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Kulturenvergleich - |
Urdenker | Vordenker | Frühdenker | Hochdenker | Spätdenker | Nachdenker | Enddenker |
Spät-Denker |
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- Spätdenker sind Denker erwachsener Art -Wenn nach dem Denkhebel verlangt wird, weil man mit ihm das Denkspiel ideenreich noch einmal herumreißen will, dann ist die Zeit der Spätdenker gekommen. Sie beginnt als Frühmodernistik z.B. mit dem Deutschen Idealismus, der Romantik, dem Frühhistorimus und dem Frühnihilismus, erreicht als Hochmodernistik ihren Höhepunkt (Tiefpunkt) z.B. mit dem Totalnihilismus und dem Hochhistorismus, hat als Spätmodernistik ihre Spät- bzw. Endphase z.B. mit dem Spätnihilismus, dem Späthistorismus und dem vernetzenden Globalismus, der sowohl eine Vollendung als auch eine vielversprechende, adventische Geistesgeburt darstellt. Erwachsen und zivilisiert geworden, schaffen die Frühmodernisten ein die Endgültigkeit visionär vorwegnehmendes Philosophiesystem, das die Hochmodernisten auf den Kopf stellen oder neostilistisch ausbauen und die Spätmodernisten noch einmal zusammenfassen, weil sie es allen, jedem und keinem recht machen wollen. Sie alle sind Spätdenker, denn die Wissensräume sind eng geworden, seitdem sich die Systeme und Disziplinen als Wissenschaften von der Philosophie getrennt haben. (). Aus der mehr Wissen vermittelnden rationalen Philosophie der Hochdenker (), durch die tatsächlich die Trennung von Philosophie und Wissenschaft vollzogen wurde, kann nur noch eine systematisierende, mit dem Leben und dem Tod der Wissenden, mit deren Geistesgeburt sich beschäftigende Philosophie werden. Doch nur diese Neu-Theologie kann die Spätdenker in die Lage versetzen, ihre Fackel an die Nachdenker () und/oder die Vordenker () zu übergeben, damit das Nachdenken und/oder Vordenken mit einer Neu-Religion - quasi als Neu-Übung - beginnen kann. Die Spätdenker sind also die Vordenker der Nachdenker und/oder die Vordenker der Vordenker. Das ist, als wolle man das Unmögliche möglich machen. Spätdenker müssen es schaffen, Retrospektive und Prospektive so in Übereinstimmung zu bringen, daß sogar z.B. das Denken im Uterus vorstellbar, weil vordenkbar, wird. Sie müssen das Spiel lesen können. Die Spätdenker können Philosophie nur noch betreiben, indem sie, vom letzten Stand der Hochdenker-Dinge - der Neu-Theologie - ausgehend, eine Neu-Religion schaffen. So wie die Fußballgötzen in der demokratischen Alltäglichkeit, wie die Mediengötzen in der plutokratischen Wirklichkeit, so haben die Denkgötzen nur noch im religiösen Glauben eine Chance, sich zu behaupten. Der Modernismus ist die eine (kirchliche), die Modernistik die andere (weltliche) Seite einer Neu-Theologie bzw. Spätphilosophie. Der Idealismus kann nur durch seine streng realistische Antithese, sofern ihn der Nihilismus nicht doch noch untergehen läßt, auf ein erhöhtes Niveau gebracht werden, und in der Phase der Befruchtung muß die sich daraus ergebende Synthese die These in erhöhter Form in sich aufbewahren (= aufheben, ganz im Sinne Hegels). Mit Platon und Aristoteles ist der Antike diese denkerische Leistung gelungen. Und dem Abendland?Zum Vorverständnis: Was in der Antike zwischen 370-350 begann, das begann im Abendland 1780-1800. Ja geistig, aber auch seelisch, ja vor allem körperlich und also auch demographisch gesehen, denn für eine jede Kultur bedeutet das, daß die zu ihr gehörenden erwachsenen Menschen anfangen, immer weniger Kinder zu bekommen - zuerst Geburtenrückgang, dann Geburtendefizit, zuletzt Tod des Volkes -, während die Kultur selbst Nachkommen erwartet, nämlich aus Angst davor, selbst unterzugehen und in Zukunft einer neuen Kultur Platz machen zu müssen. Da nicht vorhersehbar ist, ob und, wenn ja, wann das wirklich eintreten wird, kommte es immer häufiger zum Aufschub.Schon Ende des 18. Jahrhunderts zeigten sich die ersten Anzeichen des abendländischen Geburtenrückgangs in Frankreich. Die große Revolution von 1789, die hier den Übergang zur Zivilisation vermittelte, bedeutet gewissermaßen auch den Wendepunkt von der Fruchtbarkeit zur Unfruchtbarkeit des französischen Volkes.
Frühes SpätdenkenIdealismus als Frühmodernistik oder Frühnihilismus als Frühmodernistik?Idealismus als eine philosophische Phase jeder Kulturgeschichte scheint auf Langfristigkeit, wenn nicht sogar auf Endgültiglkeit abzielen zu wollen. Bereits im frühen Herbst beginnt auch jede denkende Kultur instinktiv für den späteren Winter so viel (Geistes-) Nahrung wie möglich anzulegen. Bekanntlich muß für ein Lebewesen bis zum Ende des Winters zumindest noch ein kleiner Teil der Nahrung vorhanden sein, der ihm das Überleben trotz der vielen anderen Todesgefahren sichern kann. Auch eine angesammelte Geistesnahrung bedeutet nicht gesichertes Überleben, aber immerhin trägt sie erheblich dazu bei. Was die abendländische Kultur erst zukünftig beweisen kann, ist der antiken Kultur zumindest nahrungstechnisch gelungen. Obwohl die Antike noch im kulturellen Winter verstarb, sollten nämlich zwei ihrer Philosophie-Schulen ihn überdauern und in der neuen Kultur des christlichen Abendlandes auf Linie gebracht werden: Platon (427-347) und Aristoteles (383-322) waren deren Begründer. Sie verhalten sich zueinander wie z.B. Kant (1724-1804) und Hegel (1770-1831). Aber man muß zwei zeitlich gegeneinander austauschen, um auch die inhaltliche Übereinstimmung zu bekommen. Der Grund dafür liegt in der Tiefe der beiden Kulturseelen, in zwei gegensätzlichen Seelenbildern und Ursymbolen.Wer einzelkörperlich und punktuell denkt, der bringt auch die großen politischen Visionen in eine entsprechende Körperordnung (Platon) und erst danach bezüglich der Einzelheiten in eine Epistemologie (Aristoteles). Wer aber vom unendlichen Raum ausgeht, agnostizierend und indem er jedem wahrnehmungslosen, bloß spekulativ-konstruktiven Denken die Fähigkeit zu irgendeiner Wirklichkeitserkenntnis abspricht (Kant), der läßt das Göttliche als Transzendenz außen vor und konzentriert sich zunächst auf das Wesentliche und die Erfahrungen, die ihm eine faustische Kultur bereits als Grundlage liefert; erst danach widmet sich der Nachfolger den Ideen und dem All-Einen, abendländisch ausgedrückt: der Phänomenologie des Geistes und dem Panlogismus (Hegel). Deshalb folgten in der Antike die Einzelwissenschaften den Ideen und im Abendland die Ideen den Einzelwissenschaften. Hierdurch wird der Gegensatz Antike-Abendland deutlich erkennbar: die Antike ging in ihrer Kindheit und Jugend durch die familiäre und schulische Lehre der Kosmos-Idee und verpaßte die eigene experimentelle Erfahrungswissenschaft, das Abendland ging in seiner Kindheit und Jugend durch die familiäre und schulische Lehre der experimentellen Erfahrungswissenschaft und verpaßte die eigene Kosmos-Idee. Jetzt versuchten beide deshalb über den zweiten Bildungsweg das nachzuholen, was sie zuvor verpaßt hatten. Das Schicksal hatte ihnen zuvor via Seelenbild und Ursymbol andere Wege vorgezeichnet. Man kann sich das auch klar machen, wenn man sich die Begriffe Kosmos und Universum auf der Zunge zergehen läßt: in der Antike bedeutete Kosmos Ordnung, während wir unter Universum eher Chaos als Ordnung verstehen, jedenfalls assoziativ. (Vgl. Kosmos). Den Kosmos experimentell- wissenschaftlich zu untersuchen, kam