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„DER METAPHYSISCHE GRUNDGEDANKE DER
HERAKLITISCHEN PHILOSOPHIE“ (Dissertation)
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Bände und Kapitel
„HERAKLIT - EINE STUDIE ÜBER DEN
ENERGETISCHEN GRUNDGEDANKEN
SEINER PHILOSOPHIE“ (veröffentlichter Titel)
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„FRÜHZEIT DER WELTGESCHICHTE“
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„REDEN UND AUFSÄTZE“
(darin u.a.: „PESSISMISMUS?“)
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„APHORISMEN“
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„URFRAGEN“
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„BRIEFE“
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NACH OBEN „HeraklitHeraklit (544-483)- Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie“ (1904; Disseration; veröffentlichte Version)Spenglers Dissertation Spengler

- Einleitung -

„In dem Jonier Heraklit erreicht die griechische Philosophie des 6. und 5. Jahrhunderts – keine Schule, sondern eine Reihe selbständiger, mächtiger, ihrer Zeit an Reife weit überlegener und erstaunlich schöpferischer Denker, wie sie später, als die Philosophie ihren Sitz in Athen genommen hatte, nicht wieder aufgetreten sind – ihren Gipfel. Griechenland hat niemals gewaltigere Menschen hervorgebracht als diese, von denen einer dem andern folgend mit Meisterstrichen ein Bild des Kosmos schuf, nichts weniger als kritisch und mit dem Vorsatz, den Anforderungen strenger Wissenschaft zu genügen, sondern in hoher Intuition und mit einem gewaltigen Blick den Sinn der Welt, ihre Vergangenheit und Zukunft umfassend. In diesem Sinne hat man ihre Leistungen zu beurteilen. An Stelle der kühlen Strenge des Unterscheidens und Zerlegens, wie sie Aristoteles besitzt, findet man hier, um ein Wort Goethes zu gebrauchen, die »exakte sinnliche Fantasie«, eine Richtung auf Gestalten und Gedanken, nicht deren abstrakte Folgerungen, Begriffe und Gesetze. Heraklit ist nicht nur der tiefste, sondern auch der vielseitigste und umfassendste Geist unter ihnen. Die Systeme des Anaximander, Xenophanes, Pythagoras finden in dem seinigen verwandte Seiten. Die großen Probleme des griechischen Denkens – das Verhältnis von Form und Ding an sich, der Begriff des Gesetzes, der Begriff der inneren Einheit alles Seins oder Geschehens, der Ursprung des Seins, der Ursprung des Andersseins – die man in dieser Zeit entdeckte und zu naiven und kühnen Formeln verdichtete, vereinigte er in den Grundgedanken seiner Lehre, die andern repräsentieren sie einzeln. Es wäre unrichtig, aus diesem Grunde in Heraklit einen Nachfolger oder Nachahmer dieser Lehren sehen zu wollen. Ob zwischen Anaximander oder Xenophanes und ihm das Verhältnis des Meisters zum Jünger oder eine andere engere Beziehung bestand – eine Unwahrscheinlichkeit, wenn man die geistige und politische Unabhängigkeit der hellenischen Städte und die selbstbewußte, von der üblichen weit entfernte Lebensführung dieser Philosophen in Betracht zieht – ist eine Frage von geringer Bedeutung. Die Möglichkeit einer mittelbaren Einwirkung ist ja vorhanden. Aber von den zahlreichen möglichen, aus Beobachtung, Erlebnissen, Eindrücken, Meinungen der anderen stammenden Anregungen werden nur diejenigen gewirkt haben, die auf verwandte, im Grunde schon vorhandene Elemente trafen. Daß Heraklits Unabhängigkeit niemals in Frage gestellt worden ist, darf man aus seinem Charakter mit großer Gewißheit schließen. Wenn sich eine ähnliche Richtung im Denken jener Philosophen beobachten läßt (wie die Gleichheit des Ausgangspunktes und die parallele Behandlung gleicher Fragen), so folgt dies aus der organischen Einheit des geistigen Lebens innerhalb einer umgrenzten Kulturepoche, wie es die Geschichte häufiger zeigt. (Die ataraxia als Basis aller ethischen Lehren im 3. Jahrhundert, das Problem der Methode bei Bacon, Descartes, Galilei.)“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 1-2Spengler).

„Der Gedanke, in dem Heraklit eine neue Auffassung des kosmischen Daseins gab, ist ein energetischer: der eines reinen (stofflosen), gesetzmäßigen Geschehens. Die Entfernung dieser Idee von der Anschauung anderer, und zwar gleichmäßig der Jonier, Eleaten und Atomisten, ist eine außerordentliche. Heraklit ist mit ihr unter den Griechen völlig einsam geblieben; es gibt keine zweite Konzeption dieser Art. Alle andern Systeme enthalten den Begriff der substantiellen Grundlage (archae, apeiron, to pleon, hylae, to plaeres, und auch Platos Erscheinungswelt ... im Gegensatz zur Ideenwelt ...), und die Stoa, die sich später Heraklits Worte und Formeln aneignete, mußte sie erst mit demokritischem Geist erfüllen, um sie dem Zeitalter annehmbar zu machen. Daraus vor allem erklären sich die häufigen Mißverständnisse in der Auffassung dieser Lehre, nicht weil sie uns ungenügend bekannt ist, sondern weil sie im Gegensatz zu der uns geläufigen Denkweise steht. Die Geschichte der Heraklitforschung zeigt, wie man, um sich einen schwierigen, fremdartigen Gedanken zu assimilieren, mangels einer angemessenen modernen Ausführung der Idee auf alle möglichen andern zurückgreift, um sich an bekannte Begriffe und Anschauungen halten zu können. Man darf zweifeln, ob irgendeine der möglichen Erklärungen noch nicht versucht worden ist. Heraklit erscheint als Schüler des Anaximander (Lassalle, Gomperz), des Xenophanes (Teichmüller), der Perser (Lassalle, Gladisch), der Ägypter (Tannery, Teichmüller), der Mysterien (Pfleiderer), als Hylozoist (Zeller), Empirist und Sensualist (Schuster), »Theologe« (Tannery), als Vorläufer Hegels (Lassalle). Sein großer Gedanke gleicht der Seele Hamlets: jeder versteht ihn, aber jeder anders. –“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 2-3Spengler).

„Der Versuch, die Ideen eines Philosophen, dem die scharfe, durch lange Übung geschulte Ausdrucksweise einer hochentwickelten Wissenschaft unbekannt war, ohne diese Genauigkeit zu beurteilen, führt nicht zum Ziele. Teichmüller (Bd. I, S. 80) sagt: »Wer bei Heraklit exakte Begriffe sucht, gibt sich unnütze Mühe. – Bei Heraklit bestand die Philosophie nur in einer allegorischen Verallgemeinerung einiger auffallender Tatsachen. – Wollten wir schärfer bestimmen, so würden wir Heraklits Denkweise zerstören.« Eine Folge dieser Auffassung ist es, wenn man durch ungenügende Feststellung der Begriffe und unhaltbare Analogien zu den schwersten Irrtümern kommt. Ein Beispiel ist die Anwendung des Begriffs arch, den Anaximander für seine Philosophie geschaffen hat und der nur innerhalb des Hylozoismus einen Sinn hat, auf andere, auch Heraklit, in dessen System er ganz gegenstandslos ist. Man muß vorsichtig, sogar skeptisch sein nicht nur in der Erklärung der griechischen Gedankenelemente an sich, sondern vor allem in ihrer Abgrenzung gegen die modernen. Wir dürfen nicht vergessen, daß unsere Grundbegriffe das Ergebnis der ganzen Entwicklung der neueren Philosophie seit dem 16. Jahrhundert sind und nur in diesem Ideenkreis eine unbedingte Geltung haben. Den innerhalb so verschiedener Kulturen, wie es die antike und die neuere sind, entstandenen Gedankenkomplexen, die sich schon durch die verschiedene Auffassung vom Wesen der Wissenschaft überhaupt unterscheiden, entsprechen beiderseits durchaus eigentümliche Begriffe. Selbst ein so naheliegender wie der Begriff Materie ist bei Demokrit und in der modernen Naturwissenschaft nicht derselbe; dort liegt z.B. die Ursache der Bewegung im Wesen der Materie, hier ist sie als an den Äther gebundene Energie ein selbständiger Faktor außerhalb.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 3-4Spengler).

„Eine andere Schwierigkeit liegt darin, daß Heraklit zwar seiner Anschauung gewiß war, ihr aber sprachlich nicht immer einen angemessenen Ausdruck gab. Nicht nur der Mangel einer wissenschaftlichen Sprache mit zweckmäßig geschaffenen Ausdrücken, auch nicht das Fehlen einer regelrechten Polemik unter diesen Philosophen, die zu einer scharfen und vorsichtigen Ausdrucksweise gezwungen hätte, sind der wichtigste Grund dafür, sondern die Unmöglichkeit, eine neue, dem Augenschein widersprechende Erkenntnis der Natur mit den gewohnten, unter andern Eindrücken und Meinungen entstandenen Wortsymbolen zu geben. Goethe, dessen Ansichten über die Natur von einem ähnlichen Geist getragen waren, bemerkte diese Grenze wohl. »Alle Sprachen sind aus naheliegenden menschlichen Bedürfnissen, menschlichen Beschäftigungen und allgemein menschlichen Empfindungen und Anschauungen entstanden. Wenn nun ein höherer Mensch über das geheime Wirken und Walten der Natur eine Ahnung und Einsicht gewinnt, so reicht seine ihm überlieferte Sprache nicht hin, um ein solches von menschlichen Dingen durchaus Fernliegendes auszudrücken. – Er muß bei seiner Anschauung ungewöhnlicher Naturverhältnisse stets nach menschlichen Ausdrücken greifen, wobei er denn fast überall zu kurz kommt, seinen Gegenstand herabzieht oder wohl gar verletzt und vernichtet.« (Eckermann, Gespr. mit Goethe III, 20. Juni 1831.)“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 4-5Spengler).

„Eine Darstellung der gesamten Lehre Heraklits ist durch den Verlust seiner Schrift unmöglich geworden. Es soll hier lediglich eine Entwicklung des Prinzips versucht werden, das dieser Denker zur Grundlage seines Weltsystems machte und das mit wenigen Worten in eine Formel zu bringen ist: panta rei, die Idee eines reinen gesetzmäßigen Werdens. Es liegt in den Worten, daß die Ausführung nach zwei Seiten zu erfolgen hat: das Werden selbst und sein Gesetz. Diese Trennung ist eine rein methodische. Ihr entspricht, wie betont werden muß, durchaus nicht eine dualistische Gliederung des heraklitischen Kosmos. Alle im folgenden erwähnten Gedanken sind ein und dasselbe Grundprinzip, das, als Einheit konzipiert, in den Fragmenten (und bei der aphoristischen Schreibweise Heraklits vielleicht schon in seinem Buche) nur in einer Anzahl verschiedener Darstellungen, wie sie der Fantasie eines leidenschaftlichen künstlerischen Menschen entsprangen, erhalten geblieben sind.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 5Spengler).

„Es wäre für das Verständnis dieser Lehre ein Hindernis, wenn uns die Kenntnis der großen und tragischen Persönlichkeit Heraklits verlorengegangen wäre. Wir könnten nicht verstehen, weshalb dieser Philosoph den ????, die vornehmste Sitte seiner Zeit, zur Sitte des Kosmos machte, was er mit dem Feuer meinte, dem er eine herrschende Rolle im Weltall zuschrieb. Seine Lehre ist selbst für diese Zeit und für einen Griechen in ungewöhnlichem Grade persönlich, ohne daß von ihm selbst viel die Rede wäre.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 5Spengler).

„Wir sehen einen Menschen, dessen ganzes Fühlen und Denken unter der Herrschaft einer ungezügelten aristokratischen Neigung stand, die durch Geburt und Erziehung stark angelegt und durch Widerstand und Enttäuschung gereizt und gesteigert war. Hier ist der letzte Grund für jeden Zug seines Lebens und jede Besonderheit seiner Gedanken zu suchen. Noch in der energischen Konzentration des Systems, in dem Vermeiden und Verschmähen aller Einzelheiten und Nebensachen, dem Niederschreiben in kurzen, starken, ihm allein geläufigen Wendungen erkennen wir die Hand des Aristokraten.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 5-6Spengler).

„Der hellenische Adel, dessen Untergang in dieser Zeit sich vollzieht, hat die bedeutungsreichste und schönste Periode der hellenischen Kultur geschaffen. Er hat durch seine Sitte für alle Zeit den Typus des vollkommenen Hellenen festgestellt, eine unvergleichlich hohe und edle Kultur des einzelnen Menschen; er vertrat nicht nur Rechte oder Interessen, sondern eine Weltanschauung und eine Sitte (Burckhardt). Es war eine stolze, glückliche, herrschaftliebende und -gewöhnte Kaste, stolz auf das Blut, den Rang, die Waffen, die »Antibanausie«; sie war im Alleinbesitz des Geistes und der Kunst. Man kann die ungeheure ethische Macht der Kaste und ihrer Lebensauffassung über den Geist des einzelnen begreifen. Sie selbst konnte untergehen, aber wer einmal in ihrem Banne stand, vermochte sich ihr nicht wieder zu entziehen. Heraklit besaß ihr ganzes Selbstbewußtsein und ihren Stolz, eine starke, ungewollte, jeder Reflexion über sich selbst fremde Vornehmheit; er hängt mit Leidenschaft an ihren tapfern, gesunden, lebensfrohen Sitten, am Kampf, am Streben nach Ruhm. Dieser stolze unbeugsame Mann liebte den Unterschied von Herrschenden und Gehorchenden, er hatte Ehrfurcht vor den althergebrachten Sitten und Institutionen, die der Demokratie nicht mehr heilig waren. Er war ein zu tiefer Menschenkenner, um den Menschen seiner Zeit schlechthin, unter Absehen von Geburt und Rang, zu beurteilen. Er glaubte an den homerischen Unterschied der aristoi der Menschen von großer und vornehmer Lebensauffassung, und der Masse, an der er mit spöttischem Scharfblick die Mängel des Standes entdeckt. Er läßt sich nicht auf Angriffe und Auseinandersetzungen mit dem demoV ein, das verbieten ihm sein Geschmack und die Selbstbeherrschung, die eine der ersten Tugenden des vornehmen Griechen war; ohne Wut, ohne Ausfälle beurteilt er das Volk von oben herab, kalt, boshaft, mit Verachtung und Ekel, zuweilen durch eine sarkastische Bemerkung den aufsteigenden Groll verbergend.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 6-7Spengler).

„Vergessen wir endlich einen wesentlichen Unterschied nicht, der Heraklit und die ganze griechische Philosophie von der neuern trennt. Das Volk, dessen Erzieher Gymnastik, Musik und Homer waren, das für die Welt das Wort kosmoV erfand, weil es in ihr vor allem den Sinn der Ordnung und Schönheit sah, behandelte die Philosophie nicht eigentlich als Wissenschaft (abstrakt wissenschaftliche Untersuchungen sind immer dem metaphysischen Endzweck untergeordnet worden), sondern als den Weg, ein Weltbild zu schaffen, das ihm seine Stellung im All zu übersehen erlaubte, und als eine Gelegenheit, seine Freude am Formen zu betätigen. .... Heraklit ist der bedeutendste Künstler unter den Vorsokratikern. Davon zeugt nicht nur das satte und farbenreiche Pathos seines Stils, sondern vor allem die geniale Plastik seiner Darstellung. So wirkt er, ohne allerdings darauf zu spekulieren: Er sieht seine Ideen, berechnet sie nicht. .... Heraklit darf als Realist bezeichnet werden, trotzdem er leicht für das Gegenteil zu nehmen ist. .... Der Stil des Denkens und die Lehre selbst sind verwandt. .... Sein Denken hat einen wahren Imperatorenstil .... Nur die großen, grundlegenden Ideen sind ihm des Nachdenkens wert, bei einer ausgesprochenen Abneigung gegen eigentlich wissenschaftliche Detailforschung. .... Das Sammeln von Tatsachen, ohne Überblick und Verständnis, ist ihm verhaßt. .... (Er hat )... nicht im bescheidensten Sinn didaktisch, geschweige denn populär zu wirken versucht ..., (sondern wegen) seiner menschenverachtenden Weltanschauung ....“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 9-12Spengler).


A. Die Reine Bewegung

1. Erste Formulierung: Panta rei

- 1.1. Der Kosmos als Energieprozeß -

„Der Grundgedanke, auf den Heraklit seine Anschauung des Kosmos gründete, ist in dem berühmt gewordenen panta rei bereits vollständig enthalten. Der bloße Begriff des Fließens (der Veränderung) ist aber zu unbestimmt, um die feineren und tieferen Abstufungen dieses Gedankens erkennen zu lassen, dessen Wert nicht darin liegt, eine bloße Verschiedenheit der sich folgenden Zustände der sichtbaren und greifbaren Welt zu behaupten, die niemand bezweifelt. Gleich am Anfang ist der wichtige Unterschied hervorzuheben zwischen der Vorstellung, die Heraklit von dem Verlaufe und dem innersten Charakter des Weltgeschehens selbst hatte, von dem er sagte, daß er unsrer Wahrnehmung nicht zugänglich sei, und dem Anblick, den die Welt der Dinge, die wir folgerichtig als Erscheinung dieses Geschehens und seine Wirkung auf die Sinne aufzufassen haben, uns darbietet. Legt man diese kantische Unterscheidung, die Heraklits Lehre praktisch zweifellos enthält, obwohl sie in den Bruchstücken seiner Schrift nicht grundsätzlich getrennt erscheint, zugrunde, so vermeidet man einen der häufigsten Mißgriffe in der Beurteilung dieser Lehre.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 13Spengler).

„Will man das Geschehen in der Natur auf die ursprünglichsten Elemente zurückführen, so bleibt der Begriff der Veränderung noch mehrerer Auffassungen fähig. Man kann ein Substrat mit der einzigen Bestimmung der Beharrlichkeit annehmen, dann erscheint die Veränderung als die Art, wie das Beharrende in jedem Augenblick existiert. Kant bezeichnete von diesem vorsichtigen und unangreifbaren Standpunkte aus den Satz, daß die Substanz beharre, als Tautologie. »Denn bloß diese Beharrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erscheinung die Kategorie der Substanz anwenden, und man hätte beweisen müssen: daß in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sei, an welchem das Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseins ist.« (Krit. d. r. Vernunft, S. 177). Um zu einer einfachem und anschaulichen Vorstellung zu gelangen, fügt man meist zu jenem Merkmal des Substrats noch die der Raumerfüllung, Undurchdringlichkeit und qualitativen Beständigkeit und erhält so den Begriff der (körperlich gedachten) Materie, worauf sich deren Veränderung nur noch als eine räumliche denken läßt. Dieser demokritische Begriff der Verschiebung von Massenteilen (perifora) den auch die neuere Naturwissenschaft enthält, liegt nicht im panta rei. Es ist möglich, den Begriff eines Substrats überhaupt, sei es als das im Wechsel der Erscheinungen Beharrende (das sich physikalisch als das unveränderliche Verhältnis der auf einen Körper wirkenden Kräfte zu den daraus folgenden Beschleunigungen beschreiben läßt), sei es als eigentliche Materie, fallen zu lassen, wodurch der Begriff der Veränderung (des Werdens, Fließens) einen neuen und reichern Inhalt erhält.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 13-14Spengler).


- 1.2. Das Feuer -

„Heraklit erwähnt das Feuer in einer Weise, die uns zwingt, es als Sein, als Zustand zu denken; es gibt also selbst für ihn in der Welt der Erscheinungen Zustände – im wesentlichen mit den Aggregatzuständen zusammenfallend –, die in diesem System, wo der Begriff der Substanz abgewiesen wird, eine Erklärung herausfordern. Die Tatsache, daß es in der Natur scheinbar Zustände der Ruhe gibt (aus denen die Annahme von beharrenden Substanzen erst entstand), kann nicht bestritten werden. Heraklit erwähnt sie (vgl. Fr. 21) und schreibt sie dem Trug der Sinne zu. Dem Auge ist es verwehrt, das Werden und Fließen zu sehen (vgl. Fr. 54 und 123). Es erscheint dem Menschen unter mehreren typischen Gestalten, Formen der sinnlichen Erscheinung (es sind bereits die Elemente des Empedokles), die untereinander wechselnd und von vorübergehendem Dasein sind. Sie haben eine rein subjektive Realität. Man sprach früher von Licht, Wärme, Elektrizität als von Naturkräften. Heute bezeichnet man sie in ähnlicher Absicht als Formen der Energie, indem man stillschweigend annimmt, daß sie als Erscheinungsformen der »Energie an sich«, jener unerkennbaren Ursache des Geschehens gelten sollen. So denkt sich Heraklit das Feuer, das Meer, die Erde und den Sturm – Dinge, die nur scheinbar das Sein und die Dauer haben, die sie dem erkennenden Geist einreden möchten, und die, dem Auge entrückt, nichts mehr sind als ewiges ruheloses Fließen und Werden, eins wie das andere.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 20-21Spengler).

„Damit ist der Begriff des Feuers gegeben: eine Erscheinungsform des kosmischen Prozesses, aber noch nicht seine Bedeutung. Heraklit zeichnet diese Naturerscheinung, die an sich nichts vor den andern voraus haben sollte, in einer geheimnisvollen Weise aus. Um dieser hohen Bedeutung willen konnte man glauben, hier den Hauptpunkt der ganzen Lehre gefunden zu haben; auch der hierin liegende Gedanke ist vielen Mißverständnissen ausgesetzt gewesen. Die Auffassung des Feuers lediglich als Symbol der Veränderung darf als abgetan gelten; eine verdunkelnde Symbolik sagt man bei diesem Philosophen nicht mehr.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 21-22Spengler).

„Heraklit stellte das Feuer ... in den Mittelpunkt. Der Grund dieser Wahl ist in dem weniger wissenschaftlichen als künstlerischen Charakter seines Denkens zu finden. Ihn leitete hier dasselbe Gefühl, welches das Feuer und die Sonne zu allen Zeiten zum Gegenstand religiöser Verehrung gemacht hat. Dieses geheimnisvollste, edelste, reinste aller Naturphänomene erschien dem Menschen einer ferngelegenen Zeit als etwas Heiliges, und Heraklits ehrfürchtige und für das ästhetisch Eindrucksvolle empfängliche Natur entzog sich diesem Eindruck nicht. Er sah hier am reinsten den Charakter des Ruhelosen dargestellt“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 23Spengler).

„In Heraklits Meinung ist dem Weltall, der erhabenen Natur, die erhabenste, reinste, edelste Gestalt angemessen und natürlich; der Kosmos ist mithin nur dann im Zustande der Vollkommenheit, wenn das Wenden ausschließlich die Gestalt des Feuers angenommen hat, ein Zustand, der im Lauf der Zeiten regelmäßig wiederkehrt (Fr. 30, 66). Alle andern Gestalten (das Feste, Flüssige, Luftartige) erscheinen im Vergleich zu der Schönheit und Gewalt dieser als minderwertig. (Vgl. Fr. 65.; Teichmüller [I S. 136 ff.] sieht hier mit Recht eine Andeutung und Abart derjenigen griechischen Idee, die in der Entelechie des Aristoteles, dem Wege vom Potentiellen zum Aktuellen, ausgebildet erscheint.)“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 24Spengler).


- 1.3. Panta rei als formales Prinzip der organischen Natur -

„Wir kommen auf das andere, man kann sagen äußere Anwendungsgebiet des heraklitischen Bewegungsprinzips, die sichtbaren und handgreiflichen Veränderungen in der Natur, die uns umgibt. Der in der Formel panta rei enthaltene Grundgedanke tritt hier auf als formales Prinzip des Lebens und Geschehens jeder Art. Wir haben also zwischen dem nie erkennbaren Hintergrund der Dinge, dem eigentlichen Werden und Wirken, und seiner äußern Erscheinung als Welt der Sinne zu unterscheiden. Die Anwendung auf das letzte Gebiet ist die von allen anerkannte und leicht begreifliche, meist allein unter panta rei verstandene.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 24-25Spengler).

„Alle Schöpfungen der Kultur, Staat, Gesellschaft, Sitten, Anschauungen, sind Produkte der Natur; sie unterliegen denselben Bedingungen des Daseins wie die übrigen, dem strengen Gesetz, daß nichts bleibt und alles sich verändert. Es ist eine der größten Entdeckungen Heraklits, diese innere Verwandtschaft von Kultur und Natur bemerkt zu haben. Der Widerstand und Ausgleich entgegenstehender Spannungen bedeutet dasselbe für das energetische Geschehen, was der Krieg für das Dasein der Menschen. (Fr. 8: panta kat erin ginesqai.) Der Krieg rechtfertigt die aristokratische Rangordnung, die Heraklit liebte. Es kann keine ewigen und bleibenden Verhältnisse geben, Götter und Menschen, Freie und Sklaven sind dem Gesetz einer notwendigen Wandlung unterworfen (Fr. 53). Heraklit wußte genau, daß die Aristokratie damals in Griechenland untergehen mußte.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 27-28Spengler).

„Es kann in diesem Chaos der Verwandlungen keine bleibenden Werte geben; das ist die letzte Folge einer solchen Anschauungsweise. Diese Erkenntnis, gegen die sich der Geist am längsten wehrt, vertrat Heraklit nachdrücklich. Wir haben ein vollkommen zu Ende gedachtes System des Relativismus vor uns. In der Tat: wo es keinen Stillstand und Ruhepunkt gibt, können die Begriffe der Ethik und Ästhetik nur für den einzelnen geltend und nur von Fall zu Fall angewandt werden. So ist es mit den Wertschätzungen körperlicher Schönheit (Fr. 82, 83), der Klugheit (nhr nhpioV hkouse proV daimonoV okosper paiV proV androV Fr. 79), des Kostbaren, Angenehmen, Nützlichen (onouV surmat an eluqai mallon h cruson Fr. 9; Fr. 37, 58, 61, 110–111). Die Werte und Eigenschaften der Dinge liegen zwischen zwei Extremen und sind nur einer subjektiven Anwendung fähig.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 28Spengler).


2. Zweite Formulierung: Der Kampf der Gegensätze

„Wir lernten den Gedanken der reinen Bewegung in der Fassung panta rei kennen. Es gibt noch eine zweite Gestalt desselben Gedankens, die sich nur durch den veränderten Standpunkt des Beobachters unterscheidet. Man kann den gesamten Prozeß des Geschehenden als Einheit sich vorstellen; dann erhält man den Eindruck des Anfangs- und Endlosen, des Mangels an einem Ruhe- und Anhaltspunkt, des Flusses im eigentlichsten Sinne. Wir können dann denselben Prozeß hinsichtlich seiner einzelnen Phasen – im Nebeneinander und Nacheinander – betrachten und die reihebildenden Einzelzustände ihrem wechselseitigen Verhältnis nach vergleichen. Diese Ausschnitte aus dem ununterbrochenen Ablauf des Geschehens (die Dinge, Zustände, Eigenschaften der Dinge sind solche), subjektiv herausgehoben, sind verschiedener Art, schließen sich aus, stehen im Gegensatz zueinander. In diesem geistigen Akte liegt der Ursprung des Gegensatzes; er entsteht durch Vergleich; ein Gegensatz kann nur in dem Verhältnis des einen zu einem andern gleichfalls gegebenen Faktor liegen. Wir haben gesehen, wie der Satz: panta rei einer zweifachen Anwendung fähig war. Die Lehre von den Gegensätzen folgt dem nach.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 28-29Spengler).

„Es wird irrtümlich behauptet, Heraklit habe die Gegensätze geleugnet oder für identisch erklärt (Lassalle II S. 266). Im Gegenteil, Heraklit hat die Gegensätze betont, schon weil er ein Aristokrat war, der das »Pathos der Distanz« im höchsten Maße besaß und dem es gar nicht einfiel, Unterschiede abschwächen oder bestreiten zu wollen. Er redet nicht von einer Identität der Gegensätze – eine contradictio in adjecto –, sondern von einer Identität der Herkunft und des relativen Charakters der Gegensätze. Nicht der Gegensatz, sondern seine objektive Realität wird bestritten.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 29Spengler).

„Die Gegensätze sind nicht nur zu ihrem wechselseitigen Dasein notwendig; sie haben eine für den Weltprozeß im ganzen entscheidende Bedeutung. Ohne vorhandene Differenzen ist ein Geschehen (das in dem Streben nach Ausgleich besteht) undenkbar. Einer der ersten Sätze der Energetik lautet: »Damit etwas geschieht, ist es notwendig und zureichend, daß nicht kompensierte Intensitätsdifferenzen der Energie vorhanden sind.« (Ostwald, Chem. Energie, S. 48.) Damit vergleiche man Heraklits Worte: ... (Fr. 80) ... (Fr. 125). Der Pythagoräismus, der in seiner das Metrische und Formale hervorhebenden Richtung mit Heraklit parallel geht, gelangt zu einer ähnlichen Einsicht: ... (Arist. Metaph. I, 5. 986 b. 9).“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 31Spengler).

„Heraklit setzt allerdings eine große ästhetische Begabung voraus, um die Harmonie als solche nicht nur zu bemerken, sondern zu genießen; zu schauen, wie teuer der Mensch das Beste seiner Kultur mit Leiden und Grausamkeiten erkaufen muß.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 34Spengler).

„Nach Heraklit ist der Kosmos ein reines und ewiges Geschehen. Die einzige Konstante in diesem Prozeß ist das Maß.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 35Spengler).


B. Das formale Prinzip

I. Die Idee der Form überhaupt

„Die allgemeine oder richtiger die naive und ursprünglichere Auffassung der Dinge richtet sich auf ein Begreifen der Substanz, ihres innern Wesens. Erst eine fortgeschrittene Analyse des Erkenntnisvorganges lehrt, daß die Welt, die wir wahrnehmen, eine Schöpfung der Sinne, und daß die Vorstellung des Stoffes (und der Energie) selbst Gebilde unseres Denkens sind. Damit gewinnt ein anderes Element der Erscheinung an Wert, die Form oder das mathematische Verhältnis. Man macht sich durch die Vorstellung einer Substanz und der in ihr gedachten Eigenschaften ein Bild von der inneren Struktur der Dinge, um die Naturvorgänge restlos zu erklären. Nachdem man einmal erkannt hat, daß es unmöglich und selbst widersinnig ist, die Natur auf diesem Wege aufzuschließen, wird man überhaupt darauf verzichten, eine sichtbare Darstellung ihrer innersten Beschaffenheit zu geben. Es liegt dann nahe, das wichtige und bezeichnende der Erscheinung in ihrem mathematischen Maß, in den Formverhältnissen zu finden. Es ist sogar möglich, Naturerscheinungen rein zahlenmäßig vollständig zu bestimmen, ohne eine Hypothese ihres »Wesens« hinzuzufügen, und damit ist auch alles erschöpft, was sich infolge der Grenzen der Erkenntnistätigkeit durch Untersuchung der Beziehungen der Objekte untereinander und zum Subjekt mit Gewißheit feststellen läßt. (Ein Beispiel ist die elektromagnetische Lichttheorie von Maxwell, die ausschließlich durch eine Anzahl von Differentialgleichungen festgelegt ist.) Die Pythagoräer und Heraklit haben diese wertvolle und fruchtbare Seite der Erscheinung entdeckt und zuerst einer Beobachtung unterzogen. Bei dieser Betonung des Formalen dem Materialen gegenüber muß noch einmal auf den wichtigen Unterschied in der Zerlegung des in der Anschauung Gegebenen in seine Komponenten verwiesen werden. Die materialistische Naturwissenschaft und die meisten neuern Philosophen unterscheiden Masse und Energie als nebengeordnete Größen wie die Substanzen Descartes' und die Attribute Spinozas. Heraklit, die meisten griechischen Philosophen und auch die Energetik der Gegenwart unterscheiden Substanz und Form. Substanz ist hier als die Summe alles dessen, was uns erscheint, aufzufassen (Masse + Energie, wenn man will, wogegen die Summe aller Naturgesetze als »Form« anzusehen ist. Aristoteles unterschied ähnlich ulh und µorfh, Heraklit das »Werden« als das Gegebene, den logos als dessen Form). Die Substanz wird nicht in Teile oder Funktionen zerlegt, vielmehr interessiert außer diesem schlechthin Gegebenen nur noch dessen Form, die sich in einer Reihe (zahlenmäßiger) Beziehungen darstellt.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 35-36Spengler).


2. Die Form als Bedingung der Bewegung

„Der Gedanke vom Wert des Maßes hat bei Heraklit eine besondere Bedeutung. In einer Welt ohne jede stoffliche Qualität, die nichts ist als ein unaufhörliches Entgegenstreben von Differenzen innerhalb des Verlaufs einer Bewegung, gibt es nichts Bleibendes als das Maß. Suchen wir das Verhältnis des Maßes zur Bewegung genau zu bestimmen, so erhalten wir seinen Charakter als Form der Bewegung. Damit ist bereits seine unbedingte Notwendigkeit für die Bewegung ausgesprochen. Bewegung läßt sich ohne eine Form so wenig denken wie ein Körper ohne Gestalt. Für dies Prinzip, das den Takt des Werdens berücksichtigt, ist das Wort Rhythmus am geeignetsten, denn es ist sicher, daß Heraklit vor allem das Künstlerische, Musikalische dieser Vorstellung empfand und festhalten wollte.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 39Spengler).


3. Die Idee der Einheit und Notwendigkeit

„Heraklits Gedankenwelt, als Ganzes angesehen, erscheint als eine großgedachte Dichtung, eine Tragödie des Kosmos, den Tragödien des Äschylos in ihrer kraftvollen Erhabenheit ebenbürtig. Unter den griechischen Philosophen, Plato vielleicht ausgenommen, ist er der bedeutendste Dichter. Der Gedanke eines seit Ewigkeiten währenden und nie aufhörenden Kampfes, der den Inhalt des Lebens im Kosmos bildet, in dem ein gebieterisches Gesetz waltet und eine harmonische Ebenmäßigkeit aufrechterhält, ist eine hohe Schöpfung der griechischen Kunst, der dieser Denker weit nähergestanden hat als der eigentlichen Naturforschung.“ (Oswald Spengler, Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 47Spengler).


NACH OBEN „Frühzeit der Weltgeschichte“ Spengler Spengler

„Die Prähistoriker suchen die Epochen der menschlichen Geschichte in Museumsobjekten - Gerät, Stoff. Ich suche sie in den Epochen des menschlichen Seelenlebens. Das ist das Grundlegende. Alles andre ist eine Folge davon.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 1Spengler).

„Weltgeschichte ist Staats-, Kriegs-, Machtgeschichte und nicht Geschichte von Stilformen und geistigen Strömungen. Alles das wird erst historisch, wenn es politisch geformt wird: Kirche, nicht Religion; Handel, nicht Kunstwerke, Kunst und Dichtung zählen überhaupt nicht - sie sind eine Flucht vor der Wirklichkeit.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 1Spengler).

„Ich habe im ›Untergang des Abendlandes‹ die Formlehre gegeben. Ich gebe hier die Geschichte selbst.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 1Spengler).

„Einleitung: ›Weltgeschichte‹ ist Austrag eines unlösbaren Konfliktes zwischen Seele und Geist, ein Bild seelischer Zerrissenheit, ein hoffnungsloser, selbstzerstörerischer Kampf innersten Seelenlebens, dessen zeitliches Bild Schlachten, Könige, Religionen, Techniken sind. Dabei ist es die Lebensmacht, die führt und sich in ihren Schlachten des Geistes, der Religion, der Technik, der Moral bedient. Nicht die Religionen, die Kirchen sind weltgeschichtlich, nicht die Erfinder, sondern die politischen, wirtschaftlichen Verwerter der Erfindungen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 1-2Spengler).

„Düsteres Geheimnis: Hebbel: »Doch rühre nimmer an den Schlaf der Welt«. Der Geist tut es – das ist die große Schuld in der Tragödie der Menschheit. Die Natur rächt sich, indem sie die Menschen vernichtet. Denn es ist Wesen und Aufgabe des Geistes, die Welt zu wecken; aber eben damit bricht das Verhängnis herein. Die Natur läßt ihrer nicht spotten. Aber der Schlaf der Welt ist ihre Schuld, gemessen an der Idee des Geistes. Das Wecken ist die Schuld des Geistes, gemessen an der Idee der Natur – Meinung Hebbels.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 9Spengler).

„Was ich schreibe, ist eine Tragödie. Die ›Weltgeschichte‹ in diesem Aspekt ist tragisch: der ›frei‹ gewordene Mensch im Kampf gegen die Welt – um sich, in sich, in den andren Menschen. Der höhere Mensch ist ein Verhängnis. Er hinterläßt mit seinen Gräbern die Erde als Schlachtfeld und Trümmerstätte. Er hat Pflanze und Tier, Meer und Gebirge in seinen Untergang gezogen. Er hat das Antlitz der Welt blutig gezeichnet, verstümmelt, zerrissen. Aber es war Größe darin. Wenn er nicht mehr ist, wird sein Schicksal etwas Großes gewesen sein. Und selig die, welche Zeiten dieser Größe erleben, schauen können.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 9Spengler).

„Historische Betrachtung ist faustische Skepsis. Es gibt Rassen und Kulturen des Erkennens. Auch als Naturwissenschaftler erkennt man nur in der Art von seinesgleichen und überzeugt nur Menschen der gleichen Art.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 20Spengler).

Schicksal und Kausalität: Was Schicksal ist, läßt sich nicht definieren, nur sehend erleben. Die meisten Menschen [sind] zu dumm dazu. Da wird dann die Geschichte in Daten zerlegt und eins als Ursache, das andre als Wirkung bezeichnet. Wer das tut, weiß nicht, was Geschichte ist.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 20-21Spengler).

„Mussolini [ist] Schicksal. Keine Wirkung. Tragisch. Die ganze Menschheit ist eine Tragödie. Dem Tropf, der kausal denkt, erscheint die Geschichte sinnlos. Sie hat aber einen Sinn, an dem die kleinen menschlichen Maßstäbe und Wertungen – Recht, Unrecht – lächerlich werden. Die Geschichte hat noch nie auf dergleichen Rücksicht genommen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 21Spengler).

„Was mit dem Menschen geschieht und wie der Mensch Geschichte macht (cd) – seine ›Weltgeschichte‹ –, indem er seines Horizonts, seiner Lage, Ziel [und] Mittel bewußt wird – und damit vom Schicksal in seiner Seele getrieben wird. Diese bewußte Geschichte beginnt mit der Sprache. Unterschied zwischen den großen Individuen und der Menge: die Großen haben den größeren physiognomischen Blick der Tatsache, aber sie stehen trotzdem im Dienste des Schicksals.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 21Spengler).

„Der echte Staatsmann und Historiker fühlt sich als Element des Stromes der Wandlung, der unabänderlich strömt. [Politik ist] Kunst des Möglichen. Sich selbst als Element fühlen (Napoleon). Bejahung des Schicksals, amor fati. Der Systematiker, der Ketten von Ursachen, Zahlen, Gesetzen konstruiert [und] statt zu schauen, kritisch zerlegt, glaubt die Kette der Ursachen ändern zu können – Ideologie, Utopie.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 21Spengler).

„Der große Geschichtsschauer bildet sich die ganze Systematik (Zahl, Daten, Theorie), ohne ihr zu erliegen. Als Mittel zur Verdeutlichung des Geschauten. Der Sammler und Ordner von Daten und Zahlen kommt nie aus dem kahlen Schema heraus zu einem Schauen des Wirklichen, des lebendigen Wandelns.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 21Spengler).

„Data des Raumes (Zahl, Statistik, Chronologie, Karte, Tabelle) sind nur Ausdrucksmittel, nicht Selbstzweck.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22Spengler).

„Man kann Geschichte des Lebens – biographisch oder welthistorisch – nur bildhaft schildern, im Nacheinander oder [in] künstlerischer Gruppierung (›Untergang des Abendlandes‹).“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22Spengler).

„Was ist Kultur? ›Leben‹ als Einheit, Menschenleben vor allem eine Einheit.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22Spengler).

„Kulturen [sind] die organischen Exemplare der Gesamtheit ›Menschenleben‹. Ihre innere Form: Jugend, Alter, Dauer (1000 Jahre), Tempo.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22Spengler).

„Die konkreten Formen dieser Schicksale [sind] nicht vorauszusehen, aber das Ende der inneren Gestalt ist sicher.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22Spengler).

„Die Zahl tötet das Leben – aus Angst Berechnenwollen – Orakel, Prophezeiung, Horoskop. Chronologie darf nie Hauptsache, Schema werden. Der echte Historiker und Staatsmann sieht die Gestalt des Kommenden unwiderruflich voraus (Kunst des Möglichen), der Systematiker sieht nichts. Deshalb rechnet er, und immer falsch. Ihm fehlt die lebendige Zeit. Er spekuliert raumhaft, zeitlos, gesetzhaft.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22Spengler).

„Die Angst des Systematikers will Daten und Regeln entdecken, um dem Schicksal zu entgehen. Der Physiognomiker hat Ehrfurcht vor dem Schicksal. Er will es bildhaft andeuten, nicht umgehen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22Spengler).

„Kultur ist unbewußte Verwirklichung des Möglichen, Drang, nicht Entschluß. Alle Kulturformen entstehen unwillkürlich. Kein Volk schafft Kultur, sondern wird von der Kultur geschaffen. Die Volkstypen sind wie Kunstwerke und Denkweisen Ausdruck der Kulturen, Symbole.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 22-23Spengler).

„Wer denkt oder malt oder dichtet, will bewußt nur schaffen; wie es wird, tut eine Macht in ihm, die ihn treibt. ›Es‹ neben ›Ich‹.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 23Spengler).

„Allzu großes Bewußtsein des Gewollten tötet das Schöpfertum. Es bleibt nur Kritik, Selbstkritik. Man weiß, wie es werden sollte, aber kann es nicht machen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 23Spengler).

„Nachtrag: Wie in jeder Kultur das Denken sich analog entwickelt, indem der eigne und einzige Blick in die Welt sich sprachlich geistig in Formen herausstellt, die gleichartig ablaufen, am verborgensten in der jeweiligen Logik, die für den ersten Blick ›allgemein menschlich‹ ist. Was grundverschieden ist, ist das Entscheidende, wirklicher als alle Einsichten, nämlich die Methode des Sinnens, Forschens, Schauens: die antike, chinesische, ägyptische Methode sind das ›Urphänomen‹.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 23Spengler).

„Ein Mensch der großen Tat, wie Napoleon, der in Augenblicken einer schweren Entscheidung schwankt und Zweifel hat, erlebt den Punkt, wo das Denken von Ursache und Wirkung sich als wesenlos erweist und das Schicksal sich enthüllt. Dann hilft kein Denken mehr, nur der Instinkt, der Glaube an den Stern.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 23Spengler).

„Der Schaffende fühlt sich frei. In jeder Tat liegt Freiheit. Jede Tat, auch die mißlingende, ist dem Wesen nach ein Sieg des freien Willens. Nur der Tatenscheue, der Denker, Priester, Tüftler, kennt diese wirkliche Freiheit nicht. Ihm wird das Wort zum Problem, wie alle Wirklichkeit. Aber das spricht nur die Unnatur seiner Existenz aus.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 23Spengler).

„›Seele‹ ist ein Stück Geschichte, ein Sichregen in Form: ›Charakter‹ heißt das. Aber Charakter gibt es von einzelnen, Völkern, Ständen, Kulturen und schließlich vom geschichtlichen Menschen überhaupt: Alles das [sind] seelengeschichtliche Ströme von Ort, Dauer, Tempo und Art.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 24Spengler).

„Die Geschichte selbst (die ›öffentliche‹, die Weltgeschichte) ist nichts als der sichtbare, fühlbare, erlebbare Ausdruck dieser ›geheimen‹ Geschichte. Seelengeschichte und Weltgeschichte verhalten sich wie Wollen und Tun, Drang zum Zeichen und Zeichnen, Zorn und Schlag.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 24Spengler).

„Aber wann beginnt in dieser Geschichte des Seelenanstiegs das Distanzgefühl? Unter Tieren von Rasse [ist es] vorhanden, aber als Trieb der Zugehörigkeit. Unter Menschen aber endlich bewußt, begriffen und deshalb in furchtbarer Tiefe wirksam.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 24Spengler).

„In allen Hochkulturen [ist es] schon alt. Aber wann entsteht das? Die erlesenen Typen des herrischen und heiligen Bewußtseins, heute als soziale und geistige Überlegenheit empfunden – und nachgeäfft. Aber Kultur ist beinahe nichts andres als Distanz. Sie ist paucorum hominum. Die meisten müssen für die Ziele der wenigen arbeiten – in Politik, Religion, Kunst –, sonst entsteht nichts.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 24Spengler).

„Ideen, die nicht Interesse und Leidenschaften vitaler Art hinter sich haben, bleiben Literatur. Das Christentum kam nur auf, weil es das Feldzeichen der Armen, des Pöbels, der Rassefremden war, das Luthertum ebenso als Waffe der Bauern, Zünfte, Städte, Fürsten, die Idee von 1789, die von Marx ebenso.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 24Spengler).

„Der Geist spielt in der Geschichte keine Rolle, nur die Triebe.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 24Spengler).

„Die Geschichte schildert das menschliche Herz (Napoleon). Dagegen sind die Gedanken, auch die ewigen, alle Jahrhunderte anders. Und was eine Religion oder ein Denker als Sinn, Bestimmung ›des Menschen‹ und ›der‹ Geschichte hinstellt, ist bloß der Geschmack seiner Zeit.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 25Spengler).

„Der Mensch als Sinn der Welt! Welche Überhebung! Dies zerbrechliche Geschöpf, das für 5000 Jahre ›Geist‹ hat und dann daran zugrunde geht! Der Mensch ist ein Teil, ein Element der Welt, wie Pflanze, Gesteine, Wolken. Daß er sich selbst wichtig vorkommt, ist begreiflich. Jeder Hund und Frosch tut das und sieht seine Welt in bezug auf sich. Das ist ein primitives Vorurteil. Der reife Mensch sieht, wie zufällig, überflüssig seine Art in der Welt ist.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 25Spengler).

„Zeitalter des keimenden, reifenden, herrischen Geistes. Also in den höchsten Fällen Unbewußtheit und Ahnung, Schauder der Schwermut und Angst, Orgien des lärmenden Triumphes und stillen Ekels.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 25Spengler).

„Überhaupt [ist die] ›Geschichte der Menschheit‹ die Tragikomödie des Geistes, der den Menschen auf die Galeere der Ursachen und Zwecke schmiedet, im Morgengrauen wundervoll, Regungen eines schönen Kindes, Spiele des Geistes, dann versengend, Samum, unter den Sanddünen seiner ›Errungenschaften‹ das Leben begrabend.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 25Spengler).

