Popstar,
Teufel, Luzifer, Antichrist und Katechon **Deswegen
(**)
folgendes Zitat:Prägnanter kann man die Vulgär-Gnosis
unserer Zeit nicht charakterisieren: den Kult des Bösen in der Pop-Kultur.
Indem er das Sakrament durch das Sakrileg ersetzt, erweist sich dieser Kult des
Bösen als eine inverse Religion. Und damit wird auch die Janusköpfigkeit
des Teufels als Gutmensch und Dandy verständlich. Denn gerade in einer Gesellschaft
der »Gutmenschen«, die die »Menschheit« vergöttlicht,
kann der Dandy als Antichrist auftreten. Mick Jagger war Oscar Wildes Luzifer:
»his lips were like a proud red flower«. Wie kein zweiter verkörperte
er den Teufel als Dandy, präsentierte »Luzifer als infernalisches Mannequin«
(Ernst Osterkamp, Darstellungsformen des Bösen, in: Sprachkunst, Jg.
V, 1974, S. 193), das man auf dem Laufsteg des Open-Air-Konzerts feierte - »at
her satanic majesty's request«. Und die »Gutmenschen« feierten
ihren Pop-Gottesdienst dann im Namen von »Jesus Christ, Superstar«
- der Teufel selbst hätte es nicht besser formulieren können.
(Norbert Bolz, Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion,
2008, S. 70 **).Wie
wird der Kampf mit dem Teufel enden? Bekanntlich glauben die Christen daran, daß
Jesus wiederkehren wird, um den Widersacher zu vernichten. Doch nun sind schon
zweitausend Jahre verstrichen, ohne daß der Endkampf stattgefunden hätte
- und das muß man den Gläubigen erklären. Paulus hat es im Zweiten
Brief an die Thessaloniker (2,4-9) mit der Geschichte vom Katechon versucht. Der
Widersacher (ho antikeimenos) wird einmal den Tempel besetzen und vorgeben, Gott
zu sein. Der Antichrist wird erscheinen wie Christus und Wunder tun - er ist,
mit Erik Petersons großartiger Formel, »der Automat Satans.«
(Erik Peterson, Satan und die Mächte der Finsternis, in: Der erste
Brief an die Korinther und Paulus-Studien, in: Ausgewählte Schriften,
Band VII, S. 445). In den Worten des Paulus nach der Einheitsübersetzung:
»Der Gesetzwidrige aber wird, wenn er kommt, die Kraft des Satans haben.
Er wird mit großer Macht auftreten und trügerische Zeichen und Wunder
tun.« (Paulus, Zweiter Brief an die Thessaloniker, 2,9). (Norbert
Bolz, Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion,
2008, S. 70 **).Daß
der Gesetzwidrige (ho anomos) bis heute nicht offenbar geworden ist, liegt daran,
daß es einen gibt, der ihn jetzt noch aufhält (ho katechon). Der Katechon
ist der Aufhalter des Antichrist, und so wie der Antichrist nimmt auch der Katechon
in der Geschichte immer wieder konkrete Gestalt an. Das ist das christliche Geschichtsbild,
das der katholische Staatsrechtler Carl Schmitt gezeichnet hat. Um die Geschichte
post Christum natum sinnvoll zu finden, muß es demnach möglich
sein, für jede Epoche den Katechon zu benennen, dessen Leistung je und je
darin besteht, das Erscheinen des Antichrist und das Ende des Weltalters aufzuhalten.
Schmitt nennt hier ganz konkret die christlichen Kaiser und das »Reich«,
aber auch die großen Aufhalter des Islam und des Anarchismus. (Norbert
Bolz, Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion,
2008, S. 70 **).Das
Geschichtsbild des Katechon kennt die Beschleuniger und Verzögerer des Endes
- aber auch jene Zögerlichen, die die Aufgabe des Katechon verfehlen und
dadurch zu »Beschleunigern wider Willen« werden. (Vgl. Carl Schmitt,
Staat, Großraum, Nomos, S. 436). Die Katechontik verleiht der christlichen
Geschichtsbetrachtung einen heilsgeschichtlichen Halt, der es Carl Schmitt ermöglicht,
der mythischen Selbstverklärung der neuzeitlichen Selbstbehauptung in der
Figur des Prometheus eine Gegenfigur christlichen Handelns entgegenzustellen:
den christlichen Epimetheus. In scharfer Antithese zur prometheische Technik des
Fortschritts ist christliches Handeln Aufhalten und Vorgebot. (Norbert Bolz,
Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion, 2008,
S. 71 **).Indem
Carl Schmitt die Figur des Katechon, von der Paulus ja noch eindeutig sagt, daß
sie »weggetan« (Luther), beseitigt werden muß, historisch positiviert,
verändert er die Vorzeichen: Die Katechontik ersetzt die Apokalyptik. Wenn
das Ende naht, wird Selbstbehauptung sinnlos. Der Katechon überwindet ja
die »eschatologische Lähmung«; er ist die »Geschichtskraft«,
die das Böse niederhält. (Vgl. Carl Schmitt, Der Nomos der Erde,
1950, S. 29 und ders., Briefwechsel, S. 164). Geschichtsbewußtsein
wird erst möglich, wenn die Eschatologie ausgeschlossen ist; das leistet
die Idee des Katechon. (Norbert Bolz, Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion, 2008, S. 71 **).Immer
wieder verkörpert sich der Teufel, und immer wieder tritt ein Katechon auf,
der ihn niederhält. Es ist also das Ärgernis für den Glauben, die
Parusieverzögerung, die dem Katechon seinen Platz gibt. Und das erweist die
Kirche als legitime Geschichtskraft. Schopenhauer hat erkannt, daß gerade
die unendliche Parusieverzögerung, die Enttäuschung der eschatologischen
Erwartung als Beweis für die Echtheit des Evangeliums verstanden werden kann.
