wurde dieses Thema 1917, als Oswald Spengler im Untergang
des Abendlandes ()
, den er mittels der vergleichenden Methode auch mit dem Untergang der Antike
()
konfrontierte, für das Abendland die schon Ende des 18. Jahrhunderts (Industrialisierung,
Bürgerliche Revolution u.s.w.) begonnene kulturelle Vollendung - den
Zivilisationsprozeß - und den damit verbundenen, zunächst aber noch
schleichenden Synkretismus diagnostizierte und dessen Bekämpfung durch das
Abendland in der Phase des Cäsarismus ()
prognostizierte. Daß es einen Zusammenprall der Kulturen geben
wird, war also schon Goethe in seinen späteren Entwicklungssstufen
()
klar - lange vor dem von Samuel Phillips Huntington 1996 veröffentlichten
Buch Clash of Civilizations (Kampf der Kulturen).
Erkennbar, jedenfalls für die Eingeweihten, war auch der
militante Aufbruch islamischer Religiosität schon vor Huntingtons Thesen
über den weltweiten Kampf der Kulturen. (Peter Scholl-Latour, Weltmacht
im Treibsand, 2004, S. 50). Das Abendland ist immer noch immens reich,
aber es ist schwach. Ihm fehlt die moralische Substanz zur dezidierten Selbstbehauptung.
Kurzum, alle Prämissen eines fatalen »Untergangs« sind gegeben.
So unrecht hatte Oswald Spengler wohl nicht. (Peter Scholl-Latour, Kampf
dem Terror - Kampf dem Islam?, 2002, S. 48). Huntington, die Friktionen
()
von Carl Philipp Gottfried von Clausewitz (1780-1831)
wohl beachtend, sieht mit seinem realistischen Blick in den Zusammenstößen,
Reibungen, Konflikten zwischen den großen Kulturkreisen auf der Basis unterschiedlicher
Religionen und divergierender Weltbilder die Hauptrolle künftiger Auseinandersetzungen.
(Hans-Ulrich Wehler, Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, 2003, S.
61). Daß die Herrschaft des Volkes nicht in den Kosmopolitismus, sondern
in den Provinzialismus führt, hat Samuel Huntington als das demokratische
Paradoxon bezeichnet. (Norbert Bolz, Das konsumistische Manifest,
2002, S. 30). Ob, was, wie und wieviel Huntington aus Spenglers Werken abgeschrieben
haben könnte, ist weniger entscheidend, mehr entscheidend ist, daß
er von Spengler inspiriert wurde ().
Lange vor Huntington hatte auch Toynbee ()
an Spengler angeknüpft, und weil Spengler von Goethe und Nietzsche inspiriert
worden war (),
geht die kulturphilosophisch interessante Linie von Goethe und Schopenhauer über
Nietzsche und Spengler zu Toynbee und Huntington.Die menschliche
Geschichte ist die Geschichte von Kulturen. Es ist unmöglich, die Entwicklung
der Menschheit in anderen Begriffen zu denken. .... Zu allen Zeiten waren Kulturen
für die Menschen Gegenstand ihrer umfassendsten Identifikation. Infolgedessen
sind Voraussetzungen, Entstehung, Aufstieg, Wechselwirkungen, Errungenschaften,
Niedergang und Verfall der Kulturen von den hervorragendsten Historikern, Soziologen
und Anthropologen erforscht worden ..., und Spengler unterscheidet
acht hohe Kulturen ()
..., denn: »Weltgeschichte ist die Geschichte der großen
Kulturen« ().
.... (S. P. Huntington, Kampf der Kulturen, 1996, S. 49 und 57).
Huntington lobt auch die Periodiserung der Entwicklungsgeschichte historisch belegter
Kulturen, z. B. bei William Caroll Quigley (vgl. The Evolution of Civilizations,
1961, S. 146ff.).
Quigleys These zufolge nahm die westliche Kultur zwischen 370 und 750 n.
Chr. (eher meine ich: zwischen
20/150 und 711/800 [];
vgl. auch meine Einteilung in drei ur-/vorkulturell-winterliche Phasen)
allmählich Gestalt an - und zwar, wie ich meine, indem sie Elemente
der apollinisch-antiken, der magisch-arabischen und der germanischen Kultur (laut
Quigley: Barbaren-Kultur) so vermischte, um Geburt oder Stehvermögen
()
zu erreichen. Diese Phase dauerte von der Mitte des 8. Jahrhunderts bis zum Anfang
des 11. Jahrhunderts (für Quigley bis zum Ende des 10. Jahrhunderts). Es
folgte die Phase mit Trotz oder Kampf ums Selbst ()
und danach die Phase mit deutlich gewordenem Kultursymbol oder Kulturspracherwerb
().