„Einleitung: Es folgt aus dieser Art, Geschichte zu sehen, daß der Geist und die Ergebnisse seines Grübelns darin keinen Platz haben. Diese Ergebnisse sind praktisch wichtig genug, aber das hängt nicht davon ab, ob sie ›wahr‹ oder ›falsch‹ sind. Und in jedem Falle ändern sie nur die äußeren Formen des Geschehens, nicht seinen tieferen Sinn. Wenn der Dolch [des Brutus] danebengestoßen hätte, wäre die Geschichte anders geworden. Wenn Newton nie gelebt hätte, hätte sich nichts geändert.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 25-26Spengler).

„Was an Größe in der Geschichte liegt, sind die mächtigen Leidenschaften von Rassen, von Völkern, Familien, Ständen, von einzelnen. Was sie kosten, Ströme von Blut, den Brand von Städten, Trümmer, ist nicht zu teuer. Und erst, wenn die öde Vernunft aus den Städten überquillt, wie eine schmutzige Flut, mit Menschlichkeit, Friede oder dem Streben, den Pöbelmenschen mit dem Glück der meisten: Bequemlichkeit, Vergnügen, Brot und Bier zu erfüllen, legt sich eine unermeßliche Langeweile über die Welt, so daß die Menschen von Leidenschaft in andre Erdteile fliehen, Verbrecher werden, Selbstmord begehen – oder diese Welt in Trümmer schlagen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 26Spengler).

„Die ursprünglichste Form menschengeschichtlichen Denkens ist in Atlantis und Kasch die religiös-kalendarische Fixierung; groß gedacht hat erst die Heldenkultur: Der Ursprung echten Geschichtsdenkens ist der Ruhm. Berühmt sein, unvergessen sein, in der Geschichte fortleben. Und man lebt fort in Gestalt von Namen und Taten, mythologisch, in Form der Heldensage, die im strengen Gegensatz zu allem früheren (Gilgamesch) eine wirkliche Persönlichkeit meint. Und die älteste Form der ›Geschichtsschreibung‹ ist der Heldensang. Der Skalde ist die Vorform des Historikers: Über Geschichte soll man dichten. Und deshalb behält Geschichtsschreibung hohen Ranges immer etwas vom Heldensang. Weltgeschichte ist eine große Sage vom Glück und Ende des ikarischen Menschen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 26Spengler).

„In c noch langer Atem. – ein Jahrhundert bedeutet nicht viel. Erst in d [ist] ein Jahrhundert schon viel.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 26Spengler).

„Daher das Wissen um die Flüchtigkeit der Zeit, die Angst vor dem Tode, daher das Bedürfnis die Zeit zu gebrauchen, den Kalender als Ausdruck der Angst vor der Kürze des Daseins, das Gefühl für Geschichte, Chronologie – Aufzeichnung des Geschehens als etwas Flüchtiges, Verlorenes. Der historische Sinn [ist] Ausdruck des schnellen Lebens auf eine Katastrophe zu.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 27Spengler).

Was ist Kultur? Man hat darunter, je nach dem Gewicht der eignen Persönlichkeit, sehr Verschiedenes verstanden: eine Summe von Bequemlichkeiten vom Pfeil bis zum Telefon – Abstraktionen von Museumsbeständen. Ich sehe in einer Kultur ein geschichtliches Ereignis, einmalig, unwiderruflich, und in ihm verwirklicht, vollzogen das Schicksal einer Wesenheit, die Geschichte einer Seele. Kultur ist nicht, sondern geschieht, vollendet sich in und durch Menschen, welche Elemente ihres Ausdrucks sind.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 27Spengler).

Gegen Kulturkreise: Ist die prähistorische Art des Ordnens oberflächlich [weil materialistisch], so ist es [auch] die ethnographische der Kulturkreislehre aus einem anderen Grunde: ihr fehlt der Instinkt für die Tiefe der Zeit. Man wird an jedem Orte ›ältere‹ und ›jüngere‹ Schichten von Kulturzügen auffinden, aber das bedeutet noch nicht ›alt‹ und ›jung‹. Es fehlt das Maß für die Größe des Abstandes.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 27Spengler).

„Wenn in Polynesien um 1900 n. Chr. etwas ›alt‹ ist, diese Inseln aber erst in später Zeit überhaupt besiedelt worden sind, so ist 1600 uralt, aber das wäre für Japan sehr jung, und für das Verhältnis zu Babylon fehlt ein ausreichender Wert. Tatsächlich ist aber Madagaskar erst um 600 von Malaien besiedelt worden.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 27Spengler).

„Hier wird es deutlich: die Ideen Tempo und Dauer fehlen der Kulturkreisvorstellung. Sie setzt Heute und Gestern mit Urzeit und Gegenwart gleich – es ist, als ob man die Bildung der Alpen und einer Sanddüne vergleichen wollte. Der Bogen z.B. soll in Polynesien Schichten beweisen: aber der zusammengesetzte Bogen kommt im Jungpaläolithikum Spaniens als Waffe vor, 5000 vor Chr. – demgegenüber sind die Bogenformen Polynesiens nicht Zeitalter, sondern flüchtig.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 27-28Spengler).

Gegenseele: Der Kampf, die Kultur als Schlacht, findet den symbolischen Ausdruck in dieser Zweiheit. In Ägypten und Babylonien, wo mehr Mischung als Unterwerfung ist, ist der Gegensatz nicht so schroff. Beide Elemente bilden ›Bauerntum‹ und ›Gesellschaft‹. In den Nordkulturen dagegen sehr schroff: Unter- und Oberseele.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 28Spengler).

„Vorsicht: Die Gegenseele ist nicht identisch mit Bauerntum, die Oberseele nicht mit Gesellschaft. Sondern überall da, wo der Sieg fraglich blieb, bildet sich ein Sitz der Gegenseele heraus: Sparta – Rom oder Florenz – Paris. Die Siegesseele formt die Gegenseele als ihren Pol.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 28Spengler).

Elemente des Geschehens: Kulturen als Organismen. Beschränkung des Themas auf die c- und d-Kulturen. Ablehnung der Einteilung in Neolithikum, Bronzezeit usw. Ablehnung der Kulturkreislehre.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 28Spengler).

„Überblick über die c-Kulturen, heute noch dauernd (daneben noch Reste von Menschentum, die in a-b-Kulturen erstarrt sind, am Südende [der Kontinente] z.B.). Hier noch nicht die Seele dieser c-Kulturen schildern, sondern nur Zeit, Ort und äußere Form. Sie liegen in ihren Uramöben alle in der alten Welt, nördlich des Äquators, und bilden eine Gruppe.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 28Spengler).

„Also Gruppe der Amöben und Gruppe der Pflanzen. Vergleich aus der Biologie: der Urformen des Lebens sind wenige: in der Tiefe immer wieder dieselben. Es gibt nur ein ›Leben‹.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 28Spengler).

„Warum ich mit dem 5. Jahrtausend beginne. Typus und Schicksale, Zahl, Vorkultur, Ort und Zeit der c- und d-Kulturen. Vorläufiges Gesamtbild der Kulturvegetation, deren Oberschicht ›Weltgeschichte‹, deren Unterschicht ›Völkerkunde‹, deren Humus ›Prähistorie‹ ist. So ordnen sich die Fachwissenschaften.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 28-29Spengler).

„Haupt- und Nebenamöben, Plasma mit vielen Nuclei. Namengebung, Wortschatz, Grammatik, Form und Ziel. Capsien sinnlich symbolisch, Solutréen Sein und Tat, Kasch abstrakt.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 29Spengler).

Gegen Kulturkreise und Prähistorie: Es handelt sich in der gesamten Deutung der Kultur noch darum, die Erbschaft des vorigen Jahrhunderts endgültig loszuwerden, die alle heutigen Systeme noch beherrscht: nämlich die Sucht, statt von der Seele von Stoff und Werkzeug auszugehen; und statt die Erzeugnisse fühlend zu begreifen, sie als Ergebnisse modern-intellektueller Zweckmäßigkeitssucht zu werten. Die Geschichte der Urzeit erscheint modernen Gehirnen als Geschichte der Technik, die ›Bronzezeit‹ ist ein Begriff wie die ›Zeit der Dampfmaschine‹. Und die Kulturkreislehre (zit[iere] Frobenius!) ist, wenn man über bloße Worte zu gedanklichen Grundlagen dringt, nichts als die Ansicht, daß technische Methoden – Bogen, Keramik, Ackerbau – den Charakter der ›Völker‹ entscheiden.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 29Spengler).

Neue Begriffe: Es gibt etwas, das ich prähistorische Tradition nennen will. Das ist eine Macht, die sich jeder reifen Kultur überlegen erweist und sie in ihren Bann zieht. Diese Tradition stammt aus den c-Kulturen, die als Bauerntum, ›Volk‹, ›Land‹ das Fundament aller Hochkulturen bilden, welche nur ihre Städte darüber und darauf gründen. Dazu gehören die ewigen Bewegungstendenzen. Wenn z.B. eine solche von Tunis nach Molfetta, Kreta, Karien, Etrurien, Sardinien, Spanien besteht, so unterlagen ihr geistig die Karthager.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 29Spengler).

„Es gibt also Erben dieser Tradition. Und alle Hochkulturen treten da eine uralte Erbschaft an. So die Perserkönige, als sie den keramischen Diminiweg aufnahmen, wie vorher Sargon. Ein andres ist die Tendenz, die Ausdruckssprache in gewisser Richtung – Ausdrucksrichtung – zu entwickeln: in Mythen, Stein, Staat.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 29-30Spengler).

„Eine Folge der Aufteilung in materialistische Stufen von Stein- und Metallgebrauch ist, daß man eine ganze Reihe von Werkzeugformen aufstellte und für alle Länder einordnete; fand man irgendwo nichts, war in Spanien kein Neolithikum, so glaubt man an eine Zeit, wo die Bevölkerung abgewandert war. Tatsächlich aber hat es nie eine menschliche Kultur überhaupt gegeben, sondern nur Einzelkulturen von individueller Form, folglich auch stets Sonderentwicklungen. Das Capsien z.B. ist ein Stück des äußeren Ausdrucks der Atlantis, und es bildet mit der spanischen Kupferzeit ein organisches Ganzes.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 30Spengler).

„Damit löst sich die Stufenfolge nach dem Material in die Zeitfolge organischer Kulturen auf, und zwar primitiver Kulturen verschiedenen Ranges. Der Grad der Primitivität hängt aber, wie alles Menschliche, nicht von der Zeit, sondern vor allem vom Menschentum ab. Schon im ›Jungpaläolithikum‹ heben sich deutlich Gebiete höherer und niederer Primitivität ab, und zur Zeit der Keramik sind die Rangunterschiede bereits unermeßlich.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 30Spengler).

„Was Kultur überhaupt und hohe Kultur unterscheidet, ist die Menschengröße, die Höhe und Tiefe von Seele, die am Wollen und am Leiden wächst bis zur Sonnenhöhe der Weltgeschichte im Anbruch des Heldentums. Die großen Kulturen sind ihre Schlachten: die Siege bis zum Abendrot und dann der Blick in das furchtbare Umsonst über der Walstatt.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 30Spengler).

„Der rein zufällige Umstand, daß im ›Neolithikum‹ gar nicht die Steingeräte, sondern die Tongefäße zuerst ins Auge fallen, weil sie sich am massenhaftesten erhalten, bringt es mit sich, daß nun auf einmal die Einteilung ganz äußerlich nach Gefäßformen und Verzierungen erfolgt, obwohl beides ganz verschiedene Bedeutung besitzt. Und es ist nur Zufall, daß diese Merkmale trotzdem auf richtige Wege – teilweise – leiten.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 30-31Spengler).

„Die Gefäßformen sind Formen der Lebenshaltung, also der Körperhaltung, der Rasse und ihres bewegten Stils, ihrer Geste. Sie gehören also zusammen mit den Formen der Waffen, Geräte, Gräber, Hütten, Kleidung; das ist Sitte im weitesten Sinne. Die Gefäßverzierung dagegen ist ein Ausdruck des Weltgefühls und gehört zur Religion, zu Kult, Mythus, Ritus, Schmuck. Jene, Rasseform, Gebrauchsform, läßt auch auf die politische Struktur schließen: Struktur von Familie, Stamm, Sippe. Zu dieser muß auch die verlorengegangene Kunst gehören: Tanz, Sang. Siedlungsformen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 31Spengler).

„Kann man Metaphysik überhaupt in gelehrter wissenschaftlicher Form einfangen? Sicher ist, daß sie in den großen Kunstwerken – Bauten, der Musik, der Malerei, den Dramen lebt. Und in der Darstellung der großen Geschichte. Denn Geschichtsschreibung ist Gestaltung, Schöpfung, ist Dichtung im höchsten Sinne. Nur durch geschichtliche, nicht durch systematische Darstellung läßt sich außerhalb der Kunst mitteilen, was an Geheimnis in der Welt und im Menschen schläft.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 31Spengler).

„Was nötig ist, die eigentliche große Aufgabe des 20. Jahrhunderts in der ›psychologischen‹ Forschung, ist nicht irgendeine Psychologie (Klages), sondern die Geschichte der menschlichen Seele, ihrer Entstehung, Entwicklung, [ihres] Niedergang[es]; wie sie Leid auf Leid häuft, denn dem Tier gegenüber ist das menschliche Leiden, weil innerlich und über Gegenwart und Körper hinaus, ins Unendliche gesteigert. Der Mensch ist das seelisch leidende Tier. Das ist seine Tiefe, seine Größe. Deshalb ist die Weltgeschichte des Menschen eine Tragödie. Denn alles, was er ausdrückt, seine gesamte Kultur, sein Wollen und Kämpfen, Kunst, Religion, Staat, Krieg, ist aus dem Leiden an dem Dasein der Seele entstanden.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 31-32Spengler).

„Was ist denn Philosophie, so wie man bei dem Worte fühlt, ohne es definieren zu wollen oder [zu] können? Keine Wissenschaft, wenn auch, wie beim physiognomischen Schauen der Weltgeschichte, das Wissen Voraussetzung ist, sondern Tiefe, Ahnen des Unaussprechlichen. Nicht die kritische Intelligenz [entscheidet], sondern das weltenferne Schauen und Grauen, die Ehrfurcht vor nicht lösbaren Rätseln. Glühende Weisheit, letzte Schauer eines Ahnens im selben Augenblick.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 32Spengler).

„Was und wie ein Denker denkt – das ist die eine Frage. Aber warum gerade er so denkt, ist wichtiger. Zieht man von seinen Gedanken alles ab, was durch die Sprache, die Wortgebundenheit seines Denkens bestimmt ist – die Urteile z.B. –, was er anderen nachspricht, weil es ihm nicht möglich ist, sich von der Schematik seiner Lehrer in der Kirche, der Schule, der Umgebung, der Fachwissenschaft zu befreien, so bleibt seine Persönlichkeit, soweit sie sich in Gedanken ausdrückt. Philosophisch reden – dozieren z.B. – ist gefährlich. Noch gefährlicher die schriftliche, schriftgebundene Philosophie, das Buch, das System. Was man in tiefen Augenblicken wirklich denkt, kommt nie unverändert in die Folge von sprachlichen Sätzen. Und wer nicht zwischen den Zeilen lesen kann, der erfährt oft das Entscheidende nicht.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 32Spengler).

„Wendung durch Schopenhauer, 19. Jahrhundert. Trotz seiner Kantischen Halbheiten. Welt als Vorstellung. Das ist das Neue. Nietzsche lehnte sich gegen seine eigne kritische Einsicht auf, weil er als Pastor Zukunftsideale nötig hatte: [den] Übermenschen, [die] Wiederkunft, an die er selbst nicht glaubte.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 32-33Spengler).

„Das 19. Jahrhundert, materialistisch gesinnt und darwinistisch begeistert über die Steinzeittheorie, außerdem im Glauben der Fortschrittphilister befangen, stellte an Hand des Stoffes der Funde, was bezeichnend ist für die Plattheit des Denkens, ein Schema auf, das für die ›Menschheit‹ gültig sein sollte und in das nun nach Form und Stoff alles Gefundene eingeordnet wurde. Wir sind im Begriff, diese Art der Betrachtung aufzugeben: es gab keinen ›Fortschritt‹, und es gab keine Stufen der Menschheitsentwicklung. Es gab nur Kulturen, organische, örtlich und zeitlich begrenzt, mit einer individuellen Ausdruckssprache. Wenn in einem Lande eine solche ›Stufe‹ ›fehlt‹, so heißt das nicht, daß die Menschen fehlten, sondern daß eine Kultur, zu deren Ausdruck diese nicht allgemein menschliche Stufe gehörte, dieses Land nicht berührt hat. Es gibt keinen ›Hiatus‹.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 33Spengler).

„Gegen die Kulturkreislehre aber ist ihr Mangel an Verständnis für Dauer und Tempo einzuwenden. Es versteht sich von selbst, daß in heutigen Zuständen ältere und jüngere Formen zu[sammen] sind: aber das gilt nur relativ, für diese Völker, nicht für die Geschichte. Es ist Unfug, in Australien und Polynesien von einer ›Urkultur‹ zu sprechen, wenn die Besiedlung erst nach 1000 nach Chr. beginnt. Alles, was diese Schule an ältesten und tiefsten Schichten auf Grund lebendiger Gegenwartsbeobachtung entwickelt hat, ist allerjüngste Form, gemessen an dem, was die Geschichte Ägyptens und Babyloniens lehrt. Es handelt sich dort um die letzten Jahrhunderte, hier um Jahrtausende.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 33Spengler).

„Die abendländische Kultur [ist] die sonnenärmste. Diese winterlichen Städte, diese frierenden Menschen, die Not nicht nur des Hungers, sondern der Kälte, die Weltanschauung der langen Winternächte, das Denken in düsteren Stuben, das Dasein in verschlossenen Häusern – das alles hebt den Stil der faustischen Kultur aus allen andren heraus.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 33-34Spengler).

„Hier muß eine Lücke des ›Untergang des Abendlandes‹ ausgefüllt werden: Das Allgemein-Menschliche. Das Phänomen ›Mensch‹ auf der Erdrinde. Das Ewig-Urmenschliche: Instinkte, Liebe, Hunger, Angst, Krieg, Haß. ›Leben‹ [ist] ein Urphänomen dieses Planeten. Sinn des Lebens in sich selbst. Der ›ungeschichtliche‹ Mensch als Augenblick des Erdschicksals. Aber inmitten dieses Ereignisses das Wunder der hohen Kulturen. Nun herausarbeiten, wie sich das vom Ewig-Primitiven abhebt und doch wieder ihm gleich ist. Wie im höchsten Kultursymbol doch nur eine Sublimation des Urmenschlichen steckt, so in der Wissenschaft die Urangst.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 34Spengler).

„Wie aber die Reflexion hierüber, die Mechanisation des Weltbildes, nur Episode ist. Und nun die Gruppe der Kulturen als Ganzes, ihre Beziehungen, Zwischenstufen. Aufbau dieses nicht organischen Gemenges, das selbst keine Entwicklung hat, sondern nur eine Handvoll Einzelentwicklungen darstellt.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 34Spengler).

„›Das Leben‹ ist die allmächtige Urtatsache. Alles andre, Kultur, Erkennen, Lieben, Hassen, sind nur Arten der Lebensäußerung. Cogito ergo sum ist Unsinn.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 34Spengler).

„Die winzige Menschenzahl der Urzeit, die das Bild ganz verändert. Daß Germanien zur Zeit des Tacitus 2.3 Millionen Einwohner hatte, muß der Urzeit gegenüber schon unermeßlich gewesen sein. Da waren es vielleicht 10000. Wie wird es in Zukunft sein, wenn die letzte Kultur verblüht ist? Wieder eine Reduktion auf winzige Zahlen?“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 34Spengler).

„König Gudea (um 2340), einer der mächtigsten Herrscher in der babylonischen Kultur, gibt stolz die Zahl seiner Untertanen mit 216000 an. Unter Urukagina seien es nur 36000 gewesen. Ebenso müssen die Zahlen in den alten ägyptischen, chinesischen und indischen Kulturen gewesen sein. Die späteren Kulturen rechnen schon mit ganz andren Zahlen auch bei feindlichen primitiven Völkern. Das ändert aber alles. Das Weltgefühl wird anders, sobald man statt unendlichen Flächen Nachbarn hat. Krieg, Intelligenz als Waffe, die Waffe selbst, die jetzt gegen Menschen nötig ist, die Konkurrenz um physische, geistige, t[echnische] Überlegenheit – um sich zu halten. Man muß sich übertreffen. Unter diesem Aspekt steht der Mensch seit 10000 Jahren; infolgedessen [findet man] gegen[über] früher eine rapide Änderung aller Bedingungen, aller Lagen, Stimmungen, Meinungen, Eindrücke (von andern, von der Natur, von den relativ seltener werdenden Tieren). Bis die hohen Kulturen blitzartig auftreten. Man denke an die tragische Vernichtung der Maya durch die abendländische Spätzeit. Ursprünglich [hat man] gar kein Gefühl für die andren Menschen, die man gelegentlich sieht. Dann aber, sobald sie ›Nachbarn‹ werden, [erwacht] der Urgegensatz Feind und Freund, Haß und Vertrag. Ursprung des Rechts?“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 34-35Spengler).


- Die vier Kulturstufen -

„Die vier Kulturstufen (a, b, c, d - dabei entsprechen in etwa: die a-Stufe die Zeit vom Altpaläolithikum bis zum Jungpaläolithikum, die b- Stufe die Zeit vom Jungpaläolithikum bis zum Neolithikum, die c-Stufe die Zeit nach der Neolithischen Revolution ohne hochkulturelle Formen und die d-Stufe die Zeit nach der Neolithischen Revolution mit hochkulturellen Formen; HB) ....“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 44-81Spengler).

„Die c-Kultur bringt die Idee des Hauses. (Haus). ... Hier - seit c - wird gebaut. Das Haus ist ein Symbol des Lebensgefühls, Gehäuse des Lebens.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 52Spengler).

„Bauen ist ein Unternehmen zu mehreren, organisiert, zweckbewußt .... Wie Pflanzenbau statt Sammeln, Tierzucht statt Jagd. Die Idee, etwas Künstliches zu schaffen gegen die ›Natur‹. .... Höhlen (b-StufeHöhlen), Vogelnester, Fuchsbauten sind Ergebnisse triebhafter Handlungen gattungsmäßig. Zu diesem Gattungstrieb des Schwarmes tritt das sprachgebundene Zweckdenken des Stammes.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 52Spengler).

„Jede d-Kultur verfällt von der aristokratisch formalen Frühzeit zur demokratischen Formlsigkeit der großen Städte. Heimat (c) ist die Landschaft, in der man jeden Menschen kennt, ein Tal, eine Feldmark. .... Was heute Nation und Vaterland genannt wird, ist ein abstrakter Gedanke der Großstädter.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 52Spengler).

„Nicht jeder Mensch eines Kulturvolkes ist Kulturmensch. Kultur haben bezeichnet einen Rang. Viele haben etwas davon, einige Züge, einen Hauch. Einzelne repräsentiern sie ganz - Goethe, Friedrich II., Lionardo (da Vinci; HB). Es gibt unter den c-Stämmen b-Menschen. In einer d-Kultur - zu der die Bauern nicht gehören, als Schicht - sind die meisten Menschen c-Menschen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 52Spengler).

„Es gibt keine Ursprache, sondern nur einen Urtypus des denkenden Sprechens, der mit Aussprache und Wortschatz nichts zu tun hat. Dieser Urtypus bildet sich in c unter weiten Bevölkerungen von selbst, in vielen Variationen aus. Spätere «Sprachen» sind nur neu geprägte Gruppen aus einer frühen Variation.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 53Spengler).

„c: Mit Sprechen-Denken (neue Art des «Bewußtseins») beginnt Kultur-Geschichte gegenüber Naturmensch und Geschehen. Geschichte ist durchgeistigtes, wortbewußtes Wollen, Organisieren - die Tragödie liegt darin, daß das Schicksal, das Blut (das Unbewußte) stärker ist und lenkt.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 53Spengler).

„c: Stamm, Clan, Sippe. Der Stamm ist eine Vereinigung von Sippen. Blutrache. Hausherr als Richter im Hause. Übergang von Sippen von einem Stamm zu andern. d: Staat als feste Organisation. Stadt, Stand.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 53Spengler).

„Die c-Organisation hält sich unter Adel und Bauern. Die Stadt zerstört die Sippen durch den Stand. Gesellschaft ist eine Summe von Familien mit «Verwandten», die nichts mehr bedeuten.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 53Spengler).

„Was ist Kultur?  Kultur ist wie ein reiches Haus. Kinder ‹sehen› nichts von den kostbaren Möbeln, Gobelins, Vasen. Sie leben in ihrer eigenen Welt. Erst langsam wächst man in die Kultur eines solchen Herrensitzes hinein. Lakaien, Mägde, der Ziegenhirt verstehen noch nichts davon, aber aus andern Gründen. Sie bleiben infolge ihrer Erziehung - Dorfbildung, Kirchenzucht - auf der c-Stufe, die darunter weiterlebt, als Fundament, auch seelisch. Blut und Seele der d-Schicht ergänzt sich unaufhörlich aus c und wird verbraucht. Man kann die erreichte Kultur jederzeit als Gebäude betrachten, die der eine als zugehörig bewohnt, der andre haßt, der dritte gar nicht sieht.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 53-54Spengler).

–   Klima und Hochkulturen   –
c-Kultur: zuerst West, Süd, dann Nord. d-Kultur: zuerst Ägypten, Babylon, zuletzt Abendland. Die Sonne hat zuerst die heißen Seelen ausgebrütet. Langsam reiften auch die winterlich kalten Seelen des Nordens. Spät, geistig.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 54Spengler).

c-d-Kulturen: Ägypten (Westen). Babylon (Süden). Indien, China [und] Antike [gründen sich] auf W[estkultur verbunden mit dem Wesen des] Südens. [Die] arabische [Kultur ist eine] allgemeine Mischung: West und Süd und Nord, [ein] Mittelpunkt, nach allen Seiten gewaltig strahlend: Religionen, [bis hin zum] Islam; Kunst, [bis in die] Kunst [der] römischen Kaiserzeit [hinein]: Kuppel, Bogen. [Das] Abendland [ist] spät, hochnordisch: Nord und West.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 54Spengler).

„Ich habe schon [in] ›Mensch und Technik‹ (Spengler) die Stufenfolge gezeigt, welche der Mensch innerlich einnimmt. Stein und Bronze sind keine seelischen Werte. Aber die Sprache trennt den Urmenschen b von c-d. Hochkulturen (d) ruhen auf der Grundlage von c. Wenn heute auch die primitivsten Stämme Sprachen besitzen, so ist das die Folge von c, wie sie auch Feuer, Werkzeuge etc. besitzen. Es kommt aber auf die Zeit der Sprachschöpfung an, etwa 5. Jahrtausend. Bis dahin mußte man sich durch Zeichen und Laute verständigen oder verstand sich instinktiv. Hier beginnt die geistige Vermittlung. ›Sprache in geistigen Formen‹ gegenüber dem Wink, [dem] Zeichen. Sprache [ist die] geistige Form der Mitteilung, übersinnlich.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 54Spengler).

„In b-c entstehen für das Auge die unterscheidenden Zeichen, [nämlich] unterscheidend die Menschen, die zum ›Wir‹ gehören, und [jene,] die Feinde sind. Diese Zeichen – Ornamente, Imitation, diese seltsamen seelisch erregenden geometrischen Figuren oder Tierbilder. Dann das Tier, das höhere, dem Menschen als gleichgestellt empfunden: Stier, Hengst, Löwe, Bär etc., die vernichtende Heuschrecke, die Biene, seltsame Wesen wie Schlange, Molch, Muschel. Langsam wie im Denken wird das Zeichen etwas andres: Was man auf den Leib, die Hütte, die Waffe ritzte, malte, ging in Sage über. - Man nannte sich [selbst] Wölfe, den Ahn Wolf; die Gefürchteten oder [den] verhöhnten Feind [nannte man] anders. So entstanden Totemvorstellungen, Stammsagen, Kulte. - In den späten, historisch gewordenen Totems ist der Ursprung gar nicht mehr festzustellen. Totenkopfhusaren, Wolfsbälge, Picenter.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 55Spengler).

Rasse (nach den vier Stufen geordnet):
a – Urrasse ist Naturrasse, somatisch, Urform des Typus Mensch. (Wir urteilen über die Rasse fast nur als Sehbilder.)
b – Mischungen, klimatisch-landschaftliche S[chläge] großer Gebiete. Bewegliche Rasse.
c – Landschaftsrasse, Berufsrasse: Bauern, Nomaden, Jäger, Wald, Wüste, polare und äquatoriale Spielarten. Menschenschlag.
d – Hochkulturtyp: Adel, Auslese. Geistige Rasse (Gesicht). Masse der Städte.
“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 55Spengler).

Das Sprechen beginnt mit c: Die ›Sprache‹ [ist] zunächst noch nicht da. Nur Namen und Gesten. Erst langsam, in aufsteigenden Kulturgebieten, entwickeln sich zuweilen Elemente einer Grammatik. Im 4. Jahrtausend werden sich hier und da schon gewisse Formeneinheiten ausgebildet haben. Die Systeme des Indogermanischen, Hamitischen, Semitischen etc. [bildeten sich] erst gegen Ende des 4. Jahrtausends, vielleicht später. (Nur in Ägypten, Babylon sind sie schon entwickelt.) Im 3. Jahrtausend gibt es schon Sprachfamilien.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 55-56Spengler).

„In den Stufen a-b [ist das] Geschehen ohne Bewußtsein, ohne Bild, [in den Stufen] c-d [beginnt die] Geschichte, [die] Welt als Geschichte, [das] Bild von eigenem und fremdem Leben. Das ist ›Kultur‹, die Form des seiner selbst bewußten Lebens, a-b [ist] instinktive, kulturlose Tätigkeit. Erst das Sprechen, das einen intellektuellen Abstand an die Stelle instinktiver Verbundenheit setzt, gibt das Darübernachdenken, löst also von dem sinnlich gegenwärtigen Augenblick, in dem Tiere leben, und gibt den Blick aus der Ferne über die strömende Wirklichkeit.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 56Spengler).

„Mit der Kultur legt sich ein eherner Panzer um das Leben. [Die] Sitte (seit b) [ist] von innen heraus verpflichtender Lebensstil unter dem Druck der Landschaft und ihren Bedingungen. [Die] Sitte des Blutes [ist] unbewußt, selbstverständlich. Moral (seit c, sprachlich) [ist] kein Zwang des Blutes, sondern der ›Gelehrten‹ und ihrer Autorität. Zum Teil [wirkt sie] gegen die Sitte. Zucht und Bildung (Sitte und Moral). Der Empörer sucht sich zu befreien, der Knecht haßt nur, was er als sich fremd empfindet.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 56Spengler).

„[In] a-b [ist die] Herstellung von Geräten noch halb instinktiv. Sie gehören der Gattung homo an (wie die Wabe den Bienen). Jeder [ist] für sich. [In] c-d: Jetzt [entstehen] Sonderkulturen. Reflexion. Längst beobachtet: Atlantis (Schuchhardt, Hoernes), Turan (Strzygowski, Scheltema). Aber nur in ihren materiell konservierten Resten. Ausgrabung in China, Japan, Korea, Hinterindien, Indonesien.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 56Spengler).

„[Seit] c-d [wird der Mensch] seßhaft; deshalb differenziert er sich seelisch. [Die] Macht der Landschaft bindet das Blut an sich. Ähnlich [ist es bei den] Haustieren: die Rasse [wird] durch die Lebensart verwandelt. Der c-Mensch wird [zum] Haustier. [Er ist] seelisch-leiblich verändert. Der Nomade der See und des Landes ist der Protest der menschlichen Rasse gegen die Wirkungen der technischen Kultur, des ›Geistes‹. .... Der wandernde Bauer sucht nur den Ort, wo er wieder Wurzeln schlagen kann, der Nomade flieht davor.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 57Spengler).

„Ich nenne die c-Kultur nordeurasisch. Sie ist Lebensstil, Weltanschauung, Seele. Nicht Sprache und Rasse. Hochkultur (d) kommt vom Norden her. Im Süden beginnend (Ägypten, Babylonien). Aber nie äquatorial. Die Saharakultur war gering (b mehr als c). Weder Keramik noch Sprache haben sichere Resultate, wenn man nicht (die historisch-politischen) imaginieren kann. Sich ein Bild machen. In einer Sprache Schichten unterscheiden – eine bedenkliche Vorstellung. Töpfe sind schließlich hergestellt worden. Liegen in Erdschichten. Man vergißt, daß es eigentlich keine Sprache gibt, sondern nur sprechende Menschen. Die ›Sprache‹ lebt im währenden Sprechen durch Generationen. Wir kennen davon nur das Schriftbild einiger, das die Lautgruppe nicht wiedergeben kann oder will. Auch die Buchstabenschrift ist konventionell, nicht wissenschaftlich. Man lernte lesen, d.h. bei dem Schriftbild eine gewohnte Lautgruppe denken, die sich von Generation zu Generation änderte, rassemäßig.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 57Spengler).

„Der b-Mensch haftet noch nicht am Boden, er schweift. In c [kommt] mit dem Bodenbau und der Viehhaltung die Seßhaftigkeit, damit [ist] die wechselnde Höhle ins Haus verwandelt. Die Viehnomaden sind, erst aus seßhafter Viehhaltung hervorgegangen, wieder schweifend geworden.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 57-58Spengler).

Neue Termini: Es ist falsch, seßhafte Stämme ohne weiteres [als] ›ackerbauend‹ zu bezeichnen. Psychologisch ist Hauptsache das Siedeln (Haus, Dorf) im Gegensatz zum Schweifen. Ich nenne deshalb die c-Kulturen Siedler. Sie können trotzdem Jäger, Fischer sein. Der Pflanzenbau (nicht Ackerbau) kann auch von Nomaden geübt werden. Viehhaltung, Viehzucht, Herde, Stallvieh – das sind sehr verschiedene Dinge. Siedler, Heimat, Haus gehören zusammen. Trotzdem kann der Wandertrieb sehr stark sein (Norden). Siedeln und Sprache: Organisation des Lebens. Von der Jagd zur Herde, vom Sammeln zum Pflanzen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 68Spengler).

Neue Termini: Ich möchte statt Paläolithikum, Bronzezeit etc. neue Worte bringen. Ebenso für primitiv: Unterschied, ob a-b oder heutige ›Kümmerstämme‹. Tongefäße, Schliff, Metall sind ungenaue Kennzeichen. Wortsprache ist wichtiger.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 68Spengler).

Kultur und Seßhaftigkeit: Der seßhafte Mensch (c) geht weiter zum Stadtmenschen (d). Seßhaft durch Wirtschaft: Ackerbau, Stallwirtschaft, Bergbau, Hafen, Markt. Herder 337: Der Boden gehört jetzt nicht mehr dem Menschen, sondern der Mensch dem Boden. Kultur ist Zusammendrängen der Menschen, wobei neue Seelen- und Lebensarten entstehen: Neid, Bosheit der Händler, Politiker, Käufer, Gelehrten, also der Stadtmenschen (zu Seele, Kultur etc.).- Die Bauernseele in d als Reaktion auf die Stadtseele. Mann und Weib, Vater und Sohn, Freund und Freund sind Seelenverhältnisse.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 68Spengler).

„Hier entscheidend zeigen, daß in allen Hochkulturen zwei Schichten übereinander liegen, eine bäuerlich-beduinenhafte c[-Schicht] mit Bauernweisheit, Sprichwort, Brauch, ›Aberglaube‹, primitiver Religiosität und eine d[-Schicht] mit Philosophie, Religionssystem, Schrift, Schule, Staat.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 69Spengler).

Kriege, c: Die Formen dieser Kriege sind heute noch überall da erhalten, wo sich Bauern- und Beduinentum erhalten hat: in der italienischen Vendetta, im Haberfeldtreiben, in der Dorffehde der jungen Leute, der Stammesfehde arabischer Stämme, in der Camorra.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 70Spengler).

c-Kultur: Ich will hier zum ersten Male ernst machen mit der Unterscheidung von Rasse, Sprache und Volk, die oft gefunden, aber nie – nie – praktisch durchgeführt worden ist. Ich verweise auf ›Untergang des Abendlandes‹ I (Spengler). Ein Volk nenne ich eine politische Einheit, die als solche den Gliedern zum Bewußtsein kommt. Die Ägypter sind ein ›Volk‹, seitdem sie ein Reich bilden. Vorher waren die Teile, Gaue, Stämme je ein ›Volk‹. Ein sumerisches Volk hat es nie gegeben. Es ist für das Vorhandensein eines Volkes gleichgültig, ob in ihm mehrere Sprachen geredet werden (Chatti, ›Sumir und Akkad‹), geschweige denn [mehrere] »Rassen« vertreten sind. Unter Rasse verstehe ich eine unbewußte Einheit des leiblichen Ausdrucks, der früher einmal seelischer Ausdruck war, aber in vielen Zügen fossil geworden ist und nun mendelt. Aber ›Rassen‹ um 3000 sind sehr verschwommene, gemischte, abgeschliffene Typen. Dazu kommt der Begriff Menschenschlag – das was eine einheitliche Landschaft [oder eine] Stadt an Eigenzügen hervorbringt. Endlich die Sprache, die nie als Typus, stets als Mundart bewußte Einheiten schafft: Sprachverwandtschaft (›arisch‹ und ›semitisch‹) ist eine wissenschaftliche Tatsache, keine geschichtsbewußte. Sprachen im realen Sinne sind nur solche, in denen einfache Menschen sich sofort verstehen. Alles andre sind ›barbarische‹ Sprachen für den, der sie hört, ohne Unter schied. Nicht Sprach-, sondern Sprechverwandtschaft [zählt].“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 72Spengler).

Ursymbole der Kulturstufen: Die [Ursymbole] der Hochkulturen sind aus Kreuzung – Abwehr der unteren durch die siegenden – entstanden. Siegreich war in Ägypten und Babylon das südlich Heiße, sonst das Nordische. Auch das Uramerikanische kam vom Norden (Indianer aus Europa?) und wurde vom Pazifischen überschichtet. Körper, Raum, Weg sind also Abwehr –, Triumphsymbole, deshalb so prägnant.Viel allgemeiner, gestaltloser sind die der Kulturamöben, nicht organisiert, sondern organisch, etwa ›strebend‹, ›gesättigt‹, was sich in Ornament, Bau, Grab, Aristokratie ausdrückt, in Numen, Mythus, Erotik. Die a-Kulturen sind nur Temperamente, unsymbolisch; die b-Kulturen (Schicksal) bloße Tendenzen, Nuancen des Gerichtetseins. Also auch die ›Seele‹ dieser Kulturen ist basalten, kristallisch, organisch, organisiert. Aber nur die Hochkulturen sind tragisch, Bild eines Zweikampfes, hart, gefährlich, c ist verfließend, verdrängend, verschmelzend, Seele der Dörfer und Stämme.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 75-76Spengler).

Kulturen: Wichtig, daß die Zeiten immer kürzer werden: a – 100000; b – 10000; c – 3500; d – 1000. Man darf also nicht von Zeitaltern sprechen, b-d zusammen sind kurz gegenüber a. Episch – tragisch. Langer Atem – Explosion.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 76Spengler).

Amöben und Pflanzen: Zum Charakter der Amöbe gehört, daß sie nicht als Ganzes Höhepunkte der Vitalität erreicht, sondern überall immer wieder ›Knospen‹ bildet, die formschöpferisch wirken, kurzlebig, so die atlantische in Portugal, Bretagne, Kreta, Sardinien. Die Frühamöben sind längst abgestorben, tote Reste im System lebender Sprachen und Künste hinterlassend. Vom Hamitentum kann die Ethnologie nichts Lebendiges mehr finden. Was heute vielleicht noch gerade lebt, sind die Jungamöben des 3./2. Jahrtausends: hochnordisch und südostasiatisch mit Knospen wie Peru, Japan, Haida.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 76Spengler).

Verhältnis der älteren und jüngeren c-Kulturen: Sie bilden sich amöboid immer wieder, ohne daß man genau sagen kann, ob und seit wann es sich um gesonderte Individuen statt einer Amöbe handelt. Schon im Aurignacien-Capsien, um 10000, gibt es ein nord-und südatlantisches Kristallisationszentrum, dessen genaue Lage für dieses ungewiß ist, wohl Afrika. Ebenso könnte eine c-Kultur Alpen – Schantung eine jüngere Kasch-Amöbe sein (›Japhetische Sprachen‹?).“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 76-77Spengler).

c-Kultur: Gab es hier statt Früh- und Spätzeit von Pflanzen eine taktmäßige Diastole und Systole von Amöben? Sind die großen c-Stämme periodisch?“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 77Spengler).

b-c Kulturströme (Menghin 658): Das Endcapsien durchbricht zuerst die Grenze zwischen Aurignac und Capsien südlich der Pyrenäen und dringt, sich mit dem Endmagdalénien mischend, bis nach Nordeuropa, Maglemose, vor! Damit ist die uratlantische Tendenz vorgezeichnet. Danach liegt der Capsienschwerpunkt in Mittel- und Südspanien und Nordwestafrika. Hier bildet sich der Begriff Atlantis. - Davon abgesehen gibt es ein westeuropäisches Zentrum für Aurignacien und Magdalénien und ein fernöstliches (asiatisches?) mit dem Solutréen, das sich spät und schwach zwischen Aurignac und Magdalénien östlich des Rheins für kurze Zeit eindrängt.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 77-78Spengler).

c-Kulturen: Struktur: Auch bei ihnen ist eine (langsame) Entstehung, weniger Geburt als Sprossung, zu verzeichnen, dann Reifen, Sprossen, Teilen, ungeschlechtliche Zeugung, Alter. Im Gegensatz zu dem prachtvollen Aufstieg – gleich einer Rakete – bei den Hochkulturen geht es hier langsam. Alles, was der Ethnologe an heutiger Volkskultur untersucht, ist der Rest davon, zerfallend, verschwimmend, ohne Kraft. - Am Anfang ein gewaltiger Vergleich mit botanischem Ausdruck. Die c-Kultur-Amöben (eine Sprossung ist die Glockenbecherkultur), örtliche Seitengebilde, Teilung, Kriechen. Plasma. Es liegt mindestens (genaue tempi gibt es hier nicht!) ein Jahrtausend zwischen Entstehen und Höhe der Lebenskraft. Die Höhe bei Kasch-Atlantis im 4. Jahrtausend, bei Nord und Süd im 2. [Jahrtausend]. Amöben können zusammenfließen. Sie haben keine scharfen Grenzen. - Frobenius hat entdeckt, daß heute noch die atlantische c-Kultur in Spanien, Frankreich, Britannien, Süditalien im Volkstum liegt, die altnordische Rhein und Tiber als Grenze hat. Hier wurde die faustische Spätseele gezeugt!“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 78Spengler).

c-Kulturen: Die Zahl dieser Kulturen ist klein; neben zwei mächtigen mögen einige kleinere entstanden sein, ohne Bedeutung. Jedenfalls hegt hier für alle Zeit die Entstehung von ›Orient und Okzident‹. - Die Zahl der ›ewigen‹ Ideen, welche diese c-Kulturen geschaffen haben, ist klein. Die ganze Weltgeschichte beruht auf ein paar ganz großen Konzeptionen, z.B. der kosmologischen Idee von Kasch, der genealogischen von Atlantis. In diese c-Kulturen fällt die Entstehung des Wüstengürtels: die Nachwirkung des Pluvials, die Walddecke stirbt ab.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 78-79Spengler).

„Wenn schon im Jungpaläolithikum die Rangunterschiede zwischen den Strömen des entwickelten Menschentums groß werden, bis zur völligen Unmöglichkeit des Sichverstehens, so verliert sich in den c-Kulturen die Einheit endgültig. Hier ergeben sich fließende Kulturen hoch über dem paläolithischen Rest, aber unter sich sind sie keineswegs gleich. Der Schwerpunkt liegt ohne Zweifel am Mittelmeer. Was im Ranjun-Kambodscha-Gebiet oder in Nordamerika vor sich geht, hat nicht diese Höhe. Um 3000, wo alles enger und steiler wird, hegt der Schwerpunkt an Nil und Euphrat, um 1000 in Mittelasien von Smyrna bis Schantung, um 1000 n. Chr. wieder am Euphrat, um 2000 wieder in Atlantis.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 77Spengler).

„Das Bedürfnis einer Scheidung von Zeitaltern der Vorgeschichte war immer da, aber es ist, wie alles im 19. Jahrhundert, durch materialistische Einteilung befriedigt worden: Der Übergang vom geschlagenen zum geschliffenen Stein, von der Höhle zur Hütte – also die vermeintlichen ›Errungenschaften der Menschheit‹ auf ihrem Wege vom Jäger und Fischer zu Jazz, Kino und Radio. Die wahre Epoche, um 5000, ist der Schritt vom Organischen zum Organisierten, der Emanzipation des Geistes vom Leben, das nun bewußt, vom Geiste erst ›erkannt‹, dann geregelt wird. Das Leben geht vom Natürlichen zum Künstlichen über. Der Instinkt soll – das ist und bleibt ein Ideal – dem Intellekt unterworfen werden. – Diese gewaltige Revolution vollzieht sich nur noch in einzelnen Bezirken und in diesen in einigen seelischen Arten des Menschentums. Von nun an gibt es niedere und höhere Arten der Menschheit, jene in dem – was und wie es geschieht – Stoff und Opfer, diese Geist und Herr. Es entstehen statt der Urkultur Einzelkulturen, Organismen, und die Frage erhebt sich, wie sie sich zu [81] älteren und jungen Typen verhalten (b-c-d). Innerhalb dieser c-Kultur ist und geschieht alles anders, verhängnisvoll, jäh, künstlich, stets gefährdet.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 80-81Spengler).

›Jäger‹, ›Bauern‹: Psychologisch äußerst naiv ist die Einteilung der ›Völker‹ nach zwei Wirtschaftsformen. Erstens unterscheidet die ›Wirtschaft‹ die Menschen seelisch nicht, zweitens ist Wahl der Wirtschaft Ausdruck des Charakters, drittens gibt es keine Völker, viertens gibt es viel mehr ›Wirtschaftsformen‹. - Es ist flach und materialistisch zu glauben, daß der Bauer anders war als der Jäger: Weil man anders ist, wird man Bauer. Aber in Wirklichkeit gibt es, in buntem Durcheinander, fischende, seefahrende, bergbauende, in Waldrevieren, auf Lichtungen, in Hochsteppen lebende Stämme nebeneinander, viele, deren Männer sich mit allem möglichen befassen. Es ist immer die Minderheit der Stämme, die wirtschaftlich einseitig eingestellt ist, z.B. nicht jagt, fischt, ackert.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 81Spengler).


