Zu früh gefreut? Oder: Wann kommt das Ende der Geschichte?
Worum
es geht:
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Beispiele für die Ideen eines
Endes der Geschichte
Beispiele |
Verkünder
/ Autor |
Wie das Ende
erreicht wird |
Kennzeichen |
Tausendjähriges Reich |
Johannes
der Evangelist |
Glaube |
Irdisches Wohlergehen |
Drittes Reich (Tausendjähriges
Reich) |
Joachim
von Floris |
Erscheinen des Hl. Geistes |
Irdisches Wohlergehen |
Drittes Reich (Tausendjähriges
Reich) |
Wiedertäufer,
Puritaner |
Gewalt |
Irdisches Wohlergehen |
Ewiger Friede
(Humanität) |
Kant |
Vernunft, Aufklärung
(als letztes Geschichtszeitalter) und also auch Fortschritt |
Stetiger Fortschritt,
vernünftiger, aufgeklärter Bund der Völker |
Freiheit |
Hegel |
Der Staat (nach
preußisch-protestantischem Vorbild) realisiert
dem Prinzip nach überall die Freiheit |
Realisierte Freiheit |
Kommunistisches
Paradies |
Marx
/ Engels |
Weltrevolution, Diktatur
des Proletariats |
Klassenlose Gesellschaft |
Letzte Menschen |
Nietzsche |
Dekadenz / Wohlstand
(Christentum,
Demokratie) |
Letzte Menschen
(Behaglichkeit des Wohlstands als Versklavung) |
Kulturlosigkeit |
Spengler |
Zivilisation |
Erstarrte Kulturseele |
Seinsverlassenheit
(ahistorsiche Existenz) |
Heidegger
* |
Wohn- / Heimatlosigkeit
(Seinsvergessenheit, -verlust) |
Herrschaft des Gestells
(der Technik / Technologie) |
Ahistorische Existenz |
Nolte
* |
Abschaffung historischer
Existenzialien |
Fehlen der historischen
Existenzialien |
Zornlosigkeit
(ahistorsiche Existenz) |
Sloterdijk
* |
Abschaffung des Existenzials
Zorn |
Fehlen des Existenzials
Zorn |
|
|
* Die drei letztgenannten Autoren enthalten sich der genaueren
Vorhersage und der eigenen Bewertung. |
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Die Johannes-Apokalypse
verhieß vor dem Jüngsten Gericht ein Zwischenspiel, das Tausendjährige
Reich irdischen Wohlergehens. Diese Idee wurde von Augustinus
aus asketischer Gesinnung abgelehnt, doch war der Wunsch nach einer irdischen
Endzeit auch unter Christen nicht zu unterdrücken. Diese Hoffnung
inspirierte Joachim
von Floris um 1200 zu seiner Prophezeiung eines »Dritten Reiches«:
Nach der Zeit des Vaters und der des Sohnes komme die des Heiligen Geistes.
Die Hoffnung der Millennaristen aber zerschlug sich, wie so viele. Die
Mission blieb stecken, der Paraklet erschien nicht; und so verbreitete
sich seit dem 15. Jahrhundert die Auffassung, daß man die neue Zeit
nicht abwarten, sondern herbeiführen müsse. Bei den Hussiten
und den Wiedertäufern finden wir das Bestreben, den Übergang
in die Endzeit gewaltsam zu beschleunigen, ähnlich wieder bei den
Puritanern in England. Die Hoffnung auf eine Zukunft im Himmel verwandelte
sich in die Bemühung, die irdischen Lebensbedingungen zu verbessern.
Die ersten Theoretiker des Fortschrittes, unter ihnen Lessing
und Herder,
stehen noch ganz im Banne der christlichen Denktradition. Sie vertrauten
auf die göttliche Lenkung der menschlichen Geschicke, erwarteten
jedoch kein plötzlich hereinbrechendes Himmelreich, sondern einen
stetigen Fortschritt zur Vernunft und zur Humanität auf Erden.
Kant
stellte 1784 fest: »Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt
in einem aufgeklärten Zeitalter?, so ist die Antwort: Nein,
aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.« ( ).
Ob dieses Zeitalter in einen Zustand der Vernunft führen werde, ließ
Kant offen, er war aber fest davon überzeugt, daß der Progreß
nicht unterbrochen werde. Sein Entwurf zum ewigen Frieden von 1795 sah
einen allgemeinen Bund der Völker vor, die republikanisch verfaßt
sein und sich in Humanität üben sollten. Insofern war für
ihn die Aufklärung das letzte Zeitalter der Geschichte.
Weniger Geduld mit der Endzeit hatte Hegel.
Er glaubte, die Aufklärung habe ihr Werk getan. Im preußisch-protestantischen
Staat seiner Zeit wähnte er die Freiheit - zumindest ihrem Prinzip
nach - realisiert und damit die Geschichte vollendet. So lesen wir in
seiner Geschichtsphilosophie: »Mit diesem formell absoluten Prinzip
(der Freiheit) kommen wir an das letzte Stadium der Geschichte, an unsere
Welt, an unsere Tage.« Sein Bild von der Eule der Minerva zeigt,
daß der Tag vorüber ist, blendet freilich aus, daß jetzt
die Nacht zu erwarten wäre. Jedenfalls meinte er, zu tun sei nun
nichts Substantielles mehr, die Stunde des Philosophierens habe geschlagen.
Der Glaube an das nahe Zeitenende, wie er schon in der französischen
Revolution auftaucht, begegnet uns wieder bei den Frühsozialisten
sowie bei Marx
und Engels.
Sie wähnten sich dreimal - 1848, 1852 und 1871 - vor der Weltrevolution,
die über die Diktatur des Proletariats in die klassenlose Gesellschaft
hinüberführen und das Glück des Urkommunismus auf höherer
Stufe erneuern werde. Hier haben wir das Modell der Heilsgeschichte, vom
Kopf auf die Füße gestellt. Dem Paradieseszustand entspricht
die klassenlose Urgesellschaft. Sie endet mit dem von Engels so genannten
»Sündenfall« der Arbeitsteilung. Die sich anschließende
eigentliche Geschichte ist antagonistisch strukturiert, bei Augustinus
im Neben- und Gegeneinander von Civitas Diaboli und Civitas
Dei, bei Marx im Klassenkampf der Unterdrückten gegen die Ausbeuter.
Den Abschluß der Geschichte bildet für die Christen das Gottesreich,
für die Kommunisten die klassenlose Gesellschaft, voraus gehen dort
das Tausendjährige Reich und das Weltgericht, hier die Diktatur des
Proletariats und die Weltrevolution. Das Endparadies unterscheidet sich
vom Urparadies in beiden Fällen darin, daß es keinen zweiten
Sündenfall geben wird.
Unter den zahlreichen Verfechtern einer Endzeit-Idee im 20. Jahrhundert
ragt Oswald Spengler
mit seinem »Untergang des Abendlandes« ( )
hervor. Dieses am 20. April 1918 zuerst erschienene Werk will zeigen,
daß die Weltgeschichte in acht ungefähr tausendjährige
Hochkulturen zerfällt, deren letzte, die »faustische«,
nun übergehe in eine kultur- und geschichtslose Endphase, die zwar
noch lange dauern könne, ohne daß indessen die erschöpfte
Kulturseele noch neue Blüten bringe. ( ).
Spenglers englischer Nachfolger Toynbee
hat an dieser Kulturmorphologie zahlreiche Änderungen angebracht.
Der Endzustand unterscheidet sich grundlegend von dem bei Spengler. Toynbee
glaubte an die Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden. Die apokalyptischen
Erwartungen in der zweiten Jahrhunderthälfte zeigen zahlreiche Schattierungen.
Endzeit-Idee und Geschichtslosigkeit nach dem Jahr 2000 verknüpfte
... Ernst Jünger
1932. Seine letzte Prognose auf das 21. Jahrhundert gab er 1993.
Er glaubte, daß sich der bereits zu beobachtende Ausstieg des Menschen
aus der Geschichte nach der Jahrtausendwende fortsetzen werde. Seit 200
Jahren befänden wir uns in einer Weltrevolution, die uns in gewisser
Weise schon jetzt aus der Geschichte verdrängt habe. Er sprach von
apokalyptischen Visionen am Ende des Jahrtausends, indem er den Untergang
der »Titanic« 1912 als prophetisches Zeichen wertete. Eine
allgemeine »Fellachisierung« greife um sich: wenn auch auf
unterschiedlichem Niveau, so doch im Einvernehmen darüber, daß
ein historisches Bewußtsein entbehrlich wird: »Man lebt für
den Tag.« Jünger prophezeite den Weltstaat, nicht jedoch den
Weltfrieden. Er rechnete mit einer Zunahme des Terrorismus, dessen Bekämpfung
keine geschichtliche Dignität besitze.
Fukuyama
konstatierte 1989, daß mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion der
letzte Weltzustand erreicht sei. Zu allen Zeiten hätten sich mindestens
zwei grundsätzliche Positionen gegenübergestanden: Griechen
gegen Perser, Römer gegen Barbaren, Kaiser gegen Papst, Christen
gegen Muslime, dynastische Legitimation gegen Volkssouveränität,
demokratische Kräfte gegen totalitäre Systeme. Mit dem Ende
des Sozialismus gebe es keine erfolgversprechende Alternative mehr zu
einer liberalistisch-kapitalistischen Demokratie. Was die Zukunft jetzt
noch zu bieten habe, sei nichts anderes als die Durchsetzung dieses Prinzips
und verdiene daher nicht mehr die Bezeichnung »Geschichte«.
( ).
Ernst Nolte
hat 1998 in seinem Alterswerk mit dem Titel »Historische Existenz«
( )
eine umfassende Geschichtsphilosophie vorgelegt, die durch sogenannte
»historische Existenzialien« gekennzeichnet ist: Religion,
Staat, Adel, Krieg und Revolution, Stadt und Land, Historie und Wissenschaft.
Diese Existenzialien sieht Nolte einem Transformationsprozeß ausgesetzt,
der ihr Wesen verändert. Religion zerfällt in Fundamentalismus
und Folklore, der Staat verschwindet im Netzwerk der Globalisierung, an
die Stelle des Adels treten Funktionseliten, Krieg gibt es nur noch in
Form von Grenzkonflikten in Entwicklungsländern und Polizeieinsätzen
der Weltorganisationen (NEIN!
Krieg gibt es laut Nolte immer noch, v.a. in der »Dritten Welt«
[vgl. ebd., S. 674 ]!
HB.). Revolution wird in Form von Protestaktionen eine unvermeidliche,
aber unbedeutende Begleiterscheinung von Veränderungen der Produktion
(oder aber auch nicht, so Nolte [vgl. ebd., S. 682
]!
HB.). Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verschwinden (eher
nicht, denn laut Nolte ist die »Eine Menschenstadt« nicht
tragbar [vgl. ebd., S. 676 ]!
HB.). Die Wissenschaft produziert noch Bücher und Maschinen,
sie verliert hingegen ihre Bedeutung für die »Menschenbildung«.
Das Geschichtsbewußtsein beschränkt sich auf die Erinnerung
an die Greueltaten einer Zeit, mit der man nichts mehr zu tun haben will.
(Aber laut Nolte ist noch nicht ein einziges der
[nur veränderten!] »historischen Existenzialien« verschwunden,
und diese Tatsache ist für Nolte ein Indiz dafür, daß
die »Nachgeschichte« noch nicht begonnen hat [vgl. ebd., S.
682 ]!
HB.). Die Nähe zum kommenden Jahrtausend empfindet Nolte als
einen bevorzugten Auslug, mit dem neuen Millennium läßt er
die 6000 Jahre der eigentlichen Geschichte enden (NEIN!
Nolte läßt die Geschichte nicht enden, sondern die Frage offen,
ob sie [im engeren Sinne!] zu Ende sei, denn er trennt die Geschichte
im engeren Sinne von der Geschichte im weiteren Sinne [»anthropologische
Geschichte«] und kann gerade deshalb darüber philosophieren,
ob die Geschichte im engeren Sinne zu Ende sein könnte oder
nicht, weil die Geschichte im weiteren Sinne auch die »Vorgeschichte«
und die »Nachgeschichte« umfaßt und darum zumindest
im »anthropologischen« Sinne nicht zu Ende sein kann [vgl.
ebd., S. 683 ]!
HB.). Die von Spengler dem Abendland nach dem Untergang um das
Jahr 2000 (nach 2200! »Geschichtsloses
Erstarren ... nach 2200«, so Spenglers Vorhersage [vgl. Oswald Spengler,
Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 70 ]!
HB.) vorausgesagte geschichtslose Zivilisation weitet Nolte aus
auf die Zukunft der Menschheit insgesamt. Voll entfaltet sieht er das
posthistorische Zeitalter der »wissenschaftlich-technischen Konkurrenzökonomie«
im Jahre 2200 ( ).
Die Medizin ist der Krankheiten Herr geworden, das Durchschnittsalter
der Menschen auf 200 Jahre gestiegen ( ).
Nolte mißt den Problembereichen unserer Zeit keine geschichtsträchtige
Zukunft zu (er positioniert sich doch gar nicht
so genau! Anm HB.). Bevölkerungswachstum, Wohlstandsgefälle,
Massenwanderung, Fundamentalismus, Umweltbedrohung, Technikfolgen, all
dies löst sich offenbar globaldemokratisch ohne Geschichte, undramatisch.
(Nolte läßt es eher offen! Anm HB.).
So gewiß wir das wünschen müssen, so ungewiß ist
die Annahme einer solchen Endzeit, denn dafür brauchte man einen
neuen Menschen, den perfekt sozialisierten Kosmopoliten, den wohltemperierten
Endzeit-Bürger. (Alexander Demandt). - Alexander Demandt scheint
die Historische Existenz von Ernst Nolte gar nicht, zumindest aber
nicht richtig gelesen zu haben.

Selten hat ein Zeitschriftenaufsatz so großes
Aufsehen erregt wie derjenige von Francis Fukuyama,
der im Sommer 1989 in der Zeitschrift »The National Interest«
erschien und noch vor Ablauf des Jahres ins Deutsche und andere Sprachen
übersetzt wurde. Dieses Aufsehen war eigentlich nicht recht verständlich,
denn von der bevorstehenden »Nachgeschichte« war zumal in
europäischen Büchern und Zeitungen oft die Rede gewesen, und
der Begriff schien geradezu ein fester Bestandteil der »Postmoderne«
zu sein. .... Der Autor begründete seine Auffasung durch einen Rückgriff
auf Hegel
und den Hegelianer Alexandre Kojève. Mit starker Betonung verkündete
Fukuyama den »Triumph des Westens, des westlichen Denkens«,
der vor allem in der völligen Erschöpfung aller Alternativen
zum westlichen Liberalismus bestehe - das 20. Jahrhundert kehre an seinem
Ende zu den Überzeugungen seiner Anfänge zurück: nicht
eine Konvergenz von Kapitalismus und Sozialismus sei das letzte Wort des
Zeitalters, sondern »der klare Triumph des wirtschaftlichen und
politischen Liberalismus.« (Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte?,
in: Europäische Rundschau, 1989, S. 3-25, hier: S. 3f.). Sogar in
der Sowjetunion und in derVolksrepublik China setze sich die konsum-orientierte
westliche Kultur« mehr und mehr durch, und so gelangte Fukuyama
gleich zu Anfang seines Aufsatzes zu einer weitreichenden Schlußfolgerung:
»Vielleicht sind wir nicht Zeugen der Beendigung des Kalten Krieges
oder des Abschlusses einer bestimmten Phase der Nachkriegsgeschichte,
sondern des Endes der Geschichte schlechthin, das heißt, des Endes
der ideologischen Entwicklung der Menschheit sowie der allgemeinen Einführung
der westlichen liberalen Demokratie als finaler Regierungsform.«
(Ebd., 1989, S. 6). Offenbar war man auch im Sommer 1989 von der Macht
und Dauerhaftigkeit der Sowjetunion trotz aller Nachrichten über
unerwartete Wirkungen von »glasnostj« und »perestroika«
noch sehr überzeugt und den Wechselfällen des Kalten Krieges
so nahe, daß man diese zuversichtliche Siegesmeldung eines Autors,
der als der stellvertretende Leiter des Planungsstabes des us-amerikanischen
Außenministeriums vorgestellt wurde, mit einer nur von leisen Zweifeln
eingeschränkten Hoffnung zur Kenntnis nahm, während die These
vom baldigen Ende der Geschichte im allgemeinen nicht akzeptiert wurde.
Fremdartig und herausfordernd war ja auch die Bezugnahme auf Kojève,
für den schon Napoleon das Zeitalter des auf den Ideen der französischen
Revolution beruhenden homogenen Universalstaates heraufgeführt hatte,
ein Zeitalter, das nach Kojève seine Verwirklichung in den westeuropäischen
Nachkriegsstaaten fand, welche Fukuyama seinerseits als »jene festen
wohlhabenden, selbstzufriedenen, nur sich selber sehenden, willensschwachen
Staaten« charakterisiert, »deren größtes Vorhaben
nichts Heroischeres war als die Schaffung des Gemeinsamen Marktes.«
(Ebd., 1989, S. 6). Nicht Despotismus ist also nach Kojève und
Fukuyama das Kennzeichende des homogenen Universalstaates, sondern gerade
das Aufgehen aller Individuen in dem Bemühen um ökonomisches
Wohlergehen, das für Aufschwünge, Ideen und Heroismus keinen
Raum läßt. Daher ist ein resignativer Ton nicht zu überhören,
wenn Fukuyama schreibt: »Wir können den Inhalt des homgenen
Universalstaats definieren als eine liberale Demokratie im politischen
Bereich, verbunden mit der mühelosen Beschaffung von Videorekordern
und Stereoempfängern im wirtschaftlichen Bereich.« (Ebd., 1989,
S. 11). Eben dieser Zustand ist aber in großen Teilen der Welt offensichtlich
nicht gegeben. Fukuyama schränkt daher seine These vom »Ende
der Geschichte« ein: In der »Dritten Welt« geht die
Geschichte weiter und spielen sich noch für unabsehbare Zeit Kriege
sowie Bürgerkriege ab, getragen von der Opferbereitschaft oder dem
Fanatismus zahlreicher lndividuen, nur in der »westlichen Welt«
d. h. in Westeuropa und in Nordamerika, ist die Geschichte an ihr Ende
gekommen. Der Rest der Welt ist lediglich nicht imstande, ideologische
Ansprüche zu erheben und höhere Formen der menschlichen Gesellschaft
repräsentieren zu wollen .... So werden Terrorismus und nationale
Befreiungskriege nur noch in den Randbezirken der Welt einen Platz haben.