den antiken Menschen gar nicht in den Sinn, und wenn doch, dann nur über eben diesen zweiten Bildungsweg. Der fällt aber, wie erwähnt, in den meisten Fällen so aus, daß er das Seelenbild einer Kultur eher bestätigt als verändert. Der faustische Abendländer weiß schon aus Erfahrung der klösterlichen und wissenschaftlichen Vergangenheit heraus, was ihm zu tun übrig bleibt. Die Dinge, die wahrnehmbar sind, werden verändert, und erst in Reaktion darauf wird über den Rest der Dinge spekuliert. Wenn also die Antike wie das Abendland gewesen wäre, dann wäre aus Platon ein Kant und aus Aristoteles ein Hegel geworden. Weil sie aber kulturell sozialisiert waren - die Enkulturation und primäre Sozialisation (6-12) lagen längst hinter ihnen -, verliefen die Dinge auf umgekehrte Weise. Ein Antike-Abendland-Tausch sähe dann Kant, der platonisch erschienen wäre, und Hegel, der aristotelisch um die Säulen gewandert wäre. Analog gesehen kommt Platon natürlich eher Hegel und Aristoteles eher Kant gleich. Elterliches Erbgut sowie primäre und sekundäre Sozialisation sind also nicht nur für sogenannte Individuen das alles Entscheidende, sondern auch für Kulturen.Platon (eigtl. Aristokles, 427-347) Sohn des Ariston und der Periktione, stammte mütterlicherseits aus reicher und vornehmer Familie Athens. Nach dem Tod des Sokrates (399), dessen Schüler Platon 8 Jahre lang war und dessen Prozeß er erlebte, hielt er sich eine Zeitlang bei dem Eleaten Eukleides von Megara auf, der ebenfalls ehemaliger Schüler des Sokrates war. Eukleides' megarische Schule war eine der an Sokrates orientierten Philosophenschulen, die eine Synthese zwischen dem sokratischen Begriff des Guten und dem unbeweglichen, unveränderlichen Sein der eleatischen Philosophie zum Ziel hatte. Auf Reisen nach Unteritalien und Sizilien lernte Platon auch die Denkweise der Pythagoräer kennen. Platon war zu Beginn seiner Karriere Dichter, wandte sich von der Dichtung jedoch ab, weil sie seit 387 v. Chr. laut Gesetz ziemlich grausame Theaterstücke aufführen durfte und deshalb u.a. zu einer Götter-Blasphemie herabsank. Platon gründete wahrscheinlich deshalb 385 v. Chr. eine Schule, die (dem altattischen Heros) Akademos gewidmet war; und diese Akademie sollte sich bis 529 n. Chr. halten. Die Ältere Akademie war stark pythagoräisch beeinflußt: das Problem von Idee und Zahl spielte erkenntnistheoretisch eine große Rolle. Später sollten noch die Mittlere Akademie, seit 270 v. Chr., und die Neuere Akademie, seit 160 v. Chr., folgen: vgl. die Akademien im Altplatonismus, den Mittleren Platonismus, die Auswirkungen auf die Gnosis, den Neuplatonismus, die Patristik. Platon setzte sich mit der Ideenlehre von Sokrates ab, obwohl er sie in den (mittleren und späteren) Dialogen seinem Dialoghelden Sokrates in den Mund legte. Für ihn waren die unveränderlichen Ideen die Urbilder der veränderlichen Dinge, ihr Programm, ihr Ziel und Zweck. Er nahm bei seiner Ideenlehre die Mathematik (Geometrie) zum Vorbild aller anderen Wirklichkeit, wie schon vor ihm Pythagoras (580-500) und seine Schüler. (). Platon schrieb Dialoge, tatsächliche und fiktive Gespräche mit Sokrates (470-399), seinem Lehrer. Platon lehrte, daß die Sinnenwelt scheinhaft sei und von archetypischen Urbildern oder Ideen abstamme. Ein nicht sinnlich erfahrbares geometrisches Gebilde, z.B. ein gleichseitiges Dreieck, wird hinter dem sinnlich erfahrbaren Dreieck, dessen Darstellung es ist, gedacht oder in nicht sinnlicher, formaler Anschauung vorgestellt. Die gerade Linie, der Punkt, eine Fläche: das sind alles mathematische Gegenstände. Es gibt sie nicht in Wirklichkeit. Aber die Wirklichkeit ist durch sie erkennbar, rekonstruierbar. Über dem Eingang der Akademie Platons soll deshalb der Satz gestanden haben:
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Platons Schriftwerke:
Apologie Euthyphron Gorgias Kratylos Menon Phaidon Symposion Politeia Phaidros Theaitetos Parmenides Sophistes Nomoi Timaios |
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Aristoteles' Schriften (Auswahl): 1.)
Logik 2.)
Naturwissenschaft 3.)
Metaphysik 4.)
Ethik 5.)
Rhetorik 6.) Poetik
Kants
Tafel der
2.)
Qualität 3.)
Relation 4.)
Modalität |
| Fichte ging also von Kants ethischem Rigorismus und Aktivismus aus. Fichtes Philosophie ist die wissentliche Selbstbeobachtung der schöpferisch-ethischen Aktivität der Persönlichkeit, des Ich. Also heißt seine Philosophie Wissenschaftslehre (1794). Fichte stellte in diesem Sinne drei Tathandlungen des Ich fest: 1.) Das Ich setzt sich selbst; 2.) Das Ich setzt sich einem Nicht-Ich entgegen; 3.) Das Ich setzt sich im Ich einem Nicht-Ich entgegen. Das Ich war für Fichte der Inbegriff des gegen die Trägheit ringenden Willens der Menschen. Demnach gäbe es ursprünglich nur eine absolute Tätigkeit: das Ich. So betrachtet stellen wir uns Dinge außer uns dadurch vor, daß das Ich eine Realität in sich aufhebt (außer sich setzt) und diese aufgehobene Realität in ein Nicht-Ich setzt, das ja auch eine Tathandlung des Ich ist. |
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Die Überzeugung, daß das Bewußtsein einer dinglichen Welt außer uns absolut nichts weiter sein soll als das Produkt unseres eigenen Vorstellungsvermögens, soll uns zugleich die Gewißheit unserer Freiheit geben. Nicht als bestimmt durch die Dinge, sondern als die Dinge bestimmend ist das Ich zu denken. Für Fichte war die Welt nichts anderes als das Material unserer Tätigkeit, das versinnlichte Material unserer Pflicht. Alles, was zur Tätigkeit gefordert ist, ist auch sittlich gefordert. Dahin gehört vor allem die Ausbildung des Körpers und des Geistes und die Eingliederung in die menschliche Gemeinschaft, denn die Arbeit an der Sinnenwelt, die Kulturarbeit, kann nur eine gemeinsame sein. Andererseits haben alle Staatsbürger das Recht sowohl auf formale Freiheit und Schutz vor Vergewaltigung als auch auf Eigentum, Arbeitsgelegenheit und Teilnahme an den Erträgen der Staatswirtschaft, wie Fichte in seinem Geschlossenen Handelsstaat (1800) dargelegt hat. Weil seit Fichtes Wissenschaftslehre (1794) von Gott nicht mehr die Rede war, kam es zum Atheismusstreit - Fichte verlor dadurch auf ungeschickte Weise seine Professur in Jena und wurde 1810 Rektor der Berliner Universität -, obwohl Fichte sich schon in der 1800 erschienen Bestimmung des Menschen auf Gott besonnen hatte, als ein durch ihn hindurch fließendes und wirkendes und nur mystisch erfahrbares All-Leben. Das Ich war also hier schon wieder durch das Absolute oder Gott ersetzt, das im Ich erscheint. Gott war nämlich für Fichte in den blinden Fleck des Bewußtseins, in eine Art schwarzes Loch, geraten; seine geistige Erweckung hatte Fichte laut eigener Auskunft dem Berliner Domprobst Spalding zu verdanken, und seitdem sah Fichte vieles wieder anders: Die Bestimmung des Menschen besteht aus den drei Teilen Zweifel, Wissen, Glaube. Wie, wenn ich selbst nur geträumt bin? - Es erscheint der Gedanke, daß ich empfinde, anschaue, denke; keineswegs aber: ich empfinde, schaue an, denke, Nur das erstere ist Factum; das zweite ist hinzu erdichtet. ... Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder. .... Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird ..., das Denken ... ist der Traum von jenem Traum. Fichte schaute also in den Abgrund der negativen Selbstreferenz, stieß ans unvorstellbare Nichtsein, an den Tod. Etwas außer der bloßen Vorstellung Liegendes heißt das, nach dem Fichte von da an verlangte und fand, daß zumindest sittliches Tun Bestimmung des Menschen sei, denn: unser Bürgerrecht ist im Himmel, und die ganze Bestimmung kenne nur er, der Vater der Geister. Der Welt absterben, sich von der Welt lösen, um wiedergeboren zu werden in einem anderen Leben - das war von da an die die religiös-platonistische Devise des Idealisten Fichte. Er wurde weiterhin bekannt durch seine Reden an die deutsche Nation (1807-1808). Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) kreierte ein System, das aus 3 Teilen besteht (): der Logik (Ontologie), die das Sein Gottes vor Erschaffung der Welt nachvollzieht, der Naturphilosophie, die Gottes Entäußerung in die materielle Welt zum Inhalt hat, und der Philosophie des Geistes, die die Rückkehr Gottes aus seiner Schöpfung zu sich selbst (zu seinem Selbstdenken) im menschlichen Geiste schildert. Am Ende steht wiederum die Logik - diesmal jedoch die von Gott im Menschen vollzogene, die sich aber inhaltlich von der ersten nicht unterscheidet. Das Prinzip der dialekischen Entwicklung (Dialektik ) ist die aus dem Widerspruch resultierende Bewegung. Schon in der Natur findet ein allmähliches Insichgehen der Äußerlichkeit statt, aber die eigentliche Rückkehr des Geistes aus seinem Anderssein (= Natur) vollzieht sich erst im Menschen. Der Mensch, der zunächst naturhaft seelenhaft (Anthropologie) existiert, trennt sich auf der Stufe des erscheinenden Bewußtseins (Phänomenologie) von seinem unmittelbaren Dasein und tritt in Gegensatz zu ihm, bis er als Geistwesen (subjektiver Geist) seine eigene geistige Substanz als identisch mit seinem bewußten Verhalten erkennt. Die gleiche Entwicklung machen die von der Gemeinschaft der Menschen geschaffenen Formen wie Recht, Moralität, Sittlichkeit durch, bis hin zum Staat (objektiver Geist). Auch hier ist die 3. Stufe wiederum die Synthese der beiden ersten, die sich antithetisch zueinander verhalten. In der konkreten Sittlichlkeit (von Familie, Gesellschaft und Staat) ist eine Einheit von rechtlichen Verhalten und moralischer Gesinnung das Entscheidende. Diese Einheit erreicht im Staat ihre höchste, weil allgemeinste Form. Daher ist der Staat für Hegel der erscheinende Gott, denn Gott ist die Einheit von Subjektivität und Objektivität schlechthin. Über den Gebilden des objektiven Geistes stehen die 3 Gestalten des Anschauens, Vorstellens und Wissens (diese 3 als absoluter Geist) der absoluten Identität von Substanz und Subjekt. In der Kunst wird diese Einheit nur erst angeschaut, das Gedankenhafte (Ideelle) scheint durch die Materie hindurch, in der Religion wird sie in einer jenseitigen Person vorgestellt, die zugleich Gott (Denken des Denkens) und Mensch (im sittlichen Dasein) ist, und erst im absoluten Wissen wird diese Einheit als vollkommene Identität von subjektivem (menschlichem) und absolutem (göttlichem) Geist gewußt, erst hier erreicht die Erhebung des endlichen Wesens Mensch zum Unendlichen ihr Ziel.
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Hegels Freiheit besteht aber darin, daß der Mensch seine Wesensidentität mit dem Absoluten erkennt und sich mit den letztlich auch vom Absoluten geschaffenen Gebilden des objektiven Geistes und ihrem Wollen - Staat und Recht - identifiziert. Kein deutscher Denker, selbst Kant nicht, hat so nachhaltig auch auf fremde Nationen gewirkt wie Hegel. So wie Alexander von Humboldt (1769-1859) als wissenschaftlicher Entdecker Amerikas gilt, so gilt Hegel als der universalierende Weltgeist der Weltgeschichte. Sein bekanntestes und genialstes erstes größeres Werk, die Phänomenologie des Geistes, ging um die ganze Welt. Der Hegelianismus (Gegenteil: Aristotelismus?), der sich in eine Rechte (theistische), eine Mitte (Gans, Michelet u.a.) und eine radikale Linke aufspaltete, also Althegelianer (Gegenteil: 1. Aristoteliker?) und Junghegelianer (Gegenteil: 2. Aristoteliker?) und damit die folgenreichsten Hegel-Nachfolger - auch Marx und Engels waren Hegelianer - hervorbrachte, verbreitete sich weltweit und mündete in den Neu-Hegelianismus (Gegenteil: Aristarchos' Neu-Aristotelismus?). Könnte es deshalb in Zukunft nicht auch einen Hegelianischen Soziologismus (Gegenteil: Aristotelische Stoa?) geben? Auch der Kantianismus (Gegenteil: Platonismus), der Altkantianer (Gegenteil: Alte Akademie?), Neu-Kantianer (Gegenteil: Mittlere Akademie?) und Neu-Neu-Kantianer (Gegenteil: Neuere Akademie?) hervorbrachte, könnte in Zukunft weitere Kantianismen entwickeln und auch Mittlerer Kant(?)ismus (Gegenteil: Mittlerer Platonismus?) und Neuerer Kant(?)ismus heißen, wobei letzterer dann tatsächlich ein Neukantianismus (Gegenteil: Neuplatonismus?) wäre. Überhaupt entwickelte sich ja der gesamte Idealismus über bestimmte Neoismen zum Neu-Idealismus (vgl. 20-22) und über weitere neue Ismen (Neo-Neoismen) zum Neu-Neu-Idealismus. (Vgl. 22-24). Die über die eigene Kultur hinausreichende Wirkung, die Platon und Aristoteles erreichten, könnte auf abendländische Weise auch für Kant und Hegel gelten. Eine Wirkung bis ins Unendliche? | Kantianismus Hegelianismus Neu-Kantianer Neu-Hegelianer |
Gott ist ein Schluß, der sich mit sich zusammenschließt. (Hegel)Hier sei noch einmal an das Problem der Universalien erinnert: Die Universalien sind im Geiste Gottes vor den Dingen, in der Realität in den Dingen und im menschlichen Geist nach den Dingen. Man kann den möglichen drei Antworten (vor, in, nach) die drei großen Philosophen zuordnen: Platon, Aristoteles und Kant; aber der vierte große Philosoph, Hegel (für den Alles Schluß war), stellte in seiner Enzyklopädie und ihren drei Teilen (syllogistisch) die Dreieinigkeit von Logik, Natur und Geist dar, entsprechend der Dreieinigkeit von Gottvater, Gottsohn und Heiligem Geist. Die Einheit der drei ist ein Schluß. Die Logik wird der Natur entgegengesetzt und im Geist mir ihr verbunden. Dies ist die dialektische Figur der von Fichte aufgestellten drei Grundsätze. Das System ist ein System aus Dreiecken, die sich durch selbstähnliche Abbildung, wie bei einem Fraktal, vermehren. Hegel hat das selbst in seiner Zeichnung vom göttlichen Dreieck angedeutet. Hegels Enzyklopädie endet und kulminiert in einem Zitat des Aristoteles. Denn der Vernunft wirkliche Tätigkeit ist Leben, die Gottheit aber ist die Tätigkeit; ihre Tätigkeit ist ... ewiges Leben. Hegel meinte damit, die Entgegensetzung von Glauben und Wissen endgültig überwunden und zugleich alles begriffen zu haben - alles, bis ins kleinste Detail hinein.Nach
Hegel heißt philosophisch denken |