- Menschwerdung -

„Es gibt zwei überlegene Arten der Menschen, die bloße Bindung an die Erde zu überwinden: sich von ihr befreien durch das Meer (heute den Flug) und sie beherrschen durch Beweglichkeit (Pferd, Auto). Eine neue geistige Luft weht über diesem Leben, nicht mehr die dumpfe der Sklaven der Notdurft, des Bodens.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 82Spengler).

„Mutationen sind Katastrophen, die plötzlich und geheimnisvoll eintreten. Es sind Formen der Erscheinung, die man nicht begreift. In der Menschengeschichte folgen sie sich immer schneller vom Beginn[83] der Menschwerdung bis zu den Hochkulturen. Man darf aus dem Nacheinander der Erscheinungen keine ›Ursache‹ und ›Wirkung‹ herauslesen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 82-83Spengler).


- Blick auf Hochkulturen und Zivilisation -

„Damit wächst die Gemeinheit zur Riesengröße. Tiere und Urmenschen sind nicht gemein. Es gibt keinen Pöbel. Jetzt aber, auf diesen Höhen, zerfällt die Menschheit in Helden und Pack. Die seelischen Möglichkeiten weiten sich nach oben und unten. Damit wachsen Verehrung und Verachtung, Ekel.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 486Spengler).

„Wenn schon in jeder edlen Tierrasse – nicht bei Läusen und Flöhen, aber bei Pferden, Hunden und Adlern – gut und schlecht geratene Exemplare sehr verschieden sind, so wächst das in der großen Geschichte ins Ungeheure. Große Geschichte ist die Erhebung einer immer kleineren Zahl von Menschen über einen hohen Durchschnitt, unter den die große Mehrzahl immer [mehr] herabsinkt. Es gibt auch da Läuse und Adler; tragische Kultur ist die Tatsache, daß nur die Adler sie haben und sind und daß die Läuse sie fressen.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 486Spengler).

Norden: Das neue Gefühl, das hier aufleuchtet, aus einer neuen Seele, ein neues Antlitz, ist Todesverachtung. Mehr noch: Verachtung überhaupt, Verachtung der übrigen, die am Leben hängen, für die das Leben etwas Höchstes ist, nicht das Leben als Held, als Starker, sondern das Leben überhaupt als Dauer. Wie es Achill empfindet: kurz, aber groß. In Ägypten, wo etwas von nordischem Blut noch aufleuchtet, trifft man gelegentlich eine Geringschätzung des Lebens durch einen Weisen, der es gekostet hat und es schal findet; aber diese salomonische Verachtung in den Mundwinkeln – alles ist eitel – bei einem Wen-Amon ist spät, greisenhaft. Hier aber ist es die Jugend, die verachtet, und nicht das Leben, sondern das Leben ohne heldische Größe, und nicht den Tod, sondern den Tod im Bette. Hier ist das Höchste des Menschentums erreicht, seine prachtvolle Blüte, um die es wohl wert war, Jahrtausende den Boden mit Blut zu tränken, aufzubauen, was wieder zerfiel.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 486-487Spengler).

Historie - Privatschicksal: Der bedeutende Mensch (»bedeuten« wörtlich nehmen, seine Privaterlebnisse bedeuten Zeitdscshicksale) [ist der], dessen Privatdasein das Gesamtdasein in sich aufnimmt. Der Fall Napoleon ist der stärkste, weit schwächer Cäsar.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 488Spengler).

„Vor allem aber die Fälle der großen Geistigen. Hier ist der moderne Standpunkt ganz richtig: ihre Philosophie, Kunst etc. ist Privatsache, aus Nerven, Anlagen, Rasse, Notwehr zu erklären. Wie z.B. kamen Kant und Nietzsche zu ihrer Philosophie? Ganz privatim. Man darf also auch ihre Resultate privatim ableiten (was die Psychoanalytiker tun). Aber die Größe beruht eben darin, daß das Denken der Zeit in diesen Privatereignissen aufgeht und in ihnen für die nächste Generation Form gewinnt.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 488Spengler).

„Gerade Nietzsche hat durch seine bizarre Erscheinung das Denken von 1880 in bizarrer Form für uns, die nächste Generation, überliefert. Wäre an seiner Stelle ein ruhiger Systematiker vom Typus Kants (als à la Mommsen, Helmholtz) aufgetreten, so hätten wir die Substanz der Zeit in andrer Form und statt durch unsre Journalisten, Rezensenten, Literaten wäre der Stil unserer Gelehrten am Technischen gestaltet worden. Der Kern des Denkens von Nietzsche ließe sich auch, statt von Wagner und von Dionysios aus, von der modernen Technik und Geldwirtschaft aus auffassen. Es wäre besser für uns gewesen, einen großen Nationalökonomen statt eines großen Schauspielers zu haben. Unser Schicksal war Nietzsche. Wie schade; wir hätten sonst um 1914 eine offizielle deutsche Philosophie gehabt, die jeder unserer Industriellen, Politiker, Nationalökonomen gekannt hätte und die in unsre wissenschaftliche und praktische Arbeit normierend eingreifen würde. So ist Nietzsche leider eine Angelegenheit zunächst für Literaten und Journalisten geworden.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 488-489Spengler).

Zur politischen Dynamik der faustischen Kultur: Von Kolumbus an ist ihr Schauplatz planetarisch. Das hat zu dem sehr begreiflichen Aspekt der »Weltgeschichte« geführt. Ihre »Neuzeit« ist lediglich die Spätzeit einer einzelnen Kultur, und deren Ausdehnung über die Oberfläche der Planeten ist ein Symptom faustischen Geistes und also an dessen Lebensdauer gebunden.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 489Spengler).

„Das Tragische großer Talente [liegt] »zwischen den Zeiten«. Da löst sich ein Rätsel der großen Unverstandenen. Ich denke an List, unsren größten Staatsdenker, der an G[enie] Bismarck überlegen war. Er hätte 1800 in der Vollkraft seines Schaffens stehen müssen, dann hätte er die Politik von 1815 beherrscht. Oder 1860 - dann wäre die Bismarck-Ära von seinen sehr viel großzügigeren Ideen ausgefüllt gewesen. Aber er wurde 1789 geboren und erschoß sich 1846, nachdem all seine Intentionen in dieser »Zwischenzeit« gescheitert waren.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 489Spengler).

„Die älteren Formen bestehen fort, scheinbar, bei antiquierten Völkern herrschend. Franzosen und Italiener werden nicht mehr über die politische Form eines von Jahr zu Jahr komischeren Nationalismus hinauskommen. Der Franzose und Italiener reist nicht - als Sadist -, er weiß vom andren aus Mangel an Distanz und Proportionsgefühl: das ist Chauvinismus. Das 19. Jahrhundert ist das der Nationalform der Öffentlichkeit: Parlamente, Einverleibung fremder Völker. Aber die ältere Form des dynamistischen Prinzips (Untertan, Territorien, »mein Volk«) ist für den Alltagsmenschen das einzige, was er sieht, worin er lebt und wonach er handelt. Heute fängt das Stadium der Wirtschaftskomplexe an, aber das Alltagsgefühl wird noch hundert Jahre und länger das Nationalstadium als bestehend vortäuschen, und Völkerfragmente wie Polen und Tschechen werden in den Wirtschaftskomplexen aufgehen, ohne zu bemerken, daß ihre Aktionen längst ganz unwesentlich geworden sind.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 489-490Spengler).


- Anhang -

Was ist Geschichte (gegen Natur)? Zeit-Raum. Schicksal. Kausal. Weltweben, Strom. Tatsache, einmalig. Altertum – Mittelalter – Neuzeit. Bronzezeit, Kulturkreis. Erd-, Bio-, Menschengeschichte. Horizont. Geschichtsdenken: sehen, erleben, schreiben. Epochen der Weltgeschichtsschreibung. Philosophie. Wir die Letzten. Rückblicke. Symptom.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 494Spengler).

1. Was ist der Mensch? Schweifendes Raubtier. Instinkt, Sinne. Schwarm, Horde, klein. Befreiung vom Zwang der Gattung. Hand-Werkzeug. List-Waffe. ab-cd. ›Leben‹. Pflanze, Tier. Von innen heraus. Kosmos-Mikrokosmos/Makrokosmos. Wille/Schicksal. Strom der Generationen. Zahl. Leben ist Kampf. Tat ist Kampf.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 494Spengler).

2. Wann beginnt die Weltgeschichte?  Fünftes Jahrtausend (v. Chr.). Sprechen – Denken. Idee – Ideal. ›Geist‹. Reflexion, Bewußtsein. Unternehmen, Organisieren. Bewußte Gemeinschaft organisiert, sinnvoll, zweckhaft, sprechend verbunden. Ziele. Skala zwischen Grausamkeit und Mitleid. Mitteilen statt Instinkt. Bauern: Ackerbau, Viehzucht. Werk, Tat. Krieg.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 494Spengler).

3. Was ist Weltgeschichte? Kampf, Schicksal des denkenden Menschen, tragisch, selbstvernichtend. Zweihundert Generationen. Tiefe, Sinn. Urphänomen. Weltgefühl, Metaphysik; Mächte des Denkens. Mächte als Tendenzen. Tempo, Dauer. Herrschaft gegen die Welt. Wille/Schicksal. ›Politik‹ und ›Wirtschaft‹. Tatsachen, einmalig. Epoche, Episode, Chronologie.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 494Spengler).

4. Was ist Kultur? Innere Form, Gewächs, Lebenslauf. Idee der Gestalt der Wandlung. Seßhaft, Haus, Fessel; d pflanzenhaft, c Amöbe. Früh- und Spätkulturen c-d Gruppe: Typus, Tempo, Dauer. Darüber, nicht danach. Entstehung – Verfall (Naturvölker, Zivilisation, Fellachen). Bauerntum und Gesellschaft. Dorf, Stadt. Stamm, Staat, Stand. Adel – Priester. Symbolik. Ursymbol. Ausdruck der Religion und Politik. Werke, Taten. d-Stadt, Parasit am c-Dorf.“ (Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, postum, S. 494-495Spengler).

NACH OBEN
Spengler  „REDEN UND AUFSÄTZE“  Spengler
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„Heraklit“
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„Der Sieger“
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„Gedanken zur lyrischen Dichtung“
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„Pessimismus?“
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„Frankreich und Europa“
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„Aufgaben des Adels“
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„Atlas Antiquus“
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„Altasien“
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„Nietzsche und sein Jahrhundert“
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„Zur Entwicklunsgeschichte der deutschen Presse“
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„Entwurf zu einem juristischen Preisausschreiben“
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„Vom deutschen Volkscharakter“
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„Einführung zu Richard Korherrs Dissertation: Geburtenrückgang“
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„Das Alter der amerikanischen Kulturen“
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„Der Streitwagen und seine Bedeutung für den Gang der Weltgeschichte“
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„Gedicht und Brief“
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„Zur Weltgeschichte des 2. vorchristlichen Jahrtausends“
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„Ist Weltfriede möglich?“
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Quellenverzeichnis
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„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Der Sieger“ Spengler

„Novellen-Skizze.“ (Oswald Spengler, Der Sieger, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 48-53Spengler).


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Gedanken zur lyrischen Dichtung“ Spengler

„Einführung zu Ernst Droems Gesänge (Ernst Droem = Adolf WeigelWeigel).“ (Oswald Spengler, Gedanken zur lyrischen Dichtung, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 60Spengler).


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Pessimismus?“ Spengler

„Es gibt keinen wirklich neuen Gedanken in einer so späten Zeit.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 8Spengler).

„Es gibt im ganzen 19. Jahrhundert nicht eine Frage, welche die Scholastik nicht schon als eines ihrer Probleme entdeckt, durchdacht und in eine glänzende Fassung gebracht hätte.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 8Spengler).

„Menschheit ist für mich eine zoologische Größe.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 14Spengler).

„Untergang nicht im Sinne eines Schiffsunterganges, sondern im Sinne der Vollendung. .... Aber es gibt Menschen, welche den Untergang der Antike mit dem Untergang eines Ozeandampfers verwechseln. Der Begriff einer Katastrophe ist in dem Worte nicht enthalten. Sagt man statt Untergang Vollendung, ein Ausdruck, der im Denken Goethes mit einem ganz bestimmten Sinn verbunden ist, so ist die »pessimistische« Seite einstweilen ausgeschaltet, ohne daß der eigentliche Sinn des Begriffs verändert worden wäre.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 63f.Spengler).

„Ein Weltbild, in dem man leben, und nicht ein Weltsystem, in dem man grübeln kann, war das eigentliche Ziel meiner Arbeit.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 64Spengler).

„Tatsachen sind wichtiger als Wahrheiten.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 67 und 73Spengler).

„Es geht ein mächtiger Strom deutschen Denkens von Leibniz über Goethe und Hegel der Zukunft zu. Wie alles Deutsche hatte er das Schicksal, gleichsam unterirdisch und unbeachtet durch die Jahrhunderte fließen zu müssen, während fremde Denkweisen an der Oberfläche des Denkens selbst bei diesen Männern die Herrschaft führten. .... Der gewaltige Hegel war der letzte, dessen Denken, von politischen Wirklichkeiten ausgehend, noch nicht ganz durch Abstraktionen erstickt wurde. Dann kam Nietzsche, der dem Darwinismus verfiel und trotzdem weit über das englisch-darwinistische Zeitalter hinausgreifend, uns allen den Blick verlieh, mit dem wir heute dieser lebendigen Richtung des Denkens den Sieg verschaffen können.  –  So sehe ich heute die geheimen Voraussetzungen, die meiner Denkweise unbewußt zugrunde lagen. Hier findet sich nirgends ein Gebäude von Allgemeinheiten. Das Einmalig-Wirkliche mit seiner ganzen Psychologie, das bei Kant und Schopenhauer keine Rolle spielt, beherrscht die historischen Sammlungen von Leibniz ebenso vollständig, wie die Naturbetrachtung Goethes und die Vorlesungen Hegels über Weltgeschichte. Deshalb steht hier das Tatsächliche in einem ganz anderen Verhältnis zum Gedanken, wie bei allen Systematikern. Bei diesen bildet es ein totes Material, aus dem Gesetze gezogen werden. Bei mir sind es Beispiele, die einen erlebten Gedanken beleuchten, der nur in dieser Form eigentlich mitteilbar ist.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 74Spengler).

„Es müssen immer große Allgemeinheiten sein, die aus der Ferne herüberleuchten. Das stillt die Angst derer, die für Wagnisse, Unternehmungen, für alles, was Tatkraft, Initiative, Überlegenheit fordert, verdorben sind.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 74Spengler).

„Nein, ich bin kein Pessimist. Pessimismus heißt keine Aufgaben mehr sehen. Ich sehe so viele noch ungelöst, daß ich fürchte, es wird uns an Zeit und Männern fehlen.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 75Spengler).

„Die Frage vom Werte der Wissenschaft hat Nietzsche gestellt. Es wird Zeit, auch nach dem Werte der Kunst zu fragen. Zeiten ohne echte Kunst und Philosophie können immer noch mächtige Zeiten sein; die Römer haben uns das gelehrt.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 76Spengler).

„Alles was nicht mehr lebt, wird entworfen ..., eine persönliche Kultur mit Theosophie und Meisterkult ..., eine persönliche Religion ..., ein Staat aus dem Eros ... Landwirtschaft, Handel und Industrie .... Diese Idelae soll man in Scherben schlagen: je lauter, desto besser. Härte, römische Härte ist es, was jetzt in der Welt beginnt .... Kunst ja, aber in Beton und Stahl, Dichtung ja, aber von Männern mit eisernen Nerven und unerbittlichem Tiefblick, ... Politik ja, aber von Staatsmännern und nicht von Weltverbesserern. .... Zu einem Goethe werden wir Deutschen es nicht mehr bringen, aber zu einem Cäsar.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 78-79Spengler).

„Wir glauben nicht mehr an die Macht der Vernunft über das Leben. Wir fühlen, daß das Leben die Vernunft beherrscht. Menschenkenntnis ist uns wichtiger als abstrakte und allgemeine Ideale. .... Das Leben ist das erste und das letzte, und das Leben hat kein System, kein Programm, keine Vernunft; es ist für sich selbst und durch sich selbst da, und die tiefere Ordnung, in der es sich verwirklicht, läßt sich nur schauen und fühlen - und dann vielleicht beschreiben, aber nicht nach gut und böse, richtig oder falsch, nützlich und wünschenswert zerlegen.“ (Oswald Spengler, Pessimismus?,  in: Reden und Aufsätze, postum, S. 84-86Spengler).


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Frankreich und Europa“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Aufgaben des Adels“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Atlas Antiquus“ Spengler

„Plan eines neuen Atlas Antiquus“ (Oswald Spengler, Atlas Antiquus, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 96-104Spengler). Stier


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Altasien“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Nietzsche und sein Jahrhundert (Rede, gehalten am 15. Oktober 1924, dem 80. Geburtstage Nietzsches, im Nietzsche-Archiv zu Weimar)“ Spengler

„Wer heute auf das 19. Jahrhundert zurückblickt und seine großen Menschen an sich vorüberziehen läßt, der findet in der Erscheinung Nietzsches etwas Erstaunliches, wie es seine eigne Zeit kaum hat empfinden können. Alle anderen, auch Wagner ... haben doch irgendwie die Farbe und Form dieser Jahre getragen, sind irgendwie mit dem platten Optimismus ihrer Fortschrittsphilister, ihrer Nützlichkeits- und Gesellschaftsethik, ihrem Weltbild aus Kraft und Stoff und Anpassung und Zweckmäßigkeit verhaftet gewesen und haben dem Zeitgeist Opfer über Opfer gebracht. Eine rücksichtslose Ausnahme davon macht nur einer, und wenn das Wort »unzeitgemäß«, das er selbst geprägt hat, heute noch von irgend jemand gelten darf, dann ist es Nietzsche selbst gewesen. Denn man wird in seinem ganzen Leben und der gesamten Haltung seines Denkens vergeblich nach etwas suchen, worin er einer Mode innerlich erlegen wäre.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 110Spengler).

„Er steht damit im Gegensatz und doch auch wieder in einer tiefinnerlichen Verwandtschaft zu dem zweiten Deutschen der neueren Zeit, dessen Leben ein großes Symbol gewesen ist: Goethe. Es sind die beiden einzigen Deutschen von Rang, deren Dasein außerhalb und neben ihren Werken Tiefe besitzt und, weil beide von Anfang an selbst so empfunden und sich darüber dauernd Rechenschaft abgelegt haben, zum Gemeingut ihrer Nation und zu einem wesentlichen Bestandteil von deren Geistesgeschichte geworden ist.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 110Spengler).

„Aber es war das Glück Goethes, daß er auf der Sonnenhöhe abendländischer Kultur geboren wurde, inmitten einer reifen und gesättigten Geistigkeit, die er repräsentierte, und daß er nichts brauchte als ganz der Mensch seiner Zeit zu sein, um zu jener formvollen Abgeklärtheit zu gelangen, die gemeint war, wenn man ihn später den Olympier nannte. Nietzsche hat ein Jahrhundert danach gelebt, und inzwischen war die große Wendung eingetreten, die wir erst heute begreifen. Es war sein Verhängnis, jenseits des Rokoko zu stehen, mitten in der vollkommenen Kulturlosigkeit der sechziger und siebziger Jahre. In was für Straßen und Häusern mußte er leben! Was mußte er an Manieren, Kleidung, Möbeln um sich sehen! In was für Formen bewegte sich damals der gesellschaftliche Verkehr; wie dachte, wie schrieb, wie fühlte man! Goethe lebte in einer Zeit voller Form; Nietzsche verging vor Sehnsucht nach Formen, die unwiderruflich zerbrochen und vergangen waren; und wie der eine nur zu bejahen brauchte, was er sah und miterlebte, so blieb dem andern nichts übrig als ein leidenschaftlicher Protest gegen alles Gegenwärtige, wenn er in sich retten wollte, was von seinen Vorfahren her als Kulturerbe in ihm noch wirksam war. Sie haben beide ihr Leben hindurch nach strenger innerer Form und Geformtheit getrachtet. Aber das 18. Jahrhundert war selbst in Form. Es besaß das Höchste, was Westeuropa an Gesellschaft je gekannt hat. Das 19. Jahrhundert hatte weder eine vornehme Gesellschaft noch Formen überhaupt. Von den beiläufigen Sitten einer großstädtischen Oberklasse abgesehen kannte es nur hier und da eine mühsam aufrecht erhaltene höfische oder bürgerliche Tradition. Und ebenso wie Goethe als anerkanntes Glied der Gesellschaft alle großen Fragen seiner Zeit erfassen und lösen konnte, wie es »Wilhelm Meister« und die »Wahlverwandtschaften« lehren, so konnte Nietzsche nur in völliger Abgewandtheit von ihr seine Aufgabe in sich retten. Seine schauerliche Einsamkeit steht als Sinnbild der heitren Geselligkeit Goethes gegenüber. Der eine bildet Vorhandenes durch, der andre grübelt über Nichtvorhandenem – für eine herrschende Form und gegen eine herrschende Unform,“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 111Spengler).

„Aber davon abgesehen war Form für sie etwas sehr Verschiedenes. Nietzsche ist unter den großen geistigen Deutschen der einzige geborene Musiker gewesen. Alle anderen waren entweder Bildner oder Zergliederer, mochten sie nun denken, dichten oder malen. Er lebte, fühlte, er dachte mit dem Ohr. Er hat ja seine Augen kaum gebrauchen können. Seine Prosa ist gehört, fast gesungen, nicht »geschrieben«. Die Vokale und Kadenzen sind wichtiger als die Vergleiche. Und so war das, was er in den Zeiten fühlte, ihre Melodie, ihr Takt. Er entdeckte die Tonart fremder Kulturen. Niemand hat vor ihm etwas vom Tempo der Geschichte gewußt. Eine ganze Anzahl seiner Begriffe – das Dionysische, das Pathos der Distanz, die ewige Wiederkunft – sind durchaus musikalisch zu verstehen. Er fühlte den Takt in dem, was man Adel, Sitte, Heldentum, Vornehmheit, Herrenmoral nannte. Er hat zuerst in dem Geschichtsbild, das die gelehrte Forschung damals aus Daten und Zahlen aufgebaut hatte, die rhythmische Folge der Zeitalter, der Sitten und Denkweisen, der Rassen und großen Einzelnen wie eine Symphonie erlebt.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 111-112Spengler).

„Und er selbst hatte Musik, so wie er ging, sprach, sich kleidete, andere Menschen empfand, wie er Probleme formte und Schlüsse zog. Was für Goethe Bildung war, war für ihn Takt, und zwar im weitesten Sinne, gesellschaftlicher, sittlicher, geschichtlicher, sprachlicher Takt, durch Entbehren geschärft in einer Zeit, die wenig davon besaß. Der Tasso ist aus dem Leiden geboren wie der Zarathustra, aber Tasso verging im Gefühl seiner Schwäche vor einer Gegenwart, die er liebte und hoch über sich sah. Zarathustra verachtet seine Gegenwart und flüchtet sich in Fernen der Vergangenheit oder Zukunft.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 112Spengler).

„Wir können heute den Gegensatz, der um 1800 überall in Westeuropa – auch das literarische Petersburg gehörte dazu – hervortrat, mit den Worten Klassizismus und Romantik umfassen. Goethe ist Klassizist in demselben Maße, wie Nietzsche Romantiker gewesen ist, aber damit ist nur die vorherrschende Farbe ihres Seins bezeichnet. Jeder von beiden besaß auch noch die andre Möglichkeit in sich, die sich zuweilen in den Vordergrund drängte; und so wie Goethe, dessen Faustmonologe und westöstlicher Divan Höhepunkte romantischen Weltgefühls sind, immer wieder bestrebt war, diesen Hang zum Fernen und Grenzenlosen zu meistern und einer klaren und strengen, überlieferten Form unterzuordnen, so hat Nietzsche seine anerzogene Neigung zum Klassisch-Vernünftigen, dem er als Temperament und als Philologe doppelt nahestand, wenigstens in seinen Wertungen hinter dem zurückgesetzt, was er dionysisch nannte. Sie standen beide an der Grenze. Goethe war ebenso der letzte Klassizist, wie Nietzsche neben Wagner der letzte Romantiker war. Sie haben lebend und gestaltend den Kreis dieser Möglichkeiten erschöpft. Nach ihnen war der Sinn der Zeiten so nicht mehr in Worte und Bilder zu fassen – das haben die Epigonen des klassischen Dramas und die Nachtreter Zarathustras und des Nibelungenringes bewiesen. Aber ebenso ist es unmöglich, gleich ihnen eine neue Art des Sehens und Sagens zu erschließen. Es mögen noch so starke Gestalter in Deutschland hervortreten – als Einzelne und schöne Zufälle – denn auch die große Linie der Entwicklung ist zu Ende – sie werden stets im Schatten dieser beiden stehen.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 113Spengler).

„Es gehört zum Wesen des abendländischen Klassizismus, daß er unter Beherrschung entgegengesetzter Triebe ganz am Gegenwärtigen haftet und Vergangenheit und Zukunft in diesem aufzulösen sucht. Goethes Ausspruch von der »Forderung des Tages«, seine »heitre Gegenwart« bedeuten doch, daß er jede Art von Vergangenem, seine Griechen, seine Renaissance, auch Götz und Faust und Egmont an sich zog, um sie völlig dem Geist der Nähe einzuverleiben, so daß uns bei Tasso und Iphigenie nicht einmal der Gedanke an historische Unterlagen kommt. Umgekehrt ist die Ferne die eigentliche Heimat aller Romantiker. Sie sehnen sich alle aus dem Gegenwärtigen nach dem, was weit ab und fremd ist, in die Vergangenheit und Zukunft der Geschichte; keiner hat je ein tiefes Verhältnis zu dem finden können, was ihn umgab.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 113-114Spengler).

„Den Romantiker lockt, was ihm wesensfremd, den Klassizisten, was ihm wesensgemäß ist. Edle Träumer und edle Bezwinger der Träume: so haben die einen für die Eroberer, Empörer und Verbrecher der Vergangenheit oder für Idealstaaten, Zukunftsreiche und Übermenschen geschwärmt, die anderen die Staatskunst als Praxis und Methode verstanden oder auch ausgeübt, wie Goethe und Humboldt. Das Gespräch zwischen Egmont und Oranien ist ein Meisterwerk Goethes. Er hat Napoleon geliebt, als Erscheinung, wie er sie in der Nähe wirken sah. Mit den Gewaltmenschen der Vergangenheit hat er, sobald er sie vergegenwärtigen sollte, nie etwas anzufangen gewußt: sein Cäsar blieb ungeschrieben. Aber Nietzsche liebte gerade Menschen dieses Schlages nur aus der Ferne. In der Nähe – wie Bismarck – ertrug er sie nicht. Er hätte auch Napoleon nicht ertragen. Er wäre ihm roh, leer und flach erschienen, wie die napoleonischen Naturen, die um ihn lebten, die großen Politiker Europas und die Machtmenschen der Wirtschaft, die er nicht einmal gesehen, geschweige denn verstanden hat. Er brauchte einen weiten Abstand zwischen dem Einst und Jetzt, um sich einer Wirklichkeit verwandt zu fühlen, und deshalb schuf er sich den Übermenschen und kaum weniger frei die Gestalt Cesare Borgias. Diese beiden Tendenzen durchziehen in tragischer Weise die deutsche Geschichte der jüngsten Zeit. Bismarck war ein Klassizist der Politik. Er rechnete nur mit Vorhandenem, mit Dingen, die er sah und bewegen konnte, und deshalb haben ihn die patriotischen Schwärmer weder geliebt noch begreifen können, bis sein Werk abgeschlossen dalag und er als fast mythische Gestalt romantisch verklärt werden konnte: »der Alte im Sachsenwald«. Aber Ludwig II., der an seiner Romantik zugrunde gegangen ist und niemals irgend etwas schuf oder hätte schaffen können, was Dauer versprach, fand diese Liebe, ohne sie zu achten, nicht nur im Volk, sondern unter Denkern und Künstlern, die schärfer hätten sehen können. Kleist wird unter uns bestenfalls mit einer scheuen Achtung empfunden, die einer Ablehnung gleichkommt, gerade dort, wo es ihm gelang, den Romantiker in sich zu bezwingen. Er steht den meisten innerlich unendlich fern im Gegensatz zu Nietzsche, dessen Gestalt und Schicksal dem des bayrischen Königs doch nahekommt, das selbst von denen wider Willen verehrt wird, die ihn nie gelesen haben.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 114-115Spengler).

„Aus dem Hang zur Ferne erklärt sich nun auch sein aristokratischer Geschmack, der einsam und schwärmerisch ist durch und durch. Der beginnende Klassizismus des 18. Jahrhunderts, der an der Themse entstand und von dort auf das Festland übertragen wurde, so wie die ossianische Romantik aus Schottland stammt, ist vom gleichzeitigen Rationalismus nicht zu trennen. Er gestaltet bewußt und überlegt; er ersetzt die freie Einbildungskraft durch Wissen, selbst durch Gelehrsamkeit: die verstandenen Griechen, die verstandene Renaissance, und deshalb endlich auch die verstandene tätige Mitwelt. Diese englischen Klassizisten, die sämtlich von Stand waren, haben den Liberalismus als Weltanschauung schaffen helfen, so wie ihn das 18. Jahrhundert, wie ihn Friedrich der Große verstand, das Absehen von Unterschieden, deren man sich in der Praxis ohnehin sicher fühlte, das vernünftige Eingehen auf Tatsachen der öffentlichen Meinung, die man der Gefahr entkleiden, aber weder beseitigen noch sich verschweigen konnte. Aus dem Klassizismus einer vornehmen Gesellschaft ist die englische Demokratie hervorgegangen, eine überlegene Taktik, kein doktrinäres Programm. Sie beruht auf langen und tiefen Erfahrungen einer Schicht, die es gewohnt war, mit dem Wirklichen und Möglichen zu rechnen und umzugehen, und die deshalb nie in die Gefahr kam, sich gemein zu machen statt leutselig zu sein. Goethe, der sich auch seines gesellschaftlichen Ranges bewußt war, ist niemals Aristokrat in dem leidenschaftlich theoretischen Sinne gewesen wie Nietzsche, der die Gewohnheit praktischer Erfahrungen aus der Nähe nicht besaß. Zuletzt hat er doch auch die Demokratie seiner Zeit in ihrer Macht und Ohnmacht niemals wirklich kennengelernt. Wenn er sich gegen Herdengefühle mit dem Ingrimm eines seelisch empfindlichen Menschen auflehnte, so stammte der Anlaß dazu aus irgendeiner geschichtlichen Vergangenheit. Er sah, in dieser unerbittlichen Form ohne Zweifel als erster, wie in allen großen Kulturen und Epochen der Vergangenheit die Menge nichts ist, wie sie Geschichte erleidet aber nicht macht, wie sie das beständige Opfer und Objekt des persönlichen Willens der zum Herrschen geborenen Einzelnen und Klassen ist. Gefühlt wurde das oft genug, aber bis auf ihn hat dies Gefühl nicht das überlieferte Bild der »Menschheit« zu zerstören vermocht, deren Entwicklungsgang die fortschreitende Lösung einer idealen Aufgabe und deren Führer die Vertreter dieser Aufgabe zu sein schienen. Hier liegt der unermeßliche Unterschied zwischen der Geschichtsschreibung eines Niebuhr und Ranke, die als Idee doch auch romantischen Ursprungs war, und seiner Art, Geschichte zu schauen. Sein Blick, der in die Seele der Zeiten und Völker drang, hat die bloße pragmatische Ordnung der Tatsachen überwunden.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 115-116Spengler).

„Aber dieser Blick bedurfte des Abstandes. Der englische Klassizismus, der auch in Grote den ersten modernen Geschichtsschreiber der Griechen hervorgebracht hat, einen Kaufmann und praktischen Politiker, war durchaus der einer erlesenen Gesellschaft. Man adelte diese Griechen, indem man sie wie seinesgleichen empfand, sie sich in des Wortes eigentlichster Bedeutung »vergegenwärtigte«, als gepflegte, distinguierte, geistig verfeinerte Menschen, die alles, was sie taten, mit Geschmack taten, auch Homer und Pindar, welche die englische klassische Philologie als erste Horaz und Virgil vorzog. Aus der englischen Gesellschaft drang dieser Klassizismus in das, was ihr in Deutschland allein entsprechen konnte, an die kleinen Höfe, deren Prinzenerzieher und Prediger die Vermittler waren; und der höfische Kreis von Weimar war zuletzt die Welt, innerhalb deren Goethes Leben zum Symbol einer heitren Nähe und abgerundeten Gegenwart wurde: ein geselliges Haus, das den Mittelpunkt des geistigen Deutschlands bildete, eine Erfülltheit, wie sie in keinem zweiten Lebenslauf eines deutschen Dichters zu erblicken ist, eine Harmonie des Aufsteigens, Reifens und Ausklingens, die klassisch ist in einem spezifisch deutschen Sinne.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 116-117Spengler).

„Neben dieser Laufbahn steht die andre, die ebenfalls in Weimar zu Ende kam, ausgehend von der Gebundenheit eines evangelischen Pfarrhauses, aus dem ein großer und vielleicht der größte Teil deutscher Geistigkeit stammt, bis in die sonnentrunkene Einsamkeit des Engadin. Es gibt keinen zweiten Deutschen, der so leidenschaftlich als Privatmann gelebt hat, abseits von allem was Öffentlichkeit und Gesellschaft heißt, obwohl sie alle den Hang dazu haben, auch wenn sie öffentliche Menschen sind. Seine schwärmerische Sehnsucht nach Freunden war im letzten Grunde doch nur seine Unfähigkeit, wirklich in Gesellschaft zu leben, eine geistigere Art also, einsam zu sein. An Stelle des freundlichen Goethehauses am Frauenplan das kleine freudlose Haus in Sils-Maria, die Einsamkeit der Berge, die Einsamkeit des Meeres und zuletzt das einsame Erlöschen in Turin – es ist der reinste romantische Lebenslauf, den das 19. Jahrhundert uns dargeboten hat.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 117Spengler).

„Trotzdem war sein Bedürfnis, sich mitzuteilen, stärker als er selbst glaubte, und weit stärker jedenfalls als dasjenige Goethes, der aller Umgänglichkeit zum Trotz einer der verschwiegensten Menschen gewesen ist. Seine »Wahlverwandtschaften« sind ein verschlossenes Buch, um von den Wanderjahren und dem zweiten Faust zu schweigen; seine tiefsten Gedichte sind Selbstgespräche. Die Aphorismen Nietzsches sind es niemals, auch das Nachtlied, auch die Dionysos-Dithyramben sind es nicht ganz. Ein unsichtbarer Zeuge ist immer zugegen, dessen Auge auf ihm ruht; darin ist er doch Protestant und gottgläubig geblieben. Alle diese Romantiker lebten in Zirkeln und Schulen. Etwas derart erfand er, indem er seine Freunde zu ebenbürtigen Hörern umdichtete, oder in die ferne Vergangenheit und Zukunft einen Kreis von Weggenossen schuf, um ihnen dann wieder wie Novalis und Hölderlin seine Einsamkeit zu klagen. Sein ganzes Leben ist erfüllt von Seligkeit und Qual des Entsagens, von dem Wunsch, sich hinzugeben und sich zu bezwingen, irgendwo und in irgendeiner Form sein Leben an etwas zu knüpfen, das ihm doch wieder nicht wesensgemäß war. Aber so entwickelt sich sein Blick für die Seele der Zeiten und Kulturen, die einem klassischen, seiner selbst sichern Menschen ihre Geheimnisse nicht preisgab.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 117-118Spengler).

„Aus dem organischen Pessimismus seines Daseins erklären sich nun die Werke und die Reihenfolge, in der sie hervorgetreten sind. Wir, die wir den Blütejahren des Materialismus schon fernstehen, sollten immer wieder darüber staunen, was für eine Tat es war, wenn jemand in diesem Alter und bei diesem Stande der Wissenschaft von 1870 ein Buch wie die »Geburt der Tragödie« schrieb. Die berühmte Formel von Apollo und Dionysos enthält viel mehr, als der Durchschnitt auch heute noch begreift. Nicht das war das wichtigste, daß er im »klassischen« Griechentum, das für alle andern, Bachofen und Burckhardt etwa ausgenommen, die reinste Offenbarung des allgemein Menschlichen war, einen inneren Zwiespalt entdeckte, sondern daß er die Überlegenheit des Blicks schon damals besaß, um ganzen Kulturen wie lebenden Einzelwesen ins Innere zu sehen. Man braucht im Vergleich damit nur Mommsen und Curtius zu lesen. Die andern verstanden unter Griechentum nur eine Summe von Zuständen und Ereignissen, die innerhalb einer Zeit und eines Raumes lagen. Die heutige Art, Geschichte zu sehen, verdankt der Romantik nur den Ursprung, nicht die Tiefe. Sie war damals nichts als angewandte Philologie, wenn sie sich mit Griechen und Römern, nichts als angewandte Archivforschung, wenn sie sich mit abendländischen Völkern beschäftigte. Sie hat die Ansicht entwickelt, daß Geschichte mit der schriftlichen Überlieferung beginne. Die Befreiung erfolgte aus dem Geiste der Musik. Von dem Musiker Nietzsche stammt die Kunst, sich in den Stil und Takt fremder Kulturen einzufühlen, jenseits und oft im Widerspruch zu den Quellen – aber was kommt darauf an! Mit dem Worte Dionysos hat Nietzsche entdeckt, was die Ausgrabungen dreißig Jahre später endlich auch offenbarten, die Unterwelt und Unterseele der antiken Kultur und damit das Seelenhafte selbst, das hinter der großen Geschichte steht. Aus der Geschichtsbeschreibung war Geschichtspsychologie geworden. Das 18. Jahrhundert und der Klassizismus, auch Goethe, glaubten an »die« Kultur, die eine, wahre, sittlich-geistige als Aufgabe der einen Menschheit. Nietzsche redet von Anfang an mit Selbstverständlichkeit von Kulturen wie von Schauspielen der Natur, die schlechthin irgendwann einmal begannen, ohne Aufgabe, Vernunft, Zweck und Grund, oder wie sonst die allzumenschlichen Deutungen lauten mögen. Einmal – denn daß alle diese Kulturen, Wahrheiten, Denkweisen, Künste zu einer Art und Form von Dasein gehören, das auftaucht und dann für immer wieder verschwindet, das steht mit solcher Deutlichkeit zum erstenmal in diesem Buch. Daß jede geschichtliche Tatsache Ausdruck einer Seelenregung ist, daß Kulturen, Zeitalter, Stände, Rassen eine Seele haben wie einzelne Menschen, das war ein so ungeheurer Schritt vorwärts in der historischen Vertiefung, daß es damals auch von ihm selbst in seiner Tragweite nicht übersehen wurde.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 118-119Spengler).

„Und trotzdem gehört es nun wieder einerseits zur Sehnsucht des Romantikers, seinem eigenen Wesen zu entfliehen, und andrerseits zu dem Verhängnis, in dieser Zeit geboren zu sein, daß er mit dem zweiten Buch »Menschliches, Allzumenschliches« sich zwang, dem plattesten Realismus als Herold zu dienen. Es sind die Jahre, in welchen der abendländische Rationalismus als Farce endete, nachdem er unter Rousseau, Voltaire und Lessing mit Größe begonnen hatte. Die Lehre Darwins und der Kraft- und Stoffglaube wurden die Religion der Städte; die Seele war ein chemischer Prozeß im Eiweiß, und der Zweck der Welt sammelte sich in einer Sozialethik aufgeklärter Philister. Mit keiner Faser seines Wesens stand Nietzsche diesen Dingen nahe. Seinem Ekel hatte er schon in der ersten »Unzeitgemäßen« Luft gemacht, aber der Gelehrte in ihm beneidete Chamfort und Vauvenargues und die leichte und etwas zynische Art, im Tone der großen Welt mit ernsten Dingen umzugehen; der Künstler und Enthusiast wurde verlegen vor der massiven Nüchternheit etwa eines Dühring, die er für Größe hielt, und als durch und durch priesterlicher Mensch, der er war, christlicher als seine Zeit und christlicher als jede Kirche, ging er daran, die Religion als Vorurteil zu entlarven. Jetzt war der Zweck des Lebens die Erkenntnis und das Ziel der Geschichte die Entwicklung [120] der Intelligenz. Das sagte er, weil es ihm weh tat, in einer spöttischen Form, mit welcher er seine Leidenschaft geißelte, und mit dem unerfüllbaren Verlangen, mitten aus der Zeit ein verführerisches Bild der Zukunft zu erhalten, das im Gegensatz stand zu dem, welches ihm angeboren war.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 119-120Spengler).

„Obwohl nun der Zweckmäßigkeitsrausch des Darwinismus ihm so fern als möglich lag, hat er doch aus ihm Geheimnisse geholt, von denen kein echter Darwinist etwas ahnte. In der »Morgenröte« und »Fröhlichen Wissenschaft« taucht ganz leise neben einer Art, die Dinge zu sehen, welche prosaisch, ja verächtlich sein sollte, eine andre, scheue, verehrende auf, die tiefer dringt als je die eines bloßen Realisten. Wer hat vor ihm von der Seele einer Zeit, eines Standes, eines Berufes, des Priesters, des Helden, des Mannes, des Weibes so gesprochen, wie er das tat? Wer hat die Psychologie ganzer Jahrhunderte auf eine fast metaphysische Formel gebracht? Wer hat in dieser Geschichte statt der Tatsachen oder »ewigen Wahrheiten« die Typen des heroischen, duldenden, schauenden, starken, kranken Lebens als die eigentliche Substanz des Geschehens hingestellt? Das war eine ganz neue Art von lebendigen Formen, die nur ein geborener Musiker mit seinem Gefühl für Rhythmus und Melodie finden konnte, und nun zeichnet er über die Physiognomik der geschichtlichen Zeiten hinaus, deren Schöpfer er ist und bleiben wird, an den Horizont seines Schauens noch die gewaltigen Symbole einer, seiner Zukunft, die er brauchte, um von den Schlacken der denkenden Gegenwart ganz geläutert zu sein, in einer erhabenen Stunde das Bild der ewigen Wiederkunft, wie es etwa deutsche Mystiker in gotischer Zeit geahnt haben, ein Kreisen im Unendlichen, in der Nacht unermessener Zeiten, eine Art, seine Seele ganz in die geheimnisvollen Tiefen des Alls zu verlieren, gleichviel ob diese Dinge wissenschaftlich zu rechtfertigen sind oder nicht. Und mitten in dieser Vision die des Übermenschen und seines Verkünders, Zarathustras, als der verkörperte Sinn der kurzatmigen Menschengeschichte des Erdengestirns, auf dem er selbst hauste, alle drei Gestaltungen von einer vollkommenen Ferne, die nirgends auf Gegenwärtiges bezogen werden können und die gerade deshalb jede deutsche Seele rätselhaft berühren. Denn in jeder gibt es einen Winkel, wo Völkerideale und Zukunftsträume von einer schöneren Menschheit schlafen. Goethe bedurfte dessen kaum – deshalb konnte er nicht eigentlich volkstümlich werden. Dies war es, was man an ihm vermißte, weshalb man ihn kalt und frivol nannte. Wir werden uns niemals ganz von diesem Hange befreien: er repräsentiert in uns das nicht gelebte Stück einer großen Vergangenheit.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 120-121Spengler).

„Auf dieser Höhe angelangt, stellt Nietzsche die Frage nach dem Werte der Welt, die von Kindheit an in ihm bereit lag. Damit war die Periode abendländischer Philosophie ganz abgeschlossen, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Form der Erkenntnis gestanden hatte. Auch hier gab es eine klassizistische und eine romantische oder, um es gleich mit Beziehung auf die Zeit zu sagen, eine soziale und eine aristokratische Antwort. Das Leben ist soviel wert, als es der Gesamtheit nützt – das war die Antwort der gebildeten Engländer, die in Oxford zwischen dem unterscheiden gelernt hatten, was man als ehrbare Anschauung vortrug, und dem, was man in entscheidenden Augenblicken als Politiker oder als Geschäftsmann tat. Das Leben ist um so wertvoller, je stärker seine Instinkte sind – das war die Antwort Nietzsches, dessen eigenes Leben zart und leicht verletztlich war. Immerhin, weil er diesem tätigen Leben fernstand, hat er dessen Geheimnis verstanden. Daß der Wille zur Macht stärker ist als alle Grundsätze und Lehren, daß er die Geschichte von je gemacht hat und in alle Zukunft machen wird, was man auch dagegen beweisen oder predigen möge, das ist das endgültige Begreifen der wirklichen Geschichte. Die begriffliche Zergliederung des »Willens« ist ihm gleichgültig. Das Bild des tätigen, schaffenden, vernichtenden Willens in der Geschichte ist ihm alles. Aus dem Begriff ist der Aspekt geworden. Er lehrt nicht, er stellt fest. So war es und so wird es sein. Und wenn tausendmal die theoretischen und priesterlichen Menschen anders wollen, die urwüchsigen Instinkte des Lebens werden doch die stärkeren bleiben. Welch ein Abstand zwischen Schopenhauers Weltbild und diesem! Zwischen Nietzsches Zeitgenossen mit ihren sentimentalen Weltverbesserungsplänen und dieser Feststellung einer harten Tatsache. Daß ihm das gelang, stellt diesen letzten romantischen Denker an die Spitze seines Jahrhunderts. Hier sind wir alle seine Schüler, ob wir wollen oder nicht, ob wir ihn kennen oder nicht. Dieser Blick hat unvermerkt schon heute die Welt erobert. Niemand schreibt mehr Geschichte, ohne die Dinge so zu sehen.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 121-122Spengler).

„Und da hiermit das Leben an den Tatsachen als einzigem Maßstab gewertet worden war, und die Tatsachen lehrten, daß der stärkere oder schwächere Wille, sich durchzusetzen, das Leben wertvoll oder wertlos macht, daß Güte und Erfolg sich beinahe ausschließen, so gipfelt sein Weltbild in einer großartigen Kritik der Moral, in welcher er nicht eine Moral predigt, sondern die geschichtlich aufgetretenen Moralen an ihrem Erfolge mißt, nicht an irgendeiner »wahren« Moral. Das war in der Tat Umwertung aller Werte, und wenn wir heute wissen, daß er den Gegensatz von Herren- und christlicher Moral falsch gefaßt hat, aus seinem persönlichen Leiden in den achtziger Jahren heraus, so steht hinter diesem doch der allerletzte Gegensatz im menschlichen Sein, den er ahnte und suchte und endlich in dieser Formel erfaßt zu haben glaubte. Setzen wir statt Herrenmoral die instinktive Lebenspraxis des zum Handeln entschlossenen Menschen, statt christlicher Moral die theoretische Wertung beschaulicher Naturen, so haben wir die Tragik des Menschen überhaupt vor uns, deren vorherrschende Typen sich stets mißverstehen, stets bekämpfen, stets am andern leiden werden. Tat und Gedanke, Wirklichkeit und Ideal, Erfolg und Erlösung, Stärke und Güte: das sind die Mächte, die einander nie verstehen werden. Aber in der geschichtlichen Wirklichkeit regiert nicht das Ideal, die Güte und die Moral – ihr Reich ist nicht von dieser Welt! – sondern der Entschluß, die Energie, die Geistesgegenwart, die praktische Begabung. Mit Klagen und sittlichen Gerichten schafft man die Tatsache nicht ab. So ist der Mensch, so ist das Leben, so ist die Geschichte.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 122Spengler).