Aber das Ende des Aufsatzes ist auf einen ganz pessimistischen Ton gestimmt,
der erkennen läßt, daß Fukuyama der Gesellschaftsordnung,
deren definitiven Sieg er verkündet, keineswegs in kritikloser Bewunderung
gegenübersteht. »Das Ende der Geschichte wird eine sehr traurige
Zeit sein. Der Kampf um Anerkennung, die Bereitschaft, sein Leben für
ein völlig abstraktes Ziel einzusetzen, der weltweite ideologische
Kampf, der Wagemut, Tapferkeit und Phantasie hervorbrachte, und der ldealismus
werden ersetzt durch wirtschaftliche Kalkulationen, endloses Lösen
technischer und Umweltprobleme und die Befriedigung ausgefallener Konsumentenwünsche.
In der posthistorischen Periode wird es weder Kunst noch Philosophie geben,
sondern nur mehr bloß die ständige Pflege des Museums der Menschheitsgeschichte.«
(Ebd., 1989, S. 25). Er habe äußerst ambivalente Empfindungen,
»in bezug auf die Zivilisation, die ... in Europa geschaffen wurde
mitsamt ihren nordatlantischen und asiatischen Ablegern«, und er
schließt mit der eigenartigen Vermutung, daß vielleicht gerade
die Aussicht auf kommende Jahrhunderte der Langeweile die Geschichte wieder
in Gang setzen werde. Fukuyama schreibt also ... Europa ... eine sehr
große Bedeutung zu und zählt die USA zu seinen bloßen
»Ablegern«. Aber aus einzelnen Nebenbemerkungen, die er in
seinem späteren Buch weiter ausführte, geht hervor, daß
für ihn die japanisch-ostasiatische Kultur mehr Zukunft hat als die
europäisch-amerikanische, weil sie Tugenden aufrechterhalte, die
in Nordamerika und Europa vergessen seien oder sogar verächtlich
gemacht würden: Fleiß, Disziplin, Respekt vor dem Alter.
(Ernst Nolte,
Der kausale Nexus - Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft,
2002, S. 257-259 ).
Fukuyama hat - entweder bewußt oder unbewußt - im Grunde die
auf Kulturmorpholgie und die daraus über Analogien gewonnenen Vorhersagen
Spenglers als richtig bestätigt.
Aus
all dem läßt sich ein ganz anderes Szenario der Weltentwicklung ableiten,
wenn man einige Akzente anders setzt. Europa und die USA erscheinen dann nicht
mehr als die siegreiche, aber dekadente Spitze der Weltentwicklung, sondern als
ein zwar hochentwickelter, aber bedrängter und in einer Verteidigungsposition
befindlicher Teil der Welt; denn andere Teile der Welt formieren sich auf der
Basis ihrer uralten Traditionen neu und treten in ein Konkurrenzverhältnis
zum »Westen«, insbesondere der Islam entwickelt einen Fundamentalismus,
der die alte Idee Mohammeds vom Gegensatz zwischen dem »Kriegsgebiet«
und dem islamischen Friedensgebiet wieder aufgreift, und die Welt stellt sich
also als ein Konfliktgebiet verschiedener »Kulturen« dar, die in neuzeitlichem
Gewande alte historische Kämpfe wiederaufnehmen. Der westlichen Welt kommt
zwar ein gewisser Vorrang zu, aber sie hat längst ihre temporäre Suprematie
verloren und kann nur durch Mühe und Entschlossenheit die großen Gefahren
überwinden, die sogar ihre bloße Selbstbehauptung keineswegs gesichert
sein lassen. Ein solches Szenario schlösse natürlich einen Aufruf zur
Kampfbereitschaft in sich, und man könnte behaupten, es wandle die Feindschaft
zwischen Ideologien, welche die Ära des Kalten Krieges bestimmte, in eine
Feindschaft zwischen Kulturen und altüberlieferten Lebensformen um, während
Fukuyamas Zukunftsbild gerade den Verlust des Feindes als den neuartigsten, aber
durchaus nicht rundum positiven Tatbestand erscheinen lasse. (Ernst Nolte,
Der kausale Nexus - Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft,
2002, S. 259-260 ).Vier
Jahre nach dem Erscheinen von Fukuyamas Artikel hat in der Tat ein anderer Zeitschriftenaufsatz
dieses entgegengesetzte Geschichtsbild entwickelt und dadurch mindestens ebensoviel
Aufsehen erregt, mit dem Unterschied freilich, daß dem Autor nicht bloß
viel Kritik, sondern auch ausgeprägte Feindseligkeit begegnete. Es handelt
sich um den us-amerikanischen Politikwissenschaftler Samuel Huntington
und seinen Aufsatz »The Clash of Civilizations«, der im Sommer 1993
in den »Foreign Affairs« erschien und ebenfalls später zu einem
Buch ausgearbeitet wurde. Wie Oswald Spengler
und Arnold Toynbee
unterscheidet Huntington eine Reihe von »Kulturen«, aber er läßt
deren Entwicklung nicht wie Spengler auf einen jeweils gleichartigen Zustand,
nämlich die erstarrte und seelenlose »Zivilisation« hinauslaufen,
und er sieht sie nicht wie Toynbee auf dem Wege zu einer gemeinsamen und positiven
»Weltzivilisation«, sondern er hebt die Differenzen und die Konflikte
zwischen ihnen aufs nachdrücklichste hervor. Diese Kulturen sind: die westliche,
d.h. westeuropäisch-nordamerikanische, die christlich-orthodoxe Rußlands
und einiger Teile Osteuropas, die vom Konfuzianismus bestimmte »sinische«,
die davon verschiedene japanische, die hinduistische, die islamische, die afrikanische
und die lateinamerikanische. Einen Vorrang der westeuropäisch-nordamerikanischen
Kultur sieht er darin, daß sie es war, die erstmals die »Modernisierung«
in die Welt brachte, welcher sich heute keine der anderen Kulturen entziehen kann.
Aber diese Modernisierung zerstört nicht etwa die Eigenart der anderen Kulturen,
sondern bringt neuartige, zur Selbstbehauptung, ja zum Ausgreifen entschlossene
Formen dieser Kulturen hervor, die man Fundamentalismen nennt. Als einen anschaulichen
Beweis für den Vorrang der Kulturkonflikte führt Huntington das ehemalige
Jugoslawien an, wo ... die Grenzlinien zwischen dem westlich-christlichen Abendland,
der byzantinisch-orthodoxen Welt und dem Islam ihre geschichtsbestimmende Kraft
an den Tag legten. Seine Aufmerksamkeit wendet Huntington vornehmlich dem Islam
zu, der in seinen Augen eine besonders aggressive Form des Fundamentalismus entwickelt
hat und dem gegenüber die westliche Kultur in einer Verteidigungsposition
ist, nicht zuletzt deshalb, weil die islamischen Völker des Maghreb und des
Nahen Ostens »junge Völker« sind, die den alternden Völkern
des Westens an demographischer Vitalität weit überlegen sind. Für
die Zukunft schließt Huntington daher Kriege zwischen den Kulturen nicht
aus, anscheinend nicht so sehr Kriege zwischen dem Islam und dem Westen, die ja
in der Gegenwart schon seit Jahrzehnten stellvertretend ... geführt wurden
und werden, sondern einen Krieg zwischen China und den USA. Huntington teilt also
nicht die Meinung Fukuyamas, Kriege seien nur noch in der Dritten Welt möglich
und »große Kriege« seien ausgeschlossen, er sieht vielmehr ein
langes und durchaus »geschichtliches« Zeitalter der Kulturkonflikte
heraufziehen, welches das Zeitalter der nationalen und der ideologischen Konflikte,
das 20. Jahrhundert, ablöst und doch in gewisser Weise fortsetzt. (Ernst
Nolte,
Der kausale Nexus - Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft,
2002, S. 260-261 ).Die
Gedankengänge dieser beiden Denker zeichnen große Linien, aus denen
sich ein unterschiedliches, ja gegensätzliches Selbstverständnis gerade
der Europäer ergibt, die dieses Selbstverständnis nun nicht mehr, wie
während der langen Jahrzehnte des »kurzen 20. Jahrhunderts« zwischen
1914 bzw. 1917 und 1989 bzw. 1991 aus dem Gegensatz von Liberalen
System und Totalitarismus,
von Kommunismus und Faschismus, von Sozialismus und Kapitalismus herleiten können.
(Ernst Nolte,
Der kausale Nexus - Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft,
2002, S. 261-262 ).
Wer »Interessen« als individuelle oder kollektive
Neigungen versteht, wird niemals eine konsensuelle, nicht-strategische
und eben dadurch ethische Übereinstimmung auch nur zwischen einer
größeren Zahl von Individuen, geschweige denn zwischen »allen«
erzeugen. Die einzige Möglichkeit wäre dann gegeben, wenn alle
diese Individuen so sehr gleich wären, daß es zwischen ihnen
keine Differenzen der Interessen, Neigungen sowie Überzeugungen und
damit keine Herausbildung alter oder neuer Erscheinungsformen von Macht
und Autorität gäbe. So muß vor dem Auge derjenigen, welche
die Konzeption der Diskursethik zu Ende zu denken versuchen, das Schreckbild
einer klonierten Menschheit auftauchen. .... Diskursethiker ... übersehen,
daß nicht nur die bisherige Geschichte voller Verkehrungen und Paradoxien
war, sondern daß aller Vermutung nach auch die mögliche Nachgeschichte,
zu deren Vorkämpfern sie sich machen, davon nicht frei sein wird.
(Ernst Nolte,
Der kausale Nexus - Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft,
2002, S. 315-316 ).
Es
wäre keine größere Ungerechtigkeit, kein schlimmeres Unglück
vorstellbar, als ... wenn überall die Weltzivilisation der »Nachgeschichte«
im Hochgefühl ihres Triumphes alles fortstieße, was sie für »antimodern«
oder »archaisch« erklärt. (Ernst Nolte,
Der kausale Nexus - Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft,
2002, S. 344 ).
Die Meinung von Johannes F. Lehmann: Der
Mensch, so könnte man Fukuyama
verstehen, ist das Tier, das vergleicht. Das, was er ist und kann, vergleicht
er mit der Anerkennung, die er dafür bekommt, und sich selbst vergleicht
er mit anderen, die er übertreffen will. Diese platonisch-hegelianische
Begriffskonstruktion Fukuyamas legt ... auch Sloterdijk
(in: Zorn und Zeit, 2006), in allerdings modifizierter Form, seiner
gesamten Theorie einer Psychopolitik als eine Grundenergie unter, die
den Menschen von »seinem Stolz, seinem Mut, seiner Beherztheit,
seinem Geltungsdrang, seinem Verlangen nach Gerechtigkeit, seinem Gefühl
für Würde und Ehre, seiner Indignation und seinen kämpferisch-rächerischen
Energien« (S. 27f. )
her denkt. Sloterdijks Buch ist im Kern eine (als solche auch deklarierte)
mitunter anspielungsreiche Amplifikation jener »gedankenreichen
Abschnitte des ungelesenen Bestsellers Das Ende der Geschichte.
Wo stehen wir?« (S. 41 )
über den Thymos (vgl. ebd., S. 203-265). Während allerdings
Fukuyama den »thymotischen Teil der Seele« (ebd., S. 252)
vor allem vom Pol des Wertvergleichs, des Anerkennungsstrebens und seiner
Übersteigerungen (»megalothymia«) her denkt, das heißt
als ein Verlangen, das als Katalysator in politischen Konflikten immer
mitwirksam ist, so stellt Sloterdijk demgegenüber den Pol des Protests
und des Widerstands, des Zorns und der Rache ins Zentrum, das heißt
einen Affekt, den er als verwertbaren und speicherbaren »Rohstoff«
des Politischen zur Geltung bringen will. Sloterdijk substantiviert den
»thymotischen Seelenteil« Fukuyamas zum »Thymotischen«.
.... Und Sloterdijk greift zur Beschreibung des »Thymotischen«
selbst auf die biologische Metaphorik des Organismus und des von seiner
Umwelt entkoppelten »Warmblüters« zurück, der sein
mentales »Gegenstück in den thymotischen Regungen der Einzelnen
wie der Gruppen« (S. 38 )
habe .... Dennoch und bei aller Kritik im einzelnen, die Wiederentdeckung
des »Thymotischen« neben dem Erotischen (bzw. Ökonomischen)
ist der wohl wichtigste Ertrag des Buches von Sloterdijk, da er eine echte
Alternative zum Begriff der Agression darstellt und ermöglicht, die
(zumeist völlig unverstandene) Modernität von Ehr- und Wutphänomenen
jenseits von Narzißmustheorien (und ihren Zwängen  )
und auch jenseits von Destruktionstrieben zu denken. Sloterdijk und insbesondere
Fukuyama ist vorbehaltlos darin zuzustimmen, daß politische Prozesse
nicht zureichend von einer Anthropologie des Verlangens verstanden werden
können. Gerade die jüngste Zeit bietet eine erschlagene Fülle
an Beispielen für die Rolle, die Ehre, Anerkennung und Geringschätzung
in politischen Konflikten und als Faktor ihrer Eskalation spielen. . .... »Die Zornmassen durchlaufen die Metamorphose von der blinden Verausgabung
im Hier und Jetzt bis zum hellsichtig geplanten weltgeschichtlichen Projekt
einer Revolution zugunsten der Erniedrigten und Beleidigten.« (S.
96 ).
Und das setzt voraus, daß der Zornige seinen Zorn aufschiebt, daß
er eintritt in die, wie Sloterdijk in Anlehnung an Heidegger formuliert,
»existenzielle Zeit« (S. 97 ),
in der das Dasein hingespannt ist auf den Tag des Zorns. In diesem Sinne
ist es der Zorn, der als Projektform zur Rache und zur »Bankform
der Revolution« wird, der allererst das erzeuge, was wir Geschichte
nennen, und was nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zu Ende gegangen
sei. .... Die theologische Konstellation von Zorn und Ewigkeit, die durch
die Erfindung des Purgatoriums eine Verzeitlichung erfuhr, wird, so Sloterdijk,
in der Moderne als Konstellation von Zorn und Zeit zum Inbegriff der Geschichte.
Dies geschieht, indem Rache und Immanenz fusionieren: An die Stelle des
göttlichen dies irae tritt als das Ende der Geschichte der
Zahltag des von der Weltbank des Kommunismus gesammelten Zorns. Diese
Geschichte von der »thymotischen Revolution des dritten Kapitels
(»Die thymotische Revolution« )
bildet ... den Schwer- und Zielpunkt, gewissermaßen die Achse der
Argumentation. Sloterdijks Hauptkapitel folgt damit der von Historikern
... immer wieder gestellten Forderung, die Emotionen bei der politischen
Geschichtsschreibung einzubeziehen. Nach dem Tod Gottes ist die Position
der Zornsammelstelle als eines Exekutors des Weltgerichts vakant. In diese,
so Sloterdijk, rückt nun der Kommunismus ein, der einerseits als
Weltbank den Zorn der Unterdrückten sammelt und andererseits auf
den Tag der Abrechnung, der Auszahlung, der »thymotischen Rendite«
(S. 222  )
und das »letzte Gefecht« (S. 198  )
hinarbeitet. Sloterdijk unterscheidet dabei drei Stile der »Zornbewirtschaftung«,
den anarchistischen, den sozialdemokratischen und den kommunistischen
und konzediert allein letzterem die Fähigkeit, »mit einem effektiven
Weltbankanspruch aufzutreten« (S. 226  ).
.... Während der Kommunismus so als die eigentliche Zornsammelstelle,
als Weltbank der Rache erscheint, die in der Lage sei, den Zorn der Massen
aufzufangen und politisch zu instrumentalisieren, deutet Sloterdijk im
Rahmen seiner programmatischen Holocaust-Dezentrierung die im Vergleich
zur Kulakenvernichtung quantitativ (viel!)
geringere Rassenvernichtung der Nationalsozialisten - ganz im Sinne der
Thesen Ernst Noltes
( )
- als Reaktion und (weitgehend) als Nachahmung der, so Sloterdijk, mit
Blick auf die Dekrete zum »roten Terror«, initialen kommunistischen
Herausforderung. (Johannes F. Lehmann ).
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Selbstbewußtsein ist in der Tat das
elementarste Kennzeichen des Menschen,
und ohne Selbstbewußtsein gibt es keine
menschliche Geschichte, aber wie das Beispiel
der indischen Asketen oder der christlichen
Säulenheiligen zeigt, kann eine extreme Form
des Selbstbewußtseins gerade den Ausstieg
aus der Geschichte implizieren. (Ernst Nolte,
Historische Existenz, 1998, S. 30 ).
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Noltes Buch Historische Existenz hat viele Rezensionen hervorgerufen,
u.a. auch die von Peter D. Krause (in: Etappe, Nr.