Die drei Phasen vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
nenne ich hochkulturell-sommerlich ([]),
die drei Phasen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum 22. oder gar 23. Jahrhundert
spätkulturell-herbstlich ([]).
Nach Auffassung Quigleys und anderer Kulturhistoriker scheint der Westen
gegenwärtig dabei zu sein, aus einer ... Konfliktphase herauszutreten
(Huntington, ebd., S. 497) - nach meiner Theorie bedeutet das: aus der
zweiten spätkulturell-herbstlichen Phase in die dritte spätkulturell-herbstliche
Phase. Sobald die globale Phase einer Kultur beginnt, lassen ihre Menschen
sich täuschen durch das, was Toynbee die »Fata Morgana der Unsterblichkeit«
nennt, und sind überzeugt, daß ihre Gesellschaftsordnung die endgültige
sei. So war es im Römischen Reich, im Abbasiden-Kalifat .... Die Bürger
eines solchen Weltstaates ... neigen dazu, in ihm trotz scheinbar unübersehbarer
Tatsachen nicht die Zuflucht für eine Nacht zu sehen, sondern »das
Gelobte Land, das Endziel menschlichen Strebens«. (A. Toynbee, A Study
of History, 1934-1961, Bd. VII, S. 7-17). .... Gesellschaften, die annehmen,
daß ihre Geschichte zu Ende sei, sind jedoch für gewöhnlich Gesellschaften,
deren Geschichte bald im Niedergang begriffen sein wird. .... In früheren
Kulturen endete diese Phase des seligen Goldenen Zeitalters mit ihren Unsterblichkeitsvisionen
entweder dramatisch und schnell mit dem Sieg einer fremden Gesellschaft oder langsam,
aber nicht minder schmerzhaft durch inneren Zerfall. Was im Inneren einer Kultur
vorgeht, ist für ihre Widerstandsfähigkeit gegen zerstörende Einflüsse
von außen ebenso entscheidend wie das Aufhalten des inneren Verfalls. Kulturen
wachsen, behauptete Quigley 1961, weil sie ein »Instrument der Expansion«
besitzen, das heißt eine militärische, religiöse, politische oder
wirtschaftliche Organisation, die den erwirtschafteten Überschuß akkumuliert
und ihn in produktive Neuerungen investiert. Kulturen erleben ihren Niedergang,
wenn sie aufhören, »den Überschuß in die Aufgabe zu stecken,
Dinge auf neue Weise zu tun. ... : die Investitionsrate sinkt.« Dies geschieht,
weil die gesellschaftlichen Gruppen, die den Überschuß kontrollieren,
ein persönliches Interesse daran haben, ihn »für unproduktive,
aber ego-förderliche Zwecke« zu gebrauchen, »wodurch die Überschüsse
in den Konsum fließen, anstatt effizientere Produktionsmethoden zu ermöglichen«.
Die Menschen zehren vom Kapital, und die Kultur geht aus der Phase des Universalstaates
()
in die Phase des Verfalls (jedenfalls war es so im Falle
der apollinischen Antike)
über. .... Der Verfall führt sodann zur Phase der Invasion (jedenfalls
war es so im Falle der apollinischen Antike):
»Die Zivilisation, zur Selbstverteidigung nicht mehr bereit, ist
weit offen für barbarische Eindringlinge« (Quigley, ebd.,
S. 138f., 158-160) .... (S. P. Huntington, ebd., S. 495, 497, 498-499,
536 ).
Sehr wahrscheinlich überwunden hat unsere Kultur ihre Phase der Krise ()
- Huntington nennt sie Konfliktphase oder, wie Spengler, die Phase der kämpfenden
Staaten (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922,
S. 1081ff. ).
Ende des 20. Jahrhunderts hatte der Westen die Entwicklungsphase der »kämpfenden
Staaten« hinter sich gelassen und war in die ... des »Universalstaates«
eingetreten. .... Die Universalstaaten früherer Kulturen waren Imperien.