„Gerade weil alles Handeln ihm so fern lag und er nur zu denken wußte, hat er die Untergründe des Handelns besser verstanden als irgendein großer Täter in der Welt. Und je mehr er verstand, desto scheuer zog er sich von der Berührung mit ihm zurück. So kam sein Romantikerschicksal zur Erfüllung. Unter der Wucht dieser letzten Einblicke formt sich der letzte Teil seines Lebenslaufes im strengsten Gegensatz zu demjenigen Goethes, der dem Handeln nicht fremd war, aber seine eigentliche Bestimmung als Dichter verstand und sich heiter beschränkte.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 122-123Spengler).

„Goethe, der Geheimrat und Minister, der gefeierte Mittelpunkt europäischer Geistigkeit, konnte doch in seinem letzten Lebensjahr, im letzten Akte seines Faust gestehen, daß er sein Leben als erfüllt betrachte. »Verweile doch, du bist so schön!«, das Wort seligster Sättigung zu dem Augenblick gesagt, wo das Werk der tätigen Nähe sich unter dem Befehle Fausts vollendet, um von nun an zu dauern – das war das große und abschließende Symbol des Klassizismus, dem dieses Leben geweiht war, und der aus der beherrschten Bildung des 18. Jahrhunderts in das beherrschte Können des 19. hinüberleitete.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 123Spengler).

„Aber die Ferne kann man nicht schaffen, nur verkünden. Und wie der Tod Fausts den klassischen Lebenslauf beschloß, so versprüht nun der Geist des einsamsten aller Wanderer mit einem endgültigen Fluch auf seine Zeit in jenen rätselhaften Tagen von Turin, als er im Bilde seiner Welt die letzten Nebel schwinden und die fernsten Gipfel sich deutlich abzeichnen sah. Eben deshalb übt das Dasein Nietzsches die stärkere Wirkung auf die Nachwelt aus. In der Erfülltheit des Goetheschen Lebens liegt auch, daß es etwas abschloß. Unzählige Deutsche werden Goethe verehren, mit ihm leben, sich an ihm aufrichten, aber er wird sie nicht verwandeln. Die Wirkung Nietzsches ist verwandelnd, weil die Melodie seines Schauens in ihm selbst nicht zu Ende kam. Romantisches Denken ist unendlich, in der Form zuweilen, im Gedanken nie abschließend. Es ergreift immer neue Gebiete, verzehrt sie oder schmilzt sie um. Seine Art zu sehen geht zu Freunden und Feinden weiter und von ihnen zu immer neuen Nachfolgern oder Gegnern, und auch wenn eines Tages niemand mehr die Werke liest, wird dieser Blick dauern und schöpferisch sein. Nietzsches Werk ist kein Stück Vergangenheit, das man genießt, sondern eine Aufgabe, die dienstbar macht. Sie hängt heute weder von seinen Schriften noch von deren Stoffen ab, und eben deshalb ist sie eine deutsche Schicksalsfrage. Wenn wir nicht handeln lernen, wie es die wirkliche Geschichte meint, mitten in einer Zeit, die weltfremde Ideale nicht duldet und an ihren Urhebern rächt, in der das harte Tun, das Nietzsche auf den Namen Cesare Borgias getauft hat, allein Geltung besitzt, in der die Moral der Ideologen und Weltverbesserer noch rücksichtsloser als sonst auf ein überflüssiges und wirkungsloses Reden und Schreiben beschränkt wird, dann werden wir als Volk aufhören zu sein. Ohne eine Lebensweisheit, die in schlimmen Lagen nicht tröstet, sondern heraushilft, können wir nicht leben, und diese Weisheit taucht in ihrer Härte innerhalb des deutschen Denkens zum ersten Male bei Nietzsche auf, mag sie noch so sehr verkleidet sein von Eindrücken und Gedanken, die ihm aus anderen Quellen kamen. Er hat dem geschichtshungrigsten Volke der Welt die Geschichte gezeigt, wie sie ist. Sein Vermächtnis ist die Aufgabe, die Geschichte so zu leben.“ (Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 123-124Spengler).


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Zur Entwicklunsgeschichte der deutschen Presse“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Entwurf zu einem juristischen Preisausschreiben“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Vom deutschen Volkscharakter“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Einführung zur Dissertation von Richard Korherr (Grundlage: Der Untergang der Abendlandes): »Problem des Geburtenrückgangs«“ (1926; 1927 veröffentlichter Titel: Geburtenrückgang KorherrKorherr)“ Spengler

„Die folgende Abhandlung mit ihren klaren, unwiderleglichen und erschütterden Feststellungen bedarf keiner Vorrede. Sie spricht für sich selbst.“ (Oswald Spengler, Geburtenrückgang. Zur Einführung, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 135Spengler).

„Das deutsche Volk ist das unverbrauchteste der weißen Rasse. Das ist die Grundtatsache, auf welcher alle politischen Lagen und Möglichkeiten der Zukunft beruhen. Es hat nicht wie Spanien, Holland und England jahrhundertelang sein bestes Blut an ein überseeischen Kolonialreich abgegeben und hat im 18. und 19. Jahrhundert nicht seine besten Familien für große Politik und in großen Revolutionen verbraucht. Das deutsche Volk war 1914 hinsichtlich seiner rassemäßigen Gesundheit den übrigen voraus. Im Weltkrieg haben alle Völker soviel von ihrem besten Blut verloren, daß der Vorsprung als solcher bestehen geblieben ist. Das weiß man in der Welt, und darauf beruht zum guten Teil der ungeminderte Haß und das Mißtrauen gegen uns. Unsere Politik hat die eine Aufgabe, den Vorsprung zu erhalten. Alle politischen zeitprobleme sind nur die Folge davon.“ (Oswald Spengler, Geburtenrückgang. Zur Einführung, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 135Spengler).

„Gesundheit eines lebenden Körpers ist Fruchtbarkeit. Fruchtbarkeit ist politische Macht. Das gilt von einem Bauerngeschlecht wie von einem großen Volk.“ (Oswald Spengler, Geburtenrückgang. Zur Einführung, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 135Spengler).


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Das Alter der amerikanischen Kulturen“ Spengler

„Das schwierigste Problem in der Erforschung der altamerikanischen Kulturen ist ihre absolute Chronologie. Ohne diese Feststellung des Ganges der Geschichte nach Tempo und Dauer, deren äußeres Zeichen nur die Jahreszahlen sind, gibt es kein wirkliches geschichtliches Wissen.“ (Oswald Spengler, Das Alter der amerikanischen Kulturen, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 138Spengler).

„Prähistorie und Archäologie sind Vor-Wissenschaften für den Geschichtsforscher, und Geschichte ist das, was sich einmal wirklich begeben hat.“ (Oswald Spengler, Das Alter der amerikanischen Kulturen, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 138Spengler).

„Es gibt keine Bronzekultur, Mutterrechtskultur oder Glockenbecherkultur; es gibt nur menschliche Kulturen, welche sich in einer stets geringen Zahl von Generationen entwickeln und vollenden und deren zufällige Reste nur die Schichten und ornamentalen Formen sind. Wir müssen uns klar darüber sein, wovon sie nicht reden. Wenn ein Prähistoriker der fernen Zukunft das 19. Jahrhundert als die Schicht der Kupferdrähte und Konservenbüchsen beschreiben wollte, würde er gerade das vergessen haben, um dessen willen auch die Vorgeschichtsforschung getrieben wird: das menschliche Geschehen selbst. Die Feststellung von Schichtfolgen ist ein Mittel, kein Ziel. Nicht Ornamente und Gefäßformen wandern, sondern Menschen leben und arbeiten in bestimmten, ihnen selbst kaum oder gar nicht bewußten Formen. Die Reste reden davon; sie haben einmal lebendige Geschichte enthalten und es ist die Frage, wieviel von deren Formensprache wir noch verstehen können. Es wird sehr wenig sein, wenn wir keine Chronologie besitzen, um sie in die Folge von Generationen einzuordnen. Ebensowenig läßt sich aus körperlichen Resten oder dem Charakter und der Verbreitung lebender Sprachen erschließen. Auch Sprachen wandern von Volk zu Volk, verbreiten sich oder sterben aus infolge geschichtlicher Ereignisse, die wir schon kennen müssen, um den späten Zustand auf einen früheren zurückzuführen. Was würde man aus der heutigen Verbreitung romanischer Sprachen in Amerika, Europa und Südostasien erschließen, wenn man nichts von der römischen Geschichte und der Heimat des Lateinischen in einem Winkel Mittelitaliens wüßte? Chronologisches Wissen bedeutet mehr als ein Schema. Jahreszahlen reden von einem Leben, das einmal wirklich war. Erst in dieser Ordnung der Funde erwacht ihr tieferer Sinn. Es war der grundlegende Mangel der Kulturkreislehre, die vor 20 Jahren die Forschung beherrscht hat, daß sie mit ihrem »jung« und »alt« keine absoluten Vorstellungen verband und ältere Schichten verglich, ohne zu fragen, ob sie gleich alt waren. Was auf den Fidschiinseln sehr alt bedeutet, ist in China sehr jung.“ (Oswald Spengler, Das Alter der amerikanischen Kulturen, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 138-139Spengler).


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Der Streitwagen und seine Bedeutung für den Gang der Weltgeschicht“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Gedicht und Brief“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Zur Weltgeschichte des 2. vorchristlichen Jahrtausends“ Spengler


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Ist Weltfriede möglich?“ Spengler

„Die Frage, ob der Weltfriede je möglich sein wird, kann nur ein Kenner der Weltgeschichte beantworten. Kenner der Weltgeschichte sein heißt aber, die Menschen kennen, wie sie waren und immer sein werden. Es ist ein gewaltiger Unterschied, den die meisten Menschen nie begreifen werden, ob man die Geschichte der Zukunft betrachtet, wie sie sein wird oder wie man sie gern haben möchte. Der Friede ist ein Wunsch, der Krieg eine Tatsache und die Menschengeschichte hat sich nie um menschliche Wünsche und Ideale gekümmert. Das Leben ist Kampf unter Pflanzen, Tieren und Menschen, ein Kampf zwischen einzelnen, Klassen der Gesellschaft, Völkern und Staaten, ob er sich nun in wirtschaftlichen, sozialen, politischen oder militärischen Formen abspielt. Es ist ein Kampf um die Macht, seinen Willen, Vorteil oder seine Meinung vom Nützlichen oder Gerechten durchzusetzen, und wenn andre Mittel versagen, wird man immer wieder zum letzten greifen, der Gewalt. Man kann den einzelnen, der Gewalt anwendet, einen Verbrecher nennen, eine Klasse revolutionär oder Landesverräter, ein Volk blutdürstig, aber das ändert nichts an der Tatsache. Der heutige Weltkommunismus bezeichnet seine Kriege als Aufstände, Kolonialreiche als Befriedung fremder Völker, und wenn die Welt ein Einheitsstaat wäre, würde man die Kriege Aufstände nennen. Das sind alles nur Unterschiede in Worten. Es ist eine gefährliche Tatsache, daß heute nur die weißen Völker vom Weltfrieden reden, nicht die viel zahlreicheren farbigen. Solange einzelne Denker und Idealisten das tun – sie haben es zu allen Zeiten getan –, ist es wirkungslos. Wenn aber ganze Völker pazifistisch werden, ist es ein Symptom von Altersschwäche. Starke und unverbrauchte Rassen sind es nicht. Es ist ein Verzicht auf die Zukunft, denn das pazifistische Ideal bedeutet einen Endzustand, welcher der Tatsache des Lebens widerspricht. So lange es menschliche Entwicklung gibt, wird es Kriege geben. Wenn aber die weißen Völker des Krieges so müde werden sollten, daß die Regierungen sie unter keinen Umständen mehr dazu bringen könnten, dann würde die Welt das Opfer der Farbigen sein, wie das römische Reich den Germanen zufiel. Pazifismus heißt, den geborenen Nichtpazifisten die Herrschaft überlassen, unter denen immer auch Weiße sein werden, Abenteurer, Eroberer, Herrenmenschen, die Zulauf finden, sobald sie Erfolg haben. Wenn heute in Asien eine große Erhebung gegen die Weißen stattfände, würden sich unzählige Weiße ihr anschließen, weil sie des friedlichen Lebens müde sind. Der Pazifismus wird ein Ideal bleiben, der Krieg eine Tatsache, und wenn die weißen Völker entschlossen sind, keinen mehr zu führen, werden die farbigen es tun und die Herrscher der Welt sein.“ (Oswald Spengler, Ist Weltfriede möglich?, in: Reden und Aufsätze, postum, S. 291-293Spengler).


„Reden und Aufsätze“ (Oswald Spengler) „Quellenverzeichnis“ Spengler


NACH OBEN „Aphorismen“

„Ich kehr mehr und mehr von Nietzsche zu Goethe zurück. Nietzsche verstand es nicht, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Auch ein Aphoristiker kann das, aber er konnte es nicht.“ (Oswald Spengler, Aphorismen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, 35, 25Spengler).

„Goethe als Denker hatte den Zug zur großen Ordnung, obwohl nicht die Energie, sie durchzuführen: er blieb aphoristisch; große Entwürfe; Faust, Ahasver, Cäsar, Meister - selten durchkomponiert. Nietzsche blieb beim Betrachten von Fall zu Fall. Sein Zarathustra beweist die Unfähigkeit einer großen Ordnung, noch mehr der hilflose Versuch, die massenhaften Aufzeichnungen zu einem Hauptwerk zu ordnen. Es entsteht kein geordnetes Bild oder Drama. Widersprüche, Geistreicheleien, um den Mangel vor sich selbst zu verdecken. Meine eigne angeborene Methode: geschichtliche Ordnung, aphoristisch, aber in logischer Folge. Bei Nietzsche ist keine Folge da.“ (Oswald Spengler, Aphorismen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, 35, 73Spengler).

 

NACH OBEN
„URFRAGEN“
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„Flamme“ (S. 1-34)
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„Erwachen - Wachsein“ (S. 35-44)
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„Ich und Welt“ (S. 44-60)
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„Wissen und Glauben“ (S. 61-78)
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„Sprechen und Denken“ (S. 79-88)
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„Bewegung und Zeitgefühl“ (S. 89-104)
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„Zeitgefühl und Zeitbewußtsein“ (S. 104-119)
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„Individuum und Generation“ (S. 120-155)
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„Seele und Leib“ (S. 156-183)
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„Instinkt, Trieb, Wille“ (S. 184-214)
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„Pflanze und Tier“ (S. 215-239)
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„Leib und Organ“ (S. 240-277)
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„Sinnenwelt“ (S. 278-304)
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„Seelenleben“ (S. 305-336)
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„Mensch und Schicksal“ (S. 337-350)
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„Anhang“ (S. 351-380)
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NACH OBEN „Urfragen“ Urfragen

„Alle meine politischen Sachen haben mir keinen Spaß gemacht. Das Philosophische, das ist mein Feld.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. XXIVSpengler).

„Urfragen“ „Flamme“ (S. 1-34):

„Das erste und ursprünglichste, das alles Fühlen in der Umwelt unterscheidet, ist Feuer und Eis. Man mag einzelnes nehmen, soviel man will, Licht und Dunkelheit, Schwere, Härte, Ferne - irgendwie wird immer jener Gegensatz berührt, ohne den sich nichts erleben läßt. Ich meine mit den beiden Worten nicht chemische Einzelheiten, sondern etwas so Ursprüngliches, daß man es fühlen muß und nicht in Begriffe kleiden kann. Ein aufsteigendes und ein absteigendes »Es« liegt zugrunde. Das Weltweben offenabart sich dem fühlenden Leben immer in dieser Gestalt. Seien es die Geheimnisse des Sterenenhimmels, seien es die der Erde - irgendwie ist das Letzte immer wieder Feuer und Eis. Im Ringen beider vollziehen sich für unser Aufmerken die Geschicke des Sternenhimmels wie die der Erde.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 3-4Spengler).

„In diesem Gegensatz (von Feuer und Eis) ruht auch das Geheimnis des Lebens. Alles Lebendige atmet. Es steht damit zur Wärme, zur Verbrennung, zum Feuer in Beziehung. Das Leben ist wie eine Flamme, die genährt wird und lodert. Ob Pflanze oder Tier: der Kreislauf warmer Säfte, besonders das Blut, ist ein Sinnbild des Feuers. In der Wärme entzündet sich der Lebenskeim - Zeugung. Männliches Entzünden und weibliches Auflodern treten an die Stelle des geschlechtslosen »Sichentzündens«. Das Greisentum, die Zivilisation ist verglimmende Asche. Liebe ist Glut, Haß ist Kälte. Sehnsucht und Angst sind Feuer und Eis. Die ganze Welt der Gefühle liegt dazwischen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 4Spengler).

„So leuchtet das Leben rings auf dem Erdball auf: »Geprägte Form, die lebend sich entwickelt«: gebundenes, formgebundenes Feuer. Das mächtige Geschlecht der Pflanzen und Tiere, die Arten, die Rassen, die Sippen, die Familien, die Einzelnen - es ist stets ein Auflodern der Flamme und ein Kampf gegen die Kälte, den Tod. Und zwar ist dieses Schicksal, das die Geologie und (die) Biologie untersucht, ein Widerschein des Kampfes im All.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 4Spengler).

„Darwins »Ursachen« sind lächerlich. Er verwechselt die Kraft mit den Hebeln der Schalttafel. Die »Ursachen« sind komisch, im All. Mutationen, neue Arten und Erdschichten entstehen, weil der Erdball im All von Schicksalen durchzittert wird, von fernen Gestirnen her. Ebenso sind die Menschenschicksale kosmisch bedingt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 4-5Spengler).

„Die tiefe Verwandtschaft zum Feuer: wie die Menschenströme dem Licht zuwandern, dem Süden zu, wie sie das Feuer »entdecken« - Prometheus -, die entscheidende Tat. Das innere Feuer macht das äußere dienstbar. Alle Religion ist Feuerkult. Alle Wissenschaft hat Feuertheorien. Alle Politik ist Glut, die in Kriegen aufflammen kann. Alle Wirtschaft dient dem Nähren des Feuers (Kost und Kleidung, Wohnen als eine zweite Kleidung n die Lebenswärme). Geschichte, so betrachtet, ist das Schicksal dieser Feuerzonen. Alles Leben ist Kampf, weil es Feuer ist. Alle Sitte, alles Recht ist Bändigung des Feuers. ... Je nachdem das Leben die Sonne als zeugend oder gebärend empfindet, ist sie Symbol von Vater und Mutter. In der primitiven Zeit vor den Hochkulturen gilt Vaterrecht, die Sonne (Sol) wird als männlich aufgefaßt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 5Spengler).

„Kristall ist die höchste Form anorganischen Wachstums, Flamme das Symbol des Organischen. Leben - Seele- Flamme: es ist eine Urmacht des Alls, die dem Körper als Wärme, dem Auge als Licht erscheint. Gemeint sind aber nicht diese Formen des Wirkens - Eindruck und Ausdruck -, sondern die Urmacht selbst, die wir metaphysisch ahnen, in der Flamme nur symbolisch meinen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 6-7Spengler).

„Leben ist eine Flamme, die Flamme ist ein Kampf. Sie muß kämpfen, um zu sein. Die Welt des Lichtes, unserer Augen (sieht) Sterne kämpfen, Meer und Land kämpfen. Jedes Samenkorn kämpft um die Stelle, wo es wurzeln kann, jedes Tier vernichtet, um zu leben. Das herrliche Schauspiel - Gottes Schöpfung - ist ewiges Vergehen und Werden als eins: nur die Lebensmacht ist ewig, das große Geheimnis, das in allem webt, was wir Welt nennen, vor dessen nie zu entschleierndem Wesen wir Ehrfurcht haben sollen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 7Spengler).

„Die Flamme ist mehr als (nur) Symbol. Klages' (kosmogonischer) Eros steckt darin, aber auch Nietzsches Wille zur Macht ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 7Spengler).

„Blut und Feuer: Für uns gilt die Sonne als Wärmespender, daneben als Lichtquelle. ... Also die Wärme aus dem Weltraum entscheidet. Für das Lebewesen »vom Himmel herab«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 8Spengler).

„Erhaltung im Kampf gegen die Allnatur: stärker sein als alles andere, überlegen. Das ist Nietzsches Weg über Darwin hinaus.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 8Spengler).

„Die Flamme ist für das menschliche Auge ein Ursymbol, ein Urphänomen. Die lebendige Flamme empfinden wir als Macht bei einem Brande, der menschliche Werke zerstört und aller Anstrengungen dagegen spottet. .... Deshalb ist unter den Visionen vom Weltuntergang das Feuer bedeutender als Wasser und Kälte: »Götterdämmerung«, Weltbrand bei Heraklit (Fr. 31, 66). Die Abendröte ist eine magische Anziehungskraft, das offene Feuer im Kamin (das Lagerfeuer, der Ofen, der Herd, ... u.s.w.) .... Mit einem Feuer fühlt der Mensch sich niemals allein. Die Flamme kann Gesellschaft leisten - darin steckt der Urzusammenhang zwischen Flamme und Seele.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 9Spengler).

„Feuer ist rätselhaft. Jedes der anderen Elemente, Erde, Wasser, Luft - fest, flüssig, gasförmig - »ist« etwas. Die Flamme aber ist nicht, sondern wird. Sie ist in der äußeren Welt das Lebenssymbol, fressend, verzehrend.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 10Spengler).

„Feuer ist auch wissenschaftlich völlig rätselhaft, denn was heißt »Oxydationsprozeß« ?  Worte, Worte! (Fest, flüssig, gasförmig - nirgends paßt die Tatsache »Feuer« hinein). Was ist eine Flamme?  Glut, Funke, Wärme, Licht?  Im Bilde der Welt etwas Geheimnisvolles; kein Element, sondern ein Phänomen, etwas irgendwie Lebendiges (in der physikalischen Theorie ein »Prozeß«). Überall im Kosmos ist Feuer: Sonne, Fixsterne, Vulkane, Erdinneres, das organische Leben ist nur ein Sonderfall. Auf der Erdrinde, die ehemals glühte, dieser Vorgang - Flamme ist Vorgang, nicht Sein - sich erhaltend: ein fortdauerndes Verzehren und Glühen. Die Flamme nährt sich, verzehrt, verdaut, läßt Reste zurück. Die Flamme ist zentrifugal, hat Tendenz nach »Oben«, von der Erde fort. Glimmend, schwelend kriecht sie, frei geworden lodert sie auf. Entgegen dem Aggregatzustand ist sie »Bewegung«. Flamme ist »Verzehren«, Erobern, Vernichten. Sie hinterläßt nur Asche.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 10Spengler).

„Das Unbegreifliche, was wir als Flamme sehen, als Wärme auf der Haut, am Leibe spüren, oder: (als) Form den Stoff wechselnd wie eine ruhige Kerzenflamme, die trotz ihrer beleibenden Gestalt ein Vorgang ist, verzehrend - dieser geheimnisvole Vorgang gleicht dem Leben, das ebenfalls Wärme, Glut ist, verzehrend sich ausbreitend (wie ein Brand); Form, die den Stoff wechselt. Irgendwie hängt die Tatsache »Leben« auf der Erde mit der Glut der Sonne zusammen, obwohl unser Nachdenken, an die kausalen Formen der modernen naturwissenschaftlichen Mythen gebunden, es nicht zerlegen kann. Die Flamme ist mehr als Symbol. Die Naturerkenntnis gelangt immer (nur) bis zu der Tatsache des Lichts (Thermodynamik und elektromagnetische Lichttheorie). Dahinter steht, ewig und nicht verkleinert, das Geheimnis. Hinter den Erlebnissen der Sonne, der Flamme, der südlichen Wärme liegt eines der ewigen Geheimnisse des Außer-uns. Wir mögen es zu erklären versuchen, indem wir ein einfaches Bild (eine Theorie) entwerfen, wie es die Naturwissenschaft tut; das Geheimnis bleibt trotzdem.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 10-11Spengler).

„Die Wissenschaft verdunkelt die Tatsache, statt sie zu erhellen. Für sie ist die Flamme CO2. Wir sagen, daß »es« Licht ist. Der Gelehrte fügt hinzu, es sei eine Form der Energie, elektromagnetisch (Elektromagnetismus). Wäre er in Indien, China oder Altgriechenland geboren, so würde er ganz andere Vorstellungen (gehabt) haben.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 11-12Spengler).

„Was ist »Wärme« überhaupt? Neben der Hautempfindung die seekische »innere« Wärme; da liegt das Geheimnis. Im Zorn und in der Freude wird man warm, in der Furcht kalt. Leben und Wärme, Tod und Erkalten gehören zusammen. Das Fühlen der Seele umschreiben wir deutend als Gefühlswärme. Heißer Zorn, heiße Liebe, Feuerseele. Das Leben so ist um so heißer, je intemsiver es ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 12Spengler).

„Was wir Genie nennen, ist ein heftiges Verbrennen. Es liegt Tragik darin: die großen Männer sind wie Meteore, die sich selbst verzehren, um die Welt zu erleuchten.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 12Spengler).

„Der Anblick elementarer Lichterscheinungen ruft eine geheimnisvolle Macht hervor (ein schweres Gewitter, die Flamme des Vesuv, das brennende Dorf, das brennende Schiff, selbst die Flamme im Kamin). .... Der höchste Sinn ist ... der Sinn der Flamme - »Licht« ... Kichtwelt. Lichtwelt und Flammenwelt (sind dasselbe). Farben sind Flammenarten.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 12-13Spengler).

„In der Physiologie erscheint das Leben als Verbrennungsprozeß, Stoffwechsel, dem Brennstoff durch Atmung und Nahrung zugeführt werden, die als Asche, »Schlacke« zurückbleiben. In den Vorstellungen der Physik ist Feuer ein Verbrennungsprozeß wie das Leben selbst. Irgendwie rührt die innere Form des Lebens auf dem Planeten von der Umwandlung solcher Prozesse her ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 13-14Spengler).

„Es ist nicht, wie die Systematiker immer stillschweigend zugrunde legen, ein »Lebendigsein«, sondern ein entstehen, Blühen, Sichvollenden, Enden. Kein Sein, sondern ein Wirken (Flamme). Aura! Wille der Lebensflamme zur Macht über die Welt. Deshalb ist Leben gleich Kampf, Wille zum Sieg (nicht Kampf ums Dasein). Die Seele drängt nach Gestaltung, d.h. Durchdringung der Welt. (Strahlend. Durchdringen ist Aura.) Gewalt einer strahlenden Seele über die matteren.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 14Spengler).

„Die gewaltigste Tatsache auf der Erde ist die Sonne, die Tag, Wärme, Licht, Wachsein, Leben bedeutet ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 16Spengler).

„Leben ist Wärme. Das Gegenteil ist Eis und Tod.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 17Spengler).

„Sonne und Leben: Das Leben ist abhängig vom Kreislauf von Tag und Nacht, mehr noch als von den Jahreszeiten.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 17Spengler).

„Drei der Elemente des Empedokles sind Aggregatzustände - (Erde, Wasser, Luft - fest, flüssig, luftförmig). Dazu tritt das »Feuer« - kein »Zustand«, sondern ein Vorgang. Das geheimnisvolle Etwas, das wir tastend als Wärme, schauend als Licht empfinden. .... Auge und Licht (Mikrokosmos und Makrokosmos) .... Unsere Welt ist Lichtwelt. Das Leben als Flamme hat (im Mikrokosmos) den verwandtesten Zug des Kosmos und den Sinn dafür entwickelt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 17Spengler).

„Leben ist bewegtes Dasein - wie die Flamme -, also »Geschichte«. Bewegung ist Geschichte: das, was geschieht. »Sein« ist Abstraktion. Flamme ist reine Bewegung. Bewegung hat Richtung, Flamme ist Richtung. Ausdehnung ist die Form des Sinnlichen, Richtung die Form ... der Seele. .... Die Flamme hat Geschichte, ist Geschichte. Damit ist der Wille zum Angriff (zur Macht) stärker als der Wille zur Verteidigung (Darwins Kampf ums Dasein). Gestalt wird nur durch Wechsel bemerkt (die Sinne reizend), also immer in Form der Wandlung. (Wandlung ist die) Welttendenz des Kosmischen. Sinnvolle Gestalt hat erst die Flamme, sie hat eigene Tendenz, die als sinnvoll durch das eigene mitschwingende Leben verstanden wird. .... Nur das Lebendige hat Sinn, (jedes Wesen seine) eigene Tendenz, seine Angriffsrichtung, soweit es Mikrokosmos im Makrokosmos ist. Die Welttendenz ist für uns sinnlos .... Der Sinn wird von uns hineingelegt (Gott) - »alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 18-19Spengler).

„In der Verwandtschaft zur Flamme liegt der Sinn alles lebens (ausgedrückt), sein Ethos, seine Aufgabe: sich zu vollenden »nach dem Gesetz, wonach du angetreten« .... Aus dem Weltwerden, dem Geschehen, wird hier in der Flamme des Lebens ein Tun. In dem Weltall geschieht etwas, das Leben tut etwas.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 19Spengler).

„Ich will (mit dem Gleichnis der Flamme) symbolisch andeuten, wie das Leben sich selbst fühlt: Atem, Wärme. Erst aus diesem Gefühl erklärt sich der Eindruck der leblosen Welt, die »anders« ist ...“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 20Spengler).

„Die Flamme hat Tendenz, hemmungslos verzehrend, was zu verzehren ist. Sonst erlischt sie. So ist das Leben, es hat Tendenz, »Wille zur Macht«. Das Sichwandeln außerhalb des Urphänomens Flamme (Leben) ist ohne Tendenz. Die Flamme will verzehren, d.h. erobern, Macht üben. Nicht »Hunger und Liebe« - Welt-Eros ist der allumfassende Trieb. Hunger ist nur ein kleiner Teil diese Urtriebes. Flamme ist Trieb (sie hat Richtung) - heißes Begehren, nie gestillt. Umarmen, erdrücken! Auch der Sexus ist ein Teil davon: das eigenen Brennen in einem fremden Körper verewigen wollen. Es gibt nur eien Trieb. Alle Sondertriebe sind Gestaltungen, Ausdruck davon. Was wir im Sinnenbild unseres bewegten Leibes, »im Raum« Ernähren nennen (ob es nun chemisch, mechanisch oder sonstwie beobachtet wird), ist in der Welt der Seele ein Stillen von Trieben, Wollust der Sättigung. Das organische Leben ist seinem Wesen nach Verbrennung. Vernichten von Fremdem (Nahrung zum Beispiel), um zu dauern. Das bloß vegetative Sein ist schon Vernichten.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 20-21Spengler).

„Die Flamme ist rein und unmittelbar das, was das Leben (in) verschleiert(er Gestalt) ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 22Spengler).

„Das Bild des Elementarorganismus ist nicht die Zelle, sondern das Protoplasmakörperchen. das ohne Membran existieren kann und Eigenbewegung besitzt. Ich behaupte, daß dieses Bild (mehr ist es nicht) das Dasein einer inneren Form berrät, so fein durchkonstruiert, daß wir nie dahinterkommen werden, daß diese Form aber »Leben« ist, also eine Formtendenz besitzt, die sich verwirklichen will, die eine Formenergie hat, Widerstandskraft gegen Formtendenzen draußen, infolgedessen eine Lebensdauer, nach welcher (d.h. nach deren Ablauf) sie unsicher, ungewiß, schwankend wird, sich in fantastische Formen auflöst oder verschwindet. Auch das Mikroskop zeigt uns nicht Wesen, sondern Bilder. Was das Bild zeigt, wenn man von der Form absieht, nenne ich Stoff. Stoff ist das Bild des Formlosen. So nenne ich das Bild der Elementarteile der Erdoberfläche, von der Form des Organischen abdehend, den Stoff des Lebens.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 22-23Spengler).„Zum Leben und zur Seele gehört das Tunwollen gegenüber dem Leidenmüssen durch stärkere Mächte. .... Tun und Leiden aller Kreatur: Je stärker das Tunwollen in einem Wesen, desto größer sein Leiden. Waches Leiden. Wissen um das Leid. Tapferkeit: »Dennoch«. Also ist der Mensch das tätigste und leidenste Geschöpf, der faustische Mensch am stärksten. Tiefe Schwermut der Gotik, Wehmut des Rokoko.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 24Spengler).

„Sichbewegen ist ein Tun, Bewegtwerden ein Leiden. Das Tun hat eigenen Stil, das Leiden fremden. Das unterscheidet jedes sich bewegende Wesen mit instiktiver Sicherheit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 24Spengler).

„Eignen heißt eigentlich herrschen (Gotisch aigan [AHD eigan, innehaben, besitzen, in alter Rechtssprache eigen = hörig, unfrei, unter kemandes Herrschaft stehend]).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 25Spengler).

„Die verzehrende Flamme ist angreifend und vernichtend, siegend. Das lebendige Dasein ist Krieg, Widerstände brechend, das Widerstehende sich aneignend. .... Verzehren z.B. der Nahrung ist: vernichten, aneignen, in sich aufnehmen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 25Spengler).

„Was wir als Wärme empfinden, als Flamme sehen, barusen hören, das verstehen wir als Leben, mystisch, nicht im Sinne des materialistischen Standpunktes, wonach Leben ein Verbrennungsprozeß ist, sonderm als Symbol: wir vesrtehen das eine so wenig wie das andere.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 25Spengler).

„Die Gestalt und Gestaltung des Lebens: es ist nicht, wie die Systematiker immer wider stillschweigend zugrunde legen, ein »Lebendigsein«, sondern ein Entstehen, Blühen, Sichvollenden, Enden; kein Sein, sondern Wirken (wie die Flamme). Das gilt vom Leben der Gattung, der Rasse, der Familie, des Stammes, des Exemplars. Das ist organisches Gestaltung-haben; das Leben entsteht, gestaltet sich, wird wieder gestaltlos. Instinkt ist der Drang nach Gestalt. Ethos ist die Vollkommene Gestalt des Wirkens, des wirkenden Leibes, des Gewirkten, auch des ruhenden Leibes, insofern er Wille und Fähigkeit zum Wirken ausdrückt. Diese Gestalt greift in die Außenwelt ein und gestaltet sie um (macht sie zur Umwelt). Das ist Kultur: Gestaltung der Welt. Die Aura, das seelische Besitzergeifen des Draußen, gestaltet die Außenwelt zur Umwelt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 26Spengler).

„Wille der Lebensflamme zur Macht über die Welt. Deshalb (durch diesen Willen) ist Leben Kampf, d.h. aber Wille zum Sieg, nicht bloßer Kampf »ums Dasein«. Die Seele drängt nach Gestaltung der Welt, auflodernd, erlöschend, weithin strahlend, wärmend oder versengend wie die Flamme. Eine strahlende Seele hat Gewalt über die anderen, matteren. Leben gleicht dem verzehrenden Drang der Flamme: Verzehren, d.h. Aneignen durch Gestaltung, Durchdringen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 26-27Spengler).

„(Ich möchte) überall statt Tendenzen oder Richtung Imperativ sagen: Imperativ der Form, des Blutes, des Lebens. Die Ursymbole der Kulturen sind räumliche Zeichen des zeithaften Imperativs (des Lebewesens Kultur).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 28Spengler).

„Seele ist kein Ding, sondern ein Vorgang. Sie hat also nicht Teile, sondern fließende Züge. Man wird besser statt von »Seele« von einem abgegrenzten (und nicht abgezogenen) »Seelenleben« sprechen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 28Spengler).

„Pflanzenseele gibt es kaum: da sind Makrokosmos und Mikrokosmos nicht ganz getrennt. Erst das Wachsein (Sinne, Nerven) macht die Seele unabhängig, Seele ist ohne Sinne nicht denkbar. Sie wird erst mit der Bewegung (Freibeweglichkeit).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 29Spengler).

„Mit der Ausbildung der Spannung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, erst mit dem Sich-bewegen, dem Willem etc. gibt es Seele. Höhere Tiere haben schon etwas von Seele, Gefühle wie Einsamkeit, Triumph, Haß, Wille. Aber erst der höhere Mensch hat eine echte Seele.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 30Spengler).

„Haß gegen sich selbst als Mikrokosmos ist mit Eitelkeit tief verwandt: Eigenliebe und Selbsthaß. Die Sehnsucht endet nur mit dem Tode, Haß und Liebe mit Zerstörung oder Vereinigung.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 30Spengler).

„Auch die Pflanzen haben und entwickeln Wärme.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 31Spengler).

„Flamme ist Licht und Wärme (zugleich). Deshalb nehme ich die Flamme zum Symbol für das Nicht-zu-Begreifende, Leben, Seele.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 31Spengler).

„Mit dem Wort Seele bezeichne ich das innere Wesen des lebendigen Seins, etwas, das dem Denken und Forschen unzugänglich bleibt, etwas ganz eigentlich Metaphysisches - Urfrage ohne Antwort.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 31Spengler).

„Pflanzen haben keine Seele, das Tier hat eine.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 31Spengler).

„Seele ist die Tatsache, daß sich das freibewegliche Tier durch ein Abgelöstsein - als Mikrokosmos im Makrokosmos - dem Kosmos entgegenstellt, (ihm) entgegen-lebt, während die Pflanze ein Element des Kosmos von innerer Einheit ist. Das Leben des Kosmos geht in und außerhalb der Pflanze vor sich, auch im vegetativen Teil der Tierheit. Das rein tierische Leben vollzieht sich gegen die Welt, Mikrokosmos gegen Makrokosmos. Die Tatsache dieses »Gegen« empfinden wir als Wachsein. Seelenleben, wie wir es zu verstehen glauben, ist waches Seelenleben. Seele ist »Mitte«. Ein Tier ... hat eine Mitte des Lebens. Die Pflanze ist nur Teil eines umfassenden Lebens - der Landschaft. Seele der Landschaft ist zugleich »Seele« der Pflanze. Das Tier hat seine eigene.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 31-32Spengler).

„Ursprünglich ist das Seelenleben ganz nach außen gewendet - von der Spanung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos bestimmt, von der Umwelt geweckt, zuerst als Weltangst und Weltsehnsucht, dann später auch als nach innen gekehrtes Seelenleben - Hoffnung, Reue, etc.. Reines Seelenleben gibt es nicht. Alles Leben ist auf die Welt, die anderen, das Fremde, die anderen Menschen bezogen. Nur in dieser Gestaltkommt »Seele« zum Bewußtsein.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 32Spengler).

„(Darf man von) Schichten der Seele (sprechen)?  Erst mit dem freilebenden Tier ist das »Wachsein« gegeben, und erst damit - einem Geheimnis, das sich nicht weiter erklären läßt - die Seele. Denn eine Seele ohne Wachsein ist irgendwie ein Widerspruch. Man redet von »unbewußten« Seelenvorgängen, tiefern Schichten der Seele etc. - aber das ist eben kein wirkliches Seelenleben. Die Pflanze ist ein chemischer Prozeß ihrer Umgebung, sie bildet Synthesen organischer Substanzen aus anorganischen. Sie ist schöpferisch, aber mechanisch schöpferisch. Das Tier verbraucht nur vorgebildete Substanzen der Pflanze, aber es steht nicht höher. Es hat Seele, weil es wach ist, weil Seele das Kosmische ist, das durch die Schale in Kern und All gesondert ist. Seele des Exemplars und Seele des Alls sind getrennt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 33Spengler).

„Angst beruht auf der Tatsache der Grenze zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Sehnsucht ist kosmisch, beruht auf der verlorenen Einheit (zwischen Kosmos und Einzelwesen). Die menschliche Seele beginnt, sobald das Fühlen über den Augenblick, die körperliche Angst und Sehnsucht hinausgeht. Die körperliche Angst und Sehnsucht: Zittern, Schreck, Gier, Wollust wird »durchgeistigt« zu Furcht, Liebe, Haß. Nach der Ansicht anderer Kulturen gibt es Körperseele und Geistseele, Hauchseele, Atemseele etc.. Wir sehen aber, daß »Seele« ein Wort für Unbegreifliches ist. Ich beschreibe nur und deute nicht. Über das mit dem Wort Seele bezeichnete Geheimnis etwas erkennen, wissen zu wollen (und zwar: was Seele ist), ist absurd. Es kennzeichnet einen Irrtum über den Begriff »Wissen«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 34Spengler).

„Urfragen“ „Erwachen - Wachsein“ (S. 35-44):

„Mit dem Erwachen zum Tage oder zum Leben in der Geburt und am Morgen entsteht »mein« Raum. Das Ich selbst - ein Lebensstrom - ist rein zeithaft. Schlaf ist raumlos. Als dritte Dimension geht mein Leben, das Leben meiner Sinne, raumbildend in die Welt über. Das Fremde ist da (der Kosmos), aber bbildhaft zum Raum gestaltet wird es erst im Wachsein. Die elementare Tatsache des Wachseins ist die Welt. Jedes Tier hat wachend eine Welt von arteigenem Charakter. Dieser Tatsache liegt der Gegensatz Ich-Welt, eigen-fremd zugrunde. Es kommt noch hinzu, daß jedes wachende Wesen mit innerer Gewißheit Tatsachen kennt, die nichts mit der Welt zu tun haben - Gefühle, Stimmungen, Angst, Schmerz, Sehnsucht, Langeweile etc.. So entwickelt sich der gewußte Gegensatz von Seele und Leib, Gefühl und Empfinden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 35Spengler).

„Urfragen“ „Ich und Welt“ (S. 44-60):

„Eine Urtatsache ist das Sum. Ich bin (oder mein Leib, meine Seele, meine Person, ich ganz allgemein im Gegensatz zu anderen). Cogito ergo sum. Das ist willkürlich: auch wenn ich nicht denke, bin ich. Das ist eine unbedingte Gewißheit, die nicht analysiert werden kann, sie ist identisch mit der anderen: die Welt ist da. Jeden Tag weiß ich mit Selbstverständlichkeit, daß Ich und Welt das gleiche sind wie gestern, mag noch so viel anders sein. Was das ist: Ich, das ergibt keine Analyse. Wirklichkeit, das heißt: Ich und die Welt, das Fremde, das Andere.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 44Spengler).

„Eine Urtatsache ist die Spannung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, der Zwiespalt zwischen beiden, das »Gegen«, die Polarität. Damit ist auch die Polarität von Sinnenwelt (Spengler) und Seelenleben (Spengler) gegeben. Aber Seele und Welt sind dennoch eine Einheit, die im Kosmos begründet liegt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 45Spengler).

„Cogito ergo sum. Nein: ich sehe die Welt, also gibt es zwei sicher verstandene Tatsachen - Ich und Welt. Das theoretische Grübeln haftet an der Art des Vorgangs. Die beiden Voraussetzungen sind einfach da. Dualistisch ist die ganze Welt und sind alle Versuche, in ihr Wesen einzudringen. Das beruht auf der Tatsache, daß das Wesen alles Freibeweglichen die Spannung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos ist, und jedes Bild der Welt existiert ja nur für ein bewegliches Wesen. Von der Grundtatsache der Polraität von Mikrokosmos und Makrokosmos, eigen und fremd, ich und Welt gehen alle Unterschiede aus .... Wir empfinden aus Gegensätzen, wir denken in Gegensätzen, alle Begriffe sind in gegensätzlichen Paaren entstanden. Es ist das Wesen des Unterscheidens, der Kritik, daß sie im Feststellen der Gegensätze besteht.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 46Spengler).

„Das 17. Jahrhundert lehrte, daß die Gegenstände unsere Erkenntnis bewirken. Kant widerlegte das un lehrte, daß die Art unserer Erkenntnis die Gegenstände bewirkt. Das ist auch widerlegt. Was bleibt nun?  Die Ahnung, die Goethes Lehre gibt, daß hier nichts bewirkt wird, weil das eine Form menschlichen Denkens ist, daß Erkennen und Gegenstände Pole sind, zu denen der Kosmos als Mikrokosmos und Makrokosmos auseinandertritt. .... Das Draußen, das Fremde, gewinnt Gestalt, indem ich es ergreife oder es mich ergreift. Es erscheint mit als »Bild der Welt«, die sein Eigentum ist. Und trotzdem - das hat Kant vergessen - ist mein Sinn, der diese Welt bildet, nur der Sklave des Draußen. Das hat Goethe gesehen. »Wär’ nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt’ es nie erblicken«. Zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos steht die Erscheinung, aus beiden gewebt, keines einzigen Besitz.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 47-48Spengler).

„»Ich und die Welt« - schon das ist nicht richtig, denn es ist nicht meine, sondern unsere Welt. Wir nehmen sie alle identisch wahr (gegen Schopenhauer). Dann aber (gegen Kant): nicht ich forme das Weltbild durch die Art meines Verstehens, sondern zugleich formt die Welt meinen Verstand nach ihrer Art. Die Einheit von menschlichem Verstehen und dem Bild der Welt läßt sich nicht zerdenken. Die Frage, wo der Schwerpunkt liegt, ist sinnlos. In dem Gegensatz von Mikrokosmos und Makrokosmos (Schale - Weltschale) bildet sich der Eindruck von zweierlei: Ich und die Welt, während in Wirklichkeit nur eins da ist. Der Raum ist nicht mein, sonder unser Raum. Die »Welt« ist der Kosmos, der sich in allen Einzelwesen als empfindendes Verstehen entwickelt. Nicht das tierische Verstehen hat eine Umwelt, sondern die Welt hat sich tierisches Verstehen geschaffen, Es fühlt sich jeder sein eigenes Gefühl, es sehen alle dasselbe. Mein Ich - unsere Welt. »Die Welt ist meine Vorstellung« (Schopenhauer) - nein, aber: das Bild der Welt ist meine Schöpfung. Ich sehe mich selbst in ihr. Sie ist eine Teil meines Wesens. Aber ich bin eine Schöpfung der Welt. Der Zusammenhang läßt sich nicht lösen. Was »hinter dem Schein« ... ist, ist eine Frage ohne Sinn, materialistisch gedacht wie Kants Ding an sich. Aber alles das, was wir »wissen«, das ganze Bild dieser Welt mit ihren Formen von Zeit und Raum, das manche Forscher für bewiesen halten, ist irgendwie unser Bild, das von Menschen höherer Kulturen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 48-49Spengler).