Die Anfänge der Soziologie als selbständiger Wissenschaft liegen im 19. Jh; ihr Begründer ist Auguste Comte (1798-1857), von dessen sechsbändigem Cours de philosophie positive (1830-42) die drei letzten Bände die Soziologie enthalten. Von Comte stammt auch das Wort Soziologie. Er entwickelte auf der Basis seiner empiristischen, von ihm positivistisch genannten Philosophie eine Soziologie als Naturwissenschaft. Danach ist Soziologie die Lehre vom menschlichen Gemeinschaftsleben als dem Inbegriff der Wechselwirkung der Individuen aufeinander. Von d' Alembert (1717-1783), dem ersten Positivisten oder Hume (1711-1776), ebenfalls Vertreter des Positivismus, unterscheidet sich Comte durch das von ihm erstellte System des Positivismus. Comte verwarf jede Metaphysik. Er lehrte, daß der menschliche Geist in seiner Entwicklung drei Stadien zu durchlaufen habe (später sagte er, daß dazu noch eine Religion der Menschheit nötig sei): das theologische, metaphysische und positivistische Stadium. (Vgl. rechts).Comtes Gesetz gilt für die Vernunft wie für die Gesellschaftsentwicklung. Im ersten, theologischen Stadium werden alle Phänomene theologisch, also durch göttliche Mächte erklärt. Die Gesellschaft ist entsprechend theokratisch und kriegerisch organisiert. Im zweiten, metaphysischen Stadium werden alle Phänomene durch abstrakte Ideen und Ursachen erklärt, und die Gesellschaft ist durch einen juristischen Machtapparat organisiert. Im dritten, positiven Stadium gibt es nur noch erfahrungswissenschaftliche Erklärungen, auch für gesellschaftliche Phänomene. Exakte Prognosen sind möglich. | Kant (1724-1804) Kindesalter: Dogmatismus
| Hegel (1770-1831) Familie: Natur-Seele | |
Soziologie entsteht und mit ihr ein wohlgeordnetes Gesellschaftsleben. Später meinte Comte, dazu sei noch eine Religion der Menschheit nötig, ein Kult des großen Wesens. Um den Fortschritt zu beschleunigen, bedarf es also zuletzt der Aktivierung der Gefühle durch eine allgemeine Menschheitsreligion, deren höchster Gegenstand die Menschheit selbst sein soll. Die Anliegen dieser Religion: Liebe als Prinzip, Ordnung als Grundlage, Fortschritt als Ziel. Tatsächlich fand Comte mit seiner dem Katholizismus sehr ähnlichen Religionslehre ziemlich großen Anklang. Seine Anhänger, also eigentlich Wissenschafts-Gläubige, verehrten Comte selbst als Heiligen. |
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Kapitalismus (Thesis) - |
Hohes SpätdenkenTotalnihilismus als Hochmodernistik oder Hochnihilismus als Hochmodernistik?Der Nihilismius ist der Standpunkt der absoluten Negation und wurde als Terminus schon von Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) in seinem Sendschreiben an Fichte (1799) eingeführt. Der theoretische Nihilismus verneint die Möglichkeit einer Erkenntnis der Wahrheit (wie der Agnostizismus die Erkennbarkeit des wahren Seins), der ethische die Werte und Normen des Handelns, der politische jede irgendwie geartete Gesellschaftsordnung. Vielfach ist der Nihilismus nur ein radikaler Skeptizismus, z.B. bei Schopenhauer (1788-1860), Nietzsche (1844-1900) u.a.. Man muß sich nur bestimmte Namen (z.B. Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Goethe u.s.w.) in Erinnerung rufen, um festzustellen, daß es natürlich kein Zufall ist, wenn der Nihilismus in allen Kulturen in der Phase des Idealismus entsteht. Er stellt eine Reaktion auf die klassische (auch klassizistisch genannte), auf die (napoleonisch) unumschränkt herrschende idealistische Allmacht dar. Er entwickelt sich also als unmittelbare Folge auf den Idealismus und erreicht seinen Höhepunkt - eher sollte man von Tiefpunkt sprechen -, wenn die Klassiker endgültig von der Bühne abgetreten sind und sich das Gefühl durchsetzt, daß die obersten Werte sich entwerten, jene Werte, die allem Tun und Leiden der Menschen erst Sinn geben, daß es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben oder zu sterben lohnt, daß das Bewußtsein aufkommt, es sei alles umsonst. Alles, was ist, auch das menschliche Erkennen, ist ab jetzt Erscheinungsform des Willens zur Macht; hier gibt es kein absolutes Sein mehr, denn Sein ist ab jetzt Werden, aber kein endloses Neuwerden, sondern ewige Wiederkehr dessen, was schon unendlich oft dagewesen ist. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht. (Nietzsche). So sehr Wahres in Nietzsches Aussagen steckt, so sehr sind bestimmte spätere Folgen, die sich daraus für Menschen ergeben können, als ein wohl kaum noch zu therapierendes Symptom zu bezeichnen, das sich in einer 180°-Drehung (vgl. Negation der Negation, Hegel) und schließlich in einer absoluten Selbst-Negation ausdrücken kann. Überwinden sollte Nietzsches Sei du selbst () den Scheinmenschen, den Heidegger (1889-1976) später als Man bezeichnete, aber nach dem alles entscheidenden Weltmachtskrieg gab es besonders auf der Seite der Kriegsverlierer einen Seitenwechsel, durch den das Sei du selbst zwar noch nicht aufgehoben, aber bereits neo-nihilistisch relativiert wurde zu einem Sei du selbst der alliierte Sieger (auch als Verlierer!?). Später, im Postnihilismus gelang die 180°-Drehung mit dem Slogan Sei du selbst der Fremde (Sei du selbst der Ausländer). Also war man spätestens seit etwa 1968 Sieger statt Verlierer und später auch Nicht-Deutscher statt Deutscher, Ausländer(In) statt Inländer(In). Man war immer nur der gute Mensch, zwar ein selbstbewußtloser, aber gut. Und das ist auch gut so, wurde zu einer ernst gemeinten Rechtfertigung der völlig Verunsicherten. Die Tatsachen wurden verdreht, man machte die ältere Generation einfach zum Buhmann, die entweder abzutreibende oder abzuschreibende jüngste Generation zum Scheidungsproblem und wähnte sich dennoch als der ewig gute, stets moralisch die Grundstellung einnehmende Missionar. Ohne Geschichte wirklich (!) zu bedenken, bestand die nach dem 2. Weltkrieg erfolgte Geschichtsverarbeitung also darin, sich selbst zu verleugnen. Heute ist es nicht mehr nur die elterliche Herkunft, sondern sogar die eigene Sprache, die verleugnet wird: Wir können alles, außer Hochdeutsch (!). Hochdeutsch entwickelte sich primär aus dem Oberdeutschen (Alemannisch, Bairisch). (Vgl. DEUTSCH: AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD,  Früh-NHD, Klassisches NHD, Hochklassik des NHD und Spät-NHD).Geschichtlichkeit ist eines der wesentlichen Erkennungsmerkmale des Abendlandes, und genau deswegen waren schon die ersten abendländischen Nihilisten dazu verdammt, die eigene Geschichte ganz aktiv zu verdrängen oder sie als abschreckendes Beispiel ganz dynamisch auf die Zukunft zu projizieren: Der faustische Nihilist, Ibsen wie Nietzsche, Marx wie Wagner, zertrümmert die Ideale, der apollinische, Epikur wie Antisthenes und Zenon, läßt sie vor seinen Augen zerfallen; der indische zieht sich vor ihnen in sich selbst zurück. (Oswald Spengler, 1917 S. 456).Vermutlich kam Oswald Spengler (1880-1936) besonders durch Friedrich Nietzsche (1844-1900) zu der Erkenntnis, wie sehr das Abendland sich seiner Kulturkleider bereits zu seiner Zeit entledigt hatte, um zu Bett zu gehen. Wenn der Kulturherbst die meisten Blätter bereits von den Bäumen geblasen hat, dann ist an den halbnackt dastehenden Bäumen, nimmt man sie als Metapher, der Kulturabbau besser zu erkennen als z.B. im immergrünen und trotzdem bereits abbauenden Sommer, der, so gesehen, vom Frühling profitiert (wie die Hochdenker von den Frühdenkern). Die ersten, noch winterlichen Gewächse (z.B. die Germanenreiche), die ersten Blüten im Frühling (z.B. das fränkische und sächsische Reich) und die hellgrün leuchtenden Bäume im Frühling (z.B. das salische und staufische Reich): sie stehen für den Kulturaufbau. Deshalb ist die Gotik und sind die gotischen Kalhedralen der Inbegriff für den Abschluß des Kulturaufbaus, der kulturelle Sommer aber der Inbegriff für dessen Fortsetzung als stolzes Beharren und Verteidigen (ganz im Sinne der Gegenreformation und des Barock) - mit dem absolutistisch-barocken Höhepunkt im Hochsommer (wie sollte es auch anders sein). Aber