Wäre die frohe Botschaft erst hundert Jahre nach Christus und ohne Fundierung
in gleichzeitigen Dokumenten verfaßt worden, so hätten sich die Autoren
die Peinlichkeit einer unerfüllten Prophezeiung gewiß erspart. Die
Antwort an die zweifelnden Gläubigen lautet: Das Ende ist noch nicht gekommen,
weil es je und je aufgehalten worden ist. Und hier zeichnet sich schließlich
der konservative Grenzwert jeder Katechontik ab: Der Gnadenschatz der Kirche macht
die Eschatologie überflüssig. (Norbert Bolz, Den Teufel ernst
nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion, 2008, S. 71 **).Laut
Bolz gibt es eine katechontische Fassung des Begriffs Dekadenz: Niedergang
ist der Preis, den wir für das Aufhalten des Untergangs zahlen müssen.
(Norbert Bolz, Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion,
2008, S. 55 **).
Wenn man sich nun fragt, wie die Kirche gegen die Gefahr des Zerfalls
in Sekten noch am Anspruch auf absolute Autorisierung festhalten kann, bieten
sich zwei Instanzen als Antwort an: das Buch der Bücher und der Papst. Die
christliche Kirche versteht sich als Subjekt der Bibel. Indem sie kanonisiert
und auf den Index setzt, verteilt sie souverän Thema und Anathema. Die kanonische
Exegese liest ja die Bibel als Ganzes, konstruien damit das Gedächtnis der
Kirche und konstituien Tradition als Aggregation des heiligen Wissens, das über
die Zeit verstreut ist. (Norbert Bolz, Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion, 2008, S. 116).Der zweite
Extremwert der Orientierung liegt in der Unfehlbarkeit des Papstes. Der Papst
verkörpert ja traditionell den Katholizismus durch persönliche Repräsentation
- das gibt es bei Juden, Moslems und Protestanten nicht. Und als Katechon steht
er gegen die Entchristlichung der Welt. Das ist heute nur noch zu verstehen, wenn
man sehr hoch abstrahiert. Wie schon Carl Schmitt gesehen hat, ist der Vatikan
in einem ganz radikalen Sinne die letzte Repräsentation. Das wird gerade
durch die neue Sichtbarkeit der Kirche qua Medienpräsenz deutlich. Im Medium
der Medienpräsenz kann der Papst tatsächlich aber nur noch die Idee
der Repräsentation repräsentieren. (Norbert Bolz, Den Teufel
ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion, 2008, S. 116 **).
Es ist nicht besonders originell, an zahlreichen Beispielen zu
belegen, wie weit sich der Papst vom Zeitgeist entfernt hat. Das gilt gerade auch
für den Zeitgeist des Christentums selbst - man erinnere sich nur an den
Streit mit Hans Küng, dem ebenfalls sehr medienwirksamen Exponenten der »Theological
Correctness« (Zur »Theologischen Korrektheit« vgl. auch: »Politische
Korrektheit« (**|**|**|**|**|**|**|**|**).
Die Betrachtungen, die Johannes Paul II. über das moderne Leben, insbesondere
dessen Sexualmoral anstellte, waren natürlich völlig unzeitgemäß.
Doch gerade radikal gegen den Strich des Zeitgeistes zu sprechen, ist ein probates
Mittel im Kampf um die knappe Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Der
Papst setzte den Anachronismus selbstbewußt als Technik der Aufmerksamkeitsallokation
ein. Man könnte auch sagen: er verkörperte die Vorteile mangelnder Lernbereitschaft.
(Norbert Bolz, Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion,
2008, S. 118).Biblisch ist diese Haltung vorgeprägt in der
Figur des Katechon, des Aufhalters. Die Physiognomie des Leidens, die den von
Attentat und Selbstüberforderung gezeichneten Papst so eindringlich charakterisierte,
paßt präzise zu dieser Selbststilisierung als Katechont gegen die Entchristlichung
der Welt. Und damit sind wir wohl dem Rätsel seiner Faszinationskraft auf
der Spur: Seine Positionen waren oft unzeitgemäß, aber mit allen Wassern
der neuen Medienwelt gewaschen. Mehr denn je lautet das Zauberwort der katholischen
Kirche »complexio oppositorum« (**),
das Bündnis der Gegensätze. So praktizierte der Papst etwa gegenüber
dem Islam, den Juden und der orthodoxen Kirche eine fortschrittliche Außenpolitik
- um doch zugleich mit »heiliger Starrsinnigkeit« an einer fundamentalistischen
Innenpolitik festzuhalten. Das Rätsel der Faszinationskraft des Papstes liegt
in der Einheit von Modernität und Antimodernität. (Norbert Bolz,
Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion, 2008,
S. 118). Auch bei Luhmann findet sich die Katechontik, nämlich
als die Antithese zum sogenannten Fortschritt. Evolutionsbewußte
Politik entspricht nämlich der Katechontik als Aufschub der Zerstörung
des Systems, als »Hinausschieben der Destruktion« (Niklas Luhmann,
Soziologische Aufklärung, 1970, Band 4, s. 109). (Norbert Bolz,
Den Teufel ernst nehmen, in: Ders., Das Wissen der Religion, 2008,
S. 145 **). |