„Da Sehen und Beweisen auf dieselbe schöpferische Anlage des Menschen zurückgehen, so beweist das eine nichts für das andere. Das Bild, das Laotse, Plato, Goethe sich zu beweisen glaubten, war sehr verschieden. Sie beweisen sich selbst, nichts anderes. Was ist das?  Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Der geschichtliche Blick bewahrt allein vor dem Glauben an ewiges Wissen, an naturwissenschaftliche, erkenntnistheoretische »Wahrheit«, auf der geistige Existenz des Systematikers beruht. Nur wer sieht, daß diese ewigen Wahrheiten sich mit den Menschen wandeln, daß sie Ausdruck nur einer Epoche sind, einer inneren Kultur, und dann vergessen, belächelt, durch andere widerlegt werden ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 49-50Spengler).

„Was wir »wirklich«, d.h. lebendig wissen, ist die Beziehung zwischen der Schale (), die denkend zu empfinden, denkend zu sehen vermag, und dem Geheimnis, zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos also. Diese bloßen »quantitativen« Tatsachen sind der praktische Inhalt der Naturwissenschaft - also, in wortgebundenes Denken gebracht, was alle Tiere »erfahren«. Das Kaualitätsprinzip ist eine Abstraktion aus sinnlichen Tatsachen. Diese kausalen Gesetze (Systeme) liegen weder in der »Natur« noch im Geiste, wie es Materialismus und Idealismus wollen, sondern in der Einheit von beiden. Geist an sich und Natur an sich - da liegt ein Denkfehler. Die Denkmaschine, wie Kant sie zeichnet, ist nur physikalisches System, auf das Bild des »reinen Denkens« angewandt, und umgekehrt. Das physiognomische Erleben hinter dieser Decke, durch sie hindurch, sie durchdringend, beherrschend, ist dasselbe wie das Geheimnis des Draußen, der Welt. Wir kennen es nicht, wir bemerken nur seine praktische Tätigkeit, sein Wirken, seine Wirklichkeit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 50Spengler).

„Es ist ein törichter Versuch, durch Zerlegen in das Wesen der Wirklichkeit zu dringen. Die Erscheinung, aus Eigenem und Fremdem unlösbar verschmolzen, ist das einzig Wirkliche (Reale). In ihr liegt alle Bedeutung, alle Idee. Das Wirkliche ist das Geheimnis, es bedeutet nichts, sondern ist bedeutend. Erscheinung ist Wirklichkeit - eigene und fremde, miteinander verschmolzen. Es gibt kein »Dahinter« und »Ding an sich«. Wir gehören zur Wirklichkeit. »Erscheinung« ist deren Gestalt für uns, reine Gegenwart. Statt Erscheinung will ich Tatsache sagen (Goethes Phänomen). Das Geheimnis liegt in der Tatsache selbst. ().Wahrheiten sind ohne Geheimnis, weil sie Produkte des Denkens sind. Das Sinnliche wird erlebt ohne als Tatsache, erkannt in der Form der Wahrheit. In der Tatsache ist Bewegung (Werden), sie ist zeithaft.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 55-56Spengler).

„Mein Ich ist ein Element der Welt. Die Welt ist nicht meine Vorstellung (Schopenhauer), sondern Wirklichkeit, sich in meinen Sinnen spiegelnd.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 57Spengler).

„Die Welt als Vorstellung: Alles, was das Nachdenken erzeugt, ist anthropozentrisch: nicht die Welt kennen wir, sondern unser Bild der Welt. Die Sternenwelt ist ein Phantom, mathematisch, physikalisch-chemisch erklärt und in ein Ganzes von Konstruktionen einbezogen. (Jetzt geht Spengler zu weit, oder?  HB). In Wirklichkeit sehen wir nur den Sternenhimmel. Sollte nach der abendländischen Kultur noch eine andere kommen, irgendwo anders, und sollte wissenschaftlich-technisches Denken zu ihren Formen gehören, so wird sie vielleicht die kopernikanische Auffassung als kindlich beweisen (›beweisen‹ bezieht sich hier nur auf diese eventuell noch kommende Kultur, heißt hier also: nur der eigenen Kultur [dem Kulturselbst] beweisen! HB). Was begreift eine Fliege von der Architektur und Geschichte eines Schlosses, an dessen einem Fenster sie sitzt?  Gerade so viel begreifen wir von der Art der Welt. Von der menschengeschichte begreifen wir mehr, weil wir sie gemacht haben oder weil sie uns gemacht hat. Die Fliege kennt nur die Fliegenwelt mit der Weite ihrer Sinne, in der des Menschen Gebäude als Ganzes nicht vorkommt. Auch die Welt als Natur ist die Welt der Menschensinne. Sie spiegelt das Wesen des Menschen, aber die Welt selbst ist sie nicht. Das »Weltall« mit den Sternensystemen und Lichtjahren ist eine Schöpfung der wissenschaftlichen Phantasie enger Kreise des Abendlandes. Für alle Menschen bleibt allein oder daneben die Welt aus Himmel und Erde. (Man denke nur z.B. an diejenigen Menschen islamischen Glaubens, die wie wir einer Zivilisation angehören und trotzdem nicht an unser Weltall - das ›abendländische Weltall‹ - glauben [wollen]; HB). Das ist die eigentliche Menschenwelt, die erlebte, nicht konstruierte. .... Wirkliche Vorstellungen haben eine Grenze. (Und das ist ein typisch abendländisches Problem, denn: Abendländer kennen keine Grenze. ›Wir kennen keine Grenze.‹ [Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, 1919, S. 24Spengler]). ... Diese Vorstellung wandelt sich im Geiste der Menschen (und nur in diesem, seit sie sprechend denken), je nach ihrer Anlage. Es sind Mythen, Kulturschöpfungen. Tiere haben eine »Welt«, aber keine Vorstellung von ihr.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 57-58Spengler).

„Schopenhauer beginnt sein Buch mit dem Gedanken: »Die Welt ist meine Vorstellung« (Schopenhauer). Philosophen seiner Art haben immer übersehen, daß es heißen müßte: Die Welt ist meine und deine und seine Vorstellung. Wenn ich tot bin, gibt es andere, deren Vorstellung sie weiterhin ist. Sie war es, bevor ich geboren wurde. Aber damit ist der Gedanke aufgehoben. Das Bleibende ist nicht das Ich, sondern die Welt. Ich bin mit meiner Vorstellung ein Element dieser Welt. Der Schwerpunkt liegt in ihr, nicht in mir. .... Dieses Weltall, wie es gelehrter Wille zum Wissen zu einem ungeheuren Bilde schuf: das unendliche Weltall, die Sternenwelt - ... das alles ist die Welt des modernen abendländischen Menschen. Andere Arten von Welt haben die Tiere auf dieser kleinen Kugel im Weltall. Alle diese Welten sind Bilder. Aber es muß etwas da sein, das sich so doppelt spiegelt in den dürftigen Sinnen der Tiere. Eines Tages, wenn die letzten Tiere (und Menschen) tot sind, wird etwas unberührt weiter da sein. Aber etwas anderes hat aufgehört: »unsere Welt«, die ohne unsere Augen nicht da wäre.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 58-59Spengler).

„Wenn Kant fragt: »Wie ist Natur möglich?«,  meint er Wahrnehmung oder Wissenschaft?  Wenn die gesetzliche Struktur der Außenwelt Form meines Verstandes ist (Kant), warum aber ist sie dann Form alles Ichs, aller Zeiten, absolut identisch?  Oder ist sie dies nicht ganz?  In diesem Falle wäre sie doch wieder eine Form der Welt, nicht des Einzel-Ich. Die Frage ist nicht: wie erkenne ich?,  sondern: wie kommt es, daß wir alle dasselbe erkennen?“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 59-60Spengler).

„Die Welt als Tatsache wird verstehend empfunden, als Makrokosmos vom Mikrokosmos aus, schon von Tieren. Die Welt als Vorstellung wird durch Wortdenken, visuell empfindend verstanden, durchgeistigt. Diese gedachte Welt ist allerdings meine Vorstellung (SchopenhauerSchopenhauer), d.h. sie gehört zur Persönlichkeit des einzelnen Denkenden und wird von ihm durch Lehre, also Sprechen anderen nahegebracht, die sie als der ihren ähnlich annehmen. Die Welt als Tatsache ist wirklich, die Welt als Vorstellung ist wahr, vom Geist verstanden, in System und Begriff gefaßt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 60Spengler).

„Urfragen“ „Wissen und Glauben“ (S. 61-78):

„Der Rationalismus hat zwei Methoden des Denkens entwickelt, vom Denken und vom Objekt aus. Auf dem einen Weg kam er bis zu Kant -die Welt war formale Schöpfung des menschlichen Denkens. Im 19. Jahrhundert ist nichts Wesentliches mehr hinzugedacht worden, das meiste davon ist verflacht, professorenhaft übersteigert, subjektiv gefärbt. Auf dem anderen Weg kam man zum Materialismus Holbachs, Haeckels etc. (ebenso die zwei Wege in der Antike). Man muß sich heute, da der Rationalismus abschließt und die Skepsis an der Erreichbarkeit des Ziels, der Lösung der Welträtsel beginnt, klar werden, daß man keines weder als richtig noch als falsch bezeichnen kann : das Geheimnis ist unlösbar. Die beiden Bilder, die der Rationalismus schuf, sind Spiegelungen der Methode, wie überhaupt in der gesamten Wissenschaft (Philologie, Theologie etc.) das System Spiegelung der Methode ist. Das Denken kann sich nicht selbst erkennen. Die Welt kann nicht unabhängig von Denkformen bemerkt werden. Hertz hat die Lage bedacht. Sonst aber denkt die gesamte Naturwissenschaft materialistisch, ohne Kant zu kennen. Die Erkenntnistheorie war nur skeptisch gegen die Naturwissenschaft, nicht gegen sich selbst; die Naturwissenschaft verfährt umgekehrt. Geschichtliche Betrachtung ist Skepsis. Sie ist das Ende der Wissenscllaft, sofern sie auf dem Glauben an die methodische Lösung der Rätsel ruht.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 61Spengler).

„Soll man erst das »Erkennen« - durch sich selbst - zegliedern und dann das »Erkannte«, oder umgekehrt?  Beides ist unmöglich. Goethe sagt: »ich habe nie über das Denken gedacht«. Erkennen ist eine Illusion. Deshalb gehe ich vom Erleben aus; Sehen, nicht Erkennenwollen als erstes. Die Physiognomik zeigt Gestalt, nicht Gesetz. Und statt des Systems wähle ich die Geschichte des Erkennenwollens als Ausgangspunkt. Eine Geschichte der »Irrtümer« ist wertvoller als eine neue »Wahrheit«, die nur ein neuer Irrtum ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 62Spengler).

„Es gibt zwei Arten über das Erkennen nachzudenken: beide sind inuner wieder geübt worden und charakterisieren den Menschen, der sie übt. Entweder man geht von der Tatsache aus: »Ich denke« und findet zuletzt, daß die ganze Welt die Folge davon ist, oder man sieht die Welt und fragt sich, wieso gehöre ich dazu?  Das eine ist abstrakt gedacht, das andere konkret gesehen. Sie haben beide etwas Überzeugendes für die so veranlagten Menschen. Ich neige zum Sehen. Zu Goethe, nicht zu Kant.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 63Spengler).

„Wenn wir denken, so denken wir im Banne der Seele, des Blutes, oder wie man das Wesen der Einzelseele, das stets geheimnisvoll bleibt, sonst nennen will. Aber daraus folgt, daß die Farbe und Form des Denkens die einer Kultur sind. Der Inder erkennt anders als der Grieche, der Mensch primitiver Kulturen anders als der in einer Hochkultur lebende. Wenn also der faustische Mensch den Geist als »Kraft« auffaßt, so unterliegt er dem Denkzwang seiner Kultur. Was Kant Kategorien des Verstandes nannte, waren die des abendländischen Verstandes. Und so können wir alle - dies Buch so wenig als andere - aus dem faustischen Denkzwang heraustreten. Jeder Mensch hat seine eigene Philosophie, sogar in jeder Epoche seines Lebens eine andere. Die Philosophien sind so verschieden wie Gesichter und Handschriften. Daß sie bei den meisten in eine verwascheneAnschauung zusammenlaufen -wie Dutzend Gesichter -, ist klar. Denn Philosophie ist Charakter, und wie wenig Menschen haben einen?  Es gibt verwandte, typische, zeitgemäße Philosophien, Philosophien von Zeitaltern, Ständen und Kulturen. Kants Philosophie ist seine persönliche Anschauung. Alle Kantianer sind das nicht aus wissenschaftlicher Überzeugung, sondern aus geistiger Verwandtschaft.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 63-64Spengler).

„Es ist der Fehler der abstrakten Denker, ... ihre ganz persönliche Antwort ... in Systeme zu bringen. Goethe tat das nicht.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 64Spengler).

„Was Kant synthetische Urteile a priori nennt, ist wichtig: es ist der Inbegriff der »Systematik« und des verstehenden Empfindens, das Naturgesetz für alle lebenden Wesen, weil deren Sinne und ihr Verstehen mit der Spannung zwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos zusammenhängen. Statt zu sagen, der menschliche Geist schreite vom Erkannten zum Erkennen fort, ist die Tatsache die, daß er das sinnliche Element mehr und mehr ausschaltet und zuletzt nur seine eigene Form begreift. Hier berührt sich Kant mit der modernen, physikalischen Theorie. Also muß man sich »der Welt« anders zu nähern versuchen. Jene Abstraktionen schildern nur sich selbst.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 65Spengler).

„Was der Sinn des Lebens ist, erkennt man nicht: man tut ihn.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 65Spengler). SpenglerSpenglerSpenglerSpenglerSpenglerSpengler

„Metaphysik ist gegen die wissenschaftliche Methode der Philosophie gerichtet, gegen das Erkennenwollen durch Schlüsse und Begriffe. Man hat heute die Wissenschaft satt, nicht - noch nicht - als Wissenschaft zu praktischen Zwecken, aber als Weg zu Weltanschauungen. Die ancilla theologiae ist eine uneheliche Tochter der Theologie. Sie kündigte die Stellung, machte sich selbständig, wurde reif, reich und alt, aber sie hat mit Weltanschauung nichts zu tun. Das ist der Irrtum Heideggers u.a.. Metaphysik ist Schauen, Physiognomik Geschichte. Exakte Naturwissenschaft ist mechanistisch und kann nicht anders sein. Logik und Mathematik gehören dazu. Gesetze, Begriffe und Schlüsse! Es ist Technik. Skeptiker wie Hertz haben das Wesen dieser Methode verstanden. Nicht die zerfasernde Logik, die Geschichte erlöst von der Begriffs- und Gesetzeswissenschaft. Sie ist das einzige Wissen, das tiefer greift als das abstrakte Nachdenken.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 66Spengler).

„Wenn im Zusammenhang, im Denken über die Wirklichkeiten der Natur und Geschichte ein Blick auf die Art des Denkens fällt, gut! Wenn man aber glaubt, daß man vom Denken über das Denken aus die Welt verstehen werde, so ist das magisterhaft.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 66Spengler).

„Was die Naturwissenschaft unter System versteht, »die Wahrheit«, würde verlangen, daß ein und dasselbe System durch alle Zeit hindurch immer mehr vervollkommnet wird. Aber gerade das trifft nicht zu: die Systeme wechseln, werden eins durch das andere abgelöst. In jedem Lehrbuch der Physik steht am Anfang eine Geschichte der Systeme. Natürlich ist es mit den physiognomischen Bildern ebenso. Aber das fordern sie ja gerade. Deshalb ergibt sich: jede Lehre überzeugt nur ihren Urheber, weil sie der Ausdruck von dessen Persönlichkeit ist und derjenigen, die ihm innerlich verwandt sind. Es gibt nur physiognomisch Richtiges. Wer glaubt, absolut Wahrheit zu haben, der irrt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 67Spengler).

„Wir nennen Wahrheit die Schlüsse unseres Denkens - aus wissenschaftlichen »Beweisen« und religiöser Offenbarung -, die uns geistig das Gefühl der Überzeugung einflößen. Wahrheit ist eine Form des Denkens, eine Form des Schließens, und jede bis zu Ende gedachte oder experimentierte Masse von Wahrheiten endigt bei der »Form des Denkens«; sie kehrt zum Ausgangspunkt zurück.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 67Spengler).

„Was wir wissen können, ist bloß ein Wissen von Tatsachen (organische Logik) im Lauf der Welt, der Menschen- oder Sternengeschichte. Das ist nur ein Wissen von Dingen, über Sachen, aber nicht von Ursachen: so ist die Geschichte, so ist die Welt. Das ist eine Tatsache, keine Wahrheit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 67-68Spengler).

„Geschichtsschreibung ist ein Abbild in Worten von etwas, das einmal war, das man nicht selbst gesehen hat, aber mit innerem Auge schaut. Es kann nie der Wirklichkeit gleich sein, schon weil es subjektiv ist. Aber die Naturwissenschaft kann das auch nicht. Sie schaffen beide ein Bild der Welt aus Seele oder Geist, gestaltet oder gesetzlich, als Wechsel der Zeit oder Struktur des Raumes. Beides ist bezeichnend für den, der es schafft. Die Welt wird gesehen durch das Gitter geistiger Unterscheidungen oder in den Farben der eigenen Seele.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 68Spengler).

„Erkenntnis und Gestalt(ung) sind seelisches Besitzergreifen durch Sinne und Geist. »Meine« Welt, die Umwelt (Uexküll) sind das Ergebnis. Alles Erkennen ist Gestaltung. Gestaltung ist seelisches Besitzergreifen; Hunger nach Erkenntnis ist seelischer Wille zum Besitz.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 68Spengler).

„Jedes Wissen ist ein Sieg, ist Macht in einem tieferen Sinne als bei Bacon (Tantum possumus, quantum scimus). Auch der Skeptiszismu ist ein Sieg, das letzte Wissen umd das Nichtwissenkönnen. In jedem Erleben wirkt die Aura der Seele. Der Menschenkenner ergreift die fremde Seele, indem er sie begreift. Das ist Macht, Überlegenheit des Verstehenden über den Verstandenen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 68-69Spengler).

„Was heißt Wissen und Wissenschaft?  - Die Naturwissenschaft, die mathematische, technische, philosophische Systematik entstammt dem Handwerksverstand praktischer Menschen. Es ist die Summe ihrer technischen Erfahrung mit den Dingen außer den Menschen das, was sie im Gedächtnis bewahrten, nur den Gesellen überlieferten. Theoretische Physik ist Handwerkslehre. Dagegen stammt die Geschichtsschreibung vom Heldengesang, der Sage, dem, was man beim Lagerfeuer von den Ahnen sang und den Nachkommen überlieferte. Physiognomik ist Kunst der Gestaltung von Dingen, die in der Einbildung wach werden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 69Spengler).

„Naturwissenschaft ist immer objektiv, solange sie sich auf Zahlen beschränkt, weil darin die Polarität des Eigenen und Fremden in den Sinnen liegt. Geschichtschreibung ist nie objektiv, weil das eigene Blut (der Kern) das Schauen beherrscht. »Geschichtswissenschaft« ist ein fragwürdiger Begriff.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 69Spengler).

„Die Werte der Naturwissenschaft sind: richtig, zweckmäßig, praktisch, wahr. Die Werte der Geschichtsschreibung: wirklich, groß, tief.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 69Spengler).

„Menschliches Erkennenwollen hat Ziele und Mittel. Das Ziel setzt es sich in Gestalt einer Frage, und das Mittel, die Methode, ist die Antwort darauf. Das ist etwas anders als sich gemeiner Menschenverstand die Sache vorstellt: die Frage als Mittel, die Antwort als Ziel.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 69Spengler).

„Nein, letzte Fragen haben keine Antwort, sie sind die Antwort selbst. Metaphysik (SpenglerSpengler) ist das Stellen »ewiger Fragen« ohne Antwort.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 69-70Spengler).

„Was ist Fragen? Was ist Wissenwollen? Der Tätige erfährt durch Tun, der Grübelnde will alles wissen und weiß (oft) nur das Nichtwissenswerte.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 70Spengler).

„Die Urfragen sind wortlos ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 70Spengler).

„Urfragen, Fragen ohne Antort, Fragen, die ihren Wert in sich selbst haben; sie kennzeichnen den Frager, sei es ein Mensch, eine geistige Strömumg, eine Kultur.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 71Spengler).

„Physiognomische Fragen sind Fragen des Lebens; systematische sind kausal, kritisch, also falsch (gestellt).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 71Spengler).

„Physiognomisches Verstehen beruht auf Instinkt und fühlt sich sicher. Systematisches Verstehen beruht auf intellektuellem Denken, fühlt sich unsicher und bedarf des »Beweises«. Man hält den Beweis für ein Zeichen der Sicherheit. Im Gegenteil: das Bedürfnis nach Beweisen beweist Unsicherheit. Seiner selbst sicher ist der Instinkt. Er will nicht mehr als er kann. Er erkennt das Geheimnis an, ist nicht neugierig, Der Inellekt ist der Feind des Geheimnisses. Er geht ihm systematisch zu Leibe durch die List der Methode, um endlich zu sehen, daß alles, was er als »verkannt« erbeutet hat, nur seine eigene Art der Methode ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 71Spengler).

„Einst fragte man sich, optimistisch wie man war, und stritt sich um richtige und falsche Antworten. Im 19. Jahrhundert war man schon so weit, daß die Methodik des Fragens - die Problemstellung - als Problem erschien. Hute sehe ich, daß jede Frage, jede Methode des Fragens die Antwort schon einschließt, daß es also wirkliche Antworten nicht gibt und geben kann. De omnibus dubitandum !  Woran zweifelt man?  An der Antwort?  Das ist noch kein Zweifel. Man zweifetl an dem Wert der Frage, an der Möglichkeit der Antwort, am Sinn des Fragens überhaupt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 72Spengler).

„Der erste Weg ist Spekulation mit den Mitteln der Sprache: Begriffen, Schlüssen. Wer sie beherrscht, ist klug. Der zweite Weg ist das praktische Leben und seine Erfahrung. Wer sie hat, ist schlau. Der dritte Weg ist der historische Rückblick, der Erfahrung in amderem Sinne verleiht. Wer dies hat, ist weise. Der erste Weg zeigt also, »wie es sein muß«, der zweite, »wie es ist«, der dritte, »wie es war und sein wird«. Der erste macht blind und eitel, der zweite stolz, der dritte weise. Man kann das Denken einteilen in mythisches (nicht nach Klages in symbolisches) und begriffliches Denken. Sprechen ist im zweiten Fall das Denken selbst, im ersten das Mitteilen des Eindrucks.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 72-73Spengler).

„Das Geheimnis - Urphänomen - »erkennen« wollen, ist Drang nach geistigem Besitz. (Der Mensch sucht die) Illusion des Erkennens. Eigenes und Fremdes, das subjektive und objektive Element im Erkennen und Erkannten. Das Objektive bleibt Geheimnis, das Subjektive ist Methode, Form des Geistes, Wille zur Macht.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 73Spengler).

„Glaube und Wissen sind nicht streng zu trennen. Man glaubt an sein Wissen. Wissen ist sprachlich fixierter Glaube. Wichtiger ist der Instinkt, der hinter dem Nachdenken szeht, es leitet, seine Resultate im voraus bestimmt. »Reines« Wissen wäre instinktloses Wissen, blutarmes Wissen. Verstand, Geist, Vernunft etc. haben sich von der Praxis, der Technik, (also letzten Endes von) der Hand her entwickelt. Sie sind ein Werkzeug, ein MIttel zum Zweck. Wenn das Werkzeug Selbstzweck wird, entsteht Unsinn.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 74Spengler).

„Glaube ist Sicherheit ohne Beweis .... Glaube ist Instinkt. Erst rationalistisches Denken (Scholastik) unterscheidet Glauben als begründet durch Beweis, Offenbarung, Schrift, Lehre und Aberglauben. Ursprünglich ist alles »Aberglaube« (bzw. das was wir Aberglaube nennen, war ursprünglich Glaube; HB), d.h. festes Überzeugtsein, ohne logische Unterlagen, aus innerem Gefühl und Instinkt heraus. Aus diesem heute noch vorhandenen Instinkt - nur bei Intellektuellen ist er abgestorben - wird logische Begründung abgelehnt, als sinnlos, unangemesen empfunden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 74Spengler).

„Glaube - von der Richtigkeit einer Meinung überzeugt sein - das ist »begründetes Wissen«. Die profane Wissenschaft ist nur ein Zweig dieses allgemeinen Glaubens. »Ich weiß«, d.h. ich bin überzeugt, daß ich weiß. Trotzdem gehen in dem heutigen Wort »Glaube« zwei Elemente durcheinander: 1.) Schauen und Ahnen, Dichten der Umwelt, Weltanschauung, kritiklos, aus dem Blut hervorströmend. Daher kommen die volkstümlichen, widerspruchsvollen Ansichten von Gespenstern, Riesen, Dämonen, Göttern. 2.) Theorie aus Technik entwickelt, mehr Dogma, logisch begründbar, mehr Geist als Blut, mit dem ersten in ständigem Widerspruch. Wissowa kennt nur das zweite, Wilamowitz-Moellendorf nur das erste.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 74-75Spengler).

„Glaube an etwas kann Glaube an ein erkanntes, erdachtes Wissen oder an ein Erleben sein. Das eine führt zu Begriffen, das andere zu Erlebnissen; im Höchstfall das eine zu einem theologischen System, das andere zu eienr Vision, also zu Scholastik oder zu Mystik.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 75Spengler).

„Fast alle Naturforscher halten ihren Glauben für Tatsache, wie die dogmatischen Formen. Zu den reinen »Größen« Raum, Körper, Zahl, Strecke wird eine »Theorie« gebildet. Das ist Glaube an ein Wissen. Heute ist die Theoriebildung gegenüber der Skepsis eines Hertzs oder Helmholtz leichtfertig. Die »zweite Religiosität« (Spengler) macht sich hier bemerkbar: man will in der Physik nicht Zahlen, sondern mythischen Glauben - Mythus von den Atomen. In Wirklichkeit ist alles das alter ego (des Menschen): menschliche Denkform in den Dingen gespiegelt. Wir wissen nichts. Das ist in allen Kulturen der Weisheit letzter Schluß: wir können nur handeln, nicht erkennen. Ethos ist wichtiger als Theorie, das Leben ist das erste, der Geist das zweite.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 75Spengler).

„Der ursprüngliche Mensch kennt nur praktische Gewißheit - allgemein animalisch - durch allgemeinen Instinkt (der Gattung) oder durch eigene Erfahrung.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 76Spengler).

„Zum Glauben gehört der Zweifel, zum Wissen der Irrtum. Der feste Glaube, der Berge versetzt, steht gegenüber der »festen Überzeugung«, von dem jeder annimmt, sein Glaube müsse der aller sein. Das Wissen setzt Glauben an das Wissen voraus. Es entwickelt sich aus dem Glauben.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 76Spengler).

„Der Glaube fragt nicht nach System und Logik. Er ist Flucht aus der Logik, aus den Beweisen und dem Bewiesenen: credo, quia absurdum. Deshlab ist die Theologie so idiotisch, sie will das System, das dem Glauben fremd ist, wieder in die Religion durch die Hintertür hineinbringen, beweisen, daß der Glaube »richtig« ist. Gerde das will der Gläubige nicht, das Volk, die tiefe Seele. .... Glaube ist Glaube an etwas, dessen man wortlos sicher ist, das bildhaft, schicksalhaft, bedeutungsschwer ist. Glauben heißt, das Geheimnis in Gestalt lassen, nicht enträtseln wollen. Der Glaube hat Ehrfurcht, nicht Neugier. Er ist gegen Widersprüche. Glaube ist Glaube an Unsichtbares. Wissen ist Glaube an Sichtbares. Wenn irgendeine Wissenschaft einen Tatbestand so formuliert, daß jeder ihn vor sich zu sehen glaubt, glaubt jeder etwas zu wissen. Auf dieser Art zu wissen beruht heute die gesamte Naturwissenschaft ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 76-77Spengler).

„Theorie ist ein Wissen, dem ein Glaube zugrunde liegt. Ich glaube zu wissen. Die Methode enstteht aus einem Glauben.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 77Spengler).„Wissen ist kein Gegensatz zu Glauben. Es ist eine Art von Glauben. Statt »ich weiß« sollte man sagen »ich glaube zu wissen«. Die Sicherheit des Glaubens zeigt durchaus nicht, daß er gewiser ist als ein anderer. Er zeigt nur den Charakter des »Wissenden« an. Jeder Glaube hat entweder das Gefühl des Zweifels oder der Gewißheit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 77Spengler).

„Der Kulturmensch hat die Neigung, durch Theorie, Begriffe, Hypothesen »hinter« - die Raumvorstellung ist sehr bezeichnend (!!!) - die Dinge zu kommen. Er will das Geheimnis entschleiern, hinter den Spiegel sehen, der doch nur das eigene Denken wiedergibt, das alter ego.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 78Spengler).

„Das Nachdenken löst keine Rätsel, sondern bildet sie aus. Vor dem zudringlichen Auge grübelnder Menschen verhüllt sich die Natur, und je weniger Ehrfurcht im Forschen liegt, Ehrfurcht vor dem Geheimnis, desto mehr Trotz und Hohn liegt in der beforschten Welt. Und je mehr Fragen »gelöst« werden, desto mehr neue und schwere treten an ihre Stelle. Das Erkennen mehrt das Unerkannte. Der Gesichtskreis erweitert sich in Gestaltvon Finsternissen und Nebeln. und der Glaube an die Erkennbarkeit (der Geheimnisse). die Gelöstheit des Rätsels, kennzeichnet lediglich die Flachheit des Beschauers.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 78Spengler).

„Urfragen“ „Sprechen und Denken“ (S. 79-88):

„Die Sprache stammt nicht aus der Poesie. Dann müßte die Grammatik ganz anders aussehen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 79Spengler).

„Es ist falsch, bei grammatischen Fragen immer den »Aussagesatz« zugrundezulegen. Das ist in der Literatur, die darstellt, die häufigste Form, aber nicht im Leben.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 79Spengler).

„Wenn Sprechen dialogisch, nicht monologisch ist, ist der Wortschatz vom Zweck des Dialoges abhängig. Das Wort im fortlaufenden Sprechen ist immer terminus technicus deshalb, weil die Technik des Unternehmens die Sprache schafft.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 80Spengler).

„»Nach«denken, Vorstellen, einen Begriff von etwas haben, alles das ist schon Theorie, setzt eine Sprache in Worten voraus. .... Schauen und Ahnen ist noch kein Denken. Da sieht man etwas vor sich, aber hat keinen »Begriff«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 81Spengler).

„Je weiter sich das theoretisch-untätige Denken vom tätigen Lebeb entfernt, wie es in allen Spätkulturen geschieht, desto flacher wird es, weil es arm an Gestalt des Wirklichen ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 84Spengler).

„Wenn die Physik des Abendkandes Atomenergie (!!!) »herstellt«, so ist sie genau so weit wie der Germane, der in seinem Schwert eine »Macht« fühlt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 85Spengler).

„Wenn die Naturwissenschaft von der Unsicherheit geschichtlicher Dartsellungen redet, so gilt das von ihr selbst ebenso: Jede »Darstellung« eines gesehenen oder erschlossenen Sachverhaltes ist subjektiv.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 85Spengler).

„Sprache ist ein Gesetz - die Grammatik ist dessen Fassung -, und der Sprechende unterliegt diesem Gesetz, ohne es zu merken. Indem er spricht, denkt er in der grammatischen Form seiner Sprache.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 85Spengler).

„Das »Denken in Begriffen« tritt anstelle des verstehenden Empfindens (anschaulich Denken).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 86Spengler).

„Begriffe sind Worte, die als Höreinheiten sinnliche Einheiten symbolisch bezeichnen. Aber nie wird ein Wort - nicht einmal von demselben Menschen in derselben Rede - in genau der gleichen Bedeutung (und vor allem: Referenz ! HB) gebraucht.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 86Spengler).

„Die Wirklichkeit hat weder Ursachen noch Zweck, weder Wirkungen noch Mittel. Erst die freibeweglichen Lebewesen (Mikrokosmen im Makrokosmos) grenzen in dieser Form an die übrige Welt, empfindend, verstehend. Ursache und Zweck liegen den Arten des kritischen, zerlegenden, unterscheidenden Empfindens und Verstehens zugrunde: dem Wittern, Schnüffeln, Horchen, Spähen, Begreifen. Das Leben an und für sich ist frei davon - das nennen wir Instinkt. Das Wunder der »Zweckmäßigkeit« in der Natur ist das, was dem Intellekt unbegreiflich erscheint, weil wir es nicht könnten, aber der Eindruck des Wunderbaren entsteht erst durch Zerlegen in Ursache und Zweck.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 88Spengler).

„Urfragen“ „Bewegung und Zeitgefühl“ (S. 89-104):

Die Physiognomik sieht etwas heraus, fühl, erlebt es. Die Systematik sieht etwas hinein, d.h. denkt es. Aber durch Formel und Gesetz wird etwas nicht erkannt, nur beschrieben (vgl. Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, Nr. 628-630, S. 424-425). Das sind Formen des kausalen Denkens, nicht dessen, worauf es angewandt wird. Wenn man Bewegendes und Bewegtes trennt, erhält man die Form des kausalen Denkeens: Ursache - Wirkung.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 89Spengler).

„Wir unterscheiden mechanische (anorganische) und organische Bewegung: Bewegtwerden und Sichbewegen. Und zwar ist lebendige Bewegung die von Mikrokosmen, wie wir sie an uns selbst kennen und an Organismen, Tieren miterleben. Dieser Unterschied geht also nicht von der Natur aus, sondern von uns. Und »Naturgesetze«, die im Verlauf mechanischer Bewegung wirken, sind die Fassungen unseres Denkens. In jeder organischen Bewegung liegt, wie wir durch Nachdenken schließlich finden, auch etwas Mechanisches, eine Einsicht, die schließlich entschiedenes Übergewicht gewinnt. Es ist deshalb so, daß wir von organischen Bewegungen aus die fremdartigen mechanischen abscheiden - und erst die späte großstädtische Wissenschaft tut das, im Gegensatz zu den Urreligionen, mit Entschiedenheit. Es gibt Wissen durch Erleben oder durch kritisches Nachdenken: zwischen organischer (erlebter) Erfahrung und (kritischer) Feststellung liegt ein Unterscheid der Methode, nicht das Wesen des zu Erkennenden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 95-96Spengler).

„Bewegung ist nicht Ortsveränderung, sondern Tätigkeit der Bewegungsorgane auch bei ruhendem Leibe ... Ortsveränderung ist immer relativ zur Welt. .... Bewegung wird nur erlebt, erkannt wird die Ortsveränderung. Deshalb ist das Bewegungsproblem unlösbar.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 103Spengler).

„Bewegungsproblem: das ist der unmögliche Versuch des Verstehens, das Geheimnis der Zeit bewältigen, zerlegen zu wollen. Alle physikalischen Theorien haben ihre wunde Stelle - das zeigen Relativitätstheorie und Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Angriffe aufs Kausalgesetz bedeuten.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 103Spengler).

„Ruhe ist nicht bewegungsfremd, sondern nur ein Sonderfall der Bewegung.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 103Spengler).

„Der Gegensatz von Leben und Denken ist unaufhebbar. Eine Bewegung sehen, heißt mit dem lebendigen Auge eine Menge Gestalten als fließende Einheit erleben. (Nun folgen sehr gewagte Thesen; HB). Nicht im Gesehenen, sondern im Sehen liegt die Bewegung. Im Gesehenen erscheint nur die Ortsveränderung im Weltbild. Nur durch das Augenleben wird sie zum Erlebnis der Bewegung.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 103-104Spengler).

„Das kausale Erfassen (durch Sinne und Denken) - die Form des Erfassens (als kausal verursacht, als Materie) - wird in das einheitliche kosmische Bewegen hineingesehen. Darauf beruht der Konflikt zwischen theoretischer Kausalforschung und praktischer Vorbestimmtheit (Planck, Heisenberg).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 104Spengler).

„Das »Erkannte«, das wissenschaftlich Festgestellte, besitzt Kausalität als inneres Ordnungsprinzip, nur weil es nicht Wirklichkeit, sondern System, d.h. also unser Bild der Wirklichkeit ist. Die erlebte Wirklichkeit, die lehrt, wie mein Leben und der Kosmos vom selben Rhythmus durchschauert sind, hat Schicksal, nicht Kausalität.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 104Spengler).

„Urfragen“ „Zeitgefühl und Zeitbewußtsein“ (S. 104-119):

„Das Kind hat wenig Zeitgefühl, lebt fast ganz in der Gegenwart. Die Tiefe des Raumes entsteht aber erst mit dem Erfassen von Vergangenheit und Zukunft, (also der) Ferne. Streben haben schon die Kinder, das ist eine Tendenz zur Zukunft, Richtung (auf Zukünftiges). Das ist die erste »Zeit« (die erfaßt wird). Erst später tritt die Erinnerung an Vergangenes hinzu. Die Zukunft ist eher da, weil die Richtung des Lebens von der Gegenwart zur Zukunft verläuft. Wille und Ziel sind bei Tieren vorhanden, also gewissermaßen auch Zukunft.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 104Spengler).

„Das Kind lebt zuerst fast rein gegenwärtig. Dann beginnt es das Gestern und Morgen, später erst den vorigen Monat und kommenden Monat, dann das Jahr zu begreifen. (Über den Zusammenhang von Lebensdauer und Zeitgefühl siehe Baer).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 105Spengler).

„Die Pflanze ist Zeit, das Tier fühlt Zeit, der Mensch denkt sie in Vergangenheit und Zukunft. Das Tir kann sich langweilen, aber nur der Mensch denkt darüber nach.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 105Spengler).

„Das Geschehen ist nicht in der Zeit, sondern hat Zeit, ist Zeit. Daß etwas in der Zeit sei, enthält die Vorstellung, daß die Zeit ein Hohlraum sei.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 106Spengler).

Zeitgefühl ist am deutlichsten in der Langeweile, der Eile, dem Gehemmtsein, dem Wartem. Zeitdenken führt zu Reue, Hoffnung, dem Gefühl des »Zu-spät« !“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 106Spengler).

„Zwischen den Zeitgefühlen der Unerfülltheit, also Ungeduld, Langeweile und Reue, liegt das Gefühl der reinen gesättigten Gegenwart: Glück: Es sind nur Augenblicke, ein Leuchten, das Dunkelheit voraussetzt. Dauerndes Glück ist Langeweile.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 106Spengler).

„Gedächtnis und Erinnerung (des Menschen) sind in Stufe a (4 Kulturstufen) tierhaft (ich würde sagen: noch relativ tierhaft; HB), instinktiv (ich würde sagen: noch relativ instinktiv; HB) ..., in Stufe b (4 Kulturstufen) beständig, präsent ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 107Spengler).

„Zeitgefühl, das zum Instinkt gehört, haben alle Tiere; es ist kosmisch, nicht an die Spannung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos gebunden . Die geheimnisvolle Einheit aller lebendigen Wesen liegt darin. Ein Erdbeben, ein Gewitter, den trocknen Sommer vorherfühlen im Blut, in der Seele, ist durch dieses von Denken unberührte Zeitgefühlt möglich. Raumsinn gehört zum Mikrokosmos im Makrokosmos. Auch witternde und tastende Wesen haben ihn. Jede Ziege findet ihren Stall, wenn sie ihn erst kennt. In ihrer Welt ist das ein Mittelpunkt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 107Spengler).

Zeiterleben. Das Ursprüngliche ist Zeit, nämlich die Tatsache unseres eigenen Lebens und dessen um uns herum: das Entstehen und Sichvollenden, Jungsein, Altern, Wachsen, Verfallen, Dauer und Tempo, Rhythmus, Periodizität. Alles erlaubt es so. Doch wie es mit innerer Gewißheit erlebt wurde, ist genau überhaupt nicht anderen oder sich selbst denkend mitzuteilen. Nur echte, unmittelbare Kunst, d. h. nicht das Kunstwerk sondern das schöpferische Schaffen enthält für den Schaffenden (und in geringerem Grade für den wiederschaffend Genießenden) das Geheimnis der Zeit. Raum dagegen ist die Form, in welcher von den Sinnen (und vom Verstehen) das, was da ist, erfaßt wird: als Ursache, Substanz, Ausdehnung. Es gibt Tastraum, Sehraum, Denkraum, entstehend aus dem lebendigen Sehen (Tiefe) und dem Reiz (Fläche, Farbe, Helligkeit) und dem Tasten (Körper, Druck). Zeit ist nur ein Begriff. Das Erlebte, durch eigenes Leben [Erlebte], ist das geheimnisvolle Woher und Wohin. Bei Tieren ist es nicht wissend [erlebt], sondern im tätigen Instinkt. Der Mensch (vor allem der b-c-d-Stufen4 Kulturstufen) versucht ahnend, fragend, wissenwollend, zuletzt spraclilich-begrifflich, sich der Zeit zu bemächtigen. Zukunft, Tendenz, Richtung ist dasselbe - ungewiß. Vergangenheit, Erinnerung, Erfahrung ist auch dasselbe; es ist gewill, nicht umkehrbar. Das zeitlos raumhafte, sprachgebundene Denken nimmt sich selbst (das Ich) als ruhende Größe, an der die Zeit vorüberfließt. Jede Bewegung hat Richtung vom Jetzt zum Einst, auf ein Ziel, auf die Zukunft. Tempo und Dauer werden am eigenen Leben erfühlt: »schnell« und »lange« (danach bemessen). Injeder Bewegung erleben wir den Weg von der Gegenwart zur Zukunft. .... Zeit ist gefühlt, dasselbe wie Leben, Richtung, Dauer, Tempo. ... Sobald der sprechend-denkende Mensch darüber nachzudenken versucht, hat er nur die Vorstellung einer Strecke, die er zeit nennt. Zeit ist ein Geheimnis, eine Urfrage ohne Antwort.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 108-109Spengler).

„Augustin (siehe HarnackHarnack) sagt über die Zeit, bewgung u.s.w.: Wenn ich nicht nachdenke, weiß ich, was es ist. Wenn ich denkend es in Worte fassen will, weiß ich es nicht mehr; d.h. Zeit, Bewegung ist dem Verstehen und Empfinden fremd. Es gehört zur Tätigkeit des Empfindens, nicht zur Tatsache des Empfundenen. Zum Nachdenken gehört der Begriff der Zeit und das sehen der Uhr, die Vorstellung Zeit statt Zeiterleben. Vorstellen ist aber Wortdenken, kausal und dimensional. Zeit ist ein Wort, das man bildhaft erleben muß, über das man nicht abstrakt reden darf. Leben, Wille, Richtung, Zeit, Schicksal meinen dasselbe Wesenhafte der Welt in und außer uns, das sich weder begreifen noch definieren läßt. Ich meine (mit Zeit), was jedes Lebewesen in seinem Tun fühlt, erlebt, was sich in Worten dichterisch erahnen, aber nicht definieren läßt, was bei Menschen besonders deutlich ins Gefühl tritt in den Momenten der Langeweile, der Reue (des Zu-spät und des Nie-wieder), der Hast, der Erwartung, der Übereilung etc.. Was dagegen als Zeit denkend bewußt wird, ist eine Raumstrecke, ein mathematisches Surrogat, etwa das Abzählen von Ziffern auf der Uhr, von Schritten, Pulsschlägen, das Messen von Strecken, zähl- und meßbaren Empfindungen: (Zeit) also nicht gefühlt, sondern denkend empfunden. In diesem Denekn liegt die Vorstellung, die wir für »die Zeit« halten.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 109-110Spengler).

„Mit Zeit meine ich hier nicht die raumhaft mathematische Zeitstrecke der Messung, deren fiktiven Charakter die Relativitätstheorie (und schon früher Karl Ernst von Baer) erkannt hat. Zeit ist Fühlen, Lebensgefühl, das man durch abstraktes Denken begrifflich zu fixieren versucht (was unmöglich ist). Zeit und Lebensdauer hängen zusammen. Für das Infusor gelten andere Einheiten als für länger lebende Wesen. .... Langeweile dehnt die Zeit. Sie ist länger, meine Zeit nämlich, während sie für die Eiligen daneben flieht. Die Uhr zeigt dieselbe Strecke, ein Beweis, daß sie nicht die wirkliche Zeit angibt. Denn jeder hat seine eigene Zeit, weil er sein eigenes Leben hat. ...Das Denken ist zeitfremd. Gedachte Zeit kann von Zukunft zur Vergangenheit gerechnet werden. »Eins, zwei, drei, im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit« (Wilhelm Busch Wilhelm Busch). Der Raum (die Welt) ist allen gemeinsam - es ist nicht meine, sondern unsere Welt. Aber jeder hat seine Zeit. Es ist die Gewohnheit der Systematik, Zeit und Raum gleichartig zu behandeln. Die Zeit ist keine Wahrnehmung, sondern ein aus dem Leben, dem Rhythmus abstrahierter Begriff. Die Zeit wird als Tempo und Dauer des eigenen Lebens erfühlt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 113-114Spengler).

„Alles Verstehen hat das Wesen der Ausdehnung, hat also »mathematische« Form. Alle Denkversuche, das Undenkbare zu »erklären«, d.h. denkbar zu machen, sind mathematischer Natur. Wenn man Objekt und Subjekt, Ursache und Wirkung, »Zeit« als nacheinander und Raum als Nebeneinander unterscheidet, so ist das schon eine geometrische Vorstellung.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 114Spengler).

„Gestalt des Empfundenen (Ausdehnung und Grenze) ist die apriorische Form alles Empfindens. Zur Ausdehnung gehört »Stoff«, »Ort«, »Entfernung« (von mir aus: hier-dort, nah-fern). Zur Grenze gehört »Ganzes«, »Teil«, »Ursache« und »Wirkung«. Und zwar ist Ursache und Wirkung aus dem Empfinden des tätigen Wesens, Raum, Stoff, Ort aus dem des ruhenden Wesens entnommen. Mit diesem »Urteil der Sinne« (verstehendes Empfinden) wird die Bewegung sinnlich zerlegt: kausal und temporal. Zeit wird als Strecke aufgefaßt. Für den sprechend-denkenden Menschen gewinnt diese Art der Kenntnisnahme allmächtige Bedeutung: Astrologie, Kalender, Zahl zeugen davon.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 116Spengler).

„Tempo (Geschwindigkeit) und Dauer gehören zum Zeiterlebnis. Sie sind Wesenszüge der Wandlung, nicht Eigenschaften (nicht das, was faßbar ist ...) .... Es sind unter den Wandlungen regelmmäßige (z.B. Fall, astronomische Bewegungen) und unregelmäßige (z.B. die von Wolken). Das mathematische und chronologische Verfahren (die Methode) ist aber nur die Form des Verstehens, die der menscg hineinlegt. Das Leben dagegen - jede Art von Leben - hat ein bestimmtes Tempo und eine bestimmte Dauer. Das gehört zum Charakter jeder Art von Leben. Lang- und kurzlebend, menschlich gedachtheißt das: Minuten und Jahrzehnte. Zeitbegriff und -maß ist für jede Art von Wesen unmittelbar von der Lebensdauer abhängig.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 116-117Spengler).