zur der Zeit, als Nietzsche und Spengler lebten und der kulturelle Herbst wie ein nahender Untergang am stärksten zu spüren war, da war selbstverständlich auch der Nihilismus am stärksten. Daß er heute nicht mehr so stark bzw. modifiziert ist, ändert nichts an der Tatsache, daß sich der Untergang weiter fortsetzt, denn ab jetzt ist es nicht mehr der Nihilismus selbst, sondern sind es seine Folgen, die diesen Prozeß mit gleicher Geschwindigkeit oder gar mit Beschleunigung vorantreiben, wie später z.B. die rapide Zunahme von Kinderlosigkeit und Kinderfeindlichkeit beweisen sollte.Die von Arthur Schopenhauer (1788-1860) entwickelte willensmetaphysische Lebensphilosophie wurde nicht nur zur Modephilosophie des 19. Jahrhunderts, sondern auch ein ernster Wegbereiter für Nachfolgerund Nachahmer. (). Bereits Kierkegaard mit seinem Existenz-Subjektivismus, dann Nietzsche und Spengler, später die Existenzphilosophen Heidegger, Jaspers und Sartre, um nur einige Beispiele zu nennen, blieben dieser ersten abendländischen Lebensphilosophie, diesem Skeptizismus treu. Ob auch Sloterdijk dieser Richtung folgten oder sogar eine abendländische neu-akademische Skepsis begründen wird, ist noch nicht abzusehen, denn er gehört unserer Gegenwart an und ist noch jung. Jedenfalls wird die internationale Schopenhauer-Gesellschaft wohl auch in Zukunft eine Schule von Dauer bleiben, denn ebenso verhielt es sich in der Antike mit der Weiterentwicklung des Pyrrhonismus (Pyrrhons Skeptizismus). Einer der Schopenhauer-Anhänger, der Nietzsche-Freund Paul Deussen, (1845-1919) und die beiden Schüler Gwinner und Kohler, gründeten am 30.11.1911 jene internationale Gesellschaft mit dem Ziel, das Studium und das Verständnis der Schopenhauerschen Philosophie zu fördern. Diesem Ziel dienen natürlich noch heute das Schopenhauer-Archiv, als Zentralstelle der Schopenhauer-Forschung, die seit 1912 erscheinenden Jahrbücher der Gesellschaft und ihre internationalen wissenschaftlichen Tagungen. Paul Deussen war auch Übersetzer und Darsteller der indischen Philosophie, deren Gedanken er mit der Philosophie Schopenhauers zu einer Metaphysik vereinigte.Friedrich Nietzsche (1844-1900) war von Schopenhauers Willensmetaphysik und vom Kampf-ums-Dasein-Prinzip seiner Zeit stark beeinflußt. Der Kampf ums Dasein stammt also ursprünglich von Schopenhauer und nicht von Darwin, der Schopenhauer nur kopierte - 40 Jahre später (!). Daß ihm Schopenhauer nicht nur ein Lehrer, sondern vor allem ein Erzieher gewesen ist, betonte Nietzsche in seiner 1867 verfaßten Abhandlung über Schopenhauer deutlich und mit Nachdruck. Trotzdem kommt man nie auf Nietzsches Resultat. Sein Zarathustra (1883) ist vielleicht der romantisch verkleidete Wille zur Macht. Nietzsche nannte sein bekanntestes Werk nach Zarathustra (7. / 6. Jh. v. Chr.), weil dieser im Kampf des Guten und des Bösen das eigentliche Rad im Getriebe der Dinge gesehen habe. (). Da Nietzsche für sein eigentliches Hauptwerk mit dem Titel Der Wille zur Macht - Versuch einer Umwertung aller Werte nur Notizen und Aphorismen hinterließ, gab seine Schwester Elisabeth dieses Material als Buch unter dem Titel Der Wille zur Macht heraus. Nietzsches Wort Nihilismus bedeutet die Erscheinung, daß die obersten Werte sich entwerten, jene Werte, die allem Tun und Leiden der Menschen erst Sinn geben, daß es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben oder zu sterben lohnte, daß das Bewußtsein aufkommt, es sei alles umsonst. Von Schopenhauer und Darwin ausgehend, wollte Nietzsche den neuen Menschen, den Übermenschen schaffen, dessen Aufgabe es sein sollte, alles Verlogene, Krankhafte, Lebensfeindliche zu vernichten. (). Seine Philosophie sollte an die Stelle eines philosophischen Nihilismus treten, den er herannahen sah. Nietzsches metaphysische These läuft auf den Willen zur Macht und auf eine Schicksalhaftigkeit hinaus. Alles, was ist, auch das menschliche Erkennen, ist Erscheinungsform des Willens zur Macht; es gibt kein absolutes Sein, sondern Sein ist Werden, aber kein endloses Neuwerden, sondern ewige Wiederkehr dessen, was schon unendlich oft dagewesen ist. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht. Nietzsches Bedeutung liegt aber nicht in der Metaphysik, sondern in dem Beitrag, den er für die Bekämpfung des spekulativen Denkens und vor allem für die Einbeziehung des Denkens in das Leben geleistet hat. Der Denker auf der Bühne heißt er bei Sloterdijk (*1947). Nietzsche lehrt einen Amor fati: Schicksal, ich folge dir freiwillig, denn täte ich es nicht, so müßte ich es ja doch unter Tränen tun. (Vgl. Macht & Schicksal). Die Botschaft an die nächsten Erben der Lebensphilosophie:
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Sehen
wir uns ins Gesicht. Wir sind Hyperboreer, wir wissen gut genug, wie abseits
wir leben. »Weder zu Lande noch zu Wasser wirst du den Weg zu den Hyperboreern
finden«: das hat schon Pindar von uns gewusst. Jenseits des Nordens, des
Eises, des Todes - u n s e r Leben, u n s e r
Glück.« ... Wir haben das Glück entdeckt, wir wissen den Weg,
wir fanden den Ausgang aus ganzen Jahrtausenden des Labyrinths. Wer fand ihn
s o n s t? Der moderne Mensch etwa? »Ich weiss
nicht aus, noch ein; ich bin Alles, was nicht aus noch ein weiss«
seufzt der moderne Mensch ... An d i e s e r
Modernität waren wir krank, am faulen Frieden, am feigen Comppromiss,
an der ganzen tugendhaften Unsauberkeit des modernen Ja und Nein. Diese Toleranz
... des Herzens, die Alles »verzeiht«, weil sie Alles »begreift«. (Friedrich Nietzsche, Der Antichrist, 1889, S. 5). Ich
kenne mein Loos, es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung an etwas Ungeheures anknüpfen, an eine Krisis, wie es keine auf Erden gab, an die tiefste Gewissens-Collision, an eine Entscheidung, heraufbeschworen g e g e n Alles, was bis dahin geglaubt und geheiligt war. Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit. - Und in alledem ist Nichts in mir von einem Religionsstifter - .... Ich w i l l keine »Gläubigen«, ich denke, ich bin zu boshaft dazu, um an mich selbst zu glauben, ich rede niemals zu Massen. .... Ich habe eine schreckliche Angst davor, dass man mich eines Tages h e i l i g spricht: man wird errathen, weshalb ich dies Buch v o r h e r herausgebe, es soll verhüten, dass man Unfug mit mir treibt. .... Ich will kein Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst. .... Vielleicht bin ich ein Hanswurst. .... Und trotzdem oder vielmehr n i c h t trotzdem - denn es gab nichts Verlogeneres als Heilige - redet aus mir die Wahrheit. - Aber meine Wahrheit ist f u r c h t b a r : denn man hiess bisher die Lüge Wahrheit. - U m w e r t h u n g a l l e r W e r t h e : das ist meine Formel für einen Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit, der in mir Fleisch und Genie geworden ist. (Friedrich Nietzsche, Warum ich ein Schicksal bin, in: Ecce homo, 1889, S. 111). |
Nietzsche
war der Chefdesigner des mächtigsten Mentalitätsstroms der Moderne:
des Individualismus.
(Peter Sloterdijk,
2000)
Die
Philosophie wird keine unmittelbare Veränderung des jetzigen Weltzustandes
bewirken können. ....
Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die
einzige Möglichkeit, im Denken und Dichten eine
Bereitschaft vorzubereiten
für die Erscheinung Gottes oder für die Abwesenheit des Gottes im Untergang.