16, Dezember 2001 / Januar 2002)- hier kommentiert von Peter Töpfer:
Die Spannung der Rezension ... von Peter D. Krause ... liegt darin,
daß Krause die Noltesche »Nachgeschichte« als den »Weltstaat«
und die »Weltzivilisation« interpretieren zu müssen scheint,
gleichzeitig aber offen läßt, ob für Nolte nicht doch
ein anderer Ausgang, ein anderes Ende der Geschichte, eine andere Art
»Nachgeschichte« in Betracht kommt, nämlich die Rückkehr
zur »Vorgeschichte«, deren eine Etappe etwa ein Räte-Reich
im Huchschen Sinne sein könnte. Die »Möglichkeit
eines geschichtslos-paradiesischen Endzustandes«, die »seit
alters ein spekulatives Faszinosum« sei, läßt sich nämlich
auch topisch denken, und nicht nur utopisch-globalistisch. . .... »Wird
die Posthistorie die Wirklichkeit des uralten utopischen Traumes sein
oder am Ende dessen Gegenteil?«, fragt Krause. Genau
so gut kann sie aber auch eine Topisierung, Reloziierung, Dezentralisierung,
anthropologische Rückorientierung, eine »wirkliche Erneuerung«
und eine Rückkehr zum »Grundwillen des Volkes« (Ricarda
Huch) sein bzw. eine »Balkanisierung und Rückverdummung«,
wie es die Pogo-Anarchisten sagen, die in ihrem 100-Tage-Programm ein
»Deutschland in den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches
von 1237« fordern. .... Nachgeschichte oder Ausstieg aus der Geschichte
heißt nicht ... Aufgabe der eigenen Interessen, sondern im Gegenteil
radikalisierte Wahrnehmung derselben. .... Wir als zivilisationsungläubige
Zivilisationszwangsteilnehmer verlassen zugunsten einer Kommunikation
mit den Zivilisierten und Gebildeten unser Hier & Jetzt und gehen
als Paläo- und »Urkonservative« (Ernst Jünger ;
vgl. auch: Karlheinz Weißmann, Anarchie von rechts, 1998,
S. 39 )
in unserer Beschreibung von Anarchie sowohl zurück in die »Vorgeschichte«
als auch als Erzprogressive nach vorn in eine Welt, die sich immer weiter
aufklärt bzw. sich wieder- und rückaufklärt. Wir orientieren
uns – geschichtlich ausgedrückt – an beiden Extremen .... Warum nicht
die Geschichte einfach verlassen ...? Wir Anarchisten knüpfen direkt
an die »Vorgeschichte« an, ohne von ihr überhaupt etwas
zu wissen. Wir sind ungeschichtlich und lassen folglich auch irgendeine
»Nachgeschichte« ausfallen. »So
ist zu hoffen, daß das alte Mantra: Erkenne Dich selbst
hier (im Wiederaufleben der Vorgeschichte) eine neue Werkstatt und Meisterschule
finden wird.« (Ernst Jünger, An der Zeitmauer, in: Gesammelte
Werke, S. 495 ).
Wobei dem »Erkennen« unbedingt eine transkognitive Bedeutung
beigemessen werden muß. Und Nolte weiß: »Eine extreme
Form des Selbstbewußtseins (kann) gerade den Ausstieg aus der Geschichte
implizieren.« (Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998, S.
30 ).
Wir sind diese extreme Form und betreiben diesen Ausstieg. Die Geschichte
ist eine wirre und eklige Sekunde, ein kurzer sozialer Orkan in der ewigen
Zeit, die so schnell und so gründlich wie möglich vergessen
sein soll. Ein bißchen »Mut zur Übernahme einer nachgeschichtlichen
Existenz« ( )!,
wie Nolte Oswald Spengler ( )
wiedergibt, der Nolte zufolge »sehr mißverstanden« ( )
worden sei. »Untergang bedeutete für Spengler eben
keineswegs Niederlage oder Zusammenbruch, sondern den Übergang in
die Nachgeschichte .…« (Ebd., 1998, S. 44 ).
(Peter Töpfer, Reich und Anarchie, in: Etappe, Nr. 16, Dezember
2001 / Januar 2002; vgl. Nationalanarchismus).
Wenn ich Noltes Historische Existenz richtig verstanden und dabei
das für den Untertitel (Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?)
so wichtige Fragezeichen im Gedächtnis behalten habe, dann sucht er mit Hilfe
historischer Existenzialien eine Antwort auf die Frage, ob die Geschichte
zu Ende sein kann oder nicht, genauer: ob die Geschichte im engeren Sinne
(!!!)
zu Ende sein kann oder nicht. Denn Nolte unterscheidet zwischen Geschichte
im engeren Sinne und Geschichte im weiteren Sinne (d.h.: anthropologische
Geschichte). Er kann gerade deshalb darüber philosophieren, ob die Geschichte
im engeren Sinne zu Ende sein könnte oder nicht, weil die Geschichte
im weiteren Sinne auch die Vorgeschichte und die Nachgeschichte
umfaßt und darum zumindest im »anthropologischen« Sinne nicht
zu Ende sein kann (vgl. ebd., S. 683 ).
Die Frage nach dem Ende der Geschichte im engeren Sinne ist nicht eindeutig
zu beantworten und wird auch m.E. von Nolte nicht eindeutig beantwortet, schon
gar nicht die, ob bereits die Gegenwart Teil der Nachgeschichte sei.
Laut Nolte sind zwar einige der historischen Existenzialien bis heute
stark verändert worden, aber nicht einmal ein einziges von ihnen ist bis
heute verschwunden. Diese Tatsache ist für Nolte ein Indiz dafür, daß
die Nachgeschichte noch nicht begonnen hat (vgl. ebd., S. 682 )!
Laut Nolte ist es zulässig,
einen engeren Begriff der Geschichte von einem weitesten zu
unterscheiden und ihm sowohl Vor- wie Nachgeschichte entgegenzustellen,
so daß es sinnvoll ist, in dieser Bedeutung nach der historischen
Existenz und deren Grundbestimmungen zu fragen. (Ernst Nolte, Historische
Existenz, 1998, S. 683 ).
Und im Umkreis der Jahrtausendwende, die
ja noch bevorstand, als Nolte seine Historische Existenz veröffentlichte
(1998), sei ein besonders günstiger Standort gegeben. Von hier
aus lassen sich im Rückblick die großen Kämpfe des 20.
Jahrhunderts besser und angemessener begreifen, wenn sie als die letzten
Kämpfe der Geschichte in dem engeren Sinne verstanden werden, und
zwar als Kämpfe um die Geschichte, die von den Protagonisten im Bewußtsein
des Ungeheuerlichen des Umbruchs gegen oder für »die historische
Existenz« geführt wurden, jedoch so, daß beide Seiten,
jeweils mit ihrem Gegenteil behaftet, am Ende scheiterten. (Ebd.,
S. 683 ).
Doch jetzt das ABER! Im Vorblick aber ist
keinerlei Sicherheit zu gewinnen: Es mag sein, daß die Menschheit,
in Verfolgung der kurzfristigen Interessen der immer zahlreicheren Individuen,
am Ende nach Analogie von Naturvorgängen wie des Schicksals der Ziegen
auf der Insel Fernando Póo ( )
schließlich den Hungertod (besser den Erstickungstod) erleiden muß;
es mag sein, daß sie ganz im Gegenteil in weniger als einem Jahrtausend
buchstäblich ausstirbt, weil alle Individuen, nicht nur diejenigen
des Okzidents, die »Selbstverwirklichung« der Erfüllung
von Gattungsaufgaben vorzuziehen gelernt haben; es mag sein, daß
die pragmatische Vernunft sich als stark genug erweist, einer begrenzten
Anzahl von Individuen und kulturellen Identitäten ein freundschaftliches,
wenngleich schwerlich konfliktfreies Neben- und Miteinander unter strikter
Ausschließung aller Vernichtungsforderungen zu ermöglichen
( );
es mag sein, daß jene unterschiedslose Weltstadt aus puren Individuen
Wirklichkeit wird, die in Gestalt einiger Angehöriger oder sogar
als ganze eines Tages die Erde für die Dauer verläßt;
ein Wissen von dieser Zukunft ist uns verwehrt. (Ebd., S. 683-684
).
Wie gesagt: Auch Nolte findet keine eindeutige Antwort auf die Frage nach
dem Ende der Geschichte im engeren Sinne, und die Geschichte
im weiteren Sinne kann bekanntlich nicht zu Ende sein, denn: Der
Mensch, so sagten wir, ist das zur Welt hin geöffnete, das transzendentale
Wesen. Als solches kann und muß er Geschichte haben, und in dieser,
der anthropologischen Geschichte, bleibt er, solange er existiert.
(Ebd., S. 683 ).
Fassen wir zusammen: Die Geschichte im weiteren Sinne kann nicht
zu Ende sein, solange der Mensch existiert, und die Geschichte im engeren
Sinne kann nicht zu Ende sein, solange alle bisherigen historischen
Existenzialien existieren. Bis heute ist noch nicht einmal ein historisches
Existenzial verschwunden. Schon allein deshalb kann auch die Geschichte
im engeren Sinne noch nicht zu Ende sein!
Bisher hat es noch kein Mensch vermocht, das
Ende der Geschichte im engeren Sinne zu bestimmen. Für manche ist
dieses Ende erst der Beginn, für andere liegt es bereits hinter uns. Vielleicht
war ja die Geschichte im Sinne Hegels schon mit Hegel an ihr Ziel gekommen,
nämlich im Sinne eines Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit
(in den 1930er Jahren hatte z.B. Kojéve das Ende der Geschichte
auf das Erscheinungsjahr von Hegels Phänomenologie des Geistes datiert:
1807 [ ]).
Für Oswald Spengler ist die Nachgeschichte, die
er »Zivilisation« nennt und allerdings auf einzelne Kulturen begrenzt,
mit negativem Akzent nicht minder ein Thema als mit positiver Betonung für
Arnold Toynbee und Karl Jaspers. (Ernst Nolte, Historische Existenz,
1998, S. 597 ).
In Spenglers Modell ist nicht vom Ende der Geschichte die Rede, sondern vom jeweiligen
Ende der Geschichte der 8 Kulturen ( ).
Laut Spengler endet die je spezifische Geschichte einer Kultur wegen zivilisatorischer
Vergreisung - das heißt z.B. für die abendländische Kultur: Geschichtsloses
Erstarren ... nach 2200. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
1918, S. 70 ).
Glaubt man Fukuyama, dann könnte die Geschichte im Sinne Hegels bereits
1989 geendet haben ( ).
Peter Sloterdijk sieht in Fukuyamas Werk:die
Wiedergewinnung einer authentischen politischen Psychologie auf den Grundlagen
der wiederhergestellten Eros-Thymos-Polarität. Es liegt auf der Hand, daß
eben diese politische Psychologie (die wenig mit der sogenannten »Massenpsychologie«
und anderen Anwendungen der Psychonalyse auf politische Objekte zu tun hat) durch
den Gang der Dinge ins Zentrum des aktuellen Bedarfs an neuen theoretischen Orientierungen
gerückt wurde. .... Die zeitdiagnostische Lektion, die sich in The End
of History verbirgt, ist also nicht von dem Titelslogan abzulesen, der, wie
bemerkt, nur eine geistreiche Auslegung der Hegelschen Philosophie durch Alexandre
Kojève aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zitiert (welcher
seinerseits das »Ende der Geschichte« auf das Erscheinungsjahr von
Hegels Phänomenologie des Geistes 1807 datiert hatte). Sie besteht
in einer aufmerksamen Beobachtung der Prestige- und Eifersuchtskämpfe zwischen
Bürgern der »freien Welt«, die gerade dann in den Vordergrund
treten, wenn die Mobilisierung der zivilen Kräfte für Kämpfe an
äußeren Fronten aufgehört hat. Erfolgreiche liberale »Demokratien«,
erkennt der Autor, werden aufgrund ihrer besten Leistungen immer von Strömen
frei flottierender Unzufriedenheit durchzogen sein. Dies kann nicht anders sein,
weil Menschen zu thymotischer Unruhe verurteilt sind, und »letzte Menschen«
mehr als alle übrigen .... (Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit - Politisch-psychologischer
Versuch, 2006, S. 65-67 ).
  
| Thymos ist für Fukuyama nichts
anderes als der psychologische Sitz des Hegelschen Strebens nach Anerkennung
(Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, 1992, S. 233); dieses ist der
eigentliche Motor der Menschheitsgeschichte (ebd., S. 229). Hegelsches
Geschichtsbild und platonisch-hegelianische Begriffskonstruktionen, vor allem
was eben das Thymotische angeht, sind also die Hauptmerkmale, an denen sich Fukuyama
orientiert und aus denen er seine Thesen ableitet, ebenso Sloterdijk in seinem
Werk Zorn und Zeit (Untertitel: Politisch-psychologischer Versuch;
2006), und beide, Sloterdijk und Fukuyama, sind auch von Nietzsche, Sloterdijk
zusätzlich von Heidegger beeinflußt. Wie Nolte!Mit
deutlicher Sympathie für die These Ernst Noltes betont Sloterdijk die Vorgängerfunktion
des Linksfaschismus gegenüber den faschistischen »Nationalbanken«
des Zorns, so Jens Bisky, der ebenfalls in Hegel den Grund dafür sieht,
daß sowohl Sloterdijk als auch Fukuyama in gut hegelianischer Wendung
meinen, Geschichte geschehe nur in der Form der Tragödie oder des Epos.
Die vielen Geschichten, und sei es die, wie mit »hämischer Mittellosigkeit«
das World Trade Center zerstört wurde, ergeben keine Geschichte als Weltgericht.
(Jens Bisky, in: Süddeutsche Zeitung, 04.10.2006 ). | Ob
das Historiker auch so sehen? Obwohl: Viele unserer heutigen Historiker
sind doch schon gar keine Historiker mehr, sondern nur noch Prediger - Prediger
einer Neu-Religion, die ebenfalls bereits seit 1789 immer mehr dabei
ist, sich durchzusetzen. Ob nun die seit 1789 unaufhörlich drohende Revolution
oder nur der Kommunismus (der ja eine rein westliche Erfindung und laut Sloterdijk
ein säkularisierter Katholizismus, ansonsten aber ganz sicher ein linker
Totalitarismus als Antithese [ ]
im Sinne Hegels ist) oder sogar die Geschichte im Sinne Hegels zu Ende gegangen
ist oder nicht bzw. aufgehoben ( )
im Sinne Hegels ist oder nicht, und ob heute Hegel selbst so voreilig wie manche
heutige Zeitgenossen das Ende der Geschichte als Tatsache behaupten würde,
darf ja auch bezweifelt werden. Vieles dabei hängt ja nur von der Definition
von Geschichte ab. 
Einer der phantastischsten Texte der Philosophiegeschichte hat
sich als der realistischste erwiesen: Also sprach Zarathustra. Schon die
Vorrede inszeniert die »Posthistorie«, also die Zeit nach dem Ende
der Geschichte und des Hegelschen
Menschen. Nietzsche
zeichnet dort den Letzten Menschen als Gegenteil des Übermenschen. »Was
ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?
- so fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist dann klein geworden, und
auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht. Sein Geschlecht ist
unaustilgbar wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten. Wir
haben das Glück erfunden - sagen die letzten Menschen und blinzeln.«
(Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 1883-1885, S. 13). So steht
der Letzte Mensch zwar für das Ende des Menschen, doch dessen Verschwinden
in der Spur des toten Gottes hat für Nietzsche nichts Eschatologisches. »Posthistorie«
ist als Zeit des Endes der Geschichte kein endgeschichtlicher Begriff. Gerade
der Letzte Mensch wird am längsten leben. Seine Arbeit der Nivellierung zielt
auf den Insektentypus, den die großen Ameisenbauten der modernen Städte
fordern. Diese totale Uniformierung, die Abschleifung zum Sand der Menschheit,
hat Nietzsche dem Christentum und der Demokratie zur Last gelegt. Und so sieht
er die Menschen der drohenden Zukunft: Alle sehr gleich, sehr klein, sehr
rund, sehr verträglich, sehr langweilig. Ein kleines, schwaches, dämmerndes
Wohlgefühl über alle gleichmäßig verbreitet, ein verbessertes
und auf die Spitze getriebenes Chinesentum.« (Friedrich Nietzsche, Sämtliche
Werke , Band IX, S. 73). Warum betont Nietzsche, daß die Letzten Menschen
das Glück nicht gefunden, sondern erfunden haben? Das soll besagen, daß
es sich um die Narkose der kleinen Gifte und Rauschmittel handelt. Und diese Drogen
betrügen den Menschen um seine letzten Kräfte, nämlich die Sehnsucht und die Verachtung. So charakterisiert Nietzsche den Grundvorgang der Moderne
als geistige Versklavung durch die langsam fortschreitende Behaglichkeit des Wohlstands.
(Norbert Bolz, Das
Wissen der Religion, 2008, S. 53 ).Um
1900 verbreitete sich der Eindruck, daß die westliche Zivilisation in eine
Endphase der Kristallisation eingetreten ist. Ein bloß noch biologisches
Auf und Ab ersetzt die Geschichte, die Form erstarrt zur Formel und der Lebensstil
versteinert zum Typus. So hat Oswald Spengler den Faust des II. Teils als Herold
der traumlosen Erstarrung begrüßt und die Lehre von der Entropie als
säkularisierte Götterdämmerung verstanden. Ist die kristalline
Zivilisation erst einmal in ihrem Grundriß fertig, so gibt es keine Geschichte
mehr, sondern nur noch das Kaleidoskop der »Posthistorie« - eine Welt
fortwährender Veränderungen, in der nichts anders wird. (Norbert
Bolz, Das Wissen
der Religion, 2008, S. 53-54 ).