„Zeit liegt im Wahrnehmen, Raum im Wahrgenommenen. Das zeithafte Wahrnehmen erscheint uns am Wahrgenommenen als Dauer. Jede Tatsache hat eine Dauer insofern sie Gestalt ist. Jede Wahrheit ist zeitlos (vgl. Franz Overbeck, Christ und Kirche, AnfangOverbeck). ... Die zeitliche Folge des Wahrnehmens ergibt eine lebendige Ordnung, eine dauernde Ordnung, eine Richtung »von mir fort«. Gestalt ist also doppelseitig: als lebendige, zeithafte, gerichtete oder als tote und ausgedehnte Ordnung. Um zu sehen, zu wittern, zu tasten oder zu hören, daß etwas vorhanden ist, ... ist die Zeit des Beobachtens gleichgültig. Das Gesuchte ist entweder da oder nicht. Will ein Tier oder ein Mensch aber feststellen, ob etwas sich ändert, verwandelt oder bewegt, dann kommt es auf die Dauer des Bemerkens an, also auf das Bemerken selbst als lebendige Tätigkeit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 117-118Spengler).

„Urfragen“ „Individuum und Generation“ (S. 120-155):

„Alle Kulturen sind unindividuell: Staat, Stamm, Familie, Tradition, Stand, Heer. Das Individuum ist nur ein Fragment. Es kommt auf das Ganze an: Wo dieses Gefühl aufhört, endet das Leben.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 120Spengler).

„Die Flamme (Spengler) ist die Generationskette, die dauert bis zum Erlöschen, dem Tod des Feuers und des Einzelfunkens, dem Aussterben des Geschlechts und dem Absterbe des einzelnen. Der einzelne hat nur im Niedergang Bedeutung, sonst ist er Glieid einer Reihe.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 120Spengler).

„»Mengenseele« (gesamtindividuum) genetischer Art ist familie, Stamm, Stand, Heer: eine zusammengewachsene Einheit. Künstliche Menegenseele ist Straßenauflauf, Versammlung unter dem Eindruck eines Redners, Publikum vor der Bühne, Partei, (also) »Masse«, die ebsno rasch zusammengelaufen wie auseinandergelaufen ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 121Spengler).

„Kulturseele ist Einheit der inneren Form des Lebens, bei jedem Einzelnen verschieden stark. Die Kulturseele offenbart das Urphänomen der Kultur: Personen und Sachen, große Menschen, Ereignisse, Werke, Gedanken, Sitten, Stile, Lebensgefühl, Weltanschauung offenbare alle dasselbe.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 121Spengler).

„Individuation ist Vereinzelung des Lebens, Zerfall der Daseinsströme (der FlammeSpengler) in Reihen von Einzelwesen (Funken, Einzelbrände).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 121Spengler).

„Das »Leben« wird ursprünglich als Wir überlebt, als Sippe, Horde etc.. Der Einzelne fühlt sich kaum als Individuum.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 122Spengler).

„Zu den Organismen, den Individuen von mehreren Exemplaren gehört die Art, die Generation, als ein Leben, eine Idee, die in vielen Exemplaren als Einheit lebt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 122Spengler).

„»Urphänomen« ist Wirklichkeit, in der eine Formidee besonders rein »vor den Sinnen erscheint« - d.h. sich durch »Farbe«, »Ton« etc. mit dem menschlichen Wachsein vermählt (»Wär nicht das Auge sonnenhaft«). Das Entzücken über die Vollkommenheit dieser Vermählung heißt »Schönheit« - metaphysische Verwandtschaft zwische Es und Ich.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 123Spengler).

„Das Wesen des Lebens ist Vergehen, Sichverzehren, Verschwenden. Reichtum des Lebens ist Verschwendung des Einzelnen. Unzählige Keime, Früchte und Kinder gehen zugrunde, oft die besten. Es kommt nur darauf an, daß es so viele sind, daß die Art nicht in Gefahr gerät.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 122Spengler).

„Im Keim ist nicht etwa als Wesen angelegt, sonderm die Idee der Form. Durch experimentierenden Einfluß kann man groteske Wesen erzeugen (vgl. Jakob von Uexküll, Biologische Weltanschauung, 1913, S. 272).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 124Spengler).

„Biographie ist die einzige Form, Miterlebenden das Geheimnis eines Lebens nahezubringen. Die »Weltgeschichte« ist die Biographie des Menschengeschlechtes. “ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 125Spengler).

„Die Ideen des Fortlebens im Jenseits, der Unsterblichkeit, der Wille zur Dauer, der die Zeit überwinden will die Angst vor der Tatsache »Ende«: das folgt aus dem Wissen des Sterbens.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 126Spengler).

„Das organische Leben hat sein Kennzeichen in der Tatsache Entstehen und Vergehen, Entwicklung und Vollendung, Geburt und Tod. Es ist die Verwirklichung einer möglichen Form, die zu Ende geht, sobald sie vollendet ist. Ob es sich um ein Einzelwesen handelt, um Wassertropfen oder um eine Art, Gattung oder um die »Pflanzen« überhaupt - verschieden ist nur die Dauer. (Dauer). Die Tatsache von Anfang und Ende gilt. Sie liegt im Sinn dieser Form, die ein Vorgang ist, ein Werdendes, nichts Seiendes. Jede Verwirklichung hat Jugend, Reife, Alter, Frühzeit und Spätzeit, Blüte und Welken - Pflanzenarten wie Kulturen etc.. Also ist auch die »Umwelt« des Menschen vergänglich als Spiegelung des Daseins; seine Werke, seine Taten, Völker und Künste. Die innere Tendenz nach »Ewigkeit« der Schöpfungen, der Völker, Kulturen, der Seele, des Leibes (Mumie) ist nur Ausdruck der Angst des Wissenden. Diese Angst muß überwunden sein, wenn man die Welt begreifen will.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 127Spengler).

„Dem Zwang der Gattung unterstehen alle Tiere. Erst der frühe Mensch (Stufe a 4 Kulturstufen) wird frei davon: er lebt als Einzelwesen. Vorstufe dazu sind die großen einsamen Raubtiere .... Die Gattung ist eine lebendige Einheit: alle ihre Glieder tun dasselbe, unindividuell, und sie empfinden dasselbe - daher kann man von einer Umwelt der Art sprechen. In das Gemeinschaftsbewußtsein wächst jedes Exemplar hinein. Die Menschen haben eine »gemeinsame Welt«, nicht »meine«, sonder unsre Vorstellung. Auch das ist eine Umwelt der Art. Die Gattung Fuchs handelt im einzelnen Exemplar: bei Nahrungssuche, List, Anlage der Fuchsbauten. Auch bei den Wanderungen der Vögel und ihrem Nestbau handelt die Gattung. Erst der Mensch (seit Stufe a 4 Kulturstufen) kennt - zunächst selten - die Einzeltat. »Wir« ist ein Individuum von mehreren Exemplaren. Es sind ursprünglich animale-instinktive Einheiten Ein Volk ist - von Stufe b-d (4 Kulturstufen) - mehr und mehr eine bewußte Einheit. Der Instinkt leietet zuerst das Bewußtsein, dann wird er vom Bewußtsein kommandiert - das sind dann die Ntionen, bei denen das erlernte Wissen umm den Zusammenhang den Instinkt leitet: nationalismus. Nation und Kirche sind Zusammenhänge, die räumlich und zeitlich zu groß sind, um überblickt und also von der Natur aus erlebt zu werden. Die erlebeten Einheiten sind klein: Gau, Sippe, Rudel, wo jeder den andren kennt und da gebiet überblickt. Die Wirseele besteht von selbst: die Herde lebt gemeinsam, sie schließt sich zusammen, sei es aus Drang zum Tun (z.B. beim Angriff) oder aus Furcht vor dem Alleinsein (z.B. bei Gefahr). Augenblicke der Panik schaffen auch heute noch eine Wirseele aus der Summe von Einzelwesen, die davon erfaßt werden. Der Schwarm ist ursprünglich die stärkere Lebenseinheit (gegenüber dem Individuum). Jeder Einzelne fühlt, will, wehrt sich, greift an als Exponent, als Glied und Organ des Ganzen. So entsteht auch die Sprache. Das Wir schafft Grammatik und Wortschatz, instinktiv  ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 127-128Spengler).

„Der Kern () wird im Einzelwesen schwach, die Schale () stark. Der Mikrokosmos ist ein erlöschender Funke (abgetrennt von der größeren Flamme des Lebens Spengler). Das Individuum stirbt, weil es geboren wird. Die Generation strömt. Am Individuum stirbt zuletzt auch die Generationenfolge.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 129Spengler).

„In ungeheurer Verschwendung wird Leben ausgestreut. Es kommt auf Einzelne nicht an, nur das »Geschlecht« will dauern, die Flamme, nicht der Funke. (Spengler). Daß das Individuum sich selbst wichtig nimmt, ist ein später Zustand (städtisch). Noch der echte Bauer lebt für seinen Stamm. Individualismus ist ein Alterssymptom der Gesamtseele, krankhaft, steril. Der gesunde Mikrokosmos lebt als Erbe von Ahnen und Ahn von Erben.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 129-130Spengler).

„Das Raumgefühl der Furcht: allein im Raum sein, deshalb Streben nach »Wir« im Raum. Es ist rein gegenwärtig - zeitlos. »Raum« aber ist das Alleinsein von Seele und Gegenwelt, von Mikrokosmos im Makrokosmos. Gegen-welt und gegen-wart gehören zusammen (AHD: gaganwerti, Zustandswort zu gaganwart »entgegengekehrt«).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 130Spengler).

„Das Zeitgefühl ist Sehnsucht, gerichtet von Vergangenheit zu Zukunft - raumlos. Ziel und Wille sind verwandt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 131Spengler).

„Je kühner das Leben, desto mehr ist es »Ich«. Nordisch ist der Wille zur Einsamkeit, zum Abstand von den Mitmenschen, zur betonten Distanz zwischen den Ständen, Betonung des Ranges. Individualismus: meine Welt ist nicht deine Welt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 131Spengler).

„Schon bei Tieren gibt es Konflikte zwischen Individuen und Gemeinschaft, Ich und Wir. Es gibt in jeder Herde wohl- und schlechtgeratene Exemplare, Stolz auf das Fürsichsein und Abneigung dagegen (aus dem Instinkt der Minderwertigkeit, wo die Mehrzahl, die Quantität, die Qualität ersetzen soll). Bei der Gattung »Mensch« ist das extrem entwickelt, hohe und niedere Seelen, mit verschiedener Ethik und Lebenstendenz.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 131Spengler).

„Das Lebewesen hat zwei tendenzen: zum Kampf (Vernichtung, Macht, Herr sein) und zum Fortpflanzen (der Art). Ernähren, Stoffwechsel, Atmen sind untergeordnete Funktionen gegenüber den Urtrieben, die das Leben sind: Kampf um die Macht und Fortpflanzung.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 131Spengler).

„Leben ist Wille, Gerichtetsein, Schicksal sein und haben. Seele ist der Mittelpunkt des Lebewesens, ein Geheimnis, unerklärbar, gefühlt (von anderen Seelen). .... Seele ist das Geheimnis - kein Begriff, sondern ein Wort für Undenkbares ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 131-133Spengler).

„Von Freud platt gefälscht: Sexus statt Eros.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 139Spengler).

„Nur der Kulturmensch hat den Schwerpunkt seines Lebens - vom Tier aus beurteilt - im »Alter«, d.h. nach den Perioden der Geschlechtsintensität. Das Urteil über die Alten schwankt (in den Stufen c und d4 Kulturstufen) zwischen Verachtung und Verehrung. Kultur ist eine Schöpfung der Seele jenseits der Begattungsperiode. Leben ist nicht Geschlechtsleben, sondern Kulturleben. Der Geist reift später als das Geschlecht. Diese »Reife« des Menschentypus ist unter Tieren unbekannt. .... Ein Lebewesen ist eigentlich ein Lebenslauf. Das Wesen ist kein Ding, sondern ein Vorgang. Das Exemplar, durch Zeugung und Geburt abgelöst von dem großen Lebenslauf der Gattung, ist eine kleine Biographie. Die Geburt ist (wie die Zeugung) ein Schicksal. Durch die Geburt wird das Einzelwesen vom Lebensstrom entbunden, in die Welt gestoßen, an einem Ort, zu einer Zeit, in eine Umgebung, mit einer Tendenz zur Verwirklichung einer bestimmten Lebensform. Das spricht Goethe in den Urworten aus: Daimon ist die Strophe, die von der Geburt handelt. Leben ist strömende Einheit in vielen Exemplaren, eine einzige leuchtende Flamme (Spengler), von der vergängliche Funken absprühen. Das irrende Fünklein in der Welt ist das Symbol der Einzelseele. Der einmalige Charakter jedes Einzelwesens ist Schicksal, durch die Zeugung gesetzt (Einfluß der Erbmasse, der glücklichen Stunde astronomischer, meteorologischer Umstände u.s.w.). Die Geburt entscheidet über den Ort, die Zeit (das Jahrhundert u.s.w.), die Kultur, den Stand, die Familie, wo sich das Leben (seit der Geburt!t) abspielen wird. Dieser Charakter (Prägung durch Zeugung und Geburt) ringt mit den Lebensumständen. Er kann sich entfalten, verkümmern, gebrochen werden - aber er ändert sich nicht. Geschichte ist das Einmalige: Biographie ist Privatgeschichte des Einzelnen (Weinhandl, Die Metaphysik Goethes, S. 311). Statt »so-sein« sollte man besser »Charakter«, Physiognomie sagen. Alles, was ist, hat sein besonderes Gesicht. Nie kommt zweimal dasselbe vor. .... Das Wesen eines Einzelnen offenbart sich nur durch Wirkung. Wie er lebt, d.h. wirkt, nicht was er »ist« - das bleibt Geheimnis. Der Charakter eines Seiend-Wirklichen - ob organisch oder anorganisch - wird physiognomisch erkannt, im Wirken auf uns oder auf andere Wirklichkeiten. So schildert der echte Dichter und Historiker. Charakter ist Wesen, das durch Wirken und Handeln sich offenbart (Weinhandl, Die Metaphysik Goethes, S. 311). Gestalt = Charakter = Wesen = Idee (Weinhandl, Die Metaphysik Goethes, S. 304ff.). Charakter einer Landschaft, eines Gesichtes, einer Bewegungsart der Gattung, einer Epoche, eines Kunstwerks, eines Menschen - es ist das Einmalig-Besondere des Individuums, Charakter der Individualität. ... Der Charakter bildet sich nicht nur, sondern offenbart sich auch »im Strom der Welt«. .... Charakter ist Verwirklichung der Idee, der inneren Form, des einmaligen So-Seins jedes Einzelwesens.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 141-143Spengler).

„Nur das Lebendige hat »Idee«, d.h. schöpferische Entwicklungstendenz vom Möglichen zum Wirklichen, »Genius«. Sie ist unaussprechbar, kann nur erlebt werden. Sie liegt in Pflanze und Tier, ... in allen echten Lebenseinheiten wie Stämme, Völker, Künste, Denkweisen. Jeder Lebenszug, vor allem das Unbewußte, ist Verwirklichung der Idee. Das Ideal ist demgegenüber ein geistig-begriffliches Ziel (das beredet, beschlossen, gepredigt und nie verwirklicht wird), während jede Idee wirklich ist. Ein Ideal wird ausgesprochen, eine Idee spricht sich selbst aus, nicht in Worten, sondern in der geschichtlichen Erscheinung der Tatsache. »Idee« = innere Form, Formtendenuz, Urbild. Idee der Pflanze, des Tieres, der Sippe, des Staates, der Kultur, des Sonnensystems u.s.w. - sie sind nur durch Schauen und Ahnungen zu erleben (Goethes Urphänomen?), durch eigenes rhythmisches Mitschwingen, empfangenden Eindruck, Einfühlung etc.. Irgendwie wird die Idee eines fremden Wesens durch Sinne ... vermittelt, erlebt aber nur seelisch. Eine Idee läßt sich nur durch symbolische Mittel vermitteln (z.B. Dombauten, Gemälde, »Faust«, »Tristan«), die denen, die sie nacherleben können, das andeuten, was der Schöpfer dieser Werke geahnt hat. »Mitahnung«, »Mitschau« sind notwendig, exakte sinnliche Fantasie. Fantasie ist das, was ich Schauen nenne, das Ahnen der Idee im Wirklichen, Wirkenden. Goethes »Metamorphose« ist Entwicklung, Verwirklichung der Idee von der Möglichkeit zur Wirklichkeit, zur Vollendung. (). Das ist Schau des Wirklichen, während das 19. Jh. Evolution mechanisch faßte, als unendliche Reihe.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 143-144Spengler).

„Urfragen“ „Seele und Leib“ (S. 156-183):

„»Leib« ist das Leben, insofern es den Sinnen erscheint, durch die Kraft der Sinne auf das Auge, das Ohr etc. wirkt. Seele ist das Leben, insofern es im anderen physiognomisch auf Gleiches schließt, wie es sich selbst fühlt. .... Seele und Leib sind nicht identisch (wie P. Cohn will), sondern zwei Manifestationen, Wirklichkeiten, Geheimnisse, denen das gleiche zugrunde liegt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 156Spengler).

„Für das menschliche Auge, gesehen also, als Lichtwiderstand, ist ein Tier ein Ding. Davon abgesehen aber, physiognomisch aus seinem Ausdruck erschlossen, ist es ein Vorgang. Leben ist nicht im Tier, sondern das Tier ist Leben.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 157Spengler).

„Nur freibewegliche Wesen, die ihre Lage zur Umwelt ändern können, haben einen metaphysischen Mittelpunkt, sie sind Mikrokosmos im Makrokosmos. Das ist die Tatsache »Seele«: eine kleine Welt in einer großen, die sich gegenseitig durchdringen. Beide sind kosmisch (bedingt): Auge und Sonne gehören zusammen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 157Spengler).

„Seele ist ein Ereignis, ein Geschehen, kein »Ding«. Die »Seele« kann ihr Verhalten zur Umwelt (dem Makrokosmos) wählen, sie beherrschen oder zu beherrschen glauben, um das eigene Verhältnis zur Umwelt wissen. Auch die anderen »Ichs« sind für die Seele »Makrokosmos« = zum »Außen« gehörig (andre Ich- und andre Wirseele). Die Pflanze hat keine Spannung von Mikrokosmos zu Makrokosmos. Sie ist Kosmos (aber nicht mehr ganz!). Was wir beim Menschen das »Ich« nennen (Bewußtsein, bei allen animalischen Wesen), ist eine schmale Grenze zwischen dem Geheimnis drinnen und draußen (Seele und Welt). Seele ist ein Wort für das »innere Geheimnis«, das wir sinnlich-denkend (also räumlich-kausal) uns »vorstellen« und damit seinem Wesen entfremden. Seele und Welt sind das Unbewußte drinnen und draußen.
Bewußtsein ist:
1. Wachsein,
2. Verstehen, Wissen.
Das Unbewußte ist also:
1. was nicht mit dem Wachsein gegeben ist,
2. wessen man sich nicht verstehend bewußt ist.
Wachsein ist die Grenze zwischen zwei Geheimnissen. Diese Grenze ist die Schale (), das »Gegen«, Wachsein = Ich.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 157-158Spengler).

„Seele und Leib sind nicht Dinge, sondern Vorgänge. Erst das begriffliche Denken macht daraus Dinge, d.h. begriffliche zeitfremde Einheiten. .... Erst der Systematiker ... erfindet die zwei Forschungsgebiete: Seele und Leib.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 159Spengler).

„Das Du ist älter als das Ich. Man hat zuerst die »Seele« des andren physiognomisch verstanden. Viel später erst hat man angefangen, diese Erfahrung auf die eigne anzuwenden. Nachdenken über sich selbst statt instinktivem Tun ist schon stark durchgeistigt. Mitsichselbstsprechen - Reflexion. Seelische Einsamkeit ist Ausdruck dieses Mitsichlebens. Zunächst wird das fremde Leben erfühlt. Die Seele wird am andren, z.B. Sterbenden beobachtet: Odem, Lebenskraft, Seele - dann auch in sich selbst gefühlt, als ... Sehnsucht, Angst.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 159Spengler).

„Auch Tiere beobachten .... Beim Menschen ist die Beobachtung fast ganz auf das Auge reduziert.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 160Spengler).

„»Seele« ist die innere Form des Lebens. Also ist für uns Seele und Leben nur am lebenden Leibe zu studieren, physiognomisch, nicht systematisch, nämlich an den Ausdrucksformen im Raum. Die sind aber zugleich Formen der Geschichte. Also lernt man die Seele kennen nur an geschichlichem Ausdruck: von der Geschichte der Menschheit bis herab zur Privatgeschichte des Einzelnen von Tag zu Tage. Unsere Zeit steht noch - vom 19. Jahrhundert her - unter dem Eindruck, daß Psychologie eine Naturwissenschaft sei. Sie wäre als solche aber nur eine Physik des Substrats ebenso wie die materialistische Geschichtsauffassung. Seele ist selbst eine Geschichte, etwas Geschehendes. Seele ist nur im Ausdruck faßbar, physiognomisch also. Die sämtlichen »Funde« an Keramik, Waffen und Gräbern sind also nicht als solche, sondern als Ergebnisse physiognomischer Ausdruckshandlungen zu begreifen: als das Formen, Schlagen, Bauen (früherer Menschen): das ist die Graphologie der Funde. Jeder Mensch macht sich ein Bild der Seele nach dem Bild der Natur. Schon der Urmensch sieht die Seele wie einen Vogel fliegen, in Wolken, Blitzen, als einen Dämon im Leibe, der nachher weiterlebt, wenn er stirbt. Ebenso macht es die heutige Psychologie. Aber auch ich. So wie für mich die Naturwelt Seele hat, so hat sie die Kleinwelt des Lebenden. .... Der beseelte Leib: darin liegt die Tatsache ausgedrückt, daß diese Kleinwelt (der Mikrokosmos) ihr eigenes Feuer hat (ihren eigenen Mittelpunkt): Leben, Seele, Leib, Geschichte sind Worte für den Eindruck von verschiedenen Betrachtungsweisen aus. Der »Leib« bildet sich von innen heraus nach einer Idee - der Seele. Seine Gliederung entspricht der seelischen. Seele ist die Idee derselben. .... Der Leib ist die erscheinde Seele (die den Sinnen wahrnehmende). Das bleibt ein Geheimnis - das ewig dem Geist Entzogene, das Unbewußte.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 161-162Spengler).

„Weinen, Lachen, Eigensinn etc. sind beim Kinde Züge der a- und b-Stufe (4 Kulturstufen) .“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 163Spengler).

„Urfragen“ Instinkt, Trieb, Wille“ (184-214):

„Bei der Pflanze gibt es keinen Gegensatz von Mikrokosmos im Makrokosmos, also keinen Instinkt. Auch das Ranken und Richtung(-nach-der-Sonne)-Nehmen vollzieht sich rein »gesetzlich«, mechanisch. Chemisch gedacht (heißt das): es gibt da irgendwelche Kräfte und Substanzen, die notwendige Bewegungen »verursachen«, besser: in sich als Möglichkeit haben. Instinkt ist, wie alles Tiefe, nicht exakt definierbar.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 184Spengler).

„In der Pflanze ist »mechanischer« Drang eins mit der Umwelt. Erst im Tier wird der Drang  frei - eigentlicher Instinkt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 185Spengler).

„Instinkt - das ist Verstehen ohne eigne Erfahrung, aber mit der Erfahrung der Arteinheit: Vorahnen des Nochnichtgeschehenen, Nacherleben des Schongeschehenen. Außer der erworbenen gibt es ererbte Erfahrung. »Erberfahrung« besteht aus Verstehen des Empfindens, Gesehenen und zugleich Tun des Richtigen (z.B. die Ente geht ins Wasser, der Säugling nimmt die Brust). Also Sinne und Glieder haben diese Erberfahrung in sich. Bei der physiognomischen Begabung ist der Instinkt stärker als der Intellekt beteiligt, sie ist mehr gattungsmäßig, vegetativ, elementar, zum Kern gehörig. Bei der systematischen Begabung ist der Intellekt stärker als der Instinkt beteiligt. Es ist mehr die eigne individuelle Erfahrung (zur Schale gehörig, animalisch, nicht vegetativ, von den physiognomischen Drang geleitet und beherrscht).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 185-186Spengler).

„Der Instinkt bleibt ewiges Geheimnis. Der Begriff, der Ausdruck, das »Instinktive« ist vom Intellekt aus abgegrenzt, beschrieben, definiert, also falsch.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 186Spengler).

„Alle Eindrücke sind polar, unterscheiden etwas im Gegensatz zu etwas anderem. Also wird Wille, Willkür von uns gefühlt als gegensatz zu unwillkürlich. Willenlos ist die Pflanze und das Pflanzenhafte im Tier. Wille gehört nur zum tierischen Leben - sich bewegen. Ich bewege mich - das ist für mich kein Ereignis mehr, sonder ein Tun. Deshalb enthält schon der Instinkt ein willkürliches Element. Ein Fuchs folgt der Witterung, wenn er will. Ein Beet voll Blumen, das von der Sonne bestrahlt wird, führt die gleiche helioskopische Bewegung aus, ein Rudel, das eine Witterung belommt, dagegen sehr verscheidene. Wenn ein Mensch von seinem Willen besessen ist, ist es doch sein Wille. Für die Pflanze ist es ein Drängen überhaupt, für das Tier ist es der eigne Drang.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 187Spengler).

„Der Instinkt gehört zum Lebensstrom, zur »Art«, nicht zum Exemplar, weshalb wir ihn »angeboren« nennen. Zum Exemplar gehört Lernen, Erfahrung, Versuch. Deshalb bezieht sich der Instinkt auf die für diesen Lebensstrom (die Art) typische Wirklichkeit, das Lernen dagegen (Intelligenz) auf die persönlich-besondere Wirklichkeit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 187Spengler).

„Die ursprünglichste Tendenz des Mikrokosmos in Richtung auf den Makrokosmos ist »Instinkt«. Wille, Trieb etc. sind nur dessen spätere Ausgestaltungen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 187Spengler).

„Der Instinkt ist durchaus nicht »Weisheit der Natur« oder »logisch«, wie der Mensch sich das denkt. Der Instinkt ist »blind«. Es ist z.B. sentimentaler Irrtum, von der Mutterliebe der Tiere zu reden. Gewiß verteidigt ein Tierweibchen seine Brut. Aber: Wenn ein Mensch ein Rehkitz oder einen jungen Vogel ins Nest hineinhebt, also eine fremde Witterung zurückläßt, jagt die Mutter das Tierchen von sich, wirft es aus dem Nest, läßt es verhungern. Mit der fremden Witterung hört der Instinkt, das Eigne körperlich in der Nähe haben zu wollen, auf. Mutterliebe ist hier nur der Trieb, das Eigne bei sich zu haben, und nichts weniger als die persönliche Neigung zu dem bestimmten jungen Tier. .... Darwin trägt dem menschlichen Intellekt in das tierische Instinktleben hinein. Die »Natur« erscheint bei ihm als Rationalist und Materialist. Tierkenner muß man sein, nicht Experimentator mit Tierseelen, wenn man von Instinktleben etwas verstehen will. Das freilebende Tier muß man beobachten ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 188-189Spengler).

„»Instinkt« wird alles genannt, was am Leben und seinen Ausdruck zur Gattung gehört. Nestbau und Brutpflege. Ortssinn der Bienen etc. sind mit der Gattung unveränderlich gegeben wie Körpeerbau etc.. .... Genau gesagt, baut nicht diese Schwalbe ihr Nest, sondern die Art tut es in ihr. Das Einzelwesen ist nur Organ des Gesamtwesens »Art«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 189Spengler).

„»Unbewußt« ist eine falsche Negation, ebenso wie das »Irrationale«. Als ob man alle Fraben einer Landschaft »das Nichtschwarze« nennen wollte. Was an Seele und Leib sich als Lebenslauf vollzieht, ist zum großen Teil triebhaft, getrieben. Nur im Wachsein wird manches davon verstehend empfunden. Wir fühlen bewußt (wachend) nur vermittelst der Sinne. Das sogenannte Unbewußte ist das, was die Sinne nicht verstehen, nicht melden. Also sagte man statt »unbewußt«, »instinktiv« besser: Nicht sinnlich, verstehend empfunden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 198Spengler).

„Trieb und Wille: das ist der Unterschied pflanzlichen und tierischen Lebens.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 201Spengler).

„Wille ist das Leben, insofern es sich auf ein Ziel richtet. Voraussetzung des Willens ist also das dunkle Fühlen eines Wunsches ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 202Spengler).

„Meine Ansicht: Trotz des »Wünschens« bleiben die Triebe, was sie sind: Leben, Wille, Flamme (Spengler). Erst die Großstadt erzeugt Wünsche, die keinen Trieb (Habenwollen, Stärkerseinwollen) hinter sich haben: panem et circenses.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 202Spengler).

„Der Wille zur Macht ändert sich vom reinen Sichdurchsetzen des Tieres über die starke Durchgeistigung des menschlichen Willens zum rein intellektuellen, der in Zahlen, Massen, Quantitäten schwelgt: z.B. Rekorde, mehr Geld, mehr Bilder, mehr Sachen haben als andere (heute im Wettstreit der Nationen: mehr Hochöfen, Volksvermögen etc.), das schöne Haus, schönere Waffen haben. Früher galt es: mehr zu können, Meisterschaft zu beweisen, heute: höher zu kraxeln, schneller zu fahren, zuerst anzukommen. Dieser Wettstreit wird immer öder in den Großstädten“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 202Spengler).

„Der Lebensdrang, (seinem Wesen nach) instinktiv, ist die Hauptsache, der Kern des Willens. Wenn Klages den Willen als eine Seite des »Geistes« erklärt, kommt er schon dem Typus nahe, der immer will, der genau weiß, was er will und doch nie zum Tun gelangt. Allzu viel Bewußtheit tötet den echten Willen, den instinktiven Drang zur Tat und läßt nur das (ständige) bloße Wollen zurück. Der Wille wäre demnach der bewußte Drang, der Trieb unter Leitung des Geistes. Gewiß, aber es kommt darauf an, daß der Drang die Hauptsache ist, ob mit oder ohne Bewußtsein. Das Wissen um das Ziel, setzt den Drang nach dem Ziel voraus.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 204Spengler).

„Statt Trieb, Wille sollte man lieber Drang sagen: Drang zur Macht, zur geschlechtlichen Vereinigung. Es, er drängt zu etwas hin, nach etwas. »Drängende Gefühle« wäre besser. »Trieb« ist zu schwach. .... Starke Appetite (Erotik, Essen, Trinken). Das ist ein gutes Wort für Triebe. Nicht (wie Klages meint) das Getriebensein, wobei das Einzelwesen passiv, pathisch erscheint, ist wesentlich, sondern daß es »meine« Triebe sind. Die Triebe selbst sind schon persönlich.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 206Spengler).

„Seele: Der Kern ist »Wille zur Macht«. Das »Ich« ist das zur Gewohnheit gewordene (und damit instinktmäßig sicher gewordene) sprechende Denken. Beim Tier ist es in der Urform vorhanden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 206Spengler).

„»Wille« ist Wille zur Macht. Klages nennt Selbsterhaltung nur die Behauptung des Ich. Klages teilt den Willen falsch ein: bei Tieren: Triebe = vitale Bewegungsursachen (»Ursachen«!). Bei Menschen: Triebfedern (interessen) = Willensursachen (z.B. Forschungstrieb). Aber »Ursache« ist eine Denkgröße. In Wirklichkeit gibt es nur Zielbewegungen, wobei die Unterscheidung von Trieb - Bewegung und Ziel rein gedanklich ist. Aber beim Menschen spielt die Durchgeistigung (in verschiedenen Graden) eine Rolle.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 207Spengler).

Drang, Instinkt ist unwillkürlich (FlammeSpengler). Als »Wille« ist er zielvoll gerichtet.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 207Spengler).

„Unterschied von Pflanze und Tier: die Pflanze hat den Drang, aber nicht den Willen (die freie Wahl), der von der Seele aus frei ist. Die Pflanze ist von der Umgebung nicht zu trennen, sie ist Schauplatz von Vorgängen; ihr Drang wird wahllos ausgelöst, »mechanisch« von außen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 207Spengler).

„»Wille« ist die Form des Lebens gegenüber der Tatsache »Kampf«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 205Spengler).

„Was wir Wille nennen, enthält mindestens zwei Elemente: den Drang (Instinkt, Rasse, Leidenschaft) und die praktische Tendenz auf ein Ziel (die allgemein animalisch ist). Es ist falsch, wenn Klages behauptet, die Beute zöge das Tier an; wenn das Tier satt ist, wird es nicht angezogen. Der Unterschied liegt also im Tier. Uexküll (Biologische Weltanschauung, 1913, S. 91) erkärt die »relative Intensität« der Gegenstände am Beispiel der Sardinen, deren Geruch von einer Gruppe ruhender Haifische nicht die am nächsten ruhenden, sondern die hungrigsten ermuntert.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 208-209Spengler).

„Das »Glück« entsteht nur für Augenblicke und auf einem breiten Hintergrund von Leid. Und eigentlich glücklich sind nur die Dummen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 210Spengler).

„Nach Karl Ernst von Baer, dem sich Uexküll anschließt, wird im Keim erst der Typus, dann die Familie, die Gattung, zuletzt die Art und das Exemplar engelegt. Haeckel hatte zuvor daraus eine »Ahnenreihe« mit imaginären Anfangstypen gemacht. Die gesamte Biologie, voran der Darwinismus, sucht das Leben mechanisch-kausal als System von chemischen und physikalischen Ursachen zu fassen. Nach Jennings ist das Tier ein bloßes Geschehnis. (Vgl. Jakob von Uexküll, Biologische Weltanschauung, 1913, S. 29). Es ist aber mehr da als »Prozesse« im Eiweiß. Ein Lebensfunke, eine Mitte ist in jedem freibeweglichen Wesen - daran (d.h. an der Möglichkeit, das zu erklären) scheietert die mechanische Biolologie. Zum Leben gehört: a) der (Energie- &) Stoffwechsel (zur Erhaltung und Ernährung); b) Wachstum - als Vergrößerung und Steigerung der Macht; c) Wachstum in Form der Fortpflanzung: Neue Mittelpunkte werden gebildet; d) Bewegung. Im Leben ist keine Kausalität, sondern ein »Genius«. »Mir scheint, daß man die Entelechie (der lebenden Wesen) am besten mit dem genius der Römer vergleichen kann, der überall auftritt, wo es sich um eine Neuorganisation handelt, deren erzeugendes und erhaltendes Prinzip er darstellt. Endet der Organismus, so verschwindet auch der Genius.« (Jakob von Uexküll, ebd., 1913, S. 46). »Jedes Tier, (also) auch jeder Mensch hat sein Bild von der Umwelt. Und alle Naturwissenschaft ändert nur das Bild im Sinne einer neuen Theorie, aber sie hebt den Vorhang nicht«. (Jakob von Uexküll, ebd., 1913, S. 49).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 211-212Spengler).

„Ich will historische anstelle der systematischen Psychologie setzen. Die Seele hat und ist Geschichte, hat alte und junge, verloschene und keimende Arten von Zügen. Seele ist ein Vorgang. Seelenforschung ist die Geschichte der Arten dieses Vorgangs. Nicht nur ist die Seele eines Einzelwesens ein Werden, ein währendes Erleben in sich und andren, sondern auch die Gesamtseele im Lebensstrom vieler Geschlechter. Und während es in der Einzelseele nebeneinander kindliche und rgeisenhafte Züge gibt, so gibt es unter den Gesamtseelen der Völker, Stände und Kulturen jugendliche und alte und in den Seelenarten der historischen Menschheit eine geschichtliche Folge von Zügen. Das (zu erforschen) ist Psychologie ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 212-213Spengler).

„Es besteht ein rhythmischer Einklang von Seele und Landschaft - im Menschenschlag - und zwischen Seele und All im kosmischen Takt und im körperlichen Perioden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 213Spengler).

„Urfragen“ „Pflanze und Tier“ (S. 215-239):

„Der Weg der Lebensgestaltung (der sogenannten »Entwicklungsgeschichte«) ist ein Drängen nach Freiheit. Das Geheimnis der organischen Gestaltung (»Lebewesen«, Wesen des Organischen) drängt aus dem Anorganischen hinaus.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 215Spengler).

„Die Gesamtgeschichte des Lebens hat Tendenz, Sinn und innere Gestalt: Immer größere Unabhängigkeit (immer stärkere »Gegen«-Stellung) des Mikrokosmos vom Makrokosmos. Dem entspricht eine immer stärkere Gliederung des Leibes, Schärfung der Sinne und des Denkens, sowohl für den Angriff wie für die Verteidigung. Niedere Tiere sind teilweise noch halbe Pflanzen (unbeweglich). Das raubtier ist - schon bei Infusorien - aggressiv und beweglich. Raubtiere gibt es ... in allen Tierklassen ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 215Spengler).„Die Pflanze ist willenlos, passiv (aber nicht ganz!), erdverbunden, trotzdem aber nicht nur defensiv, sonderna ggressiv im Kamof um Licht und Standort, um Luft: in jedem Urwald kämpfen Pflanzen bis zur gegenseitigen Vernichtung. Aber die Pflanze ist absolut ohne Ich, wahllos, ohne Aktionsmittelpunkt. Erst mit der Lösung des Lebens von der Erde tritt das »Sichbewegen«, also das Handeln in Erscheinung. An der Pflanze zeigt sich reines Schicksal (sie ist verwurzelt, also passiv [aber nicht ganz!]). Beim Tier wirkt der Wille gegen das Schicksal, der Mikrokosmos gegen den Kosmos, obwohl im Mikrokosmos das Kosmische wirkt. Das Tier ist nahrungsverbunden: es braucht die Pflanze, die Pflanze braucht die Erde (die Erde braucht die Sonne, und darum brauchen alle die Sonne; HB). Die Erdgeschichte (Geologie) ist die Wandlung der ersterbenden Glut des Erdballs. Insofern ist sie dem organischen Geschehen verwandt. Die Erde stirbt. Jeder Augenblick in diesem Geschehen (Erdperiode, Epoche) dringt auf das strömende Leben und dessen Geschichte ein. Es erhebt sich der Kampf zweier Formwelten. Das Ergebnis ist die Gestalt der Gattungen des Lebens. Das Leben ist zugleich erdgebunden und gegen die Erde sich wehrend. (Jedenfalls abhängig von der Sonne; HB). Der Kampf aller gegen alle erhebt sich: das Leben kämpft gegen die Welt, Tiere gegen die Pflanzen und umgekehrt, Tierarten unter sich, innerhalb der Art Exemplar gegen Exemplar, aber ohne Mitleid und Grausamkeit, die rein menschlich und auch dort spät sind. Erdkatastrophen hinterlassem als Spur geologische Schichten. Natura facit saltus. Die Arten des Lebens beginnen zum großen Teil durch diese Katastrophen und enden mit ihnen. Es gibt Arten, die durch alle Erdperioden sich gleichbleiben, z.B. die Schnecken, andre dagegen, die sich rasch entwickeln und wieder vergehen. Gegen Darwin hat sich erwiesen, daß es keinen Stammbaum aller Lebensformen gibt. Die Formideen sind stabil oder haben Variationsneigung. Der Kampf der geologisch-anorganischen Wandlung gegen die paläontologisch-biologische Geschichte des Lebens. Das »Leben« antwortet gegen jede neue Umgestaltung des Nicht-Lebens (d.h. Erdperioden) mit neuen Gestaltungen des Lebens. Hier Dacqué. Es gibt Charakterformen in den Einzelperioden. Es ist nicht, wie Darwin und Lamarck wollten, daß die Arten sich der veränderten Umwelt anpassen und das Passende (bzw. Angepaßte) übrigbleibt. Vielmehr geht das Kosmische im Mikrokosmos mit der Wandlung mit. Immer besteht innere Harmonie der inneren Form drinnen und draußen. Die Macht der Landschaft formt das kosmische Element im Einzelleben. Der freieste, schwächste, abhängigste, sieghafteste Typus des Lebens heißt Mensch.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 216-217Spengler).

„Die vegetative Tendenz geht, richtet sich auf Ruhe, ... Seßhaftigkeit (der Bauer ist selbst Pflanze geworden, der Erde verhaftet). Korallentiere sind halb und halb Pflanze, auch andere Wassertiere, die irgendwo »anwachsen«. Auch von Menschen spricht man in übertragenem Sinn davon, daß sie Wurzel schlagen, entwurzelt sind (einen alten Baum verpflanzt man nicht, sagt das Sprichwort). Das feste Wohnhaus und die Stadt befördern diese Tendenz. Animalische Tendenz zeigen die im Wasser frei schwimmenden Sporen mancher Pflanzen. Bei den Menschentypen wird sie scheinbar in den Nomaden und den Außenseitern der Gesellschaft: Abenteurer, Weltreisender, Bohemien.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 224Spengler).

„Der Pflanzenleib zeigt in der Verhaltenstendenz seine Erdgebundenheit. Der Tierleib hat Tendenz zur Kugelbildung: der Mikrokosmos ist im Makrokosmos (ringsum) frei beweglich.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 224Spengler).

„Gebundenes Wollen ist die Tendenz des Pflanzenlebens. Freies Wollen ist die Tendenz des Tierlebens. Das sind zwei Arten von »Leben«, von Strömen. Die Pflanze ist erst halb aus dem Kosmos entlassen. Sie haftet am Boden und stellt ihre Substanz aus Anorganischem her - ihre Ernährung ist das Symbol der Verwandlung von Anorganischen in Organisches. Das Tier ist frei. Es kann diese Verwandlung nicht mehr vollziehen, weil die Verbindung (zur Erde) zerrissen ist. Das Tier raubt also seine Substanz durch Vernichtung der Hersteller, der Pflanzen. Darüber aber stehen die Tiere, die nicht Pflanzen rauben, sondern ihresgleichen, die Raubtiere, zu denen der Mensch gehört, weil er Tiere jagt. Damit ist das Maximum an Freiheit erreicht: Der Welt als Feind gegenüberstehen. Das Leben wird Krieg. Denn die Pflanze wehrt sich nicht .... Das geraubte Tier aber ist »meinesgleichen«, es kämpft gegen das Geraubtwerden, es gebraucht auch List und Gewalt. Der Weg der Befreiung von der Erde ist tragisch. .... Das Tier braucht organische Nahrung. Soweit sie Pflanzennahrung ist, wird sie gesucht. Tiernahrung aber fordert Jagd, Kampf und List. Denn die Beute hat selbst »Freiheit«, sich zu entziehen. Deshalb sind alle Raubtiere mit scharfen Sinnen (Auge, Gehör, Geruch) ausgerüstet ... Der Gipfel dieser Entwicklung ist der Mensch. Der Instinkt wird stark durch den Intellekt (Sinne und Denken) verdrängt. Damit beginnt ein Innenleben - einsam, jedermanns Feind. Dann ist die Seele ein »Fünklein«, einsam, tief (im Innern). Die Schale außen (Sinne und Geist) wird stark. Infolge seiner Zahl ist für den Menschen nicht nur der Kampf gegen die Beute, sondern der Kampf gegenüber seinesgleichen um die Beute das unausweichliche Schicksal.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 224-225Spengler).

„In der Reihe Anorganisches - Pflanze - Tier - Mensch ist jedes abhängig vom Vorhergehenden, der Mensch von allen, die Pflanze nur vom Anorganischen. Je stärker das Mikrokosmische ausgeprägt ist, desto größer ist der Verlust an vitaler Unabhängigkeit, desto stärker der Wille zur Macht. Der Macht- und Geltungstrieb ist erst vom Tier an vorhanden, in dem Grade, als sein Dasein Kampf ist. Die Pflanze kämpft nicht: sie lebt mit dem Kosmos oder ist verloren. .... Die Pflanze ist ein Übergang, die Basis und Voraussetzung der letzten möglichen Form des Lebens, der tierhaften. Die Pflanze ist schöpferisch nur insofern sie durch einen Vorgang, der sie und ihre Umwelt zusammenfaßt, der »in und außer« ihr vor sich geht, organischen Stoff aus unorganischen entstehen läßt. Unorganische Stoffe sind tot, können verwittern, zerfallen, zerlegt werden. Organische aber haben die Signatur des Lebens - sie werden geboren, sie verwesen und sterben. Das pflanzenhafte Wesen - auch im Tier! - ruht auf dem vergänglichen Dasein solcher Stoffe, aber die Pflanze allein erzeugt sie. Das freibewegliche Tier, von der Erde getrennt, muß sie übernehmen. Es ist damit - gegenüber der Wurzel der Pflanze - in eine neue Abhängigkeit verstrickt: Die Tierscharen »wurzeln« in der Pflanzendecke. Gehen die Pflanzen aus, so »verhungern« die Tiere.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 226Spengler).

„Pflanzenfresser sind an die Pflanzendecke der Erde gebunden, gewissermaßen an dem Boden durch die Pflanze festgesogen - wie später der ackerbauende Mensch im Gegensatz zum Nomaden. Erst das Raubtier muß mit einer beweglichen Beute ringen, nicht nach einer unbeweglichen suchen. Erst die edlen Raubtiere leben von schnell beweglichen Tieren. Das bedingt ein Ethos dieses Lebens. Die Pflanze ist ein Gewächs, dem Wesen nach gebunden, mit der Erde verbunden, nach oben strebend. Das Tier isdt ein Leib, dem Wesen nach frei, horizontal auf der Erdoberfläche beweglich. Nur zum Leibe gehört das Gefühl der »Seele«, die Trennung von Mikrokosmos und Makrokosmos. Ein Gewächs ist Teil der Lanschaft, nie gegen die Landschaft gerichtet. Zum Gewächs gehört das Emporwachsen von unten, dem Humus, nach oben, in die Luft.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 226-227Spengler).

„Die Natur wirft immer neue Formen, Ideen auf, sie verfährt nicht, wie man im vorigen Jahrhundert glaubte, ökonomisch, zweckbewußt und fortschrittlich. Sie läßt in allen Erdschichten nur den Reichtum von Formen zurück. Die »Ursachen« dazu müssen die Gelehrten hinzuerfinden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 228Spengler).

„Mit den Formtendenzen Tier und Pflanze sind die Arten des Lebens erschöpft. Der Mensch bildet keine Lebensart für sich, noch weniger die Entwicklung über die Tierform hinaus - denn auch diese ist keine Entwicklung, sondern von Anfang an vorhanden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 228Spengler).