(Martin Heidegger,
1966)
Geburtenraten seit 1871 | 1871 / 1880 | 1881 / 1890 | 1891 / 1900 | 1901 / 1910 | 1911 / 1913 | 1921 | 1924 | 1925 | Prozentualer Geburtenrückgang 1871/1880 - 1925 | 2003 * | Prozentualer Geburtenrückgang 1871/1880 - 2003 * | ||||||||||
Deutschland | 39,1 | 36,8 | 36,1 | 33,4 | 29,0 | 25,3 | 20,5 | 20,6 | 47% | 10,0 | 74% | ||||||||||
England | 35,5 | 32,5 | 30,0 | 27,2 | 24,0 | 22,4 | 18,9 | 18,3 | 48% | 12,0 | 66% | ||||||||||
Schottland | 34,9 | 32,3 | 30,7 | 28,0 | 25,7 | 25,2 | 21,9 | 21,3 | 39% | 12,0 | 66% | ||||||||||
Frankreich * | 25,4 | 23,9 | 22,1 | 20,7 | 18,8 | 20,7 | 19,2 | 19,6 | 23% | 13,0 | 49% | ||||||||||
Schweden | 30,5 | 29,0 | 27,1 | 25,8 | 23,7 | 21,4 | 18,1 | 17,5 | 43% | 11,0 | 61% | ||||||||||
Schweiz | 30,8 | 28,1 | 28,7 | 27,4 | 23,8 | 20,8 | 18,7 | 18,4 | 40% | 10,0 | 68% | ||||||||||
Belgien | 32,7 | 30,2 | 28.9 | 26,7 | 23,1 | 21,9 | 19,9 | 19,7 | 40% | 11,0 | 66% | ||||||||||
Norwegen | 30,9 | 30,8 | 30,3 | 27,6 | 25,6 | 23,9 | 21,7 | 20,0 | 35% | 12,0 | 61% | ||||||||||
Dänemark | 31,5 | 31,9 | 30,2 | 28,7 | 26,7 | 24,0 | 21,9 | 21,1 | 33% | 12,0 | 62% | ||||||||||
Niederlande | 36,4 | 34,2 | 32,5 | 30,7 | 28,0 | 27,4 | 25,1 | 24,2 | 34% | 12,0 | 67% | ||||||||||
Italien | 36,9 | 37,8 | 34,9 | 32,5 | 31,9 | 30,3 | 28,2 | 27,5 | 25% | 9,0 | 76% | ||||||||||
Ungarn | 43,4 | 44,2 | 40,5 | 36,8 | 35,4 | 31,8 | 26,8 | 27,7 | 36% | 10,0 | 77% | ||||||||||
Spanien | 37,9 | 36,2 | 34,8 | 34,5 | 31,2 | 30,0 | 29,9 | 29,3 | 23% | 10,0 | 74% | ||||||||||
Rumänien | 35,0 | 41,4 | 40,6 | 40,0 | 42,6 | 37,4 | 36,2 | 36,2 | + 3% | 10,0 | 71% | ||||||||||
Rußland | 49,3 | 47,2 | 47,1 | 43,9 | 43,7 | 37,2 | 42,7 | Die Zahlen von 1921 an sind unbrauchbar! | |||||||||||||
Massachusetts | 27,2 | 27,0 | 26,0 | 26,5 | 25,6 | 23,7 | 22,3 | Keine Angaben | |||||||||||||
Australien | 36,8 | 34,8 | 29,4 | 26,6 | 27,4 | 25,0 | 23,2 | 22,9 | 38% | 13,0 | 65% |
Spätes SpätdenkenGlobalismus als Spätmodernistik oder Spätnihilismus als Spätmodernistik?Karneades (214-129) aus Kyrene war (Alt-) Platonist und stiftete um 160 v. Chr. die dritte Akademie, die Neuere Akademie. (Vgl. Platonismus). Er entwickelte die akademische Skepsis bis zur äußersten Konsequenz und leugnete Wissen und Möglichkeit eines endgültigen Beweises. Karneades war der erste Theoretiker einer Wahrscheinlichkeit. Er kam 156 v. Chr. nach Rom, wo er die Philosophie heimisch machte. Ainesidemos aus Knossos auf Kreta lehrte um 70 v. Chr. in Alexandria und war der Erneuerer der Lehren des aus Elis (Peloponnes) stammenden Pyrrhon (360-270), Begründer der älteren skeptischen Schule. (Vgl. Skeptizismus). Ainesidemos begründete somit die Schule des Jüngeren Skeptizismus. Die Grundlage hierfür waren seine 10 Gründe zur Rechtfertigung der zweifelnden Skepsis:1)
Die Verschiedenheit der Lebewesen |
Ludwig Wittgenstein (1889-1951) beschäftigte sich zunächst mit einer Idealsprache zur Abbildung der Tatsachenwelt, und dann, mit seiner Idee der Sprachspiele, der Umgangssprache. Alle Philosophie ist Sprachkritik, sagte Wittgenstein: Der Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemeint haben muß, um sie darstellen zu können - die logische Form. Um sie darzustellen, müßten wir uns mit dem Satz außerhalb der Logik aufstellen können, d.h. außerhalb der Welt. Er kam zu dem zum Schluß: Das Resultat der Philosophie sind nicht philosophische Sätze, sondern das Klarwerden von Sätzen. .... Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.In den Philosophischen Untersuchungen (erschienen 1953) revidierte Wittgenstein diese Ansichten teilweise: Die Philosophie darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben. Wittgensteins Kunde, daß alle Philosophie Sprachkritik, der Rest Schweigen und alle Wahrheit auf das klar Sagbare, also die Naturwissenschaft, eingegrenzt sei, verrät, weil ja die Eingrenzung selbst beredt ist, den Grund seiner Philosophie: eine unsagbare private Subjektivität. |
7 Haupt-Sätze (nach Wittgenstein): 1) Die Welt ist alles, was der Fall ist. 2) Was der Fall
ist, die Tatsache, ist 3.)
Das logische Bild der Tatsachen 4.) Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. 5.) Der Satz ist
eine Wahrheitsfunktion 6.)
Die allgemeine Form der 7.) Wovon
man nicht sprechen kann, |
Postmoderne bedeutet problemlose Vielfalt der Lebensformen oder Lebensstile, die ja nach Wittgenstein Sprachspiele sind. Die Postmoderne ist der Zweifel an allen großen Erzählungen, also auch an Ideologien, Ideale oder Utopien wie Psychoanalyse, Marxismus, Christentum und andere Religionen, philosophierte Lyotard (1934-1998). Er verfaßte 1979 die Programmschrift Das postmoderne Wissen, wobei er den in amerikanischen Architektur-Debatten bereits gängigen Begriff postmodern aufnahm, welcher Vielfalt der Stile (Codes) bzw. Silelemente in einem Objekt bedeutet, mindestens Zweiheit eines elitären und eines populären Codes. Dieser Begriff aus der Ästhetik, angewendet auf das Wissen, die Sprachspiele, die Diskurse, meint: Ästhetisierung der Vernunft. Alle Denkformen, Interpretationen, Sprachspiele sind möglich. Anything goes, formulierte Karl Feyerabend (1924-1994) und machte, wie Lyotard, damit einen Befund von Max Weber (1864-1920) geltend, der schon zu Anfang des Jahrhunderts einen nicht mehr synthetisierbaren Pluralismus und Widerstreit letzter Sinngebungen in der abendländischen Gesellschaft konstatierte. Es gibt keinen umfassenden, maßgebenden Metadiskurs, keine großen Erzählungen mehr wie die Dialektik des Geistes (Hegel), die Hermeneutik, die Emanzipation des vernünftigen oder arbeitenden Subjekts (Marx), des Sinns (Heidegger), schrieb Lyotard in einer Studie. Das soziale Leben ist ein Ensemble von Zügen in Sprachspielen, die nirgendwo ihre Legitimation haben.
Niklas Luhmann
(1927-1998) betrachtete Gesellschaft als Kommunikationssystem mit vielen
mehr oder weniger selbständigen Subsystemen. Kommunikation bezieht
sich dabei immer nur auf sich selbst. Die Subjekte oder Menschen mit ihrem
Körper und ihrer Psyche gehören nicht mit zum System. Sie bilden
die Umwelt des Systems oder der Gesellschaft. Luhmann kann sich sogar
vorstellen, daß die Kommunikation weiterläuft, auch wenn es
längst schon keine Menschen mehr gibt (!). Wissen und Vernunft befinden
sich nicht in den Köpfen oder Psychen, sondern in Büchern, Datenspeichern
oder im Internet. Das Verschwinden des Subjekts ist im Buddhismus ein
religiöses Ideal. Luhmann hat aus seiner Sympathie mit dem Buddhismus
kein Hehl gemacht. (Vgl. Eurobuddhismus).
Das eine Auge, das alles sieht, Gott, gibt es nicht mehr, nicht mehr die
Wahrheit und den Blick aufs Wirkliche. Statt dessen nur mehr Beobachtung
der Beobachtung, selbstreferentielle, rekursive Beobachtung: Luhmanns
Beobachter des Beobachters ist eine tragische Figur. Ihm ist die Welt
abhanden gekommen. Er beobachtet nur, wie ein anderer beobachtet, wie
ein anderer beobachtet, wie ein anderer beobachtet, wie ein anderer beobachtet,
wie ... u.s.w.; aber er sieht nicht, wie er selbst beobachtet; denn das
kann nur ein anderer beobachten, der auch nicht beobachten kann, wie er
beobachtet ... u.s.w.: Jeder hat seinen blinden Fleck. Und außer
diesem gibt es nichts zu sehen.