Da jedoch die politische Form der westlichen Kultur die Demokratie ist, ist der
entstehende Universalstaat der westlichen Kultur nicht ein Imperium, sondern vielmehr
ein Konglomerat aus Bundesstaaten, Staatenbünden und internationalen Regimes
und Organisationen. ().
Die großen politischen Ideologien ... heißen Liberalismus, Sozialismus,
Anarchismus, Korporatismus, Marxismus, Kommunismus, Sozialdemokratie, Konservatismus,
Nationalismus, Faschismus, christliche Demokratie. Ihnen allen ist eines gemeinsam:
Sie sind Produkte der westlichen Kultur. Keine andere Kultur hat eine signifikante
politische Ideologie erzeugt. Der Westen hingegen hat niemals eine große
Religion hervorgebracht. Die großen Religionen der Welt sind ausnahmslos
in nichtwestlichen Kulturen entstanden ... (das Christentum ist das Produkt der
magischen Kultur und überlebte wie der Buddhismus nicht in dem Land seiner
Entstehung!). Die im Westfälischen Frieden ()
etablierte Trennung von Religion und internationaler Politik ist ein ureigenes
Ergebnis westlicher Kultur, ... und die Religion wird ... »mit zunehmender
Wahrscheinlichkeit in die internationalen Angelegenheiten eindringen« (E.
Mortimer, Christianity and Islam, in: International Affairs 67,
1991, S. 7). .... Interkulturelle Beziehungen sind in dieser Phase viel häufiger
und intensiver .... (S. P. Huntington, ebd., S. 71-72). Huntington
meint, daß in dieser gerade begonnenen Phase des Universalstaates, die ich
die Phase des Globalismus als die dritte spätkulturell-herbstliche
Phase (Befruchtung oder Cäsarismus )
nenne, die Interkulturalität haüfiger und intensiver ist,
als sie es in der ersten spätkulturell-herbstlichen Phase (Ehe
oder Napoleonismus )
war, und daß sie viel gleichberechtigter und reziproker ist,
als sie es in der zweiten spätkulturell-herbstlichen Phase (Krise
oder Kampf ums Ei )
war. Zwei dieser drei Phasen haben wir bereits hinter uns. Wie es sich für
einen Spenglerianer gehört (),
hat Huntington jedoch auch die Zukunft angesprochen und weit über unsere
gerade erst begonnene Phase hinausgeschaut - immer berücksichtigend, daß
vieles wahrscheinlich, aber nichts unausweichlich ist. Wir sollten aber zunächst
das betrachten, was für uns gerade begonnen hat und bedeutend für die
nächsten Jahrhunderte ist: die Phase, die für uns Abendländer gerade
begonnen hat. Wir können wissen, daß diese Phase begonnen hat, weil
Kulturen, die älter sind als die abendländische Kultur, sie bereits
durchlebten. Es ist die Phase, in der die absolut überlegene Zivilisation
entweder alles oder nichts toleriert und im letzteren Fall z.B. die für sie
nicht zur eigenen Existenz berechtigten fremden Barbaren mit einer
(global) nicht mehr steigerbaren Barbarei zu zivilisieren sucht:
die Globalismus-Phase: Befruchtung oder Cäsarismus ().
|
Darf oder muß eine Zivilisation barbarisch sein?
Aufgrund seiner hohen militärischen
Überlegenheit führte das Römische Imperium einen
unglaublichen brutalen Eroberungs-, Ausrottungs- und Versklavungskrieg
gegen die Nachbarvölker. Was sich damals gegenüber den
Helvetiern, Galliern, Germanen, Britanniern und den Völkern
Nordafrikas und des Nahen Osten abspielte, würde heute jeder
als vielfachen, bestialischen Völkermord bezeichnen, wenn er
diese Situation überhaupt zu rekapitulieren vermag. Nach
den Feldzügen wurden allein in den Amphitheatern viele hunderttausend
Gefangene grausam abgeschlachtet, damit die Eroberer ihre römischen
Untertanen durch panem et circenses ()
bei guter Laune hielten. Führer verzweifelter Aufstände
gegen die römische Tyrannei waren u.a. die erfolglosen Spartacus
und Vercingetorix und der erfolgreiche Arminius.