„Alle Formen des Werdens und Entwerdens sind »ewig«, d.h. kosmisch überhaupt, und wiederholen sich überall. Eine Flamme stirbt wie ein Mensch (Spengler), Kultur ist eine Pflanze .... So wiederholt sich die Zeugung in jeder Art von schöpferischer Tätigkeit ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 228Spengler).„Das Tier sucht diese Tendenz (der Pflanzen; HB) zu überwinden .... Die Tendenz (des Tieres; HB) ist: frei von der Erde werden. Extrem ist diese Tendenz in dem aufrechten Gang des Menschen, der fast unberührt von der Erde ist (nur noch Teile der Fußsohle), wobei der Kopf am meisten von ihr entfernt ist. Das ist besonders bedeutungsvoll, weil der Kopf das Zentrum des tierischen Seins ist, der Leib das des pflanzlich-vegetativen (Seins im Tier; HB). Die Entwicklung des Kopfes geht dahin, daß er in der Tiergeschichte vorn ist (also horizontal gerichtet), erst beim Menschen oben. Am Leib sitzen die Bewegungsorgane. Das ergibt zwei Zentren; Rumpf und Kopf. Die edelsten Fernsinne sitzen im Kopf.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 229Spengler).

„Angriff ist mächtiger als Verteidigung (Wille zur Macht höher als Kampf ums bloße Dasein).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 229Spengler).

„Kriechen (am Boden im Wasser) => Schwimmen => Kriechen (am Boden mit Luft) => Fliegen (Bewegung): das bedeutet sich steigernde Überwindung der Schwere der Erde. Die höheren Pflanzen stehen, wurzeln vom Boden hinauf; niedere Formen sind das Flottieren im Wasser, das lose Ruhen im Schlamm.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 230Spengler).„Der Tierleib ist auf die eigene Bewegung hin gebaut, und alle anderen Funktionen ordnen sich dem unter. Es gibt Grundformen für kriechende, schwimmende, springende, laufende und fliegende Körper, ohne Rücksicht auf deren typus des inneren Baus; und deshalb empfindet der ungelehrte Menscg trotz aller gelehrten Festsetzungen (z.B. im Linnéschen System) die Zusammengehörigkeit von Schmetterling und Vogel, Würmern und Schlangen, Käfern und Krebsen, Wal und Hai. Tiere, deren Bewegung nicht auffällt: Korallen, Seesterne, Muscheln, werden deshalb kaum zu den Tieren gerechnet (als Tiere empfunden), und sie nehmen ja auch mit dem Grade ihrer Bewegungsarmut pflanzenartige Formen an. Die Pflanze ist der Ausdruck des Lebendig-Unbeweglichen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 230Spengler).

„Das Leben vollzieht sich ursprünglich im Wasser, später wird Sauerstoff lebensnotwendig. .... Die ursprünglichste Bewegung ist - im Wasser - das Kriechen (Bewegung), (noch sehr) erdgebunden (im Gegensatz zum freien Schwimmen) und - wegen der geringen Beweglichkeit - (noch sehr) pflanzenhaft.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 231Spengler).

„Die höchste Pflanzenform ist der »Baum«, der von der Erde weg nach oben strebt. Diese Form steigert sich vom Schachtelhalm und Fran bis zum Nadelholz und Laubbaum.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 231Spengler).

„Tiere sind erstens frei beweglich, dann selbstbeweglich, dann triebhaft, dann empfindend. Die Pflanze hat Kreislauf und Geschlechtsorgane. Sie ist Schauplatz von Vorgängen. Das pflanzenhaft Vegetative im Tier (Geschlecht und Kreislauf) nimmt tierhafte Formen an. Zwar sind die Triebe von selbst da und können wohl beherrscht, aber nicht gerufen oder weggeschickt werden, aber ihre Form ist nicht rein physiologisch, sondern subjektiv, nicht kosmisch geartet, sondern mikrokosmisch, und sie wirken in einer Reihe von Gefühlen und Leidenschaften, welche die als Mikrokosmos vom Makrokosmos getrennte Seele voraussetzen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 231-232Spengler).

„In der Flamme ist der Drang zum Verzehren, Vernichten, Unterwerfen. (Spengler). Dieser »Drang« teilt sich: Die Pflanze hat nur Drang überhaupt, im Einklang mit der Umwelt, unwillkürlich wirkend. Beim Tier ist der Drang willkürlich. Wille ist immer mein Wille. In Pflanze und Tier zeigen sich zwei Tendenzen zur Lebensgestaltung: fest und frei. Das gilt auch sexuell: die Pflanze wird wahllos befruchtet (Windbestäubung u.ä.), das Tier wählt. Das Tier ist von der Pflanze abhängig, weil sie seine Beute ist. Der Typus Pflanze, der nicht vom Dasein der Tiere abhängt, ist deshalb dauerhafter, erlischt später (d.h. in den Erdzeitaltern). Das Raubtier verkörpert die extremste Unabhängigkeit des Mikrokosmos vom Makrokosmos, aber zugleich die extreme Abhängigkeit. Durch das Schicksal, seine Nahrung erkämpfen zu müssen, wird die »Seele« des Raubtieres ausgestaltet. Jede Freiheit ist Verbundenheit. .... Freiheit hat einen doppelten Sinn: Überwindung der Verbundenheit, Verstoßung aus dem All, Freiseinwollen und Nichtfreiseinkönnen sind stolzes Bejahen und angstvolles Verneinen dieser Tatsache.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 232-233Spengler).

„Vererbung, Variationsbreite, Genotypus, Mutation, Mendeln, Erbmasse - das sind lauter Abstraktionen aus dem Sehbild. Wichtiger wäre die Tendenz der inneren Lebensgestaltung (Metamorphose, Evolution) zu erforschen. Von innen wirkt der Wille, von außen das Schicksal. Wille ist das innere Schicksal, dem der »Gegenwille«, das Schicksal in Gestalt der Weltseele (Seele des Sonnensystems, der Erdrinde, der Landschaft) entgegenwirkt. Mikrokosmos im Makrokosmos, das bedeutet den Kampf des Willens gegen das Schicksal, des eigenen Willens der Gattung gegen den Weltwillen. Die Tendenz der inneren Leebensgestaltung ist Wille der Art, Trieb, Gestaltungstrieb. Erst beim Kulturmenschen wird der Wille bewußt. Hier (d.h. bei den Tieren) ist er Instinkt, Trieb. Gestaltungstrieb wirkt nach außen (der Mikrokosmos gegen den Makrokosmos), daher rührt die auf die Sinne andrer wirkende Gestalt. Jeder Mikroksomos muß sich »äußern« wegen der gegebenen Spannung zum Makrokosmos.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 234Spengler).

„Von der Allseele - die uns nur makrokosmisch erscheint - geht es über die Reihe der mikrokosmischen Seelen: Pflanzen-, Tier-, Menschenseele. Seele erscheint uns im leiblichen Ausdruck. Leib ist Ausdruck der Seele. die mikrokosmischen Seelen sind kleine Weltseelen einer großen gegenüber, die sich aus der »Umwelt« auf die mikrokosmischen Einzelseelen zu äußert.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 234Spengler).

„Die »Landschaft« ist Spiegel der Seele, auch bei Tieren. Jedes Tier hat seine »seine« Landschaft. Aber die Seele des Tieres ist zugleich Spiegel der Welt. Denn das Mikrokosmische gehört zum Kosmischen (das ihm als Makrokosmos gegenübertritt). Die Rasse, das Bluterbe, ist zeithaft, die Mächte der Umwelt sind raumhaft. Sie wirken langsam akklimatisierend auf die Erbseele ein.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 235-236Spengler).

„Form ist das Ungleichsein, das Anderssein. Als Form hebt sich etwas von Unform ab: Lebewesen von Gesteinen, Kultur von Unkultur, der bedeutende Mensch von der Masse. Form hat Ort und Zeit. Das Ungeformte »ist« einfach. Form hat Qualität und Rang. Es gibt Wertunterschiede in der Form. Das folgt daraus, daß alles geformte (z.B. lebendige Wesen) in andern (seinesgleichen) nach Werturteilen mißt. Diese Tatsache ist ein Beweis. Das persönliche Urteil eines Denkers nicht. (Die Anerkennung eines Tieres als Leittier in Herden und Rudeln, die Stellung des Platzhirsches gegenüber allen Rivalen beruht auf Werturteilen). Form ist Schicksal und hat Schicksal. .... Form ist Grenze: Ein Volk als Form der Generationen ist z.B. begrenzt durch andre Völker: Also sind geformte Dinge nur in Mehrheit möglich. Ein Begriff wird nur durch andre Begriffe geformt, also begrenzt. Ebenso ist es bei den Rassen: Jedes Merkmal hebt sich von einem anderen ab. Ebenso bei den Kulturen. Alle Form ist raumhaft: denn sie ist sinnlich geistiger Natur, ertastbar, hörbar, sichtbar.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 237-238Spengler).

„Das Andringen der Umwelt (z.B. als Klima) erzeugt Gegenwehr. Dahin gehört u.a. Rassezügen die Hautfarbe (Abschirmung und Zulassung der Sonnenbestrahlung). Die ursprünglichsten Rassen (vgl. die Stufen a und b 4 Kulturstufen) sind also Ergebnisse des Kampfes der Kulturmächte untereinander. Seele, Kunst, Religion, Staat, Gesellschaft, nicht nur Haut und Haar, sind vom Klima abhängig (Herder). Außer dem Klima ist nach Herder die »genetische Kraft« in den Menschenrassen ein gleichwertiger Faktor (der Einwirkung); nach meiner Ansicht: die innere Form der Lebensströme). Rasse ist der Lebensstrom im weitesten Sinne, in den Kulturen ist er vollständig zerlegt (nach Völkern aufgespalten). Naturrassen sind im Kampf gegen den Makrokosmos (die Landschaft) ausgebildet, Kulturrassen im geistigen Kampf.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 239Spengler).

„Urfragen“ „Leib und Organ“ (S. 240-277):

Kern: Zu ihm gehört die Einheit »Seele-Leib«, metaphysisch (betrachtet die) »Mitte«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 240Spengler).

Schale: Zu ihr gehört das Empfinden und Verstehen der Außenwelt, des Makrokosmos, wie er sich gegenüber dem Mikrokosmos darstellt und auf ihn einwirkt, das sensorische Nervensystem und die speziellen Sinne mit ihren Organen. Zu ihr gehört ebenso das Bewegen, das Sichbewegen des Mikrokosmos gegen den umgebenden Makrokosmos, das motorische Nervensystem und die Glieder.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 240Spengler).

„Die systematischen Deutungen der Wissenschaft (Zerlegung in: Denken - Fühlen, nous - thymos, Seele -Leib etc.) sind Systeme der Einordnung in ein Schema. In Wirklichkeit gibt es keine Deutung. (Es ist ein) Geheimnis, unverständlich, was »Sinne«, Seele, Leib »ist«.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 240Spengler).

„Meine Zweiteilung des animalischen Einzelwesens: A) Kern: Vegetativ, Seele, dazu draußen das Geheimnis des Alls (). B) Schale: Animalisch, Sinne (). Die Oberfläche des Wesens stellt sich gegen die Oberfläche der Welt, die sie als Druck, Farbe, Ton, Berührung, Widerstand wahrnimmt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 241Spengler).

„Der Tiefe der Seele entspringt die Tiefe der Welt. Die Spannung zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos ist die animalische Gegnerschaft (nicht pflanzlich). Kosmisch ist die seelische Sehnsucht, die unerfüllbare Sehnsucht nach Wiedervereingung der Einzelseele mit der Allseele.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 241Spengler).

„Das Leben ist zunächst pflanzenhaft, erdverbunden, kosmisch (Teil des kosmischen Allebens). Es hat Triebe. Darüber gelegt ist das Tierhafte: Mikrokosmos (steht dem Makrokosmos gegenüber [Spannung]). Das tierhafte Leben hat »Willen« (nicht nur Triebe). Der - nur vegetative - Kern und die Schale treten auseinander. Triebe sind pflanzenhaft (dunkel): Machttrieb, Geschlechtstrieb. Im tierischen Mikrokosmos werden sie (da das Tier freibeweglich ist) »gerichtet«, sie bedienen sich der Schale (und ihrer Fähigkeiten), werden (aber wiederum) von dieser gestaltet. »Tun« und »Verstehen« ist das rein Tierhafte. Der Trieb der Pflanze ist dunkel. Das Tun und Verstehen des Tieres hell. Beim Kulturmenschen kommt ... das Sprechen-Denken (als etwas Neues) hinzu. Triebe sind kosmisch (Regelungen des Kosmischen selbst). Tun ist nur dem Mikrokosmos im Makrokosmos möglich (es setzt die Trennung und Spannung zwischen beiden voraus).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 241-242Spengler).

„Seele und Leib einerseits - Geist andererseits ist eine falsche Trennung von Klages. Geist und Sinne bilden zusammen die Schale (), Seele ist der Kern des Leibes (vgl. Seele-Leib-Einheit, sie gehört zum Kern ). Die animalische Schale um den vegetativen Kern darf ich nicht einseitig fassen. Es handelt sich um zwei verschmolzene Wirkungselemente: Sinne-Verstehen und Verstehen-Sichbewegen. Dem entspricht ein doppeltes Nervensystem, das senosrische und das motorische. Sinnesorgane und Bewegungsorgane bestehen beide aus Teilen des Leibes und Nervenenden. Beides, sowohl das Sinnlich-Verstehen als das Verstehen-Sichbewegen, gehört zum Wirken des »Geistes«. Es ist Auffassung dort und List hier. Was hinter jenem steht, ist Gefühl, hinter diesem Wille. Jenes ist passiv, dieses aktiv.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 242Spengler).

„Das Wesen der Schale (Sinne, Geist und motorisch-sensorische Nerven ()) ist Fest-stellung. Gegnerschaft. Vorposten der Seele sein, in Angst und Wachsamkeit. Die Idee ist Sehnsucht der Seele nach Ausdruck in Tat und Gestalt, Zukunft (durch Zeugung) und Macht. Wille ist Sehnsucht und Idee und Ziel (nicht Zweck!) zusammengafaßt als Einheit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 243Spengler).

„Die Pflanze kennt nur »oben-unten«, eine Polarität, die jedem Pflanzenteil innewohnt (vgl. Oscar Hertwig. Allgemeine Biolologie, 1920, S. 528, 561), kausal interpretiert wird das durch Schwerkraft und Licht. Erst die Bewegung fügt »vorn-hinten« und »rechts-links« hinzu, die von der Richtung auf ein Ziel hin gedacht sind. Das Blatt einer Pflanze hat ähnliche Seiten, aber keine rechte und linke, auch Tiere, die die Bewegung verloren haben (wie z.B. die Korallen) nicht. Rechts und links ist ausschließlich von der Bewegungsrichtung aus gemeint. Die Struktur der Pflanze bietet große Oberflächen, ein Röhrensystem (vgl. Oscar Hertwig, ebd., S. 679, 752), Stützgewebe, Gefäße. Alles ist nach außen gerichtet (Phanerogame). Die Tierform ist nach innen gerichtet. Beim Tier findet sich eine gesonderte (vgl. Oscar Hertwig, ebd., S. 682) Entwicklung der »inneren Oberfläche« des Mikrokosmos: Eingeweide statt Blättern und Blüten. Da der Leib durch seine Bewegung das Rechts-links und Vorn-hinten schafft, ist alles vor uns Gesehene »Zukunft«, alles »hinter uns liegende« Vergangenheit, denn Bewegung ist (auch! HB) Zeit .... Vorn-hinten ist also die Zeitdimension. Hier-dort, Nähe-Ferne: das ist zeitlich gefühlt, räumlich empfunden. Das »vor-uns-Liegende« ist wirklich Zukunft: das zu Vollendende, während das Vollendete hinter uns liegt. Künftiges Schicksal ist das eigentliche: das, was man noch nicht kennt. Das »Zu spät« und »Nie wieder« klammert sich an das schon Verwirklichte, das »Wehe dir« und »Zum letzten Mal« an das Kommende. Der Leib ist auf Richtung hin organisiert: vor allem bei Landtieren, unter den Wassertieren bei den Fischen besonders deutlich. Erst wenn Bewegungen ein Sichbewegen in einer Richtung wird, erscheint diese Organisation. Das »Vorn« des Leibes wird zum Kopf, an dem die wichtigsten Sinnesorgane sitzen. Allmählich bildet sich ein immer selbständiger Typus von Tieren: vom Pflanzenfresser und Aasfresser zum Jäger lebendiger Tiere. Man darf nicht kausal denken: das Nahrungsbedürfnis schafft den Typus etc.. Sondern: das Leben treibt einer Spitze zu, es wird immer mehr unabhängig von der Erde. Wenn wir wertend das Raubtier den höchsten Typus nennen, so geschah das, weil es innerhalb dieser Vollendung am Ende steht. Ich werte hier nicht moralisch oder nach Geschmack (ästhetisch), sondern morphologisch.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 243-244Spengler).

„Der Leib drückt in seiner Gestaltung den Willen eines Wesens, die Flamme (Spengler), aus, die in ihm lebt, unter den Bedingungen des Makrokosmos in seiner Einwirkung auf den Mikrokosmos und des »Gegen«. Der Wille bestimmt die Bewegung. Dem entspricht die Gliederung des Leibes.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 245Spengler).

„Die Glieder dienen dem Angriff, der Tendenz des Wesens nach außen, zur Wirkung beim Menschen zur Tat: die Flamme (Spengler), das Seelenleben wird in ihnen tätig. Die Sinne, Vorposten des Mikrokosmos gegenüber dem Makrokosmos, sind beobachtend, vom Instinkt geleitet. Die Gleiderung des Leibes ist ein Sinnbild des Seelenlebens fürs Auge.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 245Spengler).

„So wie das Urorgan des Wachseins des instinktiv verstehenden Empfindens das ganze »Außen« ist, so ist das Urorgan der Kraft- und Ausdrucksbewegung das ganze Innen: alle Muskeln, Sehnen, Knochen. Da diese mit Haut umkleidet sind, so wird auch der eigene Ausdruck empfunden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 246Spengler).

„Urfragen“ „Sinnenwelt“ (S. 278-304):

„Die Zeit ist Leben, Wärme, Licht. Der ... Systematiker tötet, indem er das Leben in Zahlen erstarren, zu Gesetzen und Formeln gefrieren läßt, aus Angst vor dem Unbekannten. Die Freude des Physikers über eine Entdeckung ist Freude über gestille Angst.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 278Spengler).

„Sinnenwelt und wortgebundene Geisteswelt, die davon abstrahiert ist, gehören zusammen. Das Geistesleben herrscht darüber, weil es entscheidet, wann man denkt, nicht nur wie.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 278Spengler).

„Das Wissen vom (fremden) Einzelwesen ist eigne innere Erfahrung, nicht logisches Zerlegen. »Zerdenkern« zerlegt ein Ganzes nach Ursache und Wirkung, verknüpft logisch und macht das Zeithafte raumhaft. Ethik ist dagegen bewegtes Mitfühlen, zeithaft. Mit-fühlen und Zer-denken kennzeichnen die haltung des Physiognomikers und Systematikers zur Welt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 279Spengler).

„Das empfindende Verstehen ist von Anfang an, bei allen Tieren, ein Element des Wachseins. Die Wortsprache führt zur Hypertrophie eines einzelnen Zuges darin.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 282Spengler).

„Geist (Verstand, Intellekt, nous) läßt sich nicht so streng theoretisch isolieren wie Klages will. Das Verstehen setzt sich - vor allem seit dem Sprechen - gegen das Empfinden ab und erscheint in extremen Fällen (in der Zivilisation, den Städten und bei einzelnen) als isolierte Macht, weil das Leben abstirbt, dem es diente.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 284Spengler).

„Heilige Kausalität. Der Zweck heiligt die Mittel - das ist wirklich der Sinn der gesamten Kulte. Ohne jeden moralischen Hintersinn. Was man opfert, ist gleichgültig, ob das eigene Leben oder das andrer, die eigne Sitte (heilige Prostitution), die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Ehre. Man ist heute nur zu banal, um den ernsten, moralischen Sinn des Satzes zu begreifen oder gar zuzugestehen. Weil man heute nicht mehr ahnt, was echte Religion ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 285Spengler).

„Es gibt eine Denktechnik (Jaspers) wie andere Techniken. Intelligenz als Tempo ist technische Beherrschung des Denkens. Das Denken kann dichterisch oder wissenschaftlich sein: das dichterische ist historisch und physiognomisch nach Ziel und Methode, das wissenschaftliche richtet sich auf die Welt als Natur und verfährt systematisch. Die erste Richtung forscht nach dem Schicksal, die zweite nach Kausalität.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 285Spengler).

„Abgezogenes Denken, von der Praxis des animalischen Lebens getrennt, ist Unnatur. Wenn man aber von der Praxis des Lebens (beim Tier und beim einfachen Menschen) ausgeht, sagt die Philosophie, das sei falsch und naiv, man müsse erst das Denken untersuchen, bevor man die Objekte des Denkens, den »Inhalt« des Denkens untersucht (Heidegger). Aber man kann das Denken nicht erfahren, bevor man denkt. Was man erkennen will, wird schon vorausgesetzt. Also ist es sinnvoller, wenn man das Denken zuletzt betrachtet und zuerst beobachtend das Tun ansieht. Den »Inhalt« des Denkens von »Form« und dergleichen unterscheiden, heißt nicht, das Nachdenken schärfer sehen, sondern den lebendigen Vorgang durch Abstraktion ersetzen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 288Spengler).

„Es gibt eien Skala, deren Stufen sind: Verstehendes Empfinden; empfindendes Verstehen; Verstehen unter begleitendem Empfinden; sich ablösendes Verstehen: also Nach-denken, an eben vorher Erlebtes sich anknüpfend; gedächtnisgebundenes Verstehen; reines Nach- und Vordenker: schauend, ahnend ... Fantasie. Wortgebundenes Verstehen: »Geist«, seit ... dem Sprechen-Denken. (Vgl. 4 Stufen4 Kulturstufen). Aus dem Gegensatz von Mikrokosmos und Makrokosmos ergibt sich eine Bewegung entweder vom Kern () oder von der Schale () aus. In der Schale ist beim Kulturmenschen der Sinn in wachsendem Maße durch die Sprache ersetzt. Es kann aber auf diesem Wege zu echter seelischer Tiefe (Begeisterung) kommen. .... Die Seele des sprechend-denkenden Menschen verändert sich durch das Sprechen-Denken. .... Geist ist erst möglich mit dem Wortdenken; er wird aber vom Blut, der Rasse, also dem Kern des Wesens getragen. Blutarmes Denken ist das der Intellektuellen, der Kritiker aus Mangel an Schöpferkraft, des Philosophieprofessors aus Unfähigkeit, Denker zu sein. Erst seit der Panzer von Sehen und Denken (die Schale) den Menschen von der Welt trennt und abschließt, werden ihm Dinge, die nicht gesehen sind, rätselhaft und angsteinflößend. Er wird instinktiv-schwach, kann und will nur noch intelelktuell vesrtehen - und das geht nicht. Das Denken als Lebenszug ist rhythmischer Gestalt, das Gedachte aber, wie das Gesehene stets polar.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 288-289Spengler).

„Beim Menschen bildet sich in steigendem Maße (seit c und d; vgl. die 4 Stufen4 Kulturstufen) ein Übergewicht des Verstehens über die Sinne - bis zum Verkümmern der letzteren. (Nichtspenglerisch ausgedrückt: Menschen vergeistigen in steigendem Maße, ihre ›Natur‹ verkümmert in steigendem Maße; HB). Sprache gegen Sinne gerichtet führt zum »Intellekt«. Damit erscheint das Programm statt der unbewußten Tendenz des Lebens. Intellekt statt Instinkt, Moral statt Ethos. Worte statt Empfinden als Träger des Begreifens. Denn das Begreifen ist ursprünglich rein sinnlich. Erst seit der c-Stufe (4 Kulturstufen) dient das Wort als »Begriff«. Welcher Art ist die Beziehung zwischen der Schale () des Wesens, die vom Leben, vom Kern () her regiert wird, und Fremdem?  Es ist Kants Problem, aber auf Tiere und Menschen angewandt. Die Formen »a priori« des Wachseins sind Substrat und Kausalität.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 290Spengler).

„Kausal und teleologisch ist insofern dasselbe, als es auf dem verstehenden Empfinden beruht: Ursache und Wirkung werden theoretisch, rückwärts blickend, sinnend, durch den bewegten Sinn festgestellt. Mittel und Zweck werden praktisch, vorwärts blickend, tuend, durch die bewegten Glieder verstehend empfunden. Das verstehende Empfinden steht im Dienst des Instinkts. Erst seit der Stufe c (nicht schon eher?4 Kulturstufen) kann es sprachlich denkend isoliert werden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 291Spengler).

„Da es der Körper ist, der Sinneserlebnisse erlebt, so gehört der Sinneseindruck zum Erleben. Erst die Nerven machen daraus ein »Verstehen« und »Erkennen«. Die Sinne stehen also zwischen Seele und Verstehen (Geist). .... Gefühle hat jeder für sich. Verstandesmäßiges ist allen gemeinsam: ein »Ding« wird von allen zugleich »richtig« erkannt. Das hängt davon ab, daß der Geist das Verstehen ein »Zwischen den Mikrokosmen« ist.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 292Spengler).

„Beim Sinnerlebnis sind Kern () und Schale () beteiligt, bei der Sinnerkenntnis nur die Schale. .... Schale hängt vom Kern ab.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 293Spengler).

„Das Erwachen zum Sehen schafft ein »Bild«: d.h. das eigne Sinneserleben ist mit dem fremden Leben eine Einheit: Wär nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt es nicht erblicken. Aber das Bild ist ein lebendiges Bild. Die Sinne sind etwas Lebendiges.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 294Spengler).

„Das animalische Wachsein ist zuerst zielbewußte Bewegung (Technik des Lebens), dann erst feines Erkennen (Theorie). Dies zielbewußte Bewegung ist aber das, was man bildlich Wille nennt. Ein Mikrokosmos ist eine Welt mit eignem »Willen«, der »gegen« den kosmischen »Willen« wirkt. Wille und Technik gehören zusammen wie Intellekt und Theorie. Erfahrung aber ist zuerst instinktiv. Der Intellekt lähmt sie.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 296Spengler).

„Um sich das »Wachsein« klar zu machen, vergleiche man es mit einem Traum, der periodisch wachsend ... bis zum Tode geht, über das Dasein hin. Dieser »Wach-traum« (nicht das »Leben« ist ein Traum, sondern das Erleben) bildet aus der Wirklichkeit das Fremde, die Sinnenwelt, das »Draußen«. Erst dieser »Traum« schafft aus dem, was »ist«, Gestalt, Qualität, Wert - alles das sind polare Unterschiede gegenüber dem Gestalt- und Wertlosen. Das eigne Leben wertet instinktiv. In der »Sinnenwelt« liegt schon zweierlei: die bloße Polarität der Empfindung und die Wertpolarität des Instinktes. In allen diesen Dingen zu scharfen Begriffen und Einteilungen kommen zu wollen (Ding an sich, Anschauung etc.), ist falsch. Da wird Verstandesmäßiges hineingetragen (nicht darin gefunden!).“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 297-298Spengler).

„Sinnlich feststellen (die Bewegung verneinen), beobachten ist Angst; sinnlich imaginieren ist Sehnsucht des Kernes (), der Seele, die über die Schale () hinaus zum Kosmos drängt, die Trennung von Mikrokosmos und Makrokosmos aufheben will. Dieses Imaginieren und schauen ist in den c-Kulturen (4 Kulturstufen) dumpf, als Vorahnung und Vision des Abwesenden noch jedem selbstverständlich: heute noch Bauern, Beduinen, Schiffern. Die Seele döst nicht dahin (wie Klages meint), sondern wirkt: Einbildungskraft liegt in gewaltigen Taten und in der Verklärung der Geschlechtstriebe zur Liebe, im religiösen und künstlerischen Schöpferdrang. Es ist eine Seite des Sedenlebens, nicht das ganze. Es ist die Kraft, das Sinnenleben zu durchseelen. Damit wächst der Mensch der b-Stufe (4 Kulturstufen) als Täter weit über den a-Menschen (4 Kulturstufen) hinaus: der subjektive Augenblick wird seelisch vertieft. Geschichte ist im Gegensatz zum unmittelbar gegenwärtigen Geschehen das intuitive Bild des Vergangenen und Künftigen; es gehört eine besondere visionäre Begabung dazu, die Epochen deutlich optisch vor sich ablaufen zu sehen (meine Begabung). In dichterischer Form erscheint sie bei Goethe und Shakespeare. Ursprünglich war aber Intuition allgemein verbreitet (Stufe c4 Kulturstufen). Die Begabung, Geschichte zu sehen, ist heute selten und ist nur ein Rest des genialen Schauens und Ahnens der frühen (bc4 Kulturstufen) Zeit - Staatsmänner, Historiker, Dichter und Denker haben sie manchmal noch als schöpferische Intuition (Schau), schöpferische Vergegenwärtigung im intutiven Bilde (etwas ganz anderes als ekstatische Vision). Innerhalb des Wachseins laufen unaufhörlich viele Strömungen durcheinander, im animalischen Wachsein (Ströme) sinnlicher Natur, allgemein körpersinnlich ..., dazu sinnlich verstehend: bald als »Aufmerksamkeit« auf gewisse Züge konzentriert, bald zerstreut, stumpf, schläfrig. Auch die Bewegung des Leibes (Wille und Ausdruck), nicht nur das Draußen, wird konzipiert, empfangen, ob nun bemerkt oder nicht, beobachtet oder nicht .... Beim Menschen kommt hinzu die intermittierende stoßweise Geistestätigkeit, das Besinnen auf eben Vergangenes, das Nachdenken über Gedankliches, eine vom verstehenden Sinnenleben sich mehr absondernde Kraft (Intelligenz als TempoIntelligenz als Tempo), die beim Berufsdenker in dichter Folge im Wachsein dominiert, und zwar unter Zurückdrängung (und schließlich Verkümmerung) der Sinne: mit geschlosenen Augen und verstopften Ohren denken. Damit ist die Isolierung des Mikrokosmos auf dem Gipfel: die Sinne verbinden noch mit dem Makrokosmos, der Geist ist sich selbst genug.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 298-299Spengler).

„Intelligenz als Tempo: Ein schlauer Mensch versteht momentan das eben Gewesene: so wie wir den Film als Vorgang sehen; ein Dummer versteht langsam: da ist es, als ob ein Film langsam Bild für Bild abrollte. Infolgedessen hat nur der kluge Mensch einen »Überblick« über Situationen, Entwicklungen oder Geschichtsepochen, während der Dummkopf im Leben immer zu spät kommt. Bauernschlau, pfiffig, geweckt sein bedeutet, daß diese Intelligenz Tempo hat. Intelligenz und Gelehrsamkeit sind zwei verschiedene Dinge: ein menschlicher Rang auf der einen Seite und gelerntes Handwerk auf der andren (wobei die Neigung dazu gemeint ist, der Geschmack am Handwerkslehrbetrieb der Wissenschaft; das Talent für Philologie etc. ist wieder etwas andres). »Geist«, Intelligenz ist ein peripherer Lebensvorgang von bestimmtem Tempo.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 299-300Spengler).

„Das wirkliche Leben ist unbewußt. Nur das Besinnen auf das Erlebte ruft uns etwas davon ins Bewußtsein. Wachsein ist (noch) nicht Bewußtsein.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 300Spengler).

„Goethes Unterscheidung von Verstand (= Wachsein, der das Gewordene bemerkt, »daß er es nutze«) und Vernuft (= Erleben). (Spengler). Das Bild der Seele stellt sich dem sprechenden, denkenden Menschen nach Analogie seines Welbildes dar. Die Wahrnehmung der Seele dagegen, das, was bewußt wird neben dem Unbewußten (Carus), wird erlebt als »Gefühl«. Die Seele wird also erlebt als gerichtet (Sehnsucht) oder erkannt als seiend (Angst). Sehnsucht ... strebt im Grunde nach Überwindung des Gegensatzes Mikrokosmos-Makrokosmos, ist also kosmisch, zeithaft, in die Ferne gerichtet. .... Angst ist der Kälte verwandt: der Leib möchte sich zusammenziehen, verschwinden, das Blut stockt. Sehnsucht ist heiß, bewirkt rasches Strömen des Blutes, schnellen Gang etc.. Was so sinnlich wahrnehmbar wird, tritt als »Gefühl« innen ins Bewußtsein. Angst - Verschwindenwollen, Sehnsucht - Sichausdehnen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 302-303Spengler).

„Das Unbewußte ist reines Seelenleben (Innenleben). Der Verstand ist reines Außenleben, also an sich banal. .... Auch im Sprechen liegt viel Unbwußtes, Instinktives. Sprechend verrät sich die Seele. In erregten Zuständen von Einzelnen oder Gruppen kommen die früheren Seelenzustände (die a-c-Seele4 Kulturstufen) heraus, worauf man sich erst später (nach Abklingen der Erregung) besinnt. ... Carus hat Recht: Das Unbewußte ist u.a. das, was die Einzelwesen untereinander (Mutter und Ungeborenes, Familie, Volk, Kultur) mit Klima, Landschaft und Sternen verbindet. In der Kultur liegt also die unbewußte Einheit (zugrunde): Stil ist das Unbewußte (Manier das Bewußte!). Seele der Landschaft ist die Tatsache: daß das Unbewußte in Makrokosmos und Mikrokosmos verwandt ist. Rasse ist auch eine Seite des Unbewußten ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 303-304Spengler).

„Urfragen“ „Seelenleben“ (S. 305-336):

„Angst und Sehnsucht sind die beiden Urinstinkte vor aller Reflexion. »Sehnsucht« nenne ich: menschliche Gefühle, die von innen heraus wirken als empfindendes Gefühl oder als verstehendes Gefühl. »Angst« nenne ich: Gefühle, die von außen herein auf den Menschen wirken, als Beklemmung empfunden, vergeistigt, z.B. als Trauer.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 305Spengler).

„In der Sehsucht wirkt die Flamme des Lebens (Spengler), das Eigne drängt vom Kern des Wesens nach außen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 305Spengler).

„In der Angst dringt das Draußen, das Fremde gegen die Schale des Wesens an.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 305Spengler).

„Sehnsucht wirkt in der Freude z.B. beschwingend, erhöht das Tempo des Blutes, der Bewegungen, steigert die Wärme ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 306Spengler).

„Angst hat eine Tendenz zum Tode, macht kalt, beengt. Der Makrokosmos, das Draußen wird mächtiger als der Mikrokosmos, der defensiv darauf reagiert: sich zurückziehend, sich wehrend (gegen die Welt), zurückweichend ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 306Spengler).

„Zwei Seelenzüge hängen mit dem Wesen der Flamme (Spengler) zusammen: der eine ist periodisch-zeitbejahend, feurig: Sehnsucht; der andre polar-raumverneinend, gegen das Außen gerichtet, kalt: Angst.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 308Spengler).

„Kern (): Ästhetische Werte stammen aus dem Blut, ebenso eThische. Deshalb sind Schlecht und Häßlich verwandt. Haß ist der Widerspruch des Blutes, nicht durch den Verstand zu bekämpfen, oft durch die Rasse bedingt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 313Spengler).

„Schale (): Moralische Werte abstrakt, Wertung durch Sinne. Kausale Werte konkret, Wertung durch Verstand.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 313Spengler).

„Mit der Geschlechtsreife blüht der Mensch, mit der Furcht verblüht er. Das ist die ewige - die innere - Form des Lebens. Schönheit ist das geheimnisvoll Anziehende der fremden Lebensfülle, die zeugen will.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 317Spengler).

„»Schönheit« ist das, was geliebt wird. im Gegensatz zum Häßlichen, Hassenswerten. Alles, was wir sonst schön nennen, Düfte, Luft, Bilder, Kunstwerke, ist aus diesem Urgefühl des anziehenden Schönen entwickelt. »Schönheit«, »Schön« im Ggensatz zum Häßlichen, Hassenswerten ist ein Lebensreiz: Macht und Liebe, Siegen, der Rausch des Überwindens in jedem Sinne, »Erfolg«, der Jubel der Flamme (Spengler). In jeder Art von vitalem Geschehen: im Sexuellen, im Trinken, im Essen, im Handwerk. im geschäftlichen Erfolg, beim Sport und Wettkampf wird »Schönes« empfunden. Von hier aus entwickelt sich die »Ästhetik«. Sie beruht auf dem gehobenen Gefühl bei jeder erfolgreichen Tätigkeit - ... bei dem Sieg, der das Ringen krönt. »Schön« ist zunächst das Gefühl des Sieges selbst ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 317-318Spengler).

„Es ist ein Fehler der Kunsttheorie, von modernen Werken, der Art ihres Reizes für das »Publikum« und der Art ihrer Herstellung zum Zweck des Verkaufes auszugehen. Der Ursprung der Kunst liegt ganz anders.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 318Spengler).

„Schön-häßlich beruht auf einem Wertgefühl: etwas wird als anziehend oder abstoßend, sinnlich empfunden. Gut-schlecht gehört dazu: es beruht auf instinktiver Wertung seelischer Wertung. Wahr-falsch ist Urteil des Verstehens, und zwar theoretisches. Nützlich-schädlich ist Urteil des Verstehens, und zwar ein praktisches. Gut-böse ist Urteil des Verstehens, und zwar ein praktisches. Ein schöner Mensch (Urteil des sinnlichen Wertgefühls), ein lieber Mensch (auf Grund seelischer instinktiver Wertung). Man kann etwas oder jemand lieben, obwohl es häßlich ist (Kombination des instinktiven Wertgefühls und verstehenden Urteils). .... Man findet ein Gesicht, ein Bauwerk, einen Ton häßlich oder schön, ohne seelisch berührt zu sein, rein sinnlich wertend. Man kann einen häßlichen Menschen lieben, einen schönen hassen, einen anderen reizvoll häßlich finden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 319-320Spengler).

„Die Urteile des Geistes (der Schale) sind ... polar urteilend, zerlegend.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 320Spengler).

„Rein feststellendes Werturteil beginnt mit dem Kult (tabu), den Satzungen, die für alles »gut« sind. Böse ist das, was sich ihnen entzieht, böse nicht im moralischen Sinne, sondern es ist damit selbst tabu, verflucht, gefährlich geworden und muß entsühnt werden. Gegenüber diesen Abstraktionen ist Gut-schlecht ein Gefühl für Harmonie und Disharmonie in der Haltung inmitten eines Wir (schlecht ist takt-los, nicht im Einklang). Dieser Wert ist nicht gesetzt, sondern im Blute vorhanden. Wem er fehlt (nicht wer dagegen verstößt), gehört nicht dazu. Ihn trifft Verachtung (der Gemeinschaft, des Wir), nicht Verfluchung. Dem, was schlecht = häßlich ist, wird gut = schön entgegengesetzt, was den eigenen Lebensstil bejaht, als mitlebend, zugehörig, mit dem gleichen Instinkt begabt empfunden wird, was lockend und verführend wirkt. Tanz, Gesang und Farben wirken in diesem Sinne schön, nämlich anziehend. Schon bei Tieren (z.B. Vögeln) ist diese Wertung und Wirkung zu beobachten. Die Seele wertet durch die Sinne: entweder kritisch; dann ist etwas richtig oder falsch = nützlich oder schädlich in bezug auf das »gegen«, das Außen, das Angst erweckt. Oder sie wertet mitlebend das Verwandte als schön und gut, das Nichtverwandte als häßlich und schlecht. In der Wertung eines Lebewesens durch ein anderes messen sich Ideen (Lebensideen) tätig miteinander.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 322-323Spengler).

„Angst ist Angst vor dem Geheimnis des Wirklichen. Sehnsucht ist Sehnsucht nach Verwirklichung eigner Möglichkeiten. Man will wirklich sein, indem man sich verwirklicht. Hoffnung und Mut sind dazu nötig. Mutlos sein heißt nicht mehr wirken wollen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 323-324Spengler).

„Seit wann gibt es die Angst vor dem Leben, die Sehnsucht nach dem Ende?  Seit wann den Selbstmord?  Wie steht es damit bei den Tieren?  Erst der sprechend-denkende Mensch kennt den überlegten Selbstmord. Tiere enden inxtinktiv, der Mensch erst ... kennt einen »Wert des Lebens« und den Wunsch, nie geboren zu sein, die Angst vor der Zukunft, die Reue vor der Vergangenheit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 324-325Spengler).

„Der Zweck ist älter als die Ursache. Der Zweck hat Richtung nach vorwärts in der Zeit, auf ein Ziel hin, er setzt Bewegung voraus. Der Zweck gehört zur Praxis, die Ursache zur Theorie. Das praktische Denken von »Zweck und Mittel dazu« ruft als Nachdenken die theoretische Richtung von der Wirkung zur Ursache hervor, wobei die Wirkung beobachtet, die Ursache aber nur Schluß, also unsicher ist. Die ursprüngliche sinnenhafte Kausalität ist die von Zweck und Mittel. Die andre ist ihrem Wesen nach unsinnlich, abstrakt. Das Denken von Zweck und Mittel ist aus der Tätigkeit entwickeltes Denken. Zukunft ist das »Wohin«, Ziel. Vergangenheit ist das »Woher«. Nur das Raumhaft-gegenwärtige hat kein Woher und Wohin. Zeit ist nicht umkehrbar, deshalb ist die Frage wohin das erste. Sie gehört zu Tendenz und Ziel. Kritische Erfahrung bezieht sich auf Ursache im Raum. auf das Sein und das beständig Mögliche. Instinkterfahrung bezieht sich auf das Werden in der Zeit, das einmalig Wirkliche. Kritische Erfahrung wird von einem Instinkt geleitet, zu einem Zweck benutzt. Rein kritische Erfahrung ist, weil abstrakt, blutlos und ziellos.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 327-328Spengler).

„Obwohl die »Theorie« der Tiere; das Wittern, Sehen, Horchen, in primitiver Weise »Ursachen« versteht, und ihre Praxis Zwecke, also den Augenblick nach vorwärts und rückwärts weitet, leben doch doch Tiere und früheste Menschen ganz in der Gegenwart.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 327Spengler).

„Je mehr die animalischen Wesen dem Zweckhandeln erliegen, desto mehr stellt sich der Reiz des erholenden zwecklosen Handelns, des »Spiels« ein.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 329Spengler).

„Goethe hatte eine Kritik der Sinne verlangt (in: Maximen und Reflexionen, 1190 mit Anmerkung). Und in der Tat, die Form der kausalen und substantiellen Zerlegung (zersehen, zerhören, zerdenken) liegt nicht nur im Verstehen, sondern ebenso im Empfinden: verstehend empfinden. Als reines Verstehen - theoretisches Nachdenken, praktisches Vordenken - vom empfindenden Gesamtdenken abgelöst - nimmt es die unabänderliche Form der Sinne mit, die dem Erkenntnistheoretiker als Form des Vorhandenen erscheinen, aber in Wirklichkeit Form des Empfindens, der polaren Spannung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos sind. Gegnerschaft zergliedert, und das Verhältnis von Mikrokosmos und Makrokosmos ist ein »Gegen«. Also ist Kausalität und Substanz die Form des Makrokosmos in bezug auf einen Mikrokosmos, nicht des Kosmos. Der erkannte Makrokosmos ist ein Bild: Welt als Natur, systematisch.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 329-330Spengler).

„Ethik ist die innere Form des tätigen Seins. Man wählt sie nicht, man erkennt sie nicht einmal, man tut sie nur. Wo im Lebendigen Wille ist, da ist auch Ethos (schon unter Tieren). Auch des Willens sind wir uns oft nicht bewußt. Er liegt tiefer im Wesen des Mikrokosmos als das Nachdenken - d. h. der Wille gehört zum Kern (), das Denken zur Schale (). Die Ethik seines Lebens wählt man nicht. Man wird als einzelnes Wesen in sie hineingeboren. Man erfüllt sie oder erfüllt sie nicht. Im einen Fall ist man Repräsentant der inneren Art, im anderen ein belangloser Zufall. Ethos einer Art von Leben, gepflegt und repräsentiert durch Tradition und Sitte, ist überindividuell. Es gehört zum Fluß der Generationen und steht dem einzelnen als schweigendes, unbegriffenes, gefühltes Gebot, als Takt des Lebens gegenüber. Wer sich nicht in den Takt einfügen kann oder will, zeigt damit, daß er ein verfehltes Individuum ist. Stil des Lebens heißt: Ethos, Instinkt, Haltung; sich so bewegen und halten, so kämpfen. Das ist der Ursinn der Sitte. Jede Art des Lebens hat ihre Sitte des Seins, die lebendige Form (Gestalt) der Flamme (Spengler). Menschliche Sitte ist nur so verfeinert, daß ihr Ursinn vergessen werden kann. Pflanzen haben kein Ethos, aber alle Tiere. Alle Tiere haben das Gefühl der Willensfreiheit; sie haben die Wahl der Richtung, der Bewegung und der Zeit. Erlebt wird der Gegensatz von Freiheit und Gefangenschaft, empfindend erkannt der von Freiheit und Zwang, gedacht der von Freiheit und Kausalzwang.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 331Spengler).

„Grausamkeit gibt es nicht unter Tieren, sondern nur unter Kulturmenschen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 334Spengler).

„Es gibt Achtung selbst der Tiere voreinander: der Starke wird als Herr anerkannt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 335Spengler).

„Moral negiert, besteht in Verboten, Ethik ist positiv, sie gibt Haltung. Wer den Instinkt dafür nicht hat, ist niedrig. Sie beruht auf dem gemeinsamen Takt des Lebens und wird deshalb durch Vorbild, lebende Praxis übertragen, nicht durch Lehre und Theorie.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 336Spengler).

„Urfragen“ „Mensch und Schicksal“ (S. 337-350):

„»Mensch« ist ein Element der allebendigen Natur, das sich gegen die Natur empört und diesen Trotz mit dem Dasein büßen wird. Dadurch hebt sich der Mensch von den übrigen Lebewesen ab, die reine Natur sind, verschmolzen mit dem Weben der Allnatur. »Menschheit« ist der Held dieser Tragödie, »Weltgeschichte« der letzte Akt dieser Tragödie selbst. .... Es kann für den Menschen nichts Höheres gesagt werden als daß er ein wundervolles Stück Natur ist. Idee des Menschen ist die innere Form der Art, wie sie in den edelsten Rassen der schöpferischen Völker erscheint, göttliche Natur. Der Mensch allein ist schöpferisch: er schafft seine Außenwelt, schafft seine Umwelt um, legt sein Geheimnis in das, was seine Sinne und sein Geist spiegeln; als Kunst, Denken, Theorie und Technik, Kult und Mythos, Sprachen, Staat, Recht, Wirtschaft, Sitte und Moral, Kriege und Taten als Verwirklichung von Vision und Traum.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 337Spengler).