Auch Alexandre Kojève, der geniale Hegelianer, dem die
Nachkriegsintelligenz von Paris zu Füßen saß, hat als
Fazit seines Hegelstudiums die »Posthistorie« verkündet:
Geschichte im emphatischen Sinn ist zu Ende. Der große Philosoph
Hegel hat gedacht, was zu denken war. Und der große Staatsmann Napoleon
hat die revolutionären Energien zum Bestand der Welt universalisiert,
mit dem nun zu rechnen ist. Von nun an entleert sich das geschichtliche
Geschehen bis zum reinen Als-ob. Alles geschieht nur noch, als ob etwas
geschehe. Die Fülle der Ereignisse gehorcht einem stabilen Pattern.
Jetzt ist der Prestigekampf um Anerkennung gewonnen, die Knechte sind
seit der französischen Revolution gleiche Bürger, von
denen die Macht ausgeht. Wir entfalten nun die Paradoxie der Demokratie
als einer Herrschaft ohne Herrscher und Beherrschte. Es gibt keinen Grund
und Ansatzpunkt mehr für »Negativität«. Nun beginnt
die »Posthistorie«; der nachgeschichtliche Mensch betritt
die Weltbühne. Hören wir Kojève selbst: »Was verschwindet,
ist der Mensch im eigentlichen Sinn. Das Ende der menschlichen Zeit oder
der Geschichte bedeutet ja ganz einfach das Aufhören des Handelns
im eigentlichen Sinn des Wortes. Das heißt praktisch: das Verschwinden
der Kriege und blutigen Revolutionen. Und auch das Verschwinden der Philosophie;
denn da der Mensch sich nicht mehr wesentlich selbst ändert, gibt
es keinen Grund mehr, die Grundsätze zu verändern, die die Basis
der Welterkenntnis und Selbsterkenntnis bilden. Aber alles übrige
kann sich unbegrenzt erhalten: die Kunst, die Liebe, das Spiel.«
(Alexandre Kojève, a.a.O., S. 286f.). So Alexandre Kojeve schon
in den frühen 1950er Jahren. Er hat selbst radikale Konsequenzen
aus dieser Diagnose gezogen und seine wissenschaftliche Karriere beendet.
Denn wenn die Geschichte am Ende ist, endet auch die »große
Politik« - und damit ist auch die Philosophie am Ende. Kojève
wurde Beamter in der Europäischen Gemeinschaft. (Norbert Bolz,
Das Wissen der Religion, 2008, S. 54 ).
In
der Grunddiagnose herrscht eine verblüffend große Einigkeit unter den
Denkern. Der berühmte Buchtitel Francis Fukuyamas
- Das Ende der Geschichte und der Letzte Mensch - faßt ja ganz einfach
die Positionen Hegels
und Nietzsches
zusammen. Diese Welt hat dann Max Weber als »Gehäuse der Hörigkeit«
definiert. »Verwaltete Welt« (Theodor W. Adorno), »technischer
Staat« (Helmut Schelsky) und das »Gestell« (Martin Heidegger)
sind nur verschiedene Namen für das Endprodukt eines spezifisch modernen
Prozesses, den Arnold Gehlen auf den Begriff der »kulturellen Kristallisation«
gebracht hat. (Norbert Bolz,
Das Wissen der Religion, 2008, S. 54-55 ).
Es gibt heute weder Herr und Knecht noch Freund und Feind. »Posthistorie«
ist das Weltalter der Langeweile - obwohl doch so unendlich viel geschieht!
Ja, es ist gerade die Stabilitätsbedingung dafür, daß
wir ertragen, daß sich alles ständig ändert. Und all die
Spielereien der »Postmoderne« haben die Theorie der »Posthistorie«
seither bestätigt: sei es die operative Magie liturgischer Formen,
die Dekonstruktivisten betört, sei es das »Raffinement des
Aufregungs - und Betäubungsbedürfnisses« der Vielen, von
dem Nietzsche so hellsichtig gesprochen hat. (Vgl. Friedrich Nietzsche,
Sämtliche Werke , Band XII, S. 118). Diese Betäubungsbedürfnis
befriedigt gerade auch das Wohlfühlchristentum. Jeder kennt Marxens
Formel von der Religion als Opium des Volkes. Aber auch Nietzsche hat
von einem »opiatischen Christenthum« gesprochen. (Vgl. Friedrich
Nietzsche, Sämtliche Werke , Band XII, S. 138). Gemeint ist:
Nicht Religion selbst ist Opium, sondern die Letzten Menschen machen aus
Religion ein Opiat. Sie benutzen das Christentum als Droge, zur Beruhigung
der Nerven. Jede Spur der christlichen Erschütterung ist sorgfältig
getilgt. Man denke dagegen an Kierkegaard und seine Erfahrung der Unmenschlichkeit
Gottes: Gott quält die Menschen - für einen Griechen muß
es so aussehen, als würde sich Gott am Leiden der Menschen delektieren.
Christlich leben ist die Hölle auf Erden. Gottes Liebe macht den
Geliebten unglücklich. Das Subjekt der »Posthistorie«
ist der Mensch als Haustier des Menschen. Übersetzt in den politischen
Alltag heißt das: Die Letzten Menschen Nietzsches sind die Gutmenschen.
Ihr Paradies ist Schweden. Wohlgemerkt geht es hier nicht um das Land
Schweden (von dem der Autor dieser Zeilen keine Erfahrung hat), sondern
um das sozialdemokratische Vorbild Schweden (dessen Ähnlichkeit mit
der Wirklichkeit vielleicht nur Schweden beurteilen können). Das
ist »die Welt des fröhlichen Roboters», von
dem Helmut Schelsky gesprochen hat. (Vgl. Helmut Schelsky, Auf der
Suche nach Wirklichkeit, 1979, S. 467). Daß es fröhliche
Roboter und glückliche Sklaven gibt, ist kein Huxley-Phantasma, sondern
die schlichte Konsequenz eines Utilitarismus, der keinen Sinn für
Freiheit hat. Und heute scheint der Schlaf der wohlfahrtsstaatlichen Vernunft
das Ungeheuer einer Welt als Kinderkrippe und Altersheim zu gebären.
In dieser Welt herrscht das Rentnerideal freiwilliger Knechte, die Nietzsche
mit größter Präzision als »die autonome Heerde«
beschrieben hat. (Vgl. Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke ,
Band V, S. 125). Dann gilt aber: Menschlich ist das, was der Mensch nicht
mehr ist. (Norbert Bolz,
Das Wissen der Religion, 2008, S. 55 ).
Für
eine derartige Beschreibung der modernen Gesellschaft stand früher ein scharfer
diagnostischer Begriff bereit: Dekadenz. Man faßt ihn aus guten Gründen
heute nicht mehr gerne an. Denn sein Gegenbegriff lautet Wille zur Macht; so wie
der Gegenbegriff zum Letzten Menschen ja der Übermensch ist. Das Potential
des Schreckens, das beide Begriffe, Übermensch wie Wille zur Macht, in sich
bergen, ist Geschichte geworden. Deshalb kann man auch an ihre Gegenbegriffe schlecht
anschließen. Aber es gibt eine katechontische Fassung des Begriffs Dekadenz:
Niedergang ist der Preis, den wir für das Aufhalten des Untergangs zahlen
müssen. Diese Bereitschaft, den Niedergang zu akzeptieren, um den Untergang
hinauszuzögern, scheint heute weit verbreitet zu sein. Dekadenz wird nicht
als Not, sondern als lebenskluge Bequemlichkeit erfahren. Und man muß schon
Philosophen oder Psychoanalytiker bemühen, um hier überhaupt ein Bewußtsein
dafür zu wecken, daß dieses Leben nicht lebt. Die fröhlich konsumierenden
Roboter spüren nichts von dem, was Heidegger die »Not der Notlosigkeit«
nannte (vgl. Martin Heidegger, Gesamtausgabe, Band 65, S. 237) - ist es
das, was der Begriff Dekadenz einmal meinte? (Norbert Bolz,
Das Wissen der Religion, 2008, S. 55-56 ).
Oswald
Spengler ( )
stellte bekanntlich dem langsamen Erlöschen der geistigen und künstlerischen
Kräfte des Abendlandes und seiner Ableger die immer noch andauernden schöpferischen
Fähigkeiten der faustischen Abendländer im Bereich ihrer modernen Technik
entgegen. Hierin werde das Abendland, darin war Spengler überzeugt, noch
lange Zeit einen unaufholbaren Vorsprung besitzen. Aber eben nur dann, wenn die
Gefahr einer Überwältigung durch die weiße Weltrevolution
( ),
die farbige Weltrevolution ( ),
das Bündnis beider ( )
und einer allzu raschen Aneignung der modernen Technik durch die nichtabendländischen
Völker rasch erkannt und mit entschlossen durchgeführten Gegenmaßnahmen
bekämpft werde. (Gunnar Heinsohn sagte 2006 im Philosophischen Quartett,
Europa habe nur noch die Möglichkeit, sich als Festung zu verteidigen: und
ich weiß nicht, ob Europa das kann. ).
Spenglers Prophezeiung einer kommenden globalpolitischen
Konfrontation, die sich vor allem an der Linie der kulturellen Differenz abspielen
werde, ist eingetroffen. Wir wissen heute, daß sich - sogar nach dem
Ende der Ost-West-Spaltung und des Kalten Krieges - eben keine »einheitliche«
Welt, kein Weltstaat, kein »ewiger Frieden«, auch keine kulturell
nivellierte, »amerikanisierte« Einheitswelt herausgebildet hat, trotz
aller ökonomischen »Globalisierung«. Das »Ende der Geschichte«
( ),
die Auflösung historischer Existenz im Zuge eines universal agierenden Liberalismus,
ist bis heute tatsächlich ausgeblieben. Die von Nietzsche prophezeiten »letzten
Menschen«, die »in der Sonne blinzeln« und sagen »Wir
haben das Glück erfunden«, sind - obwohl dieser Typus sich in den 1990er
Jahren hier und da bereits anzukündigen schien - noch nicht auf der Bildfläche
der Gegenwart erschienen. Die fundamentalen kulturellen Differenzen zwischen den
verschiedenen Kulturkreisen bestehen weiterhin mit unverminderter Schärfe
fort, vor allem zwischen der europäisch geprägten und der islamischen
Welt. Und es sieht nicht so aus, als ob sich daran in absehbarer Zukunft etwas
ändern sollte. Das bedeutet aber: Der entscheidende Faktor der heutigen Weltpolitik
ist und bleibt vorerst die Tatsache der kulturellen Fragmentierung der Welt und
der sich daran anschließenden politischen Konflikte. Wie immer man die Ursachen
dieser Konflikte auch deuten mag: als Konfrontation eines religiös-kulturellen
»Fundamentalismus« mit der »aufgeklärten Welt« des
Westens oder doch wohl treffender (und zugleich neutraler) als »Zusammenstoß
der Kulturen« ( )
- es handelt sich um ein Faktum, das Spengler ... bereits präzise vorausgesehen
und wenigstens in seinen Umrissen beschrieben hat, freilich mit den Begriffen
seiner damaligen Gegenwart und unter Bezugnahme auf die seinerzeit unmittelbar
drängenden Zeitprobleme. Was man von Spengler auch heute noch lernen kann,
was also von seinem politisch-publizistischen Werk bleibt, das ist die Einsicht
in die Unhintergehbarkeit und auch in die Unüberwindbarkeit der Konflikthaltigkeit
der politischen Existenz des Menschen. Solange Menschen unterschiedlichen Kulturen
angehören und sich dessen auch bewußt sind, so lange wird es keine
Einheitswelt geben, so lange wird es Konkurrenzkämpfe und in der Regel auch
gewaltsame Konflikte zwischen den Angehörigen der verschiedenen, miteinander
konkurrierenden Kulturkreise geben. Denn auch das hat Spengler gelehrt: Zwei Kulturen
mögen sich noch so sehr annähern - eine letzte, unüberwindbare
Schranke bleibt immer bestehen. Das vermeintlich allen gemeinsame »Menschliche«
kommt nur dort zum Tragen, wo es um die »Natürlichkeit« des Menschen
geht. Kommt die »Kultur« ins Spiel, dann beginnt der Konflikt, weil
Kulturen jeweils zeitlich und räumlich gebunden, daher grundsätzlich
verschieden sind und letztlich fundamental voneinander differieren. Daraus folgt
nun keineswegs zwingend, daß es für alle Zukunft eine agonale, eine
»kriegerische« Welt geben muß, daß die Menschen, so lange
sie existieren werden, sich immer wieder gegenseitig zu vernichten trachten. Aber
daraus folgt, daß es Frieden und Eintracht, wenn überhaupt, nur in
der von allen gemeinsam erkannten und bewußt ausgehaltenen, bewußt
akzeptierten Differenz geben wird. Hierin liegen die Grenzen des Universalismus
und erst recht diejenigen der »Globalisierung«. Und darin liegt auch
die Unmöglichkeit des Verzichts auf »Politik«, auch des Verzichts
auf »Weltpolitik« in einem durchaus traditionell gemeinten Sinn. Noch
für unsere Gegenwart gilt unverändert - vielleicht mehr denn jemals
zuvor - die Warnung, die Spengler formulierte: »Der Verzicht auf Weltpolitik
schützt nicht vor ihren Folgen« ( ).
(Peter R. Hubert, Kulturtheorie und Kulturkonflikt, in: Sezession-Sonderheft,
Mai 2005, S. 18 ).Daß
eine Rezeption der Spenglerschen Thesen auch bei einem breiteren us-amerikanischen
Publikum existiert, wird schon anhand eines Blicks auf die us-amerikanische Presselandschaft
deutlich. Am Rand der großen Debatten treten dort bestimmte Verweise, Diskussionen
und direkte Bezüge auf Spengler sporadisch an die Oberfläche. Mit der
Leserbriefüberschrift Spengler was right reagierte im September
1996 ein Leser des Spectator auf eine gegen Spengler gerichtete Polemik
mit einer genauen Darlegung und Richtigstellung der von Spengler vorgelegten Zeittafeln
und ihrer Übereinstimmung mit der eingetretenen Entwicklung. In einem weiteren
Leserbrief wurde die Ignoranz gegenüber dem Werk Spenglers angeprangert,
der schon vor dem Ersten Weltkrieg die heutige Situation vorausgesagt habe. Spenglers
Prophezeiung von der Allianz der Unterklassenanarchie und dem Aufstand der farbigen
Völker sei eine exakte Vorwegnahme der gegenwärtigen Bewegung für
eine antirassistische und multikulturelle Gesellschaft. In einem langen Artikel
der Kansas City Post vom 4. Dezember 2004 wird die christliche Apokalypse
( ),
die im Ideengut der religiösen Rechten einen großen Stellenwert besitzt,
in ein Verhältnis gesetzt mit der Gestalt der von Spengler beschriebenen
Spätzivilisation. Der Autor sieht in der Gegenwart deutliche Zeichen für
die Erfüllung von Spenglers Prophezeiung. Der demographische Niedergang Europas
und das Anwachsen muslimischer Minderheiten in Europa werden, Spengler folgend,
in Analogie zur Entvölkerung und Neubesiedlung des römischen Territoriums
in der Spätantike interpretiert. Nach dem 11. September 2001 konstatierte
Oliver Bennett im New Statesman, der Pessimismus sei zur vorherrschenden
geistigen Grundhaltung aufgestiegen und hätte die Progressionstheorien der
Aufklärung endgültig abgelöst. Diese geistige Depression habe bereits
in den 1960er Jahren eingesetzt und seine wichtigsten Vordenker seien Oswald Spengler
und Sigmund Freud. Gerade in akademischen Kreisen blühe der intellektuelle
Pessimismus in Form der postmodernen Wertekritik, der sich zu einer der mächtigsten
Kräfte des herrschenden Zeitgeistes aufgeschwungen habe. Der intellektuelle
Optimismus sei in die Defensive geraten. Francis Fukuyama sei mit seiner These
vom Ende der Geschichte einer der letzten einflußreichen, gegen den Strom
der Degenerationstheoretiker schwimmenden Denker. ( ).