Nach heutigem Sprachgebrauch kämpfte Hermann (Arminius) der Cherusker
für die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht seines Volkes, Spartacus
für die Wiederherstellung von Menschenrecht und Menschenwürde (Abschaffung
der Sklaverei), beide also für hohe menschliche Werte und Ideale. Der Mythos
dieser Freiheitskämpfer hat Jahrhunderte überdauert und fasziniert auch
heute noch. Sollte eine demokratische Gesellschaft Interesse daran haben, ihn
zu zerstören? Oder ist diese Gesellschaft nicht so demokratisch, sondern
mehr plutokratisch oder noch mehr zeusiokratisch? Im
Jahr 1987 wurde z.B. endgültig bewiesen, daß der historische
Krieg zwischen den Germanen unter Arminius und den Römern unter Varus
im heutigen Kalkriese (Kreis Osnabrück) stattfand. Den Ort des Sieges der
Germanen über die Römer im Herbst 9 nannte Tacitus ()
saltus teutoburgiensis.
Kalkriese liegt am Rande des Wiehengebirges, das mit dem Teutoburger
Wald zusammen einen Gebirgszug bildet. Der zuständige Osnabrücker Kreisdirektor
Rottmann soll laut der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 30.09.1994 gesagt haben,
daß das zukünftige Konzept des archäologischen Parkes in Kalkriese
vor allem Aspekte des Kulturaustausches von Römern und Germanen berücksichtigen
solle. Dieser Mann scheint entweder mit den wirklichen historischen Gegebenheiten
nicht vertraut zu sein oder diese passen nicht in ein merkwürdiges Ideologiekonzept.
Wenn die Zeitgenossen des 19.
Jahrhunderts die politisch-historischen Taten des Arminius vielleicht überhöht
haben, dann sind die Zeitgenossen der Gegenwart dabei, diese Taten als Untaten
und Unarten ins Gegenteil zu verkehren. Wer ist hier eigentlich unartig und untätig?
Die heutigen Zeitgenossen bleiben doch offenbar blind gegenüber historischen
Tatsachen; sie denken und gehorchen im Sinne der heutigen Medien, für die
Geldgerüche und Weltgerüchte dasselbe sind. | Übertreibungen
und Untertreibungen historischer Gegebenheiten sind zwei Seiten einer merkwürdigen
Geschichtsbetrachtung. Die geistigen Funktechniker
werden zu Funktionären, solange sie Aktionäre an der Medienbörse
bleiben wollen. ().
Sie funken auf anderer Welle als der durchschnittliche Zeitungsleser,
wie ihre mengentheoretisch orientierten Statisten den Nur-noch-Verbraucher, ihren
Abnehmer nennen. Der Mengenschüler soll mit seinen Mengenlehrern
keine Schnittmenge bilden, sondern ihnen das Schwere abnehmen,
während die Menge Lehrenden sich auf der guten Seite wähnen
und das Leichte für sich beanspruchen. Ganz entsprechend der
heutigen Zeit, in der Umfrageergebnisse, Quoten bis hin zur McDonaldisierung
u.s.w. die Menge regulieren, gehen hier Quantitäten vor Qualitäten,
wobei die heimliche Funktion schlichtweg die des Verbergens und Verdrängens
ist. Exekutive Meinungsmacher und konsumierende Meinungsempfänger sollen
nur noch wie Angebot und Nachfrage, also rein markttechnisch, funktionieren. Beide
Seiten stehen sich dem Inhalt nach feindlich gegenüber, und insgeheim sollen
sie das auch. Die eine Seite gehorcht dem Geldadel, um geistig schwebend
zu bleiben, die andere Seite wiegt schwer in der Nebellandschaft.
Beide können sich nicht sehen. Beide sind nicht einsichtig in die jeweilige
Sichtweise des Gegenüber. Meinungsmacher arbeiten anders und
haben einen anderen Lenker als der durchschnittliche Radfahrer.
Quos Jupiter vult perdere dementat
Meinungsfreiheit heißt seit einiger Zeit, daß etwa 100 reiche Menschen
ihre Meinung medienmächtig verbreiten. Ansonsten ist sie die Freiheit,
von der verlassensten Ecke des Universums aus ins unendliche Nichts zu sprechen.