„Und diese reiche Welt (der Seele) - die Kultur - wird vom Intellekt überwunden und zuletzt zersetzt, nachdem er die Seele befreit hat. Zuletzt bleibt von der flammenden Schöpferkraft nur der Intellekt übrig. Das Blut, die Flamme (Spengler) ist erloschen, kalt und unfruchtbar geworden. Die Fellachenzeit ist wie ein Waldbrand am Tage nachher, wo immer wieder hier und da ein ohnmächtiges Flämmchen auflodert. Was heißt: Geschichte schauen?  Solange der einzelne fest in den Formen seiner Gesellschaft lebt, kann er nicht frei davon denken - sein Denken selbst hat die Form seiner Zeit. Ist die Kultur zu Ende und beginnt die Zivilisation, so hört das schöpferische Denken auf, und das Widerkäuen des Gedachten beginnt - in immer kleineren Formaten. Dazwischen aber liegt ein Augenblick, in dem den tiefen Menschen ein freierer Ausblick vergönnt ist: das ist die kurze Zeit, wo großes Geschichtsdenken möglich ist. So war es in der Antike, in China; so ist es in der größten überhaupt möglichen Gestalt in der faustischen Kultur.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 338Spengler).

„ Was liegt an Kunstwerken! an Gedanken! an Offenbarungen! Sie sterben mit den Menschen, die für sie Augen und Ohren haben. Was liegt an dem, was ich hier schreibe! Aber ich muß schreiben. Es ist mein Schicksal. Menschengeschichte ist die Wandlung der Lebenseinheit »Mensch« auf dem Hintergrund der Wandlung der Welt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 338Spengler).

„Erkennen als das Aufnehmen von Weltelementen in den menschlichen Wahrnehmungsformen ist Aneignung, nicht Enthüllung. Alles, was ich weiß, ist, daß ich nichts weiß: die Theorie bricht zusammen, und es bleibt als Sinn des Lebens die Praxis, die Tätigkeit. (SpenglerSpenglerSpenglerSpenglerSpenglerSpengler). Nicht das Erkennen wertet das Leben, sondern die Tat. Die ethische Haltung ist Ehrfurcht vor dem Geheimnis. Die logische Hybris ist die Einbildung, sich alles denkend, theoretisch aneignen zu können. An-eignen aber ist (schon) Fälschen. Alle Abstraktion ist anthropomorphes Zerdenken. Da die Logik in ihrem ehrfurchtlosen Griff nach den Gestimen versagt, so bleibt nur das Ethische, das dem Leben Wert und Gestalt gibt. Ethos recht verstanden: als Form des Tuns in Kunst, Politik etc., als Kultur. Der tiefe Mensch hat Ethik, weil er sie in sich fühlt, als eigne Forderung an sich selbst. Ethik ist Form des tätigen Seins. In allem Leben, soweit es Willen hat, ist Ethos. Man wählt das Ethos nicht. Man wird in seineForm hineingeboren.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 339Spengler).

„Lebe selbst so, daß dein Leben das Menschenleben überhaupt wertvoll erscheinen läßt. Die Geschichte wird den Wert deines Lebens messen, durch sein Wollen und Wirken. Das Urteil fällt immer ein anderer.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 339Spengler).

„Man täusche sich nicht: die Geschichte des Kulturmenschen, die wir Weltgeschichte nennen, ruht in ihrer tragischen Kürze und Wucht auf der Geschichte der tierischen Arten, die einen längeren Atem hat, und diese wieder auf der vegetativen Geschichte des Lebens überhaupt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 339-340Spengler).

„Je mächtiger oder flacher ein Kulturmensch, desto tiefer dringt oder desto unbedingter hängt sein Leben an den naturhaften Mächten jener größeren Entwicklungen. Die Pflanzendecke, durchsetzt mit Tierscharen, ruht auf der noch viel langsameren Geschichte der Erde. So ruht auf den gewaltigen Bergen, die in geologischen Perioden aus der Erdrinde emporgehoben sind, ein Wald, in dem sich wieder menschliche Hütten eingenistet haben. Was ist dieser ganze Lärm von Bauten, Schiffen, Bergwerken, Schlachten und Büchern vom Sternenraum aus gesehen: gegenüber der Erdrinde ein Nichts! Bescheiden wir uns! Die Welt unserer Kultur ist nur in unsren Augen etwas Gewaltiges. Aber wir gehören dazu, schaffend und von ihr geschaffen, und deshalb ist sie unser Wichtigstes. Was ich hier darstelle, ist eine Weltgeschichte - Geschichte der Welt, wie sie für uns Menschen Wirklichkeit ist, ... (aber) nicht für den Menschen früherer Stufen (4 Kulturstufen). Die Welt für den Menschen - das ist streng genommen nur die vom Menschen gebildete Welt, die Kultur. Die Natur ist da und lebt, ob nun der Mensch vorhanden ist oder nicht. Geschichte der Natur ist ihr Schicksal.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 340Spengler).

„Vom Leben muß man ausgehen, nicht vom Menschen. Auch das Leben ist nicht das Tiefste, sondern die Welt. Aber ein Lebewesen hat die Welt, seine Welt, nur durch sein Fühlen und Empfinden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 340-341Spengler).

„Der grundlegende Fehler ist, die »Menschenwelt« mit der Welt überhaupt zu verwechseln (Romantik, George, Bachofen, Klages), sie in die engen Grenzen der Geschichte des Kulturmenschen einzusperren, der in dem Werden der Welt nur eine belanglose Episode ist. (Die Auffassung der Welt als) »Menschenerde« hängt mit der Dichte der Bevölkerung zusammen. Von da aus ergibt sich der Aspekt: Menschenwelt mit Hintergrund, während von außen gesehen das All erscheint, darin der winzige Mensch. Der Typus Mensch - leiblich (wie) seelisch - ist ein schweifendes Wesen ohne festen Standort (außer zum Schlafen). Er lebt im Wachsein, also beweglich, weil Sinnenleben und Bewegung unlösbar zusammengehören. Deshalb ist der erste Mensch See- oder Steppennomade. Das pflanzenhafte Seßhaftwerden als Bauer ist wider die Art (wie der Wolf als Hund ein Haustier wird). Es entstehen dadurch - leiblich und seelisch - neue Arten von Rassen. Auf dem (seßhaften) Bauerntum ruht die Hochkultur - deshalb ist sie pflanzenhaft. Die Pflanze Kultur schließt sich in ein Gehäuse ein: Hütte und Dorf, Haus und Stadt. Hochkultur ist Stadtkultur. Folge und Verhängnis der Technik ist die weitere Verfestigung dieser Tendenz. Nur die Nomaden - Matrosen, Piraten, Räuber - haben in den Hochkulturen etwas von der Sede des Urmenschen bewahrt (aber nicht der »Stadtnomade«, der aus einem Gefängnis ins andre zieht). Der Mensch, das schweifende Raubtier, wird durch seine technische Intelligenz in Fesseln verwickelt, in Stufe c (4 Kulturstufen) durch den Pflanzenbau zum Sklaven des Bodens, in den Hochkulturen durch die Stadt entwurzelt, dann welkend. Der Nomade lebt das eigentliche Dasein des Menschen - in Jagdgründen schweifend, dann als See- und Viehnomade, Abenteurer und Krieger.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 341-342Spengler).

„Seit der c-Kutltur(stufe4 Kulturstufen) vertieft sich die Menschenseele in verschiedenen Typen. Das seßhafte Leben hat eine andre Seele als das freie Leben der Seefahrer, Beduinen und Wanderhirten. Aus dem seßhaften, im Boden verwurzelten Bauernleben entstehen die Hochkulturen, die mit der (mütterlichen) Erde verwachsen sind. Aber die Herrenseele, das Herrenethos entstammt dem freien Leben in Steppe, Meer und Wüste.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 342Spengler).

„Der Mensch ist anfangs sehr selten, winzige Trupps in der dichten Pflanzendecke mit zahllosen Tierschwärmen verloren. Seine Entstehung ist rätselhaft. Wir wissen gar nichts darüber, nur über Veränderung der Typen (was Darwin »Entstehung der Arten« nennt). Soweit wir geologisch blicken können, sehen wir nur Arten sich verändern, nie etwas entstehen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 342Spengler).

„Der Mensch ist (zu Anfang) das schwache Raubtier. D(ies)er Widerspruch in seiner Existenz ist seine Tragödie. Er braucht widernatürliche Mittel - den Intellekt, die Technik -, um die leibliche Stärke zu ersetzen, und diese Mittel vernichten ihn zuletzt. Kultur, das Künstliche, ist die Waffe des Schwachen gegen die Natur.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 343-344Spengler).

„Die Geschichte des Menschen ist der ewige Kampf zwischen dem Ethos eines Herrentieres und der Schwäche eines Beutetieres. Der Mensch hat es nötig, seelisch tapfer zu sein, weil er körperlich schwach ist. Sein Instinkt ist herrenmäßig, sein Leib ist zu schwach. Das ist ein Widerspruch in den Bedingungen seiner Existenz, die er zu lösen sucht, zu leugnen, zu überwinden.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 344Spengler).

„Das ganze Dasein des Menschengeschlechtes ist Überwindung seiner Ohnmacht. Er ist ohne natürliche Waffen, deshalb geistesstark.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 344Spengler).

„Desaix rettete bei Marengo Napoleon vor der Niederlage (am 14.06.1800 gegen Österreich; HB) und fiel dann im Gefecht, Das »Urtel der Geschichte«, das Bild der Geschichte verzeichnet aber nur das, was geschehen ist (und zwar aus Sicht der Sieger, der Mächtigsten; HB) und nicht, was hätte geschehen sollen. Kriege und Schlachten, Diplomatie und Revolution hängen (auch! HB) davon ab: ob man Glück oder Unglück hat. Diese Macht ist unerbittlich. »Schuld wird überall gesucht, wo Mißerfolg ist« (Friedrich Nietzsche, Morgenröte). Wir sprechen von »unverschuldetem Mißgeschick«, von der »Gunst der Umstände« (Ludwig Klages, Nietzsche). Das alles gehört zu dem großen Zweikampf zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, zwischen Willen und Schicksal. Schicksal ist nur zu erleben; es ist die metaphysische Macht im lebenden All. nicht die Kausalverknüpfungen in der physischen Welt. Schauplatz des Schicksals ist die Geschichte. Geschichte ist das Schicksal des Kulturmenschen. In der Geschichte ist Schicksal der Erfolg oder Mißerfolg von Taten und der Tatorganisationen, Staaten und Herren. Es gibt Taten gegen das Schicksal: der Mensch hat und ist zugleich Schicksal; seine Taten können glücken oder mißglücken, »verhängnisvoll« wirken - für ihn und andere. Schicksal ist eine Form des Geheimnisses, das durch kausales Denken erschlossen werden soll. Danach strebt die Wissenschaft. Aber wenn man die Waffe »Ursache« und den Tod »Wirkung« nennt, ist man dem Geheimnis nicht hähergekommen.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 345-346Spengler).

„Schicksal ist der Wille von außen, Wille ist das Schicksal von innen. Weltwille ist die Ordnung der Natur.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 346Spengler).

„Problem wird das Schicksal erst auf dem Hintergrund des sprachlich-kausalen Denkens. Erst der Geist zieht die Idee des Schicksals nach sich. Das Selbstbewußtsein beruht auf dem Bewußtsein von Ich und der Welt als Polarität. Hier muß der Mensch feststellen, daß sich etwas (ein Etwas) nicht feststellen läßt. Der Kausalitätsdrang, aus Angst geboren, will alles erklären und kann es nicht. Daraus ergibt sich der »Glaube«, der die Lücken des Wissens verdeckt.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 347Spengler).

„Das Schicksal wird im Leben oft »Zufall« genannt. Der Wille zur Macht des Einzelwesens hat am Zufall seinen Gegner: da ragt der Makrokosmos in den Mokrokosmos hinein. Über Schicksal läßt sich nicht »denken«. Es ist unsinnig, wenn die Naturwissenschaft den »Zufall« kausal zu erklären versucht.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 347-348Spengler).

„Es gibt keine Gerechtigkeit im Geschehen - weder des einzelnen Lebens noch des Lebens der Familien, Völker und Kulturen - recht und unrecht ist ein privater Maßstab, den man an Dinge legt, um sich selbst damit zu messen; wer hätte das je gekonnt ! Recht ist in der Geschichte das Recht des Stärkeren. Das Schicksal ist das, was sich nicht umgehen läßt (z.B. die Tragik der Geburt an einem bestimmten Ort, zu einem bestimmten Zeitpunkt und die damit vorgegebenen Konflikte und Gefahren). Kausalität der Ursachen und Zwecke, Recht und Unrecht - auf dergleichen menschlich-begriffliche Maßstäbe hat die Geschichte noch nie Rücksicht genommen. Ihr Sinn ist größer und tiefer. Vor dem stumpfen Dneken der meisten erscheint sie sinnlos, eine Hölle. Ein Vogel bringt seinen Jungen Nahrung, da trifft ihn eine Kugel. Die Jungen verhungern.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 348Spengler).

„Inneres Schicksal (der Mikrokosmen) - dazu gehört der blinde Drang des Lebens, der Eros, die Erbanlagen, Ort und Zeit der Geburt, die Mitgift des Kosmos an den Mikrokosmos, in dem Kosmisches waltet.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 348Spengler).

„Äußeres Schicksal - das ist die Umwelt mit den in ihr waltenden Mächten, die Landschaft, Gesellschaft, die Ereignisse. Goethes Urworte Daimon und Tyvhe sprechen von diesen beiden Arten des Schicksals.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 348Spengler).

„So hat jeder Einzelne sein Schicksal aus eigner und fremder Wandlung, eignem und fremdem Sosein und Sogeschehen. Auch Familien, Stämme, Gesellschaftsschichten und ganze Kulturen haben ihre eignen Schicksale. Der menschliche Wille (des Hochkultur-Menschen), vom Denken geleitet, bildet sich ein, die Welt nach seinem Ideal formen zu können: das ist Optimismus. Aber die Geschichte vollzieht sich ganz unabhängig von unserem Wünschen und Wollen. Wir denken so, und der Weltwille in uns treibt anders. (Vgl. auch das Sprichwort: Es kommt meistens anders, als man denkt; HB). Denkender Wille ist blind. Das Denken täuscht über den Willen in uns.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 349Spengler).

„Die letze Urfrage, die alle andren in sich schließt, das größte Warum, ist nicht zu beantworten. Das ist der Sinn des Schicksals, dessen, was sich nicht erkennen läßt. Alle Deutungen (als Sinn der Welt, Walten der Götter etc.) sind aus der Angst geboren. Schicksal ist schon, wo, wann und als was man geboren wird: in welchem Jahrhundert, welchem Volk, welcher Schicht: aber auch der Körper der Seele, wenn er krank, schwach, krüpeplhaft ist, gehört zum Schicksal. Die Tragödien der einzelnen liegen in dem Widerspruch dieser inneren und der äußeren Schicksale. Die Art, wie jeder damit fertig wird, kennzeichnet seinen Rang. Die Weltgeschichte ist eine Tragödie, weil der Kulturmensch, im Unterschied zum Tier, geistig genötigt ist, Fragen zu stellen, auf die es keine Antwort gibt. Es ist feige, an die willkürliche Verlängerung des Lebens zu glauben, von einzelnen Völkern und Kulturen. Das ist ein Ausweichen vor der Tatsache der Voll-endung (nur für sich will man sie nicht gelten lassen!). Es ist feige, vom Entstehen und Vergehen das zweite zu negieren, zu unterschlagen. Alles Lebendige vergeht, weil es entstanden ist. Der Wille kann es nicht »verlängern«. Wer das nicht versteht oder es verschweigt, ist minderwertig. Der Mensch ist eine Episode, ein Augenblick im Weltschicksal. Der größte Teil der Kultur ist schon vorüber. Das Ende dämmert auf. Aber was bedeutet das für das Schicksal der Welt ?  Wie klein und unedel ist es, sich an sein eignes Schicksal zu klammern ! Was sind wir! Was bilden wir uns ein zu sein?  Aber für uns Menschen ist es etwas Gewaltiges, mit Bewußtsein das Ganze der Welt in uns aufzunehmen. Das ist »Geist«, das ist Kultur. Das hebt den Kulturmenschen über das bloße Leben hinaus. Damit wird, für uns lang, für die Welt kurz, trotz der Bedeutungslosigkeit des »Lebens« für die Welt, für uns etwas Bedeutendes daraus. Der Kulturmensch, der geistige Mensch hat eine Aufgabe, einen Sinn in sich. Insofern hat er recht, seine kurze Geschichte als Weltgeschichte zu denken.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 349-350Spengler).

„Urfragen“ „Anhang“ (S. 351-380):

„(Fragen nach dem) Ursprung ... (Fragen nach der) Flamme (dem Urerlebnis Spenglers [Spengler]; HB) .... (Fragen nach) Erwachen - Wachsein, Ich und Welt; Wissen und Glauben; Sprechen und Denken; Bewegung und Zeitgefühl; Zeitgefühl und Zeitbewußtsein; Individuum und Generation; Seele und Leib; Instinkt, Trieb, Wille; Pflanze und Tier; Leib und Organ; Sinnenwelt; Seelenleben; Mensch und Schicksal. .... Metaphysik im Umriß .... Entwurf einer Frühgeschichte der Menschheit.“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 353-360Spengler).

„»Urfragen«
- Entwurf einer Frühgeschichte der Menschheit -
Einleitung
1. Wie ich dazu kam:
Von der morphologischen Deutung der Gegenwart zurück zu den Anfängen der tragischen Hochkulturen - Nun von deren Deutung zurück bis zu den kindlichen blühenden, lyrischen Anfängen der »Menschwerdung« - Was ist das als geschichtliches Bild, seelisch, metaphysisch (als Wesen)?  - Dieses Buch ist eine Antwort - Es enthält das Epos des Menschen (humana comoedia) bis zur tragischen Entzweiung von Natur (Rasse, Seele, Instinkt) und Kultur (Ich, Stadt, Gesellschaft)
2. Innere Bedeutung dieser Entwicklung:
Was ist »Menschheit«?
Zuerst innere Einheit der Gattung, nicht bewußt von innen, sondern als tatsächliche Form - Mit den Kulturen zunächst noch Substrat einer Entwicklung, dann lediglich Summe, endlich Begriff, während die gefühlten Einheiten immer kleiner werden
Was ist »Geschichte« ?
Erst Gattungsgeschichte, dann Rassengeschichte, dann Kulturgeschichte, endlich Weltgeschichte ....“ (Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. 354Spengler).


NACH OBEN „Briefe“

„Die ganze Sentimentalität bei Thomas Mann (Mann) ist deshalb so verlogen, weil ihre Wurzel noch in der romantischen Belletristik steckt. Er erzählt scheinbar moderne Stoffe, aber mit einem ganz veralteten Gehalt (Biedermeierempfindsamkeit oder Heine [Heine] ins Großstädtisch-Homosexuelle projiziert). Das merkt das Lesevolk natürlich nicht. [1913 an Hans KlöresBrief an Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 24Spengler). Brief an Klöres

„Wer heute etwas Bleibendes machen will, muß eine Idee in sich fühlen, die noch gar nicht zum allgemeinen Bewußtsein gelangt ist.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 25Spengler).

„(Ende März 1914 ... die Ankündigung: ...) ... nun doch die ganze Arbeit (gemeint ist: Der Untergang des Abendlandes; HB) ... jetzt abschließen.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 26Spengler).

„(Adolf WeigelWeigel) ... das Manuskript fleißig in die Maschine (diktiert).“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 27Spengler).

„In dem Deutschland, das durch technische Intelligenz, Geld und den Blick für Tatsachen seine Weltstellung befestigt hat, wird ein vollkommen seelenloser Amerikanismus zur Herrschaft gelangen, der Kunst, Adel, Kirche, Weltanschauung zu einem Materialismus auflöst, wie er nur in Rom der ersten Kaiserzeit schon einmal vorhanden war.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 29Spengler).

„Die Unehrlichkeit und Verlogenheit unserer Pinsler und Schmierer ... Was sich als Denker und Dichter breit macht ... - dumm, schmutzig und schäbig.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 29f. Spengler).

„Ich beneide die Leute, die ... den Krieg erleben. [25.10.1914 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 31Spengler).

„Aber das ist gewiß: dieser Krieg (der 1. Weltkrieg; HB) ist kein abschließendes Ereignis, sondern der Beginn einer neuen ungeheuren Epoche, die vielleicht noch ganz andere Katastrophen heraufführt.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 32Spengler).

„Ihre Einberufung war mir eine große Überraschung ... - nun lernen Sie den Krieg selbst kennen. Er wird für Sie sehr wertvoll sein, mit eigenen Augen wenigstens dem Schluß dieser großen Ereignisse zusehen zu können.. [30.01.1915 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 34Spengler).

„Ein Roman soll die Summe des Daseins einer Epoche ausschöpfen ..., ein Drama kann das nicht. ... Ein Roman kann nur durch Reichtum Gehalt erlangen und wir hatten seit 80 Jahren keinen innerlich reichen Menschen mehr in unserer Literatur.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 35Spengler).

„Verfolgen Sie die preußische Geschichte in ihrem wundervoll organischen Aufstieg ..., ein riesenhaftes Fortschreiten auf dem Wege zur Weltmacht ..., wie es nur noch die Römer 300-50 v. Chr. erlebt haben. [14.07.1915 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 42Spengler).

„Meine Hoffnungen gehen auf eine neue deutsche Meisterprosa. Vom Vers erwarte ich nichts mehr. Eine Prosa, die über Luther und Goethe hinaus, weitab vom Snobismus Nietzsches, etwas von dem verkörpert, das ich »Hindenburgstil« nennen möchte, kurz, klar, römisch, vor allem natürlich. ... Ich finde gutes Deutsch oft in Leitartikeln, bei Bismarck, in Geschäftsberichten unsrer großen Industrieunternehmen, aber nie in Romanen.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 45Spengler).

„(Nach Kriegs-) Ereignissen ... Sehnsucht, ... (die das) große Leben (sind) ... [07.09.1915 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 46Spengler).

„Angst, ... Schrecken ... (vor dem) ... Gespenst der Einberufung [03.11.1915 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 49Spengler).

„(Den Band [gemeint ist: Der Untergang des Abendlandes, Band I; HB]) ... gern noch in diesem Sommer (1916) drucken lassen (nicht ausgeben), um ihn los zu sein. Der wird allerdings wie ein Bergrutsch in einen flachen Teich in die Gegenwartsliteratur fahren.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 54Spengler).

„Wir haben aber noch keine innere Form für den deutschen Roman.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 56Spengler).

„Augenblicklich habe ich mir die genaue Disposition eines längst in Notizen vollständig gesammelten kleinen Buches vorgenommen, die ... ich fertigstellen will. [17.01.1917 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 65Spengler).

„Ich wünsche mir so sehnlich die Möglichkeit, täglich einige Stunden mit jemandem sprechen zu können, um so ... ein kleines Buch nach dem andern ins reine zu schreiben. ... Die Sachen schließen sich ja langsam von selbst; es kommt Ordnung, Disposition und Abrundung hinein, aber ein gewisses Etwas hindert mich, mit dem Letzten anzufangen. Ein Jahr, ohne seelischen Druck und mit entsprechendem Umgang, und ich hätte in zehn kleinen Bänden den ganzen Umkreis meiner Geadnken für die Öffentlichkeit reif gemacht. [03.03.1917 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 71Spengler).

„(Der) Erste Band des Untergangs des Abendlandes ..., Metaphysik als philosophische Höhenbetrachtung der Zeitlage ..., historische Analyse ..., Realpolitik [01.05.1917 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 74Spengler).

„Ich lebe derartig einsam, daß ich in der Regel tagelang mit niemandem spreche, und das ist eine Voraussetzung für mich, in meiner Weise zu arbeiten. Sobald ich gezwungen bin, auch nur einige Stunden mich mit anderen zu unterhalten oder gar etwas auseinderzusetzen, muß ich es mit Kopfschmerzen bezahlen. [24.06.1917 an Hartnacke] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 79Spengler).

„Ich habe nur vier Bücher fertig geordnet, Abschnitt für Abschnitt klar durchdacht, hier; ich brauchte nur ein anderer Mensch zu sein, um sie in ein paar Wochen diktiert zu haben, ich brauchte nur einen Menschen in meiner Nähe, der mich geistig wieder in Gang bringt. [06.11.1917 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 81Spengler).

„»Vieles steht wie eine Erfüllung da. Hier ist der Wurf gelungen. Aber um so stärker erregt mich der Gegensatz: daß für Sie die Kulturen etwas pflanzenhaft Wachsendes sind und daher die geschichtlichen Entscheidungen in die Sphäre des Zufalls fallen, daß Ihnen jede der Kulturen etwas Isoliertes bleibt, daß die Individualität derselben zwar als etwas Ursprüngliches erfaßt ist, aber dieser Dämon als festgelegt gilt, so daß die Gestaltung des Lebens zu Kulturen nur in Neuschöpfungen verläuft, daß die Kontinuität ihren Sinn verliert und das Zusammengelebt-werden des Heterogenen nicht eine spezifisch historische Form von Einung und Spannung ist, sondern bloße Maskerade.« [Georg Misch am 08.11.1918] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 110Spengler).

„Mein Buch hat inzwischen, obwohl noch keine einzige Besprechung erschienen ist, sich weit verbreitet und denjenigen Eindruck gemacht, den ich erhoffte. Ich habe zahlreiche Urteile gehört, die mich gefreut haben, weil sie zeigen, daß ich verstanden worden bin. Simmel hat kurz vor seinem Tode in seinem Kreis erklärt, es handle sich um die bedeutendste Geschichtsphilosophie seit Hegel.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 111Spengler).

„Niederlage ..., Zusammenbruch alles dessen was mir innerlich teuer und wert gewesen ist [18.12.1918 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 111Spengler).

„... Diktatur, irgendetwas Napoleonisches ... als Erlösung [18.12.1918 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 111Spengler).

„(Ein einerseits vom Adel) - »nachdem er von jeder feudal-agrarischen Enge gereinigt ist« - (und andererseits vom einfachen Volk) - »nachdem es sich von der anarchisch-radikalen ›Masse‹ durch Ekel und Selbstgefühl abgesondert hat« - (getragener Sozialismus) ... [27.12.1918 an Hans Klöres] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 115Spengler).

„(Zur Absage an die am 08.11.1918 erfolgte) ... »prinzipielle« Anfrage von Georg Misch, ob Herr Spengler eine Professur für Philosophie an der Universität Göttingen zu übernehmen bereit sei ... [Antwortbrief vom 05.01.1919 an Georg Misch] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 116 Spengler).

„Daß Hegel (und deshalb wohl auch Dilthey) vor seinem Bilde der Weltgeschichte den Eindruck hatte, daß hier ein Schatz von höchsten menschlichen Möglichkeiten sich ständig vermehre, eine einheitliche Aufgabe mehr und mehr erfüllt werde, ist natürlich, obwohl ich schon bei Goethe Einblicke allertiefster Skepsis finde (von ihm und seinem Urphänomen habe ich denn auch den Gedanken der selbständigen, pflanzenhaften Kulturindividuen). .... Der Stand des Wissens um 1820 rechtfertigte noch den Glauben an etwas Absolutes »hinter« den einmaligen individuellen historischen Ereignissen. Indessen sehen wir heute Indien und China und Mexiko mit ihren erstorbenen Kulturen. Was ist von den Schöpfungen der ägyptischen in die antike als lebendiger Geist übergegangen? .... Es ist ein rein faustisches Bedürfnis, ein überindividuelles Element anzunehmen, das sich trotz aller historischer Niedergänge einem Ziel zu bewegt.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 116 Spengler)

„Ich habe nun sieben Jahre lang, ohne Erholung, unter den ungünstigsten äußeren Verhältnissen gearbeitet und endlich doch wenigstens das eine Buch fertig gebracht (gemeint ist: Der Untergang des Abendlandes, Band I; HB), immer in der Hoffnung auf eine Erlösung aus dieser Art von Dasein. Jetzt geht es nicht mehr.“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 122Spengler).

„Ich sehe in der zunehmenden Radikalisierung Deutschlands kein Unglück. Wir müssen hindurch ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 123Spengler).

„»Die einseitige Beurteilung der Kulturen als geschlossene Größen ... fehlerhaft gegenüber ihrem kettengliederartigen Ineiendergreifen, mögen dabei auch die Kettenglieder neue Werte erhalten haben .... (Ob Spengler nicht) zu schnell den Gedanken beseitigt habe, daß sich doch durch den Wechsel der verschiedenen Kulturen das Werden einer, sei es auch nur im allgemeinen Zügen zu fassenden Kultur hindurchziehe« [Adolf Harnack am 30.10.1919] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 191Spengler).

„»Gemeinsame mythische Grundlage der Menschen aller Kulturen. .... Das ist der Punkt, in dem ich gerade als Erdgeschichtsforscher von Ihrer Gesamtanschauung differiere, daß nicht jede Kultur ihre eigne mythische Zeit und Geisterwelt hat, sondern daß sie aus einer gemeinsamen schöpfen, wenn auch die Zeit, in der jede daraus schöpft, natürlich verschieden ist.« [Edgar Dacqué am 14.06.1922] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 199Spengler).

„»Die Menschheitsbildung ist ein einheitliches Ganzes, und die Religion ist Kern und Stern derselben; die Religion ist ein einheitliches Ganzes, und die Erlösererwartung ist Kern und Stern. Die Konstanz der Idee ist erschütternd, Und wenn Sie Ihre Metaphysik eine Etage höher höben und mit ›dem Auge Gottes schauten‹, wie in Ihrer ersten Auflage stand, würden wir uns gewaltig nähern.« [Alfred Jeremias am 02.07.1927] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 191Spengler).

„»Oswald Spengler, reiten Sie allein - Ihr Gaul geht sichrer!« [Eleonore Quesada am 16.04.1922] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 191Spengler).

„(In Spenglers Hauptwerk ist) »... bei dem Streben nach einer einheitlichen universalen Auffassung der Geschichte viel zu viel konstruiert und oft aus Analogie und Parallelerscheinungen zu viel gefolgert. .... Für meine Denkweise kommt dabei die unendliche Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit aller Geschichte und die Besonderheit des Einzelfalles zu sehr zu kurz.« [Eduard Meyer am 25.06.1922] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 202Spengler).

„»Ihre Welthistorischen Perspektiven geben ... höchst belehrende und höchst überraschende Durchblicke durch die Weltgeschichte, wie man solche bisher noch nicht bekommen hat. .... Sie bieten viel, sehr viel. Auch decken Sie die dieWeltgeschichte beherrschenden Ideen ... oder wie man jetzt besser sagen kann: die Wahnideen auf, durch welche die Menschheit sich führen und verführen läßt.« [Hans Vaihinger am 29.08.1922] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 210f.Spengler).

„Metaphysik (SpenglerSpengler) sollte heute nur noch von solchen getrieben werden, die eines ganz primitiven Denkens und Fühlens fähig sind. Dazu gehört der Umgang mit Kindern, Hunden, Katzen .... Eine Schule der Weisheit würde also das Leben selbst sein, wenn man es von jeder Berührung mit bewußtem Philosophieren freihält. [30.12.1922 an Hermann Graf KeyserlingSpengler] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 232f. Spengler).

„Ich selbst halte es für einen Vorzug, daß ich nie etwas wie eine philosophische Schule durchgemacht habe und die ganze philosophische Literatur der Gegenwart nicht kenne .... Unter Weisheit verstehe ich etwas, das man sich nach Jahrzehnten harter praktischer Arbeit abseits von aller Gelehrsamkeit erwirbt .... Eine Schule der Weisheit würde also das Leben selbst sein ... [30.12.1922 an Hermann Graf KeyserlingSpengler] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 233Spengler).

„Was die russische Reise betrifft, so wünsche ich natürlich die russische Architektur und prähistorischen Ausgrabungen in den Museen der größeren Städte kennenzulernen ... und würde sehr gern die persönliche Bekanntschaft der führenden Professoren in Petersburg und Moskau machen. Ich glaube, daß dieser Grund wichtig genug ist, zumal ich jetzt an einem Buch arbeite, dem diese Dinge zugrundeliegen. [01.09.1924 an Martin Blank] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 351Spengler).

„Ich arbeite augenblicklich wieder an einem größeren philosophischen Werk. [17.04.1925 an Otto Liebmann] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 389Spengler).

„Dienstag früh fahre ich in ein kleines Nest irgendwo in Sizilien, um da ein neues philosophisches Buch still für mich in Ordnung zu bringen, ohne daß mich Telegramm und Telephon, Besuch und Brief erreichen. [09.02.1925 an Elisabeth Förster-Nietzsche] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 368Spengler).

„»Wenn Sie schon in der Individualität (nicht bloß im allgemeinen Typus) der primitiven Kultur die Kulturentelechie aufsuchen, die sich in ihr auswirkt und auseinanderlegt, so erkennen Sie damit (wie ja auch sonst) ein inneres Gesetz des Werdens an.« [Eduard Spranger am 14.04.1926] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 441Spengler).

„»Ich bin nicht ganz sicher, inwieweit Ihre eigene Methode zu arbeiten und sich Urteile zu bilden, mit dem Axiom, das Sie mir hier entgegenhalten, in Einklang zu bringen ist. Hier erkenne ich eine für mich bei Ihnen jedenfalls neuartige Tendenz, das Gedruckte, die Fachgelehrten und die Spezialwissenschaftlichkeit zu adorieren, und ich habe mich vergeblich in Ihrem eigenen Werke nach einer Stelle umgesehen, aus der zu ersehen ist, daß Sie von diesem Satz als Grundlage ausgegangen wären.« [Leo Frobenius am 24.02.1927] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 503Spengler).

„»Übersehe ich das Ganze als eine Einheit, so erhalte ich ... den Eindruck, daß diese Angriffe erfolgt sind, um eine eigene Meinung ungestört aufwachsen zu lassen und vor der Abfassung einer eigenen Schrift über diese Dinge der früheren Freundschaft zu kündigen und gewissermaßen über ihr den Stab zu brechen, um die störenden Elemente zu beseitigen.« [Leo Frobenius am 24.02.1927] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 512Spengler).

„Sehr geehrter Herr Fauconnet!
Seit ich Ihr Buch über meine Philosophie kennengelernt habe, ist es mein Wunsch gewesen, Ihnen einige Worte des Dankes und der Anerkennung zu senden. Ich will Ihnen ganz offen gestehen, daß unter der Masse von Literatur, welche mein Werk hervorgerufen hat, in Deutschland nichts entstanden ist, was sich mit Ihrer Kritik messen kann. .... Zum Schluß: es würde mir eine besondere Freu-de sein, wenn ich Ihnen eine meiner Arbeiten, die Sie noch nicht besitzen, oder mein Bild senden könnte. Wollen Sie mir mitteilen, was Sie sich wünschen?
Mit den besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener O. Spengler“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 516-517Spengler).

„Einen Irrtum möchte ich aus für mich wichtigen Gründen berücksichtigen: ich habe der nationalsozialistischen Bewegung, die zu dem Münchener Putsch führte, nicht nur ferngestanden, sondern sogar, leider vergeblich, das Äußerste zu verhindern versucht. Mein kleiner Vortrag »Politische Pflichten der deutschen Jugend« ist an dem Tage gehalten worden, wo der Prozeß gegen Hitler begann. Ich bin der Meinung, daß Politik sich auf nüchterne Tatsachen und Erwägungen und nicht auf einer Romantik der Ge-
fühle stützen darf?“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 517Spengler).

„Hochverehrter Meister!
Ihr freundlicher Brief hat mir eine große Freude bereitet, und ich danke Ihnen herzlich dafür. Sollten Bild und Handschrift es bald bestätigen, was die Klaviatur der Schreibmaschine unpersönlicher ausgedrückt, so würde die von der ersten Frühlingssonne erhellte Wand meiner stillen Arbeitsstube einer mir so wert-vollen Sendung freudig entgegenlächeln. Was Ihre Lehre betrifft, so ist meine Rolle eine sehr bescheidene gewesen und zwar ungefähr die eines elektrischen Umschalters, der eine übermächtige Strömung zum – Hausbedarf umbildet. Und natürlich mußte ich auch nicht vergessen, aus Furcht vor dem Gewitter, die Antenne zu »erden«. Ich bin ja Staatsbeamter, und, als Franzose, von meinem »Habitus«, von Raum und Zeit bestimmt, aber ich hatte es Ihnen mit Recht zugetraut, sie wüßten, wie Schiller sagt, »den Mann von seinem Amte zu unterscheiden«. .... Die Einfühlung habe ich nicht er-zwungen. Ich schrieb, weil ich mußt!, und da ich mußt, so konnt’ ich’s. Der »Herbst«, der schrieb für mich. .... Was Wunder, daß Ihr Brief, theurer Meister, mir eine hohe »Freude« war. Sein Zauber bindet ja wiederum, was die Mode streng geteilt. So sang es gestern von Langenburg her, dank dem Funker, der so freundlich war, die Chorsymphonie, also die Kultur, die fürchterliche englische Jazzmusik, also die »Zivilisation«, eine Weile übertönen zu lassen.
In treuer und dankbarer Verehrung
André Fauconnet?“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 521Spengler).

„Der Tod Eduard Meyers ist um so erschütternder, weil man aus der gesamten Presse ersieht, daß im Grunde niemand seinen Rang geahnt hat und an seinem Schaffen irgendwelches Interesse nahm. Jeder kleine Dutzendgelehrte, von Bühnenkünstlern, Boxern und Verbrechern ganz zu schweigen, würde mit seinem Tode mehr Eindruck gemacht haben. Ich fühle sogar, daß an den Universitäten im Grunde genommen ein Aufatmen stattfand, weil nun der Mann verschwunden ist, an dessen Maße gemessen sich die Arbeiten der anderen herzlich klein ausnahmen. [07.09.1930 an Hans Erich Stier] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 616Spengler).

„Ich habe mir immer gedacht, daß Eduard Meyer zuletzt die Konsequenzen seiner Einsichten auf das gesamte Gebiet der Geschichte ziehen würde, und hoffte, daß er eines Tages darüber das grundlegende Buch schreiben würde.. [10.11.1930 an Hans Erich Stier] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 617Spengler).

„Wenn man dem angeblichen sterbenden Bauerntum »den Arbeiter«, das heißt den Fabrikarbeiter, als neuen Typus gegenüberstellt, entfernt man sich von der Wirklichkeit und damit von jedem Einfluß auf die Zukunft, die ganz andre Wege gehen wird. [25.09.1932 {Jünger} an Ernst Jünger, der sein Buch „Der Arbeiter“ mit einer respektvollen Widmung (05.09.1932) Spengler zugesandt hatte] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 667 f. Spengler).

„Sehr gehrter Herr Reichskanzler!
Ich erlaube mir, Ihnen heute ein Exemplar meines neuen Buches zugehen zu lassen, das ich freundlich anzunehmen bitte. Ich würde es begrüßen, wenn ich gelegentlich Ihr Urteil über diese Fragen mündlich entgegennehmen könnte.
Mit sehr ergebenem Gruß
Ihr ... [18.08.1933 an Adolf Hitler] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 699Spengler).

„In diesem Fall liegt die Sache so, daß ich mich aus bestimmten Gründen noch nicht entschließen kann, eine französische Übersetzung (des Buches »Jahre der Entscheidung«; HB) zu gestatten. Sie wissen ohne Zweifel, daß mein Buch bei einem Teil der in Deutschland regierenden Partei mißverstanden worden ist .... Da mir nichts ferner liegt als eine Handlungsweise, die man als Vernachlässigung vaterländischer Pflichten auslegen könnte, so muß ich bis auf weiteres – das soll nicht heißen für immer – auf eine Übersetzung ins Französische verzichten ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 721Spengler).

„»Eine Geschichte von der Art, wie Sie sie in ihren Briefen skizzieren, können zur Zeit nur Sie schreiben.« [Hans Erich Stier am 30.04.1934] ....“ (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 725Spengler). Stier

 

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Anmerkungen:


Spenglers Disseration „Der metaphyischen Grundgedanke der heraklitischen Philosophie“ (1904Spenglers Dissertation) wurde veröffentlicht unter dem Titel „Heraklit - Eine Studie über den energetischen Grundgedanken seiner Philosophie“.Spengler

Kriechen (am Boden im Wasser!) => Schwimmen => Kriechen (am Boden mit Luft!) => Fliegen. Und weiter: Gehen (Laufen) => Schweben (im Weltall!).

Dies schrieb Spengler im Jahre 1913 in einem Brief an den Hamburger Freund Hans Klöres (Klöres), den er als Lehrerkollegen 1908 in Hamburg kennengelernt hatte. Als Spengler 1911 nach München umgezogen war, hatten sich beide aus den Augen verloren, doch 1913 erschien Klöres überraschend zu Besuch in Spenglers Münchener Wohung in der Arcisstraße 38 (Vgl. Wohnungen). Von da an begann ihre Freundschaft - Klöres wurde „zur wichtigsten Bezugsperson für Spengler“ (Frank Lisson Oswald Spengler - Philosoph des Schicksals, 2005, S. 110Lisson). Laut Lisson verfolgte Klöres „die Entstehung der Arbeiten Spenglers interessiert“, unterstützte Spengler dabei „nach Kräften“, erwirkte 1919 „bei der Hamburger Wissenschaftlichen Stiftung ein Stipendium über 3000 Mark für den viel über Erschöpfung klagenden Freund, damit dieser den zweiten Band seines Werkes in Ruhe beenden könne“; doch der Erfolg des ersten Bandes sorgte schon „dafür, daß Spengler das Geld nicht benötigt. Ermutigt durch seine plötzliche Popularität, wächst Spenglers Selbstvertrauen. Er liebäugelt mit dem Gedanken, als Berater großer Firmen oder Personen in die Nähe der Macht zu gelangen, und fordert Klöres auf, ebenfalls »Tatmensch« zu werden, das heißt, sich aktiv am politischen Geschehen zu beteiligen. Der Hamburger, selbst schriftstellerisch ambitioniert (Klöres), läßt sich jedoch nicht beirren und bleibt skeptisch.“ (Frank Lisson, ebd., S. 110-111).

In diesem Brief vom 30.12.1922 an Hermann Graf Keyserling (1880-1946Keyserling) ging es um Spenglers Ausschlag der Einladung des Grafen zur Teilnahme an einer Tagung seiner „Schule der Weisheit“ („Schule der Weisheit“).

In Zusammenarbeit mit Hans Erich Stier, Herausgeber der Zeitschrift: Die Welt als Geschichte (Stier), in der folgende Aufsätze von Oswald Spengler erschienen: Zur Weltgeschichte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends (Heft 1-5, 1935); Plan eines neuen Atlas Antiquus (Heft 4, 1936); Altasien (Heft 4, 1936).

Zitat: Hans Erich Stier.

„›Urfragen‹, eine elementare Entsprechung zu Goethes ›Urworten‹, zu ›Ursymbol‹ und ›Urphänomen‹, sind nach Spengler »Fragen, die ihre Wert in sich selbst haben; sie kennzeichnen den Frager, sei es ein Mensch, eine geistige Strömung, eine Kultur« (Ebd., S. 71). Sie »haben keine Antwort, sie sind die Antwort selbst. Metaphysik ist das Stellen ewiger Fragen ohne Antwort« (Ebd., S. 69-70). Jede Menschwerdungsstufe, jede Kultur formuliere diese Fragen anders. Die »Formen und Gründe« des Fragens, geordnet »in Gestalt einer Geschichte dieses Fragens« erfassen: das bedeute die wahre Morphologie der Weltgeschichte“ (Anton M. Koktanek, Einführung, zu: Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. IX-XXXSpengler). „Daß Spengler sich über fünfzehn Jahre mit dem Plan zu dem vorliegenden Werke (Urfragen) trug und es gleichwohl trotz intensiver Denkarbeit nicht mehr vollendete, liegt sicherlich nicht nur an widrigen Schicksalen. Ebenso liegt es nicht nur an den allerdings großen Schwierigkeiten der Textentzifferung und Kompilation, daß Spenglers Schwester (Hildegard; 1885-1942) und Nichte (Hildegard; 1910-1959) durch weitere Jahrzehnte den ›Urfragen‹ nicht die abschließende Fassung geben konnten. Die Hauptursache ist wohl Spenglers ›faustischer‹ Versuch, sein eigenes Hauptwerk philosophisch wie historisch zu überwinden. Wie jedem echten Philosophen ging es Spengler um ein System, worüber seine Polemik gegen Systeme und Systematik nicht hinwegtäuschen kann, - um das System einer konkordanten Natur- und Kulturanschauung, eine Stiftung der poietischen Vernunft, nicht aus dem Begriff sondern aus der Anschauung entfaltet: Welt als Gleichnis, nicht als Gleichung. In seiner Dissertation über Heraklit () nennt Spengler dessen Werk »eine großgedachte Dichtung, eine Tragödie des Kosmos«; er selbst fügt eine großgedachte Dichtung; die Tragödie des Mikrokosmos - des Menschen, seiner Geschichte und Kultur - hinzu. Crescendo verbo verba deficiunt. Also verstummt er an der Schwelle des umgreifenden Entwurfs, ähnlich wie Schelling verstummt im Übergang zu seiner »positiven Philosophie«.“ (Anton M. Koktanek, Vorwort, zu: Oswald Spengler, Urfragen, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. VIISpengler).

„Ursprünglich war für den vorliegenden Nachlaßband der Titel ›Weltgeschichte von Anfang an‹ vorgesehen ... Wenn die erste Absicht doch aufgegeben wurde, hat das zwei Gründe: Die bewußte Stelle ist nicht eigentlich als Titel gedacht, sonderm als Proklamation einer Absicht, nämlich eine Weltgeschichte zu schreiben, die ›von Anfang an‹ (dieser Titel ist von Spengler selbst in Anführungsstrichen gesetzt) emporgeführt werden sollte, ›das heißt von der Zeit an, wo die menschliche Seele sich innerlich von der Tierseele abzuheben beginnt‹ (Oswald Spengler, Die Welt als Geschichte, 1. Heft, 1935 bzw. Reden und Aufsätze, postum, S. 158). Zum zweiten schien diese Proklamation auf einen Horizont zu zielen, den Spengler, wie das Material beweist, bei weitem nicht erreicht hat.“ (Anton M. Koktanek, Einführung, zu: Oswald Spengler, Frühzeit der Weltgeschichte, in: Fragmente aus dem Nachlaß, postum, S. VIISpengler). Spengler ist leider zu früh gestorben. Jedenfalls „Der Titel dieses Buches stammt von Oswald Spengler selbst.“ (Anton M. Koktanek, ebd., S- VII).

Oswald Spengler wohnte 1901-1902 und wieder 1911-1936 in München. Seine Wohnugen befinden sich alle im Stadtteil Schwabing: Kaulbachstraße (1901-1902), Arcisstraße 38 (1911-1914), Agnesstraße 54 (1914-1925; innerhalb des Hauses 1920 Umzug in eine größere Wohnung im dritten Stock), Widenmayerstraße 26 (1925-1936). Arbeitszimmer

 

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