Fukuyama kann man mit Blick auf seine Werke der 1990er Jahre tatsächlich
als liberalen Gegenpol zur Spenglerschen Geschichtsbetrachtung ansehen, doch in
seinen Arbeiten seit Beginn des 21. Jahrhunderts (wohl nicht zufällig) zeigen
sich sogar Parallelen zu Spenglers zyklischer Geschichtsbetrachtung. Der Optimismus
von Fukuyama ergibt sich nicht wie unterstellt aus einem einseitig linear-progressiven
Geschichtsbild, sondern daraus, daß er von kürzeren Zyklen der kulturellen
Degeneration und sittlichen Erneuerung ausgeht. Der Prozeß, der bei Spengler
ein Millenium umfaßt, ist bei Fukuyama auf hundert bis hundertfünfzig
Jahre verkürzt. In seinem Buch Der Große Aufbruch (2000
)
beschreibt Fukuyama die Dekadenzerscheinungen der westlichen Gesellschaft, den
Rückgang der Geburtenraten, den Anstieg der Kriminalität, den Verfall
der Familie und den Verlust von Sozialkapital. Eine ähnliche Entwicklung
habe sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzogen, die dann durch
neue Formen der sozialen Disziplinierung in der Viktorianischen Ära überwunden
worden sei. In den 1950er Jahren habe der in den 1920er Jahren erst nur in der
Elite einsetzende moralische Bruch langsam die gesamte Gesellschaft erfaßt,
die Gegentendenzen seien jedoch schon klar erkennbar und würden in der ersten
Hälfte des 21. Jahrhunderts quasi zu einem neuen Viktorianischen Zeitalter
führen, womit erneut ein kulturhistorischer Zyklus seinen Anfang nehme. Ein
von Fukuyamas abweichendes Zyklenmodell legte der Historiker Paul Kennedy in seinem
Werk Aufstieg und Fall der großen Mächte dar. Kennedy sieht
die Weltgeschichte als ewigen Prozeß des Auf- und Abstiegs von Großmächten,
bedingt durch die Spannung zwischen der Begrenztheit ökonomischer Ressourcen
und die Anforderungen hegemonialer Expansion. Der Niedergang eines Reiches kann
durch geschickte Politik zwar hinausgezögert, jedoch langfristig nicht verhindert
werden. Kennedys Argumenten kam in der Abrüstungsdebatte und der Diskussion
über die Überforderung des US-Haushalts und der us-amerikanischen Wirtschaft
besonders in der Clinton-Ära eine gewisse Bedeutung zu. Neben Vorstellungen
von kultureller Degeneration und der Popularität zyklischer Geschichtsbilder
gewann noch ein drittes Element des Spenglerschen Denkens seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs an Bedeutung. Der Kulturdeterminismus, also die Vorstellung, daß
alle politischen, ökonomischen und ideologischen Entwicklungen durch einen
kulturellen Rahmen mehr oder weniger vorgegeben sind, korrespondiert dabei mit
dem Kulturrelativismus, der Idee nebeneinander existierender Wertesysteme, die
nur aus sich selbst heraus verstanden werden dürfen und einen universellen
Wertekonsens unmöglich machen.Die neuen Immunitätstechniken
(in ihrem institutionellen Zentrum: die Privatversicherungen und Pensionfonds,
an ihrer individuellen Peripherie: Diätetik und Biotechnik) empfehlen sich
als Existentialstrategien für »Gesellschaften« aus Einzelnen,
bei denen der lange Marsch in die Flexibilisierung, die Schwächung der »Objektbeziehungen«
und die generelle Lizensierung von untreuen oder reversiblen Verhältnissen
zwischen Menschen zum »Ziel« geführt haben - zu dem von Spengler
richtig prophezeiten Endstadium jeder Kultur: jenem Zustand, in dem es unmöglich
ist zu entscheiden, ob die Einzelnen tüchtig oder dekadent sind (aber tüchtig
in welcher Hinsicht und dekadent in bezug auf welche Höhe?). Es ist der Zustand,
in dem den Individuen die Fähigkeit zur exemplarischen Fähigkeit zur
Weltbildung abhanden gekommen ist. (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum
des Kapitals, 2005, S. 241-242).
Der sich auch immer wieder mit dem Ende der
Geschichte beschäftigende und dabei auf Hegel, Nietzsche, Spengler
und Heidegger beziehende Sloterdijk scheint hin- und hergerissen zu sein,
was dieses Thema angeht, denn er befürwortet es und befürwortet
es nicht. Wenn er der Nicht-Befürwortung (vgl. den Beispiel-Text
)
die Befürwortung vorzieht, dann beispielsweise so: Was den
Nutzen der Geschichte für das Leben angeht, besteht er nach 1945
vorrangig darin, die Akten für altfällige Schadenserhebungen
zuzsammenzutragen. Die moralisierte Historie nennt Adressen für die
Rückkehr der Opfer zum Tatort - wo sie hoffen, die ebenfalls zurückgekehrten
Täter zu treffen, ohne zu bedenken, daß die Täter sich
nur im Märchen wieder an den Schauplatz des Verbrechens einfinden.
Sie bildet eine Welt-Gauck-Behöre, die Einblicke gewährt in
die Akten der Belästigung des Menschen durch den Menschen. Ansonsten
ist »Geschichte« genau das, was der Volksmund den Schnee von
gestern nennt. Wie schnell er schmilzt, davon geben die Entkolonialisierung
nach 1945 und das Militärpatt des Kalten Krieges eine Vorstellung.
.... 1990 tritt mit dem Kollaps der Sowjetunion die letzte alteuropäische
Missionsmacht von der Bühne, ihr Zerfall entläßt die letzten
Tributstaaten der Erde in den Kapitalismus oder ins Chaos. Hinsichtlich
des Nationalkommunismus der Chinesen ist zu bemerken, daß er kein
Weltprojekt in sich trägt - bedeutsam bleibt er aber deswegen, weil
er die Trennbarkeit von Kapitalismus und Demokratie im großen Stil
unter Beweis stellt - ein Sachverhalt, der Law-and-Order-Politiker auf
der ganzen Welt ins Träumen bringt. Daher könnte er zum Paradigma
werden für eine sich heute schon abzeichnende Grundlinie des 21.
Jahrhunderts: die Wende des Weltsystems in den autoritären Kapitalismus.
(Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 259-260).
   
Es
wäre naiv zu glauben, die hier vorgeschlagene Sicht der Dinge könne
sich bei den Historikern und in der Öffentlichkeit ohne weiteres durchsetzen.
Der Widerstand des Metiers wird dafür sorgen, daß die Illusion, noch
»in der Geschichte« zu leben, lange virulent bleibt. Man kann der
Einsicht in den nachgeschichtlichen Charakter des Weltsystems im Global Age
mühelos ausweichen, indem man weiterhin, wie in der Zunft üblich, jede
Sequenz von Ereignissen im Makro- und im Mikrobereich als Geschichte bezeichnet.
Dank dieser terminologischen Festsetzung läßt sich jeder Gegenstand
»historisch nehmen« .... (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum
des Kapitals, 2005, S. 260).    
Der europäische Historismus, den der junge Nietzsche aus
anachronistischer heroischer Gesinnung bekämpfte, ist für
Sloterdijk nichts anderes als eine Abendröte der terrestrischen
Globalisierungsära, die Dämmerung des abendländischen
Weltnahme- und Weltstiftungszeitalters! Unter denen,
die sein Ende kommen sahen, ragt Oswald Spengler noch immer hervor: Seine
Studien zum »Untergang des Abendlandes« sind ein geschichtsmorphologischer
Abgesang auf die »faustische« Kultur als die einzige, die
den Gedanken der Geschichte zu denken vermochte und die als einzige »Geschichte«
im engeren Wortsinn hevorbrachte, erlebte und reflektierte. (Peter
Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 262).    
Was
das »Ende der Geschichte« angeht, so bin ich als Zeuge für Aspirationen
dieses Typs nur bedingt tauglich, weil ich mit Hegelianismen der bisherigen Machart
nichts im Sinn habe. Man sollte die Tatsache im Auge behalten, daß dieses
Theorem auf Alexandre Kojève zurückgeht, einen Emigranten aus dem
revolutionären Rußland, der vor seiner Naturalisierung in Frankreich
um 1930 Koschewnikov hieß, bei Jaspers studiert und über russische
Theosophie promoviert hatte und in einer undurchsichtigen Beziehung zum KGB stand.
Kojève nimmt an, daß in Hegels Phänomenologie des Geistes
(1807), wie in der späteren Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
(1817), so etwas wie ein prinzipielles Ende der Geschichte erreicht worden sei
- was immer »prinzipiell« hier heißen mag. Als es zum virtuellen
»Blickkontakt« zwischen Hegel und Napoleon gekommen war, nach der
Schlacht von Jena (1806), war Kojève zufolge die Geschichte in ihrer
»Substanz« vollendet. Die französische Gegenwart hatte über
die preußische Vergangenheit gesiegt, auch im Denken des Philosophen. Die
letzten weltgeschichtlichen Individuen, Napoleon und Hegel, wirkten also auf gleicher
Höhe. Ihre Spiegelung hätte gegenseitig sein können, wäre
Napoleon auf die Idee gekommen, bei Hegel sein Porträt zu bestellen. Nach
diesen beiden Endgestalten der notwendigen Geschichte gibt es nur noch beliebige
Subjektivitäten ohne historisches Gewicht, mit einer einzigen Ausnahme, und
die meint Kojève entdeckt zu haben. Sie ist natürlich niemand anders
als Stalin. Am Verhältnis zwischen Napoleon und Hegel nimmt Kojève
Maß, um sein Verhältnis zum Führer der Sowjetunion zu bestimmen.
Das Theorem vom Ende der Geschichte ist also in einem sophistischen Stalinismus
zu Hause, erst später mutiert es zum Lob des siegreichen Liberalismus. Stalin
war in Kojèves Augen das letzte Individuum, das in einem weltgeschichtlichen
Skript agierte und darum einen ebenbürtigen Interpreten brauchte. Nach Stalins
Tod hat Kojève sein Theorem über die finale universal-homogene Gesellschaftsordnung
von der Sowjetunion auf die USA und teilweise auf eine lateinisch dominierte europäische
Union verschoben. Fukuyama mußte keinen neuen Gedanken denken. (Peter
Sloterdijk, Blickwechsel zwischen Napoleon und Hegel, in: Peter Sloterdijk
/ Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 39-40).     Man
kann der Meinung sein, daß diese fabelhafte Konstruktion eine Anmaßung
ausdrückt, wie sie für Berufsmegalomanen typisch ist. Ich glaube trotzdem,
daß das Theorem vom Ende der Geschichte suggestive Seiten hat oder, um vorsichtiger
zu reden, daß es sich lohnt, es ernst zu nehmen, bis man ganz sicher ist,
Besseres zu wissen. (Peter Sloterdijk, Blickwechsel zwischen Napoleon
und Hegel, in: Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne
und der Tod, 2001, S. 40).    
Der Gedanke, der sich in Kojèves Hegeldeutung artikuliert,
läßt sich in einer sehr freien Umschreibung etwa so wiedergeben:
Die modernen Gesellschaften sind in ein Stadium eingetreten, in dem es
keine grundlegenden Innovationen mehr geben kann, sondern nur noch Steigerungen
oder Variationen innerhalb von gut abgegrenzten und ausgebauten Dimensionen.
Die heutige Weltgesellschaft ist wie ein Feld von Marathonläufern,
die in der Mehrheit unter zwei Stunden dreißig laufen können
und Steigerungsspielraum von ein paar Minuten haben. Aber sie wissen alle,
daß in den nächsten Jahren und Jahrhunderten niemand unter
zwei Stunden laufen wird, es sei denn, genmanipulierte Läufer träten
an den Start, doch selbst wenn das geschähe, würde es hinsichtlich
der Rahmenverhältnisse nichts Grundlegendes ändern. Und weil
alle wissen, daß die anderen es auch wissen, traben sie mehr oder
weniger ordentlich und mehr oder weniger ehrgeizig in der Gruppe dahin.
Die Wahrscheinlichkeit von Ausreißversuchen ist nicht sehr groß,
weil die Kosten zu hoch sind. Die Überanstrengung ist von vorneherein
evident. Dieses Sicheinschwingen der nachgeschichtlichen, vom Gedanken
der Versicherung beherrschten Gesellschaften in stabil gerahmte Grundsituationen
wird mit einem enormen Aufwand an Innovations- und Differenzrhetorik kompensiert.
In Zukunft darf alles revolutionär sein, weil Revolutionen alten
Stils in der dichten Welt unmöglich sind. Alles darf und soll sogar
anders und unterschieden sein, weil Unterschiede letztlich keinen Unterschied
mehr machen. Das Extreme, das Andere und ganz Andere, das sind von jetzt
an nur noch ästhetische Kategorien. Luhmann hat das Einrasten in
Grundsituationen mit dem Ausdruck »Ausdifferenzierung der Teilsysteme«
belegt. Statt Grundsituationen und Subsysteme könnte man auch Ordnung
der Zuständigkeiten sagen. Wer Zahnweh hat, geht zum Dentisten, wer
Fußweh hat, geht zum Orthopäden, wer Weltschmerz hat, geht
zu einem Guru. Wer lernen will, geht auf eine Schule. Wer Geld braucht,
geht zur Bank oder zur Arbeit. Wem die ganze Richtung nicht paßt,
wählt die Opposition oder fährt nach Ibiza. Es gibt kein Bedürfnis,
für das die ausdifferenzierte Gesellschaft keine zuständige
Adresse hätte. Allenfalls die große Liebe ist nicht mehr zustellbar.
Durch die Ausdifferenzierung entsteht eine Lage, in der immer mehr Leute
begreifen, daß man kein Verhältnis zum Ganzen haben kann. Das
Ganze ist keine mögliche Adresse. (Peter Sloterdijk, Blickwechsel
zwischen Napoleon und Hegel, in: Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen
Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 40-41).
    Dieses
Eintauchen in eine Weltlage, in der unendlich viel passiert, aber nichts mehr
Geschichte machen kann, wird von dem Konzept »Ende der Geschichte«
gar nicht so schlecht zusammengefaßt. Es steht für das Gefühl
der Heutigen, in der Nachsaison des Extremismus zu leben, der um jeden Preis den
Menschen Geschichte machen lassen wollte. Wir blicken auf diese Agonie des Subjektivismus
zurück, der hier als Rassenpolitik und dort als Klassenpolitik alles der
planenden Verfügung unterwerfen wollte. Die Frage ist nur, was aus dem denkenden
Menschen werden soll, der Einsicht in diese seine Situation gewonnen hat. Was
kann die Maxime: »Erkenne die Lage!« jetzt noch bedeuten? Ist
die Figur des Weisen in der gegenwärtigen Weltsituation möglich? Anders
gesagt: Haben die Ausdrücke Weisheit, Erleuchtung, absolutes Wissen weiter
einen möglichen existentiellen Sinn? Kann es noch Individuen geben, auf die
solche Titel zuträfen? Sind Menschen vorstellbar, die im Wissen am Ende sind
oder im Ende leben? (Peter Sloterdijk, Blickwechsel zwischen Napoleon
und Hegel, in: Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne
und der Tod, 2001, S. 42).     Die
Hegelsche Philosophie war attraktiv in dem Maß, wie sie entschlossen schien,
diese Fragen zu bejahen. Sie war nicht umsonst die letzte affirmative Metaphysik,
also Theorie der real existierenden absoluten Intelligenz. Es bleibt freilich
unbestimmt, was das für uns noch heißen kann und in welcher Weise eine
solche Intelligenz mit uns etwas zu tun hätte. Nur soviel ist klar, daß
menschliche Teilhabe an einer absoluten Intelligenz einzig als Theorie der fertigen
Welt möglich gewesen wäre. Eine solche Welt war die der klassischen
Metaphysik; in ihr galt unbeschränkt der Primat der Vergangenheit, in ihr
legt die Herkunft den Spielraum des Zukünftigen fest. Doch inzwischen haben
sich die Wege der Futuristen von denen der Passéisten getrennt. In welchem
Sinn dürfte man die modeme Welt fertig nennen, die sich wie keine zuvor durch
Einsicht in ihre Unfertigkeit charakterisiert und ganz auf den Vorrang der Zukunft
setzt? Immerhin, der Hegelsche Weise, als logisches Gewissen des etablierten finalen
Rechtsstaats und der Spätkultur, verkörperte das westliche Pendant dessen,
was der Osten als den Erleuchteten kennt, sei es in der hinduistischen Version
des jivanmukti, des zu Lebzeiten Erlösten, und des bhagawan,
des göttlichen Herrn, sei es in der buddhistischen Version des Vollerwachten,
des arhat oder bodhisattva. Und so wie der indische Erwachte sich
nach orthodoxer Lehre an die Serie seiner früheren Existenzen erinnert, so
bewahrt der Hegelsche Geist die Erinnerung an seinen eigenen Prozeß, der
Weltgeschichte heißt. In beiden Fällen würde der Mensch, der am
Ende ist, zum Lehrer - aber zum Lehrer einer seltsamen Art. Er könnte nämlich
gar nichts anderes mehr tun, als auf die anderen zu warten. Die Posthistorie wäre
das Warten der Erleuchteten auf die in der Geschichte Zurückgebliebenen.
Seltsam ist die Stellung dieser Lehrer deswegen, weil sie auf ihre Schüler
warten müssen, ohne wirklich etwas für sie tun zu können - so wie die Toten auf die Lebenden warten oder die Entspannten auf die Verkrampften.
(Peter Sloterdijk, Blickwechsel zwischen Napoleon und Hegel, in: Peter
Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S.
42-43).     Kojève
hat übrigens zu verstehen gegeben, daß der Weise nach dem Ende der
Geschichte aufhören kann, von seiner Weisheit Aufhebens zu machen. Sobald
die weltgeschichtliche Antithese von Macht und Geist erloschen ist, entfällt
der Zwang, als Denker ein ernstes Gesicht zu ziehen. Der Weise kann Politiker
werden oder Künstler oder Unternehmer. Er kann auch seine Weisheit wegwerfen
und let it be sagen. Mit der historischen Antithese von Macht und Geist
lösen sich auch andere historische Gegensätze auf, etwa der von Tragödie
und Komödie und der von Männlich und Weiblich. Der Mann kann abrüsten
und sich androgyn entfalten, er kann ein glückliches Tier werden. Er kann
Ohrringe tragen und ins lauwarme Wasser steigen. Die Frau beginnt, mit den Attributen
der historischen Männlichkeit zu spielen, und erfindet für sich neue
Textbücher, Stellungen, Erscheinungsbilder. Darum ist die Posthistorie das
tausendjährige Reich der Geschlechterkonfusion und der erotischen Komik.
Das alles sind Beschreibungen, die Sinn machen im Hinblick auf das, was mit den
Frauen und Männern des letzten Jahrhunderts geschehen ist. (Peter Sloterdijk,
Blickwechsel zwischen Napoleon und Hegel, in: Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen
Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 43).    