Die Kritische
Theorie ist tot.
|
Die Wissenschaft, die sich eigentlich schon in der Zeit der rationalistischen
Hochdenker von der Philosophie getrennt hatte, ihr aber hyponym treu geblieben
war, verselbständigte sich immer mehr. Sogar die sogenannten Humandisziplinen
wie Geistes-, Sozial- und Kunstwissenschaften trennten sich von der Königin
der Wissenschaften. Technologie, Wissenschaft, Philosophie und Theologie
starteten das Spätdenken als Neu-Theologien, wobei die einst ruhmreiche Theologie
(ironischerweise) die ungünstigste Startposition innerhalb einer größtenteils
säkularisierten Welt einnehmen mußte. So wie in der Antike Platon den
Zerfall des Gemeinwesens und den Verlust der Verbindlichkeit mythischer Weltbilder
erkannt und sie auf neue Weise in seiner Akademie idealistisch zu wiederinnernden
Urbildern (Ideen, Archetypen) gemacht hatte, so versuchten die abendländischen
Idealisten, über ihre Wiederinerung dem kulturellen Zerfall zu begegnen,
indem sie romantizierend und national (lat. natio, Geburt; nationis,
Abstammung, Volksstamm) ihrer vorgeburtlichen Geschichte auf die Schliche
zu kommen, was dazu führte, daß auch ihre Anamnese, ganz im
Sinne Platons, zu einer wiedererinnernden Erkenntnis werden und den Weg in eine
Neu-Religion ebnen konnte. Sowohl in der Antike als auch im Abendland beduetete
ein solcher Weg, daß er von einer Neu-Theologie (z.B. Idealismus, mit Pantheismus,
Panentheismus u.s.w.) auzugehen und in eine Neu-Religion zu münden habe,
auch und gerade dann, wenn dies verschwiegen wurde. ().
Dieser Weg wird immer vom Idealismus beschritten, vom Nihilismus negativ verstärkt,
um dann vom Globalismus, und zwar auf global-eklektizistische Weise, synthetisch
bestätigt zu werden. Und diese Entwicklung von einer Neu-Theologie zu einer
Neu-Religion bedeutet antik, daß sie passiv und statisch respektiert oder
bekämpft wird, und abendländisch, daß sie aktiv und dynamisch
respektiert oder bekämpft wird. ().
Auch hierin zeigt sich der Gegensatz zwischen antiker Gelassenheit, die wir heute
gelegentlich noch stoische Ruhe nennen, und abendländischem Wettbewerb,
den wir als den welweit größten Konkurrenzkampf kennen. Man kann die
apollinische Kultur auch deshalb als eine Nähe-Kultur
bezeichnen, weil hier fast jeder über fast alles informiert war, ja sein
sollte, und das bei Passivität. (Vgl. Popularität).
Dagegen muß man die faustische Kultur auch deshalb als eine Distanz-Kultur
bezeichnen, weil hier fast alle über fast nichts informiert sind und trotz
aller Dynamik und Höchstanstrengung auch bleiben sollen. (Vgl. Esoterik).
Also: Wettbewerb! Wie die Kultur insgesamt, ist auch die Philosophie der Spätdenker durch einen rigorosen, letztlich globalen Imperialismus gekennzeichnet. In der Antike gab es in der globalistischen Phase nicht mehr nur griechische Philosophen, sondern auch römische, die ihren Pragmatismus genauso einbringen konnten wie die angloamerikanischen Philosophen den ihrigen in die europäische Denkgeschichte. (). In Europa stieß das amerikanische Nützlichkeitsdenken zunächst auf heftigen Widerstand, weil das Erklären des Nützlichen zum Wahren hier oftmals als ein Angriff auf die abendländische Kultur verstanden wurde. Außerdem meinte man hier, daß derartige Grundideen schon bei Schopenhauer und Nietzsche zu finden wären. Aber die Überwindung der Subjektphilosophie stand auch hier an. Georg Simmel vertrat eine pragmatistische Wahrheitstheorie noch vor William James, bestimmte das Erkennen als freischwebenden Prozeß, übertrug die Aprioritätslehre Kants auf die Historik und analysierte das Phänomen der historischen Zeit. (). Max Scheler und Martin Heidegger übernahmen pragmatische Ideen, und für den zu der Zeit aufkommenden Nationalsozialismus erfüllte der Pragmatismus, gekappt um seine intersubjektiv-sozialen Züge, alsbald die Funktion einer aktivistischen Ideologie. Arnold Gehlen verband in seiner Anthropologie, die den Menschen als handelndes Wesen herausstellte, den Pragmatismus mit einer autoritären Theorie der Institutionen. (). Und Hugo Dingler gründete in seinem Buch Ergreifung des Wirklichen Erkenntnis auf Praxis. Sicher waren für ihn nur Willensaussagen und Handlungsanweisungen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1960er Jahren, kam es, allerdings auf sehr opportunistische und also scheinmoralische Weise, mit Habermas' Universalpragmatik und Apels semiotischer Transformation der Transzendentalphilosophie zu einer (angeblich vorurteilsfreien, in Wahrheit aber mit vielen anderen Vorurteilen behafteten) Rezeption des USA-Pragmatismus, insbesondere von Peirce und Mead. Mit Peirce betrat die Philosophie gewissermaßen erstmals amerikanischen Boden. Ähnlich kritisch und polemisch wie die Stoa sich mit der Akademie und dem Peripatos auseinandersetzte, setzt sich heute auch der angloamerikanische Soziologismus (Pragmatismus) mit den Kantianern und Hegelianern auseinander. Der Stoizist Panaitios, Begründer der mittleren Stoa und damit des römischen Stoizismus, verpflanzte die griechische Philosophie und Bildung nach Rom, entfernte aus der Stoa die orientalische Mystizität und die asketische Härte der altstoischen Ethik. Panaitios war Schöpfer des (wohl gemerkt!) antiken Begriffs Humanitas; wer aber im Abendland einmal Schöpfer des kulturell akzeptablen Begriffs Hominität sein wird, bleibt abzuwarten, obwohl das Thema selbst mittlerweile schon aktuell geworden ist.Daß die Zukunft der Philosophie globalistisch ausgerichtet sein soll, bestätigte auch das Ergebnis der vor einigen Jahren durchgeführten Umfrage unter 100 Berufsdenkern, d.h. Universitätshilosophen. (). Die meisten Antworten bezogen sich auf eine planetare Verantwortungsethik für eine »multikulturelle Weltgemeinschaft«, wie es z.B. Otto Apel formulierte. (). Ziele sind dabei die Humanisiserung des Cybermenschen, der Helden des 21. Jh., durch die Wiedereinsetzung der Grundideen politischer Theorie und Praxis und auch die Rettung von Flora, Fauna und genetischer Substanz des Menschen durch eine neue wahrhaftige und moralisch bindende Beziehung zur Menschheit als dem Stamme. Die Philosophie der Zukunft will demnach praktische Philosophie sein, will der Menschheit helfen, unter den sich rasant verändernden Umständen, d.h. mit den neuen technischen Mitteln, zu leben und zu überleben. Sie will selbstlos sein. Das eigene Leben des Philosophen tritt da ganz in den Hintergrund. Zwei Philosophen nannten aber auch das Bewußtsein als das eigentliche Problem der Philosophie. Bewußtseinsphilosophie schließt ja die Ziele der praktischen Philosophie nicht aus, denn Bewußtsein hat auch mit dem Leiblichen zu tun und ist auch immer affektiv bestimmt durch das, was Schopenhauer Willen nannte. Freud nannte es Eros (Libido). Bewußtsein und Vernunft sind durch und durch vom Lebens- oder Zeugungswillen bestimmt oder besessen. Die Bewußtseinsphilosophie hat hier die Neuro- und Genbiologie einzubeziehen, sie sollte Anthropologie des Bewußtseins sein. Indem sie sich selbst aus dem (Zeugungs-) Willen heraus versteht, hat sie ihre eigene Psychonalyse zu betreiben. Die Sexualität des Bewußtseins, d.h. seine Affektivität und Lebensbesessenheit, die es natürlich immer schon gab, hat es heute mit einer neuen Situation zu tun: mit einer von der Sexualität, d.h. der Kopulation der Geschlechter, auf die das sexuelle Erkennen zielt, getrennten biotechnischen Lebensreproduktion. Bald schon wird es von verantwortungsvollen und vermögenden Eltern keine natürlich gezeugten und ausgetragenen Kinder mehr geben. Ebenso