Die Phase des Cäsarismus (),
mit jovialer Zeusiokratie ()
auch die Plutokratie noch übertreffend, räumt den Menschen die großzügigste
Freiheit aller Freiheiten ein. Viele verlieren sich in dieser Unendlichkeitsfreiheit,
weil auch die wenigen Reichen mit Recht die Freiheit genießen, ihre Meinung
im unendlichen Raum auszudehnen. Zur Zeit kann die Phase des
Cäsarismus (oder auch: Zeusiokratie-Phase)
eben nur die Phase der Abendländer sein. Zur Zeit halten nur Abendländer
selbst ihre Normen und Werte, ihre angebliche Demokratie für das beste Welt-Modell.
Varus im Museum |
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Am
Beispiel der Eroberung Galliens durch Cäsar in den Jahren 58 bis 51 läßt
sich besonders gut ablesen, daß alle Eroberungen in der Zeit des antiken
Cäsarismus nicht nur äußerst brutale Kolonialkriege waren, sondern
primär aus reiner Machtgier und den damit verbundenen hohen Verschuldungen
der Cäsaren gegenüber ihren Gläubigern geschahen. ().
Cäsar wurde durch die Eroberung Galliens zum reichsten Mann der damaligen
Welt. Wenn er Gallien nicht erobert hätte, wäre er am Ende gewesen.
Er hatte sich bei Crassus und Catulus dermaßen verschuldet, daß ihm
gar nichts anderes übrig blieb, als zu erobern. Das Kapital, das in Rom für
Agitationen zur Wahl benötigt wurde, hatte amerikanische Dimensionen
angenommen. Weil man in der Antike fast ausnahmslos körperliches Geld
kannte, hätte dieses Bargeld als Füllmaterial zum Bau eines gigantischen
Wolkenkratzers ausgereicht. Daß die Wolkenkratzer in der Antike
nicht so hoch gebaut wurden, liegt am apollinischen Ausdruck der Begrenzung
und der Gedrungenheit: am körperlichen Polisbau. Bargeld, Gold
und andere Edelmetalle sowie Sklaven, die juristisch keine Personen,
sondern Sachen waren, gehörten zu dieser gedrungenen Finanzansammlung.
Das Römische Imperium war genauso zur Expansion verdammt wie alle anderen
zivilisatorischen Staaten es waren und sind. Der Imperialismus ist die Konsequenz,
die jede Zivilisation expansiv zu ziehen hat, ob sie will oder nicht.Antike
Kunstwerke waren so konstruiert, daß man deren Teile aus Edelmetall jeder
Zeit abmontieren konnte, um Bares zu haben. Theodor Mommsen (30.11.1817
- 01.11.1903) hatte bereits die Idee, den Ort der Varusschlacht nach Münzfunden
zu bestimmen, weil der römische Veteran sein ganzes Vermögen in Edelmetall
an, auf und neben dem Körper trug. (Vgl. Theodor Mommsen, Gesammelte Schriften,
IV, S. 200ff.). |
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Diese Tatsache war auch mit Sicherheit ausschlaggebend dafür,
daß man 1987 die unaufhörlichen Funde von Münzen
endlich ernst nahm und anfing zu graben. 2000 Jahre lang haben Menschen
in Kalkriese, im Saltus Teutoburgiensis, immer wieder
Münzen aus römisch-antiker Zeit gefunden, die alle auf
die Zeit vor 9 n. C. datiert waren. Trotz intensiver Landwirtschaft
und Gepflüge verschiedenster Plünderer wie
Sammler und Hobbyarchäologen, gab es nach 2000 Jahren immer
noch genügend Funde, die beweisen, daß hier die Schlacht
am Teutoburger Wald stattgefunden hat. Und noch einen Beweis
haben sie gebracht: daß die antike Maske, die hier ebenfalls
gefunden wurde, zu derjenigen Maske paßt, die Verantwortliche
der Ausgrabungsstelle tragen müssen, wenn sie im Mainstream
abendländischer Zivilisation nicht untergehen wollen. Nicht
zufällig wurde den Funden zu der Zeit Aufmerksamkeit geschenkt,
als aller Voraussicht nach mit dem Mauerfall (1989)
im Abendland die Phase des Cäsarismus endlich beginnen
konnte, denn so heißt auch die Phase, in der die 3 Legionen
des Varus für den Cäsaren Augustus kämpften.
17, 18, 19 - diese 3 Legionsnummern wurden übrigens von Rom
nie wieder vergeben. Wegen der Niederlage war Augustus äußerst
verzweifelt:
Museum, gib uns unsere
Geschichte zurück ! |
Varus, gib mir meine Legionen
zurück! |
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