Es steckt also in diesen Hegel-Kojèveschen
Suggestionen eine Fülle von Wahrheitsgehalten, die man nicht schnell
abschütteln kann. Aber natürlich ist mir wie den meisten Zeitgenossen
klar, daß die Geschichte nicht in der Weise zu Ende ist, wie ein
idealistischer Vollendeter oder, was dasselbe ist, ein Hegelscher Beamter,
es suggerieren könnte. Ich halte es eher mit Heideggers Einwendungen
gegen Hegels Vollendungskonzept und denke wie er, daß die historische
Irre nicht nur nicht beendet ist, sondern in eine Epoche noch höherer
Spannungen und Gefährdungen übergeht. Man muß also zwischen
Vollendung und Ende unterscheiden. Selbst wenn das zurückliegende
Weltalter, das metaphysische, seine letzten Möglichkeiten erschöpft
und insofern das Stadium der Vollendung erreicht hat, ist der Prozeß
des Denkens, des Handelns, des Wollens in keiner Weise abgeschlossen.
Auch die Frage nach dem Fortgang des Revolutionsgeschehens läßt
sich nicht klar beantworten, weder im affirmativen noch im ablehnenden
Sinn. Von einer Posthistorie könnte nur die Rede sein, wenn gewiß
wäre, daß der Schrecken, der zur Geschichte gehörte, hinter
uns liegt. Nichts ist weniger garantiert als das. Es ist nicht wahr, daß
wir nach der Angst leben, die Mehrheit der Menschheit lebt nicht einmal
nach der Not. Von einer fertigen Welt oder von einer abgeschlossenen Selbsterkenntnis
des Menschen in ihr ist im Blick auf unsere Verhältnisse beim besten
Willen nicht zu reden. Im Gegenteil, das Drama der Anthropologie hat eben
erst begonnen. Was vor uns liegt, ist ein Weltalter des Maschinenbaus
und der vertieften Selbsterfahrung des Menschen angesichts seiner wachsenden
Fähigkeit, sich in höheren Maschinen zu spiegeln und über
den Unterschied zwischen sich selbst und diesen seinen Kreaturen nachzudenken.
(Peter Sloterdijk, Blickwechsel zwischen Napoleon und Hegel, in:
Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod,
2001, S. 44).    
Heidegger
hat einen zweiten Sokratismus gestiftet, in dem es darauf ankommt, genauer denn
je zu wissen, daß man nichts weiß und inwiefern man bei allem vom
Nichtwissen ausgehen muß. Das zweite Abstandnehmen von den Einbildungen
des Wissens unterscheidet sich vom ersten dadurch, daß es sich auf den Komplex
der neuzeitlichen Wissenschaften und Techniken bezieht. Das gibt der Sache des
Denkens einen Ernst, den die Alten so nicht kannten. Das »besinnliche«
Denken tritt jetzt auf als Sokratismus der Macht und der Technik, auch als Sokratismus
des Gehirns in der Welt und der Welt im Gehirn. Das geht über die antike
Situation hinaus. Man muß einfach feststellen: Das Wissen vom Nichtwissen
ist verbindlicher geworden. (Peter Sloterdijk, Blickwechsel zwischen
Napoleon und Hegel, in: Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die
Sonne und der Tod, 2001, S. 44-45).    
Das Abendland ist immer noch immens reich, aber es ist schwach.
Ihm fehlt die moralische Substanz zur dezidierten Selbstbehauptung. Kurzum, alle
Prämissen eines fatalen »Untergangs« sind gegeben. So unrecht
hatte Oswald Spengler wohl nicht ( ).
(Peter Scholl-Latour, Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?, 2002,
S. 48).Daß es einen Zusammenprall der
Kulturen geben wird, wußte schon Goethe
- er lebte rund zwei Jahrhunderte vor Huntington, dessen Buch Clash of Civilizations
1996 erschien ( ).
Erkennbar, jedenfalls für die Eingeweihten, war auch der
militante Aufbruch islamischer Religiosität schon vor Huntingtons Thesen
über den weltweiten Kampf der Kulturen. (Peter Scholl-Latour, Weltmacht
im Treibsand, 2004, S. 50).Laut Peter Scholl-Latour
war Fukuyamas These von Anfang an absurd. Die weltweite Ausbreitung der
parlamentarischen Demokratie us-amerikanischen Modells und einer ungehemmten Marktwirtschaft
würden der Menschheit einen endgültigen Zustand des Wohlergehens und
der Harmonie bescheren. Damit würde der Schlußstrich gezogen unter
die veralteten Antagonismen. So etwa läßt sich Fukuyamas Vorstellung
vom »End of History« resümieren. (Peter Scholl-Latour,
Koloß auf tönernen Füßen, 2005, S. 47). Außerdem
stellte Peter Scholl-Latour zu seiner Überraschung fest, daß Peter
Sloterdijk den Satz prägte: »Durch »Nation Building«
bekommt man bestenfalls demokratisch kaschierte Diktaturen mit Marktwirtschaft«.
Ich hätte hinzugefügt: im Dienste der Marktwirtschaft. (Ebd.,
2005, S. 50).
Fukuyamas
gewagte These vom Ende der Geschichte ewiger Kämpfe, da das westliche
Modell (also: die abendländische Kultur) global gesiegt habe, bietet jedenfalls
für Huntington ( )
keine gehaltvolle Analyse, so Hans-Ulrich Wehler. Vielmehr sieht
Huntington in den Zusammenstößen, Reibungen, Konflikten zwischen den
großen Kulturkreisen auf der Basis unterschiedlicher Religionen und divergierender
Weltbilder die Hauptrolle künftiger Auseinandersetzungen. (Hans-Ulrich
Wehler, Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, 2003, S. 61). Vgl. auch
Wehlers Hinweis auf die Friktionen ( )
von Carl Philipp Gottfried von Clausewitz (1780-1831): Vom Kriege (1816
).
Hans-Ulrich Wehler betont, Huntington
habe mit seinem Buch über den »Clash of Civilization«,
den »Kampf der Kulturen«, die Prognose ausführlich begründet,
daß nach dem Verfall des Staatskommunismus außer in China,
Korea und Kuba die alte bipolare Welt des Kalten Krieges nicht mehr existiere,
aber auch die naive Vision Fukuyamas von einem »Ende der Geschichte«
ewiger Kämpfe, da das westliche Modell gesiegt habe, keine gehaltvolle
Analyse biete. Vielmehr sieht Huntington in den Zusammenstößen,
Reibungen, Konflikten zwischen den großen Kulturkreisen auf der
Basis unterschiedlicher Religionen und divergierender Weltbilder die Hauptrolle
künftiger Auseinandersetzungen. .... Warum? Der Islam ist die einzige
noch auffällig rasch expandierende Weltreligion. Sie erfaßt
jetzt mehr als eine Milliarde Menschen und wird in nächster Zeit
die Anhänger des Christentums weit überholen ( ).
Aus Mohammeds synkretistischer Verschmelzung unterschiedlicher religiöser
Elemente - auch vielfach aus der israelitischen und christlichen Religion,
in deren Tradition des Prophetentums er sich bewußt stellte - ist
ein militanter, expansionslustiger Monotheismus hervorgegangen, der seine
Herkunft aus der Welt kriegerischer arabischer Nomadenstämme nicht
verleugnen kann ( ).
Das Weltbild des Islam stilisiert die diesseitige Welt als unablässigen
Kampf zwischen dem »Haus des Friedens«, der »Umma«
des Islam, und dem »Haus des Krieges«, dem Bereich der Ungläubigen.
Wann immer und wo immer möglich müssen die Ungläubigen
unterworfen und bekehrt werden, im Grenzfall durch den Dschihad, den Heiligen
Krieg aller Muslims. Das galt wortwörtlich seit dem 7. Jahrhundert,
als der Islam in einem gewaltigen Anlauf durch Nordafrika sogar bis nach
Spanien expandierte, bis hin zur Vertreibung der muslimischen Türkei
vom Balkan im 19. Jahrhundert. Und es gilt noch immer, etwa in Nigeria
und im Sudan, auf den Philippinen und in Indonesien, inzwischen dem größten
muslimischen Staat der Erde ( ).
.... Die okzidentale Trennung von Papst und Kaiser, von Religion und weltlicher
Herrschaft, die in Europa im Mittelalter mühsam erkämpft worden
ist und den modernen, säkularisierten Staat erst auf seine eigene
Bahn gesetzt hat, wird vom Islam seit jeher negiert. Alle Dimensionen
des Lebens unterliegen seinem Anspruch nach dem religiösen Gesetz:
der Scharia. Muslimische politische Herrschaft ist gehalten, die Scharia
zu befolgen, in der barbarische Bräuche der arabischen Stämme,
die Steinigung der Ehebrecherin z.B. und das Abhacken der Diebeshand,
bis heute weiterleben. ( ).
(Hans-Ulrich Wehler, Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts,
2003, S. 61-62).

Laut Huntington
( )
beruht die Annahme, daß das Ende der Geschichte ( )
erreicht sei und den weltweiten Sieg der liberalen Demokratie
bedeute, auf dem Trugschluß der einzigen Alternative
( ).
Er wurzelt in der Perspektive des Kalten Krieges, daß nämlich
die einzige Alternative zum Kommunismus die liberale Demokratie sei und
das der Untergang des ersteren die Universalität der letzteren herbeiführe.
.... Es ist reine Überheblichkeit zu glauben, daß der Westen
... die Welt für alle Zeiten erobert hat und daß Muslime, Chinesen,
Inder und alle anderen nun nichts Eiligeres zu tun haben, als den westlichen
Liberalismus als einzige Alternative zu übernehmen. ... Die fundamentaleren
Spaltungen der Menschheit nach Ethnizität, Religionen und Kulturkreisen
bleiben und erzeugen neue Konflikte. ( ).
Zwar gibt es auch die Annahme, daß die zunehmende Interaktion
zwischen Menschen - Handel, Investitionen, Tourismus, Medien, die elektronische
Kommunikation generell - dabei ist, eine gemeinsame Weltkultur zu erzeugen.
( ).
Denn: In der Tat haben Verbesserungen der Transport- und Kommunikationstechnologie
es leichter und billiger gemacht, Geld, Waren, Menschen, Wissen, Ideen
und Bilder um die ganze Welt zu transportieren. An der Zunahme des diesbezüglichen
internationalen Austauschs besteht kein Zweifel. Große Zweifel hingegen
bestehen hinsichtlich des Einflusses dieses gesteigerten Verkehrs. Wird
durch Handel die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts erhöht oder verringert?
( ).
Die Annahme, daß Handel die Wahrscheinlichkeit eines internationalen
Krieges verringert, ist zumindest nicht erwiesen, und es gibt viele Hinweise,
die für das Gegenteil sprechen. Der internationale Handel expandierte
in den 1960er und 1970er Jahren kräftig. 1980 machte er 15 Prozent
des Weltbruttosozialprodukts aus. In dem anschließenden Jahrzehnt
fand der Kalte Krieg ein Ende. Aber 1913 belief sich der internationale
Handel auf 33 Prozent des Weltbruttosozialprodukts, und in den folgenden
paar Jahren schlachteten die Nationen einander in einem beispiellosen
Ausmaß ab. Wenn der internationale Handel selbst auf dieser Ebene
den Krieg nicht verhindern kann, wann dann? Die Geschichte stützt
ganz einfach nicht die liberal-internationalistische Annahme, daß
Handel den Frieden fördert. Analysen aus den 1990er Jahren rücken
diese Annahme weiter ins Zwielicht. Eine Studie kommt zu dem Schluß:
»Handel auf steigendem Niveau kann ein stark polarisierender Faktor
... in der internationalen Politik sein«; »zunehmender Handel
im internationalen System als solcher dürfte weder internationale
Spannungen mildern noch eine größere internationale Stabilität
fördern.« Eine andere Studie vertritt die These, daß
wirtschaftliche Interdependenz auf hohem Niveau »den Frieden oder
den Krieg befördern kann, je nachdem, welche Zukunftserwartungen
an den Handel gerichtet werden«. Wirtschaftliche Interdependenz
dient dem Frieden nur dann, »wenn Staaten erwarten, daß Handel
auf hohem Niveau in absehbarer Zukunft fortdauert (oder im Falle einer
gegenwärtigen Unterbrechung wiederaufgenommen wird).« Wenn
Staaten nicht ein hohes Maß an Interdependenz erwarten, ist Krieg
die wahrscheinliche Folge. Das Unvermögen von Handel und Kommunikation,
Frieden oder Gemeinschaftsgefühl zu bewirken, wird von den Befunden
der Sozialwissenschaften bestätigt. In der Sozialpsychologie behauptet
die Distinktivitätstheorie, daß Menschen sich über das
definieren, was sie in einem bestimmten Kontext von anderen unterscheidet.
.... Die globale religiöse Erneuerung, die »Wiederkehr des
Sakralen«, ist eine Reaktion auf die Rezeption der Welt als eines
»einzigen Ortes«. (S. P. Huntington, Kampf der Kulturen,
1996, S. 93-96 ).
Also:
Huntington erteilt jedem erdenklichen Ende der Geschichte eine knallharte
Absage!Beispielsweise betrug im Jahr 2000 der Anteil
an der Weltbevölkerung für die abendländische Kultur (den
Westen, wie Huntington lieber sagt) ungefähr ein Fünftel ( );
wenn man Lateinamerika nicht mehr dazuzählt (wie Huntington es lieber tut),
dann können wir von der NATO ausgehen und damit von einem Achtel ( ).
Von diesem Achtel glauben rund 8 Prozent, d.h. bezogen auf die Weltbevölkerung
rund 1 Prozent (!) an eine universale Kultur, eine Zivilisation im
Singular (wie Huntington sich ausdrückt), also eine einzige Weltkultur.
Diese Leute treffen sich jedes Jahr in Davos. 1994 schätzte die Gesellschaft
»CNN International« die Zahl ihrer potentiellen Zuschauer ebenfalls
auf rund 1 Prozent der Weltbevölkerung, und das ist laut Huntington eine
auffallend ähnliche Zahl wie bei den Angehörigen der »Davos-Kultur«
und zweifellos weithin mit diesen identisch! ( ).
Für Huntington ist klar: Das Konzept einer »universalen Kultur«
ist ein typisches Produkt des westlichen Kulturkreises. ( ).
Das Universal-Kultur-Problem
ist ein typisches Produkt des Abendlandes!
Wir wissen (noch) nicht, ob es in Zukunft eine universale Kultur geben
wird. Die Menschen-Kultur ( )
ist singulär, aber sie entwickelte drei Modernen ( ):
die Menschen-Moderne als Historisierung (Neanthropinen-Kultur - Kultur
im Singular!), die Neanthropinen-Moderne als Historiographik (Historienkulturen
- Kultur im Plural!) und die Historienkulturen-Moderne als Historismus
(Kultur im Plural!). Jede Historienkultur, das heißt jede Einzelkultur,
wie z.B. die abendländische Kultur, entwickelt eine Moderne. Nicht
trotz, sondern wegen der Unterschiede zwischen Kulturen! Aber wenn auch jede Kultur
ihre wie auch immer geartete Moderne hatte, so gibt es wohl nur eine Kultur, die
nicht nur das Wort Moderne erfand, sondern ihre Moderne mit Recht die modernste
aller Modernen und sich selbst nicht ohne Stolz auch Moderne-Kultur
nennen darf. Gemeint ist die abendländische Kultur. An Dynamik, Größe
und Stärke ist die faustisch-abendländische Moderne einzigartig, nicht
aber, was die Moderne als Phänomen betrifft. Wenn die abendländische
Moderne, die besonders stark durch Technik und Ökonomie, vor allem durch
die Industrielle Revolution, geprägt worden ist, als eine Explosion
mit besonders radikalen Global-Konsequenzen bezeichnet werden kann, dann können
die Modernen aller anderen Kulturen nur noch als harmlose Lagerfeuer betrachtet
werden. Trotzdem kannten auch sie, und zwar je spezifisch, so etwas wie Moderne.
Recht hat Huntington, wenn er sagt, daß Moderne nicht westliche
Kultur und westliche Kultur nicht Moderne ist (vgl. Huntington,
ebd., S. 98 ),
aber: ohne den Westen ist die Moderne fast nichts. Der Westen, also: die abendländische
Kultur ist die einzige Kultur, deren Moderne sich auf die Industrielle Revolution
und nicht nur auf eine Bürgerliche Revolution stützt.
( ).
Eine sich nur auf eine Bürgerliche Revolution stützende
Weltrevolution ( )
haben auch, obwohl nur im begrenzteren und bescheideneren Ausmaß, die anderen
7 Kulturen erlebt. (Vgl. 8 Kulturen ).
Nicht das Phänomen Moderne, sondern das Phänomen abendländische
Moderne ist einzigartig. Was die Menschengeschichte in ihrer Singularität
angeht, so kann man sagen, daß nur die Menschen-Kultur (zu der wir ja immer
noch gehören, denn die Menschwerdung ist noch nicht vollendet!) und
ihre Moderne - die Neanthropinen-Kultur (Historisierung oder: Homo-sapiens-sapiens-Kultur)
- kultursingulär sind. ( ).
Alle weiteren menschlichen Kulturen sind von dieser 3. Moderne abgeleitete
Modernen ( )
! Also ist die abendländische Kultur eine Spätkultur, und als ein Teil
(der dritte Teil) der Neanthropinen-Moderne ist sie die Spätmoderne der Neanthropinen-Kultur
(Menschen-Moderne). Unsere Moderne ist also die Moderne einer Spätmoderne
der Menschen-Moderne (Neanthropinen-Kultur) innerhalb der Menschen-Kultur. Und
was wir heute Spätmoderne nennen, ist eine Spätmoderne einer
Spätmoderne der Menschen-Moderne innerhalb der Menschen-Kultur. Manche Leute
verstehen unsere Spätmoderne einer Spätmoderne der Menschen-Moderne
nur deshalb als Postmoderne, weil das Späte im Späten für sie so
schwer zu denken ist. ( ).