entscheidend wie die Lebensweitergabe ist die Lebenserhaltung. Durch die Fortschritte in der Genetik und Neurobiologie werden unsere Krankheiten und unser Ableben immer genauer prognostizierbar. Unser Leben wird immer weiter fortsetzbar durch Organtransplantationen und künstliche Organe, bald auch durch nanotechnische Reparatur der Organe und Körperteile - Stück für Stück, Molekül für Molekül.Wenn Menschen wissen, daß sie ihr Leben nur noch dann verlieren können, wenn sie getötet werden, womit würden sie dann ihr ewiges Leben sonst verbringen als mit Maßnahmen gegen das Getötetwerden? Das anthropotechnische Wissen ist ein Wissen vom Leben, das uns womöglich hindert, human zu leben. Weil wir dann die Neu-Hominiden sein werden, werden wir uns wohl oder übel jetzt schon auf die neuartige Hominität einstellen müssen.Wie genau wird unsere zukünftige Religion, diese zusätzlich neohominid daherkommende Neu-Religion, definiert sein? Wird sich bis dahin ein revolutionäres oder reaktionäres Potential gegen alle bisherigen gesellschaftlichen Traditionen entwickelt haben? Es gibt ja schließlich noch einen dritten Komplex außer Sex und Tod, der unser Bewußtsein bestimmt: Transzendenz, ein Jenseits oder Gott. Denn Bewußtsein ist immer auch Bewußtsein vom möglichen Ganzen des Daseins, der Welt. Doch auch wenn Bewußtsein sich im jenseitigen Raum Gottes gegenüber der diesseitigen Welt befindet, bleibt der menschliche Körper doch faktisch in der letzteren. Auch wenn er sich noch so weit in den Weltraum vorwagt, sich also durch die extraplanetarischen Ausflüge und Aktivitäten zugleich Gott nähert, bleibt er im Diesseits gegenüber der Welt Gottes. (). Vielleicht aber wird die Informationsstechnologie sogar für einen realen Gott sorgen, der die Geschicke, Gedanken und Taten der Menschen leitet. Ist der von Menschen gemachte Mensch, der künstliche Mensch, der Mensch der Zukunft? Unser eigenes Bewußtsein wird wohl lernen müssen, sich als Bewußtsein einer Maschine, als gemachtes und doch in seinem faktischen Sein unhintergehbares, in sich geschlossenes Dasein zu verstehen. Bereits heute werden Organe (auch Gehirne) mit nicht-biologischer Intelligenz aus- und aufgerüstet oder repariert. In Zukunft werden Kleinstcomputer (Nanobots) von der Größe einer Zelle unsere Gehirnfunktionen verbessern. Man wird mit ihnen das Gehirn erkunden, Synapse für Synapse abtasten, Transmitter für Transmitter, und ein Gehirn kopieren können. Ray Kurzweil prognostizierte dies bereits 1999 in seinem Buch Homo S@piens - Leben im 21. Jahrhundert. Mit solchen Kleinstcomputern wird man virtuelle Realität erzeugen. Milliarden von Nanobots werden dann als künstliche Neuronen in unser Gehirn geschickt, die sich an jedem einzelnen, von unseren Sinnesorganen herkommenden Nervenstrang festsetzen. Wenn wir reale Realität erleben wollen, dann halten die Nanobots still. Für das Erlebnis virtueller Realität unterbrechen sie die Zufuhr realer Reize und setzen künstliche Signale an ihre Stelle. Bald schon wird das World Wide Web aus virtuellen Begegnungsstätten bestehen, die genauso real sind wie jeder Ort der Welt. Wir sind, ob wir es wollen oder nicht, auf dem Weg zu einer neuen Existenz. Deshalb kann die zukünftige Philosophie eigentlich nur eine Existenzphilosophie: eine Lebensphilosophie, die nicht der zu radikalen Skepsis, d.h. dem Nihilismus, folgt, sondern einer mehr gemäßigten Variante, die die globalistischen Skeptiker bevorzugen, so wie einstmals die antiken Skeptiker (skeptikoç) mit ihrer Epoché (epoch - An[sich]halten, Urteilsenthaltung) und Ataraxie (ataraxia - Unerschütterlichkeit). |
Tabelle |
3) Pythagoräer
Rel.-pol.-arist. Rationalismus seit -550 4) Subjektivisten Elemenekinetik; Heraklit u.a. seit -520 5) Atomisten Naturph.; Leukipp/Demokrit, .. seit -490/-460 6) Sophisten Anthropologie/Aufklärung seit -475/-450 7) Sokratiker Sokrates, Maieutiker seit -440 8) Megariker Eristiker (Streiter) Euklid v. Megara seit -430 9) Kyrenäiker Aristippos von Kyrene, Hedoniker seit -400 10) Kyniker (Autarkisten) Antisthenes, Diogenes seit -400 11) Platoniker Platon, Alte Akademiker seit -385 12) Aristoteliker Aristoteles, Peripatetiker seit -335 13) 2. Kyniker Älterer Diogenes seit -330 14) Skeptizisten Pyrrhon, Zweifler/Pyrrhonisten seit -315 15) Stoizisten Stoizismus (Stoa poikile) Zenon seit -300 16) Epikuräer Epikur seit -300 17) 3. Kyniker seit -300 18) 2. Aristoteliker Jüngere Peripatetiker seit -287 19) 2. Platoniker Mittlere Akademie seit -270 20) 4. Kyniker seit -270 21) Aristarchos (Neu-Aristoteliker) seit -270 22) 5. Kyniker seit -190 23) 3. Platoniker Neuere Akademie seit -160 24) 2. Stoizismus Mittlere Stoa seit -150 25) 2. Skeptizismus Jüngere Skeptiker seit -70 (-50) 26) 2. Epikuräismus Jüngere Epikuräer seit -70 (-50) 27) 3. Stoizismus Neue Stoa seit 20 (50) 28) 1. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 20 (50) 29) 1. Patristik Apostolische Kirchenväter seit 70 (80) 30) 6. Kyniker Dion Chrysostomos von Prusa seit 70 (80) 31) Mittlerer Platonismus (Plutarch u.a.) seit 70 (80) 32) 2. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 150 33) 2. Patristik Apologeten seit 150 34) Aristotelischer Stoizismus seit 160 (180) 35) 3. Skeptizismus Letzte Skeptiker seit 200 (250) 36) Neu-Platonismus (Plotinos u.a.) seit 220 (250) |
PSEUDO |
3) Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus
seit 1600 4) Subjektivismus Rationalismus; Descartes u.a. seit 1630 5) Atomismus Monaden/Infinitesimal., Leibniz seit 1660-90 6) Aufklärung seit 1685 (1700) 7) Naturalismus-Subjektivismus seit 1710 8) Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720 9) Sensualismus Positivisten/Materialisten seit 1750 10) Früh-Romantik Sturm-und-Drang seit 1760 11) Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770 12) Hegelianer Idealismus, Hegel, Alt-Hegelianer seit 1800 13) Hoch-Romantik Klassische Romantik seit 1800 14) Lebensphilosophen Existentialisten seit 1820 15) Soziologisten seit 1820 16) Psychologisten seit 1820 17) Spät-Romantik seit 1840 18) Jung-Hegelianer Jüngerer Idealismus seit 1850 19) Neu-Kantianer Neu-Idealismus seit 1860/1870 20) Neu-Romantik seit 1870/1890 21) Neu-Hegelianer Neu-Idealismus seit 1880/1900 22) Neu-Neu-Romantik Neu-Ökologismus seit 1960 23) Neu-Neu-Kantianer Neu-Neu-Idealismus seit 1990 24) 2. Soziologismus seit 2000 25) 2. Lebensphilosophie ab 2080 (2100) 26) 2. Psychologismus ab 2080 (2100) 27) 3. Soziologismus ab 2170 (2200) 28) 1. ..................... ab 2170 (2200) 29) 1. ..................... ab 2220 (2230) 30) Neu-Neu-Neu-Romantik ab 2220 (2230) 31) Mittlerer Kant..?..ismus ab 2220 (2230) 32) 2. ..................... ab 2300 33) 2. ..................... ab 2300 34) Hegelianischer Soziologismus ab 2310 (2330) 35) 3. Lebensphilosophie ab 2350 (2400) 36) Neu-Kant..?..ismus ab 2370 (2400) |
26)
Dionysos-Kult zu: Rationalismus; seit Pythagoräer 27) Theogonie zu: Idealismus/Real.; seit Platon - Aristoteles 28) Gegenreformation (6) Zeus-Götterwelt seit - 7. / - 6. Jh. |
26) Neuscholastik (5) zu: Rationalismus;
seit Leibniz
- Wolff 27) Neumystik zu: Idealismus/Romantik; seit Kant - Hegel 28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh. |
|
Die stürmenden Spätdenker erzielen ein gültiges Tor
nur dann, |
Der Abendländer darf es so formulieren: Es möge sich fernhalten, wer unwillig ist, die Geschichte wie eine Goldmünze zu hüten.Oswald
Spengler (28.05.1880 - 08.05.1936), Der Untergang des Abendlandes,
1918 (Band I), 1922 (Band II).
|
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