Und wenn Huntington fragt, ob Geschichte ihrem Wesen nach linear oder zyklisch
ist und (weil sie beides ist): wie kann man das Auf und Ab in der
Entwicklung der menschlichen Zivilisiertheit (Kulturgeschichte) schematisieren
? ( ),
antworte ich also nicht nur mit meinem linear-zyklischen Schema ( ),
der Konjunktu(h)r ( ),
der Kultu(h)r ( ),
sondern auch mit meinem Schema zur Modernen-Theorie: 5+X ( ).
  Weil
heute fast nur noch historische Kulturen existieren (Primitiv-Kulturen ausgenommen,
obwohl auch sie mindestens eine Historienkultur, die abendländische, erlebt
haben) und in ihren je spezifischen Historismen (Modernen) verhaftet sind, haben
sie nur die eine Möglichkeit zur Bewirkung etwas kulturell völlig Neuem:
sie müssen ihre je spezifischen Kulturtechniken so einsetzen, daß sie
auch befruchtend wirken, und weil nur noch eine Historienkultur -
die Abendland-Kultur - auch in den nächsten Jahrhunderten ihre Phase der
Befruchtung ( )
durchleben wird, wird sie bis zum Erreichen ihres Zivilisationshöhepunktes
versuchen, ihren Globalismus ( )
auch auf alle anderen Menschen zu übertragen. Ob aber die abendländische
Kulturtechnik alle nicht-abendländischen Menschen positiv oder negativ beeinflussen
wird, ist ebenso schwer vorherzusagen wie etwa die Antwort auf die Frage, ob z.B.
eine Universal-Kultur ( )
diese neue Kultur oder nur die alte, vorgeschichtliche und nun nachgeschichtlich
gewordenene Kultur namens Menschen-Kultur sein wird und darum die Historien-Kultur
(die ja alle Historienkulturen beinhaltet!) verschwunden sein wird ( ).
Und als ein logisches Indiz dafür, daß die Menschen-Kultur bleiben
wird und nur ihre Historien-Kultur mit allen ihren Historienkulturen
verschwunden sein wird, gibt es nur ein Fallbeispiel ( ).
Statistische Vorhersage | Ende
der Geschichte | Ende
der Menschheit | Ja
(absolut) | 2
Fallbeispiele * | 1
Fallbeispiel * | Ja,
aber nur für einen Kulturkreis | 1
Fallbeispiel * | - | Vorübergehend
und nur für einen Kulturkreis | 1
Fallbeispiel * | - | Vorübergehend
(nicht für einen Kulturkreis) | 2
Fallbeispiele * | 1
Fallbeispiel * | Vorübergehend
(allgemein [Summe]) | 3
Fallbeispiele * | 1
Fallbeispiel * | Nein
(absolut) | 4
Fallbeispiele * | 8
Fallbeispiele * |
Summe der Fallbeispiele
mit grauem Hintergrund |
10
Fallbeispiele | 10
Fallbeispiele |
Wenn Geschichte wirklich, d.h. endgültig
(!) endet, dann und nur dann enden alle (alle!) Historienkulturen, denn
es endet dann ja die menschliche Historien-Kultur (und wir erinnern uns: Historien-Kultur
beinhaltet alle Historienkulturen). Die Historien-Kultur bzw. alle
Historienkulturen könnten z.B. deswegen verschwinden, weil jede Art von Historiographie
- die Historien-Kultur (Historiographik) - nach ihrer Verwirklichung
zunächst zum Verlernen, dann zum Vergessen und schließlich zum Verschwinden
gebracht worden wären. Freuen würden sich dann natürlich die Vertreter
der Ende-der-Geschichte-These, die zumeist auch Vertreter der Universal-Kultur-These
( )
sind, denn beide glauben an die kulturelle Singularität ( )
- jedenfalls scheinbar: diese Singularisten träumen als Antihistoristen
vom Ende der Geschichte und als Universalkulturalisten von der Monokultur,
und zwar auf besonders paradoxe Weise, weil sie einerseits das Multikulturelle
mit großer Scheinheiligkeit predigen (Multi-Kulti), um es anderserseits
abschaffen zu können, weil sie ja die Monokultur namens Universal-Kultur
wollen. So loben und preisen sie eine Ambivalenz, die sie sehr unglaubwürdig
macht. Multikulturalität kann es nur dann geben, wenn gleichzeitig für
sich (für sich!) mehrere Kultureinheiten namens Historienkulturen (bis heute:
8 )
existieren. Wer sie abschaffen will und vielleicht auch wird, würde bald
enttäuscht werden und realisieren müssen, daß dieser Fall ( )
eben keine neue Kultur-Art und auch keine neue Menschen-Kultur-Unterart bedeutet,
sondern das Verschwinden einer alten und also auch bereits etablierten Menschen-Kultur-Unterart
namens Historien-Kultur (Historiographik), vertreten durch die Historienkulturen.
. Dieser Fall ( )
bedeutet also das Verschwinden der alten und also auch bereits etablierten Geschichtsschreibung
(Historiographie) - in der Abbildung symbolisiert durch die Bahn H
( ).
Dann und nur dann, wenn dieser Fall ( )
real sein würde, wäre die H-Frage zugunsten der Antihistoristen
gelöst: Ende der Geschichte. Aber Kultursingularität statt Kulturpluralität
bedeutet: Alles würde nur noch eine Monokultur, die Universal-Kultur also
nur die alte Menschen-Kultur sein!
Auch die Möglichkeit, daß die Menschen
- also: die Menschen-Kultur inklusive Historien-Kultur - endgültig
verschwinden werden, kann niemand ernsthaft ausschließen, aber niemand
will gern auch die Bedeutung akzeptieren: Ende der Menschwerdung bedeutet
aber nun mal das Ende der Menschen-Kultur und darum auch aller Historienkulturen.
Alle Historienkulturen sind im Grunde Bestandteil einer Historien-Kultur
(Historiographik) und gehören natürlich zur Menschen-Kultur.
Aber eine echte Einheit ist die Menschen-Kultur nicht, auch die Historien-Kultur
nicht. Wahrscheinlich sind sie auch früher nie echte Einheiten gewesen,
und wahrscheinlich werden sie auch künftig keine echten Einheiten
werden. Nur die Historienkulturen existieren wirklich als echte Einheiten,
jedenfalls ist jede von ihnen viel einheitlicher als die Menschen-Kultur,
die deshalb häufig nur den Rhetorikern nützt, und als die Historien-Kultur,
die als Oberbegriff für alle Historienkulturen nur noch ein reines
Abstraktum bedeutet. Man kann davon ausgehen, daß jeder Versuch,
eine einheitliche Menschen-Kultur (wieder [?]) zu schaffen alle Menschen
wirklich zu Brüdern (Friedrich Schiller) zu machen, tatsächlich
ein Projekt der Letzten Menschen (Friedrich Nietzsche) nur
sein kann, und dieses Projekt endet, wenn es sein Ziel nach für menschliche
Verhältnisse (!) sehr langer Zeit erreicht hat: das Ende der
Menschheit.
Statistische Vorhersage | Ende
der Menschheit | Ende
der Geschichte | Ja
(absolut) | 1
Fallbeispiel * | 2
Fallbeispiele * | Ja,
aber nur für einen Kulturkreis | - | 1
Fallbeispiel * | Vorübergehend
und nur für einen Kulturkreis | - | 1
Fallbeispiel * | Vorübergehend
(nicht für einen Kulturkreis) | 1
Fallbeispiel * | 2
Fallbeispiele * | Vorübergehend
(allgemein [Summe]) | 1
Fallbeispiel * | 3
Fallbeispiele * | Nein
(absolut) | 8
Fallbeispiele * | 4
Fallbeispiele * |
Summe der Fallbeispiele
mit grauem Hintergrund |
10
Fallbeispiele | 10
Fallbeispiele |
Schon allein die statische Vorhersage
(vgl. Tabelle )
läßt erkennen, daß irgendein Ende der Menschheit weniger
Fallbeispiele aufweist als irgendein Ende der Geschichte, ja sogar überhaupt,
daß irgendein Ende weniger Fallbeispiele aufweist als irgendein
Nicht-Ende. Man muß da schon genauer hinsehen ( ),
um zu erkennen, daß zwar ein endgültiges Ende der Geschichte
und ein endgültiges Ende der Menschheit weniger Fallbeispiele aufweisen
als ein nicht-endgültiges Ende der Geschichte und nicht-endgültiges
Ende der Menschheit, aber eben auch, daß irgendein Ende der Geschichte
mehr Fallbeispiele aufweist als irgendein Nicht-Ende der Geschichte. Und
das ist interessant. Aber was heißt das schon?
Weil es auf dieser Seite um ein Thema geht, das sich nur sehr schwer
berechnen läßt, müssen wir uns dazu wohl noch etwas anderes
einfallen lassen.

Ich
gehöre, was das Thema Ende der Geschichte angeht, zu den weichen
Zweiflern und zu den weichen Nicht-Zweiflern, denn: Ich bezweifle nicht
so sehr, daß die Geschichte enden wird, sondern viel mehr, daß sie
schon 1807 oder 1989 zu Ende gegangen sein soll, wie die Voreiligen
behaupten. Ich sage: Die Geschichte wird gar nicht oder frühestens im 21. oder 22. Jh. zu Ende gehen, weil die Zeit davor lediglich eine Vorbereitung auf das Ende
der Geschichte bedeutet, d.h.: weil wir noch Zeit dafür brauchen, weil die
Zeit zwar schon fast, aber noch nicht ganz reif dafür ist.
Doch ein Ende der Geschichte ist meiner Meinung
nach auf insgesamt 6 Weisen möglich, nämlich als: (1.)
vorübergehendes Ende der Geschichte nur für einen bestimmten Kulturkreis,
aber ohne Ende dieses Kulturkreises, (2.)
endgültiges Ende der Geschichte nur für einen bestimmten Kulturkreis
mit gleichzeitigem oder späterem Ende dieses Kulturkreises, (3.)
vorübergehendes Ende der Geschichte für alle Menschen, aber ohne Ende
der Menschheit, (4.)
endgültiges Ende der Geschichte für alle Menschen, aber ohne Ende der
Menschheit, (5.)
vorübergehendes Ende der Geschichte für alle Menschen mit gleichzeitigem
vorübergehenden Ende der Menschheit, (6.)
endgültiges Ende der Geschichte mit gleichzeitigem Ende der Menschheit. Nach
meiner Theorie kann also das Ende der Geschichte viermal vorübergehend (1.,
2., 3., 5.) und
zweimal endgültig (4., 6.)
sein ( ).
Der Nummerierung entsprechend sehe ich die Wahrscheinlichkeiten für das Ende
der Geschichte.Ich favorisiere daher folgende Vorhersage:Für
einen vergreisten Kulturkreis wird die Geschichte für eine relativ lange
Zeit enden, aber der Kulturkreis selbst wird (trotz seiner endgültigen
Zivilisation) nicht enden ( ),
oder es wird dabei auch der Kulturkreis selbst (wegen seiner endgültigen
Zivilisation), und zwar entweder gleichzeitig oder nach relativ langer Zeit, enden
( ):
genau das hat Spengler mit dem Untergang des Abendlandes ( )
gemeint. Denn ein solcher Kulturkreis wird (passives!) Objekt der (aktiven!) Subjekte
der Geschichte. Wer Geschichte nur noch passiv erlebt, hat selbst keine Geschichte
mehr - erleidet sie darum aber auch umso mehr. Spengler wollte darüber aufklären,
daß der nicht zu verhindernde Untergang des Abendlandes sich entweder so
( )
oder so ( )
ereignen würde. Eine dieser beiden Ende-Varianten ( )
werde sich ereignen, und die habe man zu akzeptieren. Man solle sie besser früher
als später akzeptieren, weil der Untergang nicht nur schicksalhaft, sondern
auch gestaltbar und folglich der Untergang des Abendlandes als einen Prozeß
mit einem offenen, d.h. nicht-tödlichen, also nicht-endgültigen Ende
( )
dem Untergang des Abendlandes als einem Prozeß mit einem nicht-offenen,
d.h. gleichzeitig oder später geschehenden tödlichen, also endgültigen
Ende ( )
vorzuziehen sei. Meiner Meinung nach kommt Spenglers Theorie auch und besonders
in dieser Hinsicht der vorhersagbaren Wahrheit oder zumindest der vorhersagbaren
Wirklichkeit am nächsten.Man kann die Entwicklung der Menschheit
in verschiedene zeitliche Abschnitte aufteilen, z.B. solche wie bei der Dreiteilung
in(I)
Vorgeschichte | (II)
Geschichte | (III)
Nachgeschichte (vielleicht zukünftig) | oder
solche wie bei der Zweiteilung mit weiteren Unterteilungen in(1)
Menschen-Kultur(1.1)
vorgeschichtlich, d.h. ohne Geschichte (1.2) geschichtlich, d.h. mit
Geschichte (siehe:
2) (1.3) vielleicht
(zukünftig) nachgeschichtlich, d.h.
wieder ohne Geschichte (1.4) vielleicht
(zukünftig) neugeschichtlich, d.h.
wieder mit Geschichte | (2)
Historien-Kultur(2.1)
Historienkulturen(2.1.1)
Mesopotamien (2.2.2.) Ägypten (2.2.3) China (2.2.4) Indien (2.2.5)
Antike (2.2.6) Maya / Inka (2.2.7) Morgenland (2.2.8) Abendland | Die
Zweiteilung in Menschen-Kultur und ihre Historien-Kultur führt zu weiteren
Unterteilungen, weil ja die Menschen-Kultur eine Kultur ohne und mit Geschichte
ist und die Historien-Kultur eine der Menschen-Kultur untergeordnete Kultur
mit mehreren Historienkulturen ist. In meiner Theorie sind beide oben dargestellten
Modelle berücksichtigt, wobei ich den Hauptakzent auf das letztgenannte lege.
Zu berücksichtigen ist dazu noch, daß die
Menschen-Kultur auch die Geschichte im weiteren Sinne - die anthropolgische
Geschichte, so Nolte ( )
- und die menschliche Historien-Kultur auch die Geschichte im engeren Sinne
heißen dürfen.Geschichte
i.e.S. | oder
(in meiner Terminologie): | Historien-Kultur
(mit unterschiedlichen Historienkulturen) | Geschichte | oder
(in meiner Terminologie): | Historien-Kultur,
Menschen-Kultur seit Beginn ihrer Historien Kultur | Geschichte
i.w.S. | oder
(in meiner Terminologie): | Menschen-Kultur
(anthropologische Geschichte / Evolution) | Die
Definition aber, das Geschichte nur in der Form der Tragödie oder des
Epos ( )
geschehe, scheint mir, obwohl sie eine sehr interessante und gut durchdachte ist,
etwas zu eng zu sein, aber: es gibt ja auch eine Geschichte im engsten Sinne
( ).
Die Geschichte im weiteren Sinne ist eine anthropologische Geschichte
und kann deshalb so lange nicht zu Ende sein, wie der Mensch existiert; folglich
kann es bei der Frage, ob die Geschichte zu Ende sei oder nicht, nur um die Geschichte
i.e.S., also um die Geschichte im engeren Sinne und/oder um die Geschichte
im engsten Sinne gehen. ( ).
Es ist aber noch keines der historischen Existenzialien völlig
verschwunden, und deswegen kann auch die Geschichte i.e.S. noch (noch!)
nicht zu Ende sein.Was wäre, wenn ...?Wenn
in der sogenannten Öffentlichkeit vom Ende der Geschichte
die Rede ist, dann ist damit meistens nicht das Ende dessen gemeint, was
ich die Geschichte i.w.S. nenne, sondern lediglich die Geschichte,
die das, was ich die Geschichte i.e.S. nenne, einschließt.
Die Öffentlichkeit meint also gar nicht das totale Ende der Geschichte,
sondern nur das Ende des Haupteils der Geschichte, aber nicht das Ende einer ihrer
Varianten, nämlich der Geschichte i.w.S., und das, obwohl doch
der Begriff Geschichte auch alle seine Varianten einschließt.
Gehört also z.B. die Geschichte i.w.S. wirklich zur
Geschichte? Gehören Vor- und Nachgeschichte wirklich zur Geschichte?
Und, wenn ja: inwiefern? Die Naturgeschichte ist bekanntlich nur deshalb
auch Geschichte, weil wir Menschen zu Geschichtswesen geworden sind. Wären
wir keine Geschichtswesen, könnten wir die natürlichen Entwicklungen
nicht wirklich als Geschichte erzählen. Die Vorgeschichte ist die Zeit, in
der dies möglich wird, obwohl in Gänze immer noch unmöglich bleibt,
weil das Geschichtsbewußtsein fehlt; und die Nachgeschichte ist die Zeit,
in der es unmöglich wird, obwohl in Teilen möglich bleibt, aber eben
nicht in Gänze, weil das Geschichtsbewußtsein fehlt. Vor- und Nachgeschichte
gehören zur Geschichte i.w.S., wirken aber, sobald das Geschichtsbewußtsein
existiert, auf geistig-kulturelle Weise auch in der Geschichte i.e.S.
- nicht nur deshalb, aber besonders deshalb gehören sie zur Geschichte.Was
aber, wenn die Geschichte auch die Geschichte i.w.S. mit in den
Tod nähme? Täte sie das nicht sowieso? Bei der Beantwortung
dieser beiden Fragen müssen wir wieder das Objektive und das Subjektive daran
beachten. Objektiv gesagt wäre dann die Geschichte zu Ende, weil dann auch
die gesamte Menschen-Kultur zu Ende wäre; wenn aber keine Menschen
mehr da wären, um das Ende der Geschichte als Tatsache feststellen zu können,
es also kein Subjekt mehr gäbe, um jene Objektivität feststellen zu
können, dann könnte das Ende aller und jeder Geschichte objektiv
überhaupt nicht mehr festgestellt werden. Ein jedes Objekt gibt es nur in
Abhängigkeit von einem Subjekt. Zwar könnte in einem solchen Fall die
Geschichte i.w.S. auch alleine weitergehen, aber es gäbe kein
Bewußtsein darüber. Menschen der Vorgeschichte und Menschen der Nachgeschichte
haben kein Geschichtsbewußtsein, obwohl sie Geschichte hervorbringen und
Geschichtsbewußtsein entwickeln können. Wenn tatsächlich
die Geschichte insgesamt, also auch die Geschichte i.w.S., zu Ende
wäre, dann wäre auch die Menschen-Kultur zu Ende, d.h. dann wären
alle Menschen tot - alle, d.h. auch die Jäger und
Sammler, die dann noch vorgeschichtlich oder bereits nachgeschichtlich lebten!
Geschichts- bewußtsein | nach
dem Ende der | Deutung | ja |
Geschichte i.e.S. | bei Geschichtsbewußtsein
ist kein Ende der Geschichte möglich, nur eine (meist nihilistische)
Geschichtsverneinung | nein |
Geschichte i.e.S. | ohne Geschichtsbewußtsein
ist eine Geschichte i.e.S. nicht möglich | ja | Geschichte | bei
Geschichtsbewußtsein ist kein Ende der Geschichte möglich,
nur eine (meist nihilistische) Geschichtsverneinung | nein | Geschichte | ohne
Geschichtsbewußtsein ist eine Geschichte nicht möglich | ja: | Geschichte
i.w.S. | bei Geschichtsbewußtsein ist
kein Ende der Geschichte möglich, nur eine (meist nihilistische)
Geschichtsverneinung | nein | Geschichte
i.w.S. | ohne Geschichtsbewußtsein ist
eine Geschichte i.w.S. zwar möglich, aber nicht objektivierbar |
Die sogenannte Öffentlichkeit spricht also wahrscheinlich nur
deshalb vom Ende der Geschichte, bei dem die Geschichte i.w.S.
munter weitergeht, weil sie glaubt oder vortäuscht zu glauben,
sie selbst könne ein solches Ende überleben, weil sie doch schon
immer gepredigt, habe, daß es zurück zur Natur gehen
müsse und nur überleben könne, wer zurück zur Natur
gekommen sei. Die Öffentlichkeit sagt fast immer die Unwahrheit! Außerdem
ist eine zurück zur Natur gekommene Öffentlichkeit ein Oxymoron.
In der Natur gibt es keine Öffentlichkeit. Öffentlichkeit
gibt es nur in einer zivilisationistisch gewordenen Kultur.Das
Ende der Geschichte ist nicht bewußt erlebbar, weil die Geschichte erst
dann zu Ende sein kann, wenn auch das Geschichtsbewußtsein zu Ende ist.
Jede Art von Geschichte ist stets älter als das Geschichtsbewußtsein,
weil sie stets früher beginnt als das Geschichtsbewußtsein (erst das
Geschichtsbewußtsein kann Geschichte als solche erkennen); wahrscheinlich
endet sie auch später als das Geschichtsbewußtsein, früher enden
als das Geschichtsbewußtsein kann sie jedenfalls nicht. Das Ende
der Geschichte ist also nur über den Weg des Endes des Geschichtsvewußtseins
möglich. Wer bewußt das Ende der Geschichte erfolgeich herbeiführen
will, muß das Geschichtsbewußtsein abschaffen - ansonsten funktioniert
es nicht. Die Diskussion um das Ende der Geschichte zeigt deutlich, daß
nicht wenige Menschen sich für das Ende der Geschichte aussprechen, aber
ihre Herrscher und deren Helfershelfer sprechen sich auch dafür aus, und
das bedeutet, daß sie - wie gewohnt - lügen und mit ihren Taten verraten,
was sie wirklich wollen. Zurück
zur  
Anmerkungen: Seelenbild
der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch
und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher
Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild
und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß
der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel Parallelenaxiom
deutlich werden kann: Euklid
hat in seinen Elementen (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung
für das antike Beispiel gegeben und Gauß
ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische.
Sie stehen - wie unzählige andere Beispiele auch - für einen metaphysischen
Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol
angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler,
Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl.
dazu auch das Germanentum.Vorderasien
oder Morgenland: diese Begriffe sindnicht ganz zutreffend, weil zum magischen
Kulturkreis (Spengler nennt ihn arabisch) auch der ehemalige (griechische)
Osten der Antike gehört, wenn auch nur pseudomorph.
Mit Vorderasien bzw. Morgenland meine ich die Kultur der späteren Religionskulturformen,
z.B. des altiranisch-parsistischen (mazdaistischen) Persertums, des manichäischen
Babyloniens, des Judentums, des Arabertums, des Urchristentums u.a. magischer
Elemente. Das Seelenbild
der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol
die Welthöhle. Die Vertreter der magischen
Kultur berücksichtig(t)en stets den Consensus - die Übereinstimmung
der Gelehrten als Grundlage für die religiöse (= wahre)
Lehre. Das arabische Wort Idschma ist auch in diesem Sinne zu verstehen,
und es gilt immer noch als eines der vier Grundprinzipien der islamischen Rechtslehre.Historische
Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig
über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht
zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen,
sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 784). Auch
eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo
sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen
Kultur, auch kurz Antike genannt, und der (jungen) magischen Kultur,
auch Persien/Arabien genannt, macht es deutlich: Solange die
Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß
alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche
Seite des Synkretismus. ... Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen
der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis
um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des
Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten
entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen
glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues
Griechentum als magische Nation. (Oswald Spengler, Der Untergang des
Abendlandes, 1918-1922, S. 800-801).Quartal
meint eine Jahreszeit (= 3 Phasen)
oder ein Viertel der Uhrzeit (z. B. 0-6, 6-12, 12-18, 18-24 Uhr).Phase
ist für mich der Inbegriff einer wohltemperierten Abrundung durch geistig-politische
Tätigkeiten in einer bestimmten Zeitspanne, oft ausgedrückt durch
technische und künstlerische Richtungen, aber auch durch ökonomisch-politische
und geistig-metaphysische Richtungen. Sie kann nur 60-80 Jahre andauern, wie im
Falle des Rokoko, oder 200-300 Jahre, die etwa jeweils Karolingik, Romanik
und Gotik ausmachten. Eine Phase umfaßt im Mittel etwa 180 Jahre.
Ein Kulturquartal
umfaßt 3 Phasen und damit durchschnittlich 500-600 Jahre, manchmal auch
nur 300-350 Jahre, wie im Falle der abendländischen Jugend (Renaissance,
Barock und Rokoko). Ein Kulturquartal ist eine Jahreszeit in dem Sinne, daß
an ihr erkennbar wird, was sie ist, wenn sie gewissermaßen innehält.
Winter, Frühling, Sommer und Herbst sind wie unterirdisches Wachstum, zarte
Blüten, Hochblüte und Verfall, wie die pflanzliche Welt immer wieder
bezeugt, aber nicht nur sie: die 4 Jahreszeiten
sind wie uterines, kindliches, jugendliches und erwachsenes Leben, z.B.
auch vergleichbar mit dem der Säugetiere. Das erwachsene Leben kann mehrere
Quartale umfassen; in dem Falle teilen die Älteren (Elter[e]n)
ihr Leben mit den Kindern, Enkelkindern oder gar Urenkelkindern. In Kulturen
war und ist dies auch möglich: China, Indien und die magische Kultur existieren
als Zivilisationen (Erwachsene) schon länger als das Abendland.Auch
die Antike starb, aber sie wußte nichts davon. (Oswald Spengler,
Der Untergang des Abendlandes, 1917; S. 547). Bleibt
zu hoffen, daß das Abendland noch lange leben wird und als geschichtsbewußte
Kultur nicht einer antiabendländischen Rhetorik folgt, wenn es zynischerweise
heißt: aus Geschichte lernen. Es sollte seiner weiteren Entwicklung
mit Gelassenheit und auf eigenspezifische, d.h. typisch-abendländische Weise
begegnen, also von der Akzeptanz des Gewordenen ausgehen und auf eine optimistische
Perspektive setzen. Aus Geschichte lernen heißt nämlich, gewordene
Tatsachen in dem Maße zu respektieren, daß Gegenwart und Zukunft ebenfalls
eigene Geschichte werden können und daß diese eigene Geschichte weder
moralisch noch politisch-ökonomisch zum Zinskapital der gegnerischen
Geschichtsausbeuter werden darf. Wer nämlich derartige Zinsen und Zinseszinsen
nicht mehr als Ertrag, sonderm als Aufwand verbucht, weiß,
daß der Erfolg dadurch erheblich geschmälert werden kann.
Wer das eigene Geschichtsbild zu langfristigen Verbindlichkeiten oder
überhaupt zum Fremdkapital verkommen läßt, sollte
dringend eine kulturhistorische Bilanzanalyse vornehmen und nicht
auf den Bilanzstichtag warten. Wer sein Anlage- und Umlaufvermögen
nicht mehr unter Kontrolle hat, wer seine eigene Kulturgeschichte verkauft
oder sogar ihren Ausverkauf zuläßt, darf sich hinterher
nicht wundern, wenn sie als Fremdprodukt zurückkommt. Auf interkulturellen
Märkten ist die Sucht nach Gewinn genauso vorherrschend wie auf
allen anderen Märkten. Die Export-Import-Logik betrifft also auch die historische
Handelsbilanz. Geschichtsmärkte und Börsen für Geschichtsmeinungen?
Selbstverständlich gibt es die! ( ).
Natürlich gibt es auch einen Überlebenskampf der Kulturen!
Jeden Tag kann der geübte Beobachter diese Tatsachen feststellen.Samuel
Phillips Huntington
(*18.04.1927), Clash of Civilizations, in: Foreign Affairs (Zeitschrift),
1993; Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, 1996;
Kampf der Kulturen - Die Neugestaltung der Welt im 21. Jahrhundert, 1996.
Huntington könnte die Thesen aus Spenglers
Werken direkt abgeschrieben haben; sicher ist jedenfalls, daß er von Spengler
inspiriert wurde! ( ).
So gibt es eine Linie von Goethe und Schopenhauer über Nietzsche und Spengler
zu Huntington. ( ).
Die Welt fragt: Soll er der Oswald Spengler Amerikas sein?
( ).
Eine gute Frage; zutreffend ist folgende Antwort: Huntington ist einer der (us-)
amerikanischen Spenglerianer! 
Francis Fukuyama,
The End of History?, 1989; ders., Das Ende der Geschichte?,
1989; ders., The End of History and the Last Man, 1992; ders., Das
Ende der Geschichte, 1992. ( ).
Gemäß Hegels Dialektik ( )
deutet Fukuyama den extremen Liberalismus als These, den
Totalitarismus als Antithese, die liberale Demokratie
als Synthese. Also ist für Fukuyama die liberale Demokratie
das Endstadium.Im übrigen verdankt
man ... Francis Fukuyama
eine der besten Zusammenfassungen der antiken und neuren Diskurse über den
Thymos, und zwar in den gedankenreichsten Abschnitten des unglesenen Bestsellers
Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München 1992 ( ). .... Der Leser muß wenig Scharfsinn aufwenden, um zu erkennen, daß
manche Themen und Motive des vorliegenden Versuchs aus einem imaginären Dialog
mit Francis Fukuyamas Buch The End of History and the Last Man aus dem
Jahr 1992 entspringen. Ich mache kein Geheimnis aus meiner Ansicht, diese Publikation
gehöre - trotz ihrer leicht zu entdeckenden kritikwürdigen Aspekte -
zu den wenigen Arbeiten der zeitgenössischen politischen Philosophie, die
an den Nerv der Epoche rühren. Sie hat bewiesen, daß akademisches Denken
und Geistesgegenwart sich nicht immer gegenseitig ausschließen. (Peter
Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 41, 62).    Durch
Stoffwechseltätigkeiten werden in einem vitalen System erhöhte Innenleistungen
stabilisiert, auf der physischen wie der psychischen Ebene. Das Phänomen
Warmblütigkeit ist hiervon die eindrucksvollste Verkörperung. Mit ihm
vollzog sich, etwa zur »Halbzeit der Evolution«, die Emanzipation
des Organismus von den U mgebungstemperaturen - der biologische Aufbruch in die
Freibeweglichkeit. Von ihr hängt alles ab, was später in den unterschiedlichsten
Sinnabschattungen Freiheit heißen wird. Biologisch betrachtet, bedeutet
Freiheit das Vermögen, das gesamte Potential spontaner Bewegungen zu aktualisieren,
die einem Organismus eigentümlich sind. Die Lossagung des warmblütigen
Organismus vom Primat des Milieus findet ihr mentales Gegenstück in den thymotischen
Regungen der Einzelnen wie der Gruppen. Als moralischer Warmblüter ist der
Mensch auf die Aufrechterhaltung eines gewissen internen Selbstachtungsniveaus
angewiesen - auch dies setzt eine Tendenz zur Loslösung des »Organismus«
vom Vorrang des Milieus in Gang. Wo sich die stolzen Regungen geltend machen,
entsteht auf der psychischen Ebene ein Innen-Außen-Gefälle, in dem
der Selbstpol naturgemäß den höheren Tonus aufweist. Wer die untechnischen
Ausdrucksweisen bevorzugt, kann dieselbe Vorstellung durch die These wiedergeben,
die Menschen besäßen einen angeborenen Sinn für Würde und
Gerechtigkeit. Dieser Intuition hat jede politische Organisation gemeinsamen Lebens
Rechnung zu tragen. Zum Betrieb moralisch anspruchsvoller Systeme, alias Kulturen,
gehört die Selbststimulierung der Akteure durch die Hebung thymotischer Ressourcen
wie Stolz, Ehrgeiz, Geltungswille, Indignationsbereitschaft und Rechtsempfinden.
Einheiten dieser Art bilden in ihrem Lebensvollzug lokalspezifische Eigenwerte
aus, die bis zum Gebrauch universalistischer Dialekte führen können.
Es läßt sich durch empirische Beobachtung schlüssig nachweisen,
wie erfolgreiche Ensembles durch einen höheren inneren Tonus in Form gehalten
werden - an dem im übrigen häufig der aggressive oder provozierende
Stil des Umweltbezugs auffällt. (Peter Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 38-39).Peter
Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 96.
Peter Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 97. Hier heißt es u.a. : Das
Dasein kann sich ebensogut daran orientieren, daß es als Ganzes
die Strecke von der Kränkung bis zur Rache durchläuft. Aus solcher
Hingespanntheit auf den entscheidenden Augenblick entspringt die existentiale
Zeit - und diese Stiftung eines Seins-zum-Ziele ist mächtiger als
jede vage heroische Meditation des Endes. (Ebd., S. 97). Sloterdijks
Sein-zum Ziele ist also eine Ergänzung zu Heideggers
Sein-zum-Tode. In Heideggers 1927 erschienenem Hauptwerk mit
dem Titel Sein und Zeit, worauf Sloterdijks 2006 erschienenes Werk
mit dem Titel Zorn und Zeit ja anspielt, erfährt der Mensch
seine Eigentlichkeit, seine Befreiung von Fremdbestimmung,
als Sein zum Tode, in Hinblick auf seine eigene Endlichkeit.
Sloterdijk ergänzt, daß diese Eigentlichkeit auch im Durchlauf
von der Kränkung bis zum Augenblick der Rache erfahrbar werde. Der
Zorn wird somit zum Existential oder auch Existenzial
(Schreibweise von Heidegger).
Peter
Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 198.  Peter
Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 222.  Peter
Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 226.  Peter
Sloterdijk,
Die Bevölkerungswaffe der Islamisten, in : Cicero, August 2006, auch
in : Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit, 2006, S. 338ff..
Ohne Zweifel ist das Kapitel über den
Zorn Gottes (»Der zornige Gott: Der Weg zur Erfindung der metaphysischen
Rachebank« )
das Glanzstück der geistesgeschichtlichen Zorn-Erkundungen von Peter
Sloterdijk.
Etwas Schärferes und Treffenderes und Erfrischenderes über die
Paradoxien des jüdisch-christlichen Gottes und seines Zorns hat man
lange nicht gelesen. Hier wird das Ressentiment Sloterdijks gegen das
jüdisch-christliche Ressentiment, das gewissermaßen die Vorform
der Zornschatzbildung durch den Kommunismus bildet, derart schöpferisch,
daß man sich ob mancher gelungenen Formulierung vor Lachen den Bauch
halten muß. .... Sloterdijks Essay enthält viele gute und neue
Gedanken. Und auch, wenn man, einem alten Witz folgend, sagen muß,
daß nicht alle guten Gedanken neu sind und nicht alle neuen Geschichten
gut, so kann man Sloterdijks Buch dennoch ohne Bedenken zu einer ebenso
lehrreichen wie unterhaltsamen Lektüre empfehlen. (Johannes
F. Lehmann, Von Achill zu Al-Qaida - Sloterdijks Essay zur politischen
Ökonomie des Zorns [Rezension], 2006).
Jens Bisky, in: Süddeutsche
Zeitung, 04.10.2006. Weiter heißt es hier in der Renzension zu Sloterdijks
Buch Zorn und Zeit (2006): ... die ungelösten Probleme aber
liegen in der liberalen Welt selber: Sie kennt gegenwärtig keinen Weg, Zorn
in Stolz umzuwandeln, Stolz produktiv zu machen.
© Hubert Brune, 2001 ff. (zuletzt aktualisiert: